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Psychische Störungen und Erkrankungen stehen zahlenmäßig an der Spitze aller diagnostizierten Krankheiten, Psychopharmaka zählen zu den meistverordneten Medikamenten. Sowohl aus der Erkrankung als auch der medikamentösen Therapie können sich Einschränkungen der für das Fahren relevanten Leistungsbereiche ergeben. Der Fahreignung kommt in unserer modernen Gesellschaft mehr denn je höchste Bedeutung zu. Autofahren sichert individuelle Mobilität, sowohl im Beruf als auch im Privatleben. Das aktive Führen eines Kraftfahrzeugs gehört deshalb für Patienten aller Altersgruppen zu den wichtigsten Merkmalen von Lebensqualität. Als Arzt oder Psychologe ist man in der täglichen Praxis häufig mit der Frage konfrontiert, ob bei Patienten aufgrund einer bestehenden Erkrankung und unter medikamentöser Behandlung vorübergehend keine „Fahrsicherheit“ besteht oder ob sogar dauerhaft die „Fahreignung“ infrage zu stellen ist. Nicht selten ist er auch als Gutachter mit diesem Thema befasst. Elementarer Grundsatz ist, dass der Behandelnde aus dem Behandlungsvertrag (§ 630a ff. BGB) und entsprechend der Berufsordnung für Ärzte Aufklärungspflichten gegenüber seinen Patienten hat – er muss sie über Risiken der Erkrankung, der Therapie und eventuelle Konsequenzen für den Alltag informieren. Die 2019 erschienene Erstauflage gilt als Standardwerk zu diesem Thema. Für die zweite Auflage wurden alle Beiträge grundlegend überarbeitet und unter Berücksichtigung der ICD-11 aktualisiert.
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Seitenzahl: 313
Veröffentlichungsjahr: 2025
Alexander Brunnauer | Matthias Graw | Gerd Laux (Hrsg.)
Fahreignung bei psychischen Erkrankungen
Verkehrsmedizin und Verkehrspsychologie
2. Auflage
mit Beiträgen von
J. Brenner-Hartmann | A. Brunnauer | C.-L. Cimpianu | V. Dittmann | M. Falkenstein | M. Graw | S. Kagerer-Volk | G. Laux | C. Linge-Grimm | J. Peitz | M. Rentrop | T. Richter-Schmidinger | F.M. Segmiller | M. Soyka | P. Strohbeck-Kühner | M. Töpper | L. Zellner
Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft
KIRSCHBAUM VERLAG BONN
Die Herausgeber
PD Dr. rer. nat. Alexander Brunnauer
kbo-Inn-Salzach-Klinikum
Kompetenzzentrum Neuropsychologie
und Kognitive Therapie (KONEKT)
Gabersee Haus 13
83512 Wasserburg am Inn
und Ludwig-Maximilians-Universität
München
Arbeits- und Forschungsgruppe Fahreignung
Nußbaumstraße 7
80336 München
Prof. Dr. med. Matthias Graw
Ludwig-Maximilians-Universität
München
Institut für Rechtsmedizin
Nußbaumstraße 26
80336 München
Prof. Dr. med. Gerd Laux, Dipl.-Psych.
Institut für Psychologische Medizin
(IPM)
Nußbaumstraße 9
83564 Soyen
und
Ludwig-Maximilians-Universität
München
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Nußbaumstraße 7
80336 München
MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
Unterbaumstr. 4
10117 Berlin
www.mwv-berlin.de
ISBN 978-3-95466-988-2 (eBook: PDF)
ISBN 978-3-95466-989-9 (eBook: ePub)
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© MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin, 2025
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Produkt-/Projektmanagement: Charlyn Triebel, Berlin
Copy-Editing: Monika Laut-Zimmermann, Berlin
Layout, Satz und Herstellung: zweiband.media, Agentur für Mediengestaltung und -produktion GmbH, Berlin
Coverbild: © AdobeStock/Oleh
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt
Zuschriften und Kritik an:
MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Unterbaumstr. 4, 10117 Berlin, [email protected]
1EinführungMatthias Graw
2Einleitung und EpidemiologieGerd Laux und Alexander Brunnauer
3Rechtliche RahmenbedingungenJürgen Peitz
4Anforderungen an die LeistungsfähigkeitAlexander Brunnauer und Peter Strohbeck-Kühner
5Neurokognitive StörungenICD-10: Psychische Störungen (Demenzen)Max Töpper und Michael Falkenstein
6Störungen durch SubstanzgebrauchICD-10: Störungen durch psychotrope Substanzen (Suchterkrankungen)Sabine Kagerer-Volk und Michael Soyka
7Schizophrenie oder andere primäre psychotische StörungenICD-10: Schizophrenie, schizotype und wahnhafte StörungenFelix Maximilian Segmiller
8Affektive StörungenICD-10: Affektive StörungenAlexander Brunnauer und Gerd Laux
9Angst- oder furchtbezogene Störungen, Zwangsstörung oder verwandte Störungen, spezifisch Belastungs-assoziierte und Dissoziative StörungenICD-10: Neurotische-, Belastungs- und somatoforme StörungenMichael Rentrop und Camelia-Lucia Cimpianu
10Persönlichkeitsstörungen und zugehörige PersönlichkeitsmerkmaleICD-10: Persönlichkeits- und VerhaltensstörungenMichael Rentrop und Camelia-Lucia Cimpianu
11Neuromentale Entwicklungsstörungen
11.1Störung der Intelligenzentwicklung und LernentwicklungsstörungICD-10: IntelligenzminderungTanja Richter-Schmidinger
11.2Autismus-Spektrum-StörungICD-10: Tiefgreifende EntwicklungsstörungenLeonhard Zellner und Tanja Richter-Schmidinger
11.3Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im ErwachsenenalterICD-10: Hyperkinetische StörungenVolker Dittmann
12PsychopharmakaGerd Laux und Alexander Brunnauer
13Beurteilungskriterien bei DauermedikationJürgen Brenner-Hartmann und Carmen Linge-Grimm
Anhang
Sachwortverzeichnis
Nach einer gängigen Definition von H.-J. Wagner bedeutet Verkehrsmedizin „Anwendung ärztlichen Wissens und ärztlicher Erfahrung zum Nutzen der Verkehrsteilnehmer und zur Erhebung der Verkehrssicherheit“. Es gilt für die Praxis nutzbare wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse zu schaffen, mit denen es möglich ist, den Verkehrsteilnehmer durch Aufklärung und zweckentsprechende Behandlung vor einem Versagen im Straßenverkehr und damit vor eventuellen Unfallfolgen zu bewahren (Wagner 1957).
Jeder klinisch tätige Arzt oder Psychologe sieht sich mit verkehrsmedizinischen und/ oder verkehrspsychologischen Anforderungen konfrontiert: Bei einer diagnostizierten Erkrankung und der entsprechenden Therapie können verkehrsmedizinische Risiken auftreten, über die der Patient entsprechend aufzuklären ist. Bei konkreter rechtlicher Fragestellung wird ein Arzt ein Gutachten zur Fahrsicherheit und/oder Fahreignung zu erstatten haben. Leider findet in den meisten ärztlichen Weiterbildungsordnungen die „Verkehrsmedizin“ keine Erwähnung, Ausnahmen bilden hier z.B. die Rechtsmedizin und die Arbeitsmedizin. Auch im nationalen kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM), der als Ausbildungskatalog von den medizinischen Fakultäten verwendet werden soll, wird die Verkehrsmedizin bisher nicht ausreichend berücksichtigt. Daher ist es zu begrüßen, dass unter Federführung der Bundesärztekammer (2016) das Curriculum „Verkehrsmedizinische Begutachtung“ neu konzipiert worden ist. Es besteht nun aus 5 Modulen, die insgesamt 24 Stunden umfassen. Die Module I und II vermitteln grundsätzliches verkehrsmedizinisches Wissen zur Beratung und Aufklärung von Patienten, relevant für alle Arztgruppen. In den Modulen III und IV werden die Grundlagen zur verkehrsmedizinischen Begutachtung im jeweils fachbezogenen Kontext vermittelt. Fachärzte, die eine verkehrsmedizinische Qualifikation nach § 11, Abs. 2, Satz 3, Nr. 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung erwerben möchten, müssen die Module I bis IV absolvieren. Wer zusätzlich das Modul V „CTU-Kriterien, chemisch-toxikologische Analytik, Probenentnahme“ absolviert, dem wird analog zum Curriculum der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin (DGVM) gemäß CTU-2 zur 4. Auflage „Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung – Beurteilungskriterien“ (2022) die entsprechende Fortbildung bescheinigt.
Gemäß § 1(2) der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) hat sich jeder, der am Verkehr teilnimmt,
„so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.“
In § 2(1) der Fahrerlaubnis-Verordnung wird ergänzend geregelt:
„Wer sich infolge körperlicher oder geistiger Beeinträchtigungen nicht sicher im Verkehr bewegen kann, darf am Verkehr nur teilnehmen, wenn Vorsorge getroffen ist, dass er andere nicht gefährdet. Die Pflicht zur Vorsorge […] obliegt dem Verkehrsteilnehmer selbst oder einem für ihn Verantwortlichen […].“
Die Verantwortung der Entscheidung, ob jemand in seinem konkreten Gesundheitszustand eine Fahrt mit dem Fahrzeug antreten darf oder nicht, liegt damit v.a. beim Fahrer selbst. Allerdings muss er, um diese Entscheidung treffen zu können, über das notwendige Wissen verfügen. Im Fall der Krankheit und/oder der entsprechenden Medikation bedeutet dies, dass Ärzte eine sich auch aus dem Behandlungsvertrag und der Berufsordnung abzuleitende Aufklärungspflicht haben. Gleiches gilt sinngemäß für Apotheker, insbesondere auch bei rezeptfreien Medikamenten. Unterlassen Arzt oder Apotheker diese Belehrung, könnten sie im Schadensfall zur Verantwortung gezogen werden. Die Packungsbeilage entbindet nicht von der Aufklärungspflicht!
Genauso ist aber auch eine Verantwortlichkeit und Aufklärungspflicht für die Berufsgruppe der klinisch tätigen Psychologen, insbesondere der Psychologischen Psychotherapeuten, zu sehen, die ja ebenfalls (zunehmend) in die Behandlung psychischer Erkrankungen involviert sind.
Wurde der Patient im Straßenverkehr auffällig, z.B. durch einen Unfall, wird seitens der Ermittlungsbehörden die Frage nach der Fahrsicherheit gestellt. Dieser Begriff leitet sich aus § 315c des Strafgesetzbuches (StGB) ab:
„Wer im Straßenverkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er a) infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel oder b) infolge geistiger oder körperlicher Mängel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen […] wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“.
Die Krankheit könnte hierbei den geistigen oder körperlichen Mangel begründen, das Medikament je nach Wirkweise ebenfalls, oder im Falle einer zentralnervösen Wirkung würde es auch als „anderes berauschendes Mittel“ bewertet werden. Die meist gutachterlich gestützte juristische Beurteilung ist damit typischerweise eine rückwärtsgerichtete Betrachtung („ex post“) zur Ahndung eines Vergehens.
Vorausschauend, mit einer Prognose unter der Zielsetzung einer Gefährdungsvermeidung versehen, ist im Gegensatz dazu die Fahreignungsbegutachtung ausgerichtet. Art der Begutachtung und Fach des Gutachters („Facharzt“) werden von der Behörde festgelegt. Unterschieden wird zwischen ärztlichem Gutachten einerseits und der medizinisch-psychologischen Begutachtung als Kooperation von Arzt und Verkehrspsychologe andererseits. Als Gutachter aus dem medizinischen Bereich kommen insbesondere die entsprechenden Fachärzte mit verkehrsmedizinischer Qualifikation (s.o.) oder Ärzte in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung in Betracht. Wichtig: Der Gutachter soll nicht gleichzeitig der behandelnde Arzt sein!
Der Begriff der Fahreignung leitet sich aus dem Straßenverkehrsgesetz ab („§ 2 [4] Geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt …“). Hierbei ist zu überprüfen, ob bei einem individuell Betroffenen aufgrund seines körperlichen und/oder geistigen Zustandes beim Führen eines Kraftfahrzeugs begründet eine Verkehrsgefährdung zu erwarten ist. Die bloße Möglichkeit eines Schädigungsereignisses reicht für die Negativ-Beurteilung der Fahreignung nicht aus.
Um die Begutachtung zu erleichtern und auch zu standardisieren, werden unter Leitung der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) die unregelmäßig überarbeiteten Begutachtungsleitlinien herausgegeben (Gräcmann u. Albrecht 2022), die erläuternd zu Anlage 4 der FeV (Auflistung von ausgewählten Erkrankungen und körperlichen Behinderungen, welche die Fahreignung einschränken) zu sehen sind. Ergänzend zu diesen eher juristisch geprägten Texten sind die fachlich in die Tiefe gehenden Beurteilungskriterien (2022) und der Kommentar zu den Begutachtungsleitlinien (Schubert et al. 2018) zu nennen.
Im Rahmen der Begutachtung ist zunächst zu prüfen, ob verkehrsrelevante Auswirkungen von Krankheit und/oder Therapie vorliegen und ob bestehende Leistungsdefizite kompensiert werden können. Für die Prognosestellung ist von wesentlicher Bedeutung, ob der Patient eine ausreichende Compliance bzw. Adhärenz aufweist. Darunter versteht man zunächst das einsichtige und kooperative Verhalten von Patienten im Rahmen ihrer Erkrankung und Therapie, wichtig auch in Bezug auf die zuverlässige Einnahme von Arzneimitteln; Adhärenz bedeutet weiterhin, dass der Patient sein Krankheitsbild kennt, auf die klinische Symptomatik achtet, seine Leistungsfähigkeit kritisch beurteilt und ggfs. auf die Fahrt verzichtet.
Hinsichtlich der psychiatrischen Krankheitsbilder sind die Begutachtungsleitlinien noch auf dem Stand von 2000, darüber hinaus sind nur ausgewählte Krankheitsbilder aufgeführt (Psychosen, Demenz, Persönlichkeitsstörungen). Die bestehende Lücke soll das vorliegende Buch schließen. Zunächst werden in einem theoretischen Teil rechtliche Rahmenbedingungen, Leitsätze zur Begutachtung und Anforderungen an die Leistungsdiagnostik dargestellt. Im anschließenden klinischen Teil werden die psychiatrischen Krankheitsbilder/psychischen Störungen nach ICD-10 bzw. ICD-11 unter verkehrsmedizinischen und verkehrspsychologischen Aspekten behandelt, ein Sonderkapitel widmet sich dem wichtigen Part Psychopharmaka. Im Anhang werden Anamnese-Schemata, eine Übersicht zu den Fahrerlaubnisklassen und Kontaktadressen wiedergegeben.
Cannabis/THC werden in Deutschland seit 1. April 2024 rechtlich nicht mehr als Betäubungsmittel eingestuft; abzuwarten bleibt, welche Auswirkungen die Legalisierung von Cannabis auf die Verkehrssicherheit hat. Folgt man einem Review von Fastenmeier und Söllner (2023) auf Basis internationaler Studien, so ist zu erwarten, dass die Konsumhäufigkeiten ansteigen und zumindest kein günstiger Effekt auf die Verkehrssicherheit zu erwarten ist.
Durch die cannabisbezogenen Gesetzesänderungen in 2024 ergeben sich für die Begutachtungen hinsichtlich Fahrsicherheit (§ 24a StVG) und Fahreignung (§ 13a FeV) neue Rahmenbedingungen. Im § 24a wurde für THC ein neuer Grenzwert (bisher 1,0 ng THC/ml Serum) etabliert: „Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt, obwohl er 3,5 ng/ml oder mehr Tetrahydrocannabinol im Blutserum hat.“ Zur verkehrsmedizinischen Einschätzung dieser Änderung wird hier aus Platzgründen auf die fundierte Stellungnahme der Fachgesellschaften DGVP und DGVM verwiesen (Fastenmeier et al. 2024).
Die zeitgleich mit der (Teil-)Legalisierung vorgenommene Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung mit dem neu eingeführten § 13a sowie den Anpassungen in Anlage 4 FeV (Ziffer 9.2.1) wird die Eingriffsschwelle für die Überprüfung der Fahreignung nach einer Verkehrsauffälligkeit mit THC deutlich erhöht, was hinsichtlich der Verkehrssicherheit kritisch zu sehen ist, da relevante Risikogruppen künftig keiner Eignungsüberprüfung mehr zugeführt werden (Wagner et al. 2024).
Der regelmäßige Konsum von Cannabis (nach bisheriger Rechtsprechung täglich oder nahezu täglich) stellt nun die Eignung nicht mehr per se in Frage, auch werden bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis zusätzliche relevante Faktoren wie Kontrollverlust und/oder Störung der Persönlichkeit als Begründung für eine Überprüfung der Fahreignung keine unmittelbare Berücksichtigung mehr finden. Der Gesetzgeber hat allerdings mit § 13a, Nr. 2a FeV einen Auffangtatbestand geschaffen, dessen Anwendung im Fall von Hinweisen auf Cannabismissbrauch (s. unten) geprüft werden muss. Der „Cannabismissbrauch“ wurde neu ins Fahreignungsrecht eingeführt, und es bedarf einer näheren Auslegung dieses wohl mehr juristisch als medizinisch zu verstehenden Begriffs. Dieser Begriff wird in Anlage 4, Nr. 9.2.1 (neu) FeV wie folgt definiert:
„Das Führen von Fahrzeugen und ein Cannabiskonsum mit nicht fernliegender verkehrssicherheitsrelevanter Wirkung beim Führen eines Fahrzeugs können nicht hinreichend sicher getrennt werden“.
In der Begründung des Gesetzesentwurfs zur Änderung des StVG wurde dazu ergänzend formuliert:
„Der Begriff ‚nicht fernliegen‘ soll dabei einen Wahrscheinlichkeitsgrad für die Verwirklichung des Straßenverkehrssicherheitsrisikos definieren und ist so zu verstehen, dass der Risikoeintritt ‚möglich‘ ist, jedoch nicht wahrscheinlich, aber auch nicht ‚ganz unwahrscheinlich ist‘.
Im § 13a FeV wird ausformuliert, wann die Fahrerlaubnisbehörde ein Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) anzuordnen hat, um aufzuklären, ob (auch) in Zukunft Cannabismissbrauch zu erwarten ist. Anzeichen für einen Cannabismissbrauch können sich entweder aus einem ärztlichen Gutachten ergeben, oder es können „Tatsachen die Annahme von Cannabismissbrauch begründen“. Damit ergeben sich Fragen dahingehend, welche Anknüpfungstatsachen und Umstände künftig für Cannabismissbrauch im verkehrsrechtlichen Sinn gemäß Nr. 9.2.1 der Anlage 4 FeV sprechen könnten und erwarten lassen, dass das erforderliche Trennverhalten nicht mit der ausreichenden Sicherheit gewährleistet ist. Im Positionspapier 12 der Fachgesellschaften wird eine Annäherung an diese Fragestellungen auf Basis fachwissenschaftlicher Erkenntnisse versucht, um damit bei der Umsetzung der neuen rechtlichen Regelungen in der Praxis zu unterstützen (Wagner et al. 2024).
Abzuwarten bleibt, ob ein Wertungswiderspruch bei der Umsetzung der EU-Führerscheinrichtlinie in nationales Recht zu sehen ist. Anlage III der EU-Führerscheinrichtlinie sieht nämlich vor, dass Bewerbern oder Fahrzeugführern, die regelmäßig psychotrope Stoffe in irgendeiner Form einnehmen, eine Fahrerlaubnis weder erteilt noch erneuert werden darf, wenn die aufgenommene Menge so groß ist, dass die Fahrsicherheit nachteilig beeinflusst wird. Diese Frage wird letztlich juristisch zu entscheiden sein.
Brenner-Hartmann J, Fastenmeier W, Graw M (2022) Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung. Beurteilungskriterien. Überarbeitete und erweiterte 4. Auflage. Kirschbaum Verlag Bonn
Bundesärztekammer (2016) Curriculum „Verkehrsmedizinische Begutachtung“ Verkehrsmedizinische Qualifikation gemäß Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) (über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr). URL:
https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/_old-files/downloads/pdf-Ordner/Fortbildung/Curriculum_Verkehrsmedizinische_Begutachtung.pdf
(abgerufen am 13.01.2025)
Fastenmeier W, Graw M, Mußhoff F, Brenner-Hartmann J, Wagner T (2024) Kritische Anmerkungen zu den Empfehlungen der interdisziplinären Expertengruppe für die Festlegung eines THC-Grenzwertes im Straßenverkehr (§ 24a StVG). Stellungnahme der Fachgesellschaften DGVP und DGVM. URL:
https://dgvm-verkehrsmedizin.de/wp-content/uploads/2024/10/DGVP_DGVM_Stellungnahme-Grenzwert_Okt24.pdf
(abgerufen am 02.01.2025)
Fastenmeier W, Söllner M (2023) Die Legalisierung von Cannabis in verschiedenen Ländern – empirisches Lagebild zu den Auswirkungen auf Risikokennwerte der Verkehrssicherheit, des Gesundheitswesens und der Marktdynamik. Berlin: Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie DGVP e.V. URL:
https://www.dgvp-verkehrspsychologie.de/die-legalisierung-von-cannabis-in-verschiedenen-laendern/
(abgerufen am 02.01.2025)
Gräcmann N, Albrecht M (2022) Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung. Bundesanstalt für Straßenwesen. Bergisch Gladbach. Stand 01. Juni 2022
Schubert W, Huetten M, Reimann C, Graw M, Schneider W, Stephan E (2018) Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung – Kommentar. Kirschbaum Verlag Bonn
Wagner H-J (1957) Verkehrsmedizin in Gegenwart und Zukunft. In: Wagner K, Wagner H-J (Hrsg.) Handbuch der Verkehrsmedizin, Springer-Verlag
Wagner T, Brenner-Hartmann J, Mußhoff F, Graw M (2024) Cannabismissbrauch – Eignungszweifel bei erstmaliger Verkehrsauffälligkeit. Positionspapier Nr. 12 der Fachgesellschaften DGVP und DGVM. URL:
https://dgvm-verkehrsmedizin.de/wp-content/uploads/2024/09/Positionspapier-Nr.-12-Cannabismissbrauch-Par-13-a-FeV_final-13.09.24-002.pdf
(abgerufen am 02.01.2025)
Prof. Dr. med. Matthias Graw
Matthias Graw, Facharzt für Rechtsmedizin, Vorstand des Instituts für Rechtsmedizin der LMU München; Facharztausbildung und Habilitation in Tübingen, Ruf auf eine C 3-Professur nach München 2001, auf die W 3-Professur 2009. Präsident der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin seit 2016. Mitbeteiligung an der Neufassung des Curriculums verkehrsmedizinische Begutachtung der Bundesärztekammer 2016. Zahlreiche wissenschaftliche und Fortbildungsvorträge zum Themenbereich Verkehrsmedizin.
Dem individuellen Straßenverkehr kommt aufgrund steigender Mobilitätsanforderungen und Mobilitätsbedürfnisse in unserer Gesellschaft ein hoher Stellenwert zu. Das Auto ist nicht selten Garant für die Teilnahme am beruflichen und gesellschaftlichen Leben. Konsequenzen psychischer Erkrankungen können die zeitweilige Beschränkung der Fahrsicherheit oder die Aufhebung der Fahreignung sein. Vor diesem Hintergrund ist die Thematik sowohl für den Patienten als auch für den Behandelnden mit großer Unsicherheit verbunden und wird oftmals nicht aktiv angesprochen. Befragungen zur Lebensqualität zeigen, dass „Autofahren“ mit an der Spitze steht. In diesem Zusammenhang ist auch die wachsende Bedeutung der Patienten-Bewertung nach Funktionseinbußen – die ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit) – zu sehen. Sie unterscheidet Funktionsstörungen, Fähigkeits- und Aktivitätsstörungen und Partizipationsstörungen. Hier findet die Einschränkung der Fahreignung Berücksichtigung (Kostanjsek u. Üstün 2010; Linden 2015).
Unter den 25 weltweit am stärksten zu Behinderungen führenden Erkrankungen – gemessen durch „years lived with disability“ (YLDs) und „disability-adjusted life-years“ (DALYs) – befinden sich Depressionen, Angststörungen, Schizophrenie, bipolare Erkrankungen, alkoholbedingte Störungen und Alzheimer-Demenz. Die Einschränkungen der Mobilität im Rahmen der COVID-19-Pandemie waren assoziiert mit einer Zunahme von depressiven und Angst-Erkrankungen. Zwischen 2010 und 2021 nahmen die DALY-Raten für Angst- und depressive Störungen substanziell zu. Bei Erwachsenen-DALYs standen Unfälle, ischämische Herzerkrankungen, Schlaganfälle und depressive Erkrankungen an der Spitze (Global Burden of Disease Studien 2020, 2021, 2024).
Berechnungen der Weltbank und der Harvard University zum „Global Burden of Disease“ ergaben, dass im Jahr 2030 unter den 10 wichtigsten Erkrankungen die folgenden 5 psychischen Erkrankungen rangieren: unipolare Depression, Alkoholmissbrauch, Demenz, Schizophrenie, bipolare affektive Störung.
Eine große zusammenfassende Analyse von Studien zur Häufigkeit psychischer Erkrankungen in der EU, unter Einschluss der Demenzen, ergab eine Einjahresprävalenz von insgesamt 38%, ohne – abgesehen von den Abhängigkeitserkrankungen – relevante Ländervarianz (Wittchen et al. 2011). Am häufigsten sind in absteigender Reihenfolge Angststörungen (14%), unipolare Depression (6,9%), Demenzen (5,4%), somatoforme Störungen (4,3%), Alkoholismus (3,4%), Posttraumatische Belastungsstörungen – PTBS (2,0%) und psychotische Störungen (1,2%) (s. Abb. 1). Die Ergebnisse der repräsentativen Studie des Robert-Koch Instituts zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (Jacobi et al. 2014) sind in Abbildung 2 zusammengefasst wiedergegeben.
In Deutschland sind jedes Jahr ca. 30% der erwachsenen Bevölkerung von psychischen Erkrankungen betroffen. Diese stehen an der Spitze von Krankschreibungen und Frühberentungs-Ursachen, verursachen gesundheitsökonomisch jährliche Kosten von ca. 147 Milliarden Euro (ca. 56 Milliarden direkte Kosten) (DGPPN 2024). Laut telefonischer Befragung gaben 2023 20% der Bevölkerung depressive, 12–15% Angstsymptome an. Jährlich werden bundesweit ca. 18 Millionen Patienten ambulant von Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Psychologischen Psychotherapeuten behandelt.
Abb. 1 Jahresprävalenz psychischer Störungen in Europa in 2010 (mod. n. Wittchen et al. 2011; Angaben in Prozent)
Psychische Störungen sind auch im Zusammenhang mit somatischen Krankheiten von hoher, oft unterschätzter oder gar verkannter Relevanz:
Psychische Störungen kommen häufig infolge schwerer somatischer Störungen wie KHK, Schlaganfall, M. Parkinson, Krebserkrankungen und Diabetes vor; dabei beeinträchtigen sie die Lebensqualität und die somatische Prognose.
Psychische Krankheiten, v.a. unipolare Depressionen, stellen auch im bidirektionalen Sinne Risikofaktoren für spätere somatische Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfall und Diabetes dar (Kapfhammer 2022).
Zu beachten ist, dass die Behandlung solch komorbider somatischer Krankheiten seltener und qualitativ schlechter durchgeführt wird als bei derselben somatischen Diagnose ohne psychische Komorbidität.
Bei der Begutachtung hinsichtlich Fahreignung ist deshalb ein „ganzheits-medizinischer Ansatz“ obligat, d.h. somatische und psychische Störungen/Krankheiten und ihre Interaktionen sind im Sinne der psychosomatischen Medizin zu berücksichtigen.
Aktuelle Erhebungen weisen darauf hin, dass in Deutschland 90% der Männer und 84% der Frauen im Besitz einer Pkw-Fahrerlaubnis sind. Dabei setzt sich der Trend der bereits von 2002 auf 2008 beobachteten Entwicklung fort, eine Zunahme der Fahrerlaubnisinhaber bei den Seniorinnen und Senioren, sowie eine gegenläufige Entwicklung bei jungen Erwachsenen (s. Abb. 3). Insbesondere ältere Bürgerinnen und Bürger ab einem Alter von Mitte 70 nutzen das Auto häufiger als entsprechende Altersgruppen vor 10 oder 20 Jahren und der altersbedingte Rückgang der Mobilität verlagert sich in die Altersgruppen ab etwa 80 Jahren (Nobis et al. 2019).
Der wachsende Anteil älterer Autofahrer ist wiederum verbunden mit einer höheren Prävalenz von gesundheitlichen Einschränkungen und Krankheiten (Seh- und Hörvermögen, KHK, TIA, MCI, Demenzen) und die Einnahme von potenziell Vigilanz- und das Reaktionsvermögen beeinträchtigenden Medikamenten, insbesondere Psychopharmaka (s. Kap. 12). 2021 waren in Deutschland 2.562 Verkehrsunfall-Tote zu registrieren, die Zahl der Verletzten betrug 323.129. Bei den unfallbeteiligten Pkw-Fahrern im Alter von 18 bis 20 Jahren wurden mehr als zwei Drittel (70,5%) als Hauptverursacher eingestuft. Mit steigendem Lebensalter sinkt dieser Anteil und erreichte 2021 seinen niedrigsten Wert in der Altersgruppe zwischen 50 und 55 Jahren (49,3%). In den darüber liegenden Altersgruppen nimmt der Anteil der Hauptverursacher an allen Beteiligten der jeweiligen Altersgruppe wieder zu. Besonders hoch war der Anteil bei den Senioren, die mindestens 75 Jahre alt waren. Drei Viertel (75,9%) der Pkw-Fahrer dieser Altersgruppe trugen die Hauptschuld an dem Unfall, an dem sie beteiligt waren (DeStatis 2022).
Ältere Menschen sind zwar absolut gesehen im Vergleich zu Jüngeren weniger häufig an Unfällen beteiligt. Bereinigt man diese Unfallzahlen um die Fahrleistung, steigt das relative Unfallrisiko in Abhängigkeit vom Alter an. Insbesondere für den weniger geübten Fahrer besteht ein erhöhtes Unfallrisiko. Auch erleiden ältere Kraftfahrer bei Beteiligung an Unfällen deutlich schwerere Unfallfolgen.
Die Analyse der Unfallursachen älterer Kraftfahrer weist auf spezifische Fahrfehler hin, die mit altersassoziierten Funktionsbeeinträchtigungen in Verbindung gebracht werden können, wie Verschlechterung der visuellen Wahrnehmung, Reaktions-/Konzentrationsfähigkeit und Beweglichkeit. Vor allem Fehlverhalten in komplexen Verkehrssituationen, wie sie beim Abbiegen nach links oder in Vorfahrtssituationen auftreten, nimmt im Alter zu (DeStatis 2022).
Bis zu einem gewissen Grad können Fähigkeiten auf der Leistungsebene durch Fahrerfahrung bzw. Fahrkompetenz kompensiert werden. In vielen Fällen passen ältere Autofahrer zudem die Fahrtätigkeit ihrer Leistungsfähigkeit an, indem sie etwa Fahrten auf bekannte Routen beschränken oder Nachtfahrten vermeiden, wobei kritisch anzumerken ist, dass durch eine Reduzierung der Fahrtätigkeit zusätzlich zu den nachlassenden Leistungen auch die Fahrpraxis abnimmt (Brunnauer et al. 2014).
Daten von stationär behandelten psychiatrischen Patienten zeigen, dass 67% eine gültige Fahrerlaubnis besitzen und 77% von ihnen regelmäßig mit dem Auto fahren, 88% unter Psychopharmaka. Automobilität stellt somit ein relevantes Thema für diese Patientengruppe dar. Da das Kraftfahrzeug primär für Versorgungs- und Freizeitfahrten verwendet wird, kann man davon ausgehen, dass vor allem die soziale Funktionalität der Patienten von einem Verlust der Automobilität betroffen ist. In Bezug auf die untersuchten psychiatrischen Diagnosegruppen sind verschiedene Aspekte besonders hervorzuheben. Der höchste Anteil von Führerscheinbesitzern und aktiven Fahrern innerhalb der psychiatrischen Diagnosegruppen ist bei Patienten mit affektiven Erkrankungen (F3) zu verzeichnen (ca. 70%). Des Weiteren geben von den Führerscheinbesitzern ca. 38% der Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen (F1) an, dass sie regelmäßig mit dem Auto fahren. Vor dem Hintergrund der hohen Prävalenz von Alkohol- und Drogenfahrten sollte diesem Umstand im Rahmen klinischer Versorgungs- und Beratungsstrukturen vermehrt Rechnung getragen werden. Auch zeigt sich, dass vor allem in Diagnosegruppen mit zu erwartenden neurokognitiven Beeinträchtigungen (F0, F2) ein hoher Anteil von Patienten ihre Fahrtätigkeit einschränkt oder gar nicht mehr mit dem Pkw fährt (Brunnauer et al. 2016).
Abb. 3 Fahrerlaubnisinhaber nach Alter und Geschlecht – Entwicklung 2002–2017 (adaptiert nach infas, DLR, IVT, infas 360 2004, 2010, 2019)
Analysen weisen für den Faktor „psychische Erkrankungen“ auf ein erhöhtes Verkehrsunfallrisiko hin (s. Tab. 1). Pauschale Restriktionen lassen sich für diese Patientengruppen anhand der empirischen Datenlage jedoch nicht ableiten, vielmehr ist eine am Einzelfall orientierte Bewertung der Fahreignung vorzunehmen (Rapoport et al. 2023).
Meist keine Berücksichtigung finden bei diesen Analysen Faktoren wie „(Poly-)Pharmazie“ und „Multimorbidität“, die je nach Anzahl der Erkrankungen und der eingenommenen Medikamente zusätzlich das Unfallrisiko deutlich erhöhen können (LeRoy u. Morse 2008; Ravera u. de Gier 2010). Zudem sind verschiedene Krankheitsstadien zu berücksichtigen, was in epidemiologischen Studien meist nicht abgebildet wird.
Ein besonderes Augenmerk muss innerhalb der neuropsychiatrischen Erkrankungen v.a. auf Patienten mit demenziellen Syndromen gelegt werden. Im Zusammenhang mit diesen Erkrankungen geht man von einem deutlich erhöhten Verkehrsunfallrisiko im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen aus. Bereits in leichten Stadien der Erkrankung zeigen sich deutliche Fahrauffälligkeiten, dabei steigt das Unfallrisiko mit der Dauer und dem Schweregrad der Erkrankung signifikant an (Charlton et al. 2020; Chee et al. 2017).
Die epidemiologische Datenlage bezüglich Unfallrisiken depressiver oder schizophrener Patienten ist insgesamt dünn. Das Verkehrsunfallrisiko für schizophrene Erkrankungen wird als moderat bewertet. 27% bis 42,5% von Patienten mit einer schizophrenen oder schizoaffektiven Erkrankung weisen unter pharmakologischer Erhaltungstherapie erhebliche Beeinträchtigungen in verkehrsrelevanten Leistungsbereichen auf (Brunnauer et al. 2021). Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass v.a. komorbide Persönlichkeitsstörungen, Alkoholismus und paranoide Symptomatik kritische Faktoren für die Verkehrssicherheit in dieser Gruppe darstellen (Tsuang et al. 1985; Silverstone 1988; Menendez 1994).
Für affektive Erkrankungen konnten Aduen et al. 2018 eine 35% erhöhte Unfallwahrscheinlichkeit belegen, wobei diese vor allem bei jenen Personen zu beobachten war, die ihre Medikation abgesetzt hatten. Ein 50% erhöhtes Unfallrisiko zeigte sich bei Patienten mit einer affektiven Erkrankung, die älter als 65 Jahre waren (Foley et al. 1995).
Die Evidenz für ein erhöhtes Verkehrsrisiko als Folge suizidaler Intentionen im Rahmen depressiver Erkrankungen ist schwer einzuschätzen (Lukaschek et al. 2012). In einer multizentrischen Studie, in der Daten aus der Schweiz und Bayern zu Suiziden im Straßenverkehr zusammengetragen wurden, zeigte sich, dass Depressionen und wiederkehrende Suizidalität die vorherrschenden Ursachen waren (Gauthier et al. 2015).
Fahrer mit einer Persönlichkeitsstörung hatten eine 35% erhöhte Wahrscheinlichkeit einen Autounfall mit Verletzungsfolgen zu verursachen, im Vergleich zu einer klinischen Kontrollgruppe mit chronischen Erkrankungen (Orriols et al. 2014). Bei jungen männlichen Autofahrern, die einen tödlichen Autounfall erlitten, bestand eine mehr als 3-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass eine Cluster-B Persönlichkeitsstörung (antisozial, Borderline) vorlag (Dumais et al. 2005).
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Prof. Dr. med. Gerd Laux, Dipl.-Psych.
Gerd Laux ist Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie mit verkehrsmedizinischer Qualifikation und Professor für Psychiatrie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 1967–1975 Psychologie- und Medizinstudium in Mainz und Heidelberg. 1977–1982 Weiterbildung zum Facharzt für Neurologie und Psychiatrie am Psychiatrischen Landeskrankenhaus Weinsberg und an der Neurologischen Universitätsklinik Würzburg. 1983 Stipendium in biologischer Depressionsforschung an der University of Texas, Department of Psychiatry, in Dallas, Texas (USA). 1985–1992 Oberarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik Würzburg und 1992–1995 Ltd. Oberarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik Bonn und Direktor der Abteilung Medizinische Psychologie der Universität Bonn. 1996–2013 Ärztlicher Direktor des Inn-Salzach-Klinikums, Fachkrankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatische Medizin und Neurologie, Wasserburg am Inn – Rosenheim – Freilassing. Seit 2014 Leitung des Instituts für Psychologische Medizin (IPM) und seit 2017 Vertragsarzt MVZ Innklinikum Mühldorf, Zentrum für Neuropsychiatrie Waldkraiburg. Referent an der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK). Reviewer verschiedener nationaler und internationaler Fachzeitschriften, (Mit-)Herausgeber von 45 Fachbüchern, der Fachzeitschrift Psychopharmakotherapie (PPT) und über 550 Publikationen.
PD Dr. rer. nat. Alexander Brunnauer
Alexander Brunnauer hat Psychologie in Trier, München und Salzburg studiert. Autor von zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen und Buchbeiträgen, Mitglied in verschiedenen psychologischen und medizinischen Fachgesellschaften. Seit mehr als 15 Jahren als Referent im Rahmen des Curriculums „Verkehrsmedizin“ der Bayerischen und Berliner Landesärztekammer tätig. Mitglied des Fachausschusses „Begutachtung der Fahreignung“ der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) sowie im erweiterten Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin (DGVM). Die Abteilung Neuropsychologie am kbo-Inn-Salzach-Klinikum in Wasserburg am Inn leitet er seit 1998 sowie seit 2000 die Arbeits- und Forschungsgruppe Fahreignung an der Psychiatrischen Klinik der LMU München.
Der an einer psychischen Erkrankung leidende Patient ist regelmäßig auch Inhaber einer Fahrerlaubnis und damit auch Teilnehmer am – auch motorisierten – Straßenverkehr. Er ist mobil und will es auch bleiben. Sofern er als Berufskraftfahrer seinen Lebensunterhalt und jenen seiner Familie finanziert, wird der Verlust der Fahrerlaubnis zu einer Gefahr für die berufliche und damit wirtschaftliche Existenz. Sein Recht auf Teilnahme am Erwerbsleben ist in Artikel 12 GG grundrechtlich geschützt. Dies gilt indes nicht schrankenlos. Grundrechte sind einzuschränken, wenn Rechte Dritter beeinträchtigt werden.
Damit muss die naheliegende Frage beantwortet werden, ob und wie das Interesse des erkrankten Kraftfahrers geschützt werden kann. Zugleich muss das Interesse der Allgemeinheit an einer höchst möglichen Sicherheit im Straßenverkehr zur Geltung kommen.
Wie also lässt sich beides, nämlich die Abwehr von Gefahren, die von der Teilnahme des Erkrankten am Straßenverkehr aufgrund von Leistungseinschränkungen ausgehen können, und das Mobilitätsinteresse in Einklang bringen?
Auf welcher Seite stehen Behandler – Ärzte und Psychologen? Was müssen sie oder dürfen sie tun? Besteht eine Schweigepflicht oder darf eine Mitteilung an die Fahrerlaubnisbehörde erfolgen? Welche Aufgabe hat die Fahrerlaubnisbehörde bei Erkrankungen?
Die individuelle Fahrsicherheit oder Fahreignung (zur Begrifflichkeit nachfolgend s. Abschnitt 3.3.1) des Straßenverkehrsteilnehmers lassen sich nicht durch Rechtsordnungen bestimmen oder gar erzwingen.
Die Straßenverkehrs-Ordnung in § 1 setzt auf die Selbstverantwortung des Einzelnen:
Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.Wer am Verkehr teilnimmt, hat sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder, mehr als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.Eine auf Mobilität und Selbstverantwortung des Einzelnen setzende Gesellschaft nimmt mit diesem bloßen Apell das Risiko einer Gefährdung von Leib und Leben durch nicht hinreichend fahrsichere Verkehrsteilnehmer in Kauf.
Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses wird klar, dass auch derjenige Straßenverkehrsteilnehmer, der aufgrund einer psychischen Erkrankung in seiner Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen eingeschränkt ist, das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit hat und ihm im Grundsatz das Recht auf Teilhabe als Führer eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr nicht abzusprechen ist.
Der Bundesgerichtshof stellt an diese Selbstüberprüfungspflicht hohe Anforderungen. Es reicht danach aus, die Symptome und deren Auswirkungen auf die Fahrsicherheit zu erkennen; die Kenntnis der Ursachen für eine Beeinträchtigung sei nicht erforderlich. Der Bundesgerichtshof verpflichtet den Kraftfahrer dazu, solche Ausfälle zu registrieren, die Anlass zu Zweifeln an der Fahrsicherheit geben. Der Fahrer steht auch in der Verantwortung bei einem plötzlichen Ausfall, selbst wenn dieser vorher nicht wahrnehmbar war und sich nicht angekündigt hat und zwar in den Fällen, wenn er Kenntnis von solchen Mängeln seiner körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit hat, die zu einem solchen Versagen führen können (BGH, VersR 1988, 388). Andernfalls drohen haftungsrechtliche Konsequenzen und auch eine Strafbarkeit (BGH NZV 1995, 157 für den Fall eines Epileptikers ohne Krankheitseinsicht). Damit ist klargestellt, dass der Kraftfahrer besonders kritisch mit sich umgehen muss bei Krankheiten und auch bei fortgeschrittenem Lebensalter, ohne dass eine gesetzliche oder richterliche Pflicht besteht, sich ab einem bestimmten Alter auf Fahreignung untersuchen zu lassen. Der BGH hält den Kraftfahrer für verpflichtet, sich bei konkreten Anhaltspunkten ärztlich beraten zu lassen, ob und wann sich eine Erkrankung auf die Fahreignung auswirken kann (BGH, VersR 1988, 388).
Im Rahmen der Bestrebungen der Europäischen Union zur Verabschiedung und Umsetzung einer neuen Führerscheinrichtlinie wird z.B. eine Verkürzung der Gültigkeitsdauer von Führerscheinen für ältere Personen diskutiert. Eine solche Änderung der Führerscheinrichtlinie dürfte aber kaum durchsetzbar sein, mit Blick auf eine dadurch entstehende Diskriminierung älterer Verkehrsteilnehmer und auch mit Blick auf eine damit zugleich verbundene Verletzung des Rechts auf Freizügigkeit und des Rechts auf Teilnahme am wirtschaftlichen und sozialen Leben. Ebenso wird diskutiert, dass Fahrer ihre Fahreignung selbst bewerten sollen, wobei die Mitgliedstaaten entscheiden können, ob eine ärztliche Untersuchung erforderlich ist, bei der u.a. das Sehvermögen und mögliche Herz-Kreislauf-Erkrankungen der Fahrer überprüft werden. Das EU-Parlament fordert jedenfalls von den EU-Regierungen nationale Sensibilisierungskampagnen, mit deren Hilfe das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die körperlichen bzw. geistigen Anzeichen geschärft werden soll, die dazu führen können, dass eine Person beim Führen eines Fahrzeugs eine Gefahr darstellt (Europäisches Parlament, Pressemitteilung 2024).
Auch das familiäre Umfeld eines an einer psychischen Erkrankung leidenden Straßenverkehrsteilnehmers und insbesondere auch die behandelnden Ärzte und Psychologen sind Bestandteil einer Sozialkontrolle zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit. Hier greifen subtile Mittel der Einflussnahme auf den z.B. uneinsichtigen Angehörigen und auch Pflichten. Mangelnde Sorgfalt kann schnell zu Schäden führen.
Indes dürfen sich die behandelnden Ärzte und Psychologen auch bei pflichtgemäßer Erfüllung ihrer Verantwortung (vgl. Peitz 2015b) für den Straßenverkehrsteilnehmer davon leiten lassen, dass nicht per se „der Kranke“ von der Teilnahme am Straßenverkehr ausgeschlossen wird, sondern nur derjenige, der den Leistungsanforderungen, die an das sichere Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr gestellt werden, nicht oder nur zum Teil entsprechend kann.
Nur dann, wenn sich eine psychische Erkrankung als überdauernder oder akuter Einflussfaktor darstellt mit negativen Auswirkungen dieser personengebundenen Störquelle auf Fahreignung oder Fahrsicherheit, sind Eingriffe in Freiheitsrechte des Betroffenen – nämlich das Recht auf Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr – denkbar.