La Isla - Anika Heer - E-Book

La Isla E-Book

Anika Heer

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Beschreibung

Vor der Vergangenheit davonlaufen war noch nie eine gute Lösung. Die Protagonistin Liv Bergmann stellt sich ihrer gezwungenermassen auf Mallorca. Ein idyllisches Resort bildet dabei die perfekte Kulisse für die neuen Werbefotos. Der Shootingstar aus Frankreich droht jedoch bereits am ersten Tag mit seiner Abreise. Zu allem Übel liegt auch noch der Animationschef, ihr ehemaliger Verlobter, blutüberströmt auf der Bocciabahn. Jeder hat seine ganz persönliche Rechnung mit ihm offen, allen voran Liv selbst...

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Seitenzahl: 166

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Die Handlungen und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder realen Personen wären rein zufällig.

Mürrisch blickte Liv umher. Sie griff nach ihrem klingelnden Smartphone: „Du hättest mir wenigsten sagen können, dass der Typ nicht nur arrogant, sondern auch, und vor allem, unpünktlich ist?!“ „Vielleicht hatte einfach nur sein Flieger Verspätung?“, versuchte Shay es im Guten. Liv schnaubte genervt. „Dann kann man ja trotzdem mal kurz Bescheid geben. Ist das denn wirklich zu viel verlangt?! Schliesslich sind wir doch alle mit unseren Smartphones verschmolzen.“ „Sei kein Biest! Du wirst ihn mögen. Alle mögen ihn.“ Vielleicht war ja genau das das Problem. Jeder und jede schien Hals über Kopf diesem Sommelier verfallen zu sein. Und hatte ihn je jemand erlebt? So richtig mit ihm arbeiten müssen? Nein. Wenigstens würde sie es auch nicht müssen, wenn er noch länger auf sich warten liess. Liv fuhr sich genervt über den Nacken. „Sei nett zu ihm, bitte“, flehte Shay krächzend ins Telefon. „Schlag du dich doch mit ihm rum!“ „Ich bin krank, Liv, bitte.“ „Natürlich, wie praktisch aber auch.“ Sie entschuldigte sich sogleich für ihren Gefühlsausbruch und wünschte gute Besserung. „Schon gut, Süsse. Du wirst das richtig gut machen, ich weiss das!“, spornte Shay sie an. Liv schloss ihre Augen und nickte. „Liv?“ „Ja, natürlich.“ „Du weisst wie wichtig er für uns ist.“ Für dich ja, für die Company Group. Erneut nickte Liv, bemerkte erst jetzt, dass Shay ihr Nicken gar nicht sehen konnte und sprach sogleich: „Ja, ich werde nett sein.“ „So ist’s brav“, neckte Shay versöhnlich. Liv legte auf und verstaute ihr Handy in ihrer Handtasche. Plötzlich herrschte grosse Aufregung. „Er ist da! Er ist da!“ Herzlichen Glückwunsch, wurde ja auch Zeit. Es war wohl doch schwerer als gedacht, die richtige Appartementnummer zu finden, trotz Lageplan und freundlicher Einweisung durch die Rezeptionistin. „Bonjour“, erklang es launig. Sogleich wurde der Shootingstar willkommen geheissen. Seinen Koffer stellte er in die Ecke. Er nickte und sah sich suchend um. „Je cherche Karl?“ Liv drehte sich zu ihm um und sprach ruhig: „Karl ist krank, ich vertrete ihn.“ Er schien nicht ganz verstehen zu wollen. Er wiederholte sich beharrlich. „Je cherche un homme.“ Blieb er seiner Muttersprache treu. Sie zog eine Schnute, schloss kurz ihre Augen. „Ich bin Liv Bergmann und bin diese Woche für die Organisation da. Wenn Sie also etwas brauchen, dann wenden Sie sich bitte an mich.“ Er drehte sich ab und suchte einen männlichen Ansprechpartner. Er spielte mit seinem Handy. Er schien ja doch eines zu besitzen, Glückwunsch! „Gibt es ein Problem?“, erkundigte sich Liv gestellt freundlich. „Où est Karl?“ Sie wiederholte sich geduldig: „Ich vertrete ihn.“ Er konterte: „Ich werde nur mit einem Mann shooten. Alles andere ist einfach zu umständlich. Wo ist Shay Hendson?“ Liv belächelte seine Frage und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Offenbar war er der deutschen Sprache doch mächtig, welch Wunder. Sie funkelte ihn böse an. Raphaël erwiderte ihren Blick direkt. „Keine Sorge. Karl ist derart schwul, dass er die grössere Frau von uns beiden ist. Sie können sich mit mir also glücklich schätzen.“ Erstmals grinste Raphaël. Er zögerte kurz, doch dann lachte er versöhnlich. Liv beobachtete ihn und brachte ebenfalls ein knappes Lächeln zu Stande. Sie schien ihn zu amüsieren, obwohl sie doch nur die Wahrheit ausgesprochen hatte. Karl, seines Zeichens der ambitionierteste Assistent auf diesem Planeten, war derart homosexuell, dass dieser hochgelobte Sommelier doch glatt in sein Beuteschema gepasst hätte. Verschlungen hätte er ihn, mit Haut und Haaren. Liv gluckste bei diesem Gedanken. Raphaël hatte sie erwartungsvoll beobachtet. „Seien Sie bloss dankbar mit mir. Karl hätte Sie glatt hier auf dem Tisch flachgelegt“, dachte sie laut. Kaum hatte sie ihre eigenen Worte gehört, verstummte sie peinlich berührt. Raphaël provozierte: „Sie etwa nicht?“ „Schätzchen da müsste schon mehr dahinterstecken als bloss eine nette Fassade.“ Sie lief zur Hochform auf, wollte sie nicht eigentlich nett zu ihm sein? Ausserdem hing Shays Job an der Nummer hier. „Ihnen gefällt also meine Fassade?“, konterte er mit verschränkten Armen. „Das habe ich nicht gesagt.“ Er grinste amüsiert. Sie starrte ihn fordernd an. „Gibt’s sonst noch Probleme, die wir beheben können?“ Er betrachtete sie von oben bis unten. Raphaël liess sich bewusst Zeit und reizte Liv mit seiner entspannten Musterung. Sie hingegen hatte ihre Arme erneut vor ihrer Brust verschränkt und wartete. Was ein Macho er doch ist, dachte sich Liv, verkniff sich dennoch jeden weiteren Kommentar gegen ihn. „Na gut, versuchen wir‘s.“ „Motivation hat einen Namen, seiner ist es nicht“, raunte sie kaum verständlich. „Bitte?“ Sie wich aus: „Gut, dann darf ich Ihnen Mike Widmer vorstellen, er ist unser Fotograf.“ Sie reichten sich die Hand. „Und das ist Cédric, er ist Mikes Assistent.“ Auch ihn begrüsste der Sommelier gezwungen. „Gut, wir würden jetzt ein paar Aufnahmen hier in der Wohnung machen und alles weitere heute Nachmittag bei einem Kaffee besprechen. Ist das in Ordnung für Sie?“ Er nickte wortlos. „Sie können sich dort umziehen.“ Sie deutete aufs Badezimmer. Raphaël zog sich zurück und schmiss sich in sein Shooting-Outfit. Er tauschte seinen grünen Rollkragenpulli gegen ein schwarzes Hemd mit passendem Sakko in schwarz. Im grossen Spiegel kontrollierte er penibel sein Aussehen. „Komm schon, bring es hinter dich. Du kriegst gutes Geld dafür“, sprach er sich selbst Mut zu. Raphaël kehrte zum Fotografen zurück und liess sich instruieren. Immer wieder schielte er zu Liv, sie organisierte alles Drumherum. „Gut, dann fangen wir mit Portraitaufnahmen an. Raphaël, bitte.“ Sie hatten das Appartement umgeräumt und sich ein privates Fotostudio erschaffen. Der Sommelier gehorchte und posierte gewohnt lässig. Er war sich seiner Wirkung bewusst und setzte diese gekonnt ein. „Gut, ja genau so.“ Raphaël zog seine Lippen zu einer dünnen Linie und posierte demonstrativ. Liv zögerte, doch dann schritt sie ein. „Okay, tut mir Leid, aber so geht das nicht!“ Sie liess sich die Fotos auf dem Bildschirm zeigen. Raphaël griff mürrisch nach seiner Wasserflasche und trank. Liv und der Fotograf diskutierten. „Hier, schau mal, dass sieht mehr als gestellt aus. Das ist nicht das, was wir suchen. Wir wollen Lockerheit, Charme, Offenheit und keinen gestellten Lackaffen…“ „Lass ihn erst warm werden.“ „Und ich dachte, der Typ sei von Natur aus heiss“, blaffte sie. „Liv, du weisst ich liebe dich, aber er wird dich mit Anlauf auffressen.“ „Soll er’s doch versuchen.“ Sie drehte auf dem Absatz um und lief zum Sommelier, welcher in der offenen Küche stand. „Gut, ich bin zwar kein Mann, dennoch an den perfekten Fotos für Shay interessiert. Darum sage ich es Ihnen direkt!“ Sie wartete höflicherweise sein Nicken ab. „Sie müssen locker werden. Diesen gestellten Shit kriege ich an jeder Ecke. Ich will einen charmanten, fachkundigen und herzlichen Mann sehen. Sie sollen dem Kunden ein warmes Gefühl geben, dass er gut bei Ihnen und dem Wein aufgehoben ist. Diesen ichkriege-jede-damit-rum Blick funktioniert hier nicht. Wir sind schliesslich keine Sexhotline, die ihr bestes Pferd im Stall anpreisen will. Haben Sie noch andere Outfits da? Das ist zu dunkel.“ Raphaël verschränkte seine Arme demonstrativ. „Ich bin Ihr bestes Pferd im Stall?“ Daran erinnerte er sich, war ja klar. „Also, dann bin ich Ihr bestes Pferd mit einer netten Fassade… Das werde ich mir definitiv auf meine nächsten Visitenkarten drucken lassen.“ Sie schnaubte genervt und wartete fordernd. Harmonische Zusammenarbeit konnte man das nun wirklich nicht nennen. „Weisses Hemd und Weste?“, kam er ihr einen Schritt entgegen. Sie verwarf ihre Hand. „Bitte.“ Er zog sich ins Badezimmer zurück. Lautstark schloss er das Kippfenster. Ein Schnupfen würde ihm gerade noch fehlen. Liv warf nochmal einen Blick auf die bereits geschossenen Fotos. Sie dehnte sich ihren Nacken. „Das wird eine verdammt lange Woche. Worauf habe ich mich da bloss eingelassen?“ Wenn nicht so ungemein viel von dem Ganzen abhängen würde, hätte sie sich niemals dazu breitschlagen lassen. „Gib ihm Zeit, das wird schon“, gab sich Mike optimistisch. Livs skeptischer Blick sprach Bände. „Ehrlich, einmal mit Profis arbeiten… Nur einmal!“, klagte sie wehmütig. Raphaël kehrte zum Team zurück und strich sich sein Hemd glatt. Sie musterte ihn und ihr Blick wurde weicher. Er hatte ihr wohl doch zugehört. „Ja, besser. Viel besser! Danke!“ Sie fügte genervt an: „Warum nicht gleich so?“ Er zog sich die schwarze Schürze über. Mike bat den Shootingstar erneut ans Set. „Versuch dich zu entspannen, Raphaël. Einfach cool. Genau. Vielleicht machst du die Arme mal so…“ Er demonstrierte seine Gedanken, diese wurden vom Sommelier kopiert. „Ja genau. Locker, super.“ Liv beobachtete das Treiben. Plötzlich klingelte ihr Handy. Sie verliess das Appartement und trat durch die Schiebetür auf den Balkon raus. Es war kühl, doch die Sonnenstrahlen suchten sich ihren Weg durch den Pinienwald und berührten sanft ihr Gesicht. „Chris? Was gibt’s?“ „Hey Liv, alles klar? Du bist doch auf der Insel?“ Sie musste ihm Recht geben: „Unfreiwillig. Warum?“ „Könntest du mir heute Abend bitte aushelfen? Ich bin komplett ausgebucht. Und meine neuen Mitarbeiter kommen doch erst nächste Woche. Du weisst schon, Saisonbeginn und so.“ Sie schloss ihre Augen. Natürlich wusste sie, was Saisonbeginn hiess, schliesslich war sie schon öfters dabei gewesen. „Wir haben gerade erst mit shooten angefangen und ich weiss nicht, ob er… Was ist das für ein Lärm?“ Sie sah prüfend durch die Scheibe und entdeckte den wildgestikulierenden Franzosen. Sie holte tief Luft. „Liv? Bist du noch da?“ „Ja, sicher. Wann soll ich kommen?“ „Sobald du Zeit hast!?“ „Ja mach ich.“ „Sorry für die Umstände. Ej, ist er auch da?“ „Keine Ahnung, ich hoffe nicht. Besonders für ihn hoffe ich das“, bellte sie nachtragend. „Wenn ich ihn erwürgen soll, dann sag es einfach! Mit blossen Händen!“ „Passt schon.“ Sie legte wortlos auf und betrat das Appartement wieder. „Ganz ehrlich, wie viel Geld kriegst du für den Scheiss hier? Reiss dich gefälligst am Riemen!!“, poltere Mike ungehalten. Raphaël grinste gefährlich. Liv trat zu den beiden. „Wie kann ich helfen?“, säuselte sie besonders nett. Der Franzose verwarf die Hände. Mike eiferte ihm nach. „Gut, wir sind offensichtlich alle nur hier, weil wir müssen. Machen wir unsere Arbeit und dann verschwinden wir alle wieder!“ „Ganz ehrlich, war der Typ überhaupt beim Frisör?“ „Selbstverständlich“, polterte er und fuhr sich durch die dunkelbraunen Haare. Mike krauste die Nase und verschränkte seine Arme vor der Brust. „Toll, dass man das auch gleich so gut sehen kann…“ Liv sah zwischen den Streithähnen hin und her. „Als ob er…“ „Okay, mir reicht’s!“ Der Franzose langte nach seinen Habseligkeiten und verliess das Appartement auf direktem Weg. „Ah, fuck! Alter!“, fluchte Liv. Sie rannte ihm hinterher. „Monsieur Moreau, Raphaël.“ Er liess sich wenig beeindrucken. „Bitte. Lassen Sie uns reden.“ „Worüber? Diesen Möchtegern Fotografen und sein Maskottchen?“ Liv schmunzelte. „Maskottchen ist echt gut“, musste sie ihm Recht geben. Er hielt inne. Liv lächelte versöhnlich. „Können wir bitte nochmals von vorne beginnen?“ Er blinzelte. „Wir sind schliesslich alle wegen Shay hier, oder?“ Was interessierte ihn die Werbechefin? „Ich glaube nicht, dass Shay kurzfristig denkt, daher würden Sie sich eine langfristige Zusammenarbeit mit der Company entgehen lassen. Und wozu? Bloss weil diesem aufgeblasenen Fotografen ein Furz schräg sitzt? Oder eher zwei.“ Der Franzose war entzückt. Sie war direkt. „Und wir beide kennen Shay. Wenn sie hier wäre würde sie allen hier glatt den Arsch aufreissen. Na gut, vielleicht erst Mike, aber egal. Aber Sie! Sie sind doch ein Profi durch und durch, Monsieur Moreau. Lassen Sie uns dieses Projekt zu einem der grössten und erfolgreichsten der Company Geschichte machen, bitte. Für Shay…“ Honig ums Maul schmieren zog schon immer. Er zögerte. „Na gut, dann nicht. Gehen Sie.“ Sie wies ihn von Dannen. „Gehen Sie, ich finde bestimmt jemand Besseren…“ Liv drehte sich eiskalt um und pokerte hoch. Jemand Besseren? Er hatte sich wohl verhört. Schliesslich konnte er für jedes Unternehmen arbeiten, sofern dieses Wein vermarkten wollte. Er rang mit sich, doch sein Stolz liess es nicht zu. „Frau Bergmann, bitte warten Sie…“ Liv blieb stehen und triumphierte innerlich. Sie drehte sich langsam zu ihm um. „Ist noch was? Die Anreise übernehmen wir natürlich trotzdem…“ Sie gab sich unbeeindruckt. „D’accord! Lassen Sie uns anfangen.“ Überrascht sah sie ihn an. Dass er so schnell einlenken würde, hätte sie nicht gedacht. Ein neuer Rekord, warum nicht. Wie schnell sein Ego doch anzukratzen war. Gut zu wissen. „Aber ich tu das nur für Shay.“ „Von mir aus! Kein Problem, so lange wir es endlich tun!“ Er blieb stehen und kostete den zweideutigen Moment aus. „Los!“, forderte sie leicht irritiert und schob ihn ins Appartement zurück. Mike und Cédric hatten bereits erste Kameras transportsicher verpackt. „Auspacken, sofort!“ Sie erntete erstaunte Blicke. „Bewirbst du dich grad für den Posten als Arschloch der Insel?“, konterte Liv ungehalten. Raphaël musste ein Grinsen unterdrücken. Mike verneinte, das Maskottchen hingegen zögerte. „Schliesslich sind wir zum Arbeiten hier. Für Shay! Auch du Mike, vor allem du!“ Sie wusste genau wie viel Gewicht diese Aussage für ihn hatte. „Shay…“, kam es kleinlaut von ihm. Liv nutzte ihr Insiderwissen zwar nur ungern, doch es schien zu fruchten. Mike langte nach seiner Kamera und bat den Franzosen gestellt freundlich ans Set. Raphaël posierte verhalten. Er glich einer Marionette, die sich nur dann regte, wenn der Fotograf die entsprechenden Knöpfe gedrückt hatte. Liv beobachtete das Szenario mit Kopfschmerzen. Sie strich sich über die Stirn. Sie hielt sich bewusst im Hintergrund und behielt dabei doch die ganze Szenerie im Blick. „Portraits sind soweit…“, verkündete Mike zu aller Erleichterung. „Darf ich sehen?“ Liv sah erneut auf den Bildschirm. „Die sind alle genauso?“ „Ja, warum?“ Sie stöckelte zu Raphaël. „Darf ich mal?“ Sie zeigte auf seinen Hemdkragen. Er duldete sie genervt. Liv zog ihm den Kragen über den Schürzenträger. Sie strich ihm sanft über die Schulter und vergewisserte sich, dass alles an seinem Platz war. Raphaël liess sie gewähren, genoss ihre weichen Berührungen beinahe. Sie kontrollierte den Kragen erneut. Falten im Hemd strich sie beiläufig glatt. Er schmunzelte. Sie duftete nach Frühling, nach Meerwasser und einem Hauch Vanille. Er sog ihren Duft in sich auf und lächelte erstmals angetan. „Besten Dank.“ Auch Liv brachte ein annähernd freundliches Lächeln zu Stande. „Okay und jetzt alles auf Anfang. Bitte.“ Sie trat neben Mike und beobachtete Raphaël mit Argusaugen. Raphaël war Profi und doch lenkte Liv ihn ab. Die kleine, aber fürsorgliche Geste eben regte in ihm etwas, was lange geschlummert hatte. Er gab sich grösste Mühe, überspielte vieles jedoch mit seiner arroganten, französischen Art. Mike animierte den Franzosen krampfhaft. Cédric hingegen spielte brav seine Rolle als Dekorationsobjekt, zu viel mehr schien er nicht im Stande zu sein. Offensichtlich brauchte auch dieses Team derartige Kompetenzen. Liv verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Alter…“, murmelte sie genervter als nötig gewesen wäre. Raphaël warf ihr einen flüchtigen Blick zu. „Spucken Sie’s schon aus“, forderte er. Sie zögerte. „Scheint ja eine sehr ehrliche Truppe zu sein“, blaffte er zum Fotografen und seinem Maskottchen.

„Haben Sie Spass an der Nummer hier?“ Er zögerte. „Ja oder nein?“ Sie demonstrierte ihre Entschlossenheit. „Ja.“ Er sah sie unsicher an. „Dann sagen Sie das doch bitte endlich Ihrem Gesicht. Dann hätten wir alle was davon.“ Sie unterstrich ihre Worte mit ihren fuchtelnden Händen. Mike verschluckte sich überrascht, auch Cédric hüstelte. Raphaël schmunzelte hingegen angetan. „Ihr Humor hat was…“, neckte er sie amüsiert. „Das nennt sich Galgenhumor.“ „Sie sollten über einen Branchenwechsel nachdenken.“ „Danke, mir reicht die Nummer hier vollkommen!“ Er nickte anerkennend. „Wir haben also doch schon eine Nummer am laufen“, echote er zufrieden. Liv rollte unübersehbar mit den Augen. Sie war genervt und flehte ein schnelles Ende des ersten Drehtages auf der Insel herbei.

Am Nachmittag setzte sich die Crew in die Bar, welche die wohl atemberaubendste Aussicht im Resort bot. Hoch oben kam die Kraft der rauen Wellen noch besser zur Geltung. Die Sonnenstrahlen trafen aufs blaue Meer und wärmten dieses spärlich. Der mallorquinische Kellner kam und begrüsste Liv sehr herzlich, kaum hatte diese die kleine Treppe hinter sich gelassen. „¡Hola Enrique!“ „¡Liv! ¿Comó estás?“ Sie lächelte vertraut. Sie unterhielten sich einen Moment angeregt. Skeptisch beobachtete Raphaël die Begegnung der beiden. Wie konnte es sein, dass sie sich binnen einer Minute derart angeregt unterhalten konnten? Er hingegen biss bei ihr eher auf Granit. Er war sich sicher, dass die Frau nicht nur Haare auf den Zähnen hatte, sondern auf jedem Zahn eine andere Frisur präsentieren konnte. Fröhlich traten Liv und der Kellner wenig später an den Tisch. Enrique fragte gut gelaunt nach der Bestellung. Für Raphaëls Geschmack zu gut gelaunt. „Un cafe porfavor“, dankte Liv. Ihre Hand lag vertraut auf seiner Schulter. Die Herren der Runde bestellten ebenfalls Kaffee. Liv beugte sich leicht nach vorne und präsentierte den Arbeitsplan, welchen Shay optimistisch vollgestopft hatte. Allein dafür hätte man sie lynchen sollen. Ein gewaltiges Nachspiel stand kurz bevor, so viel war klar. Grippe hin oder her. „Wir werden in den nächsten Tagen vermehrt Aufnahmen draussen machen, soweit das Wetter mitspielt. Wir wollen den mallorquinischen Wein, welcher in einer abgelegenen Finca angebaut wird, in seiner ganzen Vielfalt präsentieren. Es ist wichtig, dass dies alles so authentisch und rustikal wie nur möglich rübergebracht wird. Und doch elegant und hochwertig.“ Sie musterte den Franzosen eindringlich. Dieser sass mit verschränkten Armen im Korbstuhl und lauschte andächtig. Er hielt wenig von durchgeplanten Shootings und doch, er konnte davon definitiv gut leben. Zudem brachten ihn genau diese Shootings an derart bezaubernde Orte wie hier. Raphaël nickte gelegentlich, immer wieder schwenkte sein Blick ab. Er blieb am spanischen Gitarristen hängen, welcher sein Talent zum Besten gab. Seine Stimme war warm und doch kratzte sie an den richtigen Stellen. Vielleicht war er eine Spur zu Mainstream für den Franzosen. Ein Tick zu sehr auf den Touristen ausgelegt. Die Nummer hatte einen faden Beigeschmack. Ein bisschen wie getrenntes Zahlen, welches der deutsche Tourist auf der Insel wohl legendär gemacht hatte. Die Musik reichte von altbekannten Klassikern bis hin zu rhythmischem Country. Raphaël beobachtete ihn interessiert. „Sie konnten uns folgen, ja?“, durchbrach eine fordernde Stimme seine Gedankengänge. „Bitte?“ Er sah sie fragend an. Liv schnaubte kurz. War ja klar. „Ob Sie alles verstanden haben?“ „Selbstverständlich.“ Er willigte ein und langte nach seinem Kaffee, hatte aber keinen blassen Schimmer. Sicheres Auftreten bei kompletter Ahnungslosigkeit quasi. Jene Strategie hatte schon öfters funktioniert, warum also nicht auch hier? Er war sich absolut sicher, dass die hinreissende Liv Bergmann ihm die entsprechenden Details morgen gerne noch mal erläutern würde. Jede einzelne Szene würde sie ihm erklären, daher war seine persönliche Fallhöhe kalkulierbar. Er schenkte ihr einen kurzen, beinahe freundlichen Blick. Liv hingegen trank von ihrem Kaffee. Wenigstens der war gut. Liv schüttelte ihren Kopf und blätterte in ihren Unterlagen. „Gut, wir werden morgen früh mit den Aufnahmen auf den Klippen anfangen. Das Wetter müsste bis Mittag gut sein, eventuell müssen wir das Ganze wiederholen, wenn es nicht so sein sollte.“ Der Fotograf bejahte, auch Cédric, sein Maskottchen, bestätigte dies. „Um welche Zeit wollen wir anfangen?“ „Zehn Uhr?“ Sie sah fragend in die Runde. Fotograf und Assistent nickten eingeschworen. „Monsieur Moreau?“ Sein Blick hing schon wieder irgendwo in den rauen Wellen. Zu gegebener Zeit sicherlich verständlich, nur nicht jetzt. Liv räusperte sich lautstark. Raphaël warf ihr einen kurzen Blick zu. Sie strahlte beinahe künstlich. „Bitte entschuldigen Sie die Störung…“ Sie klimperte mit ihren Wimpern. „Ist zehn Uhr morgen für Sie okay?“, doppelte sie nach. „Für was bitte?“ Er hatte seine Finger ineinander verschränkt und blinzelte. Liv holte tief Luft, Shay war dermassen am Arsch. Persönlich würde sie ihr auch nachträglich noch die Meinung geigen. Wobei ein Anruf die Wartezeit definitiv abkürzen würde. Zuckersüss sprach sie: „Wir würden morgen um zehn Uhr gerne mit den Aufnahmen auf der Klippe anfangen. Natürlich nur, wenn’s in Ihren Terminkalender passen würde?“ Ihre Geduld kannte definitiv Grenzen. Genau an diesen bewegte sich der Sommelier offenbar seit seiner Landung in