Feminismus (Carlsen Klartext) - Juliane Frisse - E-Book

Feminismus (Carlsen Klartext) E-Book

Juliane Frisse

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Beschreibung

Noch Fragen zu Quoten, Girlpower und #metoo? Feminismus – können wir den nicht zusammen mit den lila Latzhosen einmotten? Im Gegenteil: In Zeiten von umstrittenen Frauenquoten, einer kontroversen #metoo-Debatte und rosafarbenem Gender-Marketing ist Feminismus so aktuell wie nie. Wie ist das noch mal mit dem Pay Gap, was ist der Unterschied zwischen Gender und Sex? Haben Mädchen in allen Berufen die gleichen Chancen wie Jungs? Dieser Klartext überblickt die Geschichte des Feminismus, hinterfragt die Kategorien »Mann – Frau« und erklärt gendergerechte Sprache. Und hört nicht bei den Mädchen auf, sondern gibt auch Jungs einen Einblick. Wer sich außerdem fragt, was er oder sie zum Feminismus beitragen kann, bekommt hilfreiche Tipps, feministisch aktiv zu werden. Dieses Buch räumt mit Vorurteilen auf und gibt viele Denkanstöße – modern und intelligent! Auf der Shortlist für den Deutsch-Französischen Jugendliteraturpreis 2020! In der preisgekrönten Reihe Carlsen Klartext sind auch die Bände »Fake News«, »Populismus«, »Extremismus« und »Klima- und Umweltschutz« erhältlich. Carlsen Klartext – Aktuelles aus Gesellschaft und Politik, das uns alle angeht.

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Veröffentlichungsjahr: 2019

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Juliane Frisse:Feminismus

Feminismus – braucht den noch irgendwer? Sind wir nicht längst alle gleichberechtigt?

So einfach ist es leider nicht. Solange noch immer um Frauenquoten, das große I, Gender-Pay-Gap, die #Metoo-Debatte und rosafarbenes Gender-Marketing gestritten wird, ist Feminismus so aktuell wie nie. Dieses Buch beantwortet viele Fragen, räumt mit Vorurteilen auf und gibt reichlich Denkanstöße. Für alle, die es wirklich wissen wollen!

 

Carlsen Klartext – Aktuelles aus Gesellschaft und Politik, das uns alle angeht.

 

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EINLEITUNG

Feminismus?Brauchen wir den denn heute noch?

Feminismus steckt mir in den Knochen, und wenn ich Dinge höre oder sehe, dass Leute auf Frauen in einer bestimmten Weise reagieren, habe ich sehr wenig Toleranz.1

Gillian Anderson, geboren 1968, Schauspielerin

Sehr viele Menschen sind in den vergangenen Jahren für Frauenrechte auf die Straße gegangen: Etwa vier Millionen Menschen schlossen sich am 21. Januar 2017 den »Women’s Marches« in den USA an.2 Am Weltfrauentag 2017 protestierten in Argentinien 200000 Frauen.3 Und in Spanien nahmen 2018 sogar 5,3 Millionen Frauen an einem weiblichen Generalstreik teil.4

Vielleicht überrascht dich das, weil du bisher dachtest: So schlecht kann es um die Frauenrechte nicht stehen. Und wenn doch, dann ist doch zumindest in Deutschland alles gut! Denn stehen Mädchen und Frauen bei uns nicht alle Türen offen, können sie nicht alles werden, was sie wollen? Schließlich heißt es ja in Artikel 3 des Grundgesetzes: »Männer und Frauen sind gleichberechtigt.« Und wird Deutschland nicht auch schon seit 2005 von einer Bundeskanzlerin regiert?

Es stimmt zwar, dass Frauen und Männer in Deutschland auf dem Papier gleichberechtigt sind. Zum Glück. Aber nur weil Frauen hierzulande wählen dürfen (seit 1918), nach einer Hochzeit ihren Namen behalten (seit 19765) und ohne die Erlaubnis ihres Ehemannes ein Konto eröffnen (seit 19626), haben wir noch lange keine Geschlechtergerechtigkeit erreicht. Angela Merkel ist zwar Bundeskanzlerin – sie ist aber auch die einzige Frau, die jemals dieses Amt bekleidet hat. Eine Bundespräsidentin, gar eine UN-Generalsekretärin, gab es noch nie, und die deutschen Gesetze werden vor allem von Männern gemacht: Unter den Abgeordneten im Bundestag liegt der Frauenanteil nur bei knapp 31 Prozent.7

So entstehen nicht unbedingt Gesetze, die weiblichen Bedürfnissen gerecht werden: Wenn beispielsweise eine Frau ungewollt schwanger wird, kann sie auch heute noch nicht legal, sondern nur straffrei einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen – und vorher wird es ihr schwer gemacht, herauszufinden, wer einen solchen Eingriff durchführt, weil Ärztinnen und Ärzte darüber nicht informieren dürfen.8

Auch jenseits der Politik, im alltäglichen Leben, liegt vieles im Argen. Das Klischee, Mädchen hätten kein Talent für Mathematik und Naturwissenschaften, ist nicht totzukriegen. Im Gegenteil: Vor ein paar Jahren verkaufte ein großer Modehändler ein T-Shirt für Mädchen mit der Aufschrift »In Mathe bin ich Deko«9. Doch nicht nur was auf T-Shirts steht, sondern auch wie wir schreiben und reden, ist ein Problem. Unsere Sprache bevorzugt eindeutig Männer. Wir sprechen von Wissenschaftlern und Piloten – und Frauen, die forschen oder Flugzeuge steuern, sollen sich mitgemeint fühlen.

Auch Arbeit und Geld sind in unserer Gesellschaft noch sehr ungerecht verteilt. Wer kocht und putzt zu Hause, wer kümmert sich ums Baby und pflegt die bettlägerigen Großeltern? Das alles ist unbezahlte Arbeit, die auch heute noch meistens von Frauen erledigt wird. Gleichzeitig verdienen sie im Beruf weniger als ihre männlichen Kollegen. Faszinierend, dass Rasierer, Parfums und Haarschnitte für Frauen trotzdem teurer sind als die gleichen Dinge für Männer.

Vielleicht, weil Mädchen und Frauen eher bereit sind, für ihr Aussehen Geld auszugeben. Schließlich ist der Druck, schön zu sein, für sie besonders hoch. Ein weiteres Problem dabei: Das weibliche Körperideal ist unrealistisch dünn. Obwohl drei von vier Mädchen zwischen 11 und 15 Jahren normalgewichtig sind und sogar fast jede fünfte Untergewicht hat10, findet sich die Hälfte aller 15-jährigen Mädchen zu dick.11 Im Alter von 17 Jahren hat jedes zweite Mädchen schon mal eine Diät gemacht12 (bei den Jungen sind es elf Prozent). Am weiblichen Körper gibt es immer etwas zu kritisieren: Auf dem typischen Cover eines Klatschmagazins geht es darum, ob eine Prominente zu dick ist (Kummerspeck!) oder zu dünn (Magerschock!) – auf keinen Fall aber ist ihre Figur okay so, wie sie eben ist.

Es ist noch nicht lange her, da galt Feminismus vielen als verstaubt, als etwas, das junge Frauen nicht mehr brauchen. Gerade ist das anders – sich zur Gleichberechtigung zu bekennen gilt als cool. Popstars wie Beyoncé nennen sich Feministinnen. Doch Coolness allein schafft keine Gleichberechtigung: Die Modemarke Monki hat beispielsweise Beanies und Notizbücher im Sortiment, auf denen »Feminist« steht. Damit lässt sich zwar die eigene feministische Haltung in Szene setzen. An den furchtbaren Arbeitsbedingungen der Frauen, die in Ländern wie Bangladesch die billige Fast Fashion von Monki und anderen Firmen nähen13, ändert eine Statement-Mütze aber rein gar nichts.

Was sich alles ändern muss, damit wir in einer geschlechtergerechten Gesellschaft leben, und auch, was du dafür tun kannst – darum geht es in diesem Buch. Aber auch darum, welche Ungerechtigkeiten die feministische Bewegung bereits erfolgreich bekämpft hat. Und was sich eigentlich genau hinter Begriffen wie »Gender«, »Sexismus« und »Patriarchat« verbirgt, die im Zusammenhang mit Feminismus immer wieder fallen, erfährst du ebenfalls.

Ach ja: In diesem Buch wird es viel um »Frauen« und »Männer«, um »Mädchen« und »Jungs« gehen. An diesen Kategorien gibt es in der feministischen Bewegung unter anderem deshalb Kritik, weil sich viele Menschen darunter nicht einordnen wollen oder können (dazu mehr in Kapitel 3). Doch da unsere Gesellschaft die Menschen nun mal in Männer und Frauen unterteilt und so bestimmte Nachteile und Diskriminierungen entstehen, ist es oft am einfachsten, von zwei Geschlechtern zu sprechen, um die Ungerechtigkeiten zu benennen.

KAPITEL EINS

Der Kampf um Gleichberechtigung:Was ist Feminismus?

Feminismus ist die radikale Auffassung, dass Frauen Menschen sind.14

Marie Shear (1940–2017), Autorin, Journalistin und Aktivistin.15

Beim Wort Feminismus denken Menschen an ganz unterschiedliche Dinge: an die #MeToo-Debatte, den Weltfrauentag oder den Kampf gegen die unterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauen. An Emma Watson oder an die pinken »Pussy Hats«, die Protestierende bei Frauenrechtsdemos tragen. An das Recht auf Abtreibung, eine Frauenquote für Führungspositionen oder an Alice Schwarzer. All diese Assoziationen haben tatsächlich auch etwas mit Feminismus zu tun. Aber: Es ließen sich auch noch ganz viele andere Punkte ergänzen! Denn Feminismus ist vielfältig. So vielfältig, dass manche sagen, richtiger wäre es, von Feminismen zu sprechen.

Bei allen Strömungen des Feminismus geht es darum, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, oder besser: die Gleichberechtigung der Geschlechter zu erzielen. Feminismus ist also eine politische Bewegung, die die Gesellschaft verändern will. Bloß wie diese Gleichberechtigung konkret aussieht und wie wir das Ziel einer gleichberechtigten Gesellschaft erreichen, dazu haben Feministinnen und Feministen sehr unterschiedliche und manchmal auch gegensätzliche Ansichten. Manche wollen zum Beispiel einfach etwas mehr Frauenförderung durch Staat und Unternehmen. Andere glauben, dass Frauenquoten nur Verbesserungen für Frauen aus der Mittel- und Oberschicht bewirken, und stellen radikalere Forderungen: Sie glauben, dass wahre Gleichberechtigung nur möglich ist, wenn der Kapitalismus verschwindet.16 Manche träumen auch von künstlicher Fortpflanzung, sodass Frauen Mütter werden können, ohne neun Monate Schwangerschaft und eine Geburt durchleben zu müssen.17

FEMINISMUS UND FRAUENEMANZIPATION  

Der Begriff Feminismus kommt aus dem Französischen. Ab etwa 1890 wurde das Wort féminisme in Frankreich vermehrt verwendet, abgeleitet von femme, dem französischen Wort für Frau. Daraus wurde im Deutschen dann Feminismus. Die Endung »-ismus« wiederum kennzeichnet häufig politische Ideen, Geisteshaltungen und soziale Bewegungen: zum Beispiel Liberalismus, Sozialismus, Anarchismus oder eben Feminismus.18 In Deutschland war es lange Zeit üblicher, von Frauenemanzipation als von Feminismus zu sprechen. Das änderte sich erst in den vergangenen Jahrzehnten.19

Feminismus steht also nicht für ein fixes inhaltliches Programm, sondern vor allem für die Überzeugung, dass wir die Gesellschaft durch die »Geschlechterbrille« betrachten müssen, um Ungerechtigkeiten zu sehen und Gleichberechtigung zu erstreiten. Denn dass unsere und andere Kulturen zwischen verschiedenen Geschlechtern unterscheiden – oft zwischen genau zwei Geschlechtern, Männern und Frauen20 –, beeinflusst viele Dinge: wie wir als Menschen leben, wie wir handeln, wer Macht hat und wer nicht.

P wie Patriarchat

Im Zusammenhang mit Macht fällt im Feminismus auch oft der Begriff Patriarchat. Der Begriff taucht auf feministischen Plakaten und Stickern auf, etwa im Spruch »Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat«, zum Teil aber auch auf Englisch: Dort heißt es dann beispielsweise »Smash the Patriarchy« (»Zerschmettert das Patriarchat«) oder auch »I’ll be a post-feminist in the post-patriarchy« (in etwa: »Solange das Patriarchat existiert, werde ich Feministin bleiben«). Was genau verbirgt sich hinter diesem Patriarchat? Im wörtlichen Sinne meint Patriarchat die »Herrschaft der Väter«. Der Begriff beschreibt eine Gesellschaftsform, in der Männer mehr Macht haben als Frauen, ein System, in dem das Männliche über dem Weiblichen steht. Gerechtfertigt wird das mit angeblichen, »naturgegebenen« Unterschieden zwischen Männern und Frauen und ihren daraus resultierenden Rollen in der Gesellschaft (dazu mehr in Kapitel 3).

Der Feminismus kämpft für die Abschaffung des Patriarchats. Denn auch in modernen, emanzipierten Gesellschaften, in denen Frauen den Männern rechtlich gleichgestellt sind, finden sich allerorts patriarchale Strukturen. Es besteht weiter ein Machtgefälle: Männer haben viel mehr zu sagen. Deutschland beispielsweise wird zwar von einer Kanzlerin regiert. Die wichtigsten Positionen in Wirtschaft und Politik besetzen ansonsten aber vor allem Männer. Ob BASF, Deutsche Telekom, Volkswagen oder SAP, kein einziges der 30 größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland hat eine Frau an der Spitze.21 Männer haben auch mehr Besitz als Frauen. 2012 übertraf das durchschnittliche Männervermögen ein durchschnittliches Frauenvermögen in Deutschland um 27000 Euro.22 Die acht reichsten Männer der Welt besitzen zusammen so viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung.23

Ein besonders deutliches Symbolbild für ein fortexistierendes patriarchales System ist das berühmte Foto, mit dem Horst Seehofer im März 2018 die Führungsriege des Heimatministeriums vorstellte: Seehofer hatte ausschließlich Männer in sein Ministerium berufen.24 Oft aber sind patriarchale Muster nicht ganz so offensichtlich wie auf diesem Bild.

Den Begriff »Patriarchat« finden nicht alle, die sich im Feminismus engagieren, gut.25 Er ist manchen zu ungenau oder sie empfinden ihn als nicht mehr passend für eine Gesellschaft, in der Frauen nicht komplett von Machtpositionen ausgeschlossen sind. Deshalb sprechen sie lieber von einer »männlich dominierten Gesellschaft« oder »hegemonialer Männlichkeit«, meinen aber das Gleiche: das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern.26

S wie Sexismus

Sexismus ist das Instrument, mit dem dieses Machtverhältnis verteidigt wird – mit dem also der ungleiche gesellschaftliche Status von Männern und Frauen aufrechterhalten wird, den der Feminismus kritisiert. Für den Begriff Sexismus gibt es zwei unterschiedliche Definitionen: Der einen zufolge steht Sexismus für die Benachteiligung oder Diskriminierung eines Menschen aufgrund seines biologischen Geschlechts (zum Thema Geschlecht mehr in Kapitel 3). Das heißt, auch Frauen können sich gegenüber Männern sexistisch verhalten.27 Wer den Begriff so definiert, meint damit in der Regel aber die Diskriminierung von Mädchen und Frauen, denn sie sind schon immer stärker davon betroffen gewesen.28 Der zweiten Definition zufolge ist Sexismus das Zusammenspiel von geschlechtlicher Diskriminierung und Machtungleichheit. Nach diesem Verständnis kann es also keinen Sexismus gegenüber Männern geben, da sie in unserer Gesellschaft mehr Macht haben als Frauen.

Sexismus kommt überall vor: im Alltag, in der Schule, an der Uni, im Berufsleben oder auch in der Werbung. Er zeigt sich auf unterschiedliche Art und Weise: So handelt zum Beispiel ein Chef sexistisch, wenn er in seinem Unternehmen immer nur Männer befördert, weil er glaubt, dass Frauen dafür nicht durchsetzungsfähig genug seien – oder weil er davon ausgeht, dass sie eh in Kürze schwanger werden.

SEXISMUS HAT NICHTS MIT SEX ZU TUN  

Der Begriff Sexismus wurde in der US-amerikanischen Frauenbewegung der 1960er-Jahre geprägt. Dort sprach man von sexism – in Anlehnung an racism, den Begriff für Rassismus – um Diskriminierungen aufgrund des biologischen Geschlechts (auf Englisch sex) besser fassen zu können.29 Mit Sex im Sinne des deutschen Wortes für Geschlechtsverkehr und sexuelle Handlungen hat Sexismus zunächst mal nichts zu tun.

Oft zeigt sich Sexismus in Form von Sprüchen, die Mädchen und Frauen abwerten oder auf ihr Aussehen reduzieren: »Ihr Mädchen habt halt keine Ahnung von Physik«, »Achtung, Frau am Steuer« oder »Trag du doch unser Gruppenreferat vor, dann haben die Zuhörer auch was Schönes zum Angucken«. Das alles trieft vor Sexismus. Denn selbstverständlich gibt es Mädchen, die ein Talent für Physik haben, und Frauen, die Autos geschickt in die engste Parklücke manövrieren. Und wenn ein Mädchen einen Vortrag halten soll, weil es dann etwas zum Gucken gibt (für ihre heterosexuellen männlichen Zuhörer), ist die unterschwellige Botschaft: Ob du kompetent bist, ist egal, Hauptsache, du siehst gut aus.

Der ganz offensichtliche Sexismus der Marke »Frauen gehören an den Herd« ist heute zwar seltener geworden30 – aber nur, weil Sexismus oft nicht mehr so plump daherkommt, heißt das nicht, dass es ihn nicht mehr gibt. Ein Beispiel für modernen Sexismus ist der Satz »Frauen wollen doch gar keine Karriere machen«. Dahinter verbirgt sich die Annahme, dass Frauen heute nicht mehr diskriminiert werden im Berufsleben, sondern es an ihnen selber liegt, dass Männer die Führungsetagen dominieren.31

Sexismus hat aber noch mehr Gesichter. Zum einen tarnt er sich gerne als Kavaliersgeste – die Wissenschaft nennt das wohlmeinenden Sexismus: Wenn etwa eine Frau ungefragt von einem Mann ein Programm auf ihrem Computer installiert bekommt und er das mit den Worten begründet »Du als Frau musst dich doch mit so was nicht herumschlagen«, hat das auch eine sexistische Note: Ach, Technik, davon verstehen Frauen ja nichts! Wohlmeinender Sexismus hebt Mädchen und Frauen oft auf ein Podest, betont, dass sie besonders gut mit Kindern umgehen können, so mitfühlend sind, aber als zarte Wesen auch beschützt werden müssen. Damit legt er sie aber auch auf die klassisch weibliche – und machtlose – Rolle fest.32 Der wohlmeinende Sexismus ist nicht immer leicht zu erkennen: Ein Hilfsangebot kann ja tatsächlich nett gemeint sein.33

Zum anderen kommt Sexismus auch häufig als Witz daher. Dann heißt es zum Beispiel: Was muss unbedingt mit auf eine einsame Insel? Eine Frau zum Kochen! Ein vermeintlicher Brüller – der Geschlechterklischees zu zementieren hilft. Sexistische Bemerkungen werden im Nachhinein auch gerne negiert. Dann heißt es, das sei doch nur ein Spaß und ironisch gemeint gewesen. Der sexistische Witz ist besonders perfide: Es fällt nicht leicht, etwas gegen ihn zu sagen, niemand möchte als humorlos gelten. Also lachen viele lieber mit, auch wenn sie den Spruch überhaupt nicht lustig fanden.34

Feministische Vielfalt

Feminismus ist kein Verein mit Satzung, Regeln und Mitgliedsausweis. Feminismus ist eine soziale Bewegung und deshalb gibt es viele unterschiedliche Strömungen: etwa den Netzfeminismus, Queerfeminismus, marxistischen Feminismus, sexpositiven Feminismus, Ökofeminismus, Popfeminismus, intersektionalen Feminismus … Diese Reihe ließe sich noch eine ganze Weile fortsetzen.

Manche Spielarten des Feminismus sind sich sehr ähnlich, oft gibt es aber auch große Unterschiede zwischen den Feminismen und teilweise stehen sie sogar für gegensätzliche Ideen. Weil es so viele verschiedene Arten Feminismus gibt und auch immer wieder neue Richtungen dazukommen, werden hier nur die beiden Hauptströmungen des Feminismus genauer vorgestellt, unter die sich viele, wenn auch nicht alle anderen Feminismen einordnen lassen:35 der Gleichheitsfeminismus und der Differenzfeminismus.36 Im gemeinsamen Kampf für die Gleichberechtigung trennt Gleichheits- und Differenzfeminismus nämlich eine zentrale Frage: Welche Unterschiede gibt es zwischen den Geschlechtern?

SIMONE DE BEAUVOIR (1908–1986)  

1949 veröffentlicht die französische Philosophin und Schriftstellerin Simone de Beauvoir das Buch »Das andere Geschlecht«. Es soll eines der wichtigsten feministischen Werke und die Bibel der zweiten Welle des Feminismus werden. Vor allem ein Satz aus »Das andere Geschlecht« ist bis heute berühmt: »Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.« Er drückt in wenigen Worten einen zentralen Gedanken de Beauvoirs aus: Frausein ist keine biologische, sondern eine soziale Tatsache. Mit ihrem Lebensgefährten, dem Philosophen Jean-Paul Sartre, bildet de Beauvoir über Jahrzehnte das berühmteste Intellektuellen-Paar der Welt: Von ihrem Kennenlernen an der Universität bis zu seinem Tod im Jahr 1980 führen die beiden eine offene Beziehung. Die Ehe, die Sartre ihr anbietet, lehnt de Beauvoir als »beschränkende Verbürgerlichung« ab.

Der Gleichheitsfeminismus betont die grundsätzliche Gleichheit von Männern und Frauen und wendet sich gegen die Idee einer »weiblichen Natur«. Biologische Unterschiede? Spielen keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Der Gleichheitsfeminismus vertritt die Ansicht, dass existierende Unterschiede zwischen Männern und Frauen in der Sozialisation begründet sind – also darin, dass die Gesellschaft ihre weiblichen und männlichen Mitglieder von Anfang an anders behandelt und ihnen je nach Geschlecht eine Rolle zuweist. Diese unterschiedliche Behandlung beginnt schon mit rosa Stramplern für Mädchen und blauen Stramplern für Jungen – und dann folgen bald Kinderbücher, in denen Männer bei der Feuerwehr sind und Brände löschen oder als Piloten im Cockpit sitzen, während Frauen den Kinderwagen schieben oder am Herd stehen.37 Erziehung, Medien, Schule, die Erwartungen anderer Menschen: All das macht uns erst zu typischen Frauen und Männern, glaubt der Gleichheitsfeminismus. Deshalb können wir diese Unterschiede auch überwinden.

Der Differenzfeminismus dagegen geht davon aus, dass die Geschlechter grundsätzlich verschieden sind: Männer und Frauen sind nicht gleich, aber gleichwertig. Das Problem sind also nicht die Unterschiede zwischen den Geschlechtern, sondern dass wir in einer männlich geprägten Gesellschaft leben, in der auf die Eigenschaften und Bedürfnisse von Frauen keine Rücksicht genommen und Weibliches abgewertet wird. Aus differenzfeministischer Perspektive ist es auf dem Weg zur Gleichberechtigung zentral, die gesellschaftliche Ordnung und ihre männlich geprägten Normen zu hinterfragen, statt zu versuchen, Frauen für eine männliche Welt passend zu machen: Warum werden eigentlich typische Frauenberufe wie Erzieherin schlechter entlohnt als typische Männerberufe? Und sollte sich nicht eher etwas an der finanziellen Wertschätzung dieser Arbeit ändern, statt zu versuchen, Mädchen und junge Frauen für technisch-naturwissenschaftliche Berufe zu begeistern?

Im Feminismus sind also längst nicht immer alle einer Meinung, auch wenn sie das gemeinsame Ziel der Gleichberechtigung verbindet.

KAPITEL ZWEI

Eine sehr kurze Geschichte der Frauenbewegung

Ich bin nicht frei, solange irgendeine Frau unfrei ist, auch wenn ihre Fesseln sich sehr von meinen eigenen unterscheiden.38

Audre Lorde (1934–1992), Schriftstellerin und Aktivistin

Heute erscheint es vielleicht als eine Selbstverständlichkeit, dass Frauen wählen, studieren und Karriere machen können. Doch das mussten Generationen mutiger Frauen erst erkämpfen. In den vergangenen knapp zweieinhalb Jahrhunderten haben sie viele Fortschritte erstritten. Manchmal wurden Frauen dabei auch von Männern unterstützt. Oft aber begegneten diese den Feministinnen mit Ablehnung und Unverständnis.

Einige der mutigen Frauen und die Kämpfe, an denen sie teilnahmen, werden hier schlaglichtartig vorgestellt.39 Es geht unter anderem um die erste richtige Menschenrechtserklärung, Aktivistinnen im Hungerstreik und um feministisches Gemüse.

VON WELLE ZU WELLE  

Heute wird die Geschichte des Feminismus in Europa und den USA meistens in Wellen beschrieben: eine Perspektive, die zwischen drei oder neuerdings vier Wellen unterscheidet. Jede Welle steht für eine Epoche sowie typische Debatten und Ideen dieser Zeit. Natürlich gab es aber auch zwischen den Wellen feministisches Engagement – und während einer Welle dachten auch nicht alle das Gleiche.

Die erste Welle der Frauenbewegung (etwa von der Französischen Revolution 1789 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs 1918) kämpfte vor allem für die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter, insbesondere für das aktive und passive Wahlrecht, das Recht auf Erwerbsarbeit und – damit verbunden – gleiche Bildungschancen.

Feministinnen der zweiten Welle (1960er- bis 1980er-Jahre) forderten Selbstbestimmung: über das eigene Leben, den eigenen Körper, die eigene Sexualität. Eines der großen Themen dieser Zeit war das Recht auf eine straffreie Abtreibung.40

Die dritte Welle (1990er- und 2000er-Jahre) des Feminismus zeichnet sich vor allem durch ihre Vielfalt aus41 – und die Erkenntnis, dass das Versprechen vollständiger Gleichberechtigung nicht eingelöst wurde. Sie kritisierte unrealistische Schönheitsnormen und Geschlechterstereotype in Filmen, Serien und Computerspielen. Aushängeschild und wichtiger Impulsgeber der dritten Welle ist die im Punk verwurzelte »Riot Grrrls«-Bewegung aus den USA.42

Der Feminismus der Gegenwart, womöglich der Beginn einer vierten Welle, ist im Netz präsent, aber auch auf der Straße: Online wird über #MeToo und #Aufschrei diskutiert, offline bei Slutwalks und Women’s Marches demonstriert.43 Zwei Themen, die heute den Feminismus prägen, sind Sexismus und sexualisierte Gewalt.

Erste Welle

1791: Die erste universale Menschenrechtserklärung von Olympe de Gouges44

Alle Menschen sind gleich – diese Idee der Aufklärung verbreitete sich im 18. Jahrhundert in Europa und prägte auch die Französische Revolution. 1789 verkündete die Französische Nationalversammlung die »Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte«. Doch die Rechte der Frauen standen weder in diesem Manifest noch generell auf der revolutionären Agenda. »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« – schon die Parole der Französischen Revolution zeigte: Gleich sollten erst mal nur die Brüder sein. Schwestern blieben ausgeschlossen.

Die Künstlerin und Aktivistin Marie Gouze, besser bekannt als Olympe de Gouges, veröffentlichte daraufhin einen Gegenentwurf zur Erklärung der Nationalversammlung: eine Deklaration, die auch Frauen einschloss. Olympe de Gouges’ »Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin« von 1791 war damit die erste tatsächlich universale Menschenrechtserklärung. »Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen; sie muss gleichermaßen das Recht haben, die Rednertribüne zu besteigen«, schrieb de Gouges. Sie, die auf die Tribüne stieg und die Gleichberechtigung der Geschlechter forderte, landete am Ende selbst auf dem Schafott. 1793 wurde sie unter dem Terrorregime der Jakobiner hingerichtet.

1849: Die »Frauen-Zeitung« von Louise Otto-Peters und zwei separate Frauenbewegungen45

Feministinnen waren sich nicht immer einig in ihren Zielen, das zeigt sich auch in der Geschichte der deutschen Frauenbewegung. Im Oktober 1865 trafen sich in Leipzig bürgerliche Frauen, um gemeinsam für ihre Interessen einzutreten. Sie gründeten den Allgemeinen Deutschen Frauenverein (ADF). Erste Vorsitzende wurde die Schriftstellerin und Journalistin Louise Otto-Peters, die bereits 1849 die »Frauen-Zeitung« gegründet hatte. In ihren Artikeln setzte sich Louise Otto-Peters nicht nur mit der Situation von Frauen auseinander. Sie beschäftigte sich auch mit der sozialen Frage und prangerte die Bedingungen an, unter denen Arbeiterfamilien leben mussten.46 So viel Kritik an den herrschenden Verhältnissen kam nicht gut an. Um Otto-Peters mundtot zu machen, wurde in Sachsen eigens ein Gesetz beschlossen: Die sogenannte Lex Otto untersagte Frauen, politische Zeitungen herauszugeben.47

SOJOURNER TRUTH (1797–1883)  

Die Afroamerikanerin Sojourner Truth wird im US-Bundesstaat New York als Sklavin geboren. Sie trägt zunächst den Namen Isabella. Während ihrer Kindheit wird sie mehrmals an neue Besitzer verkauft. Später entkommt sie der Sklaverei, arbeitet zunächst als Hausangestellte, wird Wanderpredigerin und gibt sich selbst ihren neuen Namen. Ihre Freiheit nutzt Sojourner Truth, um sich für die Abschaffung der Sklaverei und das Frauenwahlrecht einzusetzen. Mit ihrer nachträglich »And ain’t I a woman?« betitelten Rede schreibt sie Geschichte: Sie stellt die Frage »Und bin ich denn keine Frau?« und fordert damit die weißen Frauenrechtlerinnen auf, auch für die Rechte schwarzer Frauen zu kämpfen. Ob Sojourner Truth diese Frage tatsächlich exakt so formuliert hat, wird heute aber bezweifelt: Denn warum sollte eine im Bundesstaat New York unter Niederländisch sprechenden Besitzern aufgewachsene Frau im Südstaaten-Dialekt sprechen?