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»Mein Mega-vielfach-Urgroßvater Ewald hat den ersten Salzfund bei Lüneburg miterlebt. Das ist ja mausverrückt!« Der Mäusejunge Ewald ist nach der ersten Geschichte, die ihm seine Mutter aus der alten Familienchronik vorliest, total begeistert. Und das ist erst der Anfang einer Reihe spannender mausverrückter Geschichten durch die Lüneburger Stadtgeschichte, von dem ersten Salzfund um das Jahr 900 herum bis ins heutige 21. Jahrhundert. Dieses illustrierte Buch macht die Lüneburger Geschichte für junge Leser unterhaltsam.
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Seitenzahl: 305
Veröffentlichungsjahr: 2022
Corinna Morenz
Familie Lünemaus
Mausverrückte Stadtgeschichte
Copyright: © 2022 Corinna Morenz
Lektorat: Erik Kinting – www.buchlektorat.net
Umschlag & Satz: Erik Kinting
Illustrationen: Corinna Morenz
Verlag und Druck:
tredition GmbH
Halenreie 40-44
22359 Hamburg
Softcover
978-3-347-68961-9
Hardcover
978-3-347-68962-6
E-Book
978-3-347-68963-3
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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Inhalt
1. KapitelEwald und die Lüneburger Salzsau
2. KapitelEwaldine und der Salzzoll
August 956 nach Christi Geburt
3. KapitelEwald und die Stadt Bardowick
28. Oktober 1189
4. KapitelEwald und das Stadtrecht
5. Kapitel Ewaldine, die Kalkberg-Burg und die Sankt Ursula Nacht
6. KapitelEwald und der Stecknitzkanal
7. KapitelEwaldine und die Kopefahrt
8. KapitelEwald und die Reformation
9. KapitelEwaldine, der Scharfrichter und die Alte Raths-Apotheke
10. KapitelEwaldine und die Bierbrauerei
11. KapitelEwald und Johann Sebastian Bach
12. KapitelEwaldine und das Lüneburger Schloss
13. KapitelEwald, das Solebad und Heinrich Heine
14. KapitelEwald, der Kalkberg und die Eisenbahn
15. KapitelEwaldine und der Wasserturm
16. KapitelEwaldine und die Leuphana
17. KapitelEwald und das Salzmuseum
18. KapitelEwaldine und Lüneburg im 21. Jahrhundert
Nachwort
1. Kapitel
Ewald und die Lüneburger Salzsau
»Mama, komm zu mir!!«, rief ich ungeduldig. Es war wirklich wie verhext, ich konnte einfach nicht einschlafen.
Mein Name ist Ewald Lünemaus und ich war ein Mäusejunge. Ich lebte mit meiner Familie in der Stadt Lüneburg. Unsere Wohnung befand sich in einem ziemlich alten Haus, wo es glücklicherweise warm und trocken war. Eigentlich war ich ein fröhliches Mäuschen, doch an diesem Abend lag ich nun schon seit Stunden hellwach in meinem Bett und fand einfach keinen Schlaf. Friedlich schnarchten meine zwölf Geschwister vor sich hin, während ich unaufhörlich über den heutigen Schultag nachdachte. Piet und Arne waren mal wieder total gemein zu mir!
»Mama, wo bleibst du denn?«, rief ich nun energischer.
Endlich öffnete sich die Kinderzimmertür und meine Mama flüsterte mir genervt zu: »Ewald, warum schreist du denn so laut? Du weckst noch deine Geschwister auf.«
Traurig blickte ich sie an und sagte: »Ach Mama, ich kann einfach nicht einschlafen. Heute war es in der Schule richtig blöd!« Den ganzen Tag konnte ich mich beherrschen, doch nun schwammen meine Augen in einem Tränenmeer. Man konnte nicht Ewald heißen und dann auch noch eine Heulmaus sein! Schniefend wischte ich mir die Tränen weg und atmete einmal ganz tief durch.
Besorgt setzte Mama sich auf meine Bettkante und schaute mich liebevoll an.
Die Worte sprudelten nur so aus mir heraus und ich erzählte traurig von meinem heutigen Schultag: »Piet und Arne sind so gemein! Die beiden ärgern mich den ganzen Tag! Arne nennt mich immer Ewald, die Waldlaus und Piet sagt, dass ich mit meinem Opa-Namen in den Wald gehen soll, denn da käme ich doch her. Jeden Tag machen sie sich über mich und meinen Namen lustig!« Nun konnte ich die Tränen gar nicht mehr zurückhalten und sie tropften ungebremst auf Mamas Schoß.
Meine Mutter legte fürsorglich ihren Arm um meine Schulter und sagte: »Mein armes Mäuschen. Diese zwei Jungs sind wirklich nicht sehr nett.«
Ich schluchzte mit tränenerstickter Stimme: »Das Schlimmste habe ich dir noch gar nicht erzählt. Heute hat Emma mitgelacht und sie war die Lauteste von allen! Dabei dachte ich, wir wären Freunde. Auf solche Freunde kann ich verzichten! Mit Emma spiele ich nie wieder! Die Pausen kann sie in Zukunft mit Piet und Arne verbringen.«
Inzwischen hatte ich mich so in Rage geredet, dass meine Tränen versiegten. Doch ich war nicht nur auf meine drei Klassenkameraden sauer, denn den Grund für ihre blöden Hänseleien hatten schließlich meine Eltern geliefert. Dafür waren sie mir eine Erklärung schuldig und das sofort!
Deshalb fragte ich meine Mama zornig: »Warum habt ihr mir diesen blöden, verstaubten Namen gegeben? Ich heiße wie mein Opa! Als der jung war, mag Ewald ja noch ein toller Name gewesen sein, aber heutzutage wird man dafür geärgert. Bei meinen Geschwistern habt ihr euch doch auch mehr Mühe gegeben. Ihre Namen sind alle cool und niemand ärgert sie deswegen. Das finde ich voll gemein von euch!«
Meinen letzten Satz schrie ich so laut heraus, dass die Augen meines Bruders Hannes aufklappten. Der lag im Bett neben mir und murmelte ganz verschlafen: »Moin! Ist es denn schon wieder Zeit aufzustehen?«
Mama seufzte genervt und flüsterte ihm zu: »Es ist noch mitten in der Nacht, mein Schatz. Schlaf schnell wieder ein.« Dann blickte sie mich streng an und sagte leise: »Komm, Ewald, wir gehen ins Wohnzimmer und unterhalten uns dort weiter.«
Vorsichtig schlichen wir aus dem Kinderzimmer, wo Hannes schon wieder leise vor sich hin schnarchte.
In unserer gemütlichen Wohnstube zog Mama ein uraltes Buch aus dem großen Bücherregal. Dieses Buch war mir bisher noch nie aufgefallen. Mama setzte sich auf unser rotes Sofa und sagte: »Setz dich zu mir, mein Großer.«
Ich kuschelte mich an sie und schaute gespannt auf das alte Buch in ihren Pfoten. Mit Stolz erfülltem Blick erklärte meine Mama mir: »Dieses uralte Buch ist die Chronik der Familie Lünemaus. Es wird immer an das erstgeborene Kind weitergereicht. Da ich die Älteste meiner Geschwister war, befindet es sich in meinem Besitz. Dein Name Ewald ist wirklich schon sehr alt, doch verstaubt ist er deswegen noch lange nicht. Ewald nennt man in unsere Familie nur die erstgeborenen Söhne.« Mama lachte kurz auf und sprach dann weiter: »Oder Ewaldine, wenn das erstgeborene Kind eine Tochter ist. Deshalb nannten deine Großeltern mich so. Dein Name sollte dich mit Freude erfüllen und nicht beschämen. Wir Lünemäuse leben schon seit Mäusegedenken in dieser Gegend. Unsere Familiengeschichte ist eng mit der Geschichte unserer Heimatstadt Lüneburg verbunden.«
Ich schaute meine Mama ungläubig an und fragte dann unsicher: »Wir kommen also gar nicht aus dem Wald?«
Mama setzte sich noch aufrechter hin und sagte dann feierlich: »Wir Lünemäuse sind richtige Lüneburger Mäuse und das seit Anbeginn dieser Stadt. Viele deiner Vorfahren waren sehr abenteuerlustige und mutige Mäuse. Unerschrocken beeinflussten sie sogar mehrere Male die Stadtgeschichte. Ein paar von uns Erstgeborenen schrieben ihre aufregendsten Erlebnisse in diesem Buch nieder. Unsere Familienchronik erzählt spannende Geschichten von deinen Vorfahren und der Stadt Lüneburg. Lass uns jetzt in diese Abenteuer eintauchen und von ihren Erlebnissen lesen. Ich bin mir sicher, dass du deinen Namen dann mit Stolz tragen wirst.« Mama öffnete unser altes Buch und ich lauschte gespannt, als sie mit dem Vorlesen der ersten Geschichte begann:
Um 900 nach Christi Geburt
Ich, Ewald Lünemaus, habe beschlossen diesen abenteuerlichsten meiner Tage aufzuschreiben. Onkel Stephan, der Klostermaus, bin ich zu großem Dank verpflichtet. Geduldig lehrte er mich das Lesen und Schreiben. Allein der Gedanke daran, dass sich meine Nachkommen nun auch zukünftig an diesem Tag erfreuen würden, erfüllt mich mit großem Stolz.
Heute war ich mit meinem Freund Friedbert im Sumpfgebiet der Ilmenau verabredet. Das lag in der Nähe der Siedlung Hliuni, wo ich mit meiner Sippe lebte. Gestern erzählte mir Friedbert von einer Gruppe Jäger, die ihr Lager in dem Sumpfgebiet aufgeschlagen hatten. Nun wollten wir dort nach ein paar Leckerbissen suchen. Allein die Aussicht auf ein Stück Brot oder Käse ließ mich schneller laufen. Ich und mein Freund waren einfach mausverrückt nach Käse, nicht so wie die meisten anderen Mäuse, die eher Speck und Fleisch bevorzugten.
Friedbert rannte laut schnaufend hinter mir her und rief dann atemlos: »Warte Ewald! Das Essen läuft uns doch nicht davon.«
Ich wollte ihm gerade antworten, dass ich völlig ausgehungert sei, als uns ein lautes Geraschel abrupt stoppen ließ. Erschrocken schauten wir uns an. Dieses Geräusch war wirklich sehr unheimlich und wir sollten uns lieber ein Versteck suchen.
Doch bevor Friedbert und ich nach einem Unterschlupf Ausschau halten konnten, kam eine ganze Wildschweinrotte auf uns zu gerannt. Wildschweine waren meistens ziemlich raue und mürrische Gesellen, denen wir lieber aus dem Weg gingen. Der Anführer der Gruppe hatte uns aber leider schon entdeckt. Genau vor meinen Pfoten kam er zum Stehen. Zitternd vor Angst blickten Friedbert und ich zu ihm auf. Die gesamte Rotte scharte sich um uns herum. Zu unserer großen Erleichterung waren diese Schweine aber ungewöhnlich gut gelaunt. Alle grunzten fröhlich vor sich hin. Mutiger geworden schaute ich mir diese Schweinerei erst einmal genauer an. Die ganze Sippe sah wirklich sehr komisch aus.
Da alle so vergnügt waren, fragte ich sie mutig: »Was habt ihr denn gemacht? Ihr seid ja so weiß wie Gespenster.«
Die Schweine stießen sich gegenseitig an und grunzten laut los. Die lachten mich doch nicht etwa aus? Es war kein Irrtum möglich! Die gesamte Rotte machte sich über mich und meine Frage lustig!
Bevor ich jedoch böse werden konnte, ließ sich ihr Anführer zu einer Antwort herab: »Ihr Mäuschen seid ja ganz schön neugierig!« Dann erklärte er uns aber doch noch den Grund für ihr weißes Fell: »Wir suhlten uns am Morgen in einem herrlich warmen Wassertümpel. Der wirkte ganz normal, nur in den Augen brannte das Wasser ein bisschen unangenehm. Nach dem Bad ließen wir unser Fell in der Sonne trocknen und es wurde ganz weiß. Erst erschraken wir sehr, doch inzwischen gefällt uns diese Fellfarbe. In der Sonne glitzern wir wie die Himmelslichter einer wolkenlosen Nacht.«
Friedbert und ich verkniffen uns mühsam ein Kichern, als ein zweiter Eber grunzte: »Ich könnte mich totlachen, wenn ich an Odelia denke. Die schläft immer noch an dem Hang da hinten in der Sonne. Wenn Odelia aufwacht, wird sie einen schönen Schrecken bekommen. Sie ist auch weiß, wie ein Himmelslicht!«
Die gesamte Wildschweinrotte grunzte daraufhin fröhlich los und zog flott von dannen. Wir blickten ihnen belustigt hinterher.
Kaum war das letzte Schwein im Gebüsch verschwunden, fielen Friedbert und ich uns lachend in die Arme. Vergnügt rief ich meinem Freund zu: »Diese weißen Schweine erinnern mich eher an Gespenster, als an Himmelslichter. Große Leuchten sind die nun wirklich nicht!«
Kichernd setzten auch wir unseren Weg fort. Mittlerweile knurrte Friedberts Bauch mit meinem um die Wette. Wir konnten es kaum erwarten, endlich am Lager der Jäger anzukommen.
Als wir es erreichten, verstummten wir augenblicklich. Die Menschen bemerkten uns zwar meistens nicht, doch vor ihren verflohten Jagdhunden musste Maus sich wirklich in Acht nehmen, denn mit ihrem blöden Gekläffe machten sie die Menschen schon des Öfteren auf uns aufmerksam. Dafür bekamen die Hunde dann auch noch Futter und einen warmen Schlafplatz, was ich wirklich gemein fand.
Doch heute schien das Glück uns hold zu sein. Sowohl die Jäger als auch ihre Hunde dösten schläfrig in der Sonne. Friedbert und ich schlichen vorsichtig in das Lager hinein. Inzwischen waren wir richtig ausgehungert und blickten uns suchend um. Irgendwo lag doch bestimmt etwas Fressbares herum.
»Mann Ewald, hier riecht es total lecker«, flüsterte Friedbert mit freudig glänzenden Augen.
Auch mich umwehte der köstliche Duft von Käse. Wir reckten unsere feinen Näschen in den Wind, um den Käse ausfindig zu machen. Aufgeregt zeigte Friedbert auf die Tasche eines dicken Jägers, der direkt neben ihm schlief. Der herrliche Duft kam eindeutig von dort. Träumerisch schloss ich meine Augen. So etwas Köstliches hatte ich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gerochen, geschweige denn gegessen! Mein Freund blickte ebenfalls voller Gier auf die Käsetasche.
»Gemach, alter Freund«, mahnte ich ihn zur Vorsicht. Dann flüsterte ich weiter: »Wir müssen uns einen guten Plan überlegen, um unbemerkt da ranzukommen. Wenn die Jäger aufwachen oder, was noch schlimmer wäre, ihre Hunde, können wir unser Festmahl vergessen!« Gedankenverloren schaute ich mich um. Dann sah ich Friedbert, der auf den dicken Bauch des Jägers sprang. »Nein, Friedbert!«, rief ich. Doch mein Freund ließ sich nicht mehr aufhalten. Die Beute vor Augen kletterte er gierig in die Käse-Tasche hinein.
Wahrscheinlich hätten wir nun ungesehen mit der Beute verschwinden können, doch leider erwachte einer der Jagdhunde durch meinen erschrockenen Aufschrei. Der große schwarze Hund schüttelte sich erst verschlafen, dann blickte er knurrend auf mich hinab. Panisch versuchte ich, ihn zu beruhigen: »Du bist ein ganz feines Hündchen. Bitte schlaf schnell wieder ein.«
Meine Mühe war jedoch vergebens. Dieses schwarze Ungetüm begann laut herumzubellen und weckte damit alle anderen. Hunde wie Jäger sprangen erschrocken auf. Oh weh, durch mein Geschrei war ich allein an dieser ganzen Misere schuld. Friedbert ließ sich zum Glück nicht blicken. Ob er nun den Käse in der Tasche fraß oder sich darin versteckte, war mir egal. Hauptsache ihm geschah nichts. Doch auch ich sollte mich nun unsichtbar machen.
Die Jäger schauten sich suchend nach dem Grund für das Hundegebell um. Versteckt hinter einem Stein konnte ich das weitere Geschehen beobachten. Verärgert schrie der Jäger seinen kläffenden Hund an, er solle endlich still sein. Der Hund blickte daraufhin sehr böse in meine Richtung. Zu mir laufen konnte er zum Glück nicht, da alle Hunde angeleint waren.
Ein zweiter Jäger jedoch schien etwas viel Interessanteres, als das Hundegebell entdeckt zu haben. Aufgeregt rief er seine Kameraden zu sich und zeigte zu dem gegenüberliegenden Hang. Auch ich blickte nun in diese Richtung und sah einen sehr hellen, weißen Punkt. Der strahlte in der Sonne wie ein Himmelslicht! Oh weh, das war doch nicht etwa die Wildsau Odelia, von der die Wildschweinrotte sprach? Anscheinend döste sie immer noch auf dem Hang in der Sonne.
Inzwischen blickten alle Jäger neugierig auf den strahlend, weißen Fleck. Der Dicke rief dann: »Lasst uns nachsehen, was dort so hell glänzt! Vielleicht liegt da ja ein Schatz!«
Die Jäger ließen ihre Hunde bei einem alten Mann zurück und marschierten zügig los. Welch ein Unglück! Ob ich die arme Odelia noch rechtzeitig warnen konnte? Die Jäger waren wirklich flott unterwegs. Erschrocken blickte ich ihnen hinterher und sah die Käse-Tasche mit meinem Freund Friedbert darin: Der dicke Mann hatte die Tasche mitgenommen und trug meinen besten Freund mit sich fort! Jetzt musste ich mich aber wirklich beeilen. Nun galt es nicht nur Odelia zu retten, sondern auch Friedbert! So schnell meine Pfoten mich trugen, rannte ich ihnen hinterher.
Doch die ausgewachsenen Männer liefen leider viel schneller als eine Maus. Als ich endlich an dem Hang ankam, war es leider schon für einen zu spät. Die arme Wildsau Odelia sah nicht mehr nur aus, wie ein Gespensterschwein, sie war eins geworden! Vielleicht fuhr ihre verstorbene Seele nun wirklich in den Himmel und strahlte von dort in klaren Nächten zu uns hinab. Ich wünschte es ihr von Herzen. Schnell betete ich noch ein kleines Vater unser für die arme, tote Sau, dann musste ich Friedbert befreien. Wenn die Jäger ihn entdeckten, würden sie aus ihm eine Gespenstermaus machen! Mir wurde ganz schlecht bei dem Gedanken. Mein Freund sollte weder ein Gespenst noch ein Himmelslicht werden! Wo steckten die Männer bloß?
Suchend blickte ich mich um und entdeckte ein paar Meter weiter ihre Fußspuren. Anscheinend verfolgten sie die Fährte der Wildschweine zurück. Man erkannte deutlich, wo die Schweine herkamen, bevor sie sich an dem Hang ausgeruht hatten.
»Kommt schnell zu mir! Ich habe etwas entdeckt!«, rief einer der Jäger aufgeregt.
Ich eilte den Männern hinterher. Sie standen um einen Tümpel. Aufgeregt unterhielten sie sich und fassten nacheinander in das Wasser. Ihre nassen Finger schleckten sie dann ab. Verwundert beobachtete ich die Jäger bei ihrem ungewöhnlichen Tun. Die verhielten sich ja wie Katzen. Anscheinend machte das Abschlecken ihrer Hände sie sehr glücklich. Freudestrahlend lachten sie sich an.
Dann rief einer von ihnen ganz verzückt: »Salzig! Das ist wirklich unglaublich salzig!«
Der dicke Jäger mit der Friedbert-Käse-Tasche jubelte ebenso begeistert: »Das ist das pure Salzwasser! Das ist der helle Wahnsinn!«
Ihre Aufregung über die salzige Brühe konnte ich zwar nicht verstehen, doch auch ich wurde nun ganz aufgeregt, denn Friedbert nutzte die Gunst der Stunde und kletterte behände aus der Tasche heraus. Die Jäger waren so sehr mit dem Salztümpel beschäftigt, dass mein Freund unbemerkt entkommen konnte. In seinen Pfoten hielt er ein großes Stück des herrlich duftenden Käses. Erleichtert umarmten wir uns und rannten schnell davon.
Friedbert und ich fanden ein ruhiges Plätzchen und fraßen die köstliche Beute mit Genuss auf. Von dieser aufregenden Geschichte und dem wundervollen Käse wollten wir noch unseren Kindern erzählen!
Nach diesen letzten Worten schloss meine Mama behutsam das alte Buch und sah mich erwartungsvoll an. Schweigend saß ich auf unserem Sofa. Die Geschichte meines Ururur… oder einfacher ausgedrückt, meines Mega-vielfach-Urgroßvaters hatte mich tief beeindruckt.
Erst fiel es mir schwer, meine Gedanken in Worte zu fassen, doch nachdem Mama unsere Familienchronik in das große Bücherregal zurückgestellt hatte, sprudelten die Worte nur so aus mir heraus: »Die Geschichte meines Mega-vielfach-Urgroßvaters Ewald ist wirklich unglaublich! Er hat den ersten Salzfund bei Lüneburg miterlebt und dabei auch noch megaleckeren Käse gegessen. Das ist doch mausverrückt!«
Mama lächelte mich an. »Als ich diese Geschichte zum ersten Mal hörte, war ich genauso begeistert. Woher weißt du denn, dass die Geschichte sich hier in Lüneburg ereignet hat? Dein Vorfahr Ewald sprach doch nur von der Siedlung Hliuni, wo er lebte.«
Meine Lehrerin Frau Rattix wäre jetzt wirklich sehr stolz auf meine Antwort: »Zurzeit nehmen wir die Lüneburger Stadtgeschichte in der Schule durch. Erst letzte Woche erzählte uns Frau Rattix von der Ur-Siedlung Lüneburgs mit dem Namen Hliuni. Die lag unterhalb des Kalkberges.«
Mama schaute mich ziemlich beeindruckt an.
Vergnügt erzählte ich weiter: »Passend zu diesem Thema waren wir gestern im Lüneburger Rathaus. Dort hing ein Glaskasten. In dem soll sich der Schinkenknochen der Wildsau befinden, die den Jägern den Weg zum Salztümpel zeigte. Mausverrückt, dieser Knochen gehörte ja dann der Sau Odelia!«
Mama nickte mir lachend zu.
Kichernd sagte ich zu ihr: »Wenn ich meinen Klassenkameraden erzähle, dass mein Mega-vielfach-Urgroßvater Ewald bei dem ersten Salzfund unserer Stadt dabei war und die Wildsau Odelia hieß, werden die vor Staunen riesengroße Augen machen. Piet und Arne bekommen dann bestimmt ganz viele Neidpickel im Gesicht! Doch ich sage besser nicht, dass erst der Aufschrei meines Vorfahren die Jäger auf Odelia aufmerksam machte und sie deshalb zu einem Gespensterschwein wurde. Den restlichen Teil der Geschichte finde ich aber einfach super!« Aufgeregt hüpfte ich auf unserem Sofa herum. Diese Geschichte war der Knaller!
Meine Mama lächelte mich an und sagte fröhlich: »Unsere Familienchronik steckt voller Abenteuer. Ich verspreche, dass ich dir noch einige spannende Geschichten daraus vorlesen werde. Bald wirst du den Namen Ewald mit großem Stolz tragen!«
Ich grinste meine Mama verschmitzt an und sagte zu ihr: »Vielleicht überzeugt mich ja schon die nächste Geschichte, wenn du sie mir noch heute vorliest.«
Doch leider schüttelte Mama den Kopf. »Es ist schon sehr spät geworden, aber wenn du jetzt ganz schnell in deinem Bett einschläfst, werde ich dir morgen das nächste Abenteuer aus unserem alten Buch vorlesen.«
Als Antwort entflutschte mir ein herzhaftes Gähnen und wir mussten beide lachen. Inzwischen fielen meine Augen vor Müdigkeit zu und so ging ich ohne zu Murren in mein Bett. Bevor mein Kopf das Kissen berührte, war ich auch schon eingeschlafen und träumte von Wildschweinen, Salz und leckerem Käse!
2. Kapitel
Ewaldine und der Salzzoll
Mein Schultag war heute richtig blöd! Wirklich! Und dabei wachte ich mit so guter Laune auf. Ich hatte nämlich einen richtig tollen Traum! Darin rannte die Salzsau Odelia zusammen mit meinem Mega-vielfach-Urgroßvater Ewald über einen riesigen Berg aus Käse. Ich lief ihnen hinterher und fraß mich an dem Käseberg kugelrund. In der Schule begann ich noch voller Stolz, von der Geschichte meines Vorfahren zu erzählen, doch schon nach den ersten Sätzen fingen Piet und Arne mit ihrem blöden Gelächter an. Meine übrigen Klassenkameraden lachten gleich mit, sodass ich verlegen verstummte. Sogar unsere Lehrerin Frau Rattix lächelte mich ungläubig an, als ob ich ein Märchen erzählt hätte. Pah, wenn mir sowieso keiner glaubt, dann erzähle ich halt niemandem mehr etwas von meiner Familiengeschichte!
Doch eines war an meinem Schultag, doch noch gut: Der Schulunterricht war heute richtig interessant. Immerhin nahmen wir die Lüneburger Stadtgeschichte durch und meine Vorfahren waren dabei! Ich war schon ganz aufgeregt, wenn ich an die spannende Geschichte dachte, die mir meine Mama heute Abend vorlesen wollte.
Bei dem Gedanken daran wurde meine Laune augenblicklich besser und so fragte ich meine Mutter fröhlich: »Soll ich den Kleinen ihre Gutenachtgeschichte vorlesen?« Dabei lächelte ich sie mit einem unschuldigen Augenaufschlag an.
Mama wusste natürlich, dass ich dadurch schneller zu meiner eigenen Geschichte kommen wollte, und sagte augenzwinkernd zu mir: »Das finde ich sehr nett von dir, Ewald. Deine Geschwister werden bestimmt ganz schnell in ihren Betten liegen und schlafen, wenn ihnen der große Bruder etwas vorliest.«
Als ältestes Kind half ich meiner Mama natürlich oft mit meinen zwölf Geschwistern, allerdings selten mit so viel Freude. Das klappte heute Abend wie am Schnürchen. Gleich nach dem Vorlesen waren alle eingeschlafen und Mama schloss leise die Kinderzimmertür.
Wir setzten uns mit dem alten Buch auf das rote Sofa. Doch bevor meine Mutter es aufschlug, musste ich ihr etwas wirklich Interessantes von meinem heutigen Schulunterricht erzählen: »Frau Rattix hat uns noch mehr über die Siedlung Hliuni erzählt und auch, aus welchen drei Ur-Siedlungen Lüneburg entstanden ist. Kennst du dieses Zeichen hier?« Ich nahm mir ein Blatt Papier und malte das Zeichen mit einem roten Stift darauf. »So sieht es aus.«
Interessiert schaute Mama auf das Symbol.
Ich erklärte ihr weiter: »Man kann es überall in Lüneburg entdecken. Wenn du in der Altstadt bist, musst du dort einmal auf die Gullideckel schauen. Auch in der sogenannten Grünen Tür des Rathauses findest du es. Dieses Zeichen taucht wirklich überall in der Stadt auf. Es symbolisiert die drei Ur-Siedlungen, aus denen sich Lüneburg entwickelte. Man nennt sie Mons-Pons-Fons, das sind die lateinischen Namen für Berg-Brücke-Quelle. Mit dem Berg, Mons, sind der Kalkberg und seine Burg darauf gemeint, die es früher dort gab. Die Brücke über die Ilmenau, also Pons, führte damals in das nahe gelegene Dorf Modestorpe und Fons bezeichnet die Salzquelle, die die Jäger mit Odelias Hilfe entdeckten. Diese drei Standorte wuchsen mit der Zeit zu der Stadt Lüneburg zusammen.«
Da ich selten so begeistert aus der Schule erzählte, freute sich meine Mama sehr darüber und sagte dann: »Ich finde es beeindruckend, dass du soviel über deine Heimatstadt weißt. Nun werde ich meine Augen immer offen halten und vielleicht entdecke ich dieses Lüneburger Stadtzeichen an noch mehr Orten.« Sie zeigte auf unser altes Buch und fragte: »Möchtest du heute erfahren, wann und wo der Name unserer Stadt Lüneburg zum ersten Mal in einer Urkunde erwähnt wurde? Damals nannte man die Stadt Luniburgc und einer deiner Vorfahren war an diesem Tag dabei.«
Ich nickte begeistert und freute mich, als sie endlich die Familienchronik öffnete.
»Unsere heutige Geschichte beginnt sogleich mit einer Überraschung. Sie wurde von deiner Ururur … ach ich bleibe besser bei deinen Worten: Dieses Erlebnis schrieb deine Mega-vielfach-Urgroßmutter Ewaldine Lünemaus auf.«
Gespannt hörte ich zu, als Mama mit dem Lesen der folgenden Geschichte begann:
August 956 nach Christi Geburt
Wir schreiben das Jahr 956 und ich, Ewaldine Lünemaus, halte es wie mein Vorfahr Ewald. Für meine Kinder und Kindeskinder schreibe ich meine heutigen Erlebnisse auf, damit sie sich immer an diesem wundervollen Tag erfreuen können.
Ich wurde in dem Dorf Modestorpe geboren. Erst vor Kurzem vereinte man unser Dorf mit seiner Brücke über die Ilmenau, die Salzquelle und den Kalkberg mit seiner Burg zu einer gemeinschaftlichen Siedlung mit dem Namen Luniburc. Meine Familie fühlte sich dort sehr wohl. Wir fanden immer genug zu essen und meine Eltern waren der Meinung, dass Maus damit zufrieden sein sollte. Doch ich war jung und wollte noch viele spannende Abenteuer erleben! Deshalb beschloss ich, zu meiner Cousine Margarethe auf den Kalkberg zu ziehen. Dort wohnte sie im Sankt-Michaelis-Kloster, direkt neben der Burg. Bei ihrem letzten Besuch in Modestorpe schwärmte sie in den höchsten Tönen von ihrem Leben im Kloster. Margarethe erzählte uns von den feinsten Köstlichkeiten, die man dort fand. Die Mönche des Klosters seien einfach mit einem guten Geschmack gesegnet und kochten gut und reichhaltig. Dann hatte sie mir noch augenzwinkernd zugeflüstert: »Ewaldine, du musst einfach mal etwas Neues sehen. In diesem Dorf versauert man doch. Auf dem Kalkberg ist es viel aufregender. Da ist immer etwas los. Du solltest mal die hübschen Mäuseriche sehen, die dort herumlaufen.« Damit überzeugte sie mich endgültig. Da ich die Mäuseriche in Modestorpe ziemlich langweilig fand, war mir der Richtige bisher nämlich noch nicht begegnet. Ich würde mich schon über ein nettes Kerlchen freuen, mit dem ich lachen konnte. Es musste ja nicht gleich die Maus fürs Leben sein.
Nun lebte ich schon seit einigen Wochen auf dem Kalkberg und kein einziger gut aussehender oder zumindest witziger Mäuserich war mir bislang über den Weg gelaufen. Nur einige ältere Mäuse sah man und die gefielen vielleicht Margarethe, aber leider nicht mir. Blöd auch, dass meine Cousine vergessen hatte, die hiesigen Mäusejäger zu erwähnen. So viele Katzen waren mir noch nirgendwo begegnet! Überall stromerten diese hinterhältigen Biester herum und machten Jagd auf uns. Diese schnurrenden Fellkugeln bekamen ihre Schnuten einfach nicht voll. Zum Glück waren wir Mäuse die klügeren Geschöpfe und lange nicht so verschlafen, wie diese Katzen. Erst gestern schleckte ich der dicken Küchenkatze die Sahne weg. Direkt vor ihrem schnarchenden Näschen trank ich diese Leckerei bis zum letzten Tropfen auf. Meine Cousine hätte sich das nicht getraut! Sie wurde ganz blass, als sie mich beim Naschen beobachtete.
»Ach weißt du Margarethe, wir Dorfmäuse sind halt aus einem härteren Holz geschnitzt. Die Hunde in Modestorpe können auch ganz schön gefährlich sein, doch wir haben keine Angst vor ihnen. Früher haben sie uns Mäuse auch gejagt. Doch nachdem die Hunde feststellen mussten, dass wir zu schnell für sie waren, trafen sie eine Vereinbarung mit uns: Die Hunde ließen uns fortan in Ruhe nach Essen suchen und wir blieben dafür für die Menschen unsichtbar. Nun können die Hunde ungestört in der Sonne dösen und unsere Mägen sind immer gut gefüllt. Bei Katzen kann man sich auf solche Vereinbarungen eher nicht verlassen. Ich habe zwar keine Angst vor den schnurrenden Fellkugeln, doch über den Weg traue ich ihnen auf keinen Fall!«, redete ich mich in Rage.
Meine Cousine schaute mich streng an und sagte dann: »Und trotzdem bist du mit mir auf den Kalkberg gekommen. Warum denn, wenn es in Modestorpe so toll ist?«
Ihre Frage war nicht ganz unberechtigt, wie ich zugeben musste, und deshalb gestand ich Margarethe: »Das Essen im Dorf ist zwar ausreichend, doch lange nicht so abwechslungsreich wie bei dir. Im Winter frieren wir Dorfmäuse auch des Öfteren.« Dabei verschwieg ich, dass mich in erster Linie ihre Geschichten über die süßen Mäuseriche auf den Kalkberg gelockt hatten.
Außerdem musste ich zugeben, dass es in den Gemäuern des Sankt-Michaelis-Klosters ganz schön aufregend zuging. Zumindest damit behielt meine Cousine recht. Die Menschen schienen ein großes Fest vorzubereiten. Seit Tagen waren alle fleißig am Arbeiten. Die Mönche putzen und polierten ihr ganzes Kloster auf Hochglanz. Am meisten wunderte ich mich darüber, mit welch guter Laune sie ihre Aufgaben verrichteten. Überall sah man fröhliche Menschen herumlaufen. Die Mönche kicherten wie die Waschweiber und die Köche sangen bei ihrer Arbeit vergnügt vor sich hin. Denn auch in der Küche wurde Tag und Nacht gekocht, gebraten und gebacken. Wir Mäuse bekamen unsere feinen Näschen dort gar nicht mehr raus, so herrlich roch es in der Kochstube. Sogar der Bischof Amelung und sein Bruder, der Herrscher des Kalkbergs, der berühmte Markgraf Herrmann Billung, besuchten die Küche ungewöhnlich oft. Dann schnupperten auch sie lächelnd an den herrlichsten Köstlichkeiten.
Wir Mäuse spekulierten wild herum, für wen dieser ganze Aufwand betrieben wurde. »Vielleicht kommt ja der Papst zu uns!«, vermutete Margarethe.
Daran konnte ich nicht glauben. Warum sollte der Papst so weit in den Norden reisen? In seiner weit entfernten Heimat war es doch viel wärmer als bei uns. Das erzählte zumindest mein Vater und mein Vater war wirklich eine sehr kluge Maus! Welcher Mensch den Kalkberg besuchen würde, war mir aber sowieso egal. Ich freute mich über jeden Besucher, wenn dadurch die Köche weiterhin so gut kochten.
Dann war der große Tag gekommen. Morgens wurde die Tafel im Kloster festlich gedeckt, die Fußböden glänzten und die Speisen standen bereit. Alle Mönche, die Familie der Billunger und auch die restlichen Burgbewohner versammelten sich auf dem Burghof. Die Menschen glänzten wie ihre Fußböden vor Sauberkeit. Sie hatten sich richtig fein herausgeputzt. Der Bischof Amelung strahlte mit seinem Bruder um die Wette und alle blickten gespannt auf das geöffnete Burgtor. Ritter schimmerten in ihren silbernen Rüstungen und flankierten den Weg zur Burg. Auch wir Mäuse standen neugierig herum. Zum Glück bemerkten uns die Menschen nicht, weil wir so klein waren. Da ertönten laute Fanfarenstöße. Ihr Klang war wirklich sehr beeindruckend. Sie kündigten an, was wir nun auch endlich sahen: Ein ganzer Hofstaat kam den Kalkberg hinauf. An ihrer Spitze trugen fein geschmückte Pferde ihre stolzen Reiter. Die Burgbewohner begannen laut zu jubeln, als der erste Reiter das Burgtor passierte. Dieser Mann verdiente wirklich die Begeisterung der Menschen! Er hatte sich anscheinend große Mühe beim Ankleiden gegeben. Seine Jacke war mit glitzernden Fäden durchzogen und auch sonst funkelte eine Menge an ihm herum. Selbst unser Markgraf Billung und sein Bruder, der Bischof konnten da nicht mithalten.
Neugierig sprach ich die ältere Maus neben mir an: »Sag mal, Mathilde, weißt du, wer der schicke erste Reiter ist? Und sag, was trägt der denn für ein hübsches Glänzeding auf seinem Kopf? Das glänzt ja wirklich wundervoll! So ein schönes Stück könnte mir auch gefallen.« Ich kam richtig ins Schwärmen, wenn ich auf den Kopf des Reiters blickte.
Mathilde lächelte mich milde an. Sie war eine ganz liebe Maus, fast so lieb wie meine Mama. »Meine Süße, dieser Mann mit der glänzenden Krone auf dem Kopf ist ein echter König der Menschen. Sie nennen ihn Otto den Großen. Unser Markgraf Hermann Billung ist ein Heerführer im Dienste des Königs und sein ergebener Gefolgsmann«, erklärte mir Mathilde. »Ich bekam gestern ein Gespräch zwischen dem Herzog und dem Bischof mit. Hermann gestand, wie sehr er sich auf den heutigen Besuch freue. Der König persönlich wolle sie beide für ihre treuen Dienste und Erfolge belohnen. Der Bischof könne sich über eine großartige Überraschung freuen. Der Graf deutete an, dass Otto der Große für seine Großzügigkeit gegenüber seinen Gefolgsleuten bekannt sei. Nach seinem letzten Besuch in Magdeburg könne der Markgraf das nur bestätigen. Doch er habe dem König versprochen, nichts zu verraten. König Otto wolle sein Geschenk dem Bischof persönlich überreichen.«
Jetzt hatte Mathilde meine Neugierde geweckt. Dieses Geschenk musste ich unbedingt sehen. Vielleicht war es ja einer dieser hübschen Edelsteine, mit denen der Herr Billung und auch sein Bruder des Öfteren ihre Finger schmückten. Die Krone wäre aber auch eine schöne Gabe.
Während ich so über das mögliche Geschenk nachdachte, verschwand der König mit seinem Herzog, dem Bischof und einigen Rittern im Kloster. Die Mönche folgten ihnen langsam. Ohne lange zu überlegen, rannte ich zum Sankt-Michaelis-Kloster. Dort kannte ich ein Mauseloch, durch das ich direkt in der großen Halle des Klosters landete, die die Mönche so hübsch geschmückt hatten. Dort wollte die menschliche Gesellschaft bestimmt hingehen.
In Gedanken bei dem Geschenk rannte ich auf das Mauseloch zu. Doch leider saß ein riesiger Fellberg davor und den bemerkte ich erst, als ich ungebremst in ihn hineinlief. Erschrocken prallte ich zurück und fiel unsanft auf meinen Popo. Die Fellkugel blickte mich erstaunt an und ich starrte fassungslos zurück. Was ich sah, ließ mich angstvoll erschaudern: Vor mir saß die hässlichste Katze aller Zeiten! Gelähmt vor Angst fiel mein Blick auf ihre rechte Pfote, die sie gerade mit ausgefahrenen Krallen erhob. Sie machte sich bereit zum tödlichen Schlag auf mich unschuldiges Mäuschen!
»Oh, mein Gott«, konnte ich nur noch hauchen. Ich wollte das Unausweichliche so schnell wie möglich hinter mich bringen. »Hoffentlich bekommt die Katze Durchfall von mir«, flüsterte ich noch. Mit zugekniffenen Augen murmelte ich weiter: »Vielleicht verliert sie ja auch einen Zahn, wenn sie auf meinen Knochen herum beißt.« Dann konnte ich nur noch verwundert denken: Warumkann ich mir darüber überhaupt noch Gedanken machen, obwohl ich doch schon lange Katzenfutter sein müsste?
Unerwartet säuselte es nun direkt neben mir: »Mein armes Mäuschen, zeig dem lieben Johannes deine Krallen.« Ich wunderte mich sehr, wer mich hier mein Mäuschen nannte und dann auch noch meine Krallen sehen wollte. Langsam öffnete ich die Augen. Erst einmal nur einen kleinen Spalt, denn man wusste ja nie, was man zu sehen bekam. Doch dann riss ich meine Augen ganz weit auf. Mausverrückt, was ich da erblickte! Die Katzen-Bestie ließ sich ihre rechte Pfote, mitsamt den fürchterlichen Krallen, von einem jungen Mäuserich untersuchen.
»Was treibst du denn da?«, fragte ich völlig fassungslos.
Er schaute mich nur lächelnd an.
Deshalb schrie ich dem Mäuserich empört entgegen: »Bist du denn von allen guten Mäusen verlassen? Diese Bestie wollte mich gerade auffressen!«
Der Mäuserich besaß die Unverschämtheit, mich anzugrinsen. »So ein Quatsch«, lachte er mir frech zu.
Obwohl ich ziemlich sauer auf dieses Kerlchen war, musste ich zugeben, dass er ganz schön niedlich aussah. Doch leider war der Hübsche wohl nicht zurechnungsfähig!
Mich anlächelnd sprach er weiter: »Ich bin Johannes und dieses niedliche Exemplar einer Katze zählt zu meinen besten Freunden.«
Fassungslos schrie ich diese beiden komischen Typen weiterhin an: »Ihr spinnt ja! Als ob sich eine Maus mit einer dieser schnurrenden Fellkugeln anfreunden kann. Bevor unsereins auch nur Pieps sagt, ist man doch schon Katzenfutter!«
Da nahm Johannes wieder die Pfote der Katze in seine eigene und zog einen langen Dorn zwischen den Krallen heraus. Das Tier begann zu schnurren und leckte ihrem Retter über den Kopf. Nun hatte ich endlich einen feschen Mäuserich auf dem Kalkberg gefunden und dann war der leider total verrückt. Welch ein Jammer! Ein Katzenfreund, schlimmer ging nimmer! Doch als Johannes mich nun anlächelte, schmolz ich förmlich dahin.
»Wie heißt du denn?«, fragte er mich höflich.
Wer so nett fragte, verdiente doch auch eine freundliche Antwort. Verrückt oder nicht, meine Eltern hatten mich schließlich gut erzogen. Und so antwortete ich ihm zaghaft: »Mein Name ist Ewaldine Lünemaus und ich wohne hier.« Meine Nasenspitze wurde knallrot vor Verlegenheit. Peinlich berührt schaute ich angestrengt auf den Boden.
Doch Johannes schien meine Schüchternheit nicht zu stören, denn er sprach freundlich weiter: »Ich bin Johannes der Mutige und dieses süße Kätzchen ist meine Freundin Hildegunde. Seitdem ich ihren Schwanz aus einer Falle befreien konnte, sind wir die besten Freunde. Hildegunde wollte dich nicht erschrecken. Sie zeigte mir nur den fiesen Dorn, in den sie getreten war.«
Da blickte ich ihn zaghaft an und sagte: »Oh und ich dachte, dass mein Leben in einem Katzenmagen endet.«
Jetzt lächelten wir uns beide an. Der Johannes war wirklich ein sehr hübscher Mäuserich und Hildegunde für eine Katze gar nicht so hässlich. Er erklärte mir nun, dass sie in Magdeburg auf eines der Pferdefuhrwerke geklettert waren, das den Hofstaat begleitete. Johannes und Hildegunde hatten schon so viel Gutes von dem Kloster Sankt Michaelis gehört, dass sie unbedingt herkommen wollten. Also packten die beiden die Gelegenheit am Schopfe und freuten sich, endlich angekommen zu sein.
»Hoffentlich ist es hier so toll, wie man es sich erzählt«, fragte Johannes mich besorgt.
»Doch, es lebt sich sehr angenehm in diesem Kloster«, konnte ich ihn beruhigen und dachte grinsend: Besonders seitdem du hier bist.
Dann erkundigte sich Johannes noch: »Wo wolltest du eigentlich so schnell hin, bevor du mit Hildegunde zusammengestoßen bist?«
Ich lachte fröhlich auf und antwortete ihm: »Ich will mir unbedingt das Geschenk ansehen, das der König unserem Markgrafen und dem Bischof überreichen möchte. Deshalb bin ich so schnell zum Kloster gelaufen. Lass uns doch zusammen schauen, was die beiden vom König bekommen. Ich weiß, wo die Menschen hingegangen sind.«
Johannes nickte mir begeistert zu. Während sich die Katze Hildegunde zum Schlafen hinlegte, rannten wir durch das Mauseloch ins Kloster hinein.
Wie ich vorhergesagt hatte, standen wir kurz darauf in der geschmückten Halle. Dort saßen die Menschen an dem festlich gedeckten Tisch und sprachen gut gelaunt miteinander. König Otto und seine hübsche Krone thronten auf dem größten Stuhl am Tischende. Hinter ihm standen zwei Ritter in ihren glänzenden Rüstungen. Die übrigen Männer hatten sich an die Längsseiten des Tisches gesetzt. Direkt neben dem König saßen der Markgraf Hermann und der Bischof Amelung.