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10 unzusammenhängende Kurzgeschichten in diesem eBook, die den jeweiligen Protagonisten und auch den Leser in rätselhafte, geheimnisvolle Gefilde geleiten. Ein hochentwickeltes und wohlgesonnenes Energiewesen, das Fatum, outet sich gleich zu Beginn und schildert, was ihre Spezies auf den Planeten Erde geführt hat. Man erahnt seine und die Präsenz eines Pendants in jeder Lage, versucht ihre Intentionen zu verstehen und sieht auch, dass sie bei aller Überlegenheit nicht unfehlbar sind. Sie lassen sich 'Auf der Brücke' vom lebensmüden Familienvater nicht in die Karten schauen, auch nicht von den New Age-Musikern, die vom Frieden singen, jedoch in einen heftigen Unfrieden geraten. Oder vom angehenden Heilpraktiker Lennart mit seinen heilenden Händen – hat große Pläne und muss in ungewöhnlicher Lage von einem Augenblick auf den anderen eine ungewöhnliche Entscheidung treffen. Und Nathaniel lernt das Schicksal in der Gestalt seines Schulfreundes Ramon kennen, der ihn in seinem Haus, im Badezimmer, mit einem unglaublichen Phänomen konfrontiert, das infizierende Eigenschaften zu haben scheint. Und was können die Pläne eines Fatums sein, das die Welt eines alleinerziehenden Vaters auf den Kopf stellt? Der fünfjährige Gottlieb hingegen scheint mit dem guten Fatum ein Abkommen vereinbart zu haben. Das 'Böse' muss tatsächlich Vorkehrungen treffen, um sein eigenes Ziel nicht zu gefährden. Und 'ICH' beschäftige mich in meinen Erlebnissen auf meine Art mit dem Schicksal, dem Lebensende und dem, was danach kommt.
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Seitenzahl: 353
Veröffentlichungsjahr: 2025
Horst Warnatsch:
Zehn mystische Begebenheiten
… auf einer Gratwanderung zwischen
Realität und Fiktion
Was wir wissen,
Über dieses Buch
Widmung
01 – Das Spiel
I. Spieltrieb
II. Gustave vs. Beaumont
III. Fatum
02 – Auf der Brücke
03 – Lebenszeichen
04 – Ein scheinbar sinnloser Mordversuch
I. Shanti … Om …
II. Wie nah‘ schon das Ende
III. Reisevorbereitungen
IV. Das Drama am Khlong
V. Ashanti
05 – Ludington
I. Lennart Bredenbeck
II. Ankunft
III. Hingabe
IV. Salim
V. Weggabelungen
VI. Bewusstwerdung
06 – Ramons Welt
07 – Nachruf
08 – Leonia
09 – Der letzte Patient
10 – Alles wird gut
I. Gottlieb
II. Ein Kinderspiel
III. Aus kindlichem Spiel wird Ernst
IV. Erste Schuljahre
V. Im Internat
VI. Studium und Untergrund
VII. Beaumont
Über mich, etwas Vorschau und Danksagungen
Impressum
… ist ein Tropfen
was wir nicht wissen, ist ein Ozean
Isaac Newton
Zunächst einmal ein herzliches Dankeschön, dass Du Dich zum Kauf dieses E-Books entschlossen hast. Ich hoffe natürlich, dass es Dich nicht enttäuscht, denn den Anspruch, mit genialen Weisheiten aufzuwarten oder monatelang in den Bestsellerlisten zu erscheinen, erhebt es nun wirklich nicht. Es möchte Dich ganz einfach an Deiner Wohnungstür in Empfang nehmen und zu einem Spaziergang einladen, zu einem Spaziergang in den Alltag, mit all‘ seinen verborgenen Winkeln und ‚Zwischen-Räumen‘, entlang eines verschlungenen Pfades durch eine Gegend, in der ein ganz bestimmter Gegenstand, kaum beachtet, zu finden ist und darauf wartet, dass jemand innehält und ihn seiner Bestimmung zuführt. Er wiegt schwer in der Hand, der rostige alte Schlüssel, der von der Formgebung her zum knarzenden Schloss in einer hohen schwergängigen Tür aus massivem, reich verziertem Eichenholz gehören könnte: dem Eingang in eine Kathedrale. Vielleicht …
Aber … es ist vielmehr der Schlüssel zu einem globalen Wandel, und es wird nicht ganz einfach sein, ihn vom tiefreichenden Rost der Ignoranz zu befreien.
Du und ich, wir haben es etwas einfacher, wir geben ihm das Erscheinungsbild, das ihm gebührt – in unserer Fantasie. Und wenn wir sie unseren Alltag interpretieren, mitgestalten, er-leben lassen, ist einem der Blick in den Zwischen-Raum nicht mehr verwehrt.
So, wie durch wahrhaftige Alltagssituationen die nachfolgenden Begebenheiten herangewachsen sind.
Mit dem Studium verschiedener glaubwürdiger Erfahrungsberichte habe ich mich zusätzlich über den Stand grenzwissenschaftlicher Erkenntnisse kundig gemacht, sie entweder eingeflochten oder zum Thema werden lassen. Es sind daraus Geschichten geworden, die eines gemeinsam haben: sie sind durch schicksalhafte Fügungen geprägt, wobei die erste (‚Das Spiel‘) und die letzte (‚Alles wird gut‘) unbedingt miteinander verknüpft sind.
Zwischendurch taucht das Schicksal aber auch immer mal wieder persönlich auf und schleicht sich hinein in unsere Gedankengänge …
Dieses E-Book ist
all meinen lieben Seelenverwandten
in Nah und Fern gewidmet,
auch jenen,
die bereits weitergezogen sind.
Hey! Nicht gleich wieder ausschalten, bitte! Könnt‘ ich mich mal – für ein paar Augenblicke nur – Deiner ungeteilten Aufmerksamkeit erfreuen? Ich meine, es ist nun höchste Zeit, mich zu erkennen zu geben, und irgendwie muss ich Dir das ganze Dilemma dann ja auch noch verständlich machen. Ich denke, am besten rücke ich hier und jetzt und in ganz einfachen Formulierungen mit der Sprache heraus. Es wäre ein Akt der Fairness, wenn schon unsere Moralvorstellungen ganz anderen Maßstäben unterliegen und mit den euren nicht immer kongruent sind.
Meinesgleichen gehen bereits seit Jahrmillionen – der Zeitrechnung, wie sie Dir geläufig ist – mit ungebrochener Faszination in einem Spiel auf, das genau unserem Niveau, unserer Vorstellung von Vergnüglichkeit entspricht. Eure Begeisterung wird sich wahrscheinlich eher in Grenzen halten, denn gerade Du und Deine zweibeinigen Artgenossen seid es, die nach unserem Zeitbegriff unlängst in den Mittelpunkt dieses Spiels gerückt sind.
Tja … und nun sitzt Du da und wunderst Dich wahrscheinlich, wieso ich so herablassend mit Dir kommuniziere. Ich habe allen Grund dazu, denn Du hältst Deinen E-Book-Reader in den Händen, liest diese Worte, gehst aber genau genommen von dem Irrglauben aus, mit dem Spiel vielleicht einen eurer künftigen Spielabende aufpeppen zu können.
Weit gefehlt, ihr Lieben!
Du und Deine Artgenossen … ihr seid meine Spielfiguren. Entschuldige bitte, aber es ist so. Du kannst Dich nicht einmal dagegen wehren. Vielleicht ergeben sich glückliche Umstände für Dich, vielleicht aber auch nicht. Jedenfalls … ich versuche ein ernsthafter und vorausschauender Spieler zu sein, was im günstigsten Fall sogar dazu führen kann, dass Du eine Glückssträhne hast oder Deine Spezies einen Entwicklungsschub erfährt. Mein Gegenspieler hat dabei jedoch widerstreitende Intentionen. Das macht die Angelegenheit ungeheuer spannend, aber auch schwierig zu kontrollieren und kann dazu führen, dass das Spiel kurz- oder mittelfristig einen ganz anderen Verlauf nimmt. Einen sehr bösen, wohlgemerkt!
*
Du möchtest wissen, mit wem Du es zu tun hast. Genau … mit einem Namen könntest Du besser umgehen. Das habe ich mir beinahe so gedacht. Obwohl … ein Name ist ja eigentlich nichts anderes, als würde man einem Lebewesen eine Plakette mit entsprechenden Symbolen ans Ohr tackern. Ich bin eine Milliarde von Jahren darüber hinaus, mich mit so etwas Profanem zu umgeben.
Mein Gegenspieler und ich zeichnen uns durch unsere Energiesignatur aus. Sie gleicht – euer Auffassungsvermögen in Relation gesetzt – einem komplexen zehntausendstelligen Code. Ich und meinesgleichen haben alle einen individuellen Code, und sobald ich die Energie meines Gegenübers wahrnehme, bestehen keine Zweifel mehr.
Vielleicht ahnst Du schon, dass wir körperlose Wesen sind. Somit kannst Du Dir sicher vorstellen, was für eine ungewohnte Situation es für mich ist, Dir alles in einigermaßen verständlichen Worten nahezubringen … überhaupt so etwas wie eine Sprache zu verwenden!
Aber ich sehe schon, ich kann Dich nicht dafür gewinnen, mich mit meiner Energiesignatur anzusprechen. Klar, der Code besteht natürlich nicht aus Zahlen und Buchstaben und ist auch nicht in solche wandelbar. Das, was die Signatur ausmacht, liegt weit jenseits Deines Vorstellungsvermögens und ist auf die 'Vergeistlichung' allen intelligenten Lebens im Universum anwendbar.
Um es Dir einfach zu machen, nehme ich für die Dauer unseres Spiels einen irdischen Namen an. Weil ich den Klang der französischen Sprache so mag … wie wäre es mit Gustave. Dann erkennst Du am Anfangsbuchstaben, dass ich der 'Gute' bin. Nennen wir meinen Widersacher Beaumont, obwohl er einen so schönen Namen eigentlich gar nicht verdient hat.
So … und nun weißt Du schon in etwa, woran Du bist …
*
Das Universum – eine gewaltige Kathedrale. Mit diesem Begriff könnte man das Wunderbare, das unübertrefflich Geniale, das Geheimnisvolle des gesamten Weltalls in irdischen Worten am besten bezeichnen. Doch damit werden wir dieser Schöpfung nicht einmal annähernd gerecht. Und Du und Deine Artgenossen … wie Einzeller in Erdhöhlen, die sich in den Ritzen der Steinfliesen auf dem Fußboden auftun. Und das ist noch über die Maßen positiv betrachtet. Euer Entwicklungsstand rangiert nun mal auf dieser Stufe. Uns hingegen haben sich die Geheimnisse des Universums längst erschlossen. Wir kennen die Zusammenhänge genau, wissen, was vorher war und was sein wird, nur … wir geben dieses Wissen natürlich nicht weiter.
Zugegeben … eure Astrophysiker haben sich schon viele ernsthafte Gedanken gemacht und abenteuerliche Theorien aufgestellt, haben dabei nur nicht die geringste Ahnung, wie weit sie von der Realität entfernt sind! Das wiederum ist darin begründet, dass ihr das umfassende und vielschichtige Prinzip der Ursächlichkeit noch lange nicht begriffen habt. Unser Spiel ist in diesem Zusammenhang von einiger Bedeutung, aber davon bekommt ihr überhaupt nichts mit. Euch kommt alles so vor wie der ganz normale Wahnsinn.
Leider muss ich eingestehen, dass Beaumont in vielen Regionen Deiner Welt die besseren Karten in der Hand hält. Noch. Inzwischen bemüh‘ ich mich darum, einen oder zwei Mitspieler zu finden, die meiner Taktik vertrauen und mir eine Hilfe sind. Ich befürchte nur, dass sich am Ende zu viele meinesgleichen beteiligen wollen; in solchen Fällen können – sogar im Guten – schon mal erhebliche Interessenkonflikte entstehen, die dann auf vernünftige Weise gelöst werden müssen. Seit ich eure Welt als Spielwiese entdeckt habe, sind jedoch erst knapp fünfzehnhundert Jahre eurer Zeitrechnung vergangen, insofern brauchen wir uns vermutlich noch keine Sorgen zu machen.
Übrigens ist es nicht so, dass wir besonders wählerisch mit unseren Spielfiguren sind. Die mit großem Namen erfreuen sich zwar größerer Beliebtheit, aber es ist unserem Selbstbewusstsein viel zuträglicher, eine unscheinbar kleine Figur zu etwas Besonderem zu machen, im positiven, wie leider auch im negativen Sinne.
Beaumont hat sehr vielen Deiner Artgenossen negatives Gedankengut – ich sage mal: schmackhaft gemacht, sodass ich mich schon gefragt habe, wie weit her es mit seiner Erleuchtung ist. Weißt Du, was er – natürlich nicht mit Worten, sondern seiner Gedankenenergie – geantwortet hat?
„Gewalt und Leid sollten für die vielen vernunftorientierten Zweibeiner ein Alarmsignal sein, endlich darüber nachzudenken, wie so eine Entwicklung zustande kommen kann. Du weißt, es gibt einen einzigen großen Grund und, dazu passend, einen Weg, dem ganzen Dilemma entgegenzuwirken. Und der wird nicht einmal als ein Geheimnis gehandelt."
„Selbstverständlich", habe ich ihm gedanklich bestätigt, doch bei aller Klarheit weiß ich auch, dass ich niemanden finden werde, der die Voraussetzungen mitbringt, einen so umfassenden Wandel zu initiieren. Zumindest ist es mir bis jetzt nicht gelungen.
Denn das ist ja der eigentliche Spielgedanke:
Jedem Spieler steht für sein jeweiliges Ziel die gesamte Menschheit zur Verfügung. Er muss den oder die Richtigen unter den vielen Zweibeinern entdecken und für sie Begegnungen herbeiführen und Situationen schaffen, welche die Spielfiguren in seinem Sinne beeinflussen.
Je nachdem, um was für einen Gedanken es in der Spielsituation, dem Handlungsstrang geht, kann jeder von uns schon mal mit einigen tausend Zweibeinern gleichzeitig zu tun haben. In kleinen Aufgabenstellungen sind es weniger, vielleicht zehn, zwanzig, maximal hundert.
In puncto Referenzen stehen Beaumont und ich uns in nichts nach. Wir haben beide schon einige Erfolge aufzuweisen. Leider habe ich nicht für möglich gehalten, wie hinterhältig Beaumont in seinem Denken sein kann und mit welcher Zielstrebigkeit, nein, mit welchem Spürsinn er geisteskranke Charaktere zu entdecken und zu beeinflussen vermag! Das ist ganz besonders in eurem Zweiten Weltkrieg deutlich geworden. Am Ende habe ich ihn mit meinen Spielfiguren zwar gewonnen, aber unter welch horrenden Verlusten! Und ich muss mir negativ ankreiden lassen, dass es mir nicht gelungen ist, die Zweibeiner jüdischen Glaubens zu retten. Ich habe ungezählte Beeinflussungen versucht, aber die Verblendung der gegnerischen Spielfiguren war so umfassend und durchdringend, dass einfach nicht dagegen anzukommen war.
Ein Wermutstropfen ist außerdem, dass ich den Einsatz der Atombomben nicht verhindern konnte. Vielleicht erinnerst auch Du Dich: Es waren einfach zu viele Physiker, die sich zur gleichen Zeit mit der Kernspaltung beschäftigten und zu viele, auch namhafte Leute, die den Bau der Atombombe befürworteten. Dabei hielt ich mich immer für außerordentlich vorausschauend, doch bei dieser Aufgabe gab es einfach zu viele Faktoren zu bedenken, die in dieser Zahl überhaupt nicht mehr zu kontrollieren waren. Schade, eine zeitliche Verzögerung wäre vielleicht schon ausreichend gewesen. Du siehst: Auch wir sind nicht unfehlbar, müssen immer neue Erfahrungen speichern.
Auch mit dem kleinen, aber ausgedehnten Machthaber in eurem Staate Nordkorea spielt er liebend gern. Beaumont hat mir die Gesamtbevölkerung des Landes und fünfundsiebzig Prozent der militärischen Streitkräfte als Spielfiguren überlassen, und trotzdem – keine Chance! Absolut keine Chance, ihn zu entmachten, auch dann nicht, wenn ich einen von zehn Jokern zöge, die mir ein eigenes Eingreifen ermöglichen würden. Sie alle so sehr von Angst durchdrungen, dass ich mit positiver Beeinflussung gar nicht an sie herankomme.
Nun hat Beaumont den Islamischen Staat konstruiert. Aber … (hätte ich, so wie Du, einen Kopf, dann würde ich ihn jetzt schwer enttäuscht hin und her drehen) … so viel Niedertracht hätte ich ihm nun wirklich nicht zugetraut. Viel schlimmer: Ich habe bisher kein adäquates Mittel gefunden, diese Epidemie zu ersticken. Die Terroristen zu bekämpfen, sie zu vertreiben und zu dezimieren, auf diese Idee sind die Zweibeiner von allein gekommen, da habe ich keinen Einfluss ausgeübt. Aber die Verbreitung über weite Teile der Welt zu verhindern, sie einzudämmen, die Infizierten aus der Anonymität zu reißen, habe ich bisher einfach nicht fertiggebracht. Das läuft bestimmt auf eine weitere Niederlage hinaus.
Allerdings spielen wir an vielen Schauplätzen. Auch an kleinen, weniger aufwändigen. Und wir haben jede Menge Spaß dabei. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie viel Fingerspitzengefühls es bedarf, auffällige Ereignisse zu gestalten, damit ihr Zweibeiner endlich aus eurer Lethargie erwacht und bemerkt: Auf eurer Welt und im Universum gibt es noch ganz viel andere und richtig sensationelle Dinge.
Denn wem sind eigentlich die seltsamen Parallelen aufgefallen, die sich um die US-amerikanischen Präsidenten Lincoln und Kennedy ranken. Kein Lehrer geht im Geschichtsunterricht darauf ein. Wahrscheinlich deswegen nicht, weil die Parallelen fehlerhaft ausgefallen sind und bei der Mystifizierung kaschiert wurden.
Jedenfalls sind es tatsächlich unsere Spielleidenschaft und Geschicklichkeit, Ereignisse beinahe punktgenau zu bewirken, selbst wenn sie eine geraume Zeit auseinanderliegen. Aber Zeit ist für uns eine ganz andere Dimension. Wir sind, wie wir auch waren und sein werden.
Um auf die Präsidenten zurückzukommen:
Beaumont und ich sind in diesem Fall zu einem ganz besonderen, ja, wegweisenden Duell angetreten. Die Inszenierung von Attentaten auf zwei US-amerikanische Präsidenten, die in einem zeitlichen Abstand von etwa einhundert Jahren aktiv waren.
Du fragst Dich, was meine Spielleidenschaft mit gutem Geschick zu tun haben kann, wenn wir ihr zwei hochrangige Politiker zum Opfer fallen lassen?
Ganz einfach: Wir haben feststellen müssen, dass es die Amerikaner mit der Auswahl ihrer Präsidenten nicht so genau nehmen; auch künftig nicht. In der Form etwa, wie sie es zu Beginn der Besiedlung mit den Menschenrechten nicht so genau genommen haben. Wen schmerzen da zwei Präsidenten?
In unserem Duell galt es folgende Aufgaben zu erfüllen: Das eine oder andere Ereignis sollte – damals, wie auch hundert Jahre später – gleichartigen Kriterien unterliegen, und die Geburtstage mancher beteiligten Zweibeiner sollten, auf das Jahr genau, um einhundert Jahre differieren. Wobei Beaumont und ich uns zusätzlich das Spiel gegenseitig erschweren konnten. Kannst Du Dir auch nur im Entferntesten vorstellen, welcher Strategie es bedarf, um bei solchen Vorgaben erfolgreich zu sein?
Zu bewirken, dass Abraham Lincoln 1846 und John F. Kennedy 1946 in den Kongress gewählt wurden? … und später Lincoln 1860 und Kennedy 1960 zum Präsidenten? In keinem Geschichtsbuch steht geschrieben, dass Kennedys Sekretärin Evelyn Lincoln hieß und Janet Kennedy die von Lincoln hätte sein können, hätte sie nur nicht verraten, dass sie – wie sagt ihr Zweibeiner dazu? – dass sie trächtig ist. Die Schrift vom Arbeitsvertrag war schon trocken, da sagt sie es.
Und was war mit den beiden Politikern? Sie beschäftigten sich beide bevorzugt mit bürgerlichen Rechten und wurden von Südstaatlern namens Johnson zum Erfolg geführt. Andrew Johnson, der Lincoln zum Erfolg führte, wurde 1808 geboren, Lyndon Johnson, der Kennedy zum Erfolg führte, wurde 1908 geboren.
Dazu eben die tragischen Begebenheiten, die mit diesen beiden Staatsmännern verknüpft sind. Leider seid ihr Zweibeiner in eurer Welt schon viel zu sehr an solche Dinge gewöhnt, sodass ihr diese Feinheiten leicht überseht. Das gilt für Ereignisse im Kleinen wie auch im Großen.
Beide Präsidenten wurden beispielsweise an einem Freitag eliminiert – von Südstaatlern, durch einen Kopfschuss. Lee Harvey Oswald, der Mörder Kennedys, wurde 1939 geboren. John Wilkes Booth, 1838 geboren, war als Attentäter gar nicht eingeplant. Mit ihm hat Beaumont mir den Schneid abgekauft. ‚Mein‘ Jesse Lee Parrish, ein leidenschaftlicher Verfechter der Sklaverei, besaß eine Karte für die Aufführung im Ford’s Theater, sowie einen geladenen Revolver, verspätete sich jedoch aus Gründen, die niemanden interessierten. Ich hatte natürlich eine Vermutung. Längst herrschte um das Theater herum das totale Chaos. So blieb Parrish, der Lincoln töten wollte, unerkannt. Sein Geburtsjahr war – Du wirst es Dir denken können – 1839!
Die vollständigen Namen der beiden Täter – auch der von Parrish übrigens – bestehen aus 15 Buchstaben … nur mal so am Rande erwähnt, aber eben doch eine Tatsache, wofür Beaumont und ich tief in die Trickkiste greifen mussten. Auch dass Lincoln in einem Theater namens 'Ford' und Kennedy in einem Auto, einem zum Ford-Konzern gehörenden 'Lincoln', zu Tode kamen, … soll einem erst mal gelingen!
Booth und Oswald wurden übrigens beide noch vor ihrer Verurteilung ermordet. Das zu initiieren, war Beaumonts Idee.
Wie Du siehst, er und ich haben unsere Spielfiguren so beeinflussen können, dass wir beide, mit einigen Minuspunkten, unser Ziel erreichten. Remis, sozusagen.
Einer Gruppe von euch Menschenkindern fielen die Parallelen immerhin ins Auge, und wo es nicht ganz passte, wurde es passend gemacht. Dem Mystifizieren haben sie keinen guten Dienst erwiesen und waren trotzdem ganz nah‘ dran!
Damit aber bei all unserer Rivalität, bei aller Hinterlist das Vergnügen nicht zu kurz kommt, hatte ich, die beiden Präsidenten betreffend, noch einen Einfall, der Beaumont und mir eine Menge Inspiration abverlangte. Das Resultat liest sich dann folgendermaßen:
‚Eine Woche bevor Lincoln erschossen wurde, hielt er sich in Monroe, Maryland auf – eine Woche bevor Kennedy erschossen wurde, war er bei Marilyn Monroe zu Besuch.‘
Und nun kommst Du …!
Sag ehrlich, woran hast Du gerade gedacht? Ich weiß, Du würdest liebend gern wissen wollen, warum wir uns eigentlich in so infantilen Spielideen verlieren, anstatt die grässlichen Attentate gar nicht geschehen zu lassen? Warum also erst den Präsidenten ein ähnliches Profil und ähnliches Umfeld verleihen und Attentäter mit ähnlichem Profil und Verhaltensmuster in den Fokus bekommen, die sensibel für die von uns erschaffenen äußeren Gegebenheiten sind, um diese kuriose Über-Kreuz-Historie entstehen zu lassen.
Diese Kritik ist natürlich berechtigt, doch in dem Fall waren uns die Hände gebunden. Die Anschläge sollten geschehen. Sie waren eine übergeordnete Obliegenheit. Hätten wir versagt, wäre es in ferner Zukunft zu viel tragischeren Ereignissen mit einer hohen Zahl an Menschenopfern gekommen.
Doch lass mich lieber von etwas anderem reden.
Weißt Du eigentlich, in was für einem wunderschönen Sonnensystem ihr zu Hause seid! Beaumont und ich geistern schon eine ganze Weile bei euch durch das Vakuum und lassen uns von den Sonnenwinden tragen, nähren uns an dem, was ihr 'Dunkle Energie' nennt, dehnen uns nach Lust und Laune zu den Planeten aus und müssen immer wieder feststellen, dass jeder einzelne, auch seine Monde, etwas Besonderes ist. Kannst Du Dir vorstellen, dass es bei aller Unendlichkeit des Universums nirgends eine identische Entwicklung gegeben hat, ähnlich wie auch die Fingerabdrücke bei euch Zweibeinern niemals übereinstimmend sind. Was die Dimensionen anbelangt, hinkt dieser Vergleich natürlich etwas. Okay … und Zweibeiner, Humanoide, gibt es anderswo auch. Aber wegen unterschiedlicher Umweltbedingungen sind sie immer voneinander abweichend gestaltet und wohnen so weit von euch entfernt, dass ihr so schnell nicht von ihnen erfahren werdet.
Auf unserer Reise ist uns schon von weitem euer Blauer Planet aufgefallen. Die Konstellation in eurem Sonnensystem war supergünstig, sodass wir uns sicher waren: In dieser Welt werden wir auf intelligentes Leben treffen, welches die erste Entwicklungsstufe bereits erklommen hat. Und wir haben uns wirklich nicht getäuscht. Kann natürlich sein, dass schon viele unseresgleichen vor uns da waren und eure geistige Entwicklung durch bestimmte Spielzüge angestoßen haben. Aber wenn sie Interesse an euch gehabt hätten, wären sie wahrscheinlich geblieben.
Nur dass Du's weißt: Genau genommen unterscheiden wir uns nicht in 'gut' und 'böse'. Die bösen Charakterzüge habt ihr selbst hervorgebracht, was ja inzwischen so weit gediehen ist, dass ihr euch gegenseitig dezimiert und euren Lebensraum zerstört. Und nicht nur den Lebensraum … eure ganze Welt könnte bei eurer Lebensart vor die Hunde gehen.
Wir kommen nur und schließen uns mit unserem Spiel der guten oder bösen Partei an, setzen uns Ziele und schauen zu, dass nebenbei vielleicht etwas Positives für euch abspringt. So rein 'zufällig'. Wir können bei sieben Milliarden Menschen letztlich nicht überall spielen; aber es ist erwiesen: Ereignisse im Kleinen wie im Großen haben ihre Außenwirkung und können sich – und das natürlich auf jeder kosmischen Frequenz – wie bei einem Domino-Effekt, über euren gesamten Globus ausbreiten.
Unser Spiel hat übrigens auch eine wohldurchdachte Bezeichnung. Genauer gesagt bilden sich Inhalt und Bedeutung bei uns auf gedanklicher Ebene heraus. Ihr braucht natürlich einen Namen, den man lesen und aussprechen kann.
Für euch haben wir das Spiel ganz einfach 'Fatum' benannt. Ein Wort aus eurer alten lateinischen Sprache. Ins Deutsche übersetzt heißt es 'Schicksal'.
*
So, mein lieber Zweibeiner, jetzt bist Du informiert. Jetzt kannst Du Dir einige Gedanken über diese Eröffnung machen und wieso sie gerade auf Deinem E-Book erscheint. Ich kann ja nicht vorhersehen, wann Du dieser Worte ansichtig wirst, ob nachmittags im gemütlichen Sessel mit einer dampfenden Tasse Bohnenkaffee neben Dir, spät abends in Deinem Bett, kurz vor dem Einschlafen oder um Dir die Langeweile während einer Bahnfahrt zu vertreiben. Denk nur immer daran, wenn Du aus dem Haus gehst oder unter Menschen bist: Achte auf jedes kleine oder große Ereignis, das Dir widerfährt oder jeden Menschen, dem Du begegnest; es könnte eine bestimmte Bedeutung dahinterstehen. Denn wie schon eingangs erwähnt, bist auch Du zu meiner Spielfigur geworden. Und da Du zu mir gehörst – zu Gustave! – kannst Du ziemlich sicher sein, dass ich Großes mit Dir vorhabe.
Da war seine Welt noch in Ordnung gewesen. Der kleine Florian auf den Armen von Tante Else. Pausbackig und ein herzerweichend zufriedenes Lächeln im Gesicht. Steckt in einem weißen, wollenen Strampelanzug, und den unbehaarten Kopf wärmt eine weiße Strickmütze mit einem lustigen Bommel. Eine der vielen Kindheitserinnerungen, noch in schwarz-weiß.
Jetzt ist sein Kopf, bis auf einen dünnen Haarkranz, genauso kahl. Gegen den eisigen Wind und den feinen Sprühregen schützt ihn die Kapuze seiner dunkelblauen Daunenjacke. Gegen die Dunkelheit und die Trostlosigkeit schützt den 55jährigen Florian Schmidt nichts.
Tränen rannen ihm vor ein paar Stunden angesichts dieser Fotografien über die Wangen, weil er sich vorstellte, dass dieses winzige, unschuldige Wesen ein ganzes Leben vor sich hat, mit so unendlich vielen Möglichkeiten. In dem babyhaften Kopf nicht die geringste Vorstellung davon, dass sein Leben auch einen ganz unerwarteten … und … tragischen Verlauf nehmen könnte! Blätterte er sich weiter durch die Vergangenheit, entdeckte er so viele Bilder aus glücklichen Kindheitstagen! Wie bemüht seine Eltern gewesen waren, ihm nur schöne Erinnerungen mit auf den Weg zu geben. In die Berge, an die Nord- und Ostsee, sogar ins Ausland, nach Dänemark, Österreich und Holland waren sie mit ihm gefahren, obwohl ihre finanzielle Lage nicht gerade rosig gewesen war. Erst recht in Hamburg und im Umland hatten sie viel unternommen. Die Fotos von den Bootstouren durch die Alsterkanäle und über Außen- und Binnenalster, vom Besuch des Tierparks – sie gestatteten einen tiefen Einblick. Geburtstage und Weihnachtsfeste waren lückenlos dokumentiert.
Wie sehr hatte Florian sich im Heranwachsendenalter gewünscht, eine Familie zu gründen, Kinder großzuziehen und ihnen ebenso viel Erfahrungen, Glückseligkeit und Geborgenheit zu vermitteln.
Stattdessen hatte sein Leben einen ganz anderen Verlauf genommen, und das Schlimme daran war, dass er glaubte, eine Chance, Einfluss zu nehmen, hätte das Schicksal gar nicht vorgesehen.
Es schien nun mal unabänderlich zu sein, dass sich seine Beziehung zum weiblichen Geschlecht als absolut gestört abzeichnete. Vor diesem Hintergrund verlor er sich in Enttäuschung und Resignation und am Ende nun sogar im Wissen um die Ausweglosigkeit.
Er hat willentlich den letzten Bus genommen, damit es kein Zurück mehr gibt. Und auch der November passt gut. Totensonntag, Volkstrauertag – die letzten Stunden nur tiefhängende, regenschwere Wolken, die den Tag verdunkelten und die Nacht in einen Albtraum verwandeln. Die Menschen, in der Stadt vorhin, in dicke Winterkleidung gehüllt, mit verschlossenen, missmutigen Gesichtern unter grauen Regenschirmen.
Florians Gesicht strahlt immerhin phasenweise heitere Gelassenheit aus. Schwarz-grau meliert der inselhafte Drei-Tage-Bart in einem hellen runden Gesicht. Dazu tiefe Sorgenfalten, Schlupflider und abstehende Ohren. Seine dunklen Augen liegen im Schatten der Kapuze, als er sich im schwachen Licht der Bushaltestelle zu orientieren versucht.
Die Hafenregion – um diese Zeit menschenleer. Hundert Meter weiter das Hauptzollamt mit den Abfertigungsspuren für LKW – ebenfalls verwaist. Aber wenigstens brennt Licht in dem Gebäude. Ein Zeichen von einem kleinen bisschen Wohlbehagen … in unerreichbarer Ferne. Ab und zu wird er ein Auto gewahr, das von der Köhlbrandbrücke herunterkommt oder hinauffährt. Auch ein Anhaltspunkt, dass die Welt noch nicht ausgestorben ist. Zumindest günstige Voraussetzungen, dass er seinen Weg unbemerkt fortsetzen kann. Die Autofahrer werden in dem durch das Scheinwerferlicht treibenden Regenschleier auf die Fahrbahn konzentriert sein und kaum auf die dunkle Gestalt auf dem schmalen Fußweg daneben achtgeben.
Der Fahrzeugverkehr auf der Autobahn, das weiße und rote lückenhafte Lichterband, interessieren ihn nicht. Die Fernstraße und das permanente Motorensummen sind für ihn eine ebenso fremde Welt, wie auch die ausgedehnten Hafenanlagen, die teils im Hellen und teils im Dunkeln liegen, je nachdem, wo noch in aller Eile Container verladen werden müssen. Florian denkt nur an den Weg, den er noch vor sich hat: die kurvige Zufahrt, halb unter der Autobahn hindurch und dann in einem langgezogenen Bogen zur Brücke hinauf. Zum Greifen nah war sie ihm bisher nur selten – beim Vorbeifahren zu seiner Großmutter nach Wilhelmsburg: hoch aufragende Pfeiler, welche die Fahrbahn wie altmodische Wäscheklammern zwischen sich halten, aber auch die gewaltigen Stahlseile, die dort beidseitig gespannt sind! Das Bauwerk nötigte ihm immer höchste Bewunderung ab. Dass es Menschen gab, die sich von dort in den sicheren Tod hinunterstürzten, war für ihn damals unvorstellbar. Heute zog es ihn zu ihr, weil sie das Fortgehen tatsächlich zu etwas Besonderem macht. Dort, wo er jetzt steht, ist sie noch halb verdeckt, verlieren sich die in Scheinwerferlicht getauchten ‚Wäscheklammern‘ zwischen erleuchteten Verladekränen und den nahen Straßenlaternen.
Nicht mehr lange. Dort vorn befindet sich die Abzweigung. Ein paar Autos fahren in die Richtung und ein paar kommen von dort. Diesem Weg muss er folgen, eine Abkürzung gibt es nicht. Hinweisschilder untersagen es Fußgängern, die Köhlbrandbrücke zu überqueren. Doch Florian weiß, dass neben der Fahrbahn, durch ein Gitter abgetrennt, ein schmaler Streifen bis zum Brückengeländer Platz genug bietet, um dort entlangzulaufen. Er weiß auch, dass ihn von dort, wo er jetzt zitternd und schaudernd hingelangt ist, noch rund zwei Kilometer von der Brückenmitte trennen. Mit seinen steif gefrorenen Gliedmaßen würde er für diese Strecke eine ganze Weile brauchen. Eine Zeitspanne, die ihm sicher alle Stationen seines verpfuschten irdischen Daseins ein weiteres Mal durchleben und ihn in seinem Vorhaben bekräftigen – oder … vielleicht auch … zur Besinnung kommen lassen würde.
Eher bekräftigen! Wenn er über die letzten Minuten in seiner Wohnung in der Lenzsiedlung nachdenkt, in denen er noch einmal mit seinen Söhnen, Henry und Kai-Uwe, flüchtigen Kontakt hatte. Dass er die Wohnung kurz vor dem Dunkelwerden verließ, interessierte sie gar nicht.
„Kannst du mir 'n Sixpack mitbringen?“, hat Henry ihn nur gefragt.
„Dich stört doch sicher nicht, wenn nachher ein paar Freunde zu Besuch kommen …?“, hatte Kai-Uwe angekündigt. Der Gedanke an diese Meetings verursachten Florian von jeher Übelkeit. Seine 4-Zimmer-Wohnung fest in der Hand eines unberechenbaren Pöbels, der beim Zigarettenkonsum, in der Lautstärke und der Art, wie sie die Wohnräume in Beschlag nehmen, keine Gnade kennen.
Das Sixpack würde Henry mit seinem Kumpel, der vermutlich eine Flasche Wodka beisteuert, im Sturztrunk leeren. Für Florian ist dann stets nur die Flucht ins eheliche Schlafzimmer geblieben, in dem er während Helgas stationärer Psychotherapie zumindest etwas Abgeschiedenheit fand. Doch auch dieses Refugium ist längst keines mehr – wenn er an neulich denkt!
Florian hat auf die Wünsche seiner Söhne nichts geantwortet und wortlos die Wohnung verlassen. Hatte sich beim Griechen, zwei Straßen weiter, eine Gyrosplatte gegönnt und schon die Minuten seiner Henkersmahlzeit dazu genutzt, über seine Schritte nachzudenken. Weit war er nicht gekommen, weil sich Tarasios jeden freien Moment zu ihm gesellte und einen Ouzo einschenkte.
Zeit zum Nachdenken würde er also auf dem Weg zur Brückenmitte finden, während ihm der eisige Wind und der feine Nieselregen um die Ohren wehen. Florian zieht am Zugband seiner Kapuze, bis sie eng an seinem Kopf anliegt. Ein kleiner Moment der Geborgenheit in einer grässlichen, feindseligen, übermächtigen Welt.
Er stakst steifbeinig am Rande der Straße entlang und erinnert sich an die Zeit nach seinem Realschulabschluss. Er hatte sich bei den Hamburger Verkehrsbetrieben beworben, um U-Bahn-Fahrer zu werden. Für diese Bewerbung brachte er die besten Voraussetzungen mit: einen guten Schulabschluss und … er kannte seit seinem achten Lebensjahr sämtliche Stationen des U-Bahn-Netzes in- und auswendig. Als Kind hatte er abends bäuchlings im Bett gelegen und war bevorzugt die Strecke der U1 zwischen Ochsenzoll und Groß Hansdorf abgefahren. Zu seiner großen Freude gab es dort viele Abschnitte, wo man gut auf Geschwindigkeit kommen konnte! Meistens führte dies dazu, dass er zwischen den Stationen zwei, drei Minuten herausholte und überpünktlich eintraf. Die Fahrgäste, besonders die Mädchen, dankten es ihm mit einem lieben Lächeln.
Sein Einstieg ins wahre Berufsleben wurde dann leider von einem Vorfall überschattet, der seinen weiteren Lebensweg negativ prägen sollte. Negativ deswegen, weil er mit der Geschichte sein gestörtes Verhältnis zum weiblichen Geschlecht in aller Deutlichkeit offenlegte. Das brachte ihm nachhaltig Unsicherheit im gesellschaftlichen Zusammenleben ein, von der er sich kaum mehr befreien konnte.
Er war achtzehn Jahre alt, als die Schwester seiner Mutter, Tante Waltraud, und seine Cousine Svenja aus Hannover zu Besuch kamen. Svenja war erst 12 Jahre alt, hatte aber bemerkenswerte Reize, ein niedliches Gesicht und die Angewohnheit, bedingungslos darauf zu hören, was Erwachsene ihr sagen. An jenem Sonntagnachmittag, nach dem Kaffeetrinken, gingen seine Eltern und Tante Waltraud spazieren. Ihm war es gelungen, unter einem Vorwand zu Hause zu bleiben und Svenja zu einer Partie Scrabble zu überreden. In einem geeigneten Augenblick (er konnte das Wort ‚LEIB‘ anlegen und wandelte dies rasch in ‚LIEB‘ um) hatte er sie beiläufig gefragt, ob sie eigentlich schon wüsste, wie es ist, wenn sich ein Junge und ein Mädchen liebhaben. Florian war wie von Sinnen gewesen, als er ihre unschuldig lachenden blauen Augen, das zarte Gesicht, das mittelblonde, zu einem üppigen Pferdeschwanz gebändigte Haar betrachtete, das er vorher schon einmal wie zufällig berührt hatte.
„Wenn ein Junge ein bezauberndes Mädchen vor sich hat, das er einfach toll findet – weißt du, was dann passiert?“ Er hinterfragte dies noch etwas genauer, als Svenja nach seinem ersten Vorstoß unsicher wurde.
Florian hört seine Stimme von damals immer noch überdeutlich, so als könnten ihr die 36 Jahre, die vergangen waren, nichts an Eindringlichkeit nehmen.
„Was meinst du, Florian?“ Sie schaute ihn halb ängstlich, halb neugierig an.
Seine Schritte durch die nasskalte Dunkelheit werden langsamer. Er sieht sie noch deutlich vor sich, wie sie auf seinem Schreibtisch saß – in ihrem dunkelblauen weiten Sommerkleid mit den pink und weiß melierten Nelken – und sich seitlich abstürzte.
„Du weißt ja, dass Männer untenrum anders aussehen als Mädchen.“
„Als ‚Frauen‘ … ja, natürlich weiß ich das!“
„Aber ich wette, du hast noch nicht gesehen, was mit dem … Penis … passiert, wenn der Mann das Mädchen erregend reizend findet.“
„In der Schule haben wir das im Aufklärungsunterricht durchgenommen. Also … als Zeichnung hab‘ ich das schon gesehen.“
„Aber noch nicht in Wirklichkeit.“
Svenja war noch immer unsicher. „Nein“, hatte sie eingestanden.
Florian war davon überzeugt gewesen, dass Svenja trotzdem wissbegierig wirkte.
„Hab‘ keine Angst, Kleines, ich zeig‘ dir’s mal.“
Er hatte seinen Penis herausgeholt und vorgeführt und sogar erreicht, dass Svenja ihn berührt – was bei seinem kleinen Freund natürlich postwendend Veränderungen hervorrief.
Irgendwie musste das später herausgekommen sein, weil die Besuche von Tante Waltraud ausblieben und er zum Psychotherapeuten musste.
Wie er nur auf eine so törichte Idee kommen konnte! Denkt er heute darüber nach, wollte er am liebsten im Erdboden versinken – sogar hier und jetzt würde er es wollen, wo der Boden hart gefroren, nass und schmutzig ist! Und dass er jetzt durch Regen und Dunkelheit unterwegs ist und die Tristesse der Hafenanlagen über ihn hereinbricht, so geschieht es ihm nur recht! Eine selbst auferlegte Strafe.
Sein Verhältnis zu gleichaltrigen Mädchen war schon in der Schule belastet. Für ihn interessierte sich nicht eines; vielleicht weil sie seine schiefen Zähne und blühenden Pickel abstoßend fanden und ihm jegliche Schlagfertigkeit fehlte. Seine Klassenkameraden waren ihm da immer um Längen voraus.
So erlangte er seine sexuellen Erfahrungen anfänglich bei Prostituierten, was ihn einen Großteil seiner Ersparnisse kostete und auch sein Lehrlingsgehalt bei den Verkehrsbetrieben belastete. Durch den eingeschlagenen Weg hatte er bei seinen Eltern sehr bald den Kredit verspielt, wodurch auch seine behütete Kindheit überschattet wurde. Mama und Papa fragten sich, was sie falsch gemacht hatten, und er fragte sich immer öfters, wohin ihn dieser Weg führen würde.
Als sein Traum in Erfüllung ging und er zum ersten Mal die Verantwortung für einen U-Bahn-Zug samt Fahrgästen übertragen bekam, schienen alle Voraussetzungen dafür gegeben, im Leben Fuß zu fassen. Er hatte das Gefühl, dass er im Kreise seiner Arbeitskollegen akzeptiert, ja, sogar respektiert wurde. Nicht einen Augenblick war er auf den Gedanken gekommen, dass vielleicht alles nur Fassade gewesen sein könnte. Wie auch? Er hatte seine Tätigkeit immer zu aller Zufriedenheit verrichtet und sich vielfach hilfsbereit gezeigt, wenn es zum Beispiel darum ging, für jemanden einzuspringen, wenn der oder diejenige krankheitsbedingt ausgefallen war. Seine Beliebtheit hing mit seiner Gutmütigkeit zusammen, die von manchen Kollegen ganz geschickt ausgenutzt, von dem einen oder anderen aber auch als Schwäche angesehen wurde. Sehr schnell war dann eine die Persönlichkeit schützende Grenze überschritten, was zur Folge hatte, dass sich über Florian dunkle Wolken aus Gerüchten und Schabernack zusammenbrauten.
Wenn er heute darüber nachdenkt, ist er nicht sicher, ob seine Bekanntschaft mit Helga eine schicksalhafte Fügung oder eine geheime Absprache in der Belegschaft war. Dass auf der betrieblichen Weihnachtsfeier vor vielen Jahren ausgerechnet neben einer jungen Frau aus der Verwaltung, Helga Buschenhenke, ein Platz frei war, könnte, rückblickend betrachtet, von den Kollegen so eingefädelt gewesen sein. Helga, ein junges Ding mit kurzen, dunklen Haaren, großen, dunklen Augen, engen Jeans und weit geschnittenem Pullover.
Ihm war es nicht verborgen geblieben, dass Helga, einmal angesprochen, unentwegt reden konnte. Manchmal, wenn er um Worte verlegen war, erwies sich das als sehr hilfreich, doch diese Eigenart hätte ihm auch Warnung sein müssen. Auf jener Feier hatte aber andererseits alles zusammengepasst.
Florian hat seine Schritte verlangsamt und erträgt es, wenn der nasskalte Wind wie ein urzeitliches Ungetüm durch die Baulücken und unter der Autobahnüberführung hindurchbricht. Sein Ziel ist unumstößlich. Die wenigen positiven Momente, die er gerade nochmal durchlebt, lassen ihn lediglich etwas zögerlich werden – und weil dieser Schritt zu der Zeit, als er auf die Welt kam, niemals gewollt war. Ein Schritt, für den noch viele Schritte vor ihm liegen. Eine Gratwanderung zudem zwischen Ansporn und Resignation! Das Brückenbauwerk, von dutzenden Scheinwerfern angestrahlt, in der Nähe hoch aufragend, jetzt noch immer so weit entfernt, dass es gar nicht so spektakulär aussieht. Aber nur beinahe. Zwischen den diffusen Lichtern der Hafenanlagen und der furchteinflößenden Dunkelheit der Baumkronen unter ihm, ist es ein konkretes Ziel.
Ein Lastwagen rumpelt vorbei. Niederländisches Autokennzeichen. Er sieht, dass der Fahrer ihn bemerkt hat, weil sich ihm sein Gesicht kurz zuwendet. Wird sich womöglich denken, dass ein verspäteter Hafenarbeiter, eine Abkürzung entlang, auf dem Weg nach Hause ist. Natürlich kann der nicht wissen, dass es hier weit und breit keine Wohnhäuser gibt.
Die Zufahrt zur eigentlichen Brücke verläuft bereits auf Stelzen, und das schon bald in beträchtlicher Höhe. Es beginnt für Florian eine Gratwanderung zwischen Angst und Sehnsucht.
Auf den ersten Metern hat er den Wind im Rücken, mit dem Ergebnis, dass seine Jeans im Nu rundum und vollständig durchnässt ist.
Er bleibt abrupt stehen.
Wie hat er sich nur täuschen lassen! Helga … – sie schienen sich gesucht und gefunden zu haben. Ihre Liebe zueinander war geprägt von hemmungslosem Sex. Das war natürlich etwas, wonach er sich lange gesehnt hatte. Florian hatte das Gefühl, dass auch Helga ausgehungert war, bis ihm die Sache irgendwann unheimlich wurde und er erkannte, dass sie eine Nymphomanin war. Besonders spannend fand sie das intime Beisammensein … nein, den Sex … in Situationen, in denen sie mit Publikum rechnen mussten. Als es sie zum Beispiel im Auto mitten auf dem Großneumarkt überkam, genau dort, wo sie parkten, wo sich die vielen Szenelokale ringsum gruppierten und eine Menge Leute vorbeikamen. Anfangs überlegten sie noch, welche Lokalität ihnen am meisten zusagen würde, doch bereits nach wenigen Augenblicken begann sie seine Hose zu öffnen, seinen kleinen Freund herauszuholen und mit ihm zu spielen. Er ließ sie gewähren, schielte jedoch mit einem Auge immer zu den Passanten. Niemand kümmerte sich um die Insassen parkender Autos, und eine Weile später waren die Scheiben beschlagen, wodurch zwar nichts mehr zu sehen, doch immerhin etwas zu vermuten war. Dass sie dann Anstalten machte, sich ihrer Jeans zu entledigen, behagte ihm dann überhaupt nicht, und er gebot ihr Einhalt, wodurch der Abend merklich abkühlte.
Helga schien sich auf der einen Seite zu besinnen, auf der anderen wurde er das Gefühl nicht los, dass ihn einige Arbeitskollegen seit diesem Abend schräg ansahen.
Völlig unerwartet steigerte sich Helga noch in ihrem abnormen Verhalten.
Beschlagene Autofenster ließen bei den Passanten nur Vermutungen zu, schützten aber wenigstens vor neugierigen Blicken. Anders war dies auf einer Parkbank im Stadtpark, wo ihr weites Sommerkleid wie ein Vorhang fiel, während sie auf seinem Schoß saß und es ihr mit großem Geschick gelang, seinen kleinen Freund einzubeziehen. Ähnlich passierte es auf der Wiese im Freibad Ohlsdorf, wo ein übergroßes Saunahandtuch das Sommerkleid ersetzte und sich die in ihrer Nähe lagernden Badegäste nur wunderten, wieso Florian einen so roten Kopf hatte.
Dieser süchtig machenden Aspekte wegen beginnt er nun, zögerlich zu werden. In einem Prozess, der für ihn beinahe vorhersehbar war, wurde er von diesem ungewöhnlichen Paarungsvirus infiziert. Die Inkubationszeit betrug nur wenige Wochen und prägte seine Beziehung zu Helga in besonderem Maße. Er fand mehr und mehr Gefallen an dieser Art des Zusammenseins und steuerte ein paar ausgesuchte Schauplätze zu ihrer Leidenschaft bei. Mit der Zeit störte es ihn nicht einmal mehr, dass seine Arbeitskollegen über die risikoreichen Rituale Bescheid wussten und ihn ein Involvierter, wenn er so jemandem begegnete, ungeniert angrinste. Im Gegenteil: er erfreute sich einer sich steigernden Bewunderung und Beliebtheit, womit er kaum mehr gerechnet hatte. Manch einer zog ihn auch schon mal zu einem vertraulichen Gespräch beiseite, um sich Anregungen für das eigene Liebesleben einzuholen.
Nicht einen Gedanken verschwendete er daran, dass das neue kollegiale Verhältnis nur Fassade und der täglichen Real-Comedy dienlich gewesen sein könnte.
Florian wird sich wieder des harten, grausigen Novemberwetters bewusst, und zwar im gleichen Augenblick, als ihn seine Gedankenwelt an die neuerliche Abwärtsbewegung fesselt. Der Weg zurück in ein Wellental. In ein sehr ausgedehntes Wellental mit einer unabsehbaren Tiefe, so beschaffen, dass er mit nichts Positivem, sondern anstelle eines Aufwärtstrends mit einem Tsunami rechnen konnte.
Sie hatten eine Partnerschaft gelebt, die der einer Ehe schon sehr nahekam. Doch von einer Heirat wollte Helga partout nichts wissen, wollte ihre Freiheit und gestattete auch ihm das Maß an Freiheit, das am Rande der häuslichen Routine verblieb.
Wenn auch ein Tag deckungsgleich auf den anderen gelegt werden konnte – der Sex wurde nicht zur Routine. In dem Punkt gab es allerdings eine jähe Blockade. Helga wurde schwanger!
Wie lang der Weg zur Brücke nur ist! Mit tiefgefrorenen Gliedmaßen und nassen Hosenbeinen scheint sich die Entfernung zu verdreifachen! Ähnlich lang wie die Dauer der seelischen Qualen, die Florian in den folgenden Jahren durchstehen musste!
Helga wurde also das erste Mal schwanger. Bei ihrem Lebens- und Liebeswandel war es nur eine Frage der Zeit, wann sie unter die statistischen zwei Prozent fielen, bei denen die Verhütungsmethoden versagen.
Doch Kinder großzuziehen und auf das Leben vorzubereiten, war Florians erklärtes Ziel. Von Helga war es das eher nicht, wie sich noch vor der Geburt herausstellte. Ihr fehlte jegliche Liebe zu dem werdenden Leben in ihrem Bauch. Sie behielt ihre gewohnte Ration an Alkohol und Nikotin bei und zeigte nicht das geringste Interesse, ein hübsches Kinderzimmer einzurichten. Die finanzielle Belastung hatte er zu tragen, was er anfangs jedoch liebend gern übernahm.
Helga trieb es allerdings halbwegs in den Wahnsinn, die letzten Wochen seinen kleinen Freund nicht mehr in sich spüren zu können.
Allmählich geriet ihre Partnerschaft immer mehr aus den Fugen. Die nächste Enttäuschung verwandelte Helga mit vielleicht plausiblen Erklärungen in Zweifel für Doofe, die sich aber auch nie ganz legen wollten. Der kleine Erdenbürger, der auf die Welt kam, war von dunkler Hautfarbe, die schwarzen Haare begannen sich nach einiger Zeit in einen Afro-Look zu kräuseln. Helga wollte ihm weismachen, dass im Stammbaum ihrer Familie väterlicherseits ein Vorfahre aus Südafrika dazwischengeraten wäre, dessen Gene zufällig in dieser Generation dominant wurden. Florian musste jedoch sofort an Jonathan Mensah mit einem Vater aus Ghana denken; Jonathan … ebenfalls U-Bahn-Fahrer in seiner Abteilung. Weil Helga in einem Kinder- und Jugendheim großgeworden war, glaubte Florian nicht daran, hierüber wirklich Gewissheit zu erlangen. Andererseits: der kleine Junge war gesund, das war die Hauptsache.
Mit Florians Leben ging es abwärts, als Helga ein zweites Mal schwanger wurde. Da sie ihn seit Kai-Uwes Geburt nicht mehr in sich haben wollte – offenbar waren ihr Florians Zweifel und Zurückhaltung nicht verborgen geblieben – schied er definitiv als Erzeuger aus!
Und Helga? War sie bereits während der ersten Schwangerschaft psychisch angeschlagen, so versetzte ihr die zweite den seelischen Knock-Out! Sie wollte das Kind ebenso wenig wie Florian und versuchte einen eigenhändigen Schwangerschaftsabbruch mit einem extralangen Dildo, womit es ihr natürlich nicht gelingen wollte. Wenigstens kam er gerade noch rechtzeitig hinzu, als sie sich unten herum mit einem Grillspieß blutig gestochen hatte. Auch eine Kuchengabel hatte sie bereitliegen.
Geistesgegenwärtig verständigte Florian den Notarzt, der zur Vorsicht eine Krankenhauseinweisung veranlasste. Natürlich hatte Helga sich mit unprofessioneller Vorgehensweise nur stark blutende Verletzungen an empfindlichen Schleimhautpartien zugefügt. Dem Fötus war sie nicht zu nahegekommen. Dafür erfolgte eine erste stationäre Einweisung in die psychiatrische Abteilung der Uni-Klinik; die Ärzte wollten nicht zur Verantwortung gezogen werden, wenn Helga sich auf effektivere Methoden besann.
Dass Florian nicht der Vater der Kinder war, geriet bald zur Nebensache. In dieser Zeit fühlte er sich hin und hergerissen. Er hätte einfach ausziehen und die Kinder zur Adoption freigeben können. Auf der anderen Seite sollten Sie eine wenigstens halbwegs glückliche Kindheit verleben. Ein großer Fehler, wie sich dann herausgestellt hat!
Die Zerrissenheit ihrer Partnerschaft schlug sich auch in ihrer Auffassung über einvernehmliches Erleben mit den Kindern nieder: Gemeinsamkeit gab es eigentlich kaum; die Kinder suchten sich am Ende ihren eigenen Weg, der von allen möglichen und unmöglichen Fernsehsendungen und dem gefährlichen Halbwissen Gleichaltriger geprägt war. All jenes fiel auf einen zwar fruchtbaren, aber von unbestimmbaren Genen durchwirkten Boden. So wurde es unabänderlich, dass die beiden Kinder, mit denen das Schicksal ihn in seiner persönlichen Wehrlosigkeit bedacht hat, so sind, wie sie nun mal sind. Dies führte bei Florian am Ende dazu, dass die verbliebene Kraft durch alle Enttäuschung und Niedergeschlagenheit und seine beginnenden Depressionen noch weiter vermindert wurde. Er fand niemanden, den er um Hilfe bitten konnte. Von seinen Eltern wollte er sie nicht.
Das Problem war: er vermochte im Alltag nicht einmal mehr ein einfaches Nein hervorzubringen!