Familie mit Herz 169 - Marlene Menzel - E-Book

Familie mit Herz 169 E-Book

Marlene Menzel

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Beschreibung

Seit dem tragischen Tod ihres Bruders und dessen Frau kümmert sich Luisa Heikamp liebevoll um deren Töchter Sarah und Pia, die mittlerweile im Teenie-Alter sind. Sie ist dabei ganz auf sich allein gestellt, da ihr Ex-Freund der unvermittelten Belastung, ganz für zwei Kinder da sein zu müssen, nicht gewachsen war - und nach ihm auch kein anderer Mann mehr. So bemüht sich Luisa nach Kräften, ihren Nichten ein gutes Leben zu ermöglichen, auch wenn das Geld immer knapp ist. Umso willkommener ist da der Hilferuf ihrer Freundin Patricia, die nach einer Verletzung eine Vertretung für ihre Putzstelle sucht. Luisa taucht ein in die Welt der Schönen und Reichen, als sie Arztpraxen, Künstler-Ateliers und Büros säubert - und trifft dabei auf den seltsam spröden Notar und Anwalt Simon Schwanstedt. Er wäre tatsächlich ein Mann, in den ich mich verlieben könnte, denkt Luisa. Irgendetwas rührt sie an Simons feinfühliger Art, wenn sie das eine oder andere Mal ins Gespräch kommen. Aber irgendetwas scheint der zurückhaltende Mann noch vor ihr zu verbergen - und Luisa hasst nichts mehr als Unehrlichkeit und Geheimnisse ...


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Inhalt

Cover

Gegensätze ziehen sich an

Vorschau

Impressum

Gegensätze ziehen sich an

Ein spröder Notar, eine quirlige Alleinerziehende und eine überraschende Lovestory

Von Marlene Menzel

Seit dem tragischen Tod ihres Bruders und dessen Frau kümmert sich Luisa Heikamp liebevoll um deren Töchter Sarah und Pia, die mittlerweile im Teenie-Alter sind. Sie ist dabei ganz auf sich allein gestellt, da ihr Ex-Freund der unvermittelten Belastung, ganz für zwei Kinder da sein zu müssen, nicht gewachsen war – und nach ihm auch kein anderer Mann mehr. So bemüht sich Luisa nach Kräften, ihren Nichten ein gutes Leben zu ermöglichen, auch wenn das Geld immer knapp ist. Umso willkommener ist da der Hilferuf ihrer Freundin Patricia, die nach einer Verletzung eine Vertretung für ihre Putzstelle sucht. Luisa taucht ein in die Welt der Schönen und Reichen, als sie Arztpraxen, Künstler-Ateliers und Büros säubert – und trifft dabei auf den seltsam spröden Notar und Anwalt Simon Schwanstedt. Er wäre tatsächlich ein Mann, in den ich mich verlieben könnte, denkt Luisa. Simons feinfühlige Art in den gemeinsamen Gesprächen rührt sie. Aber irgendetwas scheint der zurückhaltende Mann noch vor ihr zu verbergen – und Luisa hasst nichts mehr als Unehrlichkeit und Geheimnisse ...

»Wir sehen uns dann in drei Stunden zur Testamentseröffnung«, sagte Simon Schwanstedt und reichte seinem Mandanten die Hand. »Sie werden sehen, dass nach einem persönlichen Gespräch mit Ihrer Schwester alles ruhig verlaufen wird. So ein großes Erbe sorgt immer für allerlei Wirbel. Es gibt nichts, was sich nicht regeln lässt.«

Er brachte den Mann bis zur Tür. Als er wieder allein war, verging ihm das aufgesetzte Lächeln, und er atmete erleichtert aus. Simon konzentrierte sich einen Moment nur auf die Stille im Zimmer. Der Verkehr weit unter ihm war nicht mehr als ein leises Rauschen, und das gleichmäßige Klacken der Tastaturen im Vorzimmer beruhigte ihn. Persönliche Gespräche machten Simon seit jeher nervös.

Er war ein guter Anwalt, aber es gab Tage, da übergab er sich nach den Gesprächen heimlich auf der Toilette. Sein Nervenkostüm hielt öffentlichen Auftritten nicht lange stand.

Die Ruhe war nur von kurzer Dauer, weil sein Bruder Kilian ins Büro schneite.

»Hast du schon die Zeitung von heute gelesen?«, fragte er ohne Umschweife.

»Ich bin mir sicher, dass du es mir gleich haarklein erzählen wirst«, gab Simon mit scherzhaftem Unterton zurück.

Der sportliche Kilian setzte sich schwungvoll auf die Tischkante und versicherte: »Ich brauche nicht lange.«

Simon hielt nichts von seiner lässigen Art. Immerhin war Kilian Rechtsanwalt – da sollte eine Krawatte das Mindeste sein. Stattdessen trug er sein Hemd heute zu weit offen und sah ausgenommen zerzaust aus.

»Oder willst du mir von deiner Affäre mit unserer Sekretärin berichten?«, provozierte Simon ihn mit verengten Augen. »Du weißt, dass du mit dem Feuer und dem Ruf unserer Kanzlei spielst. Beende diese Liaison lieber, ehe ihr Mann dahinterkommt. Schlechte Presse können wir nicht gebrauchen.«

Kilian grinste breit und wurde nicht ansatzweise rot, als er erwiderte: »Dir Fuchs kann man auch gar nichts vormachen. Aber nein, es geht mir tatsächlich bloß um die Zeitung. Wenn du das gelesen hast, ist dir jeder böse Ehemann dieser Welt egal.«

Simon setzte sich. »Nun bin ich wirklich gespannt. Schieß los.«

Kilian sprang vom Tisch und stellte sich in Pose.

»Der Fall Braunheim hat es bis auf die Titelseite geschafft«, verkündete er stolz. »Ist das zu fassen? Eine bessere Werbung könnte es gar nicht geben. Schwanstedt & Schwanstedt werden es bald bis an die Spitze schaffen, und das nach nur fünf Jahren gemeinsamer Kanzlei. Neben uns sieht die Konkurrenz blass aus. Mit deinem notariellen Können und meiner Stärke vor Gericht werden wir die beste Kanzlei der Stadt.«

Simon lachte leise. »Abwarten. Ich habe nachher noch diese Erbschaftssache zu bewältigen.«

»Das schaffst du doch mit links. Ich kenne keinen ausgezeichneteren Notar. Du hattest nicht nur bessere Noten in der Schule und hast das Studium um Längen schneller gemeistert als ich, sondern hättest auch das Zeug, um vor Gericht aufzutreten.«

Simon wäre gern so positiv durch die Welt gegangen wie sein extrovertierter Bruder.

»Danke, dass du das denkst, aber vor Gericht bekomme ich schwitzige Hände und Lampenfieber. Nein, das Gesicht dieser Kanzlei darfst gern du bleiben. Ich halte mich lieber im Hintergrund«, bekräftigte er wieder einmal.

»Du versteckst dich in deinem Büro, Simon. Wie wäre es, wenn du einmal rauskommst und die Welt siehst? Es wurde eine neue Cocktailbar nur zwei Straßen weiter eröffnet. Wollen wir nachher dort hin? Sicher treffen wir auf viele schöne Frauen, die ein Abenteuer suchen.«

»Kein Bedarf, danke«, lehnte Simon ab.

Kilian seufzte. Er bedachte Simon mit seinem typischen Ich-mache-mir-Sorgen-um-dich-Blick. Doch nichts konnte seinen Bruder umstimmen. Simon kannte seinen Platz. Er war nicht der Typ für große Auftritte. Allein diese Erbschaftssache machte ihm zu schaffen. Er würde sich wieder die komplette Nacht darauf vorbereiten wie auf ein unangenehmes Referat in der Schule.

»Wie du willst«, meinte Kilian. »Aber für Kaffee bleibt leider keine Zeit. Gleich bekomme ich Besuch.«

»Ich hoffe, nicht von unserer Sekretärin«, äußerte Simon bissig mit skeptisch hochgezogener Augenbraue.

Irgendjemand musste ja auf Kilian achten, wenn der wieder einmal übers Ziel hinausschoss. Und wenn es sein eigener Bruder nicht tat, wer dann?

Kilian zeigte sein smartestes Lächeln.

»Nicht doch. Eine Mandantin.« Simon blieb bei seinem Gesichtsausdruck. »Niemand, mit dem ich ins Bett steige. Ich nehme meine Arbeit genauso ernst wie du. Oder glaubst du, ich will mir unseren letzten Sieg gleich wieder kaputtmachen?«

Simon nickte zufrieden. »So ist's brav.«

Kilian seufzte und fuhr sich durch das dichte dunkelblonde Haar. Kein Wunder, dass ihm alle Frauen hinterherliefen. Er war erfolgreich, attraktiv und humorvoll. Simon hingegen wirkte durch seine introvertierte Art wahrscheinlich wie ein Eigenbrötler.

»Gib dir einen Ruck, Simon«, bettelte sein Bruder an der Tür.

»Keine Chance. Das können wir gern am Wochenende nachholen«, behauptete er und suchte bereits jetzt nach einer Ausrede für Freitagabend. »Ich habe jede Menge zu tun.«

Noch ein Seufzen, dann gab sich Kilian geschlagen: »Na schön. Sehen wir uns später?«

»Sicher. Du weißt, wo du mich findest.«

»In deinem Büro – wie immer.«

»Wie immer.«

»Und nichts und niemand könnte dich davon abbringen?«

»Nichts und niemand«, wiederholte Simon mit einem milden Lächeln für seinen Bruder, der das Zimmer daraufhin verließ.

Kilian meinte es nur gut, aber am wohlsten fühlte sich Simon, wenn er den Papierkram mit Blick auf die Altstadt und den Hafen bearbeitete.

Wenn Kilian nicht hinsah, griff er manchmal zu dem Buch in seiner Schublade und schrieb ein paar Zeilen nieder, die nur für ihn selbst bestimmt waren. Immer dann, wenn er Ruhe hatte, machte er sich Notizen oder schrieb gleich ein ganzes Gedicht auf. Mal ging es um die Liebe, dann wieder um das Stadtleben oder einfach nur um ein paar Gedanken, die ihn quälten. Simon schrieb sich alles von der Seele, statt darüber zu reden.

Er hatte mit diesem heimlichen Hobby in der Schule begonnen. Seit einem Vorfall textete er allerdings nur noch für sich und ließ niemanden daran teilhaben, nicht einmal Kilian.

Simon legte alle seine Gefühle in diese paar Zeilen. Danach erschien ihm die Welt ein kleines bisschen besser. Kurze Zeit später überrannten ihn die Zweifel an dem, was er verfasst hatte. Meistens landeten die Seiten wenig später im Müll.

Seit Julia fort war, hatte er nichts Gescheites mehr zu Papier gebracht. Sie war seine Muse gewesen, die ihn angetrieben hatte. Nur durch sie hatte die Welt weniger grau gewirkt.

Simon riss auch diese Seite aus dem Buch, zerknüllte sie und warf sie in weitem Bogen in den Eimer neben der Tür.

Er konzentrierte sich wieder auf die Arbeit und vertiefte sich lieber in Gesetzestexten als in alberne Gedichte, die sowieso niemand lesen würde.

♥♥♥

»Dann ist es abgemacht. Ich melde mich nach meiner Schicht bei dir und erzähle, wie es gelaufen ist. Danke für diese Chance und dass du an mich gedacht hast, Pat. Das vergesse ich dir nie. Jetzt muss ich aber erst einmal mit den Mädchen reden. Die werden Augen machen!«

Luisa Heikamp beendet das Gespräch mit ihrer langjährigen Freundin Patricia und warf einen Blick ins Nebenzimmer, in dem ihre beiden Nichten Sarah und Pia saßen und sich mit den Hausaufgaben beschäftigten. Sie hörten leise Musik und wippten mit den Köpfen dazu.

Normalerweise hätte Luisa diese harmonische Szene nicht unterbrochen, aber sie platzte beinahe vor Aufregung, also trat sie ein.

»Es gibt Neuigkeiten«, verkündete die Alleinerziehende fröhlich. »Endlich.«

Sarah, die Ältere der beiden, machte große Augen. Wenn Luisa ihr ins Gesicht sah, sah sie ihren verstorbenen Bruder vor sich. Luisas Herz wurde schwer, wenn sie an die unbekümmerte Zeit zurückdachte, als sie und Erik Kinder gewesen waren.

»Sag bloß, du hast im Lotto gewonnen?«, rief Pia euphorisch.

»Dafür hätte sie doch erst mitspielen müssen«, meinte Sarah stirnrunzelnd.

Luisa setzte sich zwischen die Mädchen auf das untere Etagenbett.

»Ich habe ab heute für eine gewisse Zeit wieder einen Job.«

»Aber du hast doch schon einen«, wandte Pia ein. »Du kellnerst doch in diesem Restaurant. Und außerdem arbeitest du morgens im Supermarkt.«

»Ja, ich sortiere Lebensmittel ein und sitze an der Kasse, aber das meine ich nicht«, erklärte ihre Tante ruhig. »Man zahlt mir dort nur das Gehalt für einen Nebenjob. Ihr wisst, dass ich früher regelmäßig putzen gegangen bin?« Beide nickten aufmerksam. »Das kann ich ab jetzt wieder machen. Ich springe für meine Freundin Patricia ein. Wir kennen uns von früher und haben schon ein paarmal miteinander gearbeitet. Sie fällt aus, weil sie sich den Fuß verletzt hat. Mein Glück war, dass sie gleich an mich gedacht hat.«

»Also kein Lottogewinn«, meinte Pia enttäuscht. Sarah knuffte sie hinter Luisas Rücken in die Seite. »Aua, das tat weh!«

»Jetzt hör schon auf. Tante Lulu hat wieder Arbeit. Das ist doch fast wie ein Lottogewinn.«

Luisa war stolz auf die Vierzehnjährige, die ihre zwei Jahre jüngere Schwester gut im Griff hatte und sie auf den Boden der Tatsachen zurückholte, wenn es nötig wurde. Luisa hatte den Eindruck, dass Sarah durch den frühen Tod ihrer Eltern schneller erwachsen geworden war.

Dass sie von Sozialhilfe, Foodsharing und Second Hand lebten, solange Luisa zu wenig Geld nach Hause brachte, entging auch ihnen nicht. Sie trugen alte Kleidung auf und hatten keine Smartphones wie ihre Mitschüler. Doch nicht ein einziges Mal machten sie ihrer Tante deshalb Vorwürfe. Sie wussten, wie sehr sich Luisa ins Zeug legte, für ihre beiden Nichten aufzukommen, die sie als einzige Verwandte von heute auf morgen aufgenommen hatte.

»Was ist denn passiert?«, wollte Pia wissen. »Mit Patricia, meine ich.«

»Sie ist auf einer nassen Stufe ausgerutscht und hat das Geländer verfehlt. Pat kann von Glück sagen, dass es nicht schlimmer ausgegangen ist. Aber nun kann sie eine Weile nicht mehr putzen gehen.«

»Wirst du dann genauso bezahlt wie sie?«, hakte Sarah nach.

»So ist es ausgemacht. Deshalb habe ich sofort zugesagt. Eine bessere Chance kann sich mir nicht bieten, zurück ins Berufsleben zu finden. Wer weiß? Vielleicht behalten sie mich ja sogar in der Firma, wenn ich mich gut mache.«

»Und wo putzt du?«, fragte Pia weiter.

Ihre Neugier erfreute Luisa.

»Zum Glück keine Schultoiletten oder auf der Raststätte, sondern in Kunstateliers, Arztpraxen und edlen Bürokomplexen«, berichtete sie. »Da haben sich die Leute hoffentlich besser im Griff.«

»Das glaube ich nicht«, sagte Sarah ernst. »Je reicher und verwöhnter ein Mensch ist, desto widerlicher benimmt er sich gegenüber kleinen Leuten wie uns.«

Wieder klang sie furchtbar erwachsen und erinnerte Luisa an den schlimmsten Tag ihres Lebens, als die Polizei vor ihrer Tür gestanden hatte, um ihr mitzuteilen, dass Erik und Franziska nicht mehr nach Hause kamen und ihre Kinder zu Waisen geworden waren und unbedingt jemanden brauchten, der sich ihrer annahm.

Luisa legte die Arme um die beiden Mädchen und zog sie an sich.

»Macht euch keine Sorgen. Selbst wenn ich den schlimmsten Dreck wegmachen müsste, ist es mir das wert. Ich werde gut dafür bezahlt. Der Lohn ist erstaunlich fair für eine Reinigungsfirma.«

Sarah und Pia wechselten einen Blick, der nichts Gutes verhieß.

»Wirst du dann immer nachts arbeiten?«, fragte Pia leise.

Seit dem Unfalltod ihrer Eltern hatte sie furchtbare Angst, wenn es dunkel wurde. Ein kleines Nachtlicht neben der Tür sollte ihr beim Einschlafen helfen, aber selbst damit kroch die Zwölfjährige manchmal in Luisas Bett und kuschelte sich ängstlich an ihre Seite.

Luisa war froh, dass es die Kinder selbst waren, die darauf zu sprechen kamen.

»Für ein paar Wochen ab heute. Wir müssen schauen, wie es danach weitergeht. Ihr versteht, dass ich diese Gelegenheit beim Schopf packen muss, oder?«

Beide nickten einsichtig, wenn auch traurig.

»Ich passe gut auf«, versprach Sarah.

Luisa hatte ein schlechtes Gewissen, sie allein zu lassen. Sie waren doch noch so jung und hatten ein schreckliches Trauma hinter sich. Leider kannte Luisa niemanden, der sich ihrer annahm, wenn sie nicht da war. Ihre wenigen Verwandten lebten zu weit entfernt, und ihre Freunde hatten selbst Familie.

»Eure Eltern haben euch zu zwei wundervollen Menschen erzogen, wisst ihr das? Ich bin sehr stolz auf euch«, sagte Luisa mit einem Kloß im Hals. Sie umarmten sich und verdrückten ein leises Tränchen. Luisa küsste sie und stand auf. »Aber nun müsst ihr die Hausaufgaben beenden. Und ich lege mich noch einmal aufs Ohr. Meine Schicht beginnt um zweiundzwanzig Uhr.«

»Arbeitest du dann hoch über der Stadt?«

»Das nehme ich an. Diese Kanzlei, Schwanstedt & Schwanstedt, liegt meines Wissens mitten in der Altstadt und wird nicht im Erdgeschoss sein. Sicher suchen sich reiche Anwälte die beste Aussicht aus.« Sie zwinkerte. »Ich koche vor meinem Nickerchen noch schnell für uns. Heute gibt es Nudeln und Gemüse.«

»Auch Schnitzel?«, fragte Pia mit weit aufgerissenen Augen.

Hoffnungsvoll sah sie ihre Tante an.

Luisa schluckte. Die Preise für Geflügel, Rind und Schwein waren aktuell unmenschlich hoch. Sie wartete auf bessere Zeiten, um an der Fleischtheke zuzuschlagen.

»Nächstes Mal wieder«, versprach sie und verbarg ihre Niedergeschlagenheit. »Man soll sowieso nicht jeden Tag Fleisch essen. Das ist ungesund und macht schlechte Haut.«

Sie hätte ihnen gern mehr geboten als eine fade Ausrede, aber Luisa musste zusehen, dass sie gut durch den Monat kamen. Der Lohn aus ihren kleinen Nebenjobs reichte kaum, um die Miete zu begleichen. Wahrscheinlich würde sie bald wieder Überstunden machen, um Pia wenigstens die Klassenfahrt nach Bayern und Sarah ein paar neue Bücher zu finanzieren.

Luisa hatte sich eindeutig zu viel aufgebürdet, als sie zugestimmt hatte, die beiden aufzunehmen und großzuziehen. Den Stress mit zwei Kindern hatte auch ihre damalige Beziehung nicht verkraftet. Aber wie ihre Mutter immer gesagt hatte: »Kerle gehen, Kinder bleiben.« Ob es die eigenen waren, war Luisa in diesem Fall egal. Sie liebte Sarah und Pia wie ihr eigen Fleisch und Blut und würde sie für keinen Mann dieser Welt eintauschen. Solange sich niemand auf das Abenteuer Patchworkfamilie einließ, würde sie eben Single und alleinerziehend bleiben. Es gab Schlimmeres.

♥♥♥

Simon stieß sein Glas gegen das seines Bruders und nahm einen kleinen Schluck von dem prickelnden Getränk.

»Du hast es geschafft, alter Fuchs!«, lobte ihn Kilian überschwänglich und grinste breit.

»Und ausnahmsweise ohne Probleme. Ich bin überrascht, wie reibungslos dieser Tag ablief«, sagte Simon und stellte sein Glas beiseite. »Mein Mandant war mehr als zufrieden mit meiner Arbeit.«

»Du umgehst Fehler, indem du die halbe Nacht im Büro sitzt und dich vorbereitest.« Den mitschwingenden Vorwurf seines Bruders überhörte Simon geflissentlich und setzte sich hinter den Schreibtisch. »Sag nicht, du arbeitest schon wieder!«, setzte Kilian ungläubig hinzu.

»Ich muss. Wir haben schließlich noch mehr Fälle auf dem Tisch liegen. Eine Kanzlei wie Schwanstedt & Schwanstedt steht nie still, wie du selbst weißt.«

Simon hörte Kilian tief einatmen und machte sich auf einen Vortrag zum Thema Freizeit und Frauen gefasst, der ausnahmsweise nicht folgte. Stattdessen suchte Kilian seinen Blick und hielt ihn fest.

»Du solltest besser auf dich achten. Man kann sich auch totarbeiten. Ich verklage nicht umsonst Arbeitgeber, die Menschen wie ihre persönlichen Packesel behandeln und sie ausnutzen. Letzten Endes dankt es dir niemand.«

»Wie gut, dass wir unser eigener Chef sind. Ich weiß, was ich tue, danke.«

»Bist du dir sicher? Ich habe eher das Gefühl, dass du vor etwas davonläufst. Hängt dein Herz immer noch an Julia?«, legte Kilian den Finger in die Wunde.

Bei der Erwähnung seiner Ex-Verlobten zog sich Simons Magen unsanft zusammen. Er unterdrückte das Keuchen und wandte die Augen ab.

»Ich habe viel Arbeit vor mir, bevor ich Feierabend mache«, lenkte er ab.

Kilian ließ sich nicht täuschen.

»Hat sie dein Ego so sehr verletzt, dass du dich nun nie wieder unter Frauen traust?«