Eulenflucht - Emily Kay - E-Book

Eulenflucht E-Book

Emily Kay

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Beschreibung

"Wenn Deine Liebe alle in Gefahr bringt, die Du liebst ... " *** Ich schwankte, als die Fensterscheiben barsten und ich mit meinem Kopf gegen eine Wand schleuderte. Etwas glitt aus meinen Händen. Ein Geigenkasten. Jetzt zerbrochen. Benommen sah ich auf einen jungen Mann vor mir, der ebenfalls gestürzt war. Er richtete sich auf und drehte sich um. Ich blickte in seine wunderschönen smaragdgrünen Augen, als er meinen Namen rief: Elisaaabeeeth!*** Immer wieder träumt Mae den gleichen Albtraum, der scheinbar keine Verbindung zu ihrem Leben hat. Und trotzdem lassen sie die Traumbilder und Gefühle nicht los. Wenig später tauchen Sam und Konrad auf - zwei rätselhafte Brüder. Mae spürt vom ersten Augenblick eine Anziehung zu Sam, die sie sich nicht erklären kann. Noch ahnt sie nicht, dass die Brüder ein dunkles Geheimnis umgibt, das mit ihr verbunden ist. Ein Schicksal, das nicht gebrochen werden kann. Eine Liebe gegen jede Vernunft. Denn sie zerstört die Menschen, die Mae liebt.

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Seitenzahl: 396

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Emily Kay

»Eulenflucht«»Durch die Nacht«

On March the 10th, 2010a part of my childhood has passed away forever.This book is dedicated to my favorite “Lost Boy”Corey Ian Haim.R.I.P.

(December 23, 1971 – March 10, 2010)

Die Autorin:

Emily Kay (geb. 1974) gehört zu der Generation der Kassettenkinder. Im Alter von drei Jahren bekam sie ihr erstes batteriebetriebenes Tonbandgerät geschenkt und ist seitdem bekennende Anhängerin deutscher Hörspielserien. In ihrem Kinderzimmer malte sie mit Begeisterung erste Geschichten und vertonte diese mithilfe ihres Rekorders. Seit ihrer ersten Begegnung mit Rüdiger, dem kleinen Vampir von Angela Sommer-Bodenburg, schlägt ihr Herz für den Zauber der Nacht. Nach dem Abitur studierte sie zunächst Anglistik, Germanistik und Pädagogik und leitete ein Bildungsinstitut. Heute lebt sie mit ihrer Familie und zwei Katzen zwischen unzähligen Büchern und Hörspielkassetten mitten im Ruhrgebiet und widmet sie sich der Schreiberei. Ihr Debut „Eulenflucht – Durch die Nacht“ ist der Auftakt einer fantastischen Trilogie.

»Durch die Nacht«Mit dem Gutschein-CodeEmilyKay2011erhalten Sie auf der Websitewww.Elysion-Books.comeine kostenlose Zusatzgeschichteals PDF-Download. Einfach registrieren!WWW.Elysion-Books.com

Elysion-Books E-Book1. überarbeitete Auflage: Juni 2011

Originalausgabe © 2011 by Elysion Books, Gelsenkirchen All rights reserved Sämtliche Namen, Orte, Charaktere und Handlungen sind frei erfunden und reine Fiktion der Autorin. Alle Ähnlichkeiten mit Personen, lebend oder tot, sind Zufall. Umschlaggestaltung: Ulrike Kleinert www.dreamaddiction.de Layout & Werksatz: Hanspeter Ludwig www.imaginary-world.de ISBN EPUB 978-3-942602-97-6

Mehr himmlisch heißen Lesespaß finden Sie aufwww.Elysion-Books.com

Inhalt

Prolog

Aufgewacht

Wahrheit und Täuschung

Der Held und der Narr

Unverhofft und plötzlich

Glück und Pech

Alt und Neu

Mythos und Wahrheit

Traum und Wirklichkeit

Abschied

Der Geburtstag

Wahrnehmungen

Offenbarung

Zwischenspiel

Wiedergeburt

Wechselspiel

Schutzlos

Epilog

Danke!

Quellenverzeichnis

»Es wird aussehen, als wäre ich tot, und das wird nicht wahr sein…« (aus: »Der kleine Prinz«, Antoine de Saint-Exupéry)

Prolog

Dresden, 14. Februar 1945. Aschermittwoch.

Ich saß zusammen mit meinen Eltern und meiner Schwester in der Wohnstube, als gegen 21.45 Uhr der erste Fliegeralarm begann. Wir ließen alles liegen und rannten aus der Wohnung, raus auf den Flur. Dort befanden sich auch schon die restlichen Bewohner des Hauses an der Strehlener Straße 12. Wir rannten mit ihnen hinunter in den Keller und kauerten uns in eine Ecke. Das immer lauter werdende Geheul der Sirenen bedeutete nur eines: Vollalarm! Doch damit nicht genug, um 1.30 Uhr erklangen erneut die Sirenen und das Geschehen wiederholte sich. Raus auf den Flur, runter in den Keller, flach auf den Boden legen. Das dumpfe und immer lauter werdende Summen der Bomber, welches sich zu einem brausenden Sturm verdichtete und die Angstschreie der Kellerinsassen übertönte. Das Licht ging aus, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Krachen in der Nähe unseres Hauses. Der Kellerraum wackelte, wie bei einem Erdbeben. Ich weiß nicht, wie oft sich das Überflogen-werden wiederholte. Wir lagen flach auf dem kalten Kellerboden, hielten uns die Ohren zu und ich betete in Gedanken verzweifelt das »Vater Unser«, hoffte auf Gottes Gnade, und darauf, dass unser Gebäude verschont bliebe und wir den nächsten Tag erleben durften. Meine kleine Schwester weinte und drückte sich zitternd an meine Mutter, die sie nur hilflos mit ihrem Körper schützte. Ich hörte das nächste Geschwader kommen, meine Kehle schnürte sich zu und die Todesangst war allgegenwärtig. Der nächste Einschlag schlug mit solch einer Wucht auf, dass das Kellerfenster aufsprang und wir vom gleißenden Licht geblendet wurden. Weitere Einschläge folgten und das Wimmern und Weinen schwoll an. Im Keller war es heiß. Im Hof brannte es. Ich hatte keine Angst mehr, ich erwartete das Ende. Mein Zeitgefühl war mir gänzlich verloren gegangen. Der Angriff erschien endlos. Und dann wurde es still. Es war zwei Uhr morgens, als die Bombardierung endete und die Entwarnung kam.

»Ich glaube, es ist vorbei«, flüsterte Herr Kress ängstlich, der neben mir auf dem Boden lag und zögernd den Kopf hob. Eine Weile lauschten wir noch in die Stille hinein. Dann war ein erschöpftes Seufzen zu vernehmen und langsam richteten wir uns auf.

Mein Vater schaute uns angespannt an: »Geht es allen so weit gut? Ich hoffe, niemand ist verletzt?«

»Nein, niemand ist verletzt«, sagte der alte Mann neben mir, nach einem kurzen Blick in die Runde.

»Wir haben nochmal Glück gehabt, die Brandbomben wurden ziemlich nah an unserem Haus abgeworfen«, sagte mein Vater ernst und mit einer Denkfalte auf seiner Stirn. »Ich weiß nicht, ob es das Schicksal mit uns beim nächsten Mal wieder so gut meint.« Besorgt schaute er in die Augen der Anwesenden und fuhr mit einer eindringlichen, aber bestimmten Stimme fort: »Wir müssen Dresden so schnell wie möglich verlassen. Zu bleiben bedeutet, freiwillig auf einem Pulverfass zu verweilen.«

Leises Murmeln war zu hören.

»Wann ist so schnell wie möglich? Wann meinen Sie, wäre der beste Zeitpunkt, um aus Dresden sicher herauszukommen, ohne von einem neuen Angriff überrascht zu werden?«, fragte Herr Kress unsicher.

»Die Angriffe wurden bis jetzt immer in den Abendstunden oder während der Nacht geflogen. Daher sollten wir morgen bei Tageslicht aufbrechen. Je eher wir gehen, desto weiter sind wir bei der nächsten Angriffswelle weg.«

Einstimmiges Nicken war die Antwort, nur ich war entsetzt, aber das blieb von den Anwesenden unbemerkt.

»Dann ist es beschlossen. Bei Tageslicht werden wir aufbrechen. Bis dahin sollten wir noch etwas ausruhen, um bei Kräften zu sein. Ich werde so lange Wache halten.«

Mein Vater stand in der Mitte des Raumes, eingehüllt in einen dunklen Wollmantel, und wirkte wie Noah, der seine Schützlinge in die rettende Arche führte. Um mich herum legten sich die Kellerinsassen schlafen. Ich war die Einzige, die sitzen blieb und an die Wand starrte.

»Mach dir keine Sorgen, Elisabeth.« Mein Vater beugte sich zu mir hinunter und strich zärtlich mit seiner Hand über meinen Kopf. »Du wirst sehen, wir kommen sicher aus der Stadt heraus. Dann brauchst du keine Angst mehr zu haben. Ruhe dich ein wenig aus. Ich werde aufpassen, dass dir nichts geschieht.«

Er schenkte mir ein beruhigendes Lächeln und strich nochmals über meinen Kopf. Ich nickte tapfer, mit einem Kloß in der Kehle, und brachte sogar ein halbes Lächeln zustande. Mein Vater ging auf die Wand zu und setzte sich auf eine alte Holzkiste, die unter dem Kellerfenster stand. Ich legte mich auf die Säcke in der Ecke, rollte mich zusammen, umklammerte meinen Geigenkasten und starrte an die Wand. Mein Vater ahnte nichts von meinem Kummer, als sich meine Augen mit Tränen füllten und ich gegen meine Verzweiflung ankämpfte. Dieser Krieg machte alles kaputt! Der Gedanke daran, Samuel zu verlieren, krampfte meinen Brustkorb zusammen und nahm mir die Luft zum Atmen. Ich schluckte hart und bemühte mich, regelmäßig ein und aus zu atmen. Wenn ich nur wüsste, was er gerade dachte und wie es ihm nach dieser Nacht erging? Ich konnte Dresden nicht verlassen. Ich musste ihn sehen, musste Gewissheit bekommen, ob er überlebt hatte. Bei dem Gedanken, dass er umgekommen sein könnte, wurde mir heiß und kalt. Ich zitterte am ganzen Leib. Nein, diesen Gedanken durfte ich nicht haben, schalt ich mich. Samuel lebte. Ich würde ihn am nächsten Tag treffen, und vielleicht könnte ich ihn überzeugen, sich unserem Flüchtlingstreck anzuschließen, beruhigte ich mich. Eine Trennung von ihm kam nicht in Frage.

Ich wartete und tat, als würde ich schlafen. Erst nachdem ich sicher war, dass alle schliefen, sah ich auf. Mein Blick fiel auf meinen Vater. Seine Schultern hingen herab, und das Kinn lag auf seiner Brust. Er schlief, immer noch auf der Holzkiste sitzend. Mir blieb nicht viel Zeit, ich musste mich beeilen. Ich wollte hier raus. Nein, ich musste hier raus, um zu sehen, ob das Lyzeum noch stand. Dort traf ich mich nahezu täglich mit Samuel, Doktor Drachenberg, meinem Lehrer, und vier weiteren Kameraden, obwohl der reguläre Schulunterricht längst zum Erliegen gekommen war. Bei dem erneuten Gedanken, Samuel könnte etwas passiert sein, zog sich mein Magen zusammen, und eine leichte Übelkeit überkam mich. Ich musste hier unbedingt hinaus! Vorsichtig blickte ich mich um und lauschte auf die regelmäßigen Atemzüge der Schlafenden. Sollte ich es wagen, mich über den Willen meiner Eltern hinwegzusetzen? Sollte ich das Risiko eingehen, in einen Tieffliegerangriff zu geraten? Ich wollte meine Eltern nicht verlassen, aber vor allem musste ich wissen, wie es Samuel ging. Die Ungewissheit wurde immer unerträglicher, und mein Herz fühlte sich wie ein Nadelkissen an, in dem feine Nadeln steckten. Ich musste mich entscheiden. Ich schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Eines war sicher. Ich würde ganz auf mich allein gestellt sein. Vorsichtig erhob ich mich, griff nach meinem Geigenkasten, stieg leise über die Schlafenden hinweg und schlich zu der Holztür. Ich zog meinen Schal enger um den Hals und blickte noch einmal zurück auf meine schlafenden Eltern und meine kleine Schwester die ruhig und vertrauensvoll in den Armen meiner Mutter lag.

Mit einem wehmütigen Gefühl wandte ich mich wieder der grünen Kellertür zu, hielt angespannt die Luft an und drückte langsam und vorsichtig die Klinke nach unten, damit bloß kein verdächtiges Geräusch mein Vorhaben zunichte machte. Die Tür ließ sich geräuschlos öffnen, und ich trat aus dem Keller in den muffigen Flur. Leise schlich ich die Treppenstufen nach oben und tastete mich in der Dunkelheit bis zu der Haustür vor.

Es kostete einige Kraft, die schwere Holztür zu öffnen. Dann blickte ich in einen trüben Februarmorgen. Kein Geräusch war zu hören. Über der Straße hing der Rauch der Brände. Er verdunkelte den Himmel. In der Luft lag ein beißender, verbrannter Geruch, der beim Einatmen einen säuerlichen Nachgeschmack auf meiner Zunge verursachte. Ruinen umgaben mich und ich bemerkte erschüttert, dass ich vor dem einzigen heilen Haus in unserer Straße stand. Ich erschauderte und entschied, nicht weiter darüber nachzudenken, da mich sonst der Mut verlassen hätte, den Weg bis zum Lyzeum zu gehen. Die Umgebung erschien unwirklich und gleichzeitig bedrohlich. Samuel! Wenn er tatsächlich tot wäre, würde ich es spüren. Ich musste ihn finden!

Wider meiner Furcht ging ich mit schnellen Schritten los, bemühte mich darum, die gespenstische Kulisse zu missachten. Die Straße war menschenleer und ausgestorben. In der Ferne stiegen immer noch schwarze Rauchschwaden auf. Auf den Pflastersteinen lag der Schutt der Ruinen. Sie waren von einer schwarzen, rußigen Schicht überzog und Glassplitter von zerbrochenen Fensterscheiben lagen auf der ganzen Straße verteilt. Vorsichtig stieg ich darüber hinweg, stets darauf bedacht, in keine Scherben zu treten, die sich durch meine löchrigen Sohlen hätten bohren können.

Bleib ruhig, Elisabeth! Ganz ruhig! Alles ist in Ordnung, redete ich mir ein.

Immer wieder stieß ich auf Hindernisse und stolperte über umherliegende Trümmer. Bäume und zerrissene Drähte blockierten die Straßen. Mein Verstand hätte mich längst zurück zum Haus in die Strehlener Straße 12 geschickt, aber dieser hatte mich bereits verlassen. Ich hatte nur noch einen Gedanken: Samuel.

Auf halber Strecke zuckte ich unwillkürlich zusammen. Zwei patrouillierende Soldaten, mit umgeschnallten Gewehren, kamen mir entgegen. Bitte, lieber Gott, lass sie weitergehen, flehte ich. Sie kamen näher und musterten mich von oben bis unten, in ihren furchteinflößenden feldgrauen Uniformen, die am linken Ärmel schwarze Binden mit einem Hakenkreuz zierten. Die NS-Männer stellten sich mir in den Weg und sprachen mich an: »Guten Morgen das Fräulein, wo soll es denn so früh hingehen?«, fragte mich der kleinere von Beiden, während er mich mit zusammengekniffenen Augen prüfend ansah.

»Guten Morgen, die Herren. Ich … ich bin auf dem Weg zum Schulgebäude am Lukasplatz.« Eingeschüchtert blickte ich geradewegs auf die schweren, schwarzen Lederstiefel der Soldaten hinab, krampfte meine Hand um den Griff vom Geigenkasten und kämpfte gegen die ansteigende Panik.

»Zum Schulgebäude also. Und was gibt es dort Dringendes nach dieser Nacht?« Der größere Soldat betrachtete mich argwöhnisch.

Ich nahm all meinen Mut zusammen und blickte dem pausbackigen Mann direkt in die Augen. »Es gibt dort Unterricht … für … für mich und ein paar Kameraden. Ich wollte nachsehen, ob das Lyzeum noch steht.«

Die beiden Soldaten sahen sich verwundert an, als hätten sie mich nicht richtig verstanden. Der kleinere Soldat legte den Kopf schief und dachte anscheinend darüber nach, ob ich geisteskrank wäre.

Der größere reagierte zuerst. »Das Schulgebäude ist noch vorhanden, Fräulein. Aber Sie sollten sich nach der Bombardierung vielleicht um andere Dinge sorgen, als um den Unterricht. Es ist gefährlich für eine junge Dame, alleine durch die Straßen zu spazieren. Außerdem liegen Trümmer herum, und viele Straßen sind durch die Bombardierungen nicht mehr passierbar. Seien Sie vorsichtig. Niemand weiß, wann die nächsten feindlichen Tiefflieger angreifen werden.«

Er wechselte einen kurzen Blick mit seinem Begleiter. »Die Dame …« Er tippte zum Gruße an seine Mütze und beide setzten ihren Weg fort.

»Danke«, presste ich heraus, und die Anspannung fiel augenblicklich von mir ab. Die Schule ist nicht zerbombt, sie steht noch, jubelte ich in Gedanken. Mein Herzschlag beschleunigte sich, und ich fiel vor Erleichterung in einen zügigen Laufschritt. Das freigesetzte Glücksgefühl blendete die schwarzen Gemäuer um mich herum aus. Als ich die Straße zum Lukasplatz erreichte, spürte ich eine Welle der Erleichterung. In der Ferne erhob sich der eindrucksvolle Umriss des Schulgebäudes. Das zweistöckige Lyzeum stand direkt neben der Lukaskirche, die mit ihrem Glockenturm die Schule deutlich überragte. Es schien, als hielte das Gotteshaus schützend die Hände über die Schule. Die umliegenden Häuser waren stark beschädigt. Die großen Löcher in den Wänden der Westseiten ließen keinen Zweifel daran, dass sie jeden Moment einstürzen könnten. Mein Blick fiel auf das Zifferblatt der Turmuhr. Die goldenen Zeiger zeigten auf 7:26 Uhr. Das Uhrwerk funktionierte.

Ich lief weiter und näherte mich dem Portal. Sieben Steinstufen führten zum Eingang. Sie waren unbeschädigt. Ich blickte hinauf und stellte enttäuscht fest, dass die Schule verlassen war. Ich zögerte. Sollte ich umkehren? Umkehren in den Keller, in dem meine Familie mein Fehlen ganz bestimmt schon bemerkt hatte? Das hieße, Dresden zu verlassen und Samuel nie wiederzusehen. Nein, so leicht gab ich nicht auf! Ich presste meine Lippen zusammen und stieg entschlossen nach oben, setzte mich auf die oberste Stufe und stellte den Geigenkasten rechts von mir ab. Von hier war die Straße überschaubar und keine Bewegung konnte mir entgehen. Die Minuten dehnten sich wie Stunden. Meine Augen suchten die Straße ab, spähten nach links und rechts, ohne eine Menschenseele zu sehen. Erneut schaute ich auf die Turmuhr. 7:43 Uhr. Mir wurde kalt. Ich schlang meine Arme um meinen Körper und zog die Knie an die Brust. Mein Magen knurrte, aber daran war ich bereits gewöhnt. In den letzten Wochen hatte es nur unregelmäßige Mahlzeiten gegeben.

Plötzlich nahm ich aus meinem linken Augenwinkel eine Regung wahr. Eine Einbildung? Ein erster Sonnenstrahl erhellte den tristen Tag. Ich blinzelte, konnte aber nicht erkennen, ob die Bewegung wirklich war oder ich sie mir eingebildet hatte. Ich stand auf und hielt die Hände wie einen Schirm über meine Augen. Da war die Bewegung wieder. Im Wind wehte eine Reichsflagge, die durch eine Fahnenhalterung an einem Haus befestigt war. Die rote Fahne, in der Mitte eine runde weiße Fläche und darin das schwarze Hakenkreuz, flatterte nun deutlich erkennbar. Tief enttäuscht ließ ich die Hände sinken. Den aufkommenden Wind hatte ich nicht bemerkt. Ich setzte mich wieder, zog die Knie erneut an den Körper und umschlang sie. Meinen Kopf legte ich auf die Knie und schloss die Augen. Die aufkommende Müdigkeit fühlte sich schwer an. Ich durfte jetzt nicht einschlafen. Meine Gedanken wanderten zu Samuel.

Plötzlich hörte ich ein Geräusch. Ich schlug die Augen auf und blickte in die Richtung, aus der es zu kommen schien. Eine Gestalt lief die Straße entlang. Ich stand auf und starrte mit wild pochenden Herzen, angestrengt zu dem Jemand, der auf mich zulief. Mein Herzschlag setzte für einen kurzen Moment aus, und ich unterdrückte einen Schrei. Da war er! Keine fünfzig Meter von mir entfernt. Er ging geradewegs auf das Portal zu. Samuel trug seinen blauen Seemannspullover, eine graue Wolljacke, dunkle Hosen und auf dem Kopf saß eine Schiebermütze, unter der seitlich sein hellblondes Haar erkennbar war. Unter dem rechten Arm klemmte seine Zeichenmappe. Mir stockte vor Freude der Atem. Er lebte! Vor Erleichterung wäre ich fast nach vorne gefallen. Alles schien sich zu drehen. Ich wickelte hektisch den braunen Schal von meinem Hals und winkte ihm zu. »Samuel!«, schrie ich. »Samuel ich bin hier!«

Nun hatte er mich entdeckt und erwiderte stürmisch mein Winken.

»Elisabeth!«, rief er, während er auf mich zu rannte. Sein Gesicht war gerötet und die Schiebermütze saß nun schief auf seinem Haar.

Ich weinte vor Erleichterung, als er das Portal erreichte und die Treppen zu mir hinaufstürzte. Samuel fiel so stürmisch in meine Arme, dass es mir den Atem verschlug. Er presste mich fest an sich.

»Samuel!«, krächzte ich unter Tränen. »Ich wusste, dass du herkommen würdest!« Das intensive, befreiende Gefühl schmerzte in meinem Herzen. Samuel lebte und hielt mich in den Armen! Jetzt würde alles gut werden.

»Ich bin so froh, dass es dir gut geht. Die ganze Nacht habe ich mir die schlimmsten Gedanken gemacht«, keuchte er erleichtert in mein Ohr. Er schaute mich an. »Dir geht es doch gut, oder?«, fragte er verunsichert, als er meine Tränen bemerkte.

»Ja, mir geht es gut. Mir geht es sogar sehr gut, jetzt, wo du hier bist«, flüsterte ich, weil meine Stimme sonst versagt hätte. »Jetzt, wo ich dich sehe, erscheint alles nicht mehr so schlimm. Die letzte Nacht war grauenvoll, aber so schrecklich die Dinge sind, umso schöner ist jetzt dieser Moment, in dem wir uns haben.«

»Und dieser Moment wird bleiben.« Er nahm mein Gesicht sanft zwischen seine Hände und fuhr ernst und eindringlich fort: »Ich lasse dich nicht mehr alleine. Ich werde dich immer beschützen.«

»Versprichst du es mir?«, fragte ich mit einem Kloß im Hals. Samuels smaragdgrüne Augen blickten mich durchdringend an.

»Ich verspreche es«, sagte er. »Und wenn es das Letzte ist, was ich tun werde.«

Er beugte sich zu mir, und ich spürte den sanften Druck seiner Lippen auf meinen. Seine Liebe umgab mich, erhellte und erwärmte diesen Moment wie ein Sommertag. Alle Zweifel und Ängste waren verflogen. Es gab keine Furcht mehr. Ich gehörte zu Samuel und er zu mir. Unsere Leben waren auf immer miteinander verbunden.

Ich weiß nicht, wie lange dieser Kuss andauerte, als plötzlich eine bekannte Stimme hinter mir erklang. »Guten Morgen!«

Erschrocken wichen wir auseinander. Im Schuleingang stand Herr Doktor Drachenberg. Wie immer tadellos gekleidet in einem dunkelblauen Anzug und sauberen Schuhen, als ob es den Krieg nicht geben würde. Aus seiner Westentasche hing die goldene Kette seiner Taschenuhr.

»Guten Morgen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass sich außer uns noch jemand hier befindet.«

Er lächelte. »Ich war die ganze Nacht hier. Irgendwie bin ich gestern nicht dazu gekommen, nach Hause zu gehen, was sich letztendlich als Glück erwiesen hat. Nun kommen Sie erst einmal herein. Nach dieser Nacht sollten wir nicht länger draußen sein als notwendig.« Er forderte uns mit einer bestimmten Handbewegung auf, zu folgen, die keine Widerrede zuließ. Trotz seiner Autorität mochte ich ihn sehr. Er war humorvoll, gerecht und hatte in gewisser Weise Ähnlichkeit mit meinem Vater. Bevor ich das Schulgebäude betrat, schaute ich noch einmal zu der Turmuhr. Es war jetzt genau 8:04 Uhr.

Wir folgten Doktor Drachenberg in das Innere der Schule. Im Eingangsbereich gab es eine kleine Halle, von der aus nach links und rechts Flure zu den Klassenräumen führten, sowie die große dunkle Holztreppe, über die die höheren Geschosse erreicht wurden. Jedes Mal aufs Neue bewunderte ich die kunstvoll verzierten Fliesen auf dem Fußboden und den schönen hellen Putz an den Wänden. Heute fielen mir einige Risse in den Fliesen auf, und es gab auch Stellen, an denen sich der Putz von der Wand gelöst hatte.

»Hier herein, bitte.« Mein Lehrer deutete auf einen Klassenraum. Darin befanden sich links und rechts jeweils sechs Reihen heller, durchgängiger Bänke aus Buchenholz, in denen sonst vier Schüler pro Reihe saßen. Dazwischen war der Mittelgang. Vor den Bänken stand auf einer Erhebung das Lehrerpult, dahinter hing eine dunkle Tafel. Es roch nach Kreide. Wir setzten uns in eine der vorderen Bänke.

»Ich bin froh, dass Sie beide hier sind. Wie geht es Ihnen nach dieser Nacht?« Besorgt schaute er uns an.

Ich sah zu Samuel. Er zögerte einen Moment, bevor er sprach, wobei er seinen Blick auf die Zeichenmappe senkte. »Ich denke, wir sollten uns nicht beklagen. Viele Menschen hatten nicht so viel Glück wie wir. Ich war zu dem Zeitpunkt des Angriffes mit meinen Eltern im Wald.« Er lächelte kurz und zeigte dabei seine Wangengrübchen.

Ich schaute ihn überrascht an. »Warum wart ihr im Wald?«

»Als ich gestern am frühen Abend heimkam, hörten meine Eltern über den Volksempfänger heimlich das deutsche Programm aus London. Der Rundfunksprecher kündigte die Angriffe an«, erklärte er. »Wir sind dann fluchtartig in den Wald gelaufen.«

»Ich war mit meiner Familie im Keller. Wieso seid ihr nicht in euren gegangen?«

Samuel schüttelte den Kopf. »Weil unser Keller keinen ausreichenden Schutz vor den Bomben bietet. Im Wald haben wir uns in Splitterschutzgräben gesetzt.«

»Splitterschutzgräben?«

»Das sind große Gräben im Sandboden. Sie werden zu ebener Erde mit Holzstämmen abgedeckt, und darauf wird ein Sandhaufen geschüttet. Als der Luftangriff auf Dresden niederging, saßen wir eng aneinandergepresst in den Gräben. Von weitem konnten wir sehen, wie die Bomben einschlugen. Bei jeder Explosion rieselte etwas Sand auf unsere Köpfe …« Seine Stimme brach weg, und er hielt die Hände zu Fäusten geballt. Samuel schaute abwesend auf einen Punkt an der Wand und rang um Fassung. »Unser Haus in der Viktoriastraße gibt es bestimmt nicht mehr.« Samuels Blick verfinsterte sich.

Mein Lehrer schüttelte den Kopf, als ob er die Vorstellung aus seinem Kopf vertreiben wollte. »Da wirst du vermutlich richtig liegen. Ich konnte nur ein brennendes Meer aus Schutt und Asche aus der Ferne erkennen.«

»Was ist wohl aus den anderen geworden?« Ich hatte erneut einen Kloß im Hals. »Sie wohnten doch alle viel näher im Stadtzentrum …« Weiter konnte ich nicht sprechen. Ich dachte an meine Familie. Meine Familie, die im Keller in der Strehlener Straße 12 saß und wahrscheinlich schon krank vor Sorge war. Ich musste es Samuel jetzt sagen. Es wurde Zeit, dass er von dem Fluchtplan erfuhr und wir endlich diese Stadt verließen. Ich schluckte, holte tief Luft und setzte mit fester Stimme an: »Mein Vater möchte heute früh …«. Weiter kam ich nicht. In diesem Moment ertönten die Sirenen. Fliegeralarm!

Mitten am Tage!

Mir wurde es gleichzeitig heiß und kalt, ich erlitt einen Sekundenschock, der es mir nicht ermöglichte, mich zu bewegen.

»Wir müssen hier raus! Sofort! Die Schule hat keinen Keller!«, rief mein Lehrer.

Ich bemerkte, wie ich an den Armen hochgezogen wurde, mechanisch nach meinem Geigenkasten griff und meine Beine von selbst anfingen zu laufen. Mein Lehrer rannte direkt auf den Ausgang zu. Wir folgten ihm, Samuel hielt mich an der rechten Hand, in der anderen seine Zeichenmappe. Als wir aus dem Gebäude stürmten und die Treppen hinunterliefen, drehte sich mein Lehrer um und schrie über den Ton der Sirenen hinweg: »Los, beeilen Sie sich! Wir müssen rechts zum Amt, da gibt es einen Luftschutzkeller. Es ist gleich da drüben, wo die Reichsfahne hängt!« Er deutete auf ein Gebäude, ungefähr hundert Meter entfernt. Die Fahne kannte ich.

Doch da sahen wir sie am Horizont. Das Geschwader kam direkt auf uns zu. Der Himmel verdunkelte sich. Das Dröhnen hunderter Flugzeugmotoren wurde bedrohlich lauter. Und die ersten Bomben fielen.

»Oh mein Gott!« Mir sackten die Knie weg, und ich wäre auf der Straße aufgeschlagen, wenn Samuel mich nicht festgehalten hätte.

»Elisabeth! Sieh mich an! Wir schaffen das!« Er schüttelte mich.

»Zurück in die Schule! Wir schaffen es nicht bis zum Amt!«, schrie Doktor Drachenberg und winkte in die Richtung des Schulgebäudes. Wir rannten so schnell wie niemals zuvor in unserem Leben. Wir rannten um unser Leben. Wir erreichten die Steinstufen des Portals, als die Bomber das erste Mal über uns hinwegflogen. Mein Lehrer stieß die schwere Eingangstür auf und rannte hinein. Wir hinterher. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich bekam nur schlecht Luft. Trotzdem rannte ich weiter. Das brummende Geräusch der über uns hinweg ziehenden Bomber war jetzt ohrenbetäubend. Sie waren da! Schon kamen die ersten Einschläge. Es krachte so laut, dass ich vor Schreck fiel. Ich raffte mich aber sofort wieder hoch und lief weiter. Von draußen hörte ich das schrille Geheul der fallenden Bomben, das Bersten der Explosionen, und merkte, wie die Erde sich bewegte. Ich lief weiter.

In unmittelbarer Nähe ein neuer Einschlag. Durch den Druck barsten die Fensterscheiben, ich wurde gegen eine Wand geschleudert und schlug so heftig mit dem Kopf auf, dass mir die Sinne zu schwinden drohten. Mein Geigenkasten lag zerbrochen neben mir. Der Kalkstaub reizte ätzend meine Augen, und das Atmen fiel mir schwer. Vor mir sah ich Samuel und meinen Lehrer, beide waren gestürzt. Langsam breitete sich ein warmes Nass von meinem Kopf abwärts aus. Ich war zu benommen, um mich aufzurichten oder Furcht zu empfinden. Betäubt blickte ich den Gang entlang. Samuel richtete sich wieder auf, drehte sich um und sah mich am Boden liegen. Jede Bewegung schien mir zeitverzögert. Ich sah seine Augen. Er riss sie weit auf, stürzte in meine Richtung, öffnete seinen Mund und dann hörte ich die schönste Stimme, die ich je in meinem Leben gehört hatte. »Elisaaabeeeth!«

Ich wollte ihm antworten und öffnete meinen Mund. »Ich liebe dich, Samuel«, formten meine Lippen, aber es kam kein Ton aus meiner Kehle. Dann folgte wieder ein ohrenbetäubender Einschlag. Die Erde wackelte. Gleißend helles Licht blendete mich und mir wurde heiß. Auf einmal dann war es dunkel. Und still.

Aufgewacht

»Es ist 7 Uhr und hier ist Nordseewelle Rock Radio mit der Morning Show. Mein Name ist Danny Kluike und wir starten jetzt durch in eine neue Woche mit den neusten Hits. Hier kommen Linkiiiiin Paaaaark!«

Schweißnass schreckte ich hoch. Mein Herz schlug immer noch rasend schnell in meiner Brust, als hätte ich gerade einen 500-Meter-Sprint zurückgelegt. Was war los? Wo war ich? Ich rang nach Luft, richtete mich auf, blickte mich kurz um und sortierte meine wirren Gedanken.

»I dreamed I was missing, you were so scared. But no one would listen, `cause no one else cared. After my dreaming, I woke with this fear«, plärrte es aus dem Radio.

Unwillkürlich griff ich mir mit der rechten Hand an die Kehle und schloss die Augen. Es war wieder dieser Albtraum gewesen. Ihn träumte ich schon, seitdem ich denken konnte. Er war immer gleich und dennoch konnte ich mich beim Aufwachen niemals an Details erinnern. Das Einzige, was ich mit Sicherheit wusste, war, dass es um Leben und Tod ging. Außerdem hatte ich jedes Mal den Namen Elisabeth im Kopf. Ich kannte keine Elisabeth und hatte auch keine Ahnung wie sich dieser Name in meine Träume verirren konnte.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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