Erzählungen vom Niederrhein - Gottfried Kinkel - E-Book

Erzählungen vom Niederrhein E-Book

Gottfried Kinkel

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Gottfried Kinkel war ein deutscher evangelischer Theologe, Schriftsteller, Kirchenlieddichter und demokratisch gesinnter Politiker. Dieser Band bietet eine Sammlung seiner schönsten Geschichten: Der Hauskrieg. Margret Ein Traum im Spessart Die Heimatlosen.

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Erzählungen vom Niederrhein

Gottfried Kinkel

Inhalt:

Gottfried Kinkel – Biografie und Bibliografie

Der Hauskrieg.

Margret

Ein Traum im Spessart

Die Heimatlosen.

Erzählungen vom Niederrhein, G. Kinkel

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN:9783849629311

www.jazzybee-verlag.de

www.facebook.com/jazzybeeverlag

[email protected]

Gottfried Kinkel – Biografie und Bibliografie

Dichter und Kunsthistoriker, geb. 11. Aug. 1815 in Oberkassel bei Bonn, gest. 13. Nov. 1882 in Zürich, wuchs unter orthodoxen Einflüssen heran und widmete sich seit 1834 in Berlin der Theologie. 1836 habilitierte er sich in Bonn als Dozent für Kirchengeschichte; zugleich wurde er mit Geibel bekannt, der sein Talent zur Poesie mächtig anregte. Im Herbst 1837 trat K. eine Reise durch das südliche Frankreich und Oberitalien nach Rom an. Nach seiner Rückkehr 1838 kam er mit Simrock, Freiligrath, Matzerath und Wolfgang Müller in nähere Verbindung und lernte um dieselbe Zeit seine nachherige Gattin Johanna, geborene Mockel (s. unten), kennen, die mit ihrem klaren und doch phantasiereichen Geist einen großen Einfluss auf ihn gewann. Sie gab den ersten Anstoß zur Gründung des »Maikäferbundes«, der unter anderem Anlass zu der frischen und lieblichen Dichtung »Otto der Schütz, eine rheinische Geschichte in zwölf Abenteuern« (Stuttg. 1846, 81. Aufl. 1903), gab. K. war inzwischen Religionslehrer am Gymnasium und 1840 zugleich Hilfsprediger der evangelischen Gemeinde in Köln geworden, wohin er alle Sonntage fuhr, und erntete mit seinen rhetorisch glänzenden Predigten, von denen er eine Sammlung (Köln 1842) herausgab, ungeteilten Beifall. Der Orthodoxie immer mehr sich entfremdend, machte er sich die Geistlichkeit zum Feinde, und vollends sein Verhältnis zu Johanna als einer geschiedenen Katholikin, mit der er sich 22. Mai 1843 vermählte, erregte dermaßen Anstoß, dass man ihm sogar die Hilfspredigerstelle entzog. Bald darauf mit der Theologie offen brechend, trat er 1845 in die philosophische Fakultät zu Bonn über und eröffnete Vorlesungen über Kunstgeschichte und Poesie. Schon zuvor hatte die Sammlung seiner »Gedichte« (Stuttg. 1843, 7. Aufl. 1872) die günstigste Aufnahme gefunden. Jetzt erschien sein Buch »Die Ahr. Landschaft, Geschichte und Volksleben«, dem der erste Band seiner »Geschichte der bildenden Künste bei den christlichen Völkern« (Bonn 1845) folgte. Von Dichtungen aus jenen Jahren nennen wir den Anfang der erst viel später (1872) vollendeten poetischen Erzählung »Der Grobschmied von Antwerpen« und die vortreffliche Dorfgeschichte »Margret«. 1846 wurde K. zum außerordentlichen Professor der Kunst- und Kulturgeschichte ernannt und erhielt bald darauf einen Ruf nach Berlin, der jedoch infolge eines von ihm veröffentlichten Gedichts (»Männerlied«) wieder zurückgenommen wurde. Hatte K. schon seit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. regen Anteil an der politischen Bewegung genommen, so erregte die Katastrophe von 1848 sein ganzes Wesen aufs heftigste, und er entwickelte eine außerordentliche Tätigkeit auf Seiten der republikanischen Partei. Er nahm teil an dem Sturm der Bonner Demokraten auf das Zeughaus in Siegburg (10. Mai 1849), begab sich nach dem unglücklichen Ausgang des Unternehmens in die Pfalz und schloss sich dem pfälzisch-badischen Aufstand an. Am 29. Juni verwundet und gefangen, wurde er 4. Aug. 1849 vom Kriegsgericht zu Rastatt zum Verlust der preußischen Nationalkokarde und zu lebenslänglicher Festungsstrafe verurteilt; das Generalauditoriat in Berlin beantragte Kassation dieses Urteils, da vielmehr auf Todesstrafe hätte erkannt werden müssen, der König jedoch bestätigte es, allerdings mit dem Zusatz, daß die Festungsstrafe in einer Zivilstrafanstalt zu verbüßen sei (vgl. Joesten in der »Deutschen Revue«, 1904). K. wurde nach Naugard in Pommern abgeführt und hier zu den gewöhnlichen Sträflingsarbeiten angehalten (vgl. v. Poschinger, G. Kinkels sechsmonatliche Hast im Zuchthaus zu Naugard, Hamb. 1901). Im April 1850 musste er wegen seiner Teilnahme an dem Zuge nach Siegburg vor den Assisen in Köln erscheinen, wurde aber nach seiner glänzenden Verteidigungsrede freigesprochen (vgl. »Der Zug der Freischärler unter K., Schurz und Annecke behufs Plünderung des Zeughauses in Siegburg. Nebst Kinkels Verteidigungsrede vor den Assisen in Köln«, 2. Aufl., Bonn 1886). Von Köln wurde er nach Spandau abgeführt, wo er im November 1850 durch einen begeisterten Verehrer, den damaligen Studenten Karl Schurz (s. d.), auf fast wunderbare Weise befreit wurde. K. wandte sich zunächst nach London, erwarb sich hier seinen Unterhalt durch Unterricht an Kinder- und Mädchenschulen (seine Frau, einst gefeierte Direktrice des Bonner Gesangvereins, gab schlecht bezahlte Musikstunden), reiste im September 1851 nach Nordamerika, wo er Vorträge hielt, deren Erträgnisse, für politische Zwecke bestimmt, von guten Freunden anderweit verwendet wurden. Nach London zurückgekehrt, zog er sich vom Parteitreiben mehr und mehr zurück, nahm 1853 eine Anstellung als Lehrer der deutschen Sprache und Literatur am Westbourne College an und widmete seine ganze Tätigkeit den Vorlesungen über deutsche Literatur an der London University und in Privatkreisen. Auch seine dichterische Tätigkeit nahm er von neuem auf im Drama »Nimrod« (Hannover 1857) und gründete 1859 die deutsche Wochenschrift »Hermann«, die er jedoch nur ein halbes Jahr lang redigierte. Nach dem Tode Johannas zum zweiten mal vermählt, schien sich K. ganz in England eingelebt zu haben, als er im April 1866 einen Ruf nach Zürich als Professor der Archäologie und Kunstgeschichte am eidgenössischen Polytechnikum erhielt und annahm. Hier schrieb er: »Die Brüsseler Rathausbilder des Rogier van der Weyden« (Zürich 1867), dann eine Reihe von Abhandlungen, die teilweise u. d. T.: »Mosaik zur Kunstgeschichte« (Berl. 1876) gesammelt erschienen, »Peter Paul Rubens« (Basel 1874) u. a. Eine zweite Sammlung seiner »Gedichte« (Stuttg. 1868) brachte auch den vollendeten »Grobschmied von Antwerpen« (Sonderausg. 1872, 5. Aufl. 1900), der an frischer Kraft und poetischer Fülle des Ausdrucks »Otto dem Schütz« wohl gleichkam, ohne jedoch so populär wie dieser zu werden. Gleich ausgezeichnet war auch seine letzte kleine epische Dichtung: »Tanagra, Idyll aus Griechenland« (Braunschw. 1883, 3. Aufl. 1886). Außerdem erschienen: Festreden auf »Friedrich Rückert« (Zürich 1867) und »Ferdinand Freiligrath, 1867« (Leipz. 1867); »Die christlichen Untertanen der Türkei in Bosnien« (Basel 1876); »Für die Feuerbestattung« (Berl. 1877). Ein Denkmal Kinkels soll 1906 in Obercassel bei Bonn enthüllt werden. Sein Briefwechsel mit Jak. Burkhardt erschien in der »Deutschen Revue« 1899. Vgl. Strodtmann, Gottfried K. (Hamb. 1850, 2 Bde.); Henne am Rhyn, G. K., ein Lebensbild (Zürich 1883); Lübke, Lebenserinnerungen (Berl. 1893); J. Joesten, Literarisches Leben am Rhein (Leipz. 1899) und Gottfried K. (Köln 1904).

Der Hauskrieg.

Eine Geschichte vom Niederrhein.

Friede ernährt, Unfriede verzehrt! Das ist ein altes, wahres Wort! aber manche Leute mögen nicht dran glauben.

Am Niederrhein liegt ein kleines Dorf, hübsch und reinlich, und wohnen wohlhäb'ge Leute darinnen, denn Äcker und Wiesen sind ergiebig und das Volk ist fleißig und ordentlich. Der reichste Bauer aber war der alte Andres, dessen Haus und Stallungen zunächst beim Strome liegen, vorn wo der Leinpfad am Dorfe vorbeizieht. Als der zu sterben kam, ging all sein Gut bloß auf zwei Söhne über: der älteste hieß Kaspar, der jüngste Sebulon.

Der Kaspar war von Jugend auf ein gesunder baumstarker Kerl gewesen, der mit fünfzehn Jahren seinen Pflug leitete und seine Sense führte wie ein Alter; und wenn er abends nach Hause kam, verstand er's gleichfalls, in Kartoffeln und Klötze einzuhauen wie der beste Meisterknecht. Der Sebulon aber hatte in seiner Jugend die englische Krankheit gehabt und Lebertran drei Jahre trinken müssen statt Bier. Auch alle andern Kinderkrankheiten machten ihm's Leben sauer. Zwar erkriegte er sich nach dem vierzehnten Jahr, aber krumme Wackelbeine behielt er, und der Barbier hat nie viel von ihm verdient, weil er keinen Bart bekam. Zum Vieh und Ackergerät hatte er kein Gemüt; am liebsten lag er hinterm Ofen, spielte mit Nachbarskindern, die viel jünger waren als er und tüftelte ihnen allerhand Spielzeug zusammen, setzte den Tierchen aus der Arche Noä abgebrochene Köpfe und Beine vom Wachs wieder an und nähte Puppenkleidchen. Der alte Andres sah, daß er im Felde nichts taugte, und gab ihn zu einem Schneider in die Lehre. Er lernte auch sein Handwerk rechtschaffen und kam noch eh' der Vater starb in gute Kundschaft herein. Nur die Mädchen wollten nichts von ihm wissen, auch die nicht, denen er ehemals Puppenhemdchen gemacht hatte; sie spotteten eher über ihn und ärgerten ihn mit dem Spitznamen Meister Scherenbein, den sie ihm wegen seiner kreuzweis gewachsenen Untertanen anhängten. Dadurch verlor er ordentlich den Mut, sich zu verlieben und hing sich desto mehr an seinen Bruder Kaspar. Der aber nahm sich schon früh, wie's gute Sitte ist auf dem Lande, eine Frau und kriegte mit der richtig alle Jahr ein Kind.

Als nun der alte Andres Todes verblichen war, da einigten sich die Brüder ganz leicht und gutwillig wegen der Erbschaft. Der Kaspar übernahm alle Ackergüter, der Sebulon das Haus mit dem großen Gemüsegarten und die Wiesen, die dabei liegen. Seinem Bruder räumte er das Erdgeschoß ein und ging dafür bei der Schwägerin in die Kost. Er selber wohnte im Oberstock; dort hatte er eine große nette Stube, deren Fenster über einen Wiesenfleck nach dem Rhein und der Hauptstraße des Dorfes gingen. Hier saß er auf seinem Tisch und nähte tapfer zu; alles was in der Nachbarschaft geschah, konnte er gut sehen, und mit jedem Schiffer, der unten am Wasser anlegte, sprach er und fragte ihn, was es Neues gäbe zu Mainz oder zu Emmerich. So führte er ein ganz vergnügtes Leben und wurde, ohne daß er's recht merkte, ein alter Junggeselle dabei.

Zwanzig volle Jahre hatten die Brüder einträchtig miteinander gewohnt. Am besten fuhren dabei die Kinder des Kaspar; die lagen dem Ohm den ganzen Tag auf der Stube, lauerten zu den großen Fenstern heraus und ließen sich von ihm zwischen Tag und Dunkel Puppen und Lappenmäuschen schneidern. Erst wenn wieder eins von ihnen in die Jahre kam, daß es in die Schule gehen mußte, wurde es gegen Ohm Sebulon unartig, weil es von den Mitschülern über ihn spotten hörte. Dann wurde jedes vor und nach rebellisch wider ihn, bis er's endlich einmal beim Flügel nahm und die Treppe hinabjagte. Dies war er schon bei allen seinen Neffen und Nichtchen gewöhnt.

Da legte auf einmal der Teufel ein Ei in die Wirtschaft. Der Kaspar hatte jetzt zwölf Kinder, klein und groß wie die Orgelpfeifen. Da er gut gewirtschaftet und das Erbgut durch Ankauf neuer Ländereien vergrößert hatte, mußte er mehr Dienstvolk halten als vorher und so wurde seiner Frau das Untergeschoß des elterlichen Hauses zu klein. Sie lag ihrem Mann in den Ohren, daß er sich ein neues Haus neben das alte bauen möchte, und das sollte von Ziegelsteinen sein und nicht von Lehmfachwerk und sollte sogar eine gemalte Stube darin sein. Der Kaspar wollte lange Zeit nicht dran, denn er meinte: für das neue Haus kann ich mir ein Dutzend Kühe einstellen und einen Morgen Land noch obenein kaufen, aber die Frau wollte ein blankes Haus und keine Kühe. Lieber Leser, wenn du Kühe haben willst und deine Frau ein neues Haus, so werden zwar die Kühe nicht gekauft, allein das neue Haus wird sicherlich gebaut.

Aber der Bauplatz? Den mußte der Bruder Sebulon ja erst hergeben. Denn ihm gehörte das Land um das ganze Stammhaus herum, und er hatte im Garten prächtiges Gemüse, in den Wiesen aber feines Obst stehen; das schickte er mit dem Marktnachen zweimal die Woche nach Rees oder Kleve hinunter und hatte manchen harten Taler daraus gelöst und als Kapitälchen ausgetan. Der Garten besonders war seine beste Freude: es tat ihm wohl, wenn er so vom Schneidertisch aufstehen und die leichte Gartenarbeit, als Säen, Pflanzen, Okulieren und Einsammeln, vornehmen konnte.

Der Kaspar hatte zwar draußen in der Flur Land die Hülle und Fülle, aber hier beim Dorfe gehörte ihm nur ein schmaler schlechter Strich, der grade zwischen dem Stammhaus und dem Leinpfad lag: den hatte sich bei der Teilung die Frau ausbedungen, um da zwischen die Bäume ihre Trockengarne anzubinden. Es war ein ungleicher schlechter Sandboden und schoß so stark gegen den Fluß ab, daß er beinahe jedes Jahr vom Wasser überschwemmt wurde.

Am allerbesten wäre nun das Haus in den Gemüsegarten Sebulons zu stehen gekommen; der lag hoch und trocken, hatte eine nette Aussicht auf den Fluß und bot festen, guten Grund für die Anlegung des Kellers. Das war auch von Anfang die Meinung der Frau gewesen, und nun rückte sie damit heraus. Ihr Mann kratzte sich hinter den Ohren, als er's hörte, und meinte: sie solle doch selber einmal mit dem Bruder Sebulon zu reden anfangen.

Das geschah beim nächsten Abendessen, als die Danksagung gesprochen und die Kinder nach Bett gejagt waren. Die Frau nahm das Ding wie etwas, das sich ja ganz von selber verstünde, meinte auch sogar, der Bruder Sebulon werde doch brüderlich handeln und ihnen den Garten hübsch wohlfeil überlassen. Sebulon erwiderte nichts, sondern stand auf, reichte dem Kaspar, wie alle Abend geschah, eine Prise aus seiner Dose, und als der nieste, sagte er: Profiziat und gute Nacht miteinander. Hierauf stieg er die Treppe hinauf in sein Quartier.

Aber schlafen konnte er in dieser Nacht nicht. In der ersten Stunde dachte er über die schönen Pfirsich- und Aprikosenspaliere nach, die er vor drei Jahren mit der allergrößten Mühe endlich in gutes Wachstum gebracht hatte, nachdem er sechsmal vergebens Schößlinge eingesetzt. In der zweiten Stunde kamen ihm die Ranunkeln in den Sinn, für die er das schönste, sonnigste Beet des Gartens bestimmt hatte; sein Ranunkelnflor war sein Stolz, keiner in der Nachbarschaft, auch kein Kunstgärtner in den nächsten Städten konnte an Zahl der Arten mit ihm wetteifern. Nach Mitternacht fielen ihm die schönen, saubern Kieswege ein, für die er selber den Grand, wohl zweihundert Schubkarren voll, mit Schweiß und Mühe vom Rheinufer heraufgefahren hatte, und das nette Rondellchen in der Mitte, mit Seemüschelchen ausgelegt, die extra von Scheveningen herbestellt waren. Als der Nachtwächter ein Uhr blies, fuhren ihm die herrlichen dicken Spargel durch die Seele, die er jährlich von dem Hauptbeet an der Hecke zu Markt schickte, um zwei Uhr die mächtigen Kappesköpfe, um drei Uhr die grünen Erbsen – und gegen Morgen sprangen und schwirrten alle diese Gedanken, die Aprikosen und die Seemuscheln, der Kappes und die Ranunkeln, die Erbsen und die Spargel durcheinander in seinem Kopfe herum. Das alles sollte nun ausgerissen, niedergehauen, geebnet werden, bloß um ein Haus dahinzusetzen, das ebensogut anderswo Platz hatte. Noch einmal auf seinen alten Tag sollte er sich einen ganz neuen Garten anlegen und dessen Früchte vielleicht nicht mehr genießen!

Am Morgen faßte er sich ein Herz, griff zu einem andern Entschluß und ging gesetzt und fröhlich zum Mittagessen hinunter. Die Frau machte ihm gleich kein so gutes Gesicht wie sonst, denn es verdroß sie, daß er nicht gestern alsbald gutwillig ja gesagt hatte. Aber sie verkniff sich, denn sie meinte, er sollte selber von dem Dinge zu reden anfangen. Das geschah nicht: sie wurde ungeduldig und fuhr am Ende derb mit der Frage heraus: »Nu, Herr Schwager, habt Ihr's diese Nacht gehörig beschlafen? Wie teuer laßt Ihr uns den Garten?«

Da sagte Sebulon: »Schickt erst die Kinder fort, dann bespricht sich's besser.«

Als die fort waren, redete er weiter: »Liebe Frau Schwägerin, den Garten kann ich nicht missen; ich profitiere so viel daraus, daß ich ihn nicht billig ablassen kann, wie sich's doch unter Brüdern schickt. Der Wiesengrund taugt nicht für Blumen und Kappes, da kann ich keinen neuen Garten machen, auch dauert's mir zu lang. Aber euch kann's eins sein, ob ihr ein paar Schritte rechts oder links bauet. Sucht euch also in der Wiese einen Platz fürs Haus und für einen stattlichen Hof obenein. Seid nicht blöde, ihr könnt frisch einen halben Morgen Land dazu nehmen. Was ich habe, kriegen ja doch eure Kinder, und mir kommt's nicht drauf an: den halben Morgen schenk' ich euch.«

Das war brüderlich gesprochen, und der Kaspar hob schon die Hand auf, um in Sebulons Hand einzuschlagen und sich fröhlichen Mutes zu bedanken. Aber die Frau war's nicht zufrieden, weil sie's nun einmal so gewollt hatte und nicht anders. »Nein,« sagte sie, »in Eure Sumpflöcher bau ich nicht; lieber bleib ich im Stammhaus sitzen.«

»Wie es Euch beliebt,« sagte Sebulon, »und wünsche allerseits wohl gespeist zu haben.« Damit ging er ganz freundlich aus der Stube und stieg in seine Werkstatt hinauf.

Nun brach der Zorn der Frau los. Wenn der Sebulon ihr grob antwortete, so konnte sie gegen ihn ihre Galle loslassen, und nach einem herzhaften Zank möchten sich beide vielleicht vereinigt haben. Nun aber mußte der Mann es ausbaden.

»Du bist mir auch der Rechte,« fuhr sie ihn an, »läßt deine Frau allein reden: der Schwager soll wohl denken, ich wäre wunder wie böse. So geht's den armen Weibern: ihr Männer laßt Gottes Wasser über Gottes Land laufen, und wenn wir hernach auf unser Eigentum und aufs Gut unserer armen Würmer denken, da müssen wir böse Zungen sein.«

»Frau,« sagte der Kaspar, »die Wiese ist eben gut zum Bauen, und wir kriegen sie geschenkt.« »Ich will aber die Wiese nicht«, schrie sie. »Lieber bau' ich auf den Fleck am Wasser, der uns gehört, daß der krumme Scheerenbein sich ärgern soll, wenn er nicht mehr auf den Rhein sehen und mit dem Schiffervolk schwätzen kann, das alte Weib der– «

»Der müßt' auch ein Narr sein, der dahin baute,« sagte der Kaspar, »da stände das Haus keine zehn Jahre wegen des Eisgangs. Jetzt muß ich ins Feld.« Damit ging auch er zur Stube hinaus.

Derweil saß der Sebulon auf seinem Schneidertisch und nähte kleine Läppchen zusammen für eine Jacke, die er seinem jüngsten Neffen, dem Hanspeter, für seinen neuen Hanswurst versprochen hatte. Der Junge war schon dreimal dagewesen; nun hatte er sie ihm auf drei Uhr zugesagt, da wollte der Hanspeter sie holen kommen.

Es schlug drei Uhr: die Jacke war fertig, aber der Hanspeter kam nicht. Meister Sebulon fing eine andere Arbeit an: er wird wohl fischen sein, meinte er. Es schlug vier Uhr: das Kind blieb aus, auch die andern kamen nicht, die sonst immer nach der Schule ihre Schnitte Brot mit Barkäs bei ihm aufaßen. Sebulon sagte für sich: sicher machen sie sich ein Kartoffelfeuer auf dem Acker, oder sollt' ihnen gar was zugestoßen sein?

Als es aber fünf schlug, hörte er das kleine Gesindel unten im Vorhause sich jagen und schreien. Er trat an die Treppe und rief hinunter: »Hanspeter, bring den Hanswurst, die Jacke ist fertig!«

»Nein, Oheim,« rief der kleine Junge herauf, »ich mag die Jacke gar nicht.«

Sebulon ging an den Schneidertisch, holte die prächtige bunte Jacke, zeigte sie den Kindern und sprach: »Wer will sie jetzt, wenn der Hanspeter sie nicht mag?« Der zweitletzte Bube, der Michel, rief: »Ich,« und hatte schon den Fuß auf die unterste Treppenstufe gesetzt; da sprang ein älteres Mädchen, die schnippische Anna, hinzu, riß den Michel heftig am Arm herunter, daß er auf die Erde fiel, und sprach: »Halt du deine Jacke, Ohm. Die Mutter hat gesagt, du wärest ein böser Ohm, der seinen Bruderskindern nichts Gutes gönnt, und da wollen wir gar nichts mehr von dir haben. Und die Mutter sagt auch, wir sollen gar nicht mehr zu dir auf die Werkstube gehen.«

»Ja,« rief einer der Buben, »ich komme auch nicht mehr zu dir, du Ohm Scherenbein. Hoho, Ohm Scherenbein.«

Und die ganze Rotte, klein und groß, der Michel mit, brüllte laut auf: »Hoho, Ohm Scherenbein, Ohm Scherenbein!«

Sebulon wurde kreideweiß vor Zorn und dachte an die Elle, um das ganze Gesindel durchzuhauen, aber er fühlte seine Beine wanken und ging langsam in die Stube zurück. Die Hanswurstjacke zerriß er in kleine Fetzen und warf sie am Fenster hinaus. Dann kletterte er auf den Schneidertisch und fing wütend an einem Wams zu nähen an. Als er fertig war, sah er, daß er den Ärmel verkehrt angesetzt hatte: er schmiß das Wams hin, fuhr in den Rock, nahm sein spanisch Röhrchen und ging hinaus – ins Wirtshaus.

Dem Kaspar, als er seine Feldarbeit fertig hatte, war's auch nicht recht heimlich zumute. Er mochte nicht nach Haus gehen und dachte: die Frau hat's eingebrockt mit dem Bruder Sebulon, mag sie's heut abend beim Essen mit ihm richtigmachen: ich geh' ins Wirtshaus.

Also weil beide diesen Abend sich nicht sehen wollten, kamen sie nun erst recht zusammen, und obenein vor andern Leuten.

Als Kaspar in die Schenke trat, saß der Sebulon in der Ecke und las im niederrheinischen Volkskalender. Er sah schlecht aus und trank wider seine Gewohnheit ein Schöppchen Ahrwein. Sonst hatten sie allezeit dasselbe getrunken und aus einer Flasche; jetzt aber fing der Kaspar, wie er seinen Bruder sah, gleich mit Rum an. Rundherum saß ein Dutzend Leute aus dem Dorf.

»Nun, Kaspar,« sagte der Schöffe, »Ihr wollt bauen, hör' ich?«

»Wißt Ihr das schon,« war die Antwort. »Ja, so Gott will im Frühjahr.«

»Und wohin?«

»Weiß noch nicht, bin mit meinem nächsten Nachbar noch nicht eins geworden.«

Sebulon sah einen Augenblick vom Volkskalender auf, die Augen der Brüder trafen sich. Kaspar fuhr fort: »Nicht alle Leut' sind gefällig.«

Sebulon legte den Kalender hin, nahm die Brille ab, sagte aber kein Wort.

»Ich meine,« sprach der Schöffe, »auf der Wiese Eures Bruders wär's am bequemsten.«

»Ja,« sagte Kaspar, »so wird's auch wohl werden.«

Jetzt fragte der Sebulon über den Tisch herüber: »Auf welcher Wiese meinst du, Kaspar?«

»Nun, wie wir's heut abgesprochen haben, auf deiner!«

»Von der Absprach weiß ich nichts,« erwiderte Sebulon. »Seit heut' abend fünf Uhr wird von meiner Wiese kein Daumenbreit verkauft noch verschenkt.«

»So,« sagte der Kaspar, »das wußt' ich nicht. Ich denk', morgen bei Tisch reden wir noch einmal darüber.«

»Ich esse nicht mehr bei deiner Frau,« antwortete Sebulon. »Ich hab' mich zum Essen hier beim Wirt verakkordiert, bis aufs Frühjahr.«

»Und im Frühjahr?«

»Dann fang' ich eine eigene Wirtschaft an und halte mir eine Köchin, ich wohne oben und die unten.«

»Unten wohnen ja wir,« sagte der Kaspar.

»Nein,« antwortete Sebulon, »unten wohnt ihr im Frühjahr nicht mehr. Ich habe eben den Schöffen gebeten, daß er Euch auf halben Mai kündigen soll.«

»Sebulon«, rief Kaspar und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Bau' ich auf deine Wiese oder nicht?«

»Nein.«

»Oder in deinen Garten?«

»Nein.«

»Und soll auch nicht im Haus meines Vaters wohnen bleiben?«

»Nein.«

»Dann bau' ich auf dem Fleck' zwischen dem Haus und dem Rhein, oder alle Teufel sollen mich zerschlagen und der Schnaps im Glas soll mir Feuer und Flamm' im Magen werden. Gute Nacht, ihr Leute!«

Damit stürzte er seinen Rum hinunter und stürmte nach Haus.

Am andern Morgen früh kam richtig der Schöffe und kündigte im Namen des Sebulon dem Kaspar und seiner Frau die Wohnung auf. Der Frau wurde es schwül, nun es Ernst geworden war, und gern hätte sie jetzt den Wiesenfleck angenommen. Sie meinte, Kaspar sollte doch einmal hinaufgehen und ein gut Wort an den Bruder wenden. Aber nun hatte Kaspar seinen Kopf darauf gesetzt und war zu stolz, den untersten Weg zu gehen. Mit seinen zwei ältesten Jungen wanderte er an den Fluß und hieb alsbald die Bäume nieder, welche daselbst standen. Sebulon steckte einmal oben aus dem Fenster den Kopf in der Nachtmütze heraus und sagte ganz ruhig: »Guten Morgen, und wünsche gute Verrichtung.«

Es war ein erbärmlicher Bauplatz. Zwischen dem Stammhaus und dem Leinpfad eingekeilt, bot er nur für eine Reihe Zimmer Platz. Desto besser, dachte Kaspar, da bau' ich drei Stöcke übereinander und nehme dem Sebulon dabei das beste Licht weg. Aber es mußte auch gegen den Fluß hin eine mächtige steinerne Brüstungsmauer aufgerichtet werden, und das war kein Spaß. Für die Stallungen blieb so wenig Raum, daß man im alten Quartier gar ein halb Dutzend Ochsen mehr stellen konnte. Aber den Stall rückte dafür der Kaspar so, daß er dem Sebulon just auch das Fenster der andern Seite verdeckte, welches auf die Straße des Dorfes hinausging. So nahm er ihm die beste Freude, welche er bei der Arbeit hatte.

Unter Fluch und Verdruß wurde das Haus noch vor dem Winter unter Dach gebracht. Die Brüder grüßten sich nicht mehr, wenn sie sich begegneten, das Dorf lachte sie aus und stocherte dadurch ihren Eigensinn auf. Wenn der Kaspar etwas Neues zu machen hatte, nahm er einen andern Schneider vom nächsten Dorfe in die Kost. Seine Kinder aber taten dem Ohm Schaden, wo sie mochten und konnten, und verschonten ihm sogar die Blumen und Früchte in seinem Garten nicht mehr.

Ein wenig besser wurde es, als im Frühjahr der Kaspar wirklich ins neue Haus einzog, aber viel besser doch nicht. Schon wenn man in der Stadt wohnt, ist's hart, einen Feind zu haben; auf dem Lande ist es noch härter. Denn in der Stadt kann man sich ausweichen, wenn man's anders will. Aber auf dem Lande trifft man sich alle Tage, im Wirtshaus, in der Gemeindeversammlung, im Handel und Wandel, zumal Nachbarn; und dann schmeckt einem nachher das Essen schlecht. Einmal hatte der Kaspar dem Wirt gesagt: Ich wohne doch schön, kann rings um mich blicken und Euch recht ins Dorf sehen; das freut auch meine Frau, sie hat doch etwas Unterhaltung. Der Wirt sagte das dem Sebulon wieder, und am folgenden Tage kamen Maurer, bauten auf drei Seiten um Kaspars Haus auf dem Grund und Boden des Bruders zwei mannshohe Mauern und versahen sie oben aufs trefflichste mit eingekitteten Glasscherben. Zwischen diese Mauern setzte Sebulon eigenhändig junge Pappeln, besah und begoß sie alle Tage und gab dem Nachtwächter ein schweres Trinkgeld dafür, daß er jede Stunde der Nacht zusehen sollte, ob Baumfrevel an ihnen geschähe. Die Kinder des Kaspar holten sich an den bösen Mauern nur zerschnittene Hände und Knie, die Pappeln aber wuchsen lustig und hatten im folgenden Frühjahre das Haus des Kaspar schon dermaßen eingesponnen, daß man um vier Uhr nachmittags Licht anstecken mußte. Da nahm es mit der schönen Aussicht für die Frau gleichfalls ein Ende. Und was noch schlimmer war, die Kinder wurden durch die Mauer von allen ihren alten Spielplätzen abgesperrt und lagen nun den ganzen Tag am Wasser; die Frau konnte sie nicht wegschlagen, und wenn gar hoch Wasser war, hatte sie den ganzen Tag Sorgen und Not. Am Ende mußte der Kaspar eine eigne Person ins Haus nehmen, bloß um auf die Kinder zu passen.

Einmal im Herbst, kurz nach der Grummetmahd saß der Sebulon bei der Arbeit. Da trat ohne anzuklopfen der älteste Sohn seines Bruders in die Stube, stellte sich vor den Schneidertisch hin und fing an: »Ohm Sebulon, der Vater läßt Euch sagen – «

»Tu' deine Kapp vom Kopf,« sagte Sebulon, »wenn du mit deines Vaters Bruder sprichst.«

»Davon hat mir mein Vater nichts befohlen,« antwortete der Bursche und ließ die Mütze sitzen. »Er läßt Euch aber sagen, daß oben, wo Eure Wiesen anfangen, die Krippen nichts mehr taugen. Der Vater meint, das ginge Euch so gut an, wie ihn, und ob Ihr helfen und Geld beisteuern wollt, daß wir einen ganz neuen Steindamm machen und Weiden darauf stecken. Dann will er auch dazutun.«

Da sprach Sebulon: »Er hat's nötiger als ich; wenn im Frühjahre hoch Wasser kommt und nicht gekrippt ist diesen Herbst, geht ihm's Haus treiben. Sag' übrigens deinem Vater: ich hätte doch mitgehalten, wenn er mir keinen Flegel, wie du bist, geschickt hätte.«

Der Bursch' machte kehrt und trollte ohne Gruß ab. Als er seinem Vater die Antwort brachte, sagte der: »Allein leg' ich's Geld nicht aus, um dem geizigen Satan seine Wiesen zu schützen. Gott sei Dank, reich bin ich, und mein Ackerfeld liegt hoch; geht mir auch das Haus flöten, ich kann's aushalten.« Also wurde gar nicht gekrippt. Der Rhein aber stieg schon diesen Herbst höher als gewöhnlich, und als er wieder gefallen war, spazierte Sebulon mit bangem Gemüt auf seine Wiesen hinaus. Richtig: da waren die letzten Reste der alten Krippe weggespült, ein großer Grasfleck abgedeckt, daß der blanke Boden da lag, und wohl anderthalb Morgen mit unfruchtbarem Grand und Sand verschüttet. Sebulon überschlug leicht, daß er, die unvermeidliche Anlage einer neuen Krippe eingerechnet, um tausend Taler ärmer war. Einen Augenblick dachte er bei sich: es wäre nun doch besser, wenn mein Bruder den halben Morgen Wiese für sein Haus hätte, und ich den ganzen, der jetzt noch dazu ruiniert ist. Aber er schlug sich den Gedanken aus dem Sinn, als er an Kaspars Haus auf dem noch nassen Leinpfad vorbeiging; denn da war alles, Klein und Groß dabei, mit Eimern das Wasser aus dem Keller zu tragen, und die Frau rang die Hände, weil ihr die frisch eingemachten Bohnen und das Sauerkraut in den Fässern verdorben waren. Dieser Anblick war dem Sebulon wie ein Schmalzpflaster auf eine spanische Fliege.

Aber bald sollte ihm gar ein Haarseil unter die Haut gelegt werden. Noch im selben Herbst hörte er in der Kirche von der Kanzel die Heirat seiner ältesten Nichte Liese mit einem jungen Bauern aus der Nachbarschaft verkündigen. Das hatten sie also richtig gemacht, ohne ihn, den nächsten Verwandten, darum zu fragen; das hatten sie von der Kanzel ablesen lassen, ehe sie ihm ein Wort darüber gönnten! Die Liese war sein Patchen, er hatte sie allezeit ganz besonders liebgehabt und seit Jahren eine schwere goldene Kette mit Henkeldukaten für sie aufgehoben, die ihm aus der Erbschaft der Mutter zugefallen war. Und nun –

Die Hochzeit kam bald; man bat ihn nicht dazu, aber weil der Herbst noch ein paar warme Tage brachte, schlug man die Tische hart neben seiner Haustür an der Straße auf. Sebulon sah von oben das lustige Leben und verschluckte seinen Verdruß; als er aber die Braut selber in dem schönen neuen Kleid erblickte, das er nicht zugeschnitten und genäht hatte und das ihr, so meinte er, recht schlecht saß, da brachen ihm zwei dicke, bittre Tränen aus den alten Augen. Er konnte es dem Jubel gegenüber nicht aushalten, der zu ihm durch die Wipfel der Pappeln heraufscholl; leise zog er sich an, steckte die ehemals für Liese bestimmte goldene Kette mit den klirrenden, flirrenden Dukaten in die Hosentasche und stieg die Treppe hinunter.

Wäre nun die böse Mauer nicht gewesen, so konnte er durch die Hintertür am Fluß her sich heimlich vorbeischleichen; jetzt mußte er vorn heraus und mitten durch die Hochzeitstische hindurch. Mit leisem Schritt und gesenktem Haupte ging er seines Weges. Die Liese sah ihn und wurde blutrot, ihre Mutter sah ihn und wurde leichenblaß; ein bösartiges Spottgelächter lief über die Gesichter der Gäste bei dieser unerhörten, so hart sich hervordrängenden Kränkung alles Familienbrauchs und aller Familienliebe. Der Kaspar sprang auf: ich glaube, er wollte seinem Bruder das Glas zubringen, und ich glaube auch, der Sebulon wäre dann geblieben, und die Hochzeitsfreude hätte den langen Schmerz ausgeheilt. Da schrien aber die kleinsten unter Kaspars Kindern dem großen Haushunde, den sie heut' in der allgemeinen Freude von der Kette losgemacht hatten, unten am Tische zu: Tiras, Tiras, da ist der Ohm Scheerenbein! Der Hund war sonst ein gutes Tier, das keinem Kinde etwas zuleide tat, aber die kleinen Bösewichter hatten ihn ein paarmal, wenn er an der Kette lag, auf den Ohm gehetzt, um diesen zu erschrecken, und so fuhr er dem jetzt wütend nach den Beinen. Sebulon, der sich auf alles gefaßt hatte, zog ihm mit dem spanischen Rohr einen kräftigen Hieb über die Zähne, und Kaspar gab ihm zu gleicher Zeit einen furchtbaren Fußtritt in die Flanke, so daß das Tier heulend unter den Tisch zurückrollte. Aber zornig sah Sebulon die Familie an und sagte: »Ich gehe ja schon, was braucht ihr denn den nächsten Verwandten eures Hauses von seiner Nichte Hochzeit mit Hunden wegzujagen?« Rascher als vorher schritt er sodann durch die Reihen und bog um die Ecke des Nachbarhauses.

Still ging er durch die Stoppelfelder und Wiesen in die nächste Stadt zum Goldschmied, ließ die Kette schätzen und steckte die Louisd'or, die er dafür bekam, gleichmütig in dieselbe Hosentasche, wo die Kette gewesen war. Dann wandte er sich auf dem Markte zum Hause des Notars, sprach mit ihm eine Stunde und bestellte ihn auf morgen früh in seine Wohnung aufs Dorf hinaus. Hierauf kehrte er heim, setzte sich im Wirtshause zu den andern Gästen und lud den Barbier und den Hufschmied, weil das die beiden ärgsten Plaudermäuler in der Gemeinde waren, ebenfalls auf morgen früh als Zeugen zu sich ein. Hierauf traktierte er sie mit dem besten Wein und spielte bis tief in die Nacht mit ihnen Sibbeschröm zum höchsten Satz. Dabei gingen ihm zwei von den Louisd'or springen, die er für die Kette gelöst hatte: das wollte er eben. Um Mitternacht, als der Hochzeitslärm vorüber war, ging er nach Haus und legte sich aufs Ohr.

Der Notarius kam, die Zeugen auch. Sebulon hatte noch eine Verwandte im Oberlande, die er nicht leiden konnte, weil sie als Mädchen sich schlecht aufgeführt hatte und dann mit aller Mühe unter die Haube gekommen war. Der und ihren Kindern vermachte er nun ganz rechtskräftig das Stammhaus und sein Land, wie auch alle seine fahrende Habe, mit der Klausel, daß der Besitz erlösche, sobald die Erben die Mauer und die Pappelallee verkommen ließen oder seinem Bruder Kaspar oder dessen Nachkommen ein Stück des Grundeigentums verkauften.

Der Notar erhielt an Gebühren gerade den Rest der Louisd'or; ein letztes Zehngroschenstück, das noch davon übrigblieb, warf Sebulon den Sonntag darauf in den Klingelbeutel. Den beiden Zeugen aber verbot er zum Überfluß noch, von der Sache zu reden. Natürlich hingen die es jetzt sogleich an die große Glocke, und abends im Wirtshaus meldeten zwanzig Zungen dem Kaspar im Vertrauen die erbauliche Geschichte.