Fantasie: Wie Kinder die Welt sehen (GEO eBook) -  - E-Book

Fantasie: Wie Kinder die Welt sehen (GEO eBook) E-Book

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Beschreibung

Wenn kleine Forscher nach verborgenen Fakten graben, ist stets eine wundersame Macht mit im Spiel: die Fantasie. Erwachsene Wissenschaftler erkennen in ihr das wichtigste Werkzeug der Weltaneignung. Und jene Kraft, die uns zu Menschen macht. Die großen Themen der Zeit sind manchmal kompliziert. Aber oft genügt schon eine ausführliche und gut recherchierte GEO-Reportage, um sich wieder auf die Höhe der Diskussion zu bringen. Für die Reihe der GEO eBook-Singles hat die Redaktion solche Einzeltexte als pure Lesestücke ausgewählt. Sie waren vormals Titelgeschichten oder große Reportagen in GEO.

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Seitenzahl: 23

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Herausgeber:

GEODie Welt mit anderen Augen sehenGruner + Jahr AG & Co KG, Druck- und Verlagshaus,Am Baumwall 11, 20459 Hamburgwww.geo.de/ebooks

Inhalt

Die Weltsicht der Kinder

Zusatzinfos: Die klugen Kleinen

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Die Weltsicht der Kinder

Wenn kleine Forscher nach verborgenen Fakten graben, ist stets eine wundersame Macht mit im Spiel: die Fantasie. Erwachsene Wissenschaftler erkennen in ihr das wichtigste Werkzeug der Weltaneignung. Und jene Kraft, die uns zu Menschen macht

Von Fred Langer

Seife! Aber das ist doch Seife!“ Die dreijährige Anna schüttelt entnervt den Kopf. Erklärt es noch einmal, langsam, unmissverständlich: „Das! Ist!! SEI-FE!!!“ Die Puppe aber macht, was sie will. Knabbert ungerührt weiter an dem grünen Bauklotz. Anna kann es nicht fassen. Und Hannes Rakoczy lächelt ein zufriedenes Was-zu-beweisen-war-Lächeln.

Rakoczy, 36, leitet die Abteilung Biologische Entwicklungspsychologie an der Universität Göttingen. Wir sitzen hinter einer verspiegelten Scheibe in einem abgedunkelten Raum, unsichtbar für das Mädchen, das weiter auf die Puppe an der Hand einer Wissenschaftlerin einredet. Kameras dokumentieren Annas Ärger, der so viel mehr ist als nur Ausdruck kindlicher Frustration.

In anderthalbjähriger Arbeit hat Rakoczy mit seinem Team das Versuchsdesign entworfen und immer weiter optimiert. Die Grundaufstellung: Erwachsene präsentiert Kind grüne und gelbe Bauklötze. Der grüne Klotz, erklärt die Versuchsleiterin, sei Seife, die gelben gelten als Brötchen. Mit dem einen wäscht man sich die Hände, dann darf man die anderen essen. So geht das Spiel im Dienste der Forschung.

Im Alltag versenken sich Kinder mit Hingabe immer wieder in solch simple Als-ob-Szenarien. Im Handumdrehen werden Klötze, Klammern, Zollstöcke zu Pferden, Lastwagen, Schwertern.

Oder die Kinder verwandeln sich im Rollenspiel selbst: Meine Tochter zum Beispiel, zweieinhalb, stellt ihre sämtlichen Stofftiere akkurat im Halbkreis vor sich auf, vom Tiger bis zum Teddy. Dann singt sie der versammelten Mannschaft „Alle meine Entchen“ vor, unterbrochen von einem gelegentlichen mahnenden „Sitzen bleiben!“. Sie schlüpft in die Rolle einer strengen Erzieherin.

Früher hielt man solche schauspielerischen Einlagen für Hirngespinste. Rührend, aber bedeutungslos. Erst neuerdings nimmt die Wissenschaft das Kinderspiel ernst – und erkennt darin die Fundamente des menschlichen Daseins.

Hinter der Zauberformel Als-ob verbirgt sich die Fähigkeit, Alternativen zur Realität zu entwerfen. Im Rollenspiel, so hat Paul Harris in seinen Forschungen an der Harvard-Universität nachgewiesen, entwickeln sich Einfühlungsvermögen und Mitgefühl, aber auch Skepsis: Es ist nicht alles, wie es scheint. Und im Regelspiel zeigen Kinder, wie wichtig ihnen die Einhaltung verbindlicher Absprachen ist – ein Wesenszug des Menschen, der unsere Zivilisation geprägt hat.

Jean Piaget, der 1980 verstorbene, in seinen Thesen aber noch allgegenwärtige Übervater der Entwicklungspsychologie, war fest überzeugt: Die sprudelnde Fantasie der Kinder sei nichts weiter als eine Fehlanpassung, die sich beim Erwachsenwerden von selbst repariere. Paul Harris hält dagegen: Das Fantasieren ist eine kostbare Gabe, die sich von Jahr zu Jahr verfeinert und uns ein Leben lang begleitet.