Evolution der Philosophie - Rudolf Steiner - E-Book

Evolution der Philosophie E-Book

Rudolf Steiner

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Beschreibung

INDEX

AUS DEN VORWORTEN DES AUTORS ZU DEN VERSCHIEDENEN AUSGABEN

ZUR ORIENTIERUNG IN DEN AUSSTELLUNGSRICHTLINIEN

DIE WELTANSCHAUUNGEN DER GRIECHISCHEN DENKER

DAS GEDANKENLEBEN VOM BEGINN DER CHRISTLICHEN ZEITRECHNUNG BIS ZU JOHANNES SKOTUS ODER ERIGENA

WELTANSCHAUUNGEN IM MITTELALTER

WELTANSCHAUUNGEN IN DER MODERNEN ÄRA DER EVOLUTION DES DENKENS

DAS ZEITALTER VON KANT UND GOETHE

DIE KLASSIKER DER WELT- UND LEBENSAUFFASSUNG

REAKTIONÄRE WELTANSCHAUUNGEN

RADIKALE WELTANSCHAUUNGEN

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RUDOLF STEINER

 

EVOLUTION DER PHILOSOPHIE

VON DEN VORSOKRATIKERN ZU DEN NACHKANTIANERN

 

Übersetzung und Ausgabe 2021 von ©David De Angelis

Alle Rechte vorbehalten

INDEX

 

AUS DEN VORWORTEN DES AUTORS ZU DEN VERSCHIEDENEN AUSGABEN

ZUR ORIENTIERUNG IN DEN AUSSTELLUNGSRICHTLINIEN

DIE WELTANSCHAUUNGEN DER GRIECHISCHEN DENKER

DAS GEDANKENLEBEN VOM BEGINN DER CHRISTLICHEN ZEITRECHNUNG BIS ZU JOHANNES SKOTUS ODER ERIGENA

WELTANSCHAUUNGEN IM MITTELALTER

WELTANSCHAUUNGEN IN DER MODERNEN ÄRA DER EVOLUTION DES DENKENS

DAS ZEITALTER VON KANT UND GOETHE

DIE KLASSIKER DER WELT- UND LEBENSAUFFASSUNG

REAKTIONÄRE WELTANSCHAUUNGEN

RADIKALE WELTANSCHAUUNGEN

 

AUS DEN VORWORTEN DES AUTORS ZU DEN VERSCHIEDENEN AUSGABEN

 

(1914)

 

Sie werden in diesem Buch nicht viele Dinge finden, die Sie in einer Geschichte der Philosophie erwarten würden. Mir ging es aber nicht so sehr um die Darstellung aller philosophischen Meinungen, sondern um die Beschreibung der Entwicklung philosophischer Probleme. Für eine solche Beschreibung ist es nicht notwendig, eine philosophische Meinung, die in der Geschichte auftaucht, darzustellen, wenn das Wesen dieser Meinung in einem anderen Zusammenhang charakterisiert worden ist.

 

(1918)

 

Ich möchte noch ein paar Worte zu einem Problem hinzufügen, das sich jedem, der ein Buch wie dieses liest, mehr oder weniger bewusst stellt. Es ist das Problem des Verhältnisses zwischen dem philosophischen Studium und dem unmittelbaren Leben. Jeder philosophische Gedanke, der nicht vom Leben postuliert wird, ist zur Sterilität verurteilt, auch wenn er den Menschen, der gerne nachdenkt, eine Zeit lang anziehen mag. Fruchtbares Denken muss in den Evolutionsprozessen verwurzelt sein, die die Menschheit im Laufe ihrer historischen Entwicklung durchlaufen musste. Und wer die Entwicklungsgeschichte des philosophischen Denkens, unter welchem Gesichtspunkt auch immer, darlegen will, muss von einem Gedanken ausgehen, den das Leben auferlegt. Es müssen die Begriffe sein, die, wenn sie in die menschliche Lebensführung umgesetzt werden, dem Menschen Kraft geben, seinen Verstand leiten und ihm bei allen Aufgaben, die seinem Wesen auferlegt sind, Rat und Hilfe geben können. Die philosophischen Systeme der Welt sind entstanden, weil die Menschheit solche Konzepte braucht. Wenn wir unser Leben ohne sie führen könnten, wäre der Mensch niemals wirklich befugt, über die Rätsel der Philosophie nachzudenken. Eine Epoche, die eine solche Denkweise nicht zulässt, zeigt nur, dass sie nicht das Bedürfnis hat, das menschliche Leben so zu gestalten, dass es in allen Punkten ihren vielfältigen Aufgaben zu entsprechen scheint. Doch diese Abneigung rächt sich im Laufe der menschlichen Evolution. Das Leben ist in solchen Epochen traurig. Und die Menschen sind sich dessen nicht bewusst, weil sie nichts von den Bedürfnissen wissen wollen, die in den Tiefen ihrer Seele wohnen und die sie nicht befriedigen lassen. Die folgende Epoche macht diese Unzufriedenheit noch deutlicher. Die Enkelkinder finden in ihrer verarmten Lebensweise die Folgen der Nachlässigkeit ihrer Vorfahren. Die Nachlässigkeit der vorangegangenen Epoche hat das unvollkommene Leben der nachfolgenden Epoche bestimmt, in die diese Enkelkinder hineingestellt werden. Die Philosophie muss Teil des gesamten Lebens sein; man kann dagegen sündigen, aber die Sünde muss notwendigerweise ihre Auswirkungen haben. Man kann den Prozess der Entwicklung des philosophischen Denkens, das Auftauchen der Rätsel der Philosophie nur verstehen, wenn man begreift, worin die Aufgabe der philosophischen Betrachtung der Welt bei der Schaffung eines vollständigen, vollen Wesens der Menschheit besteht. Inspiriert von diesem Gefühl habe ich meine Arbeit über die Entwicklung der Rätsel der Philosophie geschrieben. Ich habe versucht, durch die Darstellung dieses Prozesses auf anschauliche Weise zu beweisen, dass dieses Gefühl zutiefst berechtigt ist. Die philosophische Betrachtung muss eine lebenswichtige Notwendigkeit sein, und doch liefert uns das menschliche Denken, so wie es sich entwickelt, nicht eine einzige Lösung, sondern mehrere und scheinbar völlig widersprüchliche Lösungen für die Rätsel der Philosophie. Viele historische Betrachtungen möchten diese wichtigen Gegensätze mit einer rein äußerlichen Darstellung erklären. Aber sie sind nicht überzeugend. Wenn man die Wahrheit finden will, muss man diese Entwicklung viel ernster nehmen, als man es normalerweise tut. Man muss zu dem Schluss kommen, dass es keinen einzigen Gedanken geben kann, der alle Rätsel der Welt auf einmal lösen kann. Vielmehr wird im menschlichen Denken jede entdeckte Idee schnell zu einem neuen Rätsel. Und je wichtiger die Idee, je leuchtender sie für eine bestimmte Epoche ist, desto rätselhafter und zweifelhafter wird sie für die nächste Epoche. Wer die Geschichte des menschlichen Denkens von einem Standpunkt aus betrachten will, der der Wahrheit entspricht, muss die Größe der Idee einer Epoche bewundern und gleichzeitig mit demselben Enthusiasmus sehen können, wie sich diese Idee in einer späteren Epoche als unvollständig erweist. Er muss auch daran denken können, dass die Darstellungsform, in der er sich ausdrückt, in Zukunft durch eine andere ersetzt werden wird. Und dieser Gedanke darf ihn nicht daran hindern, die Richtigkeit der Betrachtung, zu der er gelangt ist, voll anzuerkennen. Die Geisteshaltung, die sich einbildet, dass die unvollkommenen Konzepte der Vergangenheit durch die vollkommenen Gedanken, die in der Gegenwart ans Licht kommen, aufgehoben werden, ist ungeeignet, die philosophische Entwicklung der Menschheit zu verstehen. Ich habe versucht, den Prozess der Entwicklung des menschlichen Denkens zu verstehen, indem ich die Bedeutung der Tatsache begriffen habe, dass eine Epoche im philosophischen Gegensatz zur vorhergehenden steht. Welche Ideen zu einem solchen Verständnis führen, wurde in den einleitenden Erläuterungen gesagt. Die Ideen sind so beschaffen, dass sie zwangsläufig mehrfachen Widerstand hervorrufen müssen. Auf den ersten Blick werden sie erscheinen, als wären sie mir sofort in den Sinn gekommen und als hätte ich mit ihnen die ganze Art und Weise, die Geschichte der Philosophie darzulegen, auf phantastische Weise umwerfen wollen. Ich hoffe nur, dass der Leser erkennen wird, dass diese Ideen nicht erst erdacht und dann dem Studium der philosophischen Evolution aufgezwungen wurden; sie wurden auf die Art und Weise erworben, wie der Naturforscher die Gesetze seiner Wissenschaften entdeckt. Sie ergeben sich aus der Beobachtung der Entwicklung des philosophischen Denkens. Und man hat kein Recht, die Ergebnisse der Beobachtung zu verwerfen, weil sie im Widerspruch zu Vorstellungen stehen, die man für richtig hält, weil sie bestimmten Neigungen des Denkens entsprechen, die aber durch die Beobachtung nicht gerechtfertigt sind. Der Aberglaube - denn solche Vorstellungen sind nichts anderes -, dass es in der geschichtlichen Entwicklung der Menschheit keine Kräfte geben könne, die sich in einer bestimmten Epoche in besonderer Weise offenbaren und die in einer der Vernunft und dem Gesetz entsprechenden Weise die Entwicklung des menschlichen Denkens beherrschen, wird sich meinen Ausführungen widersetzen. Aber das wurde mir auferlegt, weil die Beobachtung dieser Entwicklung mir die Existenz solcher Kräfte bewiesen hatte, und weil dieselbe Beobachtung mir bewies, dass die Geschichte der Philosophie nur dann eine Wissenschaft wird, wenn sie sich nicht scheut, solche Kräfte zu erkennen. Mir scheint, dass man angesichts der "Rätsel der Philosophie" nur dann eine fruchtbare Position in der Gegenwart einnehmen kann, wenn man die Kräfte kennt, die diese vergangenen Epochen beherrscht haben. Und mehr noch als in jedem anderen Bereich der Geschichtswissenschaft besteht in der Geistesgeschichte die einzige Möglichkeit darin, die Gegenwart aus der Vergangenheit entstehen zu lassen. Indem man genau die Ideen aufgreift, die den Bedürfnissen der Gegenwart entsprechen, findet man den Anfang jener Sichtweise, die ein wahres Licht auf die Vergangenheit wirft. Wem es nicht gelingt, eine Weltanschauung zu erlangen, die den Kräften, die unsere Zeit antreiben, wirklich entspricht, dem entgeht auch die Bedeutung des geistigen Lebens der Vergangenheit. Ich möchte hier nicht die Frage klären, ob es in den anderen Bereichen der historischen Forschung eine fruchtbare Dissertation geben kann, die nicht auf einer Betrachtung der gegenwärtigen Verhältnisse beruht. Auf dem Gebiet der Geschichte des Denkens ist eine solche Darstellung notwendigerweise unfruchtbar. Hier müssen der Studiengegenstand und das unmittelbare Leben in einem direkten Zusammenhang stehen. Und das Leben, in dem das Denken zur Praxis des Lebens wird, kann nur das gegenwärtige Leben sein. Mit dieser Einleitung möchte ich die Empfindungen bekannt machen, aus denen diese Dissertation über die Rätsel der Philosophie entstanden ist.

 

(1923)

 

In dem vorliegenden Buch habe ich mir die Aufgabe gestellt, dasjenige an den im Laufe der Geschichte geformten Weltanschauungen ans Licht zu bringen, was sich dem heutigen Betrachter so darstellt, daß sein eigenes Gefühl, wenn er die philosophischen Rätsel seinem Bewußtsein vorgelegt sieht, durch das Gefühl vertieft wird, das frühere Denker angesichts dieser Rätsel vor ihm erlebt haben. Eine solche Vertiefung hat etwas Befriedigendes für den Forscher der Philosophie. Die Anstrengung seiner Seele wird intensiver, da er sieht, welche Formen dieses Streben bei Menschen angenommen hat, denen das Leben ähnliche oder andere Gesichtspunkte als den seinen gegeben hat. Auf diese Weise wollte ich denjenigen von Nutzen sein, die zur Vervollständigung ihres Denkens ein Bild von der Entwicklung der Philosophie benötigen. Diejenigen, die dem Weg ihres eigenen Denkens folgen und sich im Einklang mit dem geistigen Werk der Menschheit fühlen wollen, benötigen eine solche Ergänzung. Das braucht derjenige, der sehen will, dass seine konzeptionelle Arbeit einem allgemeinen, menschlichen Bedürfnis der Seele entspringt. Er kann dies erkennen, wenn ihm die wesentlichen Elemente der Systeme, die die Welt zu erklären versuchen, vor Augen geführt werden. Für viele Wissenschaftler hat diese Vision jedoch etwas Beklemmendes an sich. Zweifel schleichen sich in ihre Seelen. Sie sehen, dass die nachfolgenden Denker sowohl mit ihren Vorgängern als auch mit ihren Nachfolgern nicht übereinstimmen. Ich möchte, dass meine Darstellung diesen Eindruck zerstreut und durch einen anderen ersetzt. Wir wollen zwei Denker untersuchen. Auf den ersten Blick erscheint der Kontrast zwischen ihnen als schmerzhaft. Aber lassen Sie uns ihr Denken genau untersuchen. Es wird sich zeigen, dass der eine einen völlig anderen Bereich der Welt betrachtet als der andere. Nehmen wir an, dass sich in der letzteren die Disposition der Seele entwickelt hat, die ihre Aufmerksamkeit auf die Art und Weise richtet, in der das Denken im intimen Prozess der Seele selbst entsteht. Für ihn liegt das Rätsel darin, dass dieser innere Prozess der Seele entscheidend auf das Wesen der äußeren Welt einwirken muss, indem er es erkennt. Dieser Ausgangspunkt verleiht seinem gesamten Denken eine besondere Färbung. Er wird sich auf kraftvolle Weise über den kreativen Gedanken äußern. Alles, was er sagt, wird idealistisch gefärbt sein. Ein anderer richtet seinen Blick auf äußere Phänomene, die zu den Sinnen gehören. Die Gedanken, mit denen er diesen Vorgang bejaht und anerkennt, dringen nicht mit selbständiger Kraft in sein Bewusstsein ein. Er wird das Rätsel der Welt so gestalten, dass es sich in einen Kreis einfügt, in dem sich die Wurzeln der Welt in die Welt der Empfindung und der Erinnerung einschleichen. Mit der Hypothese der historischen Entwicklung des Weltbildes, die sich aus einer solchen Orientierung des Denkens ergibt, können wir das Negative an diesen Konzepten überwinden und sehen, wie sie sich gegenseitig unterstützen.

 

Auf dieser Grundlage wurde die Gliederung meiner Dissertation erstellt. Ich wollte die Widersprüche, die in der Entwicklung der Welt zu sehen sind, nicht verschweigen, aber ich wollte auch zeigen, was selbst in den Widersprüchen einen gewissen Wert hat. Wenn in diesem Buch das Positive hervorgehoben wird und nicht das Negative, können mir nur diejenigen einen Vorwurf machen, die nicht sehen, wie fruchtbar diese Wahrnehmung des Positiven ist.

 

Meine Methode, individuelle Weltanschauungen darzulegen, entspringt meiner Orientierung an spiritueller Kontemplation. Wer nur Theorien über den Geist aufstellen will, wird sich nie in die Denkweise eines Materialisten begeben müssen. Er braucht nur alle berechtigten Anschuldigungen gegen den Materialismus aufzuzeigen und dieses Denksystem so darzustellen, dass seine ungerechtfertigten Seiten deutlich werden. Wer geistige Kontemplation erreichen will, kann nicht auf diese Weise vorgehen. Bei dem Idealisten wird er idealistisch denken müssen, bei dem Materialisten materialistisch. Nur so wird die Fähigkeit in seiner Seele geweckt, die sich dann in geistiger Kontemplation ausdrücken wird. Man könnte auch feststellen, dass bei einer solchen Behandlung der Inhalt eines Buches an Einheitlichkeit verliert. Dies ist nicht meine Meinung. Je mehr man die Erscheinungen selbst sprechen lässt, desto mehr ist man der historischen Wahrheit treu. Es kann nicht Aufgabe einer historischen Darstellung sein, den Materialismus zu bekämpfen oder ihn zu karikieren. Sie hat ihre eigene begrenzte Legitimität. Man geht keinen falschen Weg, wenn man den Prozess der materiellen Beziehungen in dieser Welt materialistisch darstellt. Nur wer nicht erkennt, dass man durch das Aufspüren materieller Zusammenhänge zur Betrachtung des Geistes geführt wird, wird getäuscht. Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass das Gehirn nicht die Bedingung des Gedankens ist, der das studiert, was unter die Sinne fällt; aber es ist ein anderer Irrtum zu denken, dass der Geist nicht der Schöpfer des Gehirns ist, durch den er sich in der physischen Welt als Schöpfer des Gedankens offenbart.

ZUR ORIENTIERUNG IN DEN AUSSTELLUNGSRICHTLINIEN

 

Versucht man, die geistige Arbeit zu erforschen, die der Mensch auf der Suche nach einer Lösung für die Rätsel der Welt und die Probleme des Lebens geleistet hat, wird die studierende Seele immer wieder zu den Worten gezwungen, die als Motto im Tempel des Apollo geschrieben stehen: "Erkenne dich selbst". Die Tatsache, dass die menschliche Seele, wenn sie mit diesen Worten konfrontiert wird, einen bestimmten Eindruck empfindet, ist die Grundlage für das Verständnis eines Weltbildes. Das Wesen eines lebenden Organismus bringt das Bedürfnis mit sich, Hunger zu empfinden; das Wesen der menschlichen Seele, die ein bestimmtes Stadium ihrer Entwicklung erreicht hat, erzeugt ein ähnliches Bedürfnis. Dies kommt in der Notwendigkeit zum Ausdruck, das Leben um ein geistiges Gut zu bitten, das wie die Nahrung dem Hunger dem inneren Bedürfnis des Geistes entspricht: "Erkenne dich selbst". Dieser Eindruck kann die Seele so treffen, dass sie denkt: Ich bin kein Mensch im wahren Sinne des Wortes, wenn ich in mir keine Beziehung zur Welt aufbauen kann, die das "Erkenne dich selbst" als Grundcharakter hat. Die Seele kann sogar dazu kommen, diesen Eindruck als ein Erwachen aus dem Traum des Lebens zu betrachten, in den sie eingetaucht war, bevor sie durch die oben genannte Erfahrung geweckt wurde. In der ersten Periode seines Lebens entwickelt sich der Mensch so, dass in ihm das Erinnerungsvermögen wächst, mit dessen Hilfe er sich später an seine Erlebnisse bis zu einem bestimmten Zeitpunkt seiner Kindheit erinnert. Was er vor diesem Moment war, empfindet er als einen Lebenstraum, aus dem er geweckt worden ist. Die menschliche Seele wäre nicht das, was sie sein sollte, wenn diese Kraft der Erinnerung nicht aus den dunklen Eindrücken der Kindheit hervorginge. In ähnlicher Weise kann die menschliche Seele auf einer weiteren Stufe der Existenz an die Erfahrung denken, die in den Worten "Erkenne dich selbst" zum Ausdruck kommt. Es kann das Gefühl haben, dass ein beseeltes Leben, das nicht durch diese Erfahrung im Traum geweckt wurde, nicht seinen Neigungen entspricht. Philosophen haben oft betont, dass es ihnen sehr peinlich ist, wenn sie definieren müssen, was Philosophie im eigentlichen Sinne des Wortes ist. Es ist jedoch sicher, dass wir darin eine besondere Form der Erfüllung dieses Bedürfnisses der Seele erkennen müssen, die uns das Gebot gibt: "Erkenne dich selbst". Und wir können dieses menschliche Bedürfnis kennen, so wie wir wissen, was Hunger ist, auch wenn man sich vielleicht sehr schämen würde, wenn man eine befriedigende Erklärung für Hunger geben müsste. Ein ähnlicher Gedanke lebte in der Seele von J.G. Fichte, als er sagte, dass die Art der Philosophie, die jeder Mensch für sich selbst wählt, von der Art des Menschen abhängt, der er ist. Angeregt durch diese Gedanken können wir die Versuche untersuchen, die im Laufe der Geschichte unternommen wurden, um Lösungen für die Rätsel der Philosophie zu finden. In diesen Vermutungen werden wir Offenbarungen des menschlichen Wesens sehen. Denn obwohl der Mensch bestrebt ist, seine Interessen völlig zum Schweigen zu bringen, wenn er als Philosoph spricht, erscheint selbst in einer Philosophie sofort das, was die menschliche Persönlichkeit werden kann, eine Ware, die Entfaltung ihrer eigenen ursprünglichen Kräfte. So gesehen kann das Studium philosophischer Schöpfungen bestimmte Erwartungen an die Rätsel der Welt wecken. Wir können hoffen, dass wir aus dieser Studie einige Daten über den Charakter der Entwicklung der menschlichen Seele ableiten können. Und der Autor dieses Buches glaubt, dass er solche Daten gefunden hat, indem er die philosophischen Systeme des Westens durchforstet hat. In der Entwicklung des menschlichen Strebens nach Philosophie erschienen ihm vier klar unterscheidbare Epochen; und die Unterschiede zwischen diesen Epochen schienen ihm so charakteristisch zu sein wie diejenigen, die die Arten in jedem Reich der Natur trennen. Diese Tatsache führte ihn zu der Erkenntnis, dass die Geschichte der philosophischen Entwicklung der Menschheit das Vorhandensein objektiver, vom Menschen unabhängiger geistiger Impulse zeigt, die sich im Laufe der Zeit entwickeln. Und was die Menschen als Philosophen schaffen, erscheint als Ausdruck der Entwicklung dieser Impulse, die unter der Oberfläche der äußeren Geschichte wirken. Die Überzeugung, dass sich ein solches Ergebnis aus der unvoreingenommenen Betrachtung historischer Fakten als Naturgesetz aus der Betrachtung natürlicher Fakten ergibt, ist zwingend. Der Autor dieses Buches glaubt nicht, dass er sich zu einer willkürlichen Rekonstruktion der historischen Entwicklung hat verleiten lassen. Aber die Fakten zwingen dazu, solche Ergebnisse zuzulassen. Im Entwicklungsprozess der philosophischen Bestrebungen der Menschheit kann man Epochen von jeweils sieben oder acht Jahrhunderten unterscheiden, in denen unter der Oberfläche der äußeren Geschichte ein anderer geistiger Impuls herrscht, der in gewisser Weise in die menschlichen Persönlichkeiten hineinstrahlt und dessen Entwicklung die des philosophischen Denkens bestimmt. Die Fakten, die für diese Unterscheidung der Epochen sprechen, werden aus dem Buch selbst ersichtlich. Der Autor möchte, soweit möglich, die Fakten für sich selbst sprechen lassen. Hier sollen jedoch einige Leitlinien gezogen werden, die die Überlegungen, aus denen dieses Buch entstanden ist, nicht bestimmt haben, sondern sich aus ihnen ergeben haben. Man könnte meinen, dass diese Leitlinien besser am Ende des Buches platziert worden wären, da allein der Inhalt unserer Ausführungen ihre Wahrheit beweist. Wir wollten sie vielmehr als Vorwarnung vorwegnehmen, weil sie die innere Struktur der Darstellung legitimieren. Obwohl sie für den Autor das Ergebnis seiner Nachforschungen waren, haben sie sich ihm natürlich vor der Darlegung aufgedrängt und diese bestimmt. Für den Leser kann es von einiger Bedeutung sein, nicht erst am Ende des Buches zu wissen, warum der Autor die Dinge auf eine bestimmte Art und Weise darstellt, sondern sich bereits während der Lektüre ein Urteil über diese Art und Weise nach den Gesichtspunkten des Autors bilden zu können. Aber nur das, was sich auf die intime Gliederung der Ableitungen bezieht, muss hier herausgestellt werden. Die erste Epoche in der Entwicklung der philosophischen Konzepte beginnt mit der griechischen Antike. Sie lässt sich historisch eindeutig bis zu Ferecides von Syrus und Thales von Milet zurückverfolgen und endet mit dem Aufkommen des Christentums. Das geistige Streben der Menschheit in dieser Epoche unterscheidet sich wesentlich von dem früherer Zeiten. Es ist die Epoche des geistigen Lebens, die erwacht. Früher lebte die Seele in figurativen (symbolischen) Darstellungen der Welt und des Seins. Wie sehr man sich auch bemüht, denjenigen zuzuhören, die das Leben des philosophischen Denkens bereits in der vorhellenischen Zeit entwickelt sehen wollen, ein unvoreingenommenes Studium erlaubt dies nicht. Authentische Philosophie, die sich in Form von Gedanken ausdrückt, muss in Griechenland geboren werden. Was in den Weltbetrachtungen des Ostens und Ägyptens dem Element des Denkens verwandt war, war - wenn man es genau nimmt - kein wahrer Gedanke, sondern ein Bild, ein Symbol. In Griechenland entstand das Bestreben, die Zusammenhänge der Welt mit Hilfe dessen zu erkennen, was wir heute Denken nennen. Solange die menschliche Seele die kosmischen Phänomene in Bildern darstellt, fühlt sie sich mit ihnen eng verbunden; sie fühlt sich als Mitglied des kosmischen Organismus, sie denkt nicht an sich selbst als eigenständiges, von diesem Organismus getrenntes Wesen. Wenn das Denken ohne Bilder im Geist erwacht, fühlt er die Trennung zwischen der Welt und der Seele. Das Denken wird zu seinem Erzieher zur Unabhängigkeit. Aber die griechischen Erfahrungen dachten anders als der Mensch von heute. Dies ist eine Tatsache, die leicht übersehen werden kann. Sie muss jedoch berücksichtigt werden, um ein genaues Bild des griechischen Denkens zu erhalten. Der Grieche empfindet den Gedanken so, wie wir heute eine Wahrnehmung empfinden, wie wir die Empfindung von "rot" oder "gelb" empfinden. So wie wir eine Farb- oder Klangempfindung einem "Objekt" zuordnen, so sieht der Grieche den Gedanken in der Welt der Objekte und an ihr haftend. Der Gedanke an diese Zeit ist also immer noch das Band, das die Seele mit der Welt verbindet. Die Trennung zwischen der Seele und der Welt ist noch nicht vollzogen, sie beginnt gerade erst. Die Seele erfährt das Denken in sich selbst, aber sie bildet sich immer noch ein, dass sie es von der Welt erhalten hat, und hofft daher, durch den Prozess des Denkens die Rätsel der Welt zu entdecken. Unter solchen Bedingungen vollzieht sich die philosophische Entwicklung, die mit Ferecides und Thales begann, mit Platon und Aristoteles ihren Höhepunkt erreicht und dann abnimmt, bis sie zur Zeit der Gründung des Christentums zu Ende geht. Aus den Tiefen der spirituellen Evolution strömt das Leben der Gedanken in die Seelen der Menschen und lässt Philosophien entstehen, die sie dazu erziehen, ihre Unabhängigkeit gegenüber der Außenwelt zu spüren. Mit der Geburt des Christentums beginnt eine neue Ära. Die menschliche Seele kann das Denken nicht mehr als eine von der Außenwelt verursachte Empfindung empfinden. Es empfindet den Gedanken als eine Schöpfung seines eigenen, intimen Wesens: ein Impuls, weit mächtiger als das begriffliche Leben, strahlt aus den Tiefen der geistigen Evolution in die Seelen. Das Selbstbewusstsein wird nun in der Menschheit in einer Weise geweckt, die dem Wesen dieses Selbstbewusstseins entspricht. Was die Menschen bisher erlebt haben, war nur das Vorspiel dessen, was man im wahrsten Sinne des Wortes ein innerlich erlebtes Selbstbewusstsein nennen kann. Es ist zu hoffen, dass eine zukünftige Studie über die Entwicklung des Geistes dieser Epoche den Namen "Erwachen des Selbstbewusstseins" geben wird. Erst dann spürt der Mensch zum ersten Mal das volle Ausmaß seines Seelenlebens als "Ich" im wahrsten Sinne des Wortes. Die ganze Bedeutung dieser Tatsache wird von den philosophischen Geistern dieser Zeit eher unklar wahrgenommen als bewusst empfunden. Die Philosophie weist diesen Charakter bis zu Scotus Erigena (gestorben 880 n. Chr.) auf. Die Philosophen dieser Epoche tauchten ihre philosophischen Gedanken in die religiöse Darstellung ein. Durch diese Darstellung erlangt die menschliche Seele, die sich in ihrem aufkeimenden Selbstbewusstsein ganz auf sich selbst gestellt sieht, ein Bewusstsein für ihre Einbindung in das Leben des Weltorganismus. Das Denken wird zu einem einfachen Mittel, um die aus religiösen Quellen stammende Vorstellung von der Beziehung zwischen der menschlichen Seele und der Welt zum Ausdruck zu bringen. Das Gedankenleben, das in dieser Vorstellung angelegt ist und von religiösen Darstellungen genährt wird, wächst wie der Keim in der Erde, bis er hervortritt. In der griechischen Philosophie erklärt das Leben des Gedankens seine Kräfte und leitet die menschliche Seele, bis sie ihre Unabhängigkeit wahrnimmt. Dann bricht aus den Tiefen des Geisteslebens eine Manifestation hervor, die sich wesentlich vom Leben des Denkens unterscheidet. Sie erfüllt die Seele mit einer neuen inneren Erfahrung und offenbart ihr, dass sie in sich selbst eine Welt ist, die auf ihrem eigenen Gravitationszentrum ruht. Das Selbstbewusstsein wird zuerst erlebt, aber noch nicht begrifflich verstanden. Das Denken entwickelt sich dann im Verborgenen in der Wärme des religiösen Bewusstseins. So verliefen die ersten sieben oder acht Jahrhunderte nach der Gründung des Christentums. Die folgende Epoche zeigt einen völlig anderen Charakter. Die angesagten Philosophen spüren wieder, wie die Kraft der Gedanken erwacht. Die Seele hat die Unabhängigkeit, die sie seit mehreren Jahrhunderten erfahren hat, auf das Engste bestätigt. Sie beginnt, nach ihrer eigenen Fähigkeit zu suchen, und entdeckt, dass sie das Leben des Denkens ist. Alle anderen Daten kommen von außen, aber die Seele erschafft Gedanken aus den Tiefen ihres eigenen Wesens, und bei dieser Schöpfung ist sie mit vollem Bewusstsein dabei. In ihr entsteht der Drang, durch das Denken ein Wissen zu erlangen, das die Beziehung der Seele zur Welt erklären kann. Wie kann im Gedankenleben etwas ausgedrückt werden, das nicht nur von der Seele erdacht wurde? Das ist das Problem, das sich die Philosophen unserer Zeit stellen. Die geistigen Strömungen des Nominalismus, des Realismus, der Scholastik und der mittelalterlichen Mystik offenbaren diesen grundlegenden Charakter der Philosophie dieser Zeit. Die menschliche Seele versucht, das Leben des Denkens von seinem Realitätscharakter her zu erforschen. Mit dem Niedergang dieser dritten Epoche wandelt sich der Charakter der philosophischen Bestrebungen. Die Selbsterkenntnis der Seele wurde bereits durch jahrhundertelange Arbeiten zur Erforschung der Realität des Gedankenlebens untermauert. Die Menschen haben gelernt, das Leben des Denkens mit dem Wesen der Seele verbunden zu fühlen und in dieser Verbindung eine innere Sicherheit der Existenz zu finden. Wie ein mächtiger Stern leuchtet das Motto "Ich denke, also bin ich" von Descartes (1596-1650) am Himmel des Geistes, als Insignie dieser Evolutionsphase. Man spürt die Essenz der Seele, die im Gedankenleben fließt, und im Bewusstsein dieser Strömung glaubt man, die wahre Essenz der Seele zu erfahren. Und man fühlt sich in diesem im Gedankenleben erblickten Dasein so geborgen, dass man zu der Überzeugung gelangt, dass wahres Wissen nur das sein kann, was analog zu dem, was man in der Seele als das auf sich selbst aufbauende Gedankenleben erleben muss, erfahren wird. Das ist der Standpunkt von Spinoza (1632-1677). Es gibt nun Philosophien, die das Bild der Welt so formen, wie sie erscheinen muss, damit die selbstbewusste menschliche Seele, die durch das Leben des Denkens erfasst wird, einen angemessenen Platz in ihr finden kann. Wie ist die Welt so darzustellen, dass die menschliche Seele in ihr so gedacht werden kann, wie es nach dem, was über das Selbstbewusstsein bekannt ist, sein sollte? Dies ist das Problem, das einer unvoreingenommenen Untersuchung der Philosophie Giordano Brunos (1548-1600) zugrunde liegt und das sich offensichtlich als das gleiche herausstellt, das Leibniz (1646-1716) zu beantworten versucht. Die vierte Epoche in der Entwicklung der philosophischen Weltanschauungen beginnt mit den Darstellungen der Welt, die sich aus diesem Problem ableiten. Unsere heutige Epoche markiert nur ungefähr die Mitte dieses Zeitraums. Die Dissertationen in diesem Buch wollen zeigen, inwieweit es der philosophischen Erkenntnis gelungen ist, ein Bild der Welt zu entwerfen, in dem die selbstbewusste Seele einen sicheren Ort für sich selbst finden kann, um ihre eigene Bedeutung und Wichtigkeit im Sein zu verstehen. Als das philosophische Streben in seiner ersten Periode seine Kraft aus dem neu erwachten Leben des Denkens schöpfte, hegte es natürlich die Hoffnung, zur Erkenntnis einer Welt zu gelangen, zu der die menschliche Seele mit ihrem wahren Wesen gehört, mit dem Wesen, das sich nicht in dem Leben erschöpft, das sich durch den Körper und seine Sinne offenbart. In der vierten Epoche schaffen die aufblühenden Naturwissenschaften neben dem philosophischen Weltbild ein Bild der Natur, das sich allmählich verselbständigt und auf eigenem Boden steht. In diesem Naturbild mit seiner fortschreitenden Entwicklung finden wir nichts mehr von der Welt, was das selbstbewusste Ich (die menschliche Seele, die sich als selbstbewusstes Wesen erlebt) in sich selbst erkennen muss. In der ersten Epoche beginnt die menschliche Seele, sich von der äußeren Welt zu lösen und ein Wissen zu entwickeln, das sich dem eigenen Seelenleben zuwendet. Dieses besondere animische Leben findet seine Kraft in dem Element des Gedankens, das erweckt wird. In der vierten Epoche erscheint ein Naturbild, das sich seinerseits vom individuellen Seelenleben befreit hat. Man bemüht sich, die Natur so darzustellen, dass in ihr nichts erscheint, was die Seele aus sich selbst und nicht aus der Natur selbst geschaffen hat. So findet sich die Seele mit ihren inneren Erfahrungen in diesem Zeitalter auf sich selbst zurückgeworfen. Sie läuft Gefahr, sich eingestehen zu müssen, dass alles, was sie von sich selbst wissen kann, für sie nur für sich selbst von Wert ist und nicht einmal einen Hinweis auf eine Welt enthält, in der sie mit ihrem wahren Wesen verwurzelt ist. Denn im Bild der Natur kann sie nichts von sich selbst finden. Die Evolution des Denkens verläuft in vier Epochen. Im ersten Fall wirkt der Gedanke wie eine Wahrnehmung von außen. Sie setzt die wissende menschliche Seele auf sich selbst. In der zweiten Epoche ist ihre Kraft in dieser Richtung erschöpft. Die Seele wird stärker, indem sie ihr eigenes Leben erfährt; das Denken tritt in den Hintergrund und wird mit der Selbsterkenntnis verwechselt. Sie kann nicht mehr als eine Wahrnehmung von außen empfunden werden. Die Seele lernt, sie als ihre eigene Schöpfung zu empfinden. Sie muss sich fragen: Was hat diese intime Schöpfung der Seele mit der äußeren Welt zu tun? Die dritte Epoche entfaltet sich im Lichte dieser Frage. Philosophen entwickeln ein kognitives Leben, das die innere Kraft des Denkens erprobt. Die philosophische Kraft dieser Epoche offenbart sich als ein Eindringen in das Element des Denkens, als eine Kraft, das Denken in seiner Essenz zu verarbeiten. Im Laufe dieser Epoche steigert das philosophische Leben seine Fähigkeit, vom Denken Gebrauch zu machen. Zu Beginn der vierten Epoche will das kognitive Selbstbewusstsein aus seinem gedanklichen Erbe ein philosophisches Bild der Welt schaffen. Diesem Willen steht das Bild der Natur gegenüber, das mit diesem Selbstbewusstsein unvereinbar ist. Und die selbstbewusste Seele steht vor dieser Darstellung der Natur und fragt sich: Wie kann ich ein Bild der Welt schaffen, in dem die innere Welt mit ihrem wahren Wesen und die Natur zugleich fest verankert sind? Der Impuls, der von einem solchen Problem ausgeht, beherrscht (mehr oder weniger bewusst für die Philosophen) die philosophische Entwicklung seit dem Beginn der vierten Epoche. Und das ist der Impuls, der heute im philosophischen Leben vorherrscht. In diesem Buch müssen wir die einzelnen Fakten charakterisieren, die die Vorherrschaft dieses Impulses offenbaren.

DIE WELTANSCHAUUNGEN DER GRIECHISCHEN DENKER

 

Mit Pherecides von Syrus, der im sechsten Jahrhundert v. Chr. lebte, taucht im griechischen Geistesleben eine Persönlichkeit auf, in der wir die Geburt dessen beobachten können, was wir in den folgenden Abhandlungen "Welt- und Lebensauffassung" nennen werden. Was er über die Probleme der Welt sagt, ähnelt einerseits noch den mythischen und phantasievollen Darstellungen einer Zeit, die den Bemühungen um ein wissenschaftliches Weltbild vorausging. Andererseits verwandelt sich diese Darstellung des Bildes, des Mythos, in ihm in eine Kontemplation, die die Rätsel der Existenz des Menschen und seiner Stellung in der Welt durch das Denken zu lösen sucht. Er stellt die Erde noch immer unter dem Erscheinungsbild einer geflügelten Eiche dar, um die Zeus die Oberfläche der Kontinente, Meere und Flüsse wie einen Stoff entfaltet. Er glaubt, dass die Welt vom Wirken geistiger Wesen durchdrungen ist, von denen die griechische Mythologie spricht. Aber er spricht auch von drei Ursprüngen der Welt: Cronos, Zeus und Chton. In der Geschichte der Philosophie ist viel darüber diskutiert worden, was unter diesen drei von Ferecides anerkannten Ursprüngen zu verstehen ist. Da die historischen Informationen darüber, was er in seinem Werk Heptamychos darstellen wollte, widersprüchlich sind, ist es nur natürlich, dass es auch heute noch völlig unterschiedliche Meinungen über dieses Buch gibt. Wer die Informationen über Pherecides aus historischer Sicht untersucht, kann den Eindruck gewinnen, dass in ihm der Beginn der philosophischen Reflexion zu beobachten ist, dass diese Untersuchung aber schwierig ist, weil seine Worte in einem Sinne verstanden werden müssen, der weit von der heutigen Mentalität entfernt ist und noch erforscht werden muss. Den Ausführungen des vorliegenden Buches, das uns ein Bild der Welt- und Lebensvorstellungen im zehnten Jahrhundert vermitteln will, wollen wir eine kurze Skizze der bisherigen Lebens- und Weltdarstellungen voranstellen, soweit sie auf dem begrifflichen Verständnis der Welt beruhen. Wir tun dies unter dem Eindruck, dass die Ideen des letzten Jahrhunderts ihren tiefsten Sinn am besten offenbaren, wenn sie nicht nur um ihrer selbst willen genommen werden, sondern wenn sie im Licht des Denkens der vorangegangenen Epochen erleuchtet werden. Natürlich können wir in dieser "Einleitung" nicht das gesamte "Beweismaterial" präsentieren, das unsere kurze Skizze stützen soll. (Wenn es dem Autor einmal gestattet ist, diese Skizze zu einem eigenständigen Buch zu machen, wird man sehen, dass es an der nötigen Grundlage nicht mangelt. Und der Autor zweifelt nicht daran, dass andere, die in dieser Skizze eine Anregung zum Studium finden wollen, in der historischen Überlieferung die "Beweise" für das, was er sagt, entdecken werden.) Ferecides gelangt zu einem anderen Weltbild als seine Vorgänger. Wichtig an seinem System ist, dass er den Menschen als beseeltes Wesen anders wahrnimmt als seine Vorgänger. In den frühesten Darstellungen der Welt hatte das Wort "Seele" noch nicht die Bedeutung, die es in späteren Vorstellungen vom Leben erhielt. Selbst Ferecides gelangt nicht zu der Vorstellung von der Seele, die die Denker nach ihm vertreten würden. Er beschränkt sich darauf, das beseelte Element im Menschen zu spüren, während spätere Denker es gedanklich klar benennen und charakterisieren wollen. Die Menschen des primitiven Zeitalters trennen ihre menschliche animische Erfahrung nicht vom Leben der Natur. Sie stellen sich nicht als getrennte Wesen neben die Natur: Sie erleben sich in der Natur, so wie sie Donner und Blitz, die Bewegung der Wolken, die Bewegung der Sterne, das Wachstum der Pflanzen erleben. Die Kraft, die seine Hand bewegt, die seinen Fuß auf den Boden setzt und ihn gehen lässt, gehörte für den prähistorischen Menschen zu einem Bereich kosmischer Kräfte, die auch die Blitze und die Wolken bewegen, die alles bestimmen, was im Außen geschieht. Der prähistorische Mensch konnte sein Gefühl mehr oder weniger folgendermaßen ausdrücken: Etwas lässt es blitzen, donnern, regnen; etwas bewegt meine Hand, bewegt meinen Fuß vorwärts, verursacht meinen Atem, lässt meinen Kopf drehen. Um dieses Wissen auszudrücken, müssen Worte verwendet werden, die auf den ersten Blick übertrieben erscheinen. Der wahre Sachverhalt lässt sich aber nur durch ein scheinbar übertriebenes Wort fassen. Ein Mensch, der, wie wir sagen, die Welt abbildet, spürt im fallenden Regen eine wirkende Kraft, die wir heute als "geistig" bezeichnen würden und die mit derjenigen übereinstimmt, die er spürt, wenn er einer persönlichen Beschäftigung nachgeht. Es mag interessant sein, diese Art der Darstellung in Goethes Jugend zu finden, natürlich mit den für eine Persönlichkeit des neunzehnten Jahrhunderts typischen Nuancen. In Goethes Dissertation mit dem Titel Natur kann man lesen: "Sie (die Natur) hat mich in die Welt eingeführt, sie wird mich auch aus ihr herausführen. Ich vertraue mich ihm an. Sie kann über mich verfügen. Sie wird ihre Arbeit nicht hassen. Ich habe nicht von ihr gesprochen. Nein, das Wahre und das Falsche, sie hat alles gesagt. Alles ist ihre Schuld, alles ist ihr Verdienst.