Felix und die Raubgräber - Paul Hummel - E-Book

Felix und die Raubgräber E-Book

Paul Hummel

0,0

Beschreibung

Was für ein Sommer! Boot fahren, baden, auf Bäume klettern. Gemeinsam mit Willow, einem englischen Mädchen, streift Felix durch die wilde Natur im Norden Englands. Doch dann entdecken die Kinder Hinweise darauf, dass jemand an der Ruine des römischen Kastells unerlaubt archäologische Schätze ausgegraben hat. Sollen sie zur Polizei gehen? Oder wollen sie den Raubgräber auf eigene Faust überführen? Eine gefährliche Jagd beginnt, in der Felix und Willow ihren ganzen Spürsinn aufbieten müssen, um einen geheimnisvollen Kriminalfall aufzuklären und einer Bande von Kunsträubern das Handwerk zu legen. Weil Felix mit Willow Englisch spricht, sind ihre Gespräche im Buch auf Englisch wiedergegeben. Und weil Felix nach einem Jahr Englischunterricht noch nicht so gut Englisch kann, macht er dabei natürlich auch viele Fehler. Aber ich bin sicher, dass du trotzdem verstehst, was Felix und Willow sagen. Denn sie benutzen fast nur Wörter, die man am Ende der 5. Klasse schon weiß. Und alle anderen Wörter erklärt Willow dir.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 176

Veröffentlichungsjahr: 2021

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Für Benjamin

Inhaltsverzeichnis

Sommerferien

Eine interessante Begegnung

Verdächtige Spuren

Der Nachtfalke

Ein gefährlicher Plan

Ein Besuch auf dem Polizeirevier

Familienwochenende

Eine neue Spur

In letzter Sekunde

»Wir sind in der Zeitung!«

Auf zu neuen Abenteuern

Sommerferien

Leise schlich Felix die Treppe hinunter. Jetzt musste er vorsichtig sein. Er durfte auf keinen Fall entdeckt werden!

Behutsam, Stück für Stück, schob er sich an der Wand entlang, bis er um die Ecke ins Wohnzimmer sehen konnte. Da war niemand! Geduckt huschte er durch die Tür und kauerte sich hinter einen der breiten Ledersessel. Einen Augenblick verharrte er in der Deckung, dann glitt er lautlos und geschmeidig weiter zum Sofa. Aufmerksam beobachtete er die Umgebung. Je näher er der weiten Fensterfront kam, desto schwieriger wurde es, ungesehen zu bleiben.

Felix lauschte. Alles war still. Draußen zwitscherten Vögel, und Blätter raschelten sanft im Wind, aber kein Mensch war zu hören. Keine anderen Kinder. Nur sein Vater stand im Garten an der Staffelei und malte.

Felix löste sich aus seiner Anspannung und legte sich flach auf den Boden. Das Parkett war warm von der Sonne, und er fühlte die Maserung des Holzes unter seinen Händen.

Wie eine Schlange wand er sich hin und her und kroch unter dem Tisch hindurch bis zum Fenster. Die Tür zum Garten stand weit offen, und ein milder Luftzug strich über Felix hinweg ins Haus. Mit Händen und Füßen schob er sich über die Schwelle auf die Terrasse und von dort über die heißen Fliesen ins kühle Gras.

Der Rasen war kurz und dicht und weich, wie ein Teppich, und kitzelte ihn im Gesicht. Felix robbte bis zu den Füßen seines Vaters, drehte sich auf den Rücken und sah vom Boden zu ihm auf.

In der einen Hand hielt sein Vater eine Palette, auf der er seine Farben mischte. In der anderen hatte er einen Pinsel, und mit diesem tupfte er geschickt blassblaue Blüten ins Bild.

»Was malst du?«, frage Felix unnötigerweise. Er konnte selbst sehen, was sein Vater malte, und wollte nur, dass der mit ihm sprach.

»Den Garten.«

Auf der Leinwand waren in farbigen Flächen die Formen einer Landschaft umrissen. Nun war sein Vater gerade dabei, mit seinem Pinsel die Details einer Kletterpflanze herauszuarbeiten, die über das verwitterte Holz eines kleinen Gartentors rankte.

Sein Vater konnte gut malen, fand Felix, aber jetzt stand er bestimmt schon eine Stunde da, und das war doch allmählich genug.

»Spielst du mit mir?«

»Vielleicht später. Jetzt möchte ich malen.«

Der Garten war wirklich schön. Eine niedrige Mauer aus unregelmäßigen Feldsteinen grenzte den gepflegten Rasen am Haus von der wild wuchernden Blumenwiese ab, die sich rings um das Haus erstreckte. Eidechsen lebten in den Ritzen und Spalten zwischen den trocken gefügten Steinen der Mauer. An einigen Stellen war sie von einem Gestrüpp aus blühenden Sträuchern und Schlingpflanzen überwachsen, und in dem trockenen Laub darunter hatte Felix auch eine Schlange entdeckt.

Zwei knorrige Bäume spendeten angenehmen Schatten vor der hochstehenden Sommersonne. Geschützt lag der Rasen inmitten dieser verwunschenen Wildnis. Wie geschaffen, um darauf Fußball zu spielen.

»Wie lange malst du noch?«

»Felix.« Sein Vater klang genervt. »Jetzt haben wir eine Woche lang jeden Tag etwas unternommen. Heute Nachmittag möchte ich malen.«

»Mir ist langweilig.«

»Mir nicht.«

Enttäuscht stand Felix auf und ging zurück ins Haus. In seinem Zimmer im oberen Stockwerk warf er sich aufs Bett, nahm sein Handy und setzte die Kopfhörer auf.

Nicht einmal Spiele durfte er auf dem Smartphone haben! Und einen Fernseher hatte das Ferienhaus auch nicht. Frustriert machte Felix die Musik an und sah aus dem Fenster.

Von hier oben konnte er das ganze Tal überblicken, aber im Moment war ihm der Ausblick egal. Er hätte dort draußen lieber eine stinkende Müllhalde gehabt, wenn er dafür seine Freunde hätte hier haben können.

Wenn er sich wenigstens mit ihnen schreiben könnte. Aber im Ferienhaus gab es natürlich auch kein WLAN, und einen Datentarif hatte er nicht. Denn sein Vater hatte keine Lust, einen Haufen Geld, wie er sagte, nur dafür auszugeben, dass Felix Screenshots vom aktuellen Spielstand seiner Freunde empfangen konnte.

Seine Freunde durften alle zocken, so viel sie wollten! Na gut, nicht alle. Oder eigentlich keiner. Mattis hatte gar kein Handy, und Jan durfte nur am Wochenende spielen. Und Ole waren Computerspiele gar nicht wichtig, der spielte sowieso kaum. Nur Patrick zockte sogar in der Fünf-Minuten-Pause, obwohl das verboten war. Aber Patrick war auch speziell. Und außerdem nicht Felix’ Freund. Wenn Felix ehrlich war, durfte er sogar viel mehr zocken, als seine Freunde. Und so schlimm war es eigentlich auch nicht, mal einen Nachmittag lang nichts zu tun.

Und die Aussicht war tatsächlich toll. Bewaldete Hügel erhoben sich ringsumher. Zwischen den Kronen der Laubhölzer ragten schroffe Felsen auf. Liebliche Wiesen wellten sich von den Anhöhen ins weite Tal. Gebüsche und Haine sprenkelten die Flanken. Unten zog ein breiter Fluss langsam zwischen baumbestandenen Ufern dahin. Alles war friedlich, und die Landschaft leuchtete im fröhlichen Sonnenschein.

Let’s go outside, sang es in seinen Kopfhörern, und plötzlich bekam Felix Lust genau das zu tun: raus gehen.

Er schaltete die Musik aus, legte die Kopfhörer aufs Bett, zog seine Turnschuhe an und sprang die Treppe hinunter und in den Garten.

»Papa?«

»Hm?«

»Ich geh ein bisschen raus.«

»Mhm.«

Felix war schon fast an der Tür, als sein Vater ihm nachrief: »Willst du dir beim Bäcker ein Eis kaufen?« Er wies mit dem Pinsel hangabwärts am Haus vorbei. »Unten im Dorf an der Kreuzung ist ’ne Bäckerei. Ich hab gesehen, dass es da Eis gibt.«

»Okay.«

»Der Geldbeutel liegt in der Küche.«

»Wie viel kostet ein Eis?«

»Keine Ahnung. Nimm dir einfach genug Geld mit und gib mir den Rest dann zurück.«

»Okay. Tschüss.« Felix wandte sich zum Haus.

»Bis später, Felix.«

»Bis später!«

Das Ferienhaus, in dem Felix und sein Vater die Sommerferien verbrachten, lag oberhalb des Dorfes am Ende einer schmalen Straße. Zum Garten hin war die Rückseite des Hauses fast vollständig verglast, und die Zimmer waren hell und modern, aber hier vorne besaß das graue Steinhaus nur wenige winzige Fenster. Mit seinen weißen Fensterrahmen sah das Haus gutmütig und verschlafen aus.

Entlang der Straße waren, wie um ihren Garten, Feldsteine zu unregelmäßigen Mauern geschichtet, die die Fahrbahn von den umliegenden Weiden abgrenzten. Rechts bergan endete der Asphalt an einem eisernen Gatter. Dahinter begann ein Feldweg, der sich jedoch schon nach wenigen Schritten im Unkraut verlor. Felix wandte sich bergab und schlenderte die Straße entlang in Richtung Dorf.

Etwas versetzt stand dort auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein weiteres Ferienhaus. Es war grau und schläfrig wie ihr eigenes, besaß aber ein einstöckiges Nebengebäude und zwischen diesem und dem Haupthaus lag ein kiesbedeckter Hof, auf dem ein kleines, silbernes Auto stand.

Felix trat an die Einfahrt und sah sich das Nummernschild an. Es war gelb mit schwarzen Buchstaben und Zahlen. Ob sich darin, wie bei deutschen Autokennzeichen, ein Hinweis auf die Zulassungsstelle des Fahrzeuges fand? Aber er konnte in der Zeichenfolge keine Abkürzung eines ihm bekannten Ortsnamens erkennen. Auch die Automarke war ihm unbekannt. Auf der Heckklappe stand Corsa, aber das Auto war kein Opel, denn das Emblem zeigte keinen Blitz, sondern einen Löwen mit Flügeln oder einen Greif – genau konnte er das aus der Entfernung nicht erkennen.

Tynedale View, stand in weißen Buchstaben auf einem braunen Schild an der Hauswand. Das Ferienhaus von Felix hieß North Lodge. Lodge, hatte Felix’ Vater ihm erklärt, war eine Jagdhütte oder, früher, ein Haus für die Bediensteten. Heute nannte man Ferienhäuser so. Sie wohnten also im ›Nord-Ferienhaus‹. Tyne war der Name des Flusses, der am Dorf vorbei floss, und Tynedale View hieß ›Aussicht über das Tal des Tyne‹.

Von den Ferienhäusern fiel die Straße sanft über das weite Grasland ab, führte erst ein langes Stück geradeaus, dann bog sie in zwei engen Kurven steil hinunter ins Tal.

Hier lag ein Bauernhof neben der Straße, mit fußballfeldgroßen Ställen, Scheunen voller Strohballen und Menschen auf riesigen grünen Traktoren mit mannshohen Reifen. Tiere waren keine zu sehen, aber Felix konnte riechen, dass es irgendwo welche gab.

30, forderte ein Straßenschild. Felix überlegte, ob das Kilometer oder Meilen pro Stunde waren. Eine Meile sind eins Komma sechs Kilometer, dann wären das … drei mal sechs sind achtzehn, plus dreißig, sind … achtundvierzig Kilometer pro Stunde. Also durfte man hier wohl fünfzig fahren. Na ja. Oder eben dreißig. Je nachdem.

Tatsächlich kam ihm jetzt auch ein roter Geländewagen entgegen. Felix trat von der Fahrbahn ins Gras, denn die Straße war nur wenig breiter als der Wagen. Der Fahrer sah ihn im Vorbeifahren neugierig an. Er kannte sicher alle Kinder im Dorf und wusste, dass Felix nicht von hier war.

Kurz hinter der Farm begann das Dorf. Während die Gebäude des Bauernhofes aus Wellblech und Betonziegeln waren, waren die Wohnhäuser der Ortschaft, wie die Ferienhäuser, aus unregelmäßigen Natursteinen gebaut. Sie hatten dunkle Schieferdächer, weiße Fensterrahmen und blaue Türen. Das scheint hier so Mode zu sein, dachte Felix, aber es sah eigentlich auch recht hübsch aus.

Jedes Häuschen verfügte über einen kleinen, gepflegten Garten. Sauber gestutzte Büschchen und bunte Blumenbeete waren ordentlich entlang schmaler Kieswege gepflanzt. Alles war aufgeräumt und übersichtlich, wie in einem Bilderbuch.

Das Dorf lag still und verlassen da. Erst als Felix an die Kreuzung zur Hauptstraße kam, fuhren dort vereinzelt Fahrzeuge vorbei. Lilbrough – das spricht man ›lilbrou‹ – hatte nur wenige hundert Einwohner und bestand lediglich aus ein paar Dutzend Häusern an einer Abzweigung von der alten Hauptstraße. Einst hatte die Straße die befestigten Lager der römischen Truppen miteinander verbunden, die in regelmäßigen Abständen südlich des Hadrianswalls lagen. Von der römischen Straße waren heute nur noch kurze Abschnitte vorhanden. Die Überreste eines kleinen Kastells lagen westlich der Ortschaft, aber die Straße endete dort nun schon am Ortsrand. Nur nach Osten setzte sie sich noch bis zum Nachbarort fort, und nach Süden führte eine Nebenstraße aus Lilbrough heraus und über den Fluss.

An der Kreuzung, wo von Norden her die Straße von den Ferienhäusern in die alte Hauptstraße mündete, war an der Ecke eine Bäckerei. Grants of Lilbrough stand über dem Schaufenster, in goldenen Buchstaben auf schwarzem Grund, und dahinter, klein und weiß: Bakery.

Im Schaufenster waren allerlei leckere Backwaren ausgestellt: mehrstöckige Torten, mit Sahne überzogen und roten Kirschen verziert, thronten auf kleinen, silbernen Tischchen; helle Plätzchen mit dunklen Schokoladenstücken waren in gläserne Schalen gehäuft; Hefegebäck mit Nussfüllung und Zuckerguss stapelten sich in geflochtenen Körben; auf weißen Porzellantellern ruhten puderzuckerbestäubte Teigtaschen, aus denen saftige Blaubeeren quollen. Im Ladeninneren stand eine Theke, in der weiteres Naschwerk ausgelegt war, und dahinter lagen Brote und Brötchen in Regalen.

Felix lief das Wasser im Mund zusammen. Seine Hand in der Hosentasche schloss sich um das Geld. Er wollte gerade die Stufen zur Tür emporsteigen, da öffnete sie sich mit lautem Gebimmel und eine Frau im besten Lehrerinnenalter trat heraus. Sie sah ihn am Fenster stehen und lachte, und ein Schwall unverständlicher Worte ergoss sich aus ihrem Mund.

Felix erschrak. Im ersten Moment, als er sie sah, hatte ihn dieselbe gute Laune erfüllt, wie er sie immer empfand, wenn er netten Menschen begegnete. Ihr herzliches Lachen gab ihm ein warmes Gefühl, und ganz wie von selbst lächelte er zurück. Aber als sie sprach, und er nicht ein einziges Wort verstand, da fühlte er sich auf einmal ganz und gar falsch.

Felix war recht gut in der Schule, und in Englisch hatte er fast immer eine Eins oder Zwei. Aber als diese Engländerin sprach, kam er sich auf einmal dumm und unfähig vor. Als hätte er nicht schon die ganze fünfte Klasse lang gut aufgepasst und fleißig geübt, sondern im Unterricht geschlafen und überhaupt nichts kapiert. Als wäre er einfach zu blöd, eine Fremdsprache zu sprechen. Felix schämte sich vor der Frau und lief schnell weg. Ohne auf den Verkehr zu achten, rannte er über die Kreuzung. Ein Auto bremste mit quietschenden Reifen und hupte hinter ihm her. Ohne sich umzusehen, rannte Felix weiter, ein Stück die Straße hinunter, dann sprang er über den Graben und versteckte sich im Gebüsch.

Das war bescheuert. Mit klopfendem Herzen saß Felix im Gras unter dem dichten Geäst und horchte, ob jemand ihm folgte. Fast wäre er überfahren worden! Tränen stiegen ihm in die Augen. Er war so wütend auf sich selbst! Alles nur, weil er sich nicht getraut hatte, der Frau zu erklären, dass er aus Deutschland kam. Jetzt, hinterher, dachte er, dass er sie doch einfach hätte bitten können, dass sie langsam spricht. Er wusste ja alle Wörter: I’m from Germany. Please speak slowly.

Eine Weile saß Felix da, bis das Gefühl, dass er gleich weinen würde, wieder nachließ. Dann sah er vorsichtig zwischen den Zweigen hervor. Niemand war zu sehen. Er kroch unter dem Busch heraus und stieg über den Graben auf die Straße zurück. Niedergeschlagen sah er sich um. Zur Kreuzung wollte er nicht, denn er hatte Angst, dort auf die Frau zu treffen. Vielleicht konnte er außen um das Dorf herum gehen.

Traurig schlich Felix die Straße entlang weiter nach Süden. Die Häuser, die ihm vorher so friedlich erschienen waren, fühlten sich nun abweisend und fremd an. Bis jetzt hatte er sich hier wohl gefühlt, aber nun wurde ihm klar, er gehörte nicht hierher. Mit aller Macht wünschte er sich nach Hause zurück.

Da öffnete sich an einem der Häuser eine Tür. Erschrocken duckte sich Felix hinter der Mauer. Er wollte nicht noch einmal jemandem begegnen.

Aus dem Garten hörte er Stimmen. Eine Mutter sprach mit ihrem Kind. Dann schloss sich die Tür, und es war wieder still. Felix wollte gerade aufstehen und weitergehen, da hörte er ein Geräusch. Dann war es wieder ruhig. Gleich darauf knarzte es erneut. Dann war es wieder still. Immer abwechseln quietschte etwas leise und verstummte. Nach und nach wurde das Quietschen lauter und die Abstände dazwischen wurden länger.

Felix verstand. Dort im Garten schaukelte ein Kind. Vorsichtig richtete sich Felix auf und sah über die Mauer. Ein Mädchen saß auf einer von zwei Schaukeln und holte kraftvoll Schwung. Immer höher schaukelte sie, bis die Kette oben locker durchhing und das Mädchen mit einem Ruck zurückfiel.

Jetzt ließ sich das Mädchen an langen Armen weit nach hinten hängen, bis ihr Kopf beinahe über den Boden strich. Erst als die Schaukel fast zum Stillstand gekommen war, setzte sie sich wieder auf und sah ihn an.

»Hi«, sagte das Mädchen.

Felix hatte ganz vergessen, dass er niemandem begegnen wollte, und überrascht antwortete er. »Hi.«

Das Mädchen sagte etwas, das Felix nicht verstand. Es war eine Frage, das hörte er am Tonfall, aber sie sprach schnell und undeutlich, wie schon die Frau an der Bäckerei zuvor. Felix wurde wieder traurig und zuckte mit den Schultern.

Sie sagte wieder etwas, etwas Kürzeres diesmal, und es war keine Frage, sondern eine Feststellung, und Felix wollte sich schon abwenden und weitergehen, denn er hatte keine Lust, dass das Mädchen etwas über ihn feststellte, wenn er gar nichts sagen konnte, da sprang sie von der Schaukel auf und kam zu ihm.

»I’m Willow.«

Es klang wie ›uillou‹. Sie lächelte freundlich und wartete auf seine Antwort.

Felix traute sich nicht zu antworten. In der Schule hatte er gelernt, wie man seinen Namen sagt. Das war eine der ersten Stunden im Englischunterricht gewesen. Und der Satz war gar nicht schwer. I’m Felix. Oder: My name is Felix, I’m from Germany. Aber er hatte Angst, dass er ihn falsch aussprechen würde. Im Unterricht, mit seinen Freunden, war er nicht schüchtern, aber jetzt, hier, in England und gegenüber einer Engländerin, war es ihm peinlich, dass er nicht richtig sprechen konnte. Wenn er doch nur wieder in Deutschland wäre, wo die Menschen Namen hatten, die ihm vertraut waren, und eine Sprache sprachen, die er verstand.

Willow sah in fragend an. Aber dann schien sie zu begreifen, dass ihm ihre Sprache Schwierigkeiten bereitete, und lächelte ihn aufmunternd an.

»Would you like to go on the swings?«, fragte sie und sprach dabei langsam und deutlich. Sie zeigte auf ihre Schaukel.

Felix zuckte wieder mit den Schultern. Er schämte sich und wusste nicht so genau, was er nun wollte. Am liebsten hätte er sich wieder versteckt. Aber das Mädchen sah ihn so freundlich an, dass er doch auch bleiben wollte.

»Come!«

Willow ging die Mauer entlang und bedeutete ihm mit einem Winken, dass er ihr folgen sollte. Am Ende des Grundstücks, wo ein Zaun ihren Garten von dem ihrer Nachbarn trennte, war eine kleine, blaue Holztür in die Mauer eingelassen. Willow ging bis zu ihr und öffnete sie für ihn. Dann winkte sie ihm erneut.

»Come in!« Pause. »Go. On. The. Swings.« Sie sprach jedes Wort einzeln und deutlich aus und machte dazu die Bewegung der Schaukel mit der Hand nach.

Felix musste lachen, wie sie so abgehackt sprach. Zögernd ging er die Mauer entlang bis zu ihr. Willow trat lächelnd einen Schritt zurück. Sie hielt die Tür auf und zeigte zur Schaukel. »Go ahead.«

Er ging zur Schaukel und setzte sich. Willow schloss die Gartentür und setzte sich auf die andere. Sie lächelte ihn kurz an, dann stieß sie sich ab und begann zu schaukeln. Felix tat es ihr gleich, und bald hatte er alles vergessen. Der Wind rauschte in seinen Ohren, und wenn er mit dem Kopf nach unten und den Füßen voran emporschwang, kitzelte es wunderbar in seinem Körper.

Als sie wieder so hoch kam, dass sie klirrend zurück in die Kette fiel, ließ Willow, ohne weiter Schwung zu holen, ihre Schaukel einige Male hin- und herschwingen, bis sie nicht mehr ganz so weit oben war, und sprang dann im Umkehrpunkt ab. Felix pendelte noch einmal vor und zurück, dann sprang auch er. Einen kurzen Augenblick war es, als hinge er in der Luft. Dann fiel er und purzelte neben Willow ins Gras.

Sie sahen sich an. Willow war ebenso groß wie er. Vielleicht war sie ein oder zwei Jahre älter. Okay, dachte Felix mit klopfendem Herzen. Jetzt kommt es.

Willow berührte mit der Hand ihre Brust. »My name is Willow.« Dann zeigt sie auf ihn. »What’s your name?«

Felix schluckte, dann nahm er all seinen Mut zusammen. »My name is Felix.«

Seine Stimme klang etwas quakig in seinen Ohren, aber Willow schien sich nicht daran zu stören.

»Where are you from, Felix?«

»Germany.«

»Are you here on holiday?«

Felix überlegte. Er hatte nicht alles verstanden, aber holiday hieß Urlaub. Er nickte. »Yes.«

»And where do you stay?«

Felix zuckte mit den Schultern. Das hatte er nicht verstanden.

Willow überlegte. »Your house.« Sie zeigte auf das Haus, in dessen Garten sie sich befanden. Dann zeigte sie in einem weiten Kreis in die Umgebung. »Where is your house?« Sie zeigte auf Felix.

Jetzt verstand er. »I live in North Lodge.«

Felix sagte ›Nord Lotsch‹, denn er vergaß immer, das englische th mit der Zunge an den Zähnen zu zischen, aber Willow verstand ihn trotzdem. Sie nickte. Sie holte Luft und wollte gerade etwas erwidern, da öffnete sich die Tür zum Haus und eine Frau sah heraus.

»Willow …« Sie brach ab, als sie Felix sah, und lächelte ihn an. Sie war etwa so alt wie sein Vater. »Well, hello. I see we have a guest.«

»Mom, this is Felix. He’s from Germany. He’s here on holiday. You have to speak very slowly for him.«

Willow’s Mutter hatte ihn auch bisher schon freundlich angesehen, aber jetzt erschien das strahlendste Lächeln auf ihrem Gesicht, das er je gesehen hatte.

»Hello, Felix. My name is Alison.« Ihr Name klang wie ›ellisen‹.

Felix war unsicher. Musste er Mrs. Alison sagen? Besser er sagte nur hallo. »Hello.«

»Would you like to have some tea, Felix?«

Beim Gedanken an Tee merkte Felix, wie durstig er war. Er hätte zwar lieber ein Apfelsaftschorle getrunken, aber Tee war auch okay. Felix nickte. »Yes.«

»Well then, come in!«

Alison hielt ihnen die Tür auf. Felix stand auf, aber er wartete, dass Willow vorausging. Hinter ihr her stieg er die Stufen hinauf ins Haus.

Drinnen war es schummrig und kühl. Ein langer Flur zog sich vom Hintereingang bis zur Haustür. Eine Treppe führte ins obere Stockwerk. Links war das Wohnzimmer, und nach rechts ging es in die Küche.

Dort setzten sie sich an einen kleinen Tisch mit drei Stühlen, auf dem zwei Tassen und eine Schüssel mit Keksen standen. Willow’s Mutter holte eine dritte Tasse aus dem Schrank und stellte sie vor Felix. Dann goss sie alle Tassen bis auf einen Fingerbreit voller Tee und füllte den Rest mit Milch auf.

Uh. Tee mit Milch. Das schmeckte bestimmt nicht. Aber er traute sich nicht zu sagen, dass er das nicht mochte, und als ihn Willow und ihre Mutter erwartungsvoll ansahen, nippte er aus Höflichkeit ein wenig von der trüben Flüssigkeit.

Hm. Zumindest nicht schlimm. Vorsichtig nahm er einen winzigen Schluck. Eigentlich sogar ganz lecker. Wie Karamell-Bonbon-Saft. Er trank noch einmal, und ehe er sich’s versah, war seine Tasse leer.

Wie fragt man denn, ob man noch mehr bekommen kann?

Willow’s Mutter lachte. »Would you like some more?«

»Yes, please.«