Evelinas Katzenzauber - Camilla Gripe - E-Book

Evelinas Katzenzauber E-Book

Camilla Gripe

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Beschreibung

Schwarze Magie ist vielseitig anwendbar: Man kann damit weisses in schwarzes Brot verwandeln, alte Damen in Ratten transformieren oder kleine Kätzchen zu Pralinen werden lassen. Doch um Wächterin der Wünsche zu werden, muss man jegliche Zaubertricks kennen und die Fachkunst der Magie beherrschen um die Wünsche anderer erfüllen zu können. Nicht nur Evelina möchte Wächterin der Wünsche und Zauberkünstlerin werden, sondern auch Doris, Tine, Agda und Regina möchten Magierinnen werden. Alle müssen sie noch viel Lernen um die Wünsche anderer zu erfüllen, doch wie es scheint ist Evelina am Besten dazu geeignet... – Eine humorvolle und unterhaltsame Geschichte.-

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Seitenzahl: 216

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Camilla Gripe

Evelinas Katzenzauber

Aus dem Schwedischen von Marianne Vittinghoff

Saga

Ebook-Kolophon

Camilla Gripe: Evelinas Katzenzauber. Aus dem Schwedischen von Marianne Vittinghoff. © 1990 Camilla Gripe. Originaltitel: Evalina på Puckeln. Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen 2016 All rights reserved.

ISBN: 9788711463741

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com - a part of Egmont, www.egmont.com.

1.

Es war ein grauer verhangener Spätwintertag. Grobkörniger Schnee bedeckte hie und da den Boden.

Auf einem abgelegenen Hügel, vor dem Hintergrund des dunklen Nadelwaldes, war eine Wäscheleine zwischen zwei knorrigen alten Birnbäumen gespannt. Am Waldrand standen einige alte Holzhäuser aus einem anderen Jahrhundert; ein kleines Häuschen, ein Stall, der im rechten Winkel zu einigen Nebengebäuden stand, in denen ein Plumpsklo, ein Holzverschlag und ein Geräteschuppen untergebracht waren, und ein niedriger, im Lehmboden eingegrabener Vorratskeller. Ein schmaler Pfad wand sich vom Haus schnurgerade an der Leine vorbei den Hügel hinauf. Noch schmalere Pfade liefen zwischen den Gebäuden und dem Keller.

Die Treppe zum Haus bestand aus einem halben Mühlstein, und an der Hauswand stand eine grün angestrichene Bank.

Der Ort lag weit ab von allem: Weit ab vom nächsten Dorf, weit ab von der Landstraße und noch weiter ab von einer Stadt. Die Zeit schien in Jahrhunderten, seit die Häuser gebaut worden waren, stehengeblieben zu sein. Der Ort nannte sich schlicht und einfach Pukkel, und seine Bewohnerin wurde von allen „Evelina von Pukkel“ genannt.

An so einem trüben Tag, wenn die Natur mit aller Farbe geizte, wirkte der Ort noch abgelegener und einsamer als sonst. Und dennoch fühlte man sich hier beobachtet, als ob überall Augen schweigend die kleinste Bewegung verfolgten. Es kam nicht oft vor, daß man Evelina begegnete. Niemand wußte so recht, auf welchen Wegen oder Pfaden sie gewöhnlich unterwegs war. Plötzlich konnte sie aus dem Wald treten, immer etwas auf dem Arm; einen Korb, einige Kräutersträußchen, oder wie jetzt, einen Korb voll Wäsche.

Sie geht rasch zu der Wäscheleine und fängt an, Wäsche aufzuhängen; Decken, Schals, Handtücher, Kissenbezüge, Schürzen und Blusen. Ab und an wenn der Wind so auffrischt, daß die Kleidungsstücke flattern, bevor sie sie glattgestrichen hat, brummelt sie wütend etwas vor sich hin.

Evelinas Alter ist ungewiß, vierzig, sechzig oder achtzig Jahre, das scheint zu wechseln. Keiner weiß es so genau. Sie war doch immer schon hier, genau wie das Haus und der Wald rundherum? Es heißt, daß sie zaubern kann. Manche sind mit hartnäckigen Ohrenschmerzen, Ekzemen oder anderen Leiden, die kein Arzt heilen konnte, zu ihr gegangen. Vielleicht ist sie also wirklich eine Zauberin.

Aber jetzt hängt sie gerade Wäsche auf, und das hat nichts Magisches an sich. Besonders, wenn ab und zu kleine Windstöße ihren Unfug mit ihr treiben, ihr die Leintücher ins Gesicht fliegen und die ganze Leine manchmal abhebt, so daß sie kaum noch hinauflangen kann. Und dabei brummelt sie so ziemlich die gleichen Tiraden vor sich hin wie die meisten von uns, wenn die Dinge nicht nach unserer Mütze gehen.

Aber plötzlich passiert etwas im farblosen Bild. Eine weitere Gestalt erscheint, ein Vierfüßler, eine Katze. Es ist eine runde, rote Katze mit schwarzen und weißen Flecken, mit weißen Pfoten und schwarzen Ohren.

Sie sieht aus wie ein Ausrufezeichen, die rote Farbe hebt sich leuchtend von dem vielen Grau, Schwarz und Weiß ab. Ihr Schwanz ist steil nach oben gerichtet, auch er wie ein Ausrufezeichen. Die Katze miaut laut. Evelina streicht eine schwarzweißgestreifte Schürze glatt, bevor sie sich zu der Katze wendet.

„Ja, was ist los, Cora?“

Die Katze geht zu dem Wäschekorb. Schaut mal zu dem Korb, mal ihr Frauchen an und miaut inständig.

„Aha, es ist wieder so weit. Ja, ja, aber gedulde dich, bis ich mit der Wäsche fertig bin.“

Die Katze läßt sich auf dem Boden nieder und wickelt ihren Schwanz um ihre weißen Pfoten. Wartet, verfolgt mit ihren türkisfarbenen Augen gespannt Evelinas Bewegungen zwischen Korb und Leine.

Schließlich reibt Evelina ihre verfrorenen Hände an der Schürze trocken.

„Ach ja, dann wären wir wieder einmal so weit! Ich bringe dir eine Decke, dann hast du es gemütlich warm.“

Sie nimmt den Korb und trägt ihn zum Haus. Die Katze richtet sich auf und folgt ihr, mit wiegendem Schritt. Evelina biegt um das Haus und geht zum Schuppen. Aber die Katze setzt sich auf die Mühlsteintreppe und miaut. Evelina bleibt stehen und schaut über die Schulter. Cora stößt mit ihrem runden Kopf gegen die Haustür und miaut die ganze Zeit auffordernd.

„Ach so! Der Holzschuppen ist dir diesmal nicht gut genug? Hmm ...“

Evelina schüttelt den Kopf und geht wieder zum Haus zurück.

„Nun ja, du wirst wohl deine Gründe haben ...“

Als sie die Haustür öffnet, macht die Katze einen krummen Rücken und streicht dankbar um Evelinas Beine.

Evelina versteht sich gut mit Katzen. Sie erinnert sich auch gut an letztes Mal, als Cora im Holzschuppen niederkam. Sie bekam zwei Junge, dreifarbige Kätzchen – aber beide verschwanden plötzlich.

Das Häuschen hat nur ein Zimmer und einen Dachboden, zu dem eine schmale Leiter hinaufführt. Evelina stellt den Korb an den großen offenen Herd ab, an dem sie kocht und bäckt. Dann öffnet sie den Schrank und holt eine weiche Wolldecke heraus, während sie mit der Katze redet.

„Hier habe ich was Schönes für dich. Nun hast du es gemütlich und warm, und nachher machen wir Feuer. Und hier kann dich der Fuchs nicht finden ...“

Cora kratzt am Korbrand, bis Evelina sie hineinsetzt. Ihr Bauch ist im Weg; der Korbrand ist jetzt zu hoch für sie. Unten im Korb fängt sie gleich an, herumzustöbern und die Decke zurechtzuziehen.

Evelina holt Tannenzapfen und Holzspäne und macht im Herd ein Feuer. Als die ersten Funken sprühen, füllt sie die Kaffeekanne mit frischgemahlenem Kaffee und stellt sie aufs Feuer. Sie kann wahrhaftig einen Schluck vertragen nach all dem Waschen und Aufhängen in der Kälte. Man spürt zwar schon den Frühling in der Luft, aber kalt ist es doch!

Bald brodelt es in der Kanne, und der herrliche Kaffeeduft verbreitet sich im Zimmer und mischt sich mit der Wärme des Feuers. Evelinas Nasenlöcher zittern schon vor Erwartung, und ihre Fingerkuppen kribbeln, als ihre klammen Hände langsam wieder warm werden.

Da kratzt es an der Tür, als ob ein trockener Ast dagegenschabte. Aber da es keinen Busch in der Nähe gibt, weiß Evelina, daß jemand draußen steht. Cora knurrt im Korb.

„So was! Da hat natürlich jemand den Kaffeeduft gerochen. Daß man nie in Ruhe ...“

Auf dem Weg zur Tür wirft sie einen schnellen Blick in den Korb. Doch, die Katze hat es sich mit der Decke gemütlich gemacht. Aber die Ohren liegen glatt an, der Schwanz ist dick, und ihr unterdrücktes Knurren klingt bedrohlich.

Ein kalter Luftzug strömt in die Hütte, als sie die Tür öffnet und eine schrille Stimme hörbar wird.

„Ich wollte nur mal vorbeischauen und sehen, wie es dir geht, Evelina. Hu, so ein Mistwetter! Will der Frühling denn überhaupt nicht mehr kommen?

„Meinetwegen, komm rein, dann lassen wir wenigstens nicht die Wärme raus“, sagt Evelina müde und macht einer aufgeputzten Frau mit einem breitkrempigen, mottenzerfressenen lila Hut Platz. Ein Geruch von billigem Maiglöckchenparfüm umgibt die Person und mischt sich mit dem Kaffeeduft.

Die Frau schaut zu der Kaffeekanne hinüber, leckt sich die Lippen und schnuppert entzückt. Dann streift sie ihre schwarzen Wollhandschuhe ab, die an jedem Finger ein Loch haben, durch das jeweils ein schwarzlakkierter Nagel herausguckt, und stellt sich vors Feuer.

„Ja, dann werde ich wohl die Tassen holen“, sagt Evelina.

„Glaub bloß nicht, daß ich deshalb gekommen bin“, sagt die Frau, die nicht für einen Augenblick die Kaffeekanne aus den Augen gelassen hat. „Ich wollte nur mal reinschauen, wo ich ohnehin schon in der Gegend war, und da habe ich gesehen, daß du gewaschen hast ...“

„Ja, sicher ...“

Evelina stellt die Tassen auf den Tisch, hackt ein paar Stücke von einem Zuckerhut ab und legt sie zusammen mit ein paar Haferplätzchen auf einen herzförmigen Tonteller.

„Mehr habe ich nicht ... bin nicht zum Backen gekommen.“

Die Frau beugt sich jetzt neugierig über den Wäschekorb mit der knurrenden Cora.

„Sie ist ziemlich dick und rund, die alte Katz’. Ist es wohl wieder so weit?“

„Bitte, setz dich hin und bediene dich, Doris“, sagt Evelina und schenkt Kaffee ein.

Die Person, die Doris heißt, geht langsam an den Tisch, aber ihre Augen ruhen immer noch auf dem Wäschekorb.

„Ich weiß gar nicht, wo mein Napoleon geblieben ist. Dachte, daß du ihn vielleicht gesehen hättest. Mein schöner Kater ... Vielleicht ist er der Vater von Coras neuen Kleinen. Wer weiß, Evelina. Aber möglich ist alles.“

„Nein, daß glaube ich nicht“, antwortet Evelina.

„Napoleon hat sich hier nicht blicken lassen.“

„Wirst du sie behalten?“ fragt Doris.

„Wen behalten?“

„Die Kätzchen natürlich! Bei Katzen kennt man sich nie aus. Napoleon kann sehr wohl der Vater sein, und dann könnte ich ja ...“

Evelina fällt ihr ins Wort.

„Komm jetzt, Doris, sonst wird der Kaffee kalt!“

Doris nimmt Platz auf einem Küchenstuhl, und die beiden Damen widmen sich eine Weile schweigend dem Kaffee.

Evelina nimmt ein Stück Zucker in den Mund, gießt Kaffee auf die Untertasse und schlürft.

Doris will etwas welterfahrener wirken, und deshalb hält sie die Kaffeetasse zwischen Daumen und Zeigefinger und spreizt dabei gleichzeitig den kleinen Finger. Aber der Kaffe ist heiß, Doris nimmt sich einen ordentlichen Schluck, den sie nicht im Mund behalten kann, sondern über das Kinn und über die Kleider sickern läßt. Sie wischt sich mit dem Ärmel ab und stellt die Kaffeetasse mit Krach auf den Tisch.

„Svedala ist doch ganz schön klein und primitiv“, bemerkt sie. „Es ist eben gar kein Vergleich zu Paris, o lala!“

Evelina seufzt und zieht an einem losen Faden in der Tischdecke. Sie weiß, was nun kommt. Doris ist sowohl in Paris als auch in Amerika gewesen. Darüber spricht sie gern und lange. Manchmal verwendet sie Wörter und Ausdrücke aus beiden Sprachen. Evelina hat keine Ahnung, ob sie richtig sind, schließlich kann sie weder Englisch noch Französisch.

„Hier gibt es keine Kultur und keine Eleganz“, fährt Doris fort.

„Mir gefällt es so, wie es ist“, meint Evelina.

„Ja, wenn man nichts anderes kennt, dann schon. Aber over there – in Amerika also, gibt es ja alles. Und für alles haben sie Maschinen. Da muß man sich nicht abquälen und die Wäsche im Bach waschen, falls du dir das einbildest. Yeh, yeh, und viel sauberer wird sie auch, und trocken ist sie auch gleich.“

Evelina schenkt eilig noch Kaffee nach. Vielleicht besteht eine kleine Chance, daß Doris sich davonmacht, wenn die Kaffeekanne leer ist. Es wäre schön, das alles nicht noch einmal hören zu müssen.

„Und die Männer in Paris. Die können sich sehen lassen! Ich hätte einen Herzog haben können. Er hieß Louis, nach dem König. Ein stattlicher Kerl, oui, oui. Ein richtiger Mann von Welt – ein Lebenskünstler, das kannst du mir glauben, meine liebe Evelina.“

„Ja, das hast du schon erzählt. Nimm doch noch ein Plätzchen.“ Doris nimmt ein Plätzchen, bricht kleine Stückchen ab und stopft sie in den Mund. Trotzdem redet sie weiter. „Aber dann wollte ich doch wieder in das kleine Schwedenländchen zurück, und er bekam einen Korb, der Arme. Mon dieu, er war völlig außer sich vor Verzweiflung.“

Währenddessen bekommt Cora ihre Kätzchen. Sie kann sie nicht mehr zurückhalten, sie wollen hinaus. Es ist soweit. Sie gebiert still, nicht das leiseste Wimmern ist von ihr zu hören, und als die Kätzchen schließlich geboren sind – es sind zwei –, legt sie sie rasch an ihre Zitzen, damit sie sofort Milch bekommen und einschlafen können.

Die beiden Kätzchen sind merkwürdig gezeichnet. Eines hat Dreiecke in verschiedenen Farben und eine schwarze Maske um die Augen, das andere hat runde Flecken in verschiedenen Farben und schwarze Pfoten.

„Ihr seid schön“, flüstert Cora ihnen zu und wäscht sie. Es sind Katzen, alle beide. Wie gern hätte Cora sie Evelina gezeigt, aber das geht ja jetzt nicht, solange diese Vogelscheuche da ist. Stattdessen deckt sie ihre Kätzchen mit einem Zipfel der Decke zu, damit man sie nicht sieht. Doris redet unverdrossen weiter.

„Aber ich glaube nicht, daß ich dir von dem Indianer erzählt habe, dem Häuptling von Indianapolis. Der, der mich heiraten wollte ....“

„Doch, davon habe ich gehört ...“

„Er wollte seine ganze Federkrone für meine Hand geben. Aber, my God, ich habe ihn verschmäht. Der arme Kerl!“

„Ja, leider gibt’s keinen Kaffee mehr, Doris. Und mehr Bohnen habe ich nicht.“

„Oh, Café de Paris! Welche Atmosphäre ... die Franzosen können vielleicht Kaffee kochen!“

Aber schließlich verstummt Doris. Sie sieht ein, daß es wirklich keinen Kaffee mehr gibt und daß Evelina nicht die gute Zuhörerin ist, die ihre Erzählungen aus der großen weiten Welt verdienen. Evelina sollte dankbar sein, etwas von der phantastischen Welt zu erfahren, wo sie doch nicht einmal die Hauptstadt besucht hat. Aber Evelina bleibt, wie sie ist – ihr fehlt ganz einfach culture.

Auf dem Weg zu Tür wirft sie einen schnellen Blick in den Korb und zischt Cora zu:

„Warte nur, du alte Katze! Mir kannst du nichts vormachen! Ich poche auf mein Recht.“

Cora knurrt nur dumpf zurück. Sie ahnt nur zu gut, wer hinter dem Verschwinden der letzten Brut steckte. Das war nicht der Fuchs ...

Evelina stößt ein Seufzer der Erleichterung aus, als Doris endlich geht. Sie wartet eine Weile an der Tür, um sicher zu gehen, daß Doris wirklich außer Sichtweite ist, dann geht sie ins Haus und gibt neuen Kaffee in die Kaffeekanne. Sie beugt sich über den Korb und entdeckt, daß da drei Katzen liegen.

„Sie sind prächtig, Cora! Tüchtig, tüchtig! Und Mädchen alle beide. In der Kleinen mit den runden Flecken steckt eine echte Wahrsagerin. Solche Kreise haben nur Katzen, die in die Zukunft sehen können. Und nun bekommst du aber einen Schluck Sahne, den hast du verdient.“

2.

Doris’ Fahrrad steht ein Stückchen weiter weg am Waldrand. Auf dem Gepäckträger sind ihr Umhang und ein Korb festgeschnallt. Der Korb ist leer. Sie wollte eigentlich nicht mit leerem Korb von hier wegfahren, aber jetzt ist es doch so gekommen. Brummend und leise fluchend hüllt sie sich in den Umhang, packt das Fahrrad und schwingt sich drauf. Es ist ein schwarzes Fahrrad mit Rockschutz, trotzdem verheddert sich ihr Umhang in den Speichen, und sie wäre fast gestürzt. Schwankend fährt sie los.

Doris ist mit ihrem Leben unzufrieden. Paris und Amerika liegen lange zurück, fast kommt es ihr vor, als ob sie nie dagewesen wäre. Nur auf Kaffeekränzchen prahlt sie noch mit ihren Auslandserfahrungen. Wie es in Paris und Amerika war, hat sie fast vergessen, da sie nie die Wahrheit erzählt hat.

In Paris war sie nur kurz, und zwar war sie bei einem Bäcker angestellt. Damals gewann ihre schwarze Magie immer mehr die Oberhand. Und als sich das Brot, das sie anfaßte, oft schwarz färbte und die Rosinen sich in Mäusedreck verwandelten, warf sie der Bäcker hinaus. Und das, obwohl sie versprach, daß ihre Magie jederzeit wieder weißer werden könnte, und daß sie den Bäcker zu den berühmtesten Bäcker aller Feinschmekker von ganz Frankreich machen würde. Aber zurück im alten Schweden machte sie aus dem Bäcker einen Herzog, der sie um alles in der Welt zu seiner Gemahlin haben wollte. Der Indianerhäuptling in Indianapolis war in Wirklichkeit der Besitzer einer Bar, in der Doris die Gäste mit ihrem Gesang unterhalten sollte. Daß sie überhaupt dafür in Frage kam, lag daran, daß ihr diesmal ihre magische Schönheitscreme gelungen war und sie ganz annehmbar aussah. Aber sobald sie zu singen anfing, zersprangen Gläser, Flaschen und Spiegel in tausend Stücke, und die Trommelfälle der Gäste drohten ebenfalls zu platzen. All die Scherben und all die Schadensersatzforderungen, die die gehörgeschädigten Gäste einreichten, wurden dem Barbesitzer auf die Dauer zu teuer.

Er hörte auch nicht auf sie, wenn sie beteuerte, daß eine zukünftige weiße Magie seine Bar zu dem am meisten besuchten Vergnügungslokal in der ganzen Neuen Welt machen würde ...

Als Doris nach Schweden zurück kam, bekam sie einen Sohn, den sie Louis taufte (später in Ludwig verschwedischt), nach dem französischen Herzog, den es nicht gab. Das letzte Fünkchen weißer Magie, das sie je besessen hatte, ging bei der Geburt an ihren Sohn über.

Nun fingen ihre wirklichen Schwierigkeiten an. Alle zogen sich zurück, als sie merkten, daß Doris keine Kontrolle mehr über ihre Magie hatte. Denn es ist eine Sache, schwarze Magie auszuüben, wenn man sie unter Kontrolle hat. Das bedeutet nämlich auch, daß man, wenn nötig, weiße Magie ausüben kann, auch wenn die Absicht schwarz ist. Man muß vielleicht zum Beispiel irgendwann Disteln in Rosen verwandeln können und Steine in Goldbarren. Aber das konnte Doris nicht, denn sie beherrschte nur noch schwarze Magie. Und sie traute sich auch nicht, die schwarze Magie aufzugeben. Sie könnte ja von Nutzen sein – wenn sie sie nur weiß machen könnte. Sie glaubte fest, daß ihr das gelingen würde, wenn sie nur eine gute Katze bekäme.

Ihr Sohn war ein ziemlich hoffnungsloser Fall. Seine weiße Magie verwendete er nur dazu, den lieben langen Tag Gebäck und Süßigkeiten herbeizuzaubern und dann alles in sich hineinzustopfen. Er saß die ganze Zeit nur da und aß und war zu gar nichts nutze.

Ihr eigener Kater Napoleon, der angeblich verschwunden war, lag in Wirklichkeit zu Hause am Herd und hatte die gleichen Fähigkeiten wie Ludwig, aber einen anderen Geschmack. Wenn Ludwig Gebäck herzauberte, zauberte Napoleon Krabben, schaffte Ludwig Gummibärchen her, kam Napoleon mit echten Ratten an, als Sahneragout, versteht sich. Niemals würde dieser Kater rohe Ratten essen, oder wenigstens jagen. Eine dreifarbige Katze wäre natürlich etwas ganz anderes, dachte Doris.

Doris mag Evelina nicht. Evelina taugt nichts, sie ist ein Feigling, eine Anfängerin und noch schlimmerer als das. Fromm steht sie da und rührt ihre Salben, heilt kleine Gebrechen und ist zufrieden. Ja, das Allerschlimmste ist, daß sie damit so zufrieden ist, dort oben auf Pukkel zu leben und ihre weiße Magie zu betreiben. Sie hat, findet Doris, keinen Ehrgeiz. Evelina bastelt, mixt und liest Zauberformeln aus ihrem geerbten Hexikon und hilft jedem, der darum bittet. So etwas bringt weder Macht noch Reichtümer.

Naja, und selbst wenn es das getan hätte, würde Doris sie kaum lieber mögen.

Aber es ist auch so schlimm genug. Denn Evelina hat etwas, was Doris nicht hat – sie beherrscht die weiße Magie Und die schwarze. Nur, daß sie die schwarze kaum verwendet. Sie ist mit anderen Worten vielseitiger als Doris, und das kann Doris ihr nicht verzeihen.

Das muß an der alten Katze liegen. Denn an sich ist ja mit Evelina nichts los. Aber an dieser Cora liegt es, die immer dreifarbige Kätzchen bekommt. Da liegt die Katze begraben. Nun hatte ja Doris nicht viel Glück mit den Kätzchen, die sie das letzte Mal gestohlen hatte. Auch damals waren es zwei Katzen. Sobald sie in Doris’ Hexenhäuschen kamen, benahmen sie sich wie Wildkatzen: zischten, kratzten und knurrten. Sie ließen ganz und gar nicht mit sich reden. Dafür hätte Doris nämlich weiße Magie beherrschen müssen. Sie wollte ihnen Sahne zu trinken geben, aber die Sahne war sauer, noch ehe sie sie in die Schale gegossen hatte. Und als sie nach Daunenkissen suchte, um den Katzenkorb gemütlich zu machen, ringelten sich kleine schwarze, zischende Schlagen darin, obwohl Doris Formeln vor- und rückwärts herunterleierte, um die Magie zu neutralisieren.

In ihrer Not wandte sie sich an ihren Sohn Ludwig, der wie immer im Sessel vor dem Feuer saß und Süßigkeiten aß. Er lallte darauf undeutlich eine Tirade und schwups, war das eine Kätzchen in eine Sahnetorte verwandelt. Auch Napoleon, der an seiner Seite saß und Spatzenauflauf fraß, fackelte nicht lange und verwandelte das zweite Kätzchen in eine Mäusesülze. Dann verspeisten sie in aller Ruhe das, was sie hergezaubert hatten, und danach brach die wahre Katastrophe aus.

Napoleon und Ludwig wurden beide von ungeheuerlichen Magenschmerzen überfallen. Es kam ihnen vor, als ob die Gedärme in ihrem Inneren zerfetzt würden. Sie flohen in den Wald, brüllten wie gestochene Wildschweine und kamen erst beim nächsten Neumond in jämmerlichem Zustand wieder zurück. Dünn wie die Mondsichel, mit blutunterlaufenen Augen und abgezehrten Gesichtern.

Und dabei fanden sie zu allem Überfluß nur ein halbverkohltes Haus vor, denn in derselben Nacht war der Blitz in den Schornstein von Doris’ Hexenhaus eingeschlagen. Das Feuer verbreitete sich schnell und vernichtete das ganze Obergeschoß und den Dachboden. Doris konnte nichts dagegen machen, weil sie keine weiße Magie zur Hilfe hatte. Sie wurde also gezwungen – auf ganz unmagische Art –, auf die städtische Feuerwehr zu warten.

Danach übte Doris Zurückhaltung, was das Stehlen von Katzen betraf. Aber sie behielt weiterhin Evelina im Auge, in der Hoffnung, etwas über ihre magischen Fähigkeiten herauszufinden. Und nachdem sie seit geraumer Zeit gesehen hatte, daß die Katze Cora immer dicker wurde, kam sie allmählich in die Versuchung, noch einmal neue Katzen auszuprobieren.

Es kann jedenfalls kaum schlimmer werden als das letzte Mal. Sie hat sich vorgenommen, sie die erste Zeit in den Keller zu sperren. Dort wird sie sich langsam und vorsichtig anschleichen, und indem sie alle Zaubersprüche noch einmal rückwärts aufsagt, wird sie versuchen, sie zu zähmen und sie zu ihren Gehilfinnen zu machen.

Es macht ihr ein Strich durch die Rechnung, daß Evelina ihren Wäschekorb ins Haus genommen hat, und daß die Katze zu mißtrauisch und wachsam wirkt. Evelina scheint die Sache überhaupt nicht diskutieren zu wollen. Sie dazu zu überreden, die Kätzchen freiwillig abzugeben, hält Doris für ausgeschlossen. Evelinas Kaffeebohnen werden bestimmt nach einer Weile zu Ende sein – jedenfalls für Doris.

Während sie bei Nacht und Wind den glitschigen Pfad entlangradelt, jagen verschiedene Pläne und Spekulationen durch ihr verwildertes und verwirrtes Gehirn.

Was kann sie noch zustandebringen? Wie nah ans Ziel kann sie allein durch schwarze Magie kommen?! Gibt es eine Möglichkeit, Ludwig und Napoleon Beine zu machen, solange ihre eigene Magie ihnen alles gibt, was sie brauchen, nämlich Süßigkeiten und einen gemütlichen Platz am Herd?

Plötzlich stößt sie einen Schrei aus.

Aber freilich! Es könnte eine Lösung geben! Wenn sie ihre schwarze Magie an ihrem Sohn und den Kater ausprobieren würde. „Das wird sie vielleicht weich machen“, kichert sie. „Da werden sie etwas vermissen und werden vielleicht etwas hilfsbereiter, um das Gute wieder zurückzubekommen ... Juhu! Daß ich nicht früher draufgekommen bin!“

Einen ihrer Gassenhauer singend – mit denen sie in Indianapolis Glas zertrümmert hat – steuert Doris auf ihr Haus zu. Zum Glück gibt es im Wald kein Glas. Aber die Fledermäuse kräuseln erschrocken ihre großen Ohren, Eulen fliehen unter düsteren Schu-Hu-Rufen, und die eine oder andere schlafende Krähe fällt ohnmächtig von den Fichtenzweigen.

Ein kleines, schmales Tier, das Doris’ Wackelfahrt begleitet hat, bleibt jäh auf dem Pfad stehen und verschwindet blitzschnell in das hohe Gras am Wegesrand. Es ist ein Wiesel. „Oh, Susanna, why don’t you cry for meeeee“, grölt Doris durch den Wald, von der quietschenden Kette des verrosteten Fahrrads begleitet.

3.

Die Tür wird sperrangelweit geöffnet, und Evelina segelt herein, mit der Wäsche im Arm. Sie bringt einen frischen Hauch von Spätwinterluft hinein, und der letzte Rest von Maiglöckchenparfüm weht hinaus. Die Sonne schlüpft herein und vergoldet die Dielen bis zu dem Wäschekorb, bevor die Tür wieder zufällt. Einige Strahlen schleichen sich in den Korb und bringen vier kleine geschlossene Augenlieder zum Zucken.

Die Augen der Kätzchen haben sich der Welt und ihrer Magie noch nicht geöffnet, aber sie reagieren aufs Licht. Ein lebhaftes Spinnen ertönt von Cora und ein eifriges Schmatzen von den Kleinen an ihren Zitzen. Ihre kleinen himbeerrosa Pfotenballen bewegen sich auf und ab auf Coras wolligem Bauch und locken das lebensspendende, milde Getränk hervor. Die Zeit steht still, und alles, was die Kleinen brauchen, ist bei ihrer weichen, warmen Mutter zu haben; ihre schnullerähnlichen kleinen Zitzen, die ihnen das einzige, was sie an Nahrung verlangen, geben, ihr rhythmischer Herzschlag, der sie in den Schlaf wiegt, und die rauhe Zunge, die sie sauberhält. Es ist Ende März. Die Abende färben sich immer stärker blau, und die Tage werden länger.

Evelina faltet die duftenden Kleidungsstücke zusammen und steckt sie in Truhen und Schränke. Sie summt die ganze Zeit vor sich hin. Ihre Wangen sind rot, die Augen glitzern frech, und ihre Stirnhaare stehen zu Berge wie eine goldene Quaste. Heute liegen Sonne und Luft in ihrem Haar und in ihrem ganzen Wesen. Nein, heute ist sie nicht fünfundachtzig – eher fünfunddreißig oder noch jünger. Der Rücken ist gerade, die Bewegungen schnell und das Lächeln erwartungsvoll. Sie trillert und redet vor sich hin, mal mit sich selbst, mal mit den Kätzchen.

„Ach, meine Kleinen, meine lieben kleinen Miezekätzchen! Jetzt haben wir bald Frühling!“

Evelina geht zu einem gesprungenen alten Spiegel in einem vergoldeten Rahmen, der über einer Schlafbank an der einen Wand hängt. Aus dem Kleiderschrank an der Seite zieht sie einen weichen taubenblauen Wollschal, der mit rosa Rosen bestickt ist, heraus und hüllt sich darin ein. Sie läßt die Hände einige Male vor dem Spiegel kreisen, was ihr Gesicht noch jünger wirken läßt. Ihre Züge scheinen von innenheraus zu leuchten, und ihre Haare knistern wie rotes Gold. Dann nimmt sie die Kaffeekanne von der Herdplatte, stülpt sie um und mustert ihren Boden.

„Ja freilich muß sie verzinnt werden“, zwitschert sie entzückt. „Und nun sind sie da! Sie sind schon da!“

Sie gleitet mit ihrem Hauch vom Spätwinter zum Wäschekorb, beugt sich hinüber und hält ihre weiße Hand vor Coras Schauze. Cora leckt höflich ihre Finger als Beweis ihrer Zuneigung. Aber in ihrer Seele flattert die Unruhe.