EU-Abgeordnete im Visier - Priska Nee - E-Book

EU-Abgeordnete im Visier E-Book

Priska Nee

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Beschreibung

Brüssel - Ein Treffen griechischer Europaparlamentarier im Restaurant Notos endet für fünf Personen tödlich. Berlin - Die Tochter einer deutschen Europaparlamentarierin wird in Berlin entführt. Stockholm - Ein schwedischer Europaparlamentarier verschwindet auf seinem Weg von Stockholm nach Brüssel. Dale, Leiterin des Dezernats für Kapitalverbrechen in Brüssel und ihr Team beginnen mit den Ermittlungen, finden sich jedoch schon bald in einer Sonderkommission wieder, deren Leitung Hermann Müller von Europol übernimmt. Die Brüsseler Ermittler erhalten Unterstützung von zwei Stockholmer und zwei Berliner Kollegen, denn Müller ist der festen Überzeugung, dass die Vorkommnisse in Brüssel, Berlin und Stockholm nicht isoliert behandelt werden können. Wer sind die Mörder in Brüssel? Wer die Entführer in Berlin? Was ist mit dem schwedischen Europaparlamentarier geschehen? Gibt es tatsächlich einen Zusammenhang? Ein Verwirrspiel beginnt, in dem nicht alles so ist, wie es vordergründig scheint.

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Seitenzahl: 332

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Brüssel - Ein Treffen griechischer Europaparlamentarier im Restaurant Notos endet für fünf Personen tödlich.

Berlin - Die Tochter einer deutschen Europaparlamentarierin wird in Berlin entführt.

Stockholm - Ein schwedischer Europaparlamentarier verschwindet auf seinem Weg von Stockholm nach Brüssel.

Dale, Leiterin des Dezernats für Kapitalverbrechen in Brüssel und ihr Team beginnen mit den Ermittlungen, finden sich jedoch schon bald in einer Sonderkommission wieder, deren Leitung Hermann Müller von Europol übernimmt. Die Brüsseler Ermittler erhalten Unterstützung von zwei Stockholmer und zwei Berliner Kollegen, denn Müller ist der festen Überzeugung, dass die Vorkommnisse in Brüssel, Berlin und Stockholm nicht isoliert behandelt werden können. Wer sind die Mörder in Brüssel? Wer die Entführer in Berlin? Was ist mit dem schwedischen Europaparlamentarier geschehen? Gibt es tatsächlich einen Zusammenhang? Ein Verwirrspiel beginnt, in dem nicht alles so ist, wie es vordergründig scheint.

Priska Nee lebt und arbeitet in der Nähe von Zürich. Der vorliegende Kriminalroman ist ihr erster.

Inhaltsverzeichnis

Brüssel – In der Forensik

Antwerpen – Bei Tom Graham

Brüssel – Polizeigebäude 7. Stock

Ardennen – Hohen Venn

Brüssel – Polizeigebäude 4. Stock

Brüssel – Polizeigebäude 7. Stock

Brüssel – Bei Eva Kailios

Brüssel – Polizeigebäude 3. Stock

Brüssel – Europaviertel

Brüssel – Polizeigebäude 3. Stock

Antwerpen – Bei Tom Graham

Brüssel – Polizeigebäude

Brüssel – Bei der Athos Ltd.

Ardennen – Hohen Venn

Brüssel – Polizeigebäude 7. Stock, dann 3. Stock

Brüssel – Polizeigebäude 7. Stock, dann 4. Stock

Berlin – Irgendwo in einer Wohnung

Brüssel – Polizeigebäude 3. Stock, Verhörraum

Brüssel – Polizeigebäude 1. Stock, dann 3. Stock

Berlin – Irgendwo in einer Wohnung

Warschau – Irgendwo

Berlin – Irgendwo in einer Wohnung

Brüssel – Café Le Cirio

Brüssel – Polizeigebäude 7. Stock

Brüssel – Restaurant Comme chez soi

Berlin – Irgendwo in einer Wohnung

Brüssel – Parc du cinquantenaire

Brüssel – Polizeigebäude 7. Stock

Warschau – Sofitel Warsaw Victoria Hotel

Brüssel – Taverne Le Sanglier

Brüssel – Rue Van Soust / Quartier Saint-Gilles

Brüssel – Polizeigebäude 4. Stock

Berlin – Bei Anna von der Krone

Brüssel – Café Le Cirio

Warschau – Bei Marek

Brüssel – Polizeigebäude 3. Stock

Brüssel – Hotel von Peter von Lohe

Berlin – Friedenstrasse

Brüssel – Polizeigebäude 3. Stock

Brüssel – Europaviertel

Brüssel – Rue de Birmingham

Brüssel – Café La Tourelle

Brüssel – Polizeigebäude 3. Stock

Brüssel – Europaparlament

Brüssel – Polizeigebäude 1. Stock, dann 3. Stock

Brüssel – Grand Place / Rue de Birmingham

Brüssel – Bruxelles Info Place (BIP)

Brüssel – Avenue de Cortenbergh

Brüssel – Bei der Athos Ltd.

Brüssel – Polizeigebäude 3. Stock

Brüssel – Parc du Bruxelles

Brüssel – Polizeigebäude 3. Stock

Brüssel – Rue de Birmingham / Ostende

Brüssel – Flughafen Zaventem

Brüssel – In der Forensik

Der schwarze Jaguar stand mitten in der Garage, über einem begehbaren Tunnel, der von beiden Seiten durch eine Treppe zugänglich ist.

„Flo! Bist du da?“, Dale konnte niemanden sehen, die Halle schien leer zu sein.

„Hier unten!“, tönte es aus dem Tunnel.

„Gibt es da etwas für mich zu sehen?“, fragte Dale nach unten.

„Nein, nein, ich wollte nur sicher sein.“ Flo kam die Treppe hoch, die Hände an einem Tuch reibend, welches wohl irgendwann mal weiß gewesen sein musste.

Dale zuckte zurück: „Hast du dir schon mal überlegt, welche Vorteile deine Hautfarbe eigentlich so hat?“

Flo bedachte sie mit einem verständnislosen Blick und hob dann fragend die Augenbrauen.

„Tja, also wenn ich so mit Öl duschen würde, wie du es offenbar gerade getan hast, so wäre der Kontrast bei mir wohl wesentlich erheblicher als bei dir“, meinte Dale grinsend.

Flo, kleingewachsen und stämmig, stellte sich, die Hände in die Hüften gestemmt, vor die hochgewachsene Dale: „Hätte ich heute schlechtere Laune, würde ich diese Bemerkung als rassistisch auffassen!“

Dale trat einen Schritt zurück und hob abwehrend die Hände: „Aber nicht doch. Das war ein Scherz. Komm lass uns über den Jaguar sprechen. Hast du was gefunden?“

„Das war nicht dein bester Scherz“, meinte Flo bestimmt, dann, „ja, hab ich. Wie ich schon sagte: ich wollte sicher sein.“ Flo deutete auf den Jaguar, um dann mit Nachdruck zu verkünden: „Ich bin mir sicher!“

„Sehr schön, worüber also bist du dir sicher?“

„Nun mal langsam. Du beginnst einen Muffin ja auch nicht von unten zu essen, oder?“

„Ich esse keine Muffins. Zuviel Zucker und auch sonst nicht wirklich gut!“

„Oh, richtig! Ich vergaß, schwarzer Kaffee reicht vollkommen, nicht wahr?“, meinte Flo mit leichter Ironie in der Stimme.

„Ganz richtig. Vor allem, wenn der Tag mal wieder mehr als 24 Stunden zu haben scheint“, entgegnete Dale leicht gereizt.

„So ein kleiner Zuckerschub kann da auch helfen“, meinte Flo augenzwinkernd.

„Könnten wir jetzt vielleicht mal Kaffee und Schübe außer Acht lassen und uns dem Fahrzeug hier zuwenden?“

„Klar, deshalb sind wir ja hier, nicht wahr? Also, das Baby hier gehört einem Monsieur Tom Graham. Er hat es vor sieben Tagen als gestohlen gemeldet. Das Baby ist gefüttert und frisch gewickelt worden.“

„Gefüttert und gewickelt! Was zum Teufel meinst du damit? Hast du dich vielleicht etwas zu sehr mit der Thematik des Mutterwerdens befasst? Wir sprechen hier über ein Auto, genauer einen Jaguar! Und du hast mir immer noch nicht gesagt, worüber du absolute Sicherheit gewonnen hast! Also, ich höre und erspare mir bitte weitere Baby-Vergleiche!“ Dale wirkte nun genervt.

„Ich finde, du nimmst das nicht ganz ernst, das mit dem Baby. Es könnte ja sein, dass ich ein Baby gefunden habe! Im Auto! Das könnte ja sein, nicht wahr?“, schmollte Flo.

„Hast du?“

„Nein, hab ich nicht. Was ich sagen wollte, ist: Der Jaguar ist vollgetankt, der Ölstand ist optimal, die Batterie voll aufgeladen, die Reifen und die Abdeckung hinten im Kofferraum sind neu und das Auto wurde sowohl innen als auch außen gründlich, sehr gründlich, gereinigt! Damit meine ich, es wurde richtig professionell desinfiziert…“

Dale seufzte und unterbrach Flo: „Mit anderen Worten, wir haben nichts. Keine Fingerabdrücke, keine Haare, keine DNA, richtig?“

„Lass mich doch mal ausreden, ich war noch nicht fertig! Wir kommen nun zu dem Punkt, wo ich sagen kann: Ich bin mir sicher!“

„Aha, lass hören.“

„Ich würde dieses Auto verkaufen!“

„Ach wirklich?“ Dale hob fragend eine Augenbraue.

„Wenn es mir gehören würde, natürlich.“

„Schon klar. Lässt du mich vielleicht auch wissen, weshalb du es verkaufen würdest?“

„Der Aschenbecher ist voll!“ Flo machte diese Aussage mit todernstem Blick. Kein Lächeln, kein Grinsen.

Dale kniff die Augen zusammen: „Verdammt, willst du mich auf den Arm nehmen? Oder willst du mir damit sagen, dass du so viel verdienst, dass du dir, wenn der Aschenbecher voll ist, jeweils ein neues Auto kaufst?“

Nun musste Flo doch grinsen: „Ganz genau, wenn der Aschenbecher voll ist, kaufe ich mir ein neues Auto.“

Gefährlich leise meinte Dale: „Erzähl mir lieber was über den Inhalt des Aschenbechers!“

„Es sind etwa zwanzig Zigarettenstummel der Marke Marlboro Gold drin. Ich habe sie ins Labor gegeben.“

„Merkwürdig. Da wird der Wagen gründlich gereinigt und der Aschenbecher geht vergessen?“ Dale wandte sich zum Fenster und schaute nachdenklich nach draußen. „Wann haben wir die Auswertung aus dem Labor?“

„Ich werde mich gleich darum kümmern, nach einer ausgiebigen Dusche. Schließlich soll jeder sehen können, dass mir die Natur eine schwarze Haut mitgegeben hat.“

„Dieser Tom Graham, ist er Raucher?“

„Soweit ich weiß, braucht man bei der Anmeldung eines Autos keine Angaben darüber zu machen, ob man Raucher oder Nichtraucher ist! Will heißen: Ich weiß es nicht. Aber dafür seid ihr ja da“, strahlte Flo Dale an.

Dale verdrehte die Augen und verließ die Garage.

Antwerpen – Bei Tom Graham

Val und Kira verließen das Polizeigebäude, ein siebenstöckiger Backsteinbau, und schritten auf den Audi A6 zu, der gleich bei der Hinterhoftüre geparkt war. Kira setzte sich hinters Steuer.

“Was wissen wir über diesen Tom Graham?“

Val griff nach der Akte auf dem Rücksitz und öffnete sie: „Graham Tom, 63 Jahre alt, Professeur für Geisteswissenschaften an der Université libre de Bruxelles, vor kurzem geschieden, nach dreißigjähriger Ehe, zwei Söhne 23 und 25 Jahre alt, liiert mit einer seiner Studentinnen, das Haus ist abbezahlt, den Jaguar fährt er seit 2012. Es war dannzumal ein Neuwagen, nun hat er 56‘000 km auf dem Tacho. Er verdient jährlich 100‘000 Euro. Die Auseinandersetzung mit seiner Frau läuft noch. Sie will ihren Anteil an Haus und seiner Pension ausbezahlt haben. Er hat einen Kreditantrag bei der Bank gestellt.“

Val schloss die Akte. „Keine Ahnung wie Lisbeth immer an diese Daten kommt. Die sind doch nicht mal für uns frei zugänglich“, meinte Val kopfschüttelnd.

Die Straße Koningsarendlaan, im ruhigen Quartier Deurne in Antwerpen, fanden sie schnell. Tom Grahams Haus, die Nummer 51, war das letzte einer ganzen Anzahl von Häusern, ganz am Ende der Straße. Die Hinterseite des zweistöckigen Gebäudes schmiegte sich an den angrenzenden Wald.

Sie folgten dem Kiesweg, der an Johannisbeersträucher, an zahlreichen Rosenstöcken, an Äpfel- und Birnenbäumen vorbeiführte, um schließlich vor der Veranda zu enden. Eine Treppe mit fünf Stufen führte auf die Veranda aus Holz, sieben Meter lang, mit Rattan Stühlen und einem Tisch aus Teak bestückt. Ein gemütlich aussehender Schaukelstuhl und eine Hängematte rundeten die Beschaulichkeit ab. Hier ließ es sich bestens verweilen. Den Spuren von Glasrändern auf dem Tisch zu urteilen, wurde dies auch häufig gemacht.

Es dauerte nicht lange und die Türe wurde, nachdem sie geklingelt hatten, von einer kleinen, untersetzten Dame mit kurzen, grauen Haaren geöffnet: „Ja bitte?“

„Guten Tag, ich bin Detektiv Val Velasces“, Val zeigte ihren Polizeiausweis und deutete dann auf Kira, „und das ist meine Partnerin Detektiv Kira Vasilis. Monsieur Graham erwartet uns.“

„Richtig, er sagte mir, dass er Besuch von der Polizei bekommen würde. Geht es um den gestohlenen Jaguar? Er liebt dieses Auto, müssen sie wissen. Genau wie Madame.“ Hanna schürzte ihre Lippen. „Ex Madame, muss man jetzt wohl sagen. Kommen Sie doch herein. Ich bin übrigens Hanna, die Haushälterin, schon seit dreißig Jahren. Wahrscheinlich eigentlich schon viel zu lange. Monsieur Le Professeur vergisst manchmal, dass ich nicht zum Mobiliar gehöre“, meinte sie lachend.

Sie führte die beiden rechts der Treppe, die in den oberen Stock führte, vorbei, durch das Wohnzimmer, in den angrenzenden Wintergarten. Dieser war rundum verglast und ließ so den Blick auf den Waldrand zu.

„Bitte nehmen Sie doch Platz. Was darf ich ihnen bringen: Tee oder Kaffee? Oder etwas anderes?“

„Mir bitte gerne einen Kaffee“, erwiderte Val.

„Für mich bitte auch“, schloss sich Kira dem an.

„Sehr schön. Ich werde dem Professeur Bescheid geben, dass Sie hier sind. Er wird gleich kommen.“ Mit diesen Worten verließ Hanna den Raum, nicht ohne nochmals auf die Stühle zu deuten.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie mit Mobiliar verwechselt werden könnte, soviel wie die redet“, meinte Kira, während sie sich auf einen der Stühle niederließ.

„Ob sie mit dem Professeur noch viele Worte wechselt? Nach dreißig Jahren?“, fragte sich Val.

In diesem Moment betrat Tom Graham den Wintergarten: „Guten Tag meine Damen. Ich bin Tom Graham. Mit wem habe ich das Vergnügen?“

Val und Kira erhoben sich und stellten sich vor.

Tom Graham, nur einen halben Kopf größer als Val, trug beige Flanellhosen, ein rot, grau, schwarz kariertes Hemd und braune Filzpantoffeln. Seine Brille trug er hochgeschoben auf seiner Vollglatze. Die Augenbrauen ließen vermuten, dass seine Haarpracht, bevor sie ihn verlassen hatte, von dunklem Braun gewesen sein musste. Die dunkelbraunen Augen hatten etwas mit den wulstigen Augenlidern zu kämpfen, schauten aber vergnüglich auf seinen Besuch. Sein kleines Bäuchlein trug er mit einer gewissen Selbstverständlichkeit vor sich her.

„Bitte nehmen Sie doch wieder Platz. Hanna wird uns gleich den Kaffee bringen. Ihr Anruf hat mich wirklich neugierig gemacht. Seit wann kümmert sich denn das Dezernat für Kapitalverbrechen um einen gestohlenen Wagen?“

Er überlegte kurz, schlug sich mit der Hand auf die Stirn und meinte dann verschmitzt: „Aber natürlich! Weil es sich um einen Jaguar handelt, richtig?“

Bevor Val und Kira antworten konnten, betrat Hanna den Wintergarten mit einem Tablet auf dem zwei Kannen, eine Zuckerdose und ein Teller voller Waffeln stand. Sie goss Kaffee in die Tassen und stellte vor jeden eine hin.

„Von den Waffeln müssen Sie unbedingt kosten. Hanna ist eine Meisterin im Backen derselben!“

Hanna ließ ein erstauntes „Ach!“ verlauten. „Monsieur Le Professeur hat tatsächlich zur Kenntnis genommen, dass ich diese selbst backe?“

„Also Hanna, wirklich! Ich bin Professeur, ja, aber keiner von der zerstreuten Sorte. Natürlich habe ich mitbekommen, dass du diese jeweils aus dem Backofen hervorzauberst.“

„Dann besteht ja noch Hoffnung“, meinte Hanna vergnügt. „Lassen Sie es sich schmecken. Ich bin oben, wenn Sie etwas brauchen.“ Damit verließ Hanna den Wintergarten.

„Ich weiß nicht, die heutigen Angestellten… das war früher irgendwie anders“, murmelte Monsieur Graham.

„Immerhin arbeitet Hanna schon dreißig Jahre für Sie, wie sie uns sagte“, bemerkte Val.

Grinsend meinte Monsieur Graham: „Stimmt, jetzt wo Sie es erwähnen. Ich sollte mich also an sie und ihren Umgangston gewöhnt haben.“

„Monsieur Professeur, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, würden wir dieses Gespräch gerne aufnehmen.“ Kira wedelte mit ihrem iPhone.

„Nur zu, ich habe nichts dagegen.“

„Sehr schön. Also, nur fürs Protokoll. Anwesend sind: Professeur Tom Graham, Val Velasces und Kira Vasili. Professeur, ist es richtig, dass Sie einen Jaguar XF 2.2d, Jahrgang 2012 der Farbe Ebony Black fahren?“

„Das ist richtig.“

„Sie haben diesen vor sieben Tagen als gestohlen gemeldet. Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen beziehungsweise gefahren?“

„Letzten Freitag, vor einer Woche, bin ich, wie jeden Tag, nach Ende der Vorlesung, das war um 16.30 Uhr nach Hause gefahren. Hier angekommen, habe ich ihn vor der Garage geparkt. Ich habe dann etwas gegessen, noch einige Unterlagen studiert und bin dann um ca. 23.00 Uhr zu Bett gegangen. Am Morgen stand er nicht mehr vor der Garage.“

„Stand er noch da, als Sie zu Bett gingen?“

„Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Mein Schlafzimmer befindet sich auf der anderen Seite des Hauses.“

„Sie haben auch nicht gehört, dass jemand weggefahren ist?“

„Nein. Da ich zur Zeit schlecht schlafe, habe ich mir Schlaftabletten von meinem Hausarzt verschreiben lassen. Seither nehme ich eine, bevor ich mich schlafen lege.“

„Wie ist es mit Hanna, wohnt sie hier?“

„Ja, sie hat ein Zimmer im oberen Stock.“

Val erhob sich: „Wenn Sie erlauben, werde ich sie kurz befragen. Vielleicht hat sie ja etwas gehört oder gesehen.“

Professeur Graham machte eine zustimmende Geste, woraufhin Val den Wintergarten verließ.

„Was ist mit Ihren Söhnen? Wohnen die hier?“

„Nein, sie haben beide ein Zimmer in Brüssel, wo sie auch studieren. Früher kamen sie öfter mal übers Wochenende hier vorbei. Seit meine Frau nicht mehr hier wohnt, ist dies seltener der Fall.“

„Monsieur Professeur, wer alles hat einen Schlüssel für das Auto?“

„Außer mir nur meine Freundin.“

„Darf ich Sie um den Namen Ihrer Freundin bitten?“

„Tatiana Käs. Sie wohnt in Brüssel, auf dem Campus Erasme. Und natürlich wollen Sie nun wissen, ob wir im Besitz unserer Schlüssel sind. Ja, sind wir. Sie sind nicht gestohlen worden.“

„Das ist sehr merkwürdig, Monsieur Professeur. Der Wagen wurde weder aufgebrochen noch kurzgeschlossen. Der oder die Diebe müssen also einen Schlüssel gehabt haben. Sind Sie sicher, dass kein weiterer im Umlauf ist?“

„Soweit ich mich erinnern kann, habe ich bei der Übergabe nur zwei Schlüssel ausgehändigt bekommen. Das war auch immer ausreichend, da zu jener Zeit nur meine Frau und ich den Wagen gefahren haben.“

„Und der Schlüssel Ihrer Ex-Frau hat nun Ihre Freundin?“

„Richtig.“

„Ihre Ex-Frau besitzt also keinen mehr?“

Tom Graham schüttelte den Kopf. „Sie hat eh meist unseren Zweitwagen, einen VW Golf, gefahren. Zu ihrem Leidwesen, sie liebte es nämlich auch, den Jaguar zu fahren. Den Golf fährt sie auch heute noch. Sie hat ihn nach unserer Trennung mitgenommen.“

„Weshalb parken Sie den Jaguar vor der Garage?“

Monsieur Graham schmunzelte: „Nun, weil die Garage von einem Phantom besetzt ist“, und nun mit Stolz in der Stimme, „genauer von einem Rolls Royce Phantom V! Den fahre ich nur zu sehr speziellen Anlässen. Es existieren weltweit nur 516 Exemplare von diesem Modell. Ihm gehört natürlich die Garage!“

„Oh“, Kira zeigte sich beeindruckt. „Seit wann besitzen Sie diesen?“

„Das war ein Hochzeitsgeschenk von meinem Schwiegervater. Als meine Frau und ich von den Flitterwochen zurückkamen, stand er in der Garage. Ich war total überrascht. Das war schon immer mein Traum, seit Kindheitstagen. Ich liebe dieses Auto!“

„Rauchen Sie?“

„Bitte?“

„Sind Sie Raucher?“

„Ab und an eine gute Pfeife schmöken, das gönne ich mir, ja.“

„Keine Zigaretten?“

„Um Himmelswillen nein! Und schon gar nicht im Auto! Der Gestank setzt sich im ganzen Wagen fest, und die Verfärbung erst! Der Jaguar hat cremefarbige Ledersitze. Nein, in meinen Autos wird nicht geraucht!“

„Wie ist es mit Ihrer Ex-Frau und Ihrer Freundin? Rauchen die?“

„Ja, beide. Leider! Aber wie gesagt, nicht im Auto. Das ist so abgesprochen.“

„Kennen Sie die Zigarettenmarke?“

„Meine Frau raucht Zigarillos mit Menthol, die Marke fällt mir gerade nicht ein, Tatiana Marlboro Gold.“

„Sie haben den Wagen dann am folgenden Montag als gestohlen gemeldet. Weshalb haben Sie so lange gewartet?“

„Ich konnte meine Freundin erst am Sonntagabend erreichen. Ich wollte sicher sein, dass nicht sie mit dem Auto unterwegs ist. Es hätte mich allerdings sehr erstaunt, wenn sie den Wagen einfach genommen hätte, ohne mich zu fragen. Das tut sie nämlich immer.“

„Sie haben Ihre Freundin das ganze Wochenende über nicht gesehen?“

„Das ist so, ja. Sie wollte die Tage mit Lernen verbringen.“

„Gut, ich denke, das war’s fürs erste. Danke für diese Informationen.“

„Und was ist denn nun mit meinem Jaguar? Wann bekomme ich ihn wieder? Es ist nämlich etwas kompliziert um nicht zu sagen anstrengend, jeden Tag mit dem Zug nach Brüssel und zurück zu fahren.“

„Die Spurensicherung ist noch mit ihm beschäftigt. Ich denke aber, Sie werden ihn schon bald zurück bekommen. Wir werden Sie informieren, wann Sie ihn abholen können.“

„Ist er denn in einem guten Zustand? Ich meine, keine Kratzer, keine Beulen oder sonst was? Wurde mit ihm etwa Unfug getrieben?“

„Er ist in tadelloser Verfassung. Wann übrigens haben Sie ihn letztmals gewaschen?“

„Das erledige ich immer samstags. Ich bringe ihn in die Waschanlage gleich am Anfang dieser Straße. Die machen das wirklich super. Innen und außen.“

„Sehr schön. Sie hören also von uns.“ Kira erhob sich und reichte dem Professeur die Hand. „Sollten noch Fragen auftauchen, werden wir uns bei Ihnen melden.“

Sie verließen den Wintergarten. Im Eingangsbereich trafen sie auf Val. Der Professeur geleitete sie zur Türe und schloss diese hinter ihnen.

„Und, hat Hanna etwas gehört oder gesehen?“

Val seufzte: „Nein, nichts. Ihr Schlafzimmer liegt auch auf der Rückseite des Hauses. Sie war zwar bis nach Mitternacht wach, hat aber Fern gesehen. Und da sie nicht mehr so gut hört, wie sie selber sagt, läuft ihr Fernseher relativ laut. Sie meint, sie hätte ein wegfahrendes Auto nicht hören können. Und sie verfügt über einen ausgezeichneten, sehr tiefen Schlaf.“

„Schön für sie“, spöttelte Kira.

Auf dem Gehweg kam ihnen ein Junge auf einem Skateboard entgegen, umkurvte sie elegant und rief ihnen lachend zu: „Na, habt ihr die Blonde schon festgenommen?“

„Hey“, rief Val ihm hinterher, „wen meinst du?“

Er winkte ihnen nur zu und war auch schon um die Ecke verschwunden.

„Was war das denn? Wen meint er?“, wandte sie sich an Kira.

„Vielleicht die Freundin des Professeurs? Die sollten wir uns mal näher anschauen. Sie raucht Marlboro Gold. Vorher statten wir aber der Waschanlage am Ende der Straße einen Besuch ab. Mal sehen, wann die den Jaguar letztmals gesehen haben.“

Brüssel – Polizeigebäude 7. Stock

„Dale, ich habe Carl für dich“, meldete sich Grace, „ich stelle durch“.

„Dale, was habt ihr? Die machen mir hier die Hölle heiß. Vor allem dieser Lackaffe von Innenminister kriegt sich vor Aktionismus gar nicht mehr ein. Morgen früh will er eine Pressekonferenz einberufen, also was haben wir?“

„Nichts.“

„Sag mal, machst du Scherze?“

„Hört es sich für dich so an?“

„Scheiße, und was soll ich nun diesem Sesselfurzer auftischen? Ganz zu schweigen von den ganzen Pressefuzis…“

„Nun beruhige dich erst mal wieder, Carl. Das tut deiner Gesundheit besser.“

„Bist du etwa meine Krankenschwester oder was?“, brüllte Carl ins Telefon. Dale hielt vorsorglich den Hörer etwas auf Distanz zu ihrem Ohr.

„Zum Glück nicht. Also hör zu, wir setzen uns heute um 14.00 Uhr zusammen. Bis dann sollten Val und Kira aus Antwerpen zurück sein. Ich schlage vor, du hörst dir an, was wir haben.“

„Seht zu, dass ihr anständigen Kaffee da habt“, damit beendete Carl das Gespräch.

„Grace, hast du was von Val und Kira gehört?“

Grace, die gerade mit einer Tasse Kaffee das Büro betrat, nickte: „Kira hat mir eine Audio-Datei geschickt. Die bin ich gerade am Tippen. Genauer: ich lasse tippen, Cortana macht das nicht schlecht.“

„Dann wirst du bis 14.00 Uhr fertig?“

„Klar.“

„Ich habe eine Sitzung auf 14.00 Uhr anberaumt. Carl steht kurz vor einem Herzinfarkt, würde ich sagen.“

„Tut er das nicht immer?“, entgegnete Grace schulterzuckend. Dale lächelte leicht säuerlich.

Ardennen – Hohen Venn

Der VW Tuareg bog auf den Parkplatz der Baraque Michel. Ursprünglich eine winzige Hütte im Moor ist sie heute eine Mischung aus urig gemütlicher Fuhrmannskneipe und heimeliger Gaststätte im Hohen Venn. Diese Moorlandschaft, im östlichen Teil der Ardennen, wird Sommers wie Winters gerne als Ausflugsziel gewählt. Sei es um zu Wandern und einen der Lehrpfade zu erkunden oder um Rad zu fahren.

Die Männer, der eine groß und kräftig gebaut, der andere klein und rundlich, die dem VW entstiegen, schienen etwas in diese Richtung geplant zu haben. Sie nahmen von den Rücksitzen ihre Rucksäcke und liefen auf die Baraque Michel zu, wandten sich jedoch der links liegenden Kapelle Fischbach zu und begaben sich auf den Moorweg Neue Vekée, der direkt in die Moorlandschaft hinein führt. Da dieser Weg auf einem schulterbreiten Holzweg verläuft, kamen sie gut voran.

Nach circa einer halbe Stunde kam ihnen ein älteres Ehepaar entgegen. Um Platz zu machen, mussten die beiden Männer einen seitlichen Schritt ins Moor tun. Beider Schuhe sanken bis zur Hälfte ein, was ein schmatzendes Geräusch hervorrief, als sie aus dem Sumpf wieder auf den Holzsteg zurücktraten.

Am Ende des Steges, nach ungefähr dreieinhalb Kilometern, setzte sich der Weg, in einer breiten Waldschneise, außerhalb des Moores fort. Die beiden erreichten das markante „Kreuz der Verlobten“.

An dieser Stelle fand 1871 ein Zöllner die im Schneesturm erfrorene Marie Solheid. Ihr Verlobter lag zwei Kilometer entfernt tot im Schnee. Das junge Paar war auf dem Weg nach Xhoffraix gewesen, um die Papiere für seine Trauung zu besorgen und von einem Schneesturm überrascht worden, wie eine Informationstafel zu berichten wusste.

Die beiden Männer schritten am Kreuz vorbei und bogen dann links davon in einen schmalen Weg ein. Nach wenigen hundert Metern erreichten sie den Vennbach. Zwischen den Birken und Fichten hindurch, über Büschel von Pfeifengras und Steinen, folgten sie seinem Verlauf. Die Sonne, milchig scheinend, zauberte einen goldigen Schimmer in den mäandernden Bach. In den nun immer dichter stehenden Bäumen konnte man eine Holzhütte ausmachen. Die Männer steuerten sie an. Der Große hatte keine Mühe, den Schlüssel, der sich auf dem Türrahmen befand, zu erreichen. Er schloss die Türe auf und sie traten ein. Der siebzig Quadratmeter große Raum war spartanisch eingerichtet. Eine Kochnische, bestehend aus Spülstein, Herd, Ofen und Kühlschrank befand sich auf der rechten Seite des Raumes. Auf der linken Seite, gleich beim Fenster, stand ein zwei auf zwei Meter vierzig großes Bett. Ein Paravent trennte es vom übrigen Raum ab. Durch die Fenster, je zwei auf jeder Seite des Raumes und eines neben dem Eingang, drang etwas Sonnenlicht herein.

Die Männer schoben den Tisch und die zwei Stühle zur Seite. Durch die Öse, welche in einer der Holzplanken eingelassen war, schob der eine einen Holzstab, der neben dem Herd an einem Nagel gehangen hatte, und hob die in den Boden eingelassene Holztür an. Über eine Strickleiter gelangten die beiden nach unten.

Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. War es Morgen oder Abend? Er hatte auch keine Ahnung, wie er hierhergekommen war.

Vorsichtig setzte er sich auf und schaute sich um. Der Raum lag im Halbdunkeln. Durch eine kleine Ritze am Fenster, es war mit Brettern zugenagelt, drang etwas Licht hinein. Es musste also Tag sein. Jemand hatte ihn auf die schmale Pritsche, die gleich neben dem Fenster stand, gelegt. Seine Kehle fühlte sich kratzig an und er hatte Durst. Außer der Pritsche war da noch ein Lavabo, direkt neben der Tür. Gleich daneben die WC Schüssel. Er inspizierte die Türe. Eine Metalltüre, welche sich nur von außen öffnen und schließen ließ. Als er den Knauf des Wasserhahns drehte, es gab nur einen, kam erst mal nur Luft, dann spritze das Wasser ihn voll, bevor es sich beruhigte und sich zu einem gebündelten Strahl sammelte. Er ließ etwas Wasser in seine hohle Hand fließen und kostete einen kleinen Schluck davon. Es schien in Ordnung zu sein. Kein Chlorgeschmack. Er löschte seinen Durst. Danach zog er sein Jackett aus, um es zum Trocknen aufzuhängen. Das Fenster hatte glücklicherweise einen Griff. An diesen hängte er das Jackett, nicht bevor er sämtliche Taschen auf ihren Inhalt durchsucht hatte. Nichts. Das war ja zu erwarten gewesen. Brieftasche, Handy, Schlüssel – alles weg. Wenigsten konnte er das Fenster öffnen und schließen.

Nun, da es offen war, drang kühle Luft in den Raum. Er setzte sich wieder auf die Pritsche und dachte nach. Woran konnte er sich erinnern?

Richtig, er war aufgestanden, und hatte sich wie jeden Morgen unter die Dusche gestellt. War das gestern gewesen? Oder Vorgestern?

Er zwang sich, weiter zu denken. Cecilia war schon früher aufgestanden, um das Frühstück zuzubereiten. Als er in die Küche kam, war der Kaffee schon bereit, das Brot duftete angenehm, die Eier brutzelten in der Bratpfanne, zusammen mit dem Speck. Von den beiden Jungen war nichts zu hören, obwohl es eigentlich höchste Zeit für sie war, um aufzustehen. Er hatte sich an den gedeckten Tisch gesetzt, nachdem er sich eine Tasse Kaffee eingegossen hatte. Cecilia war die Jungs wecken gegangen und hatte sich dann zu ihm an den Tisch gesetzt. Sie hatte ihn gefragt, ob er wirklich nach Brüssel gehen wolle.

Am Abend zuvor hatten sie sich deswegen gestritten. Sie hatte ihm klar zu machen versucht, wie wichtig es für sie sei, morgen nach Brüssel zu reisen. Ihre Argumente waren durchaus überzeugend gewesen, musste er zugeben. Aber auch er fand es ungemein wichtig, am nächsten Tag in Brüssel zu sein. Und so argumentierten sie hin und her. Schließlich schlug er vor, sie könnten doch beide nach Brüssel reisen. Cecilia hatte ihn nur angeschaut und dann gefragt, ob sie denn die beiden Jungen vielleicht im Handgepäck mitnehmen wollten? Leicht genervt antwortete er, es müsse doch möglich sein, für einen Tag jemanden zu finden, der auf die beiden aufpassen würde. Klar, kein Problem um diese Zeit jemanden anzurufen und zu fragen, ob er wohl in ein paar Stunden hier sein könne, erwiderte Cecilia.

Da war es bereits Mitternacht gewesen. Wie häufig, wenn sie solche Diskussionen führten, kamen seine Eltern ins Spiel und warum sie keinen Kontakt mehr zu ihnen hatten. Er war dann aufgestanden und ins Bett gegangen.

Nun war es Morgen und er unterbreitete ihr seinen Kompromissvorschlag. Er würde bis Mittag in Brüssel sein, und dann wieder nach Stockholm zurückkommen. Sie könnte dann am Nachmittag nach Brüssel reisen. So würden sie beide an den Sitzungen, die ihnen so wichtig waren, teilnehmen können. Cecilia überlegte nicht lange. Sie umarmte ihn und gab ihm einen Kuss. Der Morgen war gerettet.

Als die beiden Jungs, noch ziemlich verschlafen, in die Küche kamen, fanden sie ihre Eltern in bester Laune vor.

Er hatte dann eine kleine Tasche mit dem Nötigsten gepackt, und ein Taxi bestellt. Auf dem Weg zum Flughafen rief ihn Cecilia an und teilte ihm mit, dass er seinen Pass zu Hause liegen gelassen hatte.

Und dann? An alles weitere konnte er sich nicht mehr erinnern. War er ins Flugzeug gestiegen? Dazu hätte er den Pass gebraucht.

Denk nach, denk nach. Ich muss nachdenken. Es muss mir doch wieder einfallen! Aber da kam nichts, so angestrengt er es auch versuchte.

In diesem Augenblick machte sich jemand an der Türe zu schaffen. Eine Klappe wurde zur Seite geschoben. Sie war im oberen Teil der Türe eingelassen, auf Augenhöhe. Ein Tablett mit einem Glas und einem Teller darauf wurde durchgeschoben. Er stand schnell auf und griff nach dem Tablett. Bevor er auch nur einen Blick durch die Klappe werfen konnte, wurde sie wieder zugeschoben.

Auf seine Frage, wo er denn sei und was sie mit ihm vorhätten, bekam er keine Antwort. Wenigstens hatten sie ihm etwas zu essen gebracht. Auf dem Teller befand sich ein Stück Brot, belegt mit einer Scheibe Schinken. Das Glas war mit Wasser gefüllt. Gierig verschlang er das Brot.

Es mussten wohl fünf Minuten vergangen sein, als sich die Klappe wieder öffnete und eine Stimme das Tablett verlangte. Er reichte es durch die schmale Öffnung und fragte: „Wo bin ich? Warum bin ich hier? Was haben Sie mit mir vor?“

Er bekam keine Antwort. Auch dieses Mal hatte er nichts erkennen können. Eine männliche Stimme. Und er hatte französisch gesprochen. Hieß das, dass er in Brüssel war? Die drei Worte waren zu wenig gewesen, als dass er hätte sagen können, ob es ein Französisch mit oder ohne Akzent gewesen war. Er musste sich eine Strategie ausdenken, um die Person länger an der Klappe verweilen zu lassen.

Mangels Sitzgelegenheit legte er sich wieder auf die Pritsche.

Angenommen, überlegte er, dies hier war eine Entführung, dann würden sie wohl Geld erpressen wollen, für sein Freikommen. Bei wem würden sie ihre Forderung stellen? Bei seinem Arbeitgeber nicht, das war schon mal klar.

Der Gedanke, dass die Entführer eine Geldforderung bei seiner Uni deponieren könnten, brachte ihn, trotz seiner misslichen Lage, zum Schmunzeln.

Bei ihm und Cecilia war auch nichts zu holen. Sein Verdienst reichte gerade so. Cecilias Einkommen war ein willkommener Zustupf und wurde sorgsam auf die Seite gelegt.

Sie würden erstmals, seit die Jungs auf der Welt waren, eine Reise machen können. Viel Luxus würden sie sich nicht gönnen können, aber die Reise an sich war ja schon Luxus genug.

Somit blieben als potenzielle Geldgeber nur noch seine Eltern. Und die hatten wirklich schön viel Geld. Da war was zu holen.

Nur – er war sich gar nicht sicher, ob sie Lösegeld zahlen würden. Wie lange hatte er sie nun schon nicht mehr gesehen? Elf oder zwölf Jahre?

Es mussten wohl elf Jahre her sein. Er hatte Cecilia 2004 kennen gelernt, und sie kurz darauf seinen Eltern vorgestellt. Sie hatten sie sofort abgelehnt. Keine Adlige, kein Geld, und dann auch noch eine Same! Definitiv nicht das, was sie sich als Schwiegertochter wünschten.

Kurzes Drehen des Schlüssels, dann wurde die Türe geöffnet und ein kleiner, rundlicher Mann, er trug eine Sturmhaube, betrat den Raum. Er reichte Peter von Lohe wortlos eine Zeitung und bedeutete ihm, sich diese vor die Brust zu halten. Dann zückte er sein Smartphone und machte ein paar Fotos. Anschließend verlangte er die Zeitung zurück.

Es war die Le Soir vom 25. Juli 2015.

„Was wollt ihr von mir?“ fragte von Lohe den Mann.

Der schüttelte nur den Kopf und verließ den Raum wortlos.

Gut, nun wusste er wenigstens, wie viele Tage er schon festgehalten wurde. Er hatte seinen Flug für den 21. Juli gebucht gehabt. Und die Le Soir ist eine Brüsseler Zeitung.

Brüssel – Polizeigebäude 4. Stock

Das Sitzungszimmer bot für zwanzig Personen Platz. Ausgestattet mit Flipchart, TV-Bildschirm und Beamer gehörte der Raum zu den am besten ausgerüsteten im ganzen Polizeigebäude.

Dale, gefolgt von Val und Kira, betrat den Raum. Lisbeth war bereits da und machte sich an einem Laptop zu schaffen, der an den TV-Bildschirm angeschlossen war.

Die Frage von Dale, was sie da mache, ignorierte Lisbeth.

Vom Gang her waren Stimmen zu hören und es dauerte nicht lange, da erschien Carl Stoltenberg in der Türe, schaute sich kurz um, und trat dann ein. Dicht gefolgt von drei Männern und einer Frau. Carl bat alle, Platz zu nehmen.

„Meine Damen und Herren, bevor ich Sie einander vorstelle, möchte ich Sie darüber informieren, dass wir hier auf Wunsch der Europol zusammen gekommen sind. Ich wurde gebeten, eine Sonderkommission zu bilden.“

Carl, der bis dahin Französisch gesprochen hatte, fragte in die Runde, ob jemand Probleme damit habe, wenn die Sitzung in Englisch fortgeführt würde werden.

Da sich niemand meldete, fuhr er also in Englischer Sprache fort: „Ich mache Sie nun miteinander bekannt, bevor wir uns erklären lassen, weshalb diese Sonderkommission ins Leben gerufen wurde.“

Er wies auf den hochgewachsenen, dunkelhäutigen Mann zu seiner rechten Seite: „Jack Warner, bei der NSA zuständig für Europa.“

Jack Warner, ein Mann Mitte fünfzig, kurz geschnittenes, krauses schwarzes Haar, ließ seinen Blick kurz über alle Anwesenden schweifen, nickte kurz in alle Richtungen, ein angedeutetes Lächeln auf seinen Lippen.

Carl fuhr mit dem Mann zu seiner Linken fort. Körperlich äußerst kurz geraten, hätte man ihn glatt übersehen können. Nicht zu übersehen waren seine Muskeln. Seine Angewohnheit, den Oberkörper hin und her schwingen zu lassen, die Arme dem Körper etwas zeitversetzt folgend, drohte den Nähten seines Anzuges massiv mit Sprengung. Die Hosen hatte er mit einem Gürtel so fest um die Hüften gezurrt, dass er damit seinen Fußknöcheln viel Luft verschaffte und den Blick auf seine braunen Socken zuließ. Die passten perfekt zu seinem gelben Pullover, den er unter seinem kobaltblauen Anzug trug, und zu seinen schwarzen Lackschuhen. „Hermann Müller, Europol.“

Hermann Müller erhob sich, führte seine Hände vor seinem Bauch zur Raute zusammen und wandte sich mit einem gut vernehmlichen „Guten Tag meine Damen und Herren. Ich freue mich außerordentlich, Sie kennen zu lernen“, an die Runde. Seine Worte unterstrich er mit fortdauerndem Nicken, wie eine Taube es tut, wenn sie sich fortbewegt. Die wenigen aschblonden, zurück gegeelten Haare auf seinem Kopf ließen sich nichts anmerken. Sie behielten Haltung. Jedes einzelne an seinem Platz.

Nachdem Carl dem taubenähnlichen Kanarienvogel einen skeptischen Blick zugeworfen hatte, wandte er sich der jungen Frau zu, die sich am Laptop zu schaffen machte. Ihre Piercings in Nase und Lippe glitzerten immer mal wieder auf, je nach Licht, welcher der Bildschirm absonderte. Der ausrasierte Nacken ließ den Blick auf ein Tattoo zu, welches wohl einen großen Teil des Rückens bedeckte. „Lisbeth, steht die Verbindung nach Stockholm?“

Lisbeth nickte, nahm die Fernbedienung zur Hand, drückte eine Taste und auf dem TV-Bildschirm erschien ein Mann, der hinter einem Schreibtisch saß.

Er schien nervös zu sein, immer wieder fuhr er sich hektisch über seinen grau-weißen Schnauzer. Passend zu seinem mürrischen Blick machten auch seine weißen Haare einen nicht unbedingt harmonischen Eindruck. Sie standen nach allen Seiten ab.

„Hallo Mikael, altes Haus, alles in Ordnung bei dir?“

Mikael schaute erst etwas verwirrt in die Kamera, dann entspannten sich die Gesichtszüge, er winkte, grinste: „Hallo Carl, natürlich ist nichts in Ordnung! Weißt du, wann ich zum letzten Mal Fritten mit Moules au vin blanc gegessen habe? Oder wann ich ein gepflegtes Trappistenbier getrunken habe? Ganz zu schweigen von einem Kwak?“, dröhnte Mikaels Stimme durch die Leitung.

„Ja, was? Soll ich dir das etwa einpacken und nach Stockholm schicken? Beweg deinen Hintern wieder mal nach Brüssel!“, entgegnete Carl. Mikael grinste noch breiter.

„Meine Damen und Herren, bei diesem Mann, der sich so ausgezeichnet in der belgischen Kulinarik auskennt, handelt es sich um Mikael Carlsberg, Chef der Stockholmer Polizei. Mikael, willst du uns deine Leute vorstellen?“

„Klar. Also, die junge Dame mit den roten Haaren liebt kompromissloses Vorgehen, bleibt dabei aber immer fair. Sie ist hartnäckig, ausdauernd und blitzgescheit. Mein bestes Pferd im Stall!“

„Vielen Dank Mikael für diese schmeichelhafte Vorstellung. Darf ich dich darauf hinweisen, dass nicht alles, was jünger ist als du, als „jung“ bezeichnet werden kann?“

„Das hatte ich noch nicht erwähnt. Trish Lundgren zeigt sich gänzlich immun für jedwelche Schmeichelei. Nun zu dem Herrn, der gleich neben ihr sitzt. Frisch von der Polizeischule zeigt er schon beachtliches Talent, was das Recherchieren anbelangt. Akribisch sammelt er Daten und wertet sie aus. Er ist mein bestes Fohlen im Stall!“

Der so beschrieben Kalle Storm verdrehte die Augen, nahm die Brille ab und meinte lapidar: „Da Sie alle nun einen Einblick in die Pferdezucht der Stockholmer Polizei erhalten haben, kann ich dem nur hinzufügen: Wir ernähren uns nicht von Hafer! Sie brauchen also die Kantinenverpflegung nicht zu ändern.“ Kalle setzte seine Brille wieder auf und schaute ganz ernst in die Runde.

Carl bedankte sich schmunzeln für die Wortmeldungen. „Lisbeth haben Sie ja bereits in Aktion gesehen. Sie ist unsere IT-Spezialistin. Seit zwei Jahren bilden Val Velasces und Kira Vasilis ein Team. Ganz erfolgreich, wenn sie sich denn nicht gerade zanken. Dale Dion übernimmt dann das Schlichten. Daneben leitet sie das Dezernat für Kapitalverbrechen der Brüsseler Polizei. Bestehen seitens der Damen Ergänzungswünsche?“

In diesem Moment öffnete sich die Türe und ein Tablett erschien im Türrahmen, vollgestellt mit Tassen, einer Zuckerdose, einer riesigen Kanne und einem kleinen Kännchen, gefolgt von einem Gesicht, umrandet mit blonden Locken, darin zwei große, fragende Augen.

Bevor das Gesicht etwas sagen konnte, war Mr Müller aufgesprungen und mit wenigen Schritten beim Tablett, nahm es dem Gesicht ab und stellte es auf den Beistelltisch neben dem Eingang.

Das Gesicht hatte inzwischen zu strahlen begonnen und sprach: „Wie zuvorkommend von Ihnen, vielen Dank. Ich dachte, etwas Kaffee könnte nicht schaden“, flötete es.

Es wollte gerade fortfahren, wurde aber von Dale unterbrochen, die sich an Carl wandte und ihn darauf hinwies, dass das Gesicht so eine Ergänzung wäre, nach der er gefragt hatte.

Der schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn: „Wie konnte ich das vergessen. Meine Damen und Herren, darf ich Ihnen die gute Seele unserer Abteilung vorstellen: Grace. Sie suchen etwas? Etwas fehlt? Wenden Sie sich an Grace. Sie wird nicht ruhen, bis eine Lösung gefunden ist, nicht wahr Grace?“

Grace stahlt, klatschte begeistert in die Hände und rief dann: „Dazu bin ich da!“ Sie nickte auffordernd in die Runde und verabschiedet sich dann mit einem: „Ich bin dann mal in meinem Büro.“

„Nun, Mr Müller, wenn es Ihnen recht ist, wäre es jetzt wohl angebracht, uns über den Grund dieses Zusammentreffens zu informieren.“

Hermann Müller nickte eifrig, blätterte eine Seite in seinem dicken Buch zurück, überflog sie kurz und erhob sich. Während Carl und Mikael ihre Leute vorgestellt hatten, hatte Müller unablässig in sein Buch geschrieben.

„Erst mal möchte ich mich bei Ihnen allen bedanken, dass Sie es so kurzfristig einrichten konnten. Ihnen Mr Stoltenberg und Mr Carlsberg danke ich, dass Sie Ihre besten Leute für diese Sonderkommission zur Verfügung stellen. Diese geballte Fachkompetenz, welche wir hier in unserem Team vereinen, stimmt mich zuversichtlich. Wir werden die Täter finden und dingfest machen!“

Müller hatte nicht nur seinen Mund sondern auch seine Hände sprechen lassen. Die Wangen gerötet, die wasserblauen Augen enthusiastisch weit geöffnet, schien er nun zum Wesentlichen kommen zu wollen. „Europol hat, wie Sie sicher wissen, sein Hauptquartier in Den Haag. Wir beschäftigen da 940 Leute. Trotz dieser Anzahl ist es für uns unerlässlich, mit den Polizeieinheiten in den einzelnen Ländern eng zusammen zu arbeiten…“ Es folgten weitere und weitere und noch mehr Ausführungen zu Europol und deren Arbeit.

Carl hatte begonnen, leicht mit den Fingern seiner rechten Hand auf den Tisch zu trommeln. Dann wurde es ihm zu bunt. Er hob die Hand.

Hermann Müller schien sie erst gar nicht zur Kenntnis zu nehmen. Mitten in der Beschreibung der Gebäude, die einige Europol-Angestellte letzthin bezogen hatten, unterbrach er sich und lächelte Carl freundlich zu: „Ja, Mr Stoltenberg?“

„Ich unterbreche Sie nur ungern, zumal Ihre Ausführungen von äußerstem Interesse sind. Vielleicht bekommen wir diese bei einer anderen Gelegenheit zu hören? Wie wäre es, wenn Sie nun zu den Fakten kommen würden?“