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Universitäten sind dynamischen Entwicklungen unterworfen, was auch zum Prozess der Hinterfragung ihrer Leistungen führt. Dieser Prozess ist an Verfahren der Qualitätssicherung und an fachliche Standards gekoppelt, die neuerdings mit dem Konzept der „Exzellenz“ in Verbindung gebracht werden. Auch für die Rechtswissenschaft und ihre Subdisziplin der Rechtsdidaktik stellt sich die Frage, was Qualität ausmacht, wie sie Qualität sichert oder entwickelt und ob sie auch hohe oder höchste Qualität erreicht. Dieser Band beinhaltet rechtsdidaktische Beiträge aus allen juristischen Disziplinen, aber auch interdisziplinäre sowie allgemein-didaktische.
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Seitenzahl: 307
Veröffentlichungsjahr: 2023
P. Warto, I. Deibl, H. Astleitner, J. Zumbach (Hg.)
Exzellenz in Rechtswissenschaft und Rechtsdidaktik
Assoz.-Prof. MMag. DDr. Patrick Warto
Fachbereich Arbeits- und Wirtschaftsrecht, Universität Salzburg
Dr.in Ines Deibl, MA
Pädagogische Hochschule Oberösterreich
Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Hermann Astleitner
Fachbereich Erziehungswissenschaft, Universität Salzburg
Univ.-Prof. Dr. Jörg Zumbach
Fachdidaktische Lehr-Lernforschung mit Schwerpunkt Neue Medien, School of Education, Universität Salzburg
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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© 2023 facultas Universitätsverlag,
Facultas Verlags- und Buchhandels AG, Wien, Austria
Alle Rechte, insbesondere das Recht der
Vervielfältigung und der Verbreitung sowie der Übersetzung, sind vorbehalten.
Coverillustration: © cnythzl – iStockphoto
Druck: Facultas Verlags- und Buchhandels AG
ISBN 978-3-7089-2386-4 (Print)
ISBN 978-3-99111-784-1 (E-Pub)
Vorwort und Danksagung
Universitäten sind dynamischen gesellschaftlichen, technischen und ökonomischen Entwicklungen unterworfen, was auch zum Prozess der Hinterfragung ihrer Leistungen führt. Dieser Prozess ist an Verfahren der Qualitätssicherung und an fachliche Standards gekoppelt, die neuerdings mit dem Konzept der „Exzellenz“ in Verbindung gebracht werden. Auch für die Rechtswissenschaft und ihre Subdisziplin der Rechtsdidaktik stellen sich die Fragen, was Qualität überhaupt ausmacht, wie sie Qualität sichert oder entwickelt und ob sie auch hohe oder höchste Qualität erreicht. Um diese Fragen beantworten zu können, bedarf es der Auseinandersetzung mit den Standards und Methoden juristischen Qualitätsmanagements und dessen Auswirkungen auf die Leistungen in Rechtsprechung, Forschung und Lehre. Insbesondere müssen auch Möglichkeiten und Grenzen der Definition, Messung und Nutzung von Kenngrößen im Qualitätsmanagement kritisch hinterfragt werden. Solche Kenngrößen betreffen beispielsweise die Prüfungsaktivität von Studierenden, die Ergebnisse von Lehrevaluationen, Zitationsmaße in der Forschung, aber auch juridische Entscheidungen oder Fehler in juristischen Verfahren.
Am 18. und 19. November 2021 wurde die 4. internationale und interdisziplinäre Fachtagung Rechtsdidaktik an der Paris Lodron Universität Salzburg nach dem Motto „Exzellenz in Rechtswissenschaft und Rechtsdidaktik“ durchgeführt. Das Programm der Tagung umfasste Beiträge aus allen juristischen Disziplinen sowie interdisziplinäre aber auch allgemein-didaktische Arbeiten. Die Tagung wurde in interdisziplinärer Kooperation der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, der School of Education und des Fachbereichs Erziehungswissenschaft der Paris Lodron Universität Salzburg veranstaltet.
Hier liegt nun der Tagungsband dieser Tagung vor, der sowohl theoretische, empirische als auch praktische Beiträge enthält. Wie bei allen anderen rechtsdidaktischen Tagungsbänden in dieser Reihe war auch dieser Band durch eine durchaus komplexe interdisziplinäre Zusammenarbeit geprägt. Es wurden nicht nur Beiträge von Forschenden aus den unterschiedlichen Disziplinen der Rechtswissenschaft berücksichtigt, sondern auch Beiträge aus der Erziehungswissenschaft bzw. Pädagogischen Psychologie, wobei manche Arbeiten sogar in intensiver fachübergreifender Zusammenarbeit realisiert wurden. Diese unterschiedlichen Disziplinen trennen fachspezifische Forschungsorientierungen, -standards oder -praktiken, was sich beispielsweise in unterschiedlichen Theoriekonzepten, wissenschaftlichen Methoden oder Arten wissenschaftlichen Zitierens zeigt. Wir sind in diesem Tagungsband in folgender Art und Weise mit dieser Problematik, die originär zur Rechtsdidaktik gehört, umgegangen: 1. Wir haben die wissenschaftlichen Beiträge durch gemischte Teams von Forschenden aus der Rechtswissenschaft und Erziehungswissenschaft bzw. Pädagogischen Psychologie ausgewählt und bewertet. 2. Wir haben überall dort, wo interdisziplinäre Teams zusammengearbeitet haben, nur eine wissenschaftliche Orientierung (und z. B. deren Zitierarten) priorisiert. 3. Beiträge, in denen nur Forschende aus einer Disziplin gearbeitet haben, wurden nur unter der einen jeweiligen fachspezifischen Perspektive abgehandelt. 4. Wenn es in der interdisziplinären Zusammenarbeit Inkompatibilitäten gegeben hat, dann hat der Erstherausgeber dieses Bandes versucht, eine konziliante Problemlösung zu realisieren.
In den konzeptionell-theoretisch ausgerichteten Beiträgen befassen sich Rzadkowski, Musumeci und Sefkow mit der Frage, wie eine rechtsdidaktische Forschung weiterentwickelt werden könnte. Dabei gehen sie von der zentralen Annahme aus, dass es an der Vernetzung von Forschungsaktivitäten und am systematischen Aufbau einer evidenzbasierten Wissensbasis fehlt. Sie zeigen mit Ansätzen aus den Bereichen der Scholarship of Teaching and Learning und der Design-basierten Forschung an zwei Dissertationsprojekten auf, wie der Fragmentierung der rechtsdidaktischen Forschung entgegengewirkt werden könnte. Dabei illustrieren sie einen Weg vom theoretischen Modell zur konkreten didaktischen Intervention, indem sie didaktische Modelle, didaktische Prinzipien und Gegenstandsbereiche systematisch verknüpfen. Astleitner stellt in einem weiteren Beitrag die Frage, wie effektiv das Exzellenz-Konzept in der Weiterentwicklung der Qualität der Lehre ist. Um diese Frage bearbeiten zu können, führt er einen narrativen Literaturreview durch, der eine Reihe von Problemen bei der Gestaltung und Umsetzung von Exzellenz-Konzepten identifiziert. Um die aktuellen Probleme von Exzellenz-Konzepten in der Qualitätssicherung verringern zu können, schlägt er alternative Ansätze vor, wie beispielsweise die „beste subjektive Qualität“, die Implementierung einer „Fehlerkultur“, die Nutzung „smarter Lernstrategien“ bei Studierenden oder die fachübergreifende Entwicklung der studentischen Persönlichkeit als Wettbewerbsvorteil im Exzellenz-Rennen. Als Hilfe bei der Implementierung alternativer Qualitätsentwicklungsaktivitäten werden partnerschaftlich ausgerichtete Forschungsprojekte mit Studierenden im Sinne von kooperativen Erkundungsversuchen von Exzellenz vorgeschlagen.
Im Abschnitt des Buches, der ausgeprägt empirische Arbeiten im Kontext von Exzellenz fokussierenden Qualitätsentwicklungsprozessen in der Lehre enthält, stellen zunächst Zumbach und Astleitner die Frage, ob sich Studierende der Rechtswissenschaften in zentralen Persönlichkeitseigenschaften und Kollegialität von Lehramtsstudierenden unterscheiden. Eine Online-Befragung von 192 Studierenden zeigte dabei vor allem Unterschiede in den Persönlichkeitsmerkmalen der Extraversion, der Verträglichkeit, der Gewissenhaftigkeit sowie bei Freundschaft, Zusammenarbeit, Empathie, Ignoranz, Herabsetzung, Offenheit, Antipathie, bei persönlichem Einsatz, Altruismus, Höflichkeit und motivationalen Zielorientierungen. Die Ergebnisse werden im Kontext von Studienwahl und von Zielen im Studium reflektiert. Pittl und Konrad beschreiben die Erfahrungen, die bei der Implementierung von Online-Lehre in zwei Lehrveranstaltungen aus dem Bereich des Wohnrechts gemacht wurden. Die Ergebnisse von 18 vollständigen Datensätzen zeigen einerseits stark variierende Einschätzungen, andererseits aber auch eine differenzierte ziel- bzw. aufgabenorientierte Bewertung der Studierenden. Die Ergebnisse legen nahe, dass Online-Lehre wohl dann am wirkungsvollsten ist, wenn sie in der Lage ist, konkrete und wichtige Lernförderaufgaben für die Studierenden effektiv und effizient zu unterstützen. Helm, Lengauer und Schmollgruber berichten über eine empirische Studie im Bereich des Strafrechts, bei der ein Tutoriensystem mit einer Online-Befragung von 210 Studierenden evaluiert wurde. Grundlage der komplexen statistischen Analysen bildete ein theoretisches Modell der Basisdimensionen von Unterrichtsqualität. Die Ergebnisse zeigen kognitive Aktivierung, Classroom Management und soziale Lernunterstützung als wichtige Einflussgrößen für den Lernerfolg bzw. die erzielten Noten. Neben einer ausführlichen methodenkritischen Diskussion werden auch Zielgrößen für eine Weiterentwicklung des Tutorien-Programms diskutiert. Pierer beleuchtet in seiner empirischen Analyse das wichtige und komplexe Problem des Umgangs mit Ambiguität im Kontext einer Lehrveranstaltung im rechtswissenschaftlichen Studium. Im didaktischen Konzept dieser Lehrveranstaltung werden reale rechtskräftig entschiedene Fälle, verschiedene Entscheidungen der Instanzen, Multiperspektivität sowie das Kriterium der Vertretbarkeit berücksichtigt. Die Bewertung dieser Lehrveranstaltung durch eine Evaluation und eine Online-Befragung, bei der 52 (am Beginn) bis 31 (am Ende) Studierende teilnahmen, zeigt deskriptive Änderungen beim Bewusstsein, bei den Erwartungen und beim Umgang mit Ambiguität. Die Erfahrungen ermutigen zu einem flexiblen Einsatz dieses Themas im Rahmen rechtswissenschaftlicher Studien bzw. in Lehrveranstaltungen oder Einheiten von Lehrveranstaltungen.
Im Abschnitt der praktischen Anwendungsfelder befassen sich Lohse, Kuhlmann und Schafmeister mit dem Einsatz von Erklärvideos im Verwaltungsrecht. Kessler, Neumann, Eberl und Kahofer zeigen mit dem Legal-Literacy-Projekt wie rechtliche Bildung an Schulen mit Workshops implementiert werden kann. Der Beitrag von Hartmann befasst sich mit der Gestaltung von Open-Book-Prüfungen, die online in einer Verfassungsrechtsvorlesung eingesetzt wurden. Sonnleitner zeigt die Entwicklung einer Handy-App zur Verbesserung der Konfliktlösungskompetenz im einem universitären Verbundprojekt auf. Steinfeld illustriert, wie die Methode des Mentoring die Entwicklung rechtsdidaktischen Wissens fördern kann. Schließlich berichtet Uhlenwinkel von der Entwicklung einer App zur Vermittlung von Wissen im Steuerrecht mit der Hilfe von Thinking-Through-Ansätzen. Diese in diesem Buchabschnitt dargestellten Projekte zeigen anschaulich, dass Exzellenz in der rechtswissenschaftlichen Lehre gerade und besonders von kreativen und innovativen Impulsen von Lehrenden und Studierenden lebt. Das Hauptproblem dabei ist, dass universitäres Lehren und Lernen unter einem starken Druck passiert: Lehrende leben unter dem Primat der Forschung bzw. des Forschungsoutputs und Studierende wollen keine Lern-Experimente machen, sondern effektiv einen Abschluss erwerben. Dieser immanente Anpassungsdruck führt in der Lehre oft dazu, dass in der Vergangenheit Gewohntes auch in der sich stark verändernden Zukunft eingesetzt wird. Änderungen setzen allerdings das Wechselspiel von Wissen, kritischem Denken und kreativem Denken voraus, wobei der Kreativität als intellektuelle Teilleistung zum Erreichen von Exzellenz eine besondere Funktion zukommt. Kreativität setzt ein Hinterfragen von gängigen Paradigmen sowie ein kreatives Klima in Organisationen voraus, was eigentlich zu den Kernbedingungen jeglichen wissenschaftlichen Arbeitens gehört (Grosul & Feist, 2014; Sternberg, 2018). Worauf es dann besonders ankommt, wären didaktische Lösungen, die „funktional kreativ“ sind (Cropley & Kaufman, 2012). Solche Lösungen haben Relevanz, Problemorientierung, Originalität, Eleganz und Anregungsgehalt. Dazu bräuchte man natürlich auch Lehrende, die sich nicht nur als Vermittler von Wissen verstehen, sondern vor allem auch als kreative Persönlichkeiten, die neugierig sind und Risiken eingehen (Selby et al., 2005). Möge unser Buch funktionale Kreativität anregen und kreative Lehrende in ihrem Weg zur Exzellenz in der rechtswissenschaftlichen Lehre unterstützen!
Wir danken den im Buch versammelten AutorInnen für Ihr Engagement und Ihre kreativen Beiträge. Dieses Buch wäre auch nicht möglich gewesen ohne die große Unterstützung bei der Drucklegung. Wir bedanken uns für finanzielle, organisatorische und editorische Hilfen beim Förderverein zur wissenschaftlichen Forschung an der Paris Lodron Universität Salzburg, bei der Evers-Marcic-Stiftung, bei der Paris Lodron Universität Salzburg und beim Facultas Universitätsverlag.
Patrick WartoInes DeiblHermann AstleitnerJörg Zumbach
Literaturverzeichnis
Cropley, D. H. & Kaufman, J. C. (2012). Measuring functional creativity: Non-expert raters and the creative solution diagnosis scale. The Journal of Creative Behavior, 46, 119–137. https://doi.org/10.1002/jocb.9
Grosul, M. & Feist, G. J., (2014). The creative person in science. Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts, 8(1), 30–43. https://doi.org/10.1037/a0034828
Selby, E. C., Shaw, E. J. & Houtz, J. C. (2005). The creative personality. Gifted Child Quarterly, 49(4), 300–314. https://doi.org/10.1177/001698620504900404
Sternberg, R. J. (2018). A triangular theory of creativity. Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts, 12(1), 50–67. https://doi.org/10.1037/aca0000095
Inhaltsverzeichnis
Exzellenz in Rechtswissenschaft und Rechtsdidaktik
Matthias Neumayr
Theoretische Grundlagen
1 Exzellente Forschung in der rechtswissenschaftlichen Fachdidaktik
Nora Rzadkowski, Lukas Musumeci, Anton Sefkow
2 Exzellenz in Rechtslehre und -didaktik – eine problemsensitive Analyse aus Sicht der sozialwissenschaftlichen Forschung
Hermann Astleitner
Empirische Studien
3 Dunkle oder helle Seite der Macht? Unterscheiden sich Studierende der Rechtswissenschaften in positiven, neutralen und negativen Persönlichkeitseigenschaften und Kollegialität von Lehramtsstudierenden?
Jörg Zumbach, Hermann Astleitner
4 Zur Verbesserung der Interaktion zwischen Lehrenden und Studierenden im virtuellen Raum
Raimund Pittl, Ramona Konrad
5 Das Tutoriensystem für das Fach Strafrecht im Diplomstudium der Rechtswissenschaften
Christoph Helm, Siegmar Lengauer, Lisa Schmollmüller
6 Rechtsdidaktischer Umgang mit Ambiguität
Joachim Pierer
Praktische Anwendungsfelder
7 „Digitaler Coffee to go“ – Erklärvideos zur Vorlesung „Allgemeines Verwaltungsrecht und Verwaltungsprozessrecht“
Eva Julia Lohse, David Kuhlmann, Paul Schafmeister
8 Rechtsdidaktik im außeruniversitären Kontext
Julian Kessler, Thomas Neumann, Manuel Eberl, Anna Kahofer
9 Open-Book-Prüfungen im Online-Format – Von der Konzeption zur Anwendung anhand einer Verfassungsrechtsvorlesung
Natalia Hartmann
10 Entwicklung einer Handy-App zur Verbesserung der Konfliktlösungskompetenz
Karin Sonnleitner
11 Rechtsdidaktische Professionalisierung begleiten – Entwicklung fachdidaktischen Wissens (Pedagogical Content Knowledge) bei Novizen und Novizinnen durch Mentoring
Jan-Phillip Steinfeld
12 Nutzung von „Thinking-Through“-Ansätzen in der Entwicklung einer App zur Vermittlung von Steuerrecht
Anke Uhlenwinkel
AutorInnenverzeichnis
Exzellenz in Rechtswissenschaft und Rechtsdidaktik
Matthias Neumayr
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich der Rechtswissenschaften, liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich der Didaktik,
liebe Kolleginnen und Kollegen, die Rechtswissenschaften und Didaktik vereinen,
vielen Dank für die ehrenvolle Einladung, auf der Fachtagung die Keynote-Speech zu halten.1 Danke vor allem auch an Patrick Warto für viele fruchtbare Diskussionen im Vorfeld.
Ein erster Überblick
In meiner Keynote-Speech möchte ich versuchen, einen Bogen aus meiner persönlichen Sicht zu spannen, und zwar ausgehend von dem Ziel, ein „exzellentes Produkt“ in Form von gut gerüsteten Absolventinnen und Absolventen abzuliefern, die auch in den nächsten Jahrzehnten ihrer beruflichen Praxis als Juristinnen und Juristen reüssieren können. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir darauf achten, dass unsere Lehre exzellent ist. Das, was ich Ihnen sagen werde, ist keineswegs neu; zu einem Teil wurde es auch schon auf den bisherigen Tagungen gesagt. Ich möchte auch auf Beispiele verzichten, mit welchen didaktischen Methoden wir im Einzelnen in unserer Lehre besser werden können. Verbessern können wir uns allemal, da nenne ich mich selbst2 an erster Stelle, und wir müssen uns auch verbessern. Der Markt wird zunehmend kompetitiv, sowohl zwischen rechtswissenschaftlichen Fakultäten als auch darüber hinaus.
Bildung oder Ausbildung?
Im Jahr 2014 hat Walter Berka bei der 1. Fachtagung Rechtsdidaktik in Österreich den Hauptvortrag gehalten mit dem Titel „Die Lehre der Jurisprudenz: Bildung oder Ausbildung?“
Mit Walter Berka habe ich schon deshalb eine besondere Verbindung, weil er aus dem gleichen Ort stammt wie ich, nämlich aus Saalfelden am Steinernen Meer.
Die Matura hat Walter Berka an der LBA in Salzburg abgelegt, wollte also möglicherweise einen genuin pädagogischen Beruf ergreifen, bevor er das Studium der Rechtswissenschaften aufgenommen hat. In gewisser Weise ist er zu einem Doyen unserer Fakultät geworden. Im Sommer 2021 ist er für uns alle über- raschend verstorben. Neben seiner intensiven Forschungstätigkeit blieb Walter Berka die exzellente Lehre immer ein besonderes Anliegen.
Sein Beitrag im ersten Tagungsband beginnt mit den treffenden Worten: „Mit dem heutigen Tag ist die Rechtsdidaktik auch in Österreich angekommen.“
Ich bin froh – und auch stolz, dass es die Fachtagung Rechtsdidaktik in Salzburg in diesem Jahr wieder gibt, zum vierten Mal, mit einem Jahr Verspätung im gewohnten Zwei-Jahres-Rhythmus. Schade, dass die Tagung nicht in Präsenz stattfinden kann, doch daran haben wir uns schon gewöhnen müssen.
Exkurs 1: Die Online-Lehre
Ich freue mich, dass ich Sie auf dem Bildschirm sehe. Bei meiner Online-Lehrveranstaltung am vergangenen Montag war das nicht der Fall. Trotz meiner wiederholten Bitten, die Kameras einzuschalten, sehe ich fast nur Namen auf dem Bildschirm vor mir. Mein Fakultätskollege Otto Lagodny hat einmal die Frage gestellt, ob sich ungefähr 20-jährige Studierende nicht bewusst sind, dass sie selbst lernen müssen. Ich muss mich selbst fragen, ob nur der Druck einer Beurteilung – eine solche gibt es bei meiner Montags-Lehrveranstaltung nicht – es zuwege bringt, eine Online-Mitarbeit zu generieren. In einer der letzten Ausgaben des Nachrichtenmagazins „profil“ wurde über die „Lost Generation“ der Studierenden unter COVID-19-Bedingungen berichtet. Für mich recht aufschlussreich hat eine Studierende es als störend empfunden, dass bei ihrer Präsentation keiner ihrer Kolleginnen und Kollegen die Kamera eingeschaltet hat. Also doch nicht nur bei mir … Im Hörsaal bin ich in der Lage, Augenkontakt zu suchen, jemanden direkt anzusprechen, in diesem Sinn also Interaktion herzustellen. So weit bin ich noch nicht gegangen, dass ich einfach einen der Namen vor mir aufgerufen habe, um eine Antwort auf meine Frage zu erbitten. Das Lernen von Recht – wenn ich es vereinfacht so nennen kann – beruht auf der Auseinandersetzung mit Argumenten, nicht darauf, dass ich mich wie ein Festspielpublikum am Vortrag mehr oder weniger ergötze und am Ende brav klatsche.
Was kann Exzellenz in Rechtswissenschaft und Rechtsdidaktik bedeuten?
Nun weg von dieser allwöchentlichen COVID-19-Frustration – zum Thema: Exzellenz in Rechtswissenschaft und Rechtsdidaktik – vielleicht darf ich aufgrund meines Hauptberufs noch hinzufügen: Exzellenz in der Rechtspraxis.
Was ist Exzellenz? Und vor allem: Wie gehen wir mit Exzellenz um? In einem Gespräch in einem Fachkreis werden wir uns darüber einig werden, dass es Exzellenz in der Rechtswissenschaft und in der Rechtsdidaktik und auch in der Rechtspraxis gibt und auch geben soll. Ob das in dieser Form Allgemeingut in unserer Gesellschaft ist, weiß ich allerdings nicht. Wenn am vergangenen Sonntag im Parallel-Riesentorlauf in Lech im Finale nach zwei Durchgängen der Vorarlberger Christian Hirschbühl um 7/100 Sekunden schneller war als sein Finalgegner, der Tiroler Dominik Raschner, dann ist er offenbar exzellenter gefahren – das kann man ja auch gut messen. Wenn es der englische Sänger Ed Sheeran mit seinem Lied „Shivers“ auf Platz 1 der deutschen Charts schafft – übrigens auch in Österreich – trifft er offensichtlich den aktuellen Publikumsgeschmack exzellenter als seine Kollegen von Coldplay. Solche handfesten Fakten wie Hundertstelsekunden oder Verkaufszahlen haben wir in der Wissenschaft nicht zur Verfügung. Jedenfalls richtet sich die Bewertung eines juristischen Werks als exzellent nicht nach der Verkaufszahl. Diese fehlende „objektive“ Bewertbarkeit ist wohl mit ein Grund dafür, dass Exzellenz – auch – in der Lehre des Rechts zuweilen abgetan wird: Es gibt keinen Konsens, wie gute Lehre aussieht, wir haben das immer schon so gemacht, vielleicht sogar: Wir wollen das nicht, denn berufen worden sind wir aufgrund der erbrachten oder noch zu erwartenden Forschungsleistungen.
Das Motto der Veranstaltung zeigt, dass wir uns mit einer solchen Sicht nicht anfreunden können und wollen: Ja, wir wollen Exzellenz, wir brauchen Exzellenz, wir müssen uns der Exzellenzfrage stellen. Noch wenig in Österreich, schon mehr in Deutschland, noch mehr im angloamerikanischen Raum gibt es Rankings von Universitäten und Law Schools. Man kann die herangezogenen Kriterien gut und gern hinterfragen, doch es ist ein Faktum, dass es Rankings gibt. Und auch ohne Rankings ist mir klar: Auf einer Universität müssen wir Leistung erbringen, und zwar nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Lehre. Wir bilden Juristinnen und Juristen aus, die auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt werden sollen, weil sie „etwas können“. Wir bilden sie also für den Beruf vor.
Wir wissen auch, dass es sehr schwer ist, zu sagen, was von uns ausgebildete Juristinnen und Juristen „können sollen“. Ich wage mich gar nicht an die Beantwortung der Frage heran, ob wir die Besten noch besonders fördern sollen oder wir einen allgemeinen Grundstandard vermitteln sollen – letztlich werden wir hier weiterhin einen Kompromiss finden müssen, der beides halbwegs abdeckt – alles ist nicht möglich.
Viele von Ihnen werden wissen, dass ich in einer engen Kooperation mit der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni Graz stehe. Die Fakultät hat einen Button kreiert: „Thinking Law!“ Ich bin sicher, dass wir alle unterschreiben können, dass das ein gutes Motto ist, vielleicht wäre „Recht denken“ noch schöner, denn wir bewegen uns ja in den meisten juristischen Berufen in der deutschen Sprache. Das gute Beherrschen der Sprache ist eine wesentliche Voraussetzung für eine exzellente Arbeit des Juristen.
Zurück zum Button „Thinking Law!“. Auch wenn die Meinung, das rechtswissenschaftliche Studium bestehe im Wesentlichen aus Auswendiglernen, nicht auszurotten ist, sehen wir als graduierte Juristinnen und Juristen – egal, in welcher Profession – in der Auseinandersetzung mit juristischen Argumenten. Wer in einem juristischen Beruf tätig ist, und das sind dann doch die meisten Absolventinnen und Absolventen des rechtswissenschaftlichen Studiums, weiß, dass es oft keine eindeutigen Lösungen gibt, dass es also nichts nützt, die Rechtsprechung des OGH oder des BGH zu kennen, sondern dass es der Analyse der Argumente und ihrer Gewichtung im Rahmen eines rationalen Begründens bedarf. Nicht auf das Ergebnis kommt es an, sondern auf den Weg dorthin. Otto Lagodny spricht hier von „Begründungskompetenz“: Rationales Begründen ist eine Selbstverständlichkeit in einem Rechtsstaat, denn nur eine begründete Entscheidung ist eine rechtsstaatliche Entscheidung.3
Diese Fähigkeit muss trainiert werden, und zwar immanent in allen juristischen Fächern. Eine Fakultät kann dieses Training nicht in eigene Methodenveranstaltungen auslagern. Sind wir uns darüber einig, dass bestimmte Grundkompetenzen in allen Fächern gelehrt und antrainiert werden, verliert auch das Problem der geringen Abstimmung der Fächer untereinander etwas an Bedeutung.
Die Studienarchitektur
Im Vergleich zu Deutschland tut sich eine österreichische Universität bei der grundlegenden Ausrichtung des angebotenen Studiums leichter, einerseits, weil die Studienarchitektur weitgehend Sache der Universität ist, andererseits, weil wir kein Staatsprüfungssystem haben, sondern sozusagen eine akademisierte Juristenausbildung, die allein in der Verantwortung der Universitäten liegt. Daher ersparen sich die österreichischen Studierenden der Rechtswissenschaft den Druck der Beurteilungen der Staatsexamina für ihre weitere Berufslaufbahn – und auch die Kosten für außeruniversitäre Repetitorien. Die Rekrutierung erfolgt eben nicht aufgrund von Examensnoten – darauf werde ich noch eingehen.
Noch ein Wort zur Freiheit der Universitäten bei der Studienarchitektur: Zweifellos können auch die österreichischen Fakultäten nicht am Markt vorbeiproduzieren, was sich schon in den mittlerweile an fast allen Fakultäten angesiedelten Ausbildungsgängen mit Bezeichnungen wie „Recht und Wirtschaft“ oder „Wirtschaftsrecht“ zeigt. Den Absolventen dieser Studienrichtungen bleibt aber in den meisten Fällen der Zugang zu den klassischen juristischen Berufen verwehrt, das Ausbildungsziel geht mehr in eine unternehmensjuristische Richtung.
Zurück zum klassischen Jus-Studium: Die klassische Juristenausbildung läuft noch immer in Richtung eines Universaljuristen. Erfreulicherweise scheint mir die grundsätzliche Richtung doch allgemein in Richtung einer allgemeinen juristischen Bildung zu gehen, weniger in Richtung einer bestimmten Berufsausbildung, weil es ja kaum möglich ist, die Berufsspezifika der später hauptsächlich eingeschlagenen Berufswege bereits im Studium abzubilden. Natürlich steht auch in Österreich der Beruf der Richterin oder des Richters irgendwie am Horizont des Studienendes und – wie eine Studie der Uni Graz gezeigt hat4 – tendiert auch ein großer Teil der Absolventinnen und Absolventen in den Richterberuf, obwohl weder in der ordentlichen Gerichtsbarkeit noch in der Verwaltungsgerichtsbarkeit eine größere Zahl an Ausbildungsplätzen zur Verfügung stehen. Damit findet nur ein geringer Teil der Absolventinnen und Absolventen den Weg in die Gerichtsbarkeit.
Ich möchte zwei Konsequenzen des österreichischen Systems der Juristenausbildung hervorheben:
Zum einen schließt sich an das Studium erst die eigentliche – meist mehrjährige – Ausbildung für einen bestimmten Beruf an. Zum anderen ist ab diesem Zeitpunkt die Durchlässigkeit zwischen den Berufen eher gering: Den eingeschlagenen Weg behält man meist bis zum Ende der Berufslaufbahn bei; es ist z. B. nicht üblich, zwischen den Berufen eines Richters und eines Rechtsanwalts zu wechseln; das ist typischerweise auf die Anfangsphase und meist nur auf einen einzelnen Wechsel beschränkt; ein „Hin und Her“ gibt es fast überhaupt nicht.
Rekrutierung von Richteramtsanwärterinnen und Richteramtsanwärtern in der ordentlichen Gerichtsbarkeit
Zur Rekrutierung möchte ich beispielhaft auf meinen Hauptberuf als Richter zurückgreifen. Wie ich schon erwähnt habe, ist der Gang in diesen Beruf aktuell sehr begehrt und die Gerichtsbarkeit kann unter vielen Aspirantinnen und Aspiranten aussuchen, die in einem längerdauernden Selektionsprozess ausgesucht werden. Dabei stehen interessanterweise weniger die in der universitären Ausbildung forcierten juristischen Fähigkeiten im Vordergrund, sondern mehr die sozialen Kompetenzen, oder genauer: Die Einschätzung, die Richterinnen und Richter über die Persönlichkeit der Aspirantinnen und Aspiranten abgehen: Kann aus dieser Frau, aus diesem Mann eine gute Richterin, ein guter Richter werden? Richter sind unabsetzbar, daher will man lieber sicher gehen, dass man keine Personen nimmt, die vielleicht tolle Juristen sein mögen, sich aber im sozialen Umgang schwertun. Und der Großteil der Richterinnen und Richter arbeitet in erster Instanz, wo sehr oft andere Fähigkeiten eine wichtigere Rolle spielen als juristische. Bitte verstehen Sie mich richtig: Ich möchte die juristischen Fähigkeiten nicht abwerten, natürlich müssen sie zumindest im Hintergrund immer präsent sein, doch an erster Stelle stehen sie nicht.
In diesem Sinn liegt die Exzellenz stärker in sozialen Fähigkeiten: Sich gut in andere Menschen hineindenken können, die Menschen „hinter den Akten“ sehen, gut mit der Sprache umgehen können, Freude am Umgang mit Menschen haben, sich schnell auf die jeweilige Situation einstellen können und eine konstruktive Atmosphäre schaffen. Als Richterin oder Richter muss man auch in der Lage sein, sich zurückzunehmen und seine eigene Persönlichkeit und sein Verhalten ständig zu hinterfragen und entsprechend anzupassen.
Was erwarten wir dann als Richter von Absolventinnen und Absolventen des Studiums? Keine Spezialkenntnisse im Wasserrecht und im Vergaberecht, sondern dass die Fähigkeit ausgebildet wurde, Zusammenhänge zu erkennen, vernetzt zu denken, Argumente zu finden und zu gewichten und vor allem: diese auch nach außen kommunizieren zu können. Dazu bedarf es keiner Lehrveranstaltungen, sondern es muss in allen Lehrveranstaltungen angelegt sein, dass nicht nur Fässer mit Wissen angefüllt werden, sondern dass rationales „Begründen“ gelernt wird.
Wer vor drei Jahren bereits bei der Rechtsdidaktik-Tagung dabei war, kennt den österreichischen Ausbildungsbogen für Rechtspraktikanten und Richteramtsanwärter. Hier geht es (vor allem) um die Bewertung der sogenannten „Über- nahmswerberinnen“ bzw. „Übernahmswerber“ in der Gerichtspraxis. Das sind diejenigen, die das Richteramt anstreben. Sie werden regelmäßig von den Ausbildungsrichterinnen und Ausbildungsrichtern, denen sie „zugeteilt“ sind, beurteilt (im internen Fachjargon heißt es: „beschrieben“). Der Beurteilungsbogen wird auch für diejenigen verwendet, die bereits als Richteramtsanwärterinnen oder Richteramtsanwärter „übernommen“ wurden (und mit einer doch recht hohen Wahrscheinlichkeit einmal Richterinnen oder Richter werden). Dabei wird bei den fachlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ähnlich dem Schulnotensystem ein Zahlensystem von 1–7 verwendet, wobei 1 die schlechteste, 4 eine durchschnittliche und 7 die beste Einstufung ist. Wird eine Kandidatin bzw. ein Kandidat bei einer Frage mit 1, 2, 6 oder 7 beurteilt, ist eine verbale Erläuterung oder eine möglichst illustrative und plastische Schilderung konkreter Beobachtungen erforderlich. Was idealiter erwartet wird (7) und was nicht erwartet wird (1), ist bei den einzelnen Fragen angegeben. Bei den Bereichen Motivation und Einsatz, Arbeitsverhalten, Soziale Kompetenzen und Persönlichkeitsstruktur (siehe unten) geht das Beurteilungsschema von -3 bis +3; hier ist die „Idealnote“ 0. In diesen vier Bereichen ist jedenfalls auch eine verbale Erläuterung erforderlich.
Der (in den vier Oberlandesgerichtssprengeln in Österreich mit leichten Abweichungen verwendete) Beurteilungsbogen gliedert sich in folgende Teilbereiche:
■ Fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten (die Einzelfragen beziehen sich auf: juristisch-technische Kenntnisse, mündliche Ausdrucksfähigkeit und Verhandlungsgeschick, schriftliche Ausdrucksfähigkeit, Umgang mit Datenbanken und EDV-Unterstützung, Lernfähigkeit und Auffassungsgabe)
■ Motivation und Einsatz (die Einzelfragen beziehen sich auf: Leistungsmotivation, Gestaltungsmotivation, Verantwortungsbereitschaft, Beharrlichkeit und Ausdauer)
■ Arbeitsverhalten (die Einzelfragen beziehen sich auf: Gewissenhaftigkeit, ganzheitliches Denken, Flexibilität, Entscheidungsfähigkeit und Lösungsorientierung, effizientes Vorgehen und Zeitmanagement)
■ Soziale Kompetenzen (die Einzelfragen beziehen sich auf: Einfühlungsvermögen, Kontaktfähigkeit, Beziehungsorientierung, Kooperationsfähigkeit, Durchsetzungsvermögen)
■ Persönlichkeitsstruktur (Ausgeglichenheit, Umgang mit belastenden Situationen, Selbstbewusstsein, Autonomiestreben, Selbstreflexion)
■ (bis zu drei) Empfehlungen zur weiteren Entwicklung und Verbesserung
■ Eignung für die Tätigkeit als Richterin/Richter und Staatsanwältin/Staatsanwalt (nur verbale Erläuterung)
■Gesamtbeurteilung a) in fachlicher Hinsicht und b) in persönlicher Hinsicht. Diese ist im RStDG mit fünf Einstufungen vorgegeben: ausgezeichnet, sehr gut, gut, entsprechend, nicht entsprechend.
Wirklich allen rechtsstaatlichen Kriterien wird die Auswahl wohl nicht gerecht werden, weil viele Kriterien einfach zu wenig messbar sind. Allerdings: Anlass zu Änderungen wird offensichtlich kaum gesehen, die Methode funktioniert recht gut.
Vorgaben für die universitäre Ausbildung
Ich setze mir nun wiederum den Hut des Universitätslehrers auf und stelle mir zwei Fragen, vor dem Hintergrund, dass die genannten Eigenschaften nicht nur den guten Richter ausmachen, sondern auch den guten Anwalt, den guten Notar, den guten Verwaltungsjuristen und den guten Interessenvertreter:
■ Wie soll nun – allgemein betrachtet – die Ausbildung auf der Universität aussehen?
■ Wie können wir die Fähigkeit zum rationalen Begründen bei den Studierenden fördern?
Zur ersten Frage: Die generalisierende Ausbildung beizubehalten, erscheint mir wesentlich. Die Universität muss ein Grundrüstzeug z. B. an Methodenkompetenz mitgeben. Zunehmend wichtig werden die Informationsbeschaffung und die Informationsbewertung. Als ich juristisch groß geworden bin, war Informationsbeschaffung relativ schwierig. Man hat mühsam in Bibliotheken gesucht, man hat sich überlegt, was man kopiert (Kopien waren recht teuer) – und dabei hat man schon eine Auswahl getroffen, was für die Beantwortung einer Frage relevant ist und was nicht. Heutzutage liegen Informationen in Hülle und Fülle da. Die Sätze klingen wunderbar und lassen sich flugs zu einem umfassenden Oeuvre einer Diplomarbeit zusammenstellen – oft um den Preis, dass der zweite Absatz das Gegenteil vom ersten ausdrückt („overdetailed, but underinformed“). Die Bewertung von Information müssen wir stärker in den Vordergrund rücken: Was ist wirklich die Aussage eines wunderschön klingenden Satzes? Stimmt der Inhalt wirklich?
Es wird Sie vielleicht wundern, dass ich gar nicht so sehr den Praxisbezug in den Vordergrund rücke. Zweifellos, er ist modern, er wird fast schon marketingartig in den Ring geworfen. Lassen wir die Kirche im Dorf. Ein gewisser Praxisbezug ist sowieso selbstverständlich und dem Studium immanent. Ich nehme auch für die Prüfung die aktuelle Zeitung her und frage nach dem juristischen Hintergrund einer Meldung. Angesichts der Vielfältigkeit der Berufsfelder sollten wir uns aber nicht verzetteln und auf der Universität ein Berufsfindungsprogramm mit Praxisstationen etablieren.
Zur zweiten Frage, wie wir bei Studierenden die Begründungskompetenz fördern können: Otto Lagodny hat Anleihen beim Fach Mathematik und beim Sprachunterricht genommen: Gefragt ist zum einen die Fähigkeit zu logischem Denken und Verknüpfen, zum anderen die Fähigkeit, so zu sprechen und zu schreiben, dass der Kommunikationspartner das versteht.5 Ich habe bereits erwähnt, dass nicht das richtige Ergebnis maßgeblich ist, sondern der Begründungsweg dorthin. Dazu bedarf es aber auch eines erlernten juristischen „Grundwortschatzes“ und der Fähigkeit, die juristischen Methoden richtig einzusetzen. Auf dieser Grundlage muss ein Studierender lernen, Argumente aufzubauen. Ich selbst versuche das – auch auf die Gefahr hin, dass ich manche überfordere – vor allem in die mündliche Fachprüfung einzubauen, mit einem weiteren Element: dem Erklären des Inhalts von juristischen Texten, etwa Rechtsnormen.
Immer wieder kommt in Österreich die Diskussion auf, dass das rechtswissenschaftliche Studium auch an Fachhochschulen angeboten werden soll – vor allem mit dem Hinweis auf den hohen Praxisbezug des juristischen Studiums. Bisher waren die Bemühungen der Fachhochschulbetreiber nicht von großem Erfolg gekrönt. Ich bin mir unsicher, wie lange der Damm dem Druck standhält. Persönlich würde ich mir wünschen, dass das lange der Fall ist: Ich halte einfach die – ich nenne es so – begründungszentrierte Ausbildung auf mittlere Sicht für überlegen. In meinem Bereich sehe ich das ganz gut im Vergleich mit der Ausbildung der Rechtspfleger und Rechtspflegerinnen.
Thinking Law!
Dass der Damm nicht bricht, dazu müssen wir auf den Universitäten auch selbst beitragen, indem wir die Lehre nicht nur als Anhängsel einer tollen Forschungsleistung sehen, sondern als eigenen Wert. Wir schleusen Studierende durch eine Ausbildung, die nicht ganz billig ist und schon aus diesem Grund Nutzen stiften soll. Um beim Ökonomischen zu bleiben: Wir produzieren Absolventinnen und Absolventen, die mit großer Wahrscheinlichkeit ein Berufsleben lang im juristischen Bereich tätig sein werden. Die Absolventen von 2021 werden ungefähr 2065 aus dem Berufsleben ausscheiden. Wie das Recht der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts aussehen wird, können wir nur erahnen. Daher mein Appell: Konzentrieren wir uns auf das „allgemeine Rüstzeug“, denn Studierende sollen Kompetenzen vermittelt bekommen, die es ihnen ermöglichen, sich in möglichst vielen verschiedenen Berufsfeldern erfolgreich bewähren zu können.6 Es geht mir also um eine exzellente Vorbereitung im Studium auf eine hoffentlich auch exzellente, erfüllende Praxis im Berufsleben.
Als speziellen Ausdruck für dieses Ziel übernehme ich sehr gerne das schöne Wort der Begründungskompetenz – oder moderner, wie es die REWI Graz sagt: Thinking Law!
1 Die Vortragsform wurde beibehalten.
2 Als Frontalvortragender.
3Lagodny, Rechtsvergleichende Überlegungen zur Didaktik des Rechtsstudiums in Österreich und in Deutschland, in Warto/Zumbach/Lagodny/Astleitner (Hrsg), Rechtsdidaktik – Pflicht oder Kür? (2017) 51, 59.
4 Eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse der Studie findet sich unter https://static.uni-graz.at/fileadmin/rewi/Temporaer/ZusammenfassungV3.pdf (28.4.2023).
5Lagodny, Rechtsvergleichende Überlegungen zur Didaktik des Rechtsstudiums in Österreich und in Deutschland, in Warto/Zumbach/Lagodny/Astleitner (Hrsg), Rechtsdidaktik – Pflicht oder Kür? (2017) 51, 63.
6Lagodny/Deibl/Astleitner, Fragen des universitären Rechtsunterrichts an die Didaktik, in Astleitner/Deibl/Lagodny/Warto/Zumbach (Hrsg), Rechtsdidaktik zwischen Theorie und Praxis (2019), 267, 291.
Theoretische Grundlagen
1Exzellente Forschung in der rechtswissenschaftlichen Fachdidaktik
Nora Rzadkowski, Lukas Musumeci, Anton Sefkow
Zusammenfassung/Abstract:
Der Beitrag geht dem Stand der Forschung in der rechtswissenschaftlichen Fachdidaktik nach. Dabei wird die These vertreten, dass es für eine „exzellente“ fachdidaktische Forschung an einer Vernetzung der Beiträge und einem systematischen Aufbau von Forschungserkenntnissen fehlt. Mit Hilfe des Scholarship of Teaching and Learning und des Design-Based-Research werden Wege aufgezeigt, wie einer Fragmentierung der rechtsdidaktischen Forschung entgegengewirkt werden kann. Als Beispiele für eine Anwendung der beiden Ansätze dienen zwei Dissertationsprojekte, die ebenfalls vorgestellt werden.
Schlüsselbegriffe/Keywords: Exzellenz, Rechtsdidaktik, Vernetzung, Forschungsstand, Entwicklung
1.1 Einleitung
Liest man rechtsdidaktische Artikel und Bücher, stößt man auf ein buntes Potpourri an Ideen, Erfahrungen und Entwürfen. Die Heterogenität der Beiträge und ihr Fokus auf die Mikroebene didaktischen Handelns ist in der Rechtsdidaktik, die sich möglichst vielen öffnen will, strukturell angelegt. Denn die Rechtsdidaktik versteht sich gerade nicht als exklusive Gemeinschaft, sondern möchte möglichst viele Lehrende einladen, sich mit didaktischen Fragen auseinanderzusetzen und zur Erhöhung der Lehrqualität beizutragen. Für die Entwicklung der Rechtsdidaktik als rechtswissenschaftliche Teildisziplin bzw. Grundlagenfach stellt die Diversität der Beiträge jedoch eine Herausforderung dar. Wenn neben der Rechtsdidaktik in der Breite auch „exzellente Rechtsdidaktik“ das Ziel sein soll, ist zu diskutieren, wie sich die rechtswissenschaftliche Fachdidaktik konzeptionell weiterentwickeln lässt und Forschungsbeiträge stärker aufeinander aufbauen können, um Schritt für Schritt eine eigenständige fachbezogene Hochschuldidaktik herauszubilden. Dazu sind zunächst die Themen der rechtswissenschaftlichen Fachdidaktik klarer herauszuarbeiten (1.), um die sich Forschungscluster gruppieren und entwickeln lassen (2.). Hochschuldidaktische Konzepte, die zu einer Entwicklung der Forschungscluster beitragen können, sind das Scholarship of Teaching and Learning (3.) und Design-Based-Research (4.). Sie zeigen auf, wie sich die Entwicklung eines theoretischen Fundaments, der Entwurf didaktischer Szenarien und deren empirische Validierung verbinden lassen. Wie diese Ansätze konkret umgesetzt werden können, wird anhand zweier rechtsdidaktischer Dissertationsprojekte illustriert (5.). Abschließend wird thesenhaft entwickelt, wie eine „exzellente Rechtsdidaktik“ auf den Weg gebracht werden kann (6.).
1.2 Zur Aufgabe fachbezogener Hochschuldidaktiken: Das Setzen fachspezifischer didaktischer Themen
Die rechtswissenschaftliche Fachdidaktik kann die Rolle eines Service- und Schnittstellenfachs einnehmen, das didaktisches Know-how importiert und einen Austausch zwischen Lehrenden fördert. Anspruchsvollere Konzeptionen sehen in der rechtswissenschaftlichen Fachdidaktik jedoch ein Grundlagenfach, das das Lernen und Lehren von Recht und Rechtswissenschaft beobachtet, kritisiert und Vorschläge zur Verbesserung unterbreitet und sich dazu mit der allgemeinen Hochschuldidaktik und anderen fachbezogenen Hochschuldidaktiken vernetzt.1 Das Verhältnis der fachbezogenen zur allgemeinen Hochschuldidaktik lässt sich mit dem Verhältnis (schulischer) Fachdidaktiken zur allgemeinen Didaktik vergleichen.2 Die Aufgabe der Fachdidaktiken wird darin gesehen, theoretische Begründungen und Entscheidungshilfen für unterrichtliches Handeln im jeweiligen Fach bereitzustellen. In ähnlicher Weise ist es Aufgabe der fachbezogenen Hochschuldidaktiken, die besonderen Herausforderungen des Faches aufzugreifen und didaktisch zu erschließen. Dabei spielen – im Gegensatz zur (schulischen) Fachdidaktik – der Bezug zur Wissenschaft, der institutionelle Kontext der Hochschulen und die Leitidee der Bildung durch Wissenschaft eine besondere Rolle.3
Noch ist die rechtswissenschaftliche Fachdidaktik damit beschäftigt, ihre zentralen Frage- und Problemstellungen zu erarbeiten. Betrachtet man etwa die Tagungen des Zentrums für rechtswissenschaftliche Fachdidaktik in Hamburg, so fällt auf, dass die meisten Themen auch auf andere Fächer gepasst hätten.4 Weiter greifen rechtsdidaktische Ratgeber für Lehrende allgemeines didaktisches Wissen auf, aber arbeiten keine zentralen fachdidaktische Themen und Problemstellungen heraus.5 Erwähnenswert ist das von Krüper herausgegebene Handbuch „Rechtswissenschaft lehren“, das den aktuellen fachdidaktischen Diskursstand übersichtlich darstellt und mögliche Kernthemen benennt.6 Gleichzeitig zeigt sich anhand der vier Hauptthemen (Grundlagen; Curriculum; Veranstaltungsformate und Handlungsfelder) und den darunter gefassten Beiträgen die Herausforderung, übergeordnete Strukturen für die Rechtsdidaktik zu finden und spezifisch fachdidaktische Themen zu setzen.
Ausgehend vom Stand der jungen Disziplin sollten die wesentlichen fachspezifischen Themen noch deutlicher herausgearbeitet werden, damit sich die verschiedenen Beiträge stärker aufeinander beziehen und bündeln lassen, sodass es zu Synergieeffekten kommen kann. Als Themen kommen bspw. in Betracht: das Verhältnis von Theorie und Praxis in der Rechtswissenschaft als Professionsdisziplin und die Anwendung positiven Rechts, mit den Unterthemen des fallbezogenen Lernens, des Umgangs mit der Normativität des Rechts und der kritischen Haltung gegenüber der (vermeintlichen) Objektivität des Rechts.
1.3 Von den Themen der rechtswissenschaftlichen Fachdidaktik zu Forschungsclustern
Sind zentrale Themen der rechtswissenschaftlichen Fachdidaktik gesetzt, können nachfolgend Forschungscluster gebildet werden, in denen die Themen auf unterschiedlichen Abstraktionsstufen adressiert werden.
Klassische Formen didaktischer Forschung sind theoretische Grundlagenbeiträge, die Entwicklung didaktischer Modelle und Konzepte sowie empirische Untersuchungen der Lehr-/Lernpraxis. Insgesamt ist ein Handlungsbezug prägend für die didaktische Forschung. Didaktische Modelle und Konzepte dienen dazu, zwischen Theorie und Praxis zu vermitteln.7 Modelle werden überwiegend als Teile, perspektivische Verengungen oder Vorstufen von Theorien verstanden.8 Sie können die Planung von Lehr-/Lernveranstaltungen anleiten. Unterrichtskonzepte sind weniger theoretisch, eher im Lehr-/Lern-Alltag als am Schreibtisch erdacht, sie liefern instruktive Orientierung unterrichtspraktischen Handelns und enthalten normative und deskriptive Elemente.
Scholarship of Teaching and Learning (SoTL) und Design Based Research (DBR) sind neuere Ansätze zur Verknüpfung von didaktischer Theorie und Praxis. Dabei bietet SoTL einen Rahmen an für die Beteiligung von FachwissenschaftlerInnen an der Erforschung der Didaktik ihres eigenen Faches. DBR geht einen Schritt weiter, trägt den Spezifika didaktischer Forschung Rechnung und gestaltet den Zusammenhang von Theorie und Praxis näher aus. Wir werden kurz auf das bereits bekanntere Konzept des SoTL eingehen und uns dann eingehender mit dem DBR-Ansatz befassen, der uns besonders geeignet erscheint, sowohl zu stärkeren Theoriebezügen als auch einer empirischen Fundierung rechtsdidaktischer Forschung beizutragen.
1.4 Scholarship of Teaching and Learning (SoTL)
Die Entwicklung einer fachbezogenen Hochschuldidaktik braucht die Beteiligung des jeweiligen Faches. Es besteht eine (häufig nicht erfüllte) „rechtswissenschaftliche Bringschuld“, didaktische Anschlussstellen zu schaffen.9 Der Ansatz des Scholarship of Teaching and Learning will eine Brücke zwischen Fachwissenschaft und Fachdidaktik schlagen, indem er die Lehrenden im Fach zur Beforschung der eigenen Lehre anregt.10
SoTL versteht sich als Einladung an die beteiligten Lehrenden, sich am fachdidaktischen Diskurs zu beteiligten und bietet die Möglichkeit zum anschlussfähigen Diskurs über die Mikroebene des didaktischen Handelns hinaus. Das Konzept hat damit das Potenzial, das eingangs formulierte Dilemma abzumildern, indem sich zwei unterschiedliche Ansprüche entgegenstehen: Eine inklusive Rechtsdidaktik, die zur Beteiligung einlädt und zur Steigerung der Lehrqualität beiträgt einerseits und eine „exzellente“ Rechtsdidaktik, die sich durch aufeinander bezogene Forschungsbeiträge konzeptionell weiterentwickelt andererseits. Scholarship of Teaching and Learning kann mit Huber definiert werden als „die wissenschaftliche Befassung von Hochschullehrenden in den Fachwissenschaften mit der eigenen Lehre und/oder dem Lernen der Studierenden im eigenen institutionellen Umfeld durch Untersuchung und systematische Reflexion, mit der Absicht, die Ergebnisse dem Erfahrungsaustausch und der Reflexion zugänglich zu machen.“ Aus dieser Definition lassen sich die folgenden Merkmale ableiten:
■ Gegenstand von SoTL ist die eigene Lehre. Eigene Lehre ist dabei weit zu verstehen. Sie umfasst nicht nur eigene Lehrveranstaltungen, sondern auch allgemein die Lehre im eigenen Fach. Entsprechend umfasst die SoTL-Typologie von Huber neben der Diskussion von Veranstaltungskonzepten und Innovationsberichten etwa auch Studierendenforschung oder Forschung zur Studiengangsentwicklung.11
■ Forschende sind FachwissenschaftlerInnen und nicht HochschuldidaktikerInnen.
■ Ausgangspunkt sind Beobachtungen innerhalb des eigenen Fachs, häufig Irritationen, Fragen, Probleme.
■Aus diesen Beobachtungen entwickeln sich genauere Fragen und eine Problemdefinition oder Hypothesen, um die wissenschaftliche Bearbeitung des Problems zu ermöglichen.
Als Daten kann alles aus der laufenden Arbeit dienen, etwa Klausuren und Hausarbeiten, Befragungen, Beobachtungen, Studien- und Prüfungsordnungen etc.
SoTL schreibt keine bestimmte Untersuchungsmethode vor, sondern ist offen für alle Methoden aus der Hochschuldidaktik, Bildungsforschung oder dem Fach selber. Wichtig ist, dass das Problem systematisch wissenschaftlich bearbeitet wird, ausgehend vom Stand der Forschung und nicht bloß auf Basis von Alltagstheorien.