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Mia von Aarberg zieht jahrelang mit ihrem Seesack durch die Welt. Seit Kurzem arbeitet sie im Strandlokal ihres langjährigen Freundes Chris. Das Muskelpaket versucht noch immer, den alten Freundeskreis zusammenzuhalten. Kaum auf Mallorca angekommen, spürt der CEO Niklaas Van Büren Mia auf. Er will sie, und das um jeden Preis. Dabei schreckt er vor nichts zurück. Sein Ruf eilt ihm meilenweit voraus. Er zieht alle Register und blickt am Ende des Tages doch selbst in den Lauf einer Waffe.
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Seitenzahl: 306
Veröffentlichungsjahr: 2021
„There might be a nice reason to quit, but there is always a better one to continue.”
Anika Heer
18:00 Uhr
19:00 Uhr
Mia von Aarberg & Andreas Brenner
19:21 Uhr
20:29 Uhr
21:17 Uhr
23:36 Uhr
„KochMa(h)l“
Handgeformte Zitronenravioli mit gebratenem Spargel und Morcheln
Geröstetes Jamón-Serrano-Manchego-Sandwich
Bunter Gartensalat mit Ziegenkäse und Himbeeren
Cremiges Sangriaeis mit mariniertem Orangensalat
Avocado- und Tomatenburger mit Süsskartoffelchips
Kichererbsen-Fenchel-Eintopf mit geröstetem Brot
Dreierlei Mallorca - Crema catalana, Gató de almendras und Sangriasorbet
Auberginengratin und Falafel im Pitabrot mit Minzjoghurt
Baconroll mit Röstzwiebeln und Rettichsalat
Tonkabohneneis mit frittierten Holunderblüten und karamellisierten Feigen
Curry Burger Bun mit Hüttenkäse und Karotten
Streuselkuchen mit Kirschen
Grillierte Wassermelone mit Feta und Pfefferminze
Pepito de Lomo klassisch und deluxe
Paella de pollo vom offenen Feuer
Sellerieravioli mit glasierten Kastanien und Apfelwürfelchen
Tomini-Ravioli mit runden Karotten und zweierlei Zucchini
Rigatoni mit gebratenen Erbsen und schotttischem Rauchlachs
Beerentartelettes mit Meringues
Wurst-Käse-Salat mit süssem Senfdressing
Kürbis-Pie
Exotischer Kaiserschmarrn mit Ananaskompott
Nüsslisalat mit knusprigen Curry-Kichererbsen und Senf-Honig-Dressing
Bandnudeln mit Omis Sugo
Tapas variadas con carne
Paella de pescado vom offenen Feuer
„Mia von Aarberg…“ Sie stand aufrecht da und schaute ihn sich genauer an. Er war nett anzusehen. Normalerweise stand Mia nicht auf schöne Typen, doch der hier war nicht nur äusserlich ansehnlich. Irgendetwas faszinierte sie direkt an ihm. Die braunen, warmen Augen untermalten ihren Eindruck zusätzlich. Diese Augen! Sie strahlten eine ungewohnt vertraute Wärme aus. Kantiger Typ, glattrasiert und Massanzug obendrauf. Allerdings passte er rein optisch einfach nicht ins Bild eines Strandlokals auf Mallorca. „Niklaas Van Büren“, bemerkte sie trocken. Er reichte ihr seine Hand, sie griff höflicherweise danach. „Angenehm.“ „Das wird sich noch zeigen“, gab sie sich skeptisch. Er schmunzelte über ihre Lockerheit. Der Anzugträger richtete sich die Krawatte, dabei rutschte seine kostspielige Armbanduhr hervor. „Ganz schön warm hier…“ Er wedelte mit seinem Jackett und sah sich um. „Ist in der Hölle meistens so.“ Die Schweizerin fügte an: „Zudem schwitzen wir hier nicht, wir karamellisieren.“ Niklaas wirkte angetan, ihre Spritzigkeit gefiel ihm definitiv. Erfrischend wäre wohl die passende Bezeichnung dafür gewesen. „Was darf’s sein?“ Mia stand hinter dem Tresen und wartete auf seine Bestellung, was sonst hätte er in einem Speiselokal gewollt. „Ich will Sie!“ „Das nenne ich mal eine Ansage“, mischte sich Chris, der Lokalbesitzer, belustigt ein. Mia verfolgte das Aufeinandertreffen der beiden gespannt, dann aber entdeckte sie den goldenen Ehering an Niklaas’ Finger. Seine anfängliche Attraktivität verblasste augenblicklich. Die braunen Augen verloren ihre Anziehungskraft. Die ganze Magie verflog binnen einem Bruchteil einer Sekunde. Sobald eine Ehefrau im Spiel war, war sie raus. Ohne Wenn und Aber. „Immer schön langsam mit den jungen Pferden. Fangen wir doch mal mit etwas zu trinken an?“ Niklaas räusperte sich, er liess sich von dem tätowierten Muskelprotz weder beirren, noch aus dem Konzept bringen. „Ich will Sie in meiner Firma haben.“ Sie langte nach der Visitenkarte, die er ihr reichte, und betrachtete diese lange. Company Group, Chief Executive Officer Switzerland, Niklaas Van Büren. „Kollege, setz dich erstmal, trink was. Und was soll überhaupt dieser Anzug? Wir sind hier auf Mallorca und nicht in einem verdammten Businesskomplex.“ Der Küchenbulle deutete auf sein Reich, das definitiv frei von Anzugträgern war. Weisse Tennissocken in offenen Sandalen traf man da schon eher, besonders beliebt in Kombination mit Badeshorts. Abgerundet wurde das Ganze meist durch einen Sonnenbrand und einen behaarten Bierbauch, der stolz zur Schau gestellt wurde. Der stattliche Niklaas liess sich auch davon wenig beeindrucken. Er zog an seinen Hemdärmeln, die schicken Manschettenknöpfe funkelten im Sonnenlicht. „Mir ist ganz wohl so.“ „Tschüss und danke euch! Es war lecker!“, sprachen die Badelatschentouristen zum Abschied. Chris widmete sich ihnen höflich, liess es sich aber nicht nehmen, den CEO anzugehen: „Siehst du! Du verschreckst mir meine Gäste!“ „Scheinen sehr oberflächliche Gäste zu sein!“ „Wortkarg ist er schon mal nicht“, fasste Mia seine Antworten treffend zusammen und räumte beiläufig Gläser in die Spülmaschine. Sie inspizierte die Spezies Geschäftsmann erneut genauer. Er hatte wirklich etwas, selbst mit Ehering. Sie suchte die passende Beschreibung dafür. Charismatisch war er, keine Frage. Sicherlich war er gut in Form, sein flacher Bauch liess darauf schliessen. Vielleicht sollte sie dem armen Burschen mal eine ordentliche Portion Pasta kochen. Am besten mit viel Käse. Sie legte ihren Kopf schief, ihre Gedanken schweiften ab. Chris hingegen strafte ihn mit einem finsteren Blick. Seine eindrucksvolle Oberarmmuskulatur zuckte verräterisch. „Wie viel drückst du?“, brannte es Niklaas unter den Nägeln. „Dich zum Frühstück.“ „Liegestützen?“ „Liegen kann ich, das mit dem Stützen übe ich noch“, konterte Chris selbstironisch. Mia hingegen hing in ihrer Gedankenwelt fest. Wann der Anzugträger wohl zuletzt etwas Ordentliches zu sich genommen hatte? Nicht etwa dieses labbrige Sandwich aus dem Flugzeug, bei dem man sich nie sicher war, ob das kleine Getränk dazu ausreichen würde, dieses staubtrockene Etwas runterzukriegen. Auch kein Zwei-Sterne-Menü, nein, etwas Bodenständiges und Nahrhaftes schwebte ihr vor. Wenn der Hahnenkampf noch lange dauern würde, müsste sie wohl oder übel ihrem geleisteten Eid als Koch nachkommen und dem Jungen etwas Sättigendes kochen. „Zu schade, dass dein Ego nicht in mein Handgepäck passt, hätte dich glatt herausgefordert.“ Der Auswanderer stellte klar: „Ich brauche kein schickes Fitnessstudio.“ „Gut, dann wäre das ja geklärt, in der Küche warten neue Bons“, hatte Mia die Realität wieder eingeholt. Das Muskelpaket blieb eisern stehen. „Chris, Küche! Jetzt!“ Die Rothaarige schob den Glatzkopf in die offene Küche. „Alter, reiss dich zusammen!“, polterte sie lauter als nötig. „Muss ich dich an Shays Heulkrämpfe wegen ihm erinnern?“ „Nein.“ „Oder daran, wie weit sie für ihren Job sonst so geht?“ „Nein.“ „Also, dann nerv wen anders!“, wurde er ungemütlich. Mia liess ihn gewähren, kehrte dafür zum adretten CEO zurück. „Tut mir leid, er hatte etwas zu viel Testosteron zum Frühstück.“ „Merkt man kaum.“ Mia lächelte professionell, sie schob ihm beiläufig eine Speisekarte unter. „Ich hätte gerne ein Wasser, bitte.“ „Ich nehme an mit Eis und Zitrone?“ „Bitte. Danke.“ Die Rothaarige griff zielsicher nach einer Wasserflasche, ebenso einer landestypischen Zitrone. „Voilà. Darf es sonst noch etwas sein?“ „Danke, nein.“ Sie nickte, verschwand dann in der Küche. „Schräger Vogel“, kommentierte Chris die Begegnung kopfschüttelnd und stellte eine Pfanne auf den Herd. „Das ist Niklaas Van Büren.“ „Der harte Hund, der zum Frühstück mal eben ganze Abteilungen entlässt.“ „Wir sollten unbedingt wiedermal zusammen frühstücken“, stichelte sie. Er murrte, warf dann das Gemüse in die heisse Pfanne. Es zischte sogleich, Flammen stachen empor. „Darf ich mir trotzdem mein eigenes Bild von ihm machen?“ Chris vollzog eine einladende Handbewegung. „Nach Feierabend steht dir die Welt offen, Schätzchen!“ „Es hat sich längst ausgeschätzelt!“ Er liess seine akribisch gezüchteten Muskeln erneut spielen. Mia langte nach einem neuen Bon und annoncierte: „Zweimal Steak well done. Welcher Hirnverbrannte boniert den Rotz überhaupt?“ Sie sah sich unter den Servicemitarbeiterinnen um. „Jenny! War ja klar. Der liebe Uncle Doc hat offensichtlich auch Silikon ins Hirn gespritzt!“ „Hoffen wir mal, dass nicht die gesamte Oberweite ins Hirn rutscht“, lästerte Chris böse. „Das naive Blondchen verkörpert sie damit wunderbar.“ Der Küchenbulle stimmte ihr ohne Vorbehalte zu. „Also zweimal Steak well kotz, einmal Hausburger mit extra Hüttenkäse und zweimal die grillierte Wassermelone.“ „Oui, chef.“ Mia langte nach einem weiteren Bon, den sie gar nicht erst vorlas. „Jenny!!“ Die Servicemitarbeiterin kam angetrabt. „Das Steak bitte small, nicht medium.“ Mia verharrte sichtlich irritiert. „Bitte?“ „Small, nicht medium“, blieb Jenny beharrlich. „Wir sind keine Fast-Food-Kette!“ „Aber das weiss ich doch“, kicherte das Blondchen hinter vorgehaltener Hand. Mia wedelte mit einem weiteren Bon: „Und was soll das sein?“ „Der nette Herr am Tresen wünscht das so.“ „Der Anzug?“ Jenny nickte stürmisch, ihre silikonhaltige Oberweite wippte synchron. Fasziniert folgten Chris’ Augen den Schwingungen. Mia schlug Chris auf den nackten Hinterkopf. „Hier spielt die Musik!“, pfefferte sie ihm die Bons gegen die verschwitzte Stirn. Seine Mundwinkel zuckten amüsiert. Die ihm dargebotene Auslage konnte er für den Rest der Saison kostenlos bestaunen, was machten da schon ein paar Minuten aus. „Herr Van Büren!“ „Frau von Aarberg…“, säuselte er und löste sich von seinem Smartphone. „Alles klar, Sie machen das mit Absicht?“ „Bitte?“, mimte er den Unschuldigen. „Was soll ein Gericht nach Wahl des Kochs sein?“ „Überraschen Sie mich.“ Mia zögerte, stemmte die Hände in die Hüften. „Wenn das ein Spiel ist, im Dorfkern gibt es eine Spielhölle. Ich zeige Ihnen gerne den Weg dahin!“ Niklaas gab sich unbeeindruckt, wiederholte dann jedoch beharrlich seinen Wunsch nach einem Gericht ihrer Wahl. Er verwies sie zusätzlich auf das Schild, welches am Eingang des Lokals thronte. „Hier kocht der Chef noch selbst, kommen Sie trotzdem“, erinnerte er sich. „Sehe ich so aus, als wäre ich hier der Chef?“ „Steht hinter einem erfolgreichen Mann nicht der eigentliche Chef – seine Frau?“ Mia strich sich energisch ihre schwarze Kochbluse mit eingesticktem Namen glatt und stapfte in die Küche. Eine derartige, herablassende Geste hatte ihr heute gerade noch gefehlt. „Was will er?“ „Ich soll ihn überraschen…“ Sie imitierte die Würggeräusche äusserst authentisch. „Nur gut, dass er auf dich steht und nicht auf mich.“ „Stimmt, du stehst eh nur noch auf den Franzosen.“ „Mais oui.“ Sie war genervt, doch der Gast war selbst in dieser Strandbude König. Dennoch befand sich dieser Adlige in ihrem Tempel, sollte sich daher also besser an die Spielregeln halten. Mal sehen, wie lange er noch derart grosskotzig sein würde. An die Wand kochen würde sie ihn. Die Spucke sollte ihm wegbleiben. Ein Glück, dass das Mise en Place für die bevorstehende Hochzeitsfeier bereits gemacht war. Mia lief ins Kühlhaus und deckte sich grosszügig ein. Eine Handvoll Cherrytomaten, ein paar eingelegte Morcheln, ein Bund grüne Spargeln, Tortellini, dazu noch ein paar Zweige Petersilie. Chris beäugte sie skeptisch, vertiefte sich dann aber wieder in Jennys Vorbau. Mia befand sich auf Kriegszug, diesen galt es gegen Niklaas Van Büren zu führen. Im Vorbeigehen strafte sie ihn mit einem strengen Blick. Sie war schliesslich von der Sorte Frau, die keinen Mittelfinger brauchte. Die Rothaarige brannte, hatte er doch ihre Kochehre erwischt. Sie sautierte die gleichmässig geschnittenen, grünen Spargeln. Mia gab die flambierten Morcheln dazu. Ein Hauch Whisky lag in der Luft. Sie schwenkte die Pfanne locker aus dem Handgelenk. Die handgeformten Tortellini tanzten im kochenden Wasser. Sie kochte sie al dente. Zum Schluss verfeinerte sie das Gericht mit gezupfter Petersilie. Sie drapierte die Tortellini auf einer schwarzen Schieferplatte. Die Spargelspitzen lehnte sie an, die flambierten Morcheln gab sie ebenfalls dazu. Zufrieden kontrollierte sie ihr Werk, dann servierte sie höchstpersönlich. Niklaas war jedoch in ein Telefonat vertieft. Seiner Mimik nach zu urteilen war es nichts Erfreuliches. Im Hintergrund konnte man Chris’ Fluchtirade lauschen. Eine heisse Pfanne wurde lautstark ins Waschbecken befördert. Niklaas hingegen schloss angestrengt seine Augen. „Sie drohen mir? Erneut? Das Ganze war ein schrecklicher Unfall! Lassen Sie sich besser etwas einfallen, was Hand und Fuss hat. Besten Dank, auf Wiedersehen.“ Mia hatte Niklaas noch immer beobachtet, als er sich äusserst freundlich erkundigte: „Was kredenzen Sie mir denn Schönes?“ Alter, halt die Schnauze und friss! Daran ersticken sollst du! Professionell präsentierte sie: „Zitronentortellini an sautierten Spargeln und Cherrytomaten, dazu flambierte Morcheln.“ Irritiert über ihre banal wirkende Wahl, langte er nach dem Besteck und schob die Tortellini lustlos von links nach rechts. „Das ist alles? Gekrauste Petersilie?“ „Sie bevorzugen glatte Petersilie? Kein Problem, ich bügle sie Ihnen rasch auf!“, drang ihr Sarkasmus durch. Mia wirkte überraschend locker, er hingegen konnte es kaum fassen. „Haben Sie die wenigstens selbst gefüllt?“ „Ah, zu dumm. Gerade heute habe ich beim örtlichen Caterer meines Vertrauens bestellt.“ Er hatte ein Schäumchen hier und ein Türmchen da erwartet, aber sicherlich keine Pasta. Kleine Saucenkleckse als Farbtupfer. Liebevoll gezupfte Thymianblättchen, die einzig mit einer Pinzette perfekt inszeniert hätten werden können. Ebenso hätte er geschworen, alles in kleinen Gläschen serviert zu bekommen. Definitiv auch heimischen Fisch oder qualitatives Fleisch. All das hatte er erwartet, nun aber starrte er auf die vegetarischen Tortellini. Sie beobachtete ihn angestrengt. „Mhm…“, sprach der Schweizer zu sich selbst und schob sich eine Tortellini in den Mund. Unschlüssig kaute er und nickte überrascht. Die feine Whiskynote liess ihn schmunzeln. Die Spargeln hatten den perfekten Biss, das mit dem verkochten Gemüse konnte seiner Meinung nach sowieso noch gut bis zum Altersheimeintritt warten. Dann aber die traumhafte Zitronenfüllung. Sie schmiegte sich sanft an seinen Gaumen und erfrischte diesen herrlich. Es war perfekt. Das Essen, welches ihm kredenzt wurde, war schlicht und einfach brillant. Die feinen Salzkristalle hefteten sich an seinen Gaumen. Aus einem einfachen Gericht hatte sie ein Kunstwerk gezaubert. Wie oft war er in seiner Funktion als CEO der Company Group irgendwo zu Besuch? Businessmeetings standen ganz oben auf seiner Tagesordnung. Immer wurde die Ehre des Kochens an diesem Tag nur den Besten gebührt. Und wie oft waren diese Auserkorenen dann doch nur Mittelmass? Oder überbackten das leichte, frische Gemüse mit billigem Käse? Ertränkten es gar in irgendeiner nichtssagenden Rahmsauce. Selbstverständlich durfte dabei die Petersilie nicht fehlen, sollte schliesslich gesund aussehen. Aufgewärmtes Hühnergeschnetzeltes zählte dabei zu seinen persönlichen Highlights. Lieblos zerstückelt, tot gebraten und in der weinhaltigen Sauce ersäuft. Die schweren Rahmsaucen betitelte er liebevoll als Fensterkitt. Das alibimässige Grünzeug konnte auch da nichts mehr reissen. Durchschnitt waren sie maximal, meist aber unterirdisch. Sie wollten es zu perfekt. Sie wollten bloss nicht anecken, keinen Eindruck hinterlassen und einfach aalglatt durch den Tag kommen. Von fehlender Fachkompetenz wollte er gar nicht erst sprechen, sprach er ihnen jedoch jegliche Liebe zum Kochen ab. Aber hier. Er liess die verschiedenen Geschmäcker erneut auf sich wirken. Das hier war kernig, eckig und definitiv Spitzenniveau. Vor allem aber war es ehrlich und aufrichtig. Mit Herz und Seele gekocht. Die Leidenschaft fürs Kochen und den Respekt gegenüber dem Lebensmittel konnte er förmlich schmecken. Er spürte, wie sich die Zutaten zu umarmen schienen. Das war normalerweise der Moment, in dem man nach dem Chefkoch fragte, sich erhob und ihm ehrfürchtig dankte. Genüsslich kostete er den Moment des wahren Geschmacks aus. Ungeduldig durchbrach Mia seine Gedankengänge. Niklaas tupfte sich mit der Serviette den Mund, dann erhob er sich andächtig. Er trat zu ihr hin, knöpfte währenddessen sein Jackett zu. Niklaas reichte ihr respektvoll die Hand: „Das ist brillant, Frau von Aarberg!“ Perplex über seine einfachen Worte sah sie ihn an. „Das ist brillant. Danke“, beteuerte er die Genialität ihres Gerichts erneut. Mia war es eigentlich gewohnt, dass man ihr Essen lobte, doch das gerade ging ihr durch Mark und Bein. Nie gab es banalere Worte, die sie mehr trafen als seine. Seine karamellbraunen Augen untermalten seine Worte zusätzlich. Er schätzte und lobte ihre Kochliebe aufrichtig. In ihrem Sternetempel war sie mit Lob überhäuft worden, doch niemals war dieses annähernd so ehrlich gewesen. Hatte sie ernsthaft um die ganze Welt ziehen müssen, um dann hier auf Mallorca derartige Lorbeeren zu bekommen? In dieser vermeintlich unscheinbaren Strandbude? Sie wurde versöhnlich: „Na gut. Sie haben meine volle Aufmerksamkeit, für genau eine Minute.“ „Sie sind ganz schön hartnäckig.“ „Fünfzig Sekunden.“ „Ich will Sie als neues Werbegesicht meiner Gourmetlinie.“ Er schob ihr einen Vertrag über den Tresen, den sie neugierig überflog. „Und wenn Ihnen meine Visage nicht mehr passt, schmeissen Sie mich hochkant raus? Ihre Beförderungen enden vor der Tür und nicht in der Chefetage“, drang ihr Insiderwissen durch. Er liess ihre Vermutung im Raum stehen. „Zudem hört man Gerüchte, dass Sie wortlos einen Raum betreten und die Leute regelrecht fliehen würden.“ „Mein Rekord liegt bei etwas unter fünf Minuten, bei rund 50 Personen.“ „Macht durch Anwesenheit. Schick!“ Niklaas schielte auf seine protzige Armbanduhr. „Bei Ihnen scheine ich auf Granit zu beissen.“ „Wer sagt Ihnen, dass Sie der Einzige mit einem derartigen Ruf sind?“, konterte sie mit verschränkten Armen. „Touché!“ „Obwohl ich hierbei gerne auf ein Gleichziehen mit Ihnen verzichte“, distanzierte sie sich direkt wieder. „Mein Ruf scheint offensichtlich bis nach Mallorca zu reichen“, amüsierte er sich sichtlich. Seine jahrelange Arbeit zahlte sich langsam aus, die Saat konnte geerntet werden. „Man hört, dass sich Ihre Mitarbeiter nach der Kündigung mit dem Firmenwagen in Flammen auflösen? Natürliche Auslese? Warm renovieren oder wie nennt sich das in Fachkreisen?“ Mia stutzte selbst über ihre harten Worte. „Das war ein unsäglicher Schicksalsschlag für uns alle. Ich bin nicht stolz auf derartige Momente, das können Sie mir glauben. Zudem war das alles ein schrecklicher Unfall!“, blieb er dem offiziellen Statement treu. „Dreissig.“ Sie war gnadenlos, vor allem aber war sie mehr als genervt von dem Schnösel, der schon länger für hitzige Diskussionen in ihrem Freundeskreis gesorgt hatte. Daran konnten selbst seine Lobgesänge auf ihr Essen nichts ändern. Jenny hingegen hüpfte ganz nervös um den CEO herum. Wie konnte sie nur immer derart aufgeregt sein? Und das bloss wegen eines Anzugträgers. Selbst wenn man bedachte, dass diese Spezies in Chris’ Lokal rar gestreut war. Zudem kam da keine Zuckerwatte aus seinem Allerwertesten - selbst dann nicht, wenn er mal Gross musste. Apropos, er hatte endlich etwas Vernünftiges gegessen. Wasser mit Zitrone konnte auf Dauer auch nicht gut gehen. Ihr schnelles Gericht war für sie nur Platzhirschgehabe gewesen, dass sie ihn derart erreichen würde, hatte nicht auf ihrem Schlachtplan gestanden. „Sie haben mächtig aufgeräumt in der Company?“ Sie sah ihm direkt in die braunen Augen, die angriffslustig funkelten. Diese Augen waren buchstäblich eine Augenweide. „Dafür wurde ich engagiert.“ „So kann man das auch nennen. Man hört, dass Sie komplette Abteilungen entlassen haben?“ Er zuckte unbeeindruckt mit den Schultern: „Es sind definitiv nicht meine stolzen Momente, doch es geht ums Geschäft und dieses gilt es zu fördern. Für Wachstum und mehr Effizienz. Wenn dafür Anpassungen getroffen werden müssen, dann ist es zwar hart, doch es dient der Sache.“ „Das klingt sehr abgebrüht.“ „Ohne geht man in meiner Position drauf.“ „Verstehe, dann sind Sie der Löwe mit dem berühmten Herz aus Gold?“ Er senkte seinen Kopf und vergrub seine Hände in seinen Hosentaschen. „Manchmal ist es nicht so, wie es auf den ersten Blick scheint.“ „Weise Worte.“ Sein Tiefgang berührte sie überraschenderweise mehr, als sie zugegeben hätte. „Dann denken Sie darüber nach?“, führte er sie auf seinen persönlichen Feldzug zurück. „Sind Sie ernsthaft der Typ Ich-biete-dies-und-das-und-lege-noch-eine-Hightech-Küche-obendrauf?“ Ihr Blick war fordernd. „Ich lege auch einen begehbaren Kühlschrank obendrauf, darauf scheinen Köche zu stehen“, sah Niklaas sie direkt an. Ihr Pokerface bekam Risse: „Begehbarer Kühlschrank klingt viel versprechend.“ „Wir würden Ihnen auch beim Umzug helfen…“ „Meine Sachen passen in einen Seesack“, kanzelte sie ihn emotionslos ab, wissend, wie lange sie damit schon rumgezogen war. „Moment. Mir war nicht klar, dass ein begehbarer Kleiderschrank in einen Seesack passt?“ Sie klärte ihn auf: „Sie sollten sich eher Sorgen um meine ausziehbare Messerwand machen.“ „Der war gut. Sie wirken auf mich nicht wie die typische Haus-Mann-Kind-Hund-Frau?“, wagte er sich vor. Mia erklärte: „Begehbarer-Kühlschrank-ausziehbare-Messerwand schon eher.“ „Ich sehe, bei Ihnen hilft das wenig. Obwohl Ihre Generation eine Schwäche dafür zu haben scheint.“ „Moment, machen Sie mich nicht jünger als ich bin.“ Er schmunzelte anzüglich. „Charmeur.“ „Dünnes Eis, ohne mich“, hob er seine Hände abwehrend. „Ich bin 33 und stolz darauf“, sprach sie mit erhobenem Haupt, stützte dabei die Hände in ihre Hüften. „Eine Schnapszahl“, lachte er. Sie eiferte ihm nach. „Man hört Böses über diese Schnapszahlen, besonders hier im Süden.“ Mia sah ihn fordernd an, er hielt ihrem Blick Stand. „36“, stellte er sich ungefragt selbst vor. Sah man ihm aber nicht an, wobei die Arbeit die eine oder andere Falte zu verantworten hatte. „Ich will Sie für unsere neue Gourmetlinie. Sie wären unser Aushängeschild.“ „Ein Traum geht in Erfüllung“, triefte ihr Sarkasmus. „Sie würden dabei eng mit Raphaël Moreau zusammenarbeiten.“ Mia musste ein Lachen unterdrücken. Der hochgelobte Sommelier sollte es nun also richten. Was für eine schwache Prämie. Besonders, da sie wusste, wie verliebt der Franzose doch in Liv Bergmann war. War der auf Wolke sieben überhaupt erreichbar? Musste ein sehr guter Handyanbieter sein. „Das ist Ihr bester Trumpf?“ „Sie mausern sich zu meiner persönlichen Knacknuss.“ „Und ich dachte, dass Sie schon genug Ja-Sager und Salutierende um sich haben?“ „Sie scheinen die Company mehr als gut zu kennen. Sie würden sich sicher wohlfühlen.“ „Streichen Sie die Segel?“ „Für gewöhnlich setze ich welche“, konterte der Anzugträger mit dem zu grossen Gehalt. Ob seine Jacht im Hafen von Palma ankerte? Mia verwarf ihre Hände, wenigstens dieses Klischee schien sich zu bewahrheiten. „Was wollen Sie?“ „Geben Sie mir einen Abend und ich überzeuge Sie davon, dass Sie ohne uns nicht mehr auskommen.“ „Sie meinen dabei wohl sich selbst?“ Belustigt zuckten seine Mundwinkel. „Nett, aber meine Interessen liegen vorrangig auf der Gourmetlinie“, spielte er gedankenverloren mit seinem Ehering. „Ich hatte schon Bedenken.“ Sie stand ihm direkt gegenüber, dabei noch immer die Hände in ihre Hüften gestützt. „Was sagen Sie dazu?“ Sein Angebot war verlockend, sehr verlockend. Verdammt, es war eigentlich zu gut, um ausgeschlagen zu werden. Kochen konnte sie überall, das wusste Mia genau. Endlich wieder in die Heimat zurückzukehren reizte sie sehr. Würde sich gut in ihrer Vita machen, zudem musste ihr Vagabundenleben ein Ende haben. Verdammter Anzugträger! „Schade! Ihre Zeit ist leider abgelaufen.“ Sie zuckte mit den Schultern, zerriss den Vertrag theatralisch und kehrte in die Küche zurück. „Bon neu! Einmal Steak medium mit Salat statt Pommes.“ Chris’ Augen hingen erneut in Jennys Ausschnitt. „Studierst du einmal mehr die neue Frühjahrskollektion?“ Der Muskelprotz liess sein Begehren nicht aus den Augen. „Nur gut, dass du dem Credo ’Never-fuck-thecompany’ treu bleibst.“ Chris richtete sich auf, schwenkte lässig das Gemüse, ein zweites Mal würde es ihm nicht anbrennen. „Bon neu, einmal Sandwich to go“, las Mia den Bon vor. „Was wollte dein Verehrer denn?“ „Mein Gesicht auf irgendwelchen Plakaten.“ „Teuer?“ „Interessiert mich nicht.“ Ungläubig schüttelte er seinen kahlen Kopf. „Der Typ oder die Firma?“ „Beides nicht“, belog sie sich selbst.
„Sie schon wieder!“ „Aufgeben gehört nicht zu meinem Portfolio“, stellte Niklaas seine Absichten klar. Er schüttelte sich den Nieselregen vom teuren Anzug. „Wie immer?“ Das wiederum hiess Wasser mit Eis und Zitrone, wie banal für diese Lokalität. Heute jedoch setzte der CEO auf mallorquinischen Rotwein. Er bestand trotz der frühen Stunde auf sein Glas. Irgendetwas war anders als zuvor. Niklaas Van Büren wirkte locker, fast schon lässig. Sein Massanzug jedoch sprach eine andere Sprache. Souveränität und Selbstbewusstsein gingen Hand in Hand mit ihm. Er zog sich einen Hocker heran und setzte sich an den Tresen. Der CEO hatte es sich in den vergangenen Tagen zur Lebensaufgabe gemacht, Mia täglich mit seinem Angebot zu konfrontieren. „Korrigieren Sie mich, aber sollten Sie nicht auf einem überteuerten Chefsessel sitzen anstatt hier am Tresen?“, funkelte Mia belustigt. Ihre roten Haare, welche sie zu einem Zopf geflochten hatte, wippten leicht. Er deutete auf seinen Laptop, das WLAN-Passwort kannte er bereits. „Womit kommen Sie mir heute an?“ „Nichts, ich bin nur so hier.“ Sie traute dem Frieden nicht. „Ernsthaft?“ Enttäuschung lag in ihrer Stimme. Das Katz-und-Maus-Spiel der letzten Tage hatte ihr geschmeichelt. „Absolut! Apropos, könnten Sie mir freundlicherweise jemanden empfehlen?“ „Empfehlen? Wofür?“ „Für meine Gourmetkampagne.“ Mia fiel die Kinnlade runter, sämtliche Gesichtsfarbe entwich ihr. Die Katze hatte ihren Appetit wohl wo anders gestillt. Was bildete er sich eigentlich ein? Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Sie war verdammt noch mal die Beste für diese Kampagne und nun fragte er sie ernsthaft um eine Empfehlung? Innerlich liess sie eine Fluchtirade vom Stapel. „Wenn Sie bis dahin noch etwas von diesen kleinen Köstlichkeiten dahaben, dann…“, unterbrach er ihre Gedanken. Die pure Essenslust stach aus seinen karamellbraunen Augen hervor. Mia wirkte plötzlich äusserst zufrieden, sie hatte ihn längst am Haken. Dieses Katz-und-Maus-Spiel beherrschten beide hervorragend. Die Katze hatte ihren Hunger definitiv nicht anderweitig gestillt. Gezielt langte sie nach einem Macaron. Sie genehmigte sich dieses Kunstwerk spontan selbst. „Oh, wie unsensibel. Macarons sind aus, tut mir leid.“ Niklaas amüsierte sich köstlich. Sie beherrschte die Kunst des Flirtens. Dieses Tauziehen verlieh seinem üblichen Businessalltag eine ungeahnte Würze. Mia kostete ihren Moment des Triumphs aus, zeigte dann aber doch noch Gnade. „Oh, sieh an. Ich habe da schon was vorbereitet…“ Sie präsentierte eine kleine Schieferplatte mit perfekten Macarons. Die Rothaarige stellte die Platte auf den Tresen. Mit einer einladenden Handbewegung zelebrierte sie ihre Macht über diese kleinen Köstlichkeiten. Damals in einem kleinen, süssen Örtchen in Frankreich hatte sie mit ihrer Kreation gar gegen die Dorfälteste im Duell gewonnen. Macarons, die einer Sünde gleichkamen. Zarte Farben. Eine Creme zum niederknien. Und dann dieser Kern, überraschend und dennoch auf den Punkt. Genüsslich zerdrückte Niklaas die Köstlichkeit an seinem Gaumen. Es knackte leicht, eine süsse Note folgte auf die fruchtige. Die Himbeercreme war der Wahnsinn. Er hatte sich die Tage zuvor bereits von weiteren Füllungen überzeugen dürfen. Kokosnuss, gepaart mit einem fruchtigen Kern aus Passionsfruchtgelee, hatte ihn restlos verzückt. Ein warmes Gefühl überkam ihn allein bei der Erinnerung an diese Geschmacksexplosion. Er grinste angetan und verharrte einen Moment im Genuss. Mia beobachtete ihn schelmisch. Er konnte sich nach aussen noch so hart geben, sobald sie die richtigen Geschmacksknospen traf, wurde auch er weich. Im Fachjargon bezeichnete man das Ganze als Gaumensex. Dieses Phänomen kannte Mia zwar bereits, doch Niklaas erreichte dabei ein neues Level. „Sie wollen also einfach nur hier sitzen?“ Er schoss aus seiner Traumwelt auf und blinzelte angestrengt. „Ja, aber wenn Sie noch etwas mehr von diesen Makronen haben…“ Makronen? Es war verdammt noch mal Mai, nicht Weihnachten! Dieser elende, selbstherrliche Banause konnte sie mal kreuzweise! Wer ihre Macarons als Makronen bezeichnete, gehörte zum Teufel gejagt. Besser gestern als heute. Wer war sie denn bitte? Ihre jahrelange Perfektionierung dieses Gebäcks durfte niemand derart kleinreden. Makronen! Banause! Mia plusterte sich auf: „Das sind Macarons, verdammt! M-A- C-A-RO-N-S! Makronen gibt’s zu Weihnachten, Sie Banause!! Das kann doch nicht so schwer sein!“ Überrascht über ihre plötzlich aufgetretene Gereiztheit hob er seine Hände. Sie stapfte gekränkt in die Küche. Seine täglichen Überzeugungsversuche hatten ihr geschmeichelt, doch bei Makronen hörte der Spass auf. Dennoch, es war lange her, dass jemand sie ködern wollte. Sie hatte sich ihre Jobs immer selbst ausgesucht. Angeworben zu werden, war eine andere Liga. Sie würde ihm ganz bestimmt keine Empfehlung aussprechen. Zum Teufel würde sie ihn jagen. Nachdenklich griff sie nach einem Messer. Sie schnitt das Gemüse in akkurate Stäbchen. Chris steckte seinen Kopf in die Küche: „Ich bin kurz einkaufen. Brauchen wir noch was?“ Sie schoss aus ihren emotionalen Gedanken auf und blaffte ihn direkt an: „Was ist?“ „Okay, ich wollte dich grad loben, aber ich schmeiss die Lorbeeren später lieber ins Essen.“ Mia entschuldigte sich für ihr Benehmen. Er sah sich auf der Terrasse um, auf der Gäste Zuflucht vor dem aufziehenden Regen gesucht hatten. „Es regnet“, sprach Chris und strich sich über die Glatze. „Angst, feucht zu werden?“, stichelte sie direkt. Er antwortete anzüglich: „Bin ich doch längst, Schätzelein!“ Sie hielt inne und liess ihre zweideutige Aussage Revue passieren. „Pass du bloss auf, dass du keine Dauerwelle kriegst!“ Chris’ Blick wirkte verträumt. „Was?“ „Habe ich schonmal gesagt, wie froh ich bin, dass du wieder da bist?“ Er trat zu ihr, umarmte sie länger als nötig. Der Muskelprotz hatte lange Jahre auf ihre Rückkehr gehofft, sicher war er sich nie gewesen. Mia war eine energische Person, die strikt ihren Weg ging. Selbst wenn das hiess, sich mit einem Seesack zu verkrümeln. Kommentarlos war sie beinahe fünf Jahre von der Bildfläche verschwunden. Für ihn war ihre Flucht so, als ob man ihm einen Teil seines Herzens rausgerissen hätte. Er hatte seinen Augen nicht getraut, als sie vor ein paar Wochen plötzlich auf seiner Terrasse gestanden hatte. Er hatte sich gerade wiedermal in einer Fluchtirade verloren, als sie unscheinbar Hallo gesagt hatte. „Mein Sonnenschein!“, hauchte er gefühlvoll. „Ist ja gut, du wirst ja noch sentimental“, kürzte sie die aufkeimenden Emotionen ab. Der Glatzkopf küsste ihre Schläfe. „Schön, dass du da bist.“ „Geh endlich!“ Der Muskelprotz langte in ihre Pfanne und kostete breit grinsend. „Du solltest das beruflich machen, exzellent.“ „Hau endlich ab!“ Er schnappte sich seine Jacke und lief in den Regen raus. Just in dem Moment kam Jenny angehüpft. „Einmal die Tagesempfehlung, bitte.“ Mia forderte den Bon. „Für den Anzug?“ Übermütig nickte die Servicekraft, ihre Oberweite wippte angsteinflössend. Die Sterneköchin langte nach einer Avocado, halbierte diese quer. Sie langte nach einem Burger-Patty, das auf dem Grill seine Röstaromen erhielt. Mia legte die halbierte Avocado daneben, ebenso zwei Scheiben Speck. Sogleich zischte es. Mia füllte die hausgemachten Süsskartoffelchips in eine kleine Schale, ebenso richtete sie kleine Schälchen mit Dips. Sie wendete das Fleisch, belegte es mit Käse, der sich langsam um das Patty schmiegte. Die grillierte Avocado würzte sie mit Salz, Pfeffer und einem Spritzer Zitronensaft, mehr brauchte dieses herrliche Lebensmittel nicht. „Kannst du mir bitte noch das Tagesdessert verraten?“, bat Jenny und schwenkte die Tafel, die sie zu beschriften gedachte. Die Sterneköchin verkündete: „Es gibt Sangriaeis auf mariniertem Orangensalat.“ „Danke dir.“ Mia nickte und machte sich ans Anrichten der Tagesempfehlung. Die untere Hälfte der Avocado füllte sie mit der Tomaten-Chili-Salsa, das Fleisch gab sie obendrauf. Zu guter Letzt fixierte sie den Avocado-Burger mit einem Holzspiess. Sie servierte höchstpersönlich. Erneut platzte sie in ein Kopfschmerzen verursachendes Telefongespräch. Niklaas strich sich über die Stirn. „Ihre ständigen Drohanrufe bewirken bei mir rein gar nichts, darauf können Sie Gift nehmen! Auf Wiedersehen!“ Irritiert über seine scheinbare Gelassenheit, servierte die Rothaarige. „Ah, was soll das sein?“ „Die Tagesempfehlung.“ „Stimmt, tut mir leid! Ich war gerade etwas…“ „Ärger?“ „Leere, heisse Worte trifft es eher“, redete er sich die Sache klein. Sie liess seine Antwort so stehen. „Also“, er lächelte professionell, „Avocado-Burger, nicht?“ „Dazu krosse Süsskartoffelchips, ein Mango-Chutney und eine scharfe Tomatensalsa.“ Er bestaunte die Schälchen erfreut, endlich hatte sie ihm die geforderten Spielereien serviert. Der doch sehr rustikal wirkende Avocado-Burger liess ihn erneut stutzig werden. Irgendwie schien er bei ihr nie das zu bekommen, was er kulinarisch erwartet hatte. Sie war so gar nicht Sternetussi. Sie kochte bodenständig, mit Herz und Leidenschaft. Manche würden sagen, sie kochte sich bei jedem einzelnen Gericht die Seele aus dem Leib. Niklaas langte nach Messer und Gabel, stach sogleich in die Kreation. Die cremige, noch leicht warme Avocado. Der krosse Speck, der geschmolzene Käse. Das saftige Rindfleisch, die karamellisierten Zwiebeln. Die unterschiedlichen Texturen ergänzten sich, harmonierten einwandfrei. Er langte nach den Süsskartoffelchips, sogleich krachte es in seinem Mund. Er schmunzelte erfreut, langte nach weiteren Chips. Jede noch so subtile Geschmacksnuance hatte sie fein austariert und zur Perfektion getrieben. Mia beobachtete seine Regungen erfreut. Er mochte nach aussen der harte Kerl sein, doch beim Essen wurde auch er weich. Anfangs präsentierte er konsequent die gerümpfte Nase, gab sich herablassend und wenig wertschätzend. Kaum jedoch hatte er die Gerichte gekostet, begann er zu schwelgen. Niklaas sah sie direkt an, er genoss aufrichtig. Mia ging auf Angriff: „Sie führen doch etwas im Schilde?“ Der CEO löste sich ungern von seinem aussergewöhnlichen Mahl. „Was? Ich doch nicht, ich bitte Sie. Ich habe lediglich einen sehr interessierten Mann für Ihren Job gefunden. Er ist mit seinem aktuellen Pop-up-Restaurant sogar hier auf der Insel. Vielleicht ein bisschen zu sehr Enfant terrible, aber was kann das schon schaden?“ „Spannend. Wer ist es?“ Niklaas lobte sich innerlich selbst, der Köder war ausgeworfen. Die Schulung über taktische Verhandlungen schien sich einmal mehr zu bewähren. Da konnte sie ihm noch so brillantes Essen servieren, er verfolgte seinen Plan eisern. Das Katz-und-Maus-Spiel war noch lange nicht entschieden. „Der sagt Ihnen sicher nichts.“ Er griff nach seinem Weinglas und trank langsam. „Andreas Brenner, er…“ „Ernsthaft?“ Sie war voll da, jede Müdigkeit entwich schlagartig. Die Makronen waren längst vergessen, auch, dass er noch gar kein Urteil über ihre Avocado-Burger-Kreation abgegeben hatte. „Ich gebe zu, er ist nicht von Ihrem Format, aber als er von meinem Angebot gehört hat, war die Sache gegessen.“ „Andreas Brenner“, blaffte sie genervt. Entspannt trank Niklaas seinen Rotwein, der nicht harmonischer im Geschmack hätte sein können. Die Santos de Juarrez verstanden ihr Handwerk definitiv. Die Mallorquiner produzierten seit mehreren Generationen einen unvergleichbaren Wein. Er hatte dieses Können, in Zusammenarbeit mit Raphaël Moreau, gewinnbringend vermarktet. Die Company Group hatte er mit dieser ersten Kampagne schon in etwas ruhigeres Fahrwasser bringen können. Mit Mia von Aarberg wollte er die volle Breitseite abfeuern. Ihr Ansehen als Zwei-Sterne-Köchin konnte seinem Unternehmen mehr als dienlich sein, zudem war sie wirklich nett anzusehen. Die roten Haare und ihr freches Lachen verliehen ihr etwas Spritziges, etwas Lebendiges. Die kleine Narbe an ihrer linken Schläfe zauberte einen perfekten Makel in ihr Gesicht, beinahe so, als wäre er inszeniert worden. Zudem war sie kein klassischer Hungerhaken. Sie war jemand, mit dem man sich um die Schokolade prügeln musste. Genau das Richtige also, um die öde Businesswelt auf den Kopf zu stellen. Pragmatisch betrachtet war sie der Jackpot für sein Vorhaben. Jung, äusserst erfolgreich, selbstbewusst, an der richtigen Stelle rebellisch, vor allem aber nicht auf den Mund gefallen. Kleine, graue Mäuschen hatten zudem noch nie in sein Beuteschema gepasst. Von der Qualität ihrer Sterneküche hatte er sich unlängst selbst überzeugen können. Ihr Talent war von Meistershand geformt worden, doch perfektioniert hatte es die Rothaarige selbst. Sie und ihre Markthalle hatten damals nicht umsonst als kulinarisches Paradies auf Erden gegolten. Ja, diese Frau hatte alles, was er für den erfolgreichen Aufstieg der Company Group brauchte. Sie hätte sein neues Zugpferd werden sollen, doch der Weg schien steiniger zu werden, als anfangs gedacht. „Andreas Brenner?“, wiederholte sich die Rothaarige schnaubend. „Sie kennen ihn?“, mimte er Unwissenheit. Sein Pokerface hielt Stand, auch als sie ein drittes Mal nachfragte. „Ihre Platte scheint einen Sprung zu haben.“ Mia bohrte ihre Finger krampfhaft in den Tresen. Gelassen offerierte Niklaas: „Falls Sie mir jedoch zusagen möchten, würde ich Ihnen den Kerl auf dem Silbertablett zum Frass vorwerfen.“ „Erzählen Sie mehr.“ Er triumphierte innerlich. Mias persönliche Achillesferse hatte er getroffen. Die Recherchen der letzten Nächte trugen endlich Früchte. Es wurde auch Zeit. „Ich biete Ihnen die Bühne für einen öffentlichen Showdown gegen ihn, live und in Farbe. Presse und alles, was dazu gehört. Natürlich gibt es auch genug Raum für Ihr aktuelles Kochbuch.“ „Wann?“ Niklaas’ Pokerface bröckelte, er triumphierte zu stark. „Wir können das hier auf der Insel veranstalten, sofern Herr…“ „Was wollen Sie dafür?“ Sie hatte die Arme vor ihrer Brust verschränkt. Wenn er ihr ein derartiges Angebot unterbreitete, hatte es für gewöhnlich einen gewaltigen Haken. Einen Andreas Brenner würde er ihr nicht einfach mal so aus Goodwill überlassen. Der Sternekoch war oberste Liga und liess sich sicherlich nicht vor einen Karren spannen. „Sie grillen ihn und danach reden wir bei einem zwanglosen Abendessen über Ihre Zukunft bei der Company.“ „Zwanglos?“ „Natürlich. Keine Verpflichtung. Ich ermögliche Ihnen die öffentliche Abrechnung mit Andreas Brenner und dann sehen wir weiter.“ „Wo ist der Haken?“ „Es gibt keinen.“ „Als ob Sie seit Tagen hier ohne Hintergedanken rumschleichen würden.“ „Alles zu gegebener Zeit. Bis dahin hätte ich gerne noch ein M-A-C-AR-O-N“, gab er sich tiefenentspannt. Er war sich seiner Sache sehr sicher,besondersnachdemseinPlanmitdemShowduellaufgegangen war. Die langjährige und öffentliche Feindschaft der beiden Sterneköche musste sich doch bestmöglich ausschlachten lassen. Als Andreas Brenner damals ihre Markthalle zu einem Schleuderpreis gekauft hatte, war ihre längst bekannt gewordene Abneigung endgültig besiegelt worden. Wenn sie ihn also erst erledigt hatte, würde sie auch seinem Vertrag zustimmen, da war er sich sicher. Er hatte sie einmal mehr bei ihrer Würde und ihrem Stolz erwischt. Der harte Hund machte seinem Namen alle Ehre. Die eiserne Hand hatte ihren Willen gekriegt, die Vertragsunterzeichnung schien reine Formsache zu werden. Da konnten selbst die Makronen kaum merklich Schaden anrichten. „Andreas Brenner…“
18:00 Uhr „Sie haben alles?“, sah sich Herr Van Büren ein paar Tage später nervös um. Er strich sich mehrfach über den Nacken. Mias Blick verhiess nichts Gutes. Konnte er sich nicht um etwas anderes kümmern, anstatt sie verrückt zu machen? Seit gut einer Stunde tigerte der CEO durch das Strandlokal. Seine Anspannung wirkte ziemlich unsexy. Mias selbstbewusste Gelassenheit reizte ihn offensichtlich zusätzlich. „Und Sie haben das Fleisch?“ Er rückte eine Schüssel zurecht, Mia schob das Gefäss demonstrativ wieder an seinen ursprünglichen Platz zurück. „Okay, das hier ist mein Reich.“ Sie machte eine grosse Handbewegung und steckte ihren Raum damit ab. „Da drüben können Sie sich einmischen, von mir aus auch weiterhin alle verbal in die Flucht schlagen. Aber hier mache ich die Ansage! Ihre Macht-durch-Anwesenheits-Karte