Farben in der Dunkelheit - Julia Spindler - E-Book

Farben in der Dunkelheit E-Book

Julia Spindler

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Beschreibung

Was, wenn es plötzlich dunkel bleibt, sobald du deine Augen aufschlägst? Wenn Sophia es sich aussuchen könnte, wäre sie mit allem zufrieden, wie es ist. Aber zufrieden ist sie gerade weder in ihrem Studium noch in ihrer Beziehung zu Thomas, um den sie jedes andere Mädchen beneidet. Das einzige, was sie begeistert und alles um sich vergessen lässt ist die Kunst. Sophia zeichnet und malt jede freie Minute, viel mehr als ihrem Freund und ihrer Familie oft lieb ist. Doch als Sophia und Thomas einen schweren Unfall haben, ändert sich ihr Leben schlagartig. Als Sophia im Krankenhaus aufwacht, findet sie sich plötzlich in einer völlig dunklen Welt wieder. Sie ist durch ihre Verletzungen erblindet. Mit einem Mal ist jede alltägliche Kleinigkeit eine Herausforderung. Wie soll sich Sophia nach neunzehn Jahren im Licht plötzlich in ständiger Dunkelheit zurechtfinden? Und wie soll sie jemals wieder Zugang zu ihrer Kunst finden, wenn sie nicht einen Pinselstrich, den sie malt, sehen kann? Ein fesselnder Roman über ein junges Leben, das auf die Probe gestellt wird. Farben in der Dunkelheit erzählt von Freundschaft, Liebe, Wut und Schicksal. Von dem Mut an die eigenen Träume zu glauben und der Kraft zu verzeihen.

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Seitenzahl: 304

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Für alle, die gerade auch nicht an

ihre Träume glauben können. Sophia hat

mir wieder gezeigt, wie es geht.

Inhaltsverzeichnis

Teil 1

Wie sie es wollten

Mädchenparty

Was versteckt war

Es geht nicht

Die heiße Freundin

Wie eine Trophäe

Endlich mal ehrlich

Der Anfang vom Ende

Teil 2

Ein einziger Schlag

Wie in den Wattewolken

Es bleibt dunkel

Hilflos

Wie eine lange Nacht

Babyschritte

Leere Blicke

Teil 3

Nach Hause auf Umwegen

Die Splitter meines Lebens

Wie betäubt

Kleine Funken Freude

Falsche Hoffnung

Der Traum zerbricht

Und vor mir die Dunkelheit

Verloren

Was sein muss

Teil 4

Ganz am Anfang

Zu viel von allem

Neue Freundschaften

Die ersten Schritte

Immer noch verfolgt

Ohne dass ich weiterkomme

Langsam aber doch

Die andere Art Frühlingsgefühle

Wie ausgewechselt

Mit neuer Kraft

Wohin ich will

Ein Gefühl das mir fremd ist

Teil 5

Sommerfrische

Bittere Wahrheit

Ein Stich ins Herz

Über dem Berg

Kalte Stimmung

Frischer Wind

Teil 6

Genau wie ich

Wieder bunt und durchgedreht

Die Träume sind zurück

Auf ganz neuen Wegen

Und dann bin ich frei

Teil 7

Wie ein kleines Wunder

Worldwide

Diesmal mit Erfolg

Wieder im Leben

10 Jahre später

Teil 1

Wie sie es wollten

Langsam, locker und leicht fährt meine Hand mit dem Pinsel über die Leinwand und lässt den Himmel tiefblau und die Wolken wie Zuckerwatte aussehen. Die Blumen blühen und der See ist glasklar. Und mir ist, als wäre ich selbst dort, als wäre meine ganze Realität nur noch das Bild vor mir und die Welt um mich herum nehme ich nicht mehr wahr.

Vor meinem echten Fenster aber peitschen die Äste gegen die Hauswände, es regnet und ist schon fast stockdunkel. Als ein Windstoß fest an allen Bäumen in unserem Garten ruckelt, erschrecke ich und sehe aus meiner Traumwelt auf. Allein durch den Blick aus dem Fenster wird mir kalt und ich wünsche mir sehnsüchtig den Sommer zurück.

Seit fast zwei Stunden sitze ich in meinem Zimmer und male, während meine Skripten für Biologie unberührt in meiner Tasche liegen. Es soll ja Leute geben, die ihr Studentenleben über alles lieben und genießen. Die ihre neu gewonnene Freiheit gegen nichts eintauschen würden, die jedes Wochenende begeistert feiern gehen und unter der Woche aufmerksam ihren Vorlesungen lauschen.

Auf mich trifft das auf jeden Fall nicht zu. Das Einzige, was ich in den letzten zwei Monaten genossen habe, war ab und zu das Ausschlafen und die Vorlesungen, bei denen ich keine Anwesenheitspflicht hatte.

Wenn ich malen kann, vergesse ich alles andere. Alles was gerade ansteht, alles was nervt, das Gestern und das Morgen. Dann lebe ich nur im Moment, lasse die Pinsel mit den vielen Farben über die Leinwand fliegen und das Bild wird immer schöner. Als ich jünger war, wollte ich deshalb Künstlerin werden und nichts tun, als zeichnen und malen. Ich sah meine Unterschrift schon auf vielen wunderschönen Gemälden und Bildern, die ich verkaufen wollte: Sophia Lohmann.

Wunschdenken. Wann immer ich diesen Wunsch nur angedeutet habe, kamen von allen Seiten Stimmen, die mir sagten, „Jetzt bleib aber am Boden, Sophia!“ Und diese Stimmen haben so lange auf mich eingeredet, bis ich mich entschieden habe Biologie zu studieren.

Mein Bild wird immer bunter, bis es an meiner Zimmertür klopft.

Die Tür geht auf, Mama schaut hinein und sieht mich, voller Farbe auf den Händen, vor meinem Bild sitzen.

Sie runzelt die Stirn, „Ich dachte du lernst?“

„Keine Lust“, antworte ich kurz und ehrlich und sie verdreht die Augen.

„Du wirst im Studium nicht weit kommen, wenn du ständig keine Lust hast. Und jetzt komm runter, es gibt Kaffee und Marie hat Kuchen gebacken.“

Ich nicke nur und stehe auf. Die Studenten, die in einer WG wohnen haben es vielleicht halbwegs entspannt. Aber ich, die noch immer in ihrem kleinen Kinderzimmer hockt und mit Mama und Papa Kaffee trinken muss, kann echt nicht von der großen Freiheit sprechen.

Kaum habe ich die Küche betreten, springt mir meine zehnjährige Schwester entgegen.

„Du musst unbedingt meinen Kuchen probieren, Sophia!“, kreischt sie und zieht an meiner Hand, „diesmal habe ich ihn echt gut hinbekommen!“

Auf unserem Küchentisch steht ein fettes, rundes, schokoladenbraunes Ding, das aussieht, als würde es jeden Moment auseinanderfallen.

Ich muss mich zusammenreißen, um nicht zu lachen, „Gut, gib mir ein Stück.“

Der Kuchen ist innen noch flüssig, ansonsten schmeckt er gar nicht so schlecht.

„Hast du am Nachmittag gelernt?“, ertönt schließlich auch die Stimme meines Vaters.

War ja klar, dass diese Frage noch kommt. Ich sitze ihm gegenüber und bemühe mich, seinen Blicken auszuweichen.

„Nein, sie hat mal wieder gemalt“, antwortet Mama für mich.

„Ach, Sophia“, mein Vater bekommt die tiefe Falte auf der Stirn, die er immer bekommt, wenn irgendetwas nicht nach seinem Kopf geht, „lass doch endlich einmal diese Malerei. Davon lässt sich die Fotosynthese nicht erklären. Wir lernen heute Abend gemeinsam.“

Papa hat irgendwann – vor gefühlt hundert Jahren – auch Biologie studiert. Deswegen ist er jetzt unendlich stolz, dass seine Tochter in seine Fußstapfen tritt und will mir alles beibringen. Es ist zum Kotzen.

„Heute Abend geht nicht“, sage ich deshalb schnell, „Melli und Mara kommen noch. Und wir wollen auch noch irgendwohin tanzen gehen.“

„Für so einen Mist hast du also Zeit“, sagt mein Vater und schüttelt den Kopf.

„Kannst du nicht zur Abwechslung mal Stefan auf die Nerven gehen?“, frage ich mit vollem Mund und lümmle gelangweilt vor mich hin.

Stefan ist mein älterer Bruder. Er studiert schon seit zwei Jahren irgendwas mit Medientechnik.

„Stefan ist um einiges selbstständiger als du“, sagt mein Vater vorwurfsvoll, „dem muss man nicht auf die Nerven gehen.“

Ich winke ungerührt ab, „Hast du mir schon tausendmal erzählt. Heute Abend geht auf jeden Fall nicht. Melli und Mara sind bald da.“

„Und dein Thomas kommt auch mit?“, fragt Mama plötzlich, als wäre ich eine Vierzehnjährige, die zum ersten Mal verknallt ist.

„Nein kommt er nicht“, sage ich und schaue genervt in ihre Richtung. Ich versuche mir nicht anmerken zu lassen, dass ich ziemlich froh bin, dass ich heute meine Ruhe von meinem Freund habe. Er ist mir schon die ganze Woche auf die Pelle gerückt. Ich habe manchmal das Gefühl in seiner Gegenwart zu ersticken, weil er mir keinerlei Privatsphäre lassen will.

„Warum denn nicht?“, bohrt Mama weiter.

„Der trifft sich mit irgendeinem Fußballkumpel oder so. Keine Ahnung, mir egal.“

Da fängt Mama an zu kichern.

„So klingt frisch entfachte Liebe!“ lacht sie.

Das Kuchenstück auf meinem Teller ist zu einem matschigen Schokoladensee zerlaufen, der so klebrig ist, als hätte Marie Kleister hinein gemischt. Wer weiß, wie viel Zucker da drin ist. Etwas angeekelt bringe ich den Teller in die Küche und verschwinde dann so schnell es geht wieder in mein Zimmer.

Ich setze mich vor mein unfertiges Bild, nehme den Pinsel wieder in die Hand und beginne die Spiegelungen der Bäume im See vorsichtig auf das türkisblaue Wasser zu pinseln. Meine Skripten bleiben dort, wo sie schon den ganzen Nachmittag verbracht haben. Nutzlos in meiner Tasche. Ich hoffe nur, dass so bald niemand mehr in mein Zimmer kommt und mich vom Malen abhält, gerade jetzt wo es so gut klappt. Allein bei dem Blick auf mein neues Bild macht sich das Gefühl von Sommer und Freiheit in mir breit. Es gelingt mir so gut, ich kann jetzt nicht aufhören. Also schiebe ich die Gedanken an die Mahnungen meiner Eltern zur Seite und pinsle weiter. Und auch als mein Handy zwei Mal läutet und ich sehe, dass Thomas versucht mich zu erreichen, ignoriere ich es. Nicht schon wieder. Und schon gar nicht jetzt.

Ich bin unendlich froh darüber, dass wenigstens meine Eltern mich für heute in Ruhe lassen. Seit ich begonnen habe zu studieren und mit Thomas zusammen bin, fühle ich mich in ihrer Gegenwart wieder wie ein kleines Kind. Dabei waren sie in der Zeit vor meinem Schulabschluss so verständnisvoll und angenehm. Jetzt fühle ich mich wieder wie damals mit fünfzehn, als ich meinen ersten Freund mit nach Hause gebracht habe, mit dem ich gerade einmal drei Monate zusammen war. Mama hat trotzdem ein Riesentheater gemacht, weil ich angeblich die Schule vernachlässigt habe. Und das Ganze geht jetzt wieder von vorne los.

Mädchenparty

„Ich habe so ein tolles Glitzertop gekauft!“, eine halbe Stunde später steht Melli in meiner Zimmertür und hat leuchtende Augen wie meine Schwester, wenn sie ein Geschenk bekommt, „das müsst ihr euch anschauen, ich zieh es gleich heute Abend an!“

Hinter ihr steht Mara und grinst leise und heimlich. Sie umarmt mich zur Begrüßung.

„Ich glaube dein Vater ist nicht so begeistert, dass wir hier sind“, sagt sie dann, „er hat mich mit sehr finsterer Miene begrüßt.“

„Ach der“, sage ich ungerührt, „der wollte schon wieder Bio mit mir lernen.“

„Aber Sophia hat überhaupt keine Lust, weil sie nämlich mit mir tanzen gehen will!“, trompetet Melli und wirbelt mit ihrem Glitzertop in der Luft herum, „was ziehst du eigentlich an? Und habt ihr euch schon entschieden, wo wir hingehen wollen?“

Mara und ich lassen uns gleichzeitig auf mein Bett fallen. Ich gähne.

„Mir ist das gleich“, meint Mara, „Hauptsache ich muss nicht viel tanzen und es gibt gute Cocktails.“

„Mit mir musst du überall tanzen, das weißt du doch“ kichert Melli.

„Von mir aus können wir auch hier bleiben und uns einen Film anschauen“, sage ich während ich mich in meine Kuscheldecke einwickle, „ich bin ziemlich unmotiviert.“

„Mein Gott, man könnte echt meinen, ihr seid beide steinalt geworden“, sagt Melli kopfschüttelnd.

„Sind wir doch auch“, erwidere ich, „wir werden bald zwanzig, wir sind uralt!“

„Du bist doch noch nicht einmal neunzehn geworden, du Dummi!“, Melli wirft mir ihr Glitzertop ins Gesicht, „jetzt macht euch fertig, biiiitte! Ich will tanzen!“

„Meinetwegen“, sagt Mara und packt ihr Schminkzeug aus, „machst du mir einen Lidstrich, Sophia?“

Ich nicke. Künstlerische Begabung hat eben doch auch im Alltag Vorteile. Innerhalb von einer Minute sitzt Maras Lidstrich perfekt. Melli hat längst ihr glitzerndes Top angezogen und frisiert ihr langes, blondes Haar.

Weil ich genauso wenig Lust habe, mich fertig zu machen wie tanzen zu gehen, nehme ich nur eine schwarze Skinny Jeans aus meinem Schrank und tausche sie gegen die zerknitterte, schlabbernde Jogginghose, die ich anhabe.

„Bist du schon fertig?“, Melli sieht mich entgeistert an, „lässt du deinen Pulli an? Und normalerweise machst du dir doch die Haare schön.“

Ich sehe in Mellis Gesicht, dass sie sich unsicher ist, ob ich wirklich nur müde oder doch irgendwie traurig bin. Deshalb lenke ich schnell ab.

„Wieso sollte ich mich hübsch machen?“, sage ich, während ich ein Grinsen aufsetze, „ich bin schließlich nicht Single, im Gegensatz zu dir.“

„Und deshalb lässt du dich gehen, nur weil du deinen Traumboy schon gefunden hast?“, Melli sieht mich an, als wäre ich durchgeknallt, „das ist eine fürchterliche Einstellung.“

Kaum hat sie ihren Satz beendet, packe ich sie an den Schultern und schiebe sie aus meinem Zimmer. „Wenn du tanzen gehen willst, dann los!“ befehle ich, „es reicht wenn du gut aussiehst.“

Obwohl ich so unmotiviert war, heute noch wegzugehen, kann ich schon fünf Minuten nachdem wir Mellis Lieblingsclub betreten haben, nicht mehr aufhören zu lachen. Mara steht steif und unbeweglich auf der Tanzfläche und tritt nervös von einem Bein aufs andere. Sie sieht aus als hätte sie vor kurzem einen Bandscheibenvorfall gehabt. Melli wirbelt wie eine Wahnsinnige um sie herum, hüpft wie ein Gummiball und wedelt in der Luft mit ihren Armen wie ein kleiner Vogel, der noch unfähig ist zu fliegen. Melli nimmt Maras Arme und macht mit ihren Babyvogel-Bewegungen weiter. Mara sieht mich an, als würde sie sich gleich übergeben wollen.

Ich halte mir den Bauch vor Lachen, meine Wangen tun weh und die Lachtränen steigen in meine Augen.

Immer noch mit Babyvogel-Geflatter bewegt Melli sich in Richtung Bar. Sie winkt einen Barkeeper zu sich und brüllt: „Zwei Mojito und ein Sex on the beach!“. Dann schenkt sie dem Barkeeper ihr allersüßestes Flirtlächeln.

Nach den ersten Cocktails bestellt Melli sofort zwei Runden Tequila Shots. Danach liegt Maras Kopf auf meiner Schulter und sie droht einzuschlafen. Melli verschwindet schwankend und kichernd auf der Tanzfläche. Zehn Minuten später hat sie sich schon den ersten Schönling aufgerissen.

Ich rüttle an Maras Schultern: „Was ist? Willst du nicht auch ein bisschen tanzen? Oder meinetwegen knutschen wie Melli?“

„Haha“, sagt Mara nur und legt ihren Kopf zurück auf meine Schulter.

Ich versuche aufzustehen, als mein Handy in meiner Hosentasche zu vibrieren beginnt.

„Thomas <3 ruft an“, steht auf den Bildschirm.

„Ach, dein Schatziputzi vermisst dich“, sagt Mara grinsend. Mein Blick sieht bestimmt viel mehr genervt als belustigt aus. Ich drücke die rote Taste und stecke mein Handy wieder in die Hosentasche.

„Habt ihr Streit?“, fragt Mara verwundert.

„Nein“, antworte ich, „aber ich will jetzt tanzen, komm mit mir mit!“

Was versteckt war

Zum Glück ruft Thomas kein zweites Mal an und ich kann auf der Tanzfläche den Alltagsmist abschütteln. Nur noch einmal vibriert mein Handy und ich sehe eine Nachricht von ihm auf dem Display:

Vermisse dich. Alles in Ordnung bei dir?

Bitte ruf endlich zurück. Thomas <3

Hektisch tippe ich eine Antwort:

Ja, alles gut. Melde mich bald.

Dann stopfe ich das Handy in meine Hosentasche und blende jedes weitere Surren von Thomas´ Nachrichten aus. Ich fange an, fast so verrückt wie Melli zu tanzen. Jetzt gerade ist es mir völlig egal, wie ich aussehe und was die anderen denken. Ich hebe die Arme und mache Mellis Vogelbaby-Bewegungen nach. Mein ganzer Körper wird durchgeschüttelt, ich fühle mich frei und aus irgendeinem Grund fühle ich mich sogar sexy. Ich muss über mich selbst lachen und das tut gut.

Mellis Tequila-Runden haben bewirkt, dass auch Mara um einiges lockerer geworden ist und mit mir tanzt.

Irgendwann stolpert sie über ihre eigenen Beine und fällt auf den Boden. Das ist mein zweiter Lachkrampf für heute. Mara verträgt echt keinen Tropfen Alkohol.

„Können wir mal frische Luft schnappen?“, brüllt sie mir ins Ohr nachdem ich ihr aufgeholfen habe, „mir ist schwindelig.“

Ich nicke ihr zu, die laute Musik dröhnt auch schon in meinen Ohren und als wir den Club kurz verlassen, fühlt es sich unendlich angenehm an, wieder normalen Sauerstoff in den Lungen zu haben und nicht die vom Alkohol und Rauch verpestete Luft.

„Warum hast du Thomas denn weggedrückt?“, fragt Mara nachdem sie ein paar Mal ruhig ein und aus geatmet hat.

„Weil ich tanzen wollte“, sage ich schnell und ungerührt, aber Mara schnaubt verächtlich.

„Das ist doch nie der Grund, warum du nicht mit ihm reden willst. Du bist doch auch nicht so scharf auf's Tanzen wie Melli. Und außerdem drei Minuten früher oder später machen doch keinen Unterschied.“

Ich zucke mit den Schultern und schaue in eine andere Richtung. Thomas und ich sind seit über einem halben Jahr zusammen. Wenn man den drei Monate Typ dazurechnet, ist er schon meine dritte Beziehung und trotzdem frage ich mich manchmal, ob ich überhaupt weiß, was Verliebt-sein wirklich ist. Ich mag Thomas. Und alle meine Freunde mögen ihn und beneiden mich. Aber reicht das, um mit jemandem zusammen zu sein?

„Es nervt mich eben manchmal, dass er ununterbrochen bei mir sein will“, antworte ich Mara, diesmal etwas ehrlicher, „ich brauche meine Freiheit.“ Plötzlich fühle ich, wie zwei brennende Tränen in meine Augen aufsteigen wollen. Ich hasse es. Immer wenn ich betrunken bin, brechen irgendwelche Gefühle in mir auf. Mal die lustigen, übermütigen wie auf der Tanzfläche, aber oft auch die verdrängten wie jetzt.

Mara sieht mich an und ihr neugieriger Blick wird auf einmal besorgt und mitfühlend. Ich schaue in ihre vertrauten, braunen Augen.

„Sophia was ist denn?“, fragt sie und streicht mir mit der Hand über's Haar. Ihre Stimme klingt beinahe mütterlich. Gerade will ich Luft holen und ihr sagen, dass ich nicht weiß ob ich noch verliebt bin - oder es jemals war, da geht die Tür zum Club auf und Melli stolziert, über's ganze Gesicht grinsend, heraus. Ihr Hals ist voller Knutschflecken.

„Mädels dieser Abend ist genial!“, triumphiert sie, „habt ihr meinen süßen Typen gesehen? Er küsst himmlisch! Und er hat mich auf den nächsten Cocktail eingeladen. Er heißt Noah und er ist Sanitäter. Toll, oder?“

Melli streicht sich wie die perfekte Zicke aus einer Teenie-Serie durch ihr Haar. Mara und ich sehen sie ohne viel Begeisterung an.

„Wir sehen seine Spuren sowieso auf deinem Hals“; sagt Mara und Melli zieht kurz ein Gesicht.

„Und das ist so schlimm?“; fragt sie fast ein bisschen empört, „das würde dir auch mal guttun, anstatt dich immer in deinen Büchern zu vergraben.“

Ich sehe Mara an, dass sie sich über Mellis Worte ärgert, aber sie sagt nichts und weicht ihrem Blick aus.

„Was ist, kommt ihr für die nächste Runde Tequila mit rein oder wollt ihr hier Wurzeln schlagen?“

Ich folge Melli in Richtung Eingang, als Mara mich an der Schulter festhält: „Wir können ruhig reden wenn du willst.“

„Es ist nichts weiter, vergiss es“, sage ich ohne darüber nachzudenken, „mach dir keinen Kopf.“

Wir verschwinden alle drei wieder im Club. Diese Nacht wird noch länger dauern.

Am nächsten Tag bin ich totmüde, obwohl meine erste Vorlesung erst um zwölf Uhr stattfindet. Mein Kopf dröhnt, in meinen Ohren quietscht es und meine Augen wollen andauernd zufallen. Melli wollte solange bleiben, bis sie ihren Noah wiedergefunden hat. Jetzt hat sie seine Nummer und Mara und ich haben Kopfschmerzen.

In meinen Kopf passt nicht einmal mehr ein Absatz aus dem neuen Kapitel von Biologie. Es grenzt schon an ein Wunder, dass ich überhaupt die Überschrift verstanden habe.

Wann schaffe ich es nur endlich, mich für diese blöde Uni zu motivieren? Mara studiert doch auch Germanistik und ist begeistert, dabei klingt das noch sterbenslangweiliger. Ich gebe es nicht gerne zu, aber meine Eltern haben recht – wenn ich so weitermache, falle ich in einem Monat bei der ersten Prüfung durch. Und das Traurigste daran ist, dass mich dieser Gedanke noch nicht einmal sonderlich schockiert.

Als ich den Hörsaal und schließlich die Uni verlasse, erwache ich mit einem Ruck aus meinem Halbschlaf. Thomas steht direkt vor der Uni und wartet auf mich. Er ist keine zehn Meter mehr von mir entfernt. Ich will gar nicht daran denken, wie ich aussehe. Ich habe Augenringe wie ein Waschbär und trage nur Schlabberklamotten.

Er kommt auf mich zu, mein müdes Aussehen scheint ihm nicht einmal aufzufallen. Er bringt ein „Hallo Schatz“ heraus, bevor er mich leidenschaftlich küsst. Ich fühle seine heiße Zunge auf meiner.

„Hey“, sage ich und versuche irgendwie fröhlich zu klingen, während mein ganzer Körper nach Schlaf schreit, „ich wusste nicht, dass du kommst.“

„Ich habe es dir ja auch nicht gesagt“, antwortet Thomas und grinst kurz, „wieso reagierst du nicht auf meine Anrufe?“

„Wir haben doch vorgestern Abend erst telefoniert, Thomas“, sage ich zwischen zwei Mal gähnen, „ich war gestern Abend mit den Mädls weg.“

„Das kannst du mir doch auch vorher sagen.“

„Aber ich bin doch nicht deine kleine Tochter.“

„Hör auf damit, Schatz“, Thomas verzieht genervt das Gesicht, „benimm dich doch nicht wie eine hormongesteuerte Pubertierende. Ich möchte einfach nur gern wissen, wie es dir geht und was du machst. Das ist doch nicht so schlimm, oder?“

„Und ich möchte einfach einmal einen Abend nicht telefonieren. Das ist doch auch nicht schlimm, oder?“, verteidige ich mich.

„Ich will nicht streiten“, sagt er ruhig und gewinnt damit mal wieder die Diskussion, „dafür sehe ich dich zu selten. Gehen wir zu mir? Ich glaube, du könntest einen Kaffee gebrauchen, du siehst ziemlich verkatert aus.“ Mein Aufzug ist ihm also doch nicht entgangen.

„Ich bin nur müde“, antworte ich, „ja, gehen wir zu dir.“

Es geht nicht

Thomas hatte recht, nach dem Kaffee fühle ich mich tatsächlich besser. Meine Augen sind weniger schwer, als wir zu zweit auf der Couch sitzen und Thomas seinen Arm um mich legt. Langsam lehne ich mich an seine Schulter und schiele nach oben.

Thomas´ Haut ist makellos und seine Augen tiefblau. Die dunkelblonden Haare sitzen perfekt gestylt auf seinem Kopf. Die kleine Stupsnase, die vollen Lippen und die markanten Wangenknochen bilden ein Gesicht, das man für eine männliche Barbiepuppe verwenden könnte. Er könnte jede haben. Und er verliebt sich ausgerechnet in mich. In mich, das schmale, zierliche Mädchen mit den langen, braunen Haaren voller Spliss und dem Gesicht, das mindestens zehn Mal so viele Pickel hat wie seines. Mit den langweiligen, graublauen Augen und den Brüsten, die gerade mal in ein A-Körbchen passen. Er wollte mich. Ausgerechnet mich. Und jedes andere Mädchen wird krank vor Neid, wenn sie uns sieht. Jedes andere Mädchen an meiner Stelle wäre unendlich froh. Alle haben sie sich gefreut, als ich ihn mit nach Hause gebracht habe – Melli und Mara sowieso und sogar meine Eltern mögen ihn. Zumindest mehr als die Typen davor. Wir erfüllen alle Erwartungen und ich sollte verdammt nochmal glücklich sein. Ich sollte dankbar sein, mein Gesicht in seiner Brust vergraben und diesen Moment genießen. Aber ich kann nicht.

Als meine Augen wieder müde und das Fernsehprogramm langweilig wird, küsst Thomas mich auf die Stirn und fängt an mich zu streicheln. Zuerst den Bauch, den Nacken und den Haaransatz, dann meine Brüste und meine Oberschenkel. Ich sitze desinteressiert da und erwidere gar nichts. Das Letzte, worauf ich in diesem Moment Lust habe, ist Sex. In diesem Moment, von dem ich gerade gemerkt habe, dass ich ihn nicht genießen kann. Nicht einmal, wenn wir nur fernsehen.

Thomas´ Hand verschwindet unter meinem Top, mit der anderen streift er die Spaghettiträger von meinen Schultern, will meine Beine auf die Couch ziehen und sich auf mich legen.

Ich drücke meinen Handballen gegen seine Brust, stoße Thomas weg und setze mich wieder auf.

„Was ist?“, fragt er verstört, „magst du nicht?“

„Nein“ antworte ich und drehe mein Gesicht weg, bevor er den abstoßenden, ja beinahe angewiderten Ausdruck darin bemerken kann.

Thomas seufzt kurz und setzt sich dann auch wieder hin: „Langsam komme ich mir vor, wie ein Typ in der Midlifecrisis, der nur noch alle zwei Wochen Sex hat.“

„Jetzt übertreib mal nicht“, sage ich und klinge mindestens genauso genervt wie er, „es ist keine drei Tage her, dass wir das letzte Mal Sex hatten.“

„Na und?“

Als ich nicht mehr antworte, rückt er ein Stück von mir ab.

„Sophia, du bist in letzter Zeit so abweisend zu mir“, sagt er und klingt auf einmal viel ernster als sonst.

„Ich bin nicht abweisend“, antworte ich und könnte selbst lachen über diese dumme Aussage. Jeder weiß, dass ich gerade gelogen habe.

„Doch das bist du“, sagt Thomas deshalb und schaut mir in die Augen, „sag mir doch wenigstens, was dir nicht passt, sonst kann ich es nicht ändern.“

„Es ist nichts. Ich brauche einfach ein bisschen mehr Luft zum Atmen.“

Die Wahrheit wäre, dass ich nicht gerne mit ihm schlafe. Meistens tut er mir weh. Aber als ich ihm das früher gesagt habe, meinte er nur, das vergeht mit der Zeit, weil das bei seiner Ex-Freundin auch so gewesen ist. Aber es ist nicht vergangen. Nur würde ihn das nicht interessieren.

„Tu nicht so, als würde ich dich stalken“, sagt Thomas und schüttelt ohne jedes Verständnis den Kopf, „ich will eben Zeit mit dir verbringen.“

Nachdem wir beide kurz geschwiegen haben, findet Thomas die Worte wieder. Seine Stimme zittert etwas. „Hast du einen anderen?“, fragt er vorsichtig. Ich kann an seiner Stimme förmlich hören, dass er Angst vor meiner Antwort hat.

Im nächsten Moment sehe ich ihn an, als hätte er mir gerade erzählt, dass in seinem Schlafzimmer die Marsmännchen gelandet sind, „Bist du wahnsinnig?“

„Du gibst mir genug Gründe, das zu denken“, verteidigt er sich.

„Ich hab doch keinen anderen, du Spinner“, sage ich immer noch mit empörtem Blick, „ich habe Stress und will ein bisschen meine Ruhe. Das ist alles.“

„Kommst du wenigstens nächstes Wochenende mit mir auf die Party von meinem Kumpel?“, fragt er dann, „du hast ja noch nicht einmal alle meine Freunde kennengelernt.“

„Ja, ich komme mit. Aber, ...“

Das Klingeln meines Handys unterbricht mich. Es ist Mara. Bestimmt will sie nur wissen, ob es mir gut geht.

„Aber Melli und Mara sind auch eingeladen, das weißt du ja“, beende ich schnell meinen Satz, „und Mara braucht was von mir, also lass mich jetzt nach Hause gehen.“

Als wäre Maras Anruf das Wichtigste auf dieser Welt, laufe ich ins Vorzimmer, ziehe mich an und verlasse beinahe fluchtartig Thomas´ Wohnung, um dieser Situation zu entkommen. Ich habe mich nicht einmal verabschiedet.

Nachdem ich Mara versichert habe, dass es mir gut geht und sie mich mit einfühlsamen Worten geradezu überschüttet hat und ich Thomas eine Entschuldigungs -SMS geschrieben habe, in der steht, dass ich mich gerade einfach nicht so gut fühle und er sich keine Sorgen machen soll, bin ich endlich alleine in meinem Zimmer und atme auf.

Ich brauche auf der Stelle ein warmes, weiches Bett oder eine leere Leinwand. Meine Malsachen in meinem Zimmer scheinen mich anzugrinsen wie meine besten Freunde, also entscheide ich mich für letzteres.

Nicht denken. Nur meine Hand malen lassen, genau das brauche ich jetzt. Diesmal wird es kein hübscher See mit Seerosen und auch kein Portrait. Ich habe keine Lust genau zu sein und kleckse mit meinen Acrylfarben die Leinwand bunt voll, bis irgendetwas Abstraktes entsteht, das man „moderne Kunst“ nennen könnte. Meine Hand fliegt förmlich über die Leinwand, die vielen Farben vermischen sich an manchen Stellen und bald hat mein Bild irgendwie etwas Wildes, Gefährliches an sich. Als letztes mische ich dunkelgraue Farbe dazu, ziehe damit feine Linien, die fast ein bisschen wie kleine Blitze aussehen. Ich nenne es Sturm. Nein, ich nenne es Orkan. Und bei diesem Gedanken muss ich plötzlich lachen. Es ist so ein Glück, dass ich malen kann.

Die heiße Freundin

An den kommenden Abenden schafft mein Papa es tatsächlich, ein wenig Biologie mit mir zu lernen. Er ist gar nicht mal so ein schlechter Lehrer, wie ich gedacht habe. Langweilig ist es trotzdem, aber ich versuche mich so gut es geht zusammenzureißen.

Zum Ausgleich gehe ich auf Fotojagt und fotografiere alles, was ich später gerne zeichnen will. Ende November ist das zwar nicht vieles, bis auf kleine Kinder, die in Regenpfützen springen oder kleine, hungrige Vögel, die sich in den Ästen zusammen kuscheln. Aber immerhin etwas.

Thomas hat mich seit unserem letzten Gespräch bei ihm zu Hause drei Tage nicht angerufen. Dann war ich eine „brave Freundin“ und habe mich selbst bei ihm gemeldet. Seitdem telefonieren wir wieder täglich und er labert ununterbrochen von der Party am Samstag. Die Party ist bei Anton, dem besten Freund von Thomas, er feiert seinen 21. Geburtstag. Anton und Thomas kannten Melli, bevor Thomas und ich uns gekannt haben. Melli hat uns erfolgreich verkuppelt, nachdem sie sich entschieden hat, dass sie sich lieber an Anton ranmachen will. Aber das zwischen den beiden ist schon lange vorbei. Melli und Mara sind trotzdem auf die Party eingeladen. Zum Glück, dann kann ich flüchten, wenn Thomas mich als seine perfekte Freundin herumführen will, als wäre ich ein Preis, den er gewonnen hat.

Mein neues Bild, das ich male, wird zuckersüß. Die kleinen Kohlmeisen, die ich fotografiert habe, sehen auf meiner Leinwand fast noch niedlicher aus, als auf dem Foto selbst. Mit hellen Tönen in blau und grün lasse ich ihre Federn weich und flauschig aussehen. Meinen feinsten Pinsel tauche ich in die weiße Farbe, um das Bild mit kleinen Spiegelreflexen in den Augen der Vögelchen und im letzten, verdorrten Laub der Blätter, zu perfektionieren. Wer es sieht, bekommt glatt Mitleid mit den Vögeln. Sie sehen aus, als würden sie frieren und Hunger haben und die schwarzen Knopfaugen scheinen mich traurig anzusehen.

Am liebsten würde ich die ganze Nacht weiter malen, aber morgen Früh muss ich in die Uni.

Meine letzte Vorlesung am Freitag zieht sich in die Länge, als ich eine Nachricht von Melli bekomme.

Kommt morgen vor der Party zu mir, zum Schminken! Und Sophia, du kannst meinen neuen Lockenstab testen, du wirst hammer aussehen! Hab euch lieb ihr Süßen <3

steht da in unserer Gruppe „Melli und die süßen Mädels.“ Jeder errät sofort, dass Melli diesen Namen selbst ausgesucht hat.

Mara antwortet sofort mit einem:

Okay. Passt dir 19 Uhr? Aber mit deiner Wimpernzange kommst du nicht nochmal an meine Augen!

Versprochen! Bis dann, Süße <3

Und ich werde jetzt mit meiner Nachricht die Party-Schmink-Stimmung verderben.

Ich kann nicht.

Ich bin mir sicher, Melli ist schon vor meiner Erklärung genervt von meiner Antwort. Etwas zaghaft tippe ich weiter.

Thomas will unbedingt mit seinem Motorrad zu Anton fahren und davor zu mir kommen. Wir fahren dann gemeinsam.

Darauf reagiert Melli natürlich sofort:

Dein Macho soll dich doch von mir zu Hause abholen! Und überhaupt, was soll das Motorrad, wenn wir auf eine Party gehen? Ist er Anti-Alkoholiker oder wie?

Thomas trinkt fast nie.

Und er will eben angeben.

Männer sind die dümmsten

Wesen auf dieser Erde.

Sagt die, die alle zwei Wochen einen neuen hat xD.

Blablabla. Ernsthaft Sophia, sag ihm doch, er soll dich von mir abholen. Das wird er doch aushalten.

Okay, ich versuchs.

Plötzlich meldet sich Mara wieder:

Sag ihm einfach, dass ich etwas Wichtiges mit dir zu besprechen habe ;)

Stimmt das denn?

Wir haben doch immer was Wichtiges zu besprechen ^^

Haha. Okay, bis morgen <3

Die letzten zehn Minuten der Vorlesung vergehen. Ich bin erlöst. Ich denke nur noch an das Wochenende vor mir, als hätte ich Jahre darauf gewartet.

Möglichst schonend bringe ich Thomas bei, dass er mich morgen von Melli abholen muss. Natürlich ist er enttäuscht – sicher wollte er noch Versöhnung feiern. Seit unserem dummen Streit haben wir uns nicht gesehen. Aber es stimmt, was Melli sagt - das muss er aushalten, meine Freundinnen sind auch wichtig.

„Schwarzer Nagellack? Muss das sein?“, Mara versucht sich angeekelt vor dieser Idee zu retten, als Melli schon ihre Hand gepackt hat und sich ans Werk machen will.

Ich sitze vor Mellis Schminkspiegel und tusche meine Wimpern. Der Schminktisch ist komplett voll mit Make-up und Schminkzeug aller Art. Würde ich alles verwenden, würde ich drei Stunden brauchen.

„Das passt perfekt zu deinem Outfit!“, argumentiert Melli und fängt sofort an zu pinseln.

Sie hat Mara in ein enges, schwarzes Spitzenoberteil gesteckt. Der Ausschnitt ist viel größer, als wir es von Mara gewöhnt sind. Trotzdem sieht es nicht billig aus. Das muss man Melli lassen – Styling hat sie drauf. Als ich in ihr enges dunkelrotes Kleid schlüpfe und sie meine glatten Haare zu Locken dreht, stelle ich beim Blick in den Spiegel fest, dass ich so auch in jedes Modemagazin gepasst hätte.

„Ist bei dir und Thomas eigentlich wirklich alles okay?“, fragt Mara vorsichtig, als Melli Lidschatten auf ihre Augenlider aufträgt.

„Ja, ich hab dir doch gesagt, du sollst dir keine Sorgen machen“, antworte ich und versuche möglichst entspannt zu klingen, „wir hatten einen kleinen Streit. Aber wir haben uns schon wieder vertragen.“

„Ihr hattet Streit?“, fragt Melli verwundert, „ich wusste gar nicht, dass das möglich ist. Ihr wart doch solche Turteltauben am Anfang!“

„Jeder streitet doch mal“, meint Mara sanft.

Dann mustert Melli mich von oben bis unten.

„Zieh die schwarze Lederjacke drüber“, sagt sie entschlossen, „dann bist du elegant und schick, aber trotzdem cool.“

Ich werfe die Lederjacke über und muss feststellen, dass Melli schon wieder genau ins Schwarze getroffen hat.

„Thomas kann froh sein, dass du vorher bei mir warst“, sagt sie grinsend, „so eine heiße Freundin bringen sicher nicht viele auf die Party mit!“

Ich lächle verlegen und weiß gar nicht, was ich antworten soll.

Thomas trägt auch eine schwarze Lederjacke, als er mit seinem Motorrad vor Mellis Tür steht und auf mich wartet. Zumindest optisch passen wir heute also perfekt zusammen. Er küsst mich zur Begrüßung, umarmt auch Melli und Mara und macht mir zum Glück keine Szene, weil wir vorher keine Zu-zweit-Zeit mehr hatten. Der Abend fängt also ziemlich gut an.

„Steig auf“, sagt Thomas mit seinem männliche-Barbiepuppen-Lächeln zu mir und wirft mir einen uralten Helm ohne Visier in die Hände. Er sieht aus wie ein Kinderhelm.

„Nützt der denn überhaupt irgendwas?“, frage ich skeptisch.

„Auf jeden Fall wird er deine perfekte Frisur ruinieren“, sagt Melli kichernd, bevor sie mit Mara zur Bushaltestelle läuft.

„Ich passe sowieso gut auf dich auf, also mach dir keine Sorgen“, sagt Thomas und ich komme mir schon wieder vor, als wäre ich seine fünfjährige Tochter.

„Meinetwegen“, antworte ich, setze den Helm auf und steige auf Thomas´ Motorrad.

Irgendwie genieße ich die Fahrt sogar. Der Fahrtwind weht mir sofort um die Nase, als wir losfahren und meine frisch gedrehten Locken fliegen wild durch die Luft. Melli würde glatt anfangen zu heulen, wenn sie das sehen würde. Aber in mir macht sich ein seltsames Gefühl von Freiheit breit. Am liebsten würde ich gar nicht feiern gehen, sondern einfach die ganze Nacht weiterfahren.

Der Partylärm ist schon zu hören, als wir Antons Garten betreten. Ich habe keine Ahnung, wie viele Leute er eingeladen hat, aber auf jeden Fall genug, um die ganze Nachbarschaft zu stören. Die Musik dröhnt bereits aus allen Fenstern, genauso wie das Gemurmel der Gäste. Und ich habe das Gefühl den Alkohol und den Rauch schon jetzt zu riechen, obwohl ich noch nicht einmal im Haus bin.

Wie eine Trophäe

„Das ist Sophia, meine Freundin“, Thomas stellt mich freudestrahlend vor eine Horde halb betrunkener Jugendliche, die gemeinsam auf einer Couch sitzen, die eigentlich nur für vier Menschen gedacht ist.

Nachdem Thomas mich vorgestellt hat, bekommen sie alle leuchtende Augen wie kleine Kinder vor dem Christbaum und geben freudige Geräusche von sich. Ich will hier weg.

Sofort reden alle gleichzeitig auf uns beide ein. Wir werde mit Fragen und Sätzen wie: „So süß, sie ist ja so hübsch!“ und „Wie lange seid ihr denn schon zusammen?“ über „Ihr seid ja echt so niedlich ihr beiden, das perfekte Paar!“ bis hin zu „Nicht schlecht, Thomas. Gute Wahl!“ bombadiert.

Ein paar sitzen auch nur grinsend da. Thomas erklärt mir nach der Reihe die Namen der halbbetrunkenen Couch-Horde, aber die vergesse ich innerhalb von Sekunden. Anton erkenne ich wieder und er umarmt mich kurz, als wir uns begrüßen.

„Was wollt ihr trinken?“, fragt Anton schließlich.

„Am besten gar nichts, ich muss fahren“, antwortet Thomas mit seinem Ich-bin-so-verantwortungsbewusst-Unterton.

„Ach komm, du brauchst doch erst morgen früh wieder zu fahren“, sagt Anton und winkt ab, „Sophia und du könnt doch auch hier schlafen.“

„Dann brauchen sie aber ein Doppelzimmer für sich allein!“ kreischt einer von der Couch-Horde und ich verdrehe nur die Augen. Eigentlich will ich nicht hier schlafen. Hoffentlich kann ich mit Melli und Mara mit dem Bus nach Hause fahren. Nur das muss Thomas erst mal zulassen – jetzt, wo er sein Prachtstück endlich einmal herumzeigen kann.

Als ich unauffällig verschwinden möchte, um nach Melli und Mara zu suchen, brüllt mir wieder eine von der Couch nach.

„He Thomas´Freundin!“, höre ich eine helle Mädchen-Stimme. Anscheinend bin ich nicht die Einzige, die sich keine Namen merken kann, „jetzt bleib doch da, wenn wir dich schon mal kennenlernen! Wir spielen jetzt auch was!“

Zögernd bleibe ich stehen. Als ob das etwas Gutes wäre, dass sie jetzt irgendein Spiel spielen. Ich könnte mir gerade sehr viel schöneres vorstellen, als mit der Couch-Horde etwas zu spielen, bei dem ich mich entweder abknutschen oder abfüllen lassen muss.

Aber Thomas entscheidet schnell für mich: „Na klar bleibt sie!“ und zieht mich zu sich.

„Anton, ich trinke ein Bier und nicht mehr“, fügt er noch hinzu, „Sophia steht auf Wodka und sie darf trinken, also musst du nicht sparsam sein.“

Na toll, es geht schon los.

Nach einer halben Stunde „Never have I ever“ habe ich schon zwei Gläser Wodka-Orange und mehere Tequila-Shots geleert, weil ich schon mal nackt im See baden war, ein Sexspielzeug besessen habe, eine fremde Person angekotzt habe und so weiter. Den Couch-Leuten fallen immer neue Sachen ein. In mir dreht sich alles.

„Ich weiß noch was!“, kreischt eines der Mädchen, „ich habe noch nie überlegt, mir meine Brüste vergrößern zu lassen.“

Da ich betrunken bin und es mir gerade völlig egal ist, was die Leute von mir denken, bin ich ehrlich. Ich habe schon darüber nachgedacht, meine Brüste vergrößern zu lassen – wenn auch nicht im ernsthaften Sinne – das heißt, ich muss trinken.

Ich setzte den Becher an meine Lippen und nehme einen großen Schluck. Erst als der Wodka wieder meine ganze Speiseröhre hinab brennt, merke ich, dass mich alle anstarren.