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Im Leben von Martin Langenbrunner läuft es eigentlich immer nach Plan. Erfolg im Beruf, eine glückliche Familie und ein Häuschen im Grünen. Mit Fleiss und Disziplin behält er stets die Kontrolle und ist um ein tadelloses Ansehen bemüht. Doch was passiert, wenn ihm die Kontrolle abhanden kommt?
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Seitenzahl: 109
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Für meine Frau Valentina ,
die immer an mich glaubt und maßgeblichen Anteil daran hat, dass sich mit diesem Buch ein Traum für mich erfüllt.
Die Personen, Handlungen und Orte in diesem Buch sind frei erfunden. Etwaige Übereinstimmungen mit der Realität sind zufällig.
Wer kann erwarten,
die Menschheit werde gute Ratschläge befolgen,
wenn sie nicht einmal Warnungen zur Kenntnis nimmt?
- Jonathan Swift -
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«Wir freuen uns sehr, heute die Wiedereröffnung unserer Bankfiliale mit Ihnen zu feiern und danken für Ihr Verständnis, dass es in der dreiwöchigen Umbauphase zu Einschränkungen unseres Service gekommen ist. Von nun an sind wir hier, in den schönen neuen Räumlichkeiten für Sie da. Ihr Niederlassungsleiter bleibt selbstverständlich auch in Zukunft Herr Martin Langenbrunner, den Sie nun schon seit vielen Jahren als vertrauensvollen Ansprechpartner in allen Angelegenheiten rund um Ihre Finanzen kennen.»
Regionaldirektor Peter Gessler schüttelt im Anschluss an seine kurze Rede noch eifrig ein paar Hände und grinst in die Fotokameras der lokalen Pressevertreter.
Auch der Moosthaler Bürgermeister, Achim Sauer, ist bei der Eröffnungsfeier zugegen. Einer dieser dienstlichen Termine, bei denen man sich sehen lassen muss, um in entspannter und positiver Atmosphäre ein wenig Smalltalk mit den Bürgern zu betreiben. Schließlich verzeiht es ein solch kleiner Ort nicht, wenn man sich einen Fehltritt leistet. Fast jeder kennt jeden und sei es um ein paar Ecken. Klatsch und Tratsch bahnen sich schnell ihren Weg. An einem Dienstagnachmittag wie diesem gibt es aber kaum Anlass für negatives Gemurmel. Zur Wiedereröffnung der einzigen Bankfiliale im Ort sind zahlreiche Einwohner gekommen, die sich jetzt über besonders günstige Konditionen informieren könnten. Die meisten wollen aber sicher nur ihre Neugierde befriedigen und sich bei Sekt und Schnittchen die neue Filiale ansehen.
Zum Abschluss der Feierlichkeiten herrscht noch werbewirksame Freude als Bürgermeister Sauer einen Scheck für die Jugendarbeit im Ort von Peter Gessler und Martin Langenbrunner entgegen nimmt. Das Foto von der Scheckübergabe wird es zusammen mit ein paar warmen Worten morgen vielleicht sogar in die regionale Presse schaffen, ganz sicher jedoch in die vierteljährlich erscheinende Kundenzeitschrift der Bank. Für Sauer eine gute Gelegenheit in Erinnerung zu bleiben, steht in ein paar Monaten doch die nächste Bürgermeisterwahl vor der Tür.
Insgesamt dauert die ganze Veranstaltung knappe zwei Stunden. In großen Lettern wurde die Feier zur Wiedereröffnung für Dienstag um 14:00 Uhr im Schaufenster beworben. Viele der Einwohner folgten der Einladung, sofern es ihnen möglich war. Um diese Zeit, zumal an einem Werktag, haben die meisten Menschen andere Verpflichtungen denen sie nachgehen müssen. Dementsprechend hoch war der Altersdurchschnitt der Erschienenen. Doch weder dem Bürgermeister, noch den Bankverantwortlichen scheint dieser Umstand viel auszumachen. Die reguläre Schließungszeit um 16:00 Uhr wird auch an diesem Dienstag pünktlich eingehalten.
Zehn Minuten nachdem die Vorhänge zugezogen wurden und sich die Belegschaft selbst zur gelungenen Wiedereröffnung gratuliert hat, sitzen der Bürgermeister und der Regionaldirektor der Bank bereits in ihren Fahrzeugen auf dem Heimweg. Gessler wird sich wohl erst im nächsten Jahr wieder hier blicken lassen. Er steht schließlich noch einem Dutzend anderen Filialen vor und hegt großes Vertrauen in Martin Langenbrunner, der ein ausgesprochen gutes Ansehen unter Kunden und Kollegen genießt. Er ist selbst im Ort aufgewachsen, engagiert sich im Tennisverein und hat sich in all den Jahren zum Aushängeschild für die Bank entwickelt.
Mit einem halb leeren Sektglas in der rechten Hand beobachtet Martin Langenbrunner im Inneren der neuen Räume, wie sich Michelle Bierer nach den zur Dekoration verteilten Luftballons bückt. Michelle hat im vergangenen Jahr ihre Ausbildung zur Bankkauffrau hier abgeschlossen und gehört seither zu den festen Mitarbeitern der Filiale.
Langenbrunner selbst hatte auch hier gelernt. Damals hätte er es sich nicht vorstellen können, einmal in verantwortungsvoller Position so sehr mit dem Geldinstitut verwurzelt zu sein. Nach seiner Ausbildung, welche er in erster Linie seinen Eltern zuliebe absolvierte, wollte er erst mal nur weg. Raus aus dem 1.400-Seelen-Dorf, hinein in die weite Welt. Zunächst zog es ihn nach Berlin, wo er versuchte sich als Schlagzeuger diverser Bands durchs Leben zu schlagen. Wenige Monate später wagte er den Sprung über den großen Teich. In Chicago konnte er seine Sportbegeisterung vollends ausleben und drückte für eine Weile am Community College die Schulbank. Sein Ehrgeiz war geweckt, er erreichte Bestnoten, doch weder sein sportliches noch sein musikalisches Talent reichte aus um eine erfolgversprechende Karriere zu starten. Diese Tatsache, verbunden mit Heimweh, führte dazu, dass Martin Langenbrunner mit 23 Jahren nach Deutschland zurückkehrte. Bereits nach wenigen Semestern verlor er die Lust an seinem Jurastudium und so kam es, dass er an seinen Geburtsort zurückkehrte.
Ein paar Monate später trat er seine Arbeitsstelle bei der Bank an. Noch immer unter der Leitung von Wolfgang Läuter, der ihn damals ausbildete. Es war fast so, als wäre er nie weg gewesen.
«Mensch Martin, das war doch ein gelungener Nachmittag», reißt Erika Nabler ihren Chef aus seinen Gedanken. Nabler ist die stellvertretende Niederlassungsleiterin und seit fünf Jahren hier beschäftigt. Zuvor arbeitete sie bereits in einer anderen Filiale der Bank, ehe sie auf eigenen Wunsch nach Moosthal versetzt wurde, da sie mit ihrem Mann hier in die Nähe gezogen war und einen langen Arbeitsweg umgehen wollte. Für die ihr noch verbleibenden vier Jahre im Arbeitsleben strebt sie keinen Karriereschritt mehr an und überlässt die Filialleitung gerne ihrem Kollegen. Langenbrunner hat diese Position nach der Pensionierung von Wolfgang Läuter vor fast acht Jahren übernommen und wird diese so schnell wohl nicht mehr abgeben. Dem hochgewachsenen Niederlassungsleiter fällt es nicht schwer Sympathien zu gewinnen. Die grauen Strähnen im tiefbraunen Haar mindern seine Attraktivität keineswegs, zumal es ihm gelingt, seine sportliche Figur zu behalten. Wohl auch ein Verdienst von Ehrgeiz und Disziplin. Den Eigenschaften, die er von seinen Mitarbeiterinnen in der Bank wie auch von sich selbst einfordert. Langenbrunner nimmt seine Rolle als Chef sehr ernst. Er ist am Morgen der Erste in der Filiale und verlässt am Abend als Letzter sein Büro. Er hat an sich selbst den Anspruch, jeden Kunden zu kennen. Auch an diesem Nachmittag hat er sich wieder gekonnt in Szene gesetzt und seinen ganzen Charme spielen lassen. Nahezu jeder, der in Moosthal lebt, hat zumindest ein Konto bei der Bank. Dass dies so bleibt, ist das erklärte Ziel von Martin Langenbrunner.
Nach einer guten Stunde herrscht wieder Ordnung im Inneren der Bank, so dass morgen früh um halb neun die Kunden wieder ein geordnetes Umfeld vorfinden. Der Filialleiter hat den Zeitrahmen der Eröffnungsfeier bewusst knapp gehalten. Auch sein Vorgesetzter Peter Gessler ging eigentlich von einer ganztägigen Feier aus, doch Langenbrunner vertrat bei der Planung die Ansicht, eine zu ausgiebige Feierlichkeit schade der Seriösität eines Geldinstitutes, insbesondere in einem so kleinen Ort wie Moosthal.
Während die beiden Mitarbeiterinnen bereits in ihren Feierabend gestartet sind, sitzt Martin Langenbrunner noch an seinem Schreibtisch. Um kurz vor sechs zieht aber auch er Schal und Mantel an und schließt die Tür hinter sich.
Ein trister Herbsttag wie er im Buche steht empfängt ihn, als er die Straße betritt. Auch wenn die Sonne noch nicht untergegangen ist, ist es schon trüb und dunkel. Vom goldenen Oktober ist an diesem Dienstagabend nichts zu spüren.
Langenbrunner bringt noch zwei Briefe zur Post und nutzt dann die Gelegenheit seine Frau Paula im Blumenladen am Marktplatz abzuholen. Vor zwei Jahren hatte diese die Gelegenheit ergriffen und sich mit ihrem eigenen kleinen Blumenladen einen Traum erfüllt. Als der damalige Besitzer aus gesundheitlichen Gründen einen Nachfolger suchte, sah Paula ihre Chance gekommen. Schon zuvor hatte sie als Angestellte dort gearbeitet und so kommt es, dass der Moosthaler Blumenladen nun schon seit über drei Jahrzehnten am gleichen Ort existiert. Der Laden ist sogar etwas älter als sie selbst. Teile der Einrichtung, wie die mittlerweile altmodisch anmutende, noch mit einer Kurbel ausgestattete Registrierkasse haben bis heute Bestand.
Paula und Martin haben sich damals auf dem Ostermarkt in Moosthal kennengelernt. Sie hatte gerade erst ihre Ausbildung bei der Bürgerinfo beendet und er war kurz zuvor in seinen Heimatort zurückgekehrt, als die beiden sich erstmals begegneten. Schnell wurde aus anfänglichem Smalltalk ein tiefgründiges Gespräch, welches die beiden bei einem gemeinsamen Abendessen beim Italiener und in den Folgewochen bei jeder sich bietenden Gelegenheit fortsetzten. Die junge Frau war schwer angetan von den aufregenden Erzählungen aus der weiten Welt. Paula selbst war in einem Nachbarort von Moosthal aufgewachsen und bis auf die Familienurlaube zum Camping in Südtirol hatte sie noch nichts von der Welt gesehen. Mit Martin war alles so neu, so aufregend. Ganz anders, als ihr bisheriges Leben. Gerne wollte auch sie einmal alles hinter sich lassen. Auf einmal erschien alles so unbedeutend gegenüber dem, was sie haben könnte.
Doch wie so oft im Leben, kam es auch bei den beiden anders.
~
Rap-Man:
Mach dir nix draus, die beruhigen sich bestimmt bald wieder.
Falcon01:
Kenn ich. Meine Alten haben letztens auch voll rum genervt wegen einer blöden Note. Als wäre es ein Weltuntergang.
Biene666:
Voll Panne. Lass dich nicht unterkriegen. Zwei Wochen gehen schnell rum. Aber ich will echt nicht wissen, was die machen wenn du mal ne 5 schreibst.
Lady Lala:
Hey, danke euch allen. Ich bin immer noch voll sauer auf meine Eltern. Zum Glück sind die tagsüber nicht da. Hausarrest heißt ja nicht, dass ich die den ganzen Tag sehen muss.
Mr.Fun:
Haben die nicht letztens erst so rum gestresst?
Lady Lala:
Die meckern andauernd wegen irgendwas. Ich könnte manchmal echt kotzen.
Mr.Fun:
Da bin ich echt froh nicht mehr zur Schule zu müssen und meinen Abschluss schon zu haben.
Lady Lala:
Hast du es gut. Musst bestimmt nicht wegen jeder Kleinigkeit betteln.
Mr.Fun:
Wenn die den ganzen Tag arbeiten merken die doch eh nicht ob du deinen Hausarrest einhältst.
Lady Lala:
In so einem Kaff wie hier schon.
Mr.Fun:
Voll überwacht.
Lady Lala:
Ist echt nicht witzig! Lass uns später weiter chatten.
Lady Lala hat sich von Facecom abgemeldet.
~
«Vielleicht sollten wir ihren Hausarrest doch etwas lockern und sie am Wochenende mit ihren Freundinnen weggehen lassen», meint Paula Langenbrunner als sie sich am Freitagmorgen Joghurt unter ihr Müsli rührt.
«Nein,» entgegnet ihr Mann, der gerade dabei ist, seine Krawatte zu binden, «...wir müssen da konsequent bleiben. Wenn wir sagen vierzehn Tage dann bleibt es bei zwei Wochen und da gehört dieses Wochenende noch dazu. Das kann sie noch zum lernen nutzen. Eine 3- in Mathe. Sie ist gerade mal in der Siebten, wo soll das noch hinführen? Das Mädchen muss lernen, wie wichtig Disziplin im Leben ist», vertritt Martin Langenbrunner seinen Standpunkt.
Larissa schaltet ihren Laptop aus und greift mit einem Lächeln im Gesicht nach ihrer Schultasche. Auch heute früh hat sie noch in ihrer Community gechattet. Letzte Woche hatte sie dort ihren Frust über den Ärger daheim gepostet und viele aufmunternde Nachrichten bekommen. Auf diese Weise findet sie den Hausarrest gar nicht mehr so schlimm. Dort gibt es Leute, die sie verstehen. Leute, denen sie ihr Herz ausschütten kann und die sie ihren Ärger vergessen lassen. Ihr Profilfoto, auf welchem sie mit einer grünen Perücke vor dem Moosthaler Ortsschild posiert, hat es sogar unter die zehn beliebtesten Fotos der Woche geschafft. Und dann gibt es da noch Tobi. Diesen geheimnisvollen Typen, der jeden Tag schreibt und sich wirklich für sie interessiert. Die meisten Jungs wollen nur mit irgendwas angeben und posten Fotos von Mutproben oder Sporterlebnissen. Tobi ist da anders.
Er hat nur ganz wenige Fotos in seinem Profil, auf den meisten die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und, was Larissa am meisten gefällt, er hört einfach zu. Auch eben haben die beiden noch ein paar Nachrichten ausgetauscht und schon jetzt freut sie sich darauf, nach der Schule wieder mit ihm zu chatten.
Larissa streicht sich eine Strähne ihres kastanienbraunen Haares aus dem Gesicht und steigt die Treppen hinunter. Wie jeden Morgen hat ihre Mutter ihr bereits einen Früchtetee und Müsli zubereitet. Als sie sich gerade an den Küchentisch gesetzt hat, verabschieden sich ihre Eltern schon zur Arbeit. Gedankenverloren blickt sie ihnen durchs Fenster hinterher während sie lustlos ihr Frühstück löffelt. Ein paar Minuten später muss auch sie los.
Larissa war nun wirklich nicht das, was man als Wunschkind bezeichnet, sondern viel mehr der unerwartete Nebeneffekt einer emotionalen, intensiven und ausgelassenen Frühlingsnacht vor nun schon vierzehn Jahren. Als Paula davon erfuhr, fiel sie zunächst aus allen Wolken. Zwar war sie mit Martin zusammen und die beiden planten eine gemeinsame Zukunft, doch dachten sie damals noch an die weite Welt und nicht an Windeln wechseln und Familie gründen.
Nach dem ersten Schockmoment nahmen die beiden ihr Schicksal an. Sie waren in der glücklichen Lage, dass sie finanziell nie wirklich vor einer Herausforderung standen und auch ihre Eltern unterstützten sie nach Kräften. Auf diese Weise konnte sich Martin jederzeit voll auf seinen Job in der Bank konzentrieren. Die beiden schafften es, sich mit Disziplin und Fleiß ihre größtmögliche Freiheit zu bewahren. Diese Eigenschaften leben sie ihrer Tochter vor und fordern sie in gleichem Maße auch von ihr.
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