5,99 €
Die friedlichen Zeiten im NOW-Universum scheinen zu Ende zu gehen. Auf dem Gefängnisplaneten Jis-Hayden spürt der Fereen Kyr, dass eine düstere Bedrohung heraufzieht. Als seine Freundin, die Tänzerin Dashtaree, verschwindet, ahnt der Junge, dass es in der Todeswüste Hells Dell ein Geheimnis gibt, dem er sich stellen muss. Doch für Fereen, die Flok Ingeleen, das schwebende Volk, gelten strenge Regularien: Sie dürfen sich wegen ihrer besonderen Fähigkeiten nicht frei bewegen und müssen aus Furcht vor der Willkür der Fereenjäger in beständiger Sorge um ihr Leben sein. Kann Kyr trotzdem herausfinden, was mit Dash passiert ist? Innere und äußere Welten, Zwänge und Diversität prallen aufeinander, nur wer sich verändert, kann überleben, dieser schlichten Wahrheit muss Kyr sich schließlich stellen und einem Grauen gegenübertreten, das kein Erbarmen kennt.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 221
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Prolog
Dashtaree
Zadore
Kyr
Dashtaree
Zadore
Juliannas
Kyr
Epilog
Glossar
Cover
Prolog
Glossar
Cover
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
78
79
80
81
82
83
84
85
86
87
88
89
90
91
92
93
94
95
96
97
98
99
100
101
102
103
104
105
106
107
108
109
110
111
112
113
114
115
116
117
118
119
120
121
122
123
124
Prolog
7745 n.R. intergalaktische Zeitrechnung,
Gefängnisplanet Jis-Hayden
„Wir sollten einen anderen Weg nehmen", murmelte Paspar. „Wir werden trotzdem noch rechtzeitig kommen."
Foy sah in die Ferne und stimmte dem Alten insgeheim zu: Pac und Viole begannen sich anzukündigen. Die Auren der beiden Sonnen schoben sich bereits über den Horizont des Wüstenplaneten. Auf Jis-Hayden konnte die Hellphase, außerhalb der Städte, den Hitzetod bedeuten.
„Angst vor ein bisschen Sand und Wind?“ Wallman Rey grinste überheblich.
Die drei Männer standen nur wenige Schritte von ihrem schwerfälligen Fahrzeug entfernt und blickten direkt vor sich auf eine Ebene aus grauem Sand. Paspar ging nicht auf die Provokation in den Worten des anderen ein. Seine Erfahrung sagte ihm, es sei besser, die Herausforderung zu ignorieren. Er zählte über sechzig Anniis und hatte viele andere Schmuggler, weitaus jüngere, überlebt. Er war gut in dem, was er tat.
„Treibsand und Sonnenstürme sind nicht ein bisschen Sand und Wind. Wir sind Geschäftsleute und nicht für eine Expedition ausgerüstet! Durch Hells Dell führt kein Weg!“ Der Ton des Alten war eindringlich.
„Wirklich nicht? Ha Tram Grin hat seine Waren in weniger als fünf Days durch die Wüste gebracht. Und: Sie waren frisch, sie erzielten gute Preise auf dem Markt in Forgrun! Sag mir, Paspar, wie hat er das wohl angestellt? Indem er Umwege und Pausen gemacht hat?“ Wallmann Reys Stimme triefte vor Sarkasmus.
„Jedenfalls nicht, indem er durch Hells Dell gegangen ist! Und es waren Erwachsene, das macht einen Unterschied! Außerdem hat er ihnen vor dem Verkauf Adril gespritzt. Foy hat die Einstiche gesehen!“
Foy hatte geahnt, dass sie ihn in ihren Streit mit hineinziehen würden. Er seufzte: „Niemand überlebt Hells Dell, das erzählt jede Mahmi ihrem Kind“, versuchte er dem alten Schmuggler beizupflichten.
„Jede Maaaaaahhhmmmmmmmi liebt auch ihr Kind, oder?“ Wallmann Rey flötete süßlich und zog das Wort Mahmi in die Länge wie ein Kleinkind, das nach der Mutter ruft. „Das erzählen die Mönche in ihren Scolas, und trotzdem ist die Hälfte unserer Waren hier von ihren Müttern an uns verkauft worden!“
„Das ist nicht ganz richtig“, dachte Foy. Zwei Frauen, die behauptet hatten, die Mütter zu sein, hatten dem Expediteur die Kinder verkauft. Dabei waren die Frauen eindeutig Menschen gewesen, das war aus den Erzählungen Wallmann Reys deutlich hervorgegangen, die Kinder dagegen gehörten zur Spezies der Fereen. Der Mann lachte dreckig, als hätte er Foys Gedanken gelesen und wollte ihn herausfordern.
Aus dem Con war jetzt ein Weinen zu hören. Paspar schüttelte sich. Er war seit dreißig Anniis in dem Gewerbe tätig. Er hatte schon beinahe alles geschmuggelt, nur noch nie menschliche Ware. Es gab Gesetze dagegen, Gesetze, an die die meisten seiner Art sich hielten, aber das war nicht der Grund für sein Unbehagen. Es war einfach falsch, Menschen oder menschenähnliche Wesen auf Sklavenmärkten zu verkaufen, das war einer der wenigen Grundsätze, die er in seinem Gewerbe hatte. „Auf alle Fälle sollten wir hier nicht rumstehen und quatschen. Es wird schnell hell“, sagte er.
Unbeeindruckt sah Wallmann Rey zum Himmel hinauf, wo die Zwillingssonnen jetzt von einer Ahnung zur tödlichen Gewissheit geworden waren. Foy hatte das Spektakel schon unzählige Male gesehen, aber dieser Sonnenaufgang war anders. Spannung lag in der Luft. Drei Days waren sie nun schon unterwegs, immer weiter nach Süden und Südosten, durch das karge Steppenland in das Innere des Planeten hinein. Die Zeit saß ihnen im Nacken. Ihre Ware war in einem sehr schlechten Zustand. Drei Pakete, so nannte der Expediteur die Kinder, hatten sie schon verloren. Und zwei weitere hatten sich bei der letzten Pause geweigert zu trinken.
„Ich kenne mich mit Wüsten, Sümpfen, Bergen, Gewässern oder Meteogebieten aus!“ Ihr Anführer sprach betont und hob bei der Aufzählung zuerst den Daumen, dann für jedes Wort einen Finger. Die geöffnete Hand zielte am Ende auf Paspar, als wolle er ihn ohrfeigen. „Wenn du Angst hast, alter Mann, nimm den langen Weg, aber wir gehen durch Hells Dell!“
Der Jüngere sah, dass Paspars Gesicht sich anspannte. In den Augen des anderen konnte er unter der weißen Kapuze seines Umhangs Zorn erkennen. Paspar war ein bekannter und zuverlässiger Schmuggler. Er war es nicht gewohnt, dass seine Entscheidungen in Frage gestellt wurden. Doch es schien um mehr zu gehen. Hinter dem verletzten Stolz bemerkte er noch etwas anderes bei dem Älteren: Er konnte es fast riechen, es war eine nervöse Anspannung, die der Angst sehr nahekam.
Foy teilte das Unbehagen des Mannes. Seit vierzehn Anniis lebte er auf Jis-Hayden. Der Gefängnisplanet war aufgrund seines Sonderstatus‘ zollfreie Zone. Alle zum Überleben auf dem Planeten notwendigen oder dort produzierten, über den Raumhafen in Niels Forgrun eingehenden und ausgehenden Waren, galten als von zusätzlichen Zahlungen befreit. Alles, was in Moers, dem offiziellen, interplanetaren Hafen, landete, musste dagegen hoch besteuert werden. Eine Situation, die Schiebereien aller Art heraufbeschwor. Als er damals zum ersten Mal Waren vom Güterraumhafen in Moers durch eine der Wüsten zur Hauptstadt Niels Forgrun gebracht hatte, war er so dicht wie nie zuvor an Hells Dell entlang gegangen. Seine Scouts hatten all die Geschichten und Legenden, die es über diese Wüste gab, immer und immer wieder erzählt, als könnte sie die Dauerschleife über das Grauen genau davor beschützen. Aber er erinnerte sich, allein beim Anblick der siedenden Luft über der berüchtigten Todeszone Furcht empfunden zu haben. Furcht, die nicht durch die Erzählungen der Scouts entstanden war, sondern durch etwas anderes. Später hatte er Witze darüber gemacht. Aber tatsächlich hatte er in all den Anniis nie das Bedürfnis verspürt, die deutlich kürzere Route durch Hells Dell zu nehmen. Inzwischen hatte er wohl beinahe tausend Touren hinter sich und die Geschichten über angebliche Treibsandgebiete, Gruhls und Raptoren dort, machten ihm keine Angst mehr. Aber auf die Idee, das Gebiet zu durchqueren, wäre er trotzdem nie gekommen. Es gab Grenzen. Auch für Schmuggler.
Ein leises Weinen drang jetzt erneut aus dem Con zu ihnen herüber. Das schien ein schlechtes Omen zu sein. Die ganze Dunkelzeit über war es Foy so vorgekommen, als würden sie vor einem Grauen davonlaufen, vor einem Grauen, das sich aber nicht abschütteln ließ. So sehr sie sich auch beeilten, es holte sie unerbittlich ein. Vielleicht war es nur das Unbehagen, weil sie zum ersten Mal menschenähnliche Wesen schmuggelten? Und dazu auch noch Kinder? Auch Paspar fühlte sich nicht wohl, das war deutlich zu spüren. Foy wollte nichts lieber, als so schnell wie möglich die Hauptstadt erreichen. Seine Sorgen waren jedoch nicht von der Art, dass er sie mitteilen wollte. Schon gar nicht diesem Expediteur.
Wallman Rey hatte den Ruf, sich unbequemer Mitarbeiter gnadenlos zu entledigen. Er war jung und mit seinen zweiundzwanzig Anniis sehr gutaussehend. Er hatte blaue Augen, dunkle Haare und sein Körper war sehr durchtrainiert. Mit seiner edlen Kleidung sah er neben Foy und Paspar aus wie ein König neben zwei Bettlern. Er trug schwarze, glänzende Stiefel mit Wärmeregulierung, einen hellen Ganzkörperanzug mit Wasserspeicher und die dazu passenden Handschuhe aus feinstem Grino-Flex, sowie einen farbwechselnden Umhang aus bestem Lin-Wuul. Nach allem, was Foy gehört hatte, war ihr Anführer erst wenige Dekadii auf Jis-Hayden, doch zumindest was seine Garderobe anging, wirkte er gut vorbereitet. Aber das Wichtigste, was man über den Mann wissen sollte, war: Er galt als Günstling des Herrschers von Jis-Hayden, Gor Hayden.
„Hat man je Berichte von Überfällen oder etwas Ungewöhnlichem auf den Gütern rund um Hells Dell gehört?“ Sie sahen sich an und verneinten dann beide.
„Ich wette, er geht ihm gerne zur Hand“, hatte Paspar erst vor ein paar Days in der Taberna mit eindeutigen Handbewegungen gewitzelt. „Schaukelt die Eier unseres großen Herrschers mit der einen Hand und schmuggelt mit der anderen alles am riesigen Hintern des Fettsacks vorbei.“ Wie erwartet hatten die anwesenden Schmuggler in sein Lachen mit eingestimmt. Der Herrscher dieses Planeten besaß nur eine Sache mehr als Gold: Die Verachtung seiner Untertanen.
"Es ist seltsam einem Mann zu folgen, über den man schon einmal in dieser Weise gelacht hat", dachte Foy und sah sich ratlos zum Con um. Während sie diskutiert hatten, war Billy, ihr Fahrer, herausgekommen und hatte die Gelegenheit genutzt, sich die Beine zu vertreten.
„Der Auftrag ist, Pakete in die Hauptstadt zu bringen, und das tun wir. Es spielt keine Rolle mehr, wie schnell wir sind“, sagte Paspar. „Es sind schon einige gestorben und wir werden noch mehr verlieren. Wir können von Glück reden, wenn überhaupt welche überleben. Es wird einen Sturm geben, und in Hells Dell wird er wegen des fehlenden Bewuchses deutlicher schlimmer werden. Der Con könnte versanden. Schon mal einen Sturm auf Jis-Hayden erlebt, Rey?“
Der junge Schmuggler war mit den Gedanken woanders. Er blickte auf Hells Dell, auf so eine bestimmte Art, die Foy bekannt vorkam. Vor seiner Zeit als Schmuggler hatte er in den Folterkellern der Commar gearbeitet, die Zangenmeister, wie die obersten Folterknechte hießen, hatten alle diesen Blick gehabt, kurz bevor sie mit ihrer Arbeit begonnen hatten. Es war ein Blick, der vor allem eines ausdrückte: die Lust, anderen Schmerzen zu bereiten. Wallman Rey wandte sich ihnen zu: „Warum nimmt niemand den Weg durch Hells Dell? Erklärt es mir noch einmal ganz genau, Paspar, Foy!“ Wallmanns Stimme klang betont freundlich, aber Foy ließ sich nicht täuschen. Die Situation wurde gefährlich.
Foy war schon alles Mögliche gewesen. Als Waisenkind bei den Mönchen aufgewachsen, war ihm das harte, schlichte Leben der Quanfa irgendwann zu beschwerlich geworden. Er hatte sich nie als Mönch gesehen und wollte die Kampfübungen und die Disziplin nicht auf sich nehmen. Als man ihn einmal beim Stehlen erwischt hatte, hatte es ihm gereicht, und er war, statt sich seiner Strafe zu stellen, einfach davongelaufen. Das Leben auf den Straßen und im Raum war jedoch um einiges härter als das eines Mönches. Das hatte er schnell erfahren, aber da gab es dann keinen Weg mehr zurück. Doch sein großes Talent war es, zu überleben. Das lag auch an seinem Fereenblut. Es hieß, einer seiner Vorfahren solle Fereen gewesen sein. Das war nichts, wofür er sich schämte oder was ihm anzusehen war, und er hatte gelernt damit zu leben. Doch die Vorteile, die es mit sich brachte, Fereengene zu haben, hatte er für sich zu nutzen gelernt: Er konnte Gefahren spüren. Seine Konsequenzen damit umzugehen waren oft eine Art Prävention gewesen. Oder anders ausgedrückt: Foy war ein geschickter Mörder. Paspar als erfahrener Schmuggler hatte nicht lange gebraucht, um den Wert von Foy zu erkennen. Sie hatten zwei Aufträge miteinander erledigt, da hatte der alte Mann ihn bereits gefragt, ob er nicht fest für ihn arbeiten wolle.
„Niemand, der je in diese Wüste gegangen ist, ist auch wieder herausgekommen!“
Foy nickte zu Paspars Worten. Es hatte immer wieder Männer und Frauen gegeben, die es versucht hatten: Schmuggler, Gejagte, Abenteurer,
Landvermesser, Großmäuler oder Suchtruppen. Einmal, erinnerte er sich, war sogar eine ganze Armee nach Hells Dell hineingewandert, um den in Ungnade gefallenen Kopfgeldjäger Jerimiah Sopp zu stellen, aber weder Sopp noch die Sternensoldaten waren je wieder gesehen worden. Der Letzte, der es versucht hatte, war, soweit Foy davon wusste, ein Janzz-Mönch vor ungefähr sechzig Anniis gewesen.
Paspar wandte sich von Rey ab und sah auf Hells Dell: „Es heißt, es liegt an dem Treibsand, aber es heißt auch, dass dort etwas lebt! Etwas… sehr Gefährliches!“
Der Expediteur schnaubte verächtlich. „Habt ihr jemals Spuren gesehen?“, flötete er.
Paspar schüttelte den Kopf. „Nein, das nicht, aber…“. Er schien noch etwas sagen zu wollen, aber der junge Mann gebot ihm Einhalt: „Hat man je Berichte von Überfällen oder etwas Ungewöhnlichem auf den Gütern rund um Hells Dell gehört?" Sie sahen sich an und verneinten dann beide.
"Gab es Aufklärungsflüge?"
„Ja.“
Wallmann Rey hob die Augenbrauen: „Und?“
„Kein Leben in Hells Dell“, sagte Paspar gepresst.
Ihr Anführer lächelte verschlagen. „Und wovon soll dieses etwas sich dann ernähren? Hm? Irgendeine Idee? Nein? Ziemlich komisch, oder? Aber, wo wir so nett plaudern, ich hätte da noch eine Frage: Gibt es in Sachen Treibsand oder Jis-Hayden eigentlich irgendeinen erfahreneren Führer als Paspar?“ Diese Frage richtete der Mann an Foy. Der zuckte die Achseln und sah Paspar dabei erneut an. Ihnen war beiden klar, dass die Entscheidung längst gefallen war. Rey lachte dreckig. Dem Halbfereen lief ein Schauder über den Rücken. Es gab jetzt nur noch die Wahl zwischen Befehlsverweigerung oder Mord an dem Transportunternehmer. Aber den Günstling Gor Haydens verschwinden zu lassen, dürfte schwierig werden, soviel war klar. Jis-Hayden war ein Gefängnisplanet, aber gerade deswegen gab es mehr Regeln zu beachten als irgendwo anders. Es war eine schier ausweglose Situation: selbst in Gefahr geraten oder töten! Foy spürte ein warnendes Prickeln im Nacken. Er fühlte sich um Anniis zurückversetzt in die Zeit, als er den Mönchen davongelaufen war. Nach Days des Herumirrens hatte ein reicher Kaufmann ihn aufgenommen. Er hatte ihn eingekleidet und respektvoll behandelt. Ganze sechs Days lang. Dann hatte er ihm die Hand zwischen die Beine gelegt. Nur kurz, aber es war eine Vorausschau gewesen auf das, was gekommen wäre. Das war der Fluch und Segen der Fereen. Sie hatten diese besondere Aura. Diesen Liebreiz, der sie dafür prädestinierte, Bitches zu sein. Er hatte eine Horas zum Überlegen gehabt. Der Kaufmann hatte Wert auf Freiwilligkeit gelegt. Also hatte der Junge, der er damals gewesen war, nachgedacht: Wollte er ein Bitch-Boy werden oder ein Mörder? Durch seine Ausbildung bei den Quanfa hatte er im Gegensatz zu den Vollblut-Fereen immerhin die Wahl. Er wusste, wie man schnell und leise tötet. Und anders als die wirklichen Fereen, hielt er sich nicht für unwertes Leben. Als er sich entschieden hatte, hatte er das gleiche Prickeln gespürt wie jetzt: Gänsehaut und ein Zittern, das tief bis in sein Innerstes reichte. Damals hatte er gewusst, dass es um eine Entscheidung ging, die seinen zukünftigen Weg prägen würde. Heute wusste er: Als Hure hätte er nicht lange überlebt. Es war die richtige Wahl gewesen. Würde er wieder den richtigen Weg einschlagen? Er legte die Arme schützend um sich.
„Ist dir kalt, Foy?“, fragte Wallman Rey.
„Ein wenig“, murmelte der Angesprochene. „Der Wind kommt.“ Foy zeigte in die Ferne, aber der Anführer der kleinen Schmugglergruppe wandte sich dem alten Mann zu. Kleine Sandteufel begannen zu tanzen. Die Wirbel spielten mit ein paar Körnern, dann wuchsen sie und drehten sich schneller und schneller. Schließlich verschwanden sie ebenso plötzlich, wie sie quasi aus dem Nichts aufgetaucht waren.
„Was glaubst du, was dort wirklich ist, Paspar?“ Wallmann klang jetzt ernsthaft interessiert. Vielleicht gibt es doch noch eine dritte Möglichkeit, dachte Foy voller Hoffnung.
„Sackgruben. Ganz plötzlich wegsackende Flächen, große und kleine!“, sagte Paspar mit einer Bestimmtheit in der Stimme, als wollte er sich selbst überzeugen. „Ich habe so etwas einmal auf Karmahn gesehen. Man geht vor sich hin, dann ganz plötzlich stürzt man in die Tiefe und ist begraben, bevor man wirklich merkt, was los ist. Es gibt keine Anzeichen, keine Warnung. Es sind Löcher im Untergrund, Luftblasen, die halten, solange der Boden darüber nicht belastet wird. Aber trittst du darauf: Zack, bist du verschwunden! Man spürt keine Schmerzen. Man erstickt so schnell, dass es nicht einmal einen Todeskampf gibt.“ Paspar begleitete seine Worte mit eindringlichen Gesten, als glaubte er, Rey durch diese Inszenierung doch noch überzeugen zu können.
„Er gibt nicht auf.“ Foy war beeindruckt, aber Wallmann Rey zeigte sich ungerührt: „So, so. Blasen, Sackgruben und Karmahn also.“
Die Augen des Jüngeren waren hart geworden. Er hatte es nie deutlich ausgesprochen, aber sowohl Foy als auch Paspar wussten, dass die Kinder von dem Planeten Karmahn stammten.
„Es ist einmal jemand direkt vor mir versackt. Einfach so. Eben noch haben wir uns unterhalten, dann: Bäm, weg war er! Zwei andere Männer unserer Gruppe hatten kurz weggeschaut und für sie war es nicht zu begreifen, sie hatten nichts gesehen. Plötzlich war er weg. Für immer!“
Wallman Rey zuckte die Schultern und lächelte: „Dann sollten wir
sicherheitshalber jemanden vor dem Con herlaufen lassen!“
Paspars Augen blitzten und seine Wangen bekamen eine rötliche Färbung. „Die Kinder sind schon entkräftet genug!“
Wallman lächelte. „Ich habe nicht von den Paketen gesprochen!“
Foy fröstelte schon wieder. Wenn es etwas Böses hier in Hells Dell gab, so stand es direkt neben ihm, das begriff er mit einer plötzlichen Deutlichkeit, die ihn ganz ausfüllte. Er spürte das Stilett in seinem Ärmel. Eine kleine Bewegung, ja, fast nur ein Gedanke, und es würde herausspringen und sein Ziel finden.
„Lost es aus oder geht beide, das ist mir egal. Billy fährt.“ Mit diesen Worten drehte Wallmann Rey sich um und ging zum Fahrzeug. Er sagte etwas zu Billy, dann stiegen beide ein. Jetzt war es so weit. Der Befehl war da. Paspar ging ohne ein weiteres Wort auf Hells Dell zu. Der Energator heulte auf wie ein verwundetes Tier. Der Con setzte sich hinter ihnen in Bewegung. Foy lief hinter Paspar her und ging dann, als er ihn erreicht hatte, neben ihm. Der alte Mann warf ihm einen Blick zu, der verzweifelt, aber auch dankbar zu sein schien: Zusammen hatten sie vielleicht eine Chance. Sie hatten noch knapp vier Horas, dann würde es zu heiß sein, um sich im Freien aufzuhalten, schätzte er.
Dort wo der Bewuchs der begehbaren Wüsten endete, an der Rasenkante, stand ein schwarzer Stones. „Hells Dell“ war darauf zu lesen. „Wie ein Grabstein, wie die Menschen in früheren Zeiten sie hatten - ein kleiner Stein mit zwei Worten für ein riesiges Grab“, dachte der Schmuggler.
Der Sand veränderte sich augenblicklich. Er war nicht mehr leicht und rieselte einem permanent in Schuhe und Kleidung, jetzt war er schwer und manchmal fast wie fester Boden.
„Stimmt die Geschichte mit den Blasen auf Karmahn?“
„Kein Wort davon, aber ich dachte, die kleine Geschichte könnte ihn doch noch überzeugen.“
Foy schmunzelte. Er mochte den Alten. Ein Wort von Paspar und er hätte Wallmann getötet. Billy hätte sie nicht verraten. Billy schwieg zu allem. Was aber vermutlich auch daran lag, dass Gor Hayden ihm einst die Zunge hatte herausschneiden lassen.
Es wurde immer heller. Die Zwillingssonnen erhoben sich nun mit all ihrer Unerbittlichkeit. Die Luft begann zu flirren. Der Himmel verwandelte seine Farbe vom rötlichen Dunkel der Nacht mit all ihren Monden in ein wildes Pastellfarbenspiel. Doch so tödlich die Hitze des Days auch sein konnte, fast war Foy dankbar dafür, dass sie Hells Dell nicht im Dunkeln durchqueren mussten. Die sagenumwobene Wüste Hells Dell! Er hätte niemals gedacht, dass er, ausgerechnet er, einen Fuß dort hineinsetzen würde. Hätte ihm das jemand vorhergesagt, er hätte ihn mit Sicherheit ausgelacht.
Sie sahen Bodenerhebungen in der Ferne und stellten fest, dass es Felsen waren. Foy bemerkte, dass Paspar mit einer unheimlichen Sicherheit den Weg fand, selbst an diesem Ort, wo er noch nie zuvor gewesen sein konnte.
Sie waren gerade eine Horas lang marschiert, da stoppte der Con. Foy taumelte. Solange er gegangen war, hatte er nicht gemerkt, wie ausgelaugt er bereits war, doch nun wurde es deutlich: Er würde vertrocknen, bei lebendigem Leibe! Die Hitze war das Böse, das hier lebte, mehr brauchte es nicht. Er würde vertrocknen und verdampfen. Nicht ohne Grund hatten die Bewohner Jis-Haydens einen veränderten Rhythmus: Sie schliefen während der Hellphase und arbeiteten in der Dunkelzeit.
Die plötzliche Stille war beängstigend. Wallmann Rey kam aus dem Fahrzeug und trug etwas im Arm. Es war ein Junge. Er musste um die zehn Anniis alt sein, seine Wangen waren eingefallen, die dunklen Haare verklebt, seine schmutzigen Hände baumelten an Wallmanns Seiten herab. Der Transportunternehmer fluchte und warf das Kind achtlos zu Boden. Foy konnte die Augen nicht von dem Kind lassen. Die schrägen Fereenaugen waren geschlossen. Er dachte, es sehe aus, als würde es schlafen, friedlich, schön und frei, endlich frei.
Ob er wohl Eltern hat, die um ihn weinen?
Der Schmuggler schüttelte den Kopf, um das unangebrachte Mitleid zu verscheuchen.
Paspar hatte seine Trinkflasche herausgenommen und trank gierig. Foy spürte keinen Durst. Er wusste, das waren die ersten Anzeichen des Hitzetodes, aber es machte ihm nichts aus. Sein Hirn schien zu kochen.
„Bei den Reitern von Rhu! Wir können doch bestimmt schneller vorankommen?“ Wallmann Rey klang wütend. Er war ein Stück auf sie zugegangen. Es mussten nun noch drei Pakete leben. Ein weiterer Toter, und der Expediteur würde nicht einmal seine Unkosten herausbekommen.
„Willst du vorweg laufen? Laut dem Gerede in den Tabernas bist du doch trainierter als wir in körperlichen Dingen.“ Die deutliche Herausforderung in Paspars Stimme überraschte ihn.
Erschöpfung und Angst machen den Alten unverschämt!
Bevor Wallmann antwortete, gellte ein Schrei durch die Wüste. Alle drei Männer zuckten zusammen. Foy starrte in die Ferne, ohne jedoch etwas anderes als Sand und Felsen erkennen zu können.
Das könnte eine Art Flugl gewesen sein, nur ein Flugl!
„Wie lange noch?“
„Acht Horas, wenn wir keine weiteren Pausen einlegen, um über die Dauer zu diskutieren“, sagte Paspar und spuckte aus.
Er legt es darauf an. Und wenn Rey darauf eingeht, gibt es einen Kampf!
Der Umhang des jungen Unternehmers blähte sich mit einem Mal, als wäre Leben in ihn gefahren. Der Ältere sah sich um.
„Irgendetwas stimmt hier nicht“, sagte Paspar.
Wallmann Rey grinste: „Ist das so?“
Er weiß, dass wir in Betracht ziehen, ihn loszuwerden.
„Spürst du es, Foy? Es kommt etwas.“
Die Art wie Paspar es sagte, ließ ihn wieder frösteln. Seine Furcht war jetzt von einem kleinen Kern zu einer Mellas gewachsen. Seine Lethargie war gewichen: Er spürte tatsächlich etwas.
„Wind, der durch Steinkammern fährt, Sand, Blasen – was davon macht dir am meisten Angst, Paspar?“
Wallmann stand nun direkt vor ihnen. Der Blick, mit dem der junge Mann den alten ansah, war grimmig.
Jetzt ist es so weit. Er geht auf die verdammte Provokation ein. Es gibt kein Entkommen. Der Tod kommt.
Einen Moment fürchtete er, Paspar könnte zur Waffe greifen. Der Alte hatte eine handliche Gun am Gürtel und er konnte sie leidlich gut benutzen, das hatte er bei mehr als einer Gelegenheit bewiesen. Wallmann Rey trat noch dichter an den alten Schmuggler heran, und Foy sah das kalte Funkeln in den Augen des jungen Mannes.
„Wir sollten weiter gehen!“ Er hörte selbst, wie schrill seine Stimme klang. Der Expediteur warf ihm einen Blick zu.
„Hörst du, Alter? Dein Fereen-Freund hier will lieber weitergehen.“ Er lachte verächtlich auf, dann drehte er sich um, schritt zum Con und kletterte die Treppe zum Einstieg hinauf.
Paspars Tempo war jetzt schneller und lief schließlich sogar. Foy passte sich dem Tempo des anderen an. Aber er wusste, lange würden sie das nicht durchhalten. Ihre Anzüge waren gut, doch nicht gut genug für einen Lauf durch die Hölle. Aber er sagte nichts. Er spürte nur förmlich, wie seine Zellen Flüssigkeit abgaben, wahrscheinlich würden sie beide in weniger als einer Horas verdampft sein. Sein Körper dehydrierte. Hinter sich hörte er das Brummen und Knirschen des Cons. Das Fahrzeug war groß, plump und schwer, jedoch für Fahrten durch jegliche Bodenbeschaffenheit mit unterschiedlichster Fracht hervorragend geeignet.
Bereits nach zehn Minutas überlegte er schon, ob er darauf bestehen sollte, dass sie eine Wasserpause machten, da sagte sein Partner unvermittelt: „Wir werden verfolgt!“
Die Stimme des Alten hatte die kalte Ruhe eines Menschen, der nicht länger Angst hat, weil er nun weiß, dass er in Gefahr ist. Der unsichtbare Geist ist stets grauenhafter als der, den man sieht, dachte Foy an ein altes Quanfa-Sprichwort. Paspar war stehen geblieben und hatte seine Trinkflasche gezückt. Foy trank jetzt ebenfalls.
„Ich will leben!“, dachte er, dann drehte er sich um. Eine Silhouette war am Horizont zu erkennen. Arme, Beine und ein Kopf.
„In Rhus Namen!“, entfuhr es ihm.
„Ist es schon wieder Zeit für ein Schwätzchen?“
Wallmann Rey gab sich keine Mühe mehr, seine Bereitschaft zum Kampf zu verstecken. Er war aus dem Con gestiegen und hielt eine schwere Waffe, wie eine letzte Mahnung, im Arm.
„Es scheint hier doch Leben zu geben“, sagte Paspar und deutete nach hinten.
Rey warf einen kurzen Blick über seine Schulter. Er musterte Paspar mit Verachtung, dann legte er die Waffe an, drehte sich um und schoss. Der Knall zerriss die Stille. Der Flug des Geschosses schien ewig zu währen. Fast war es Foy, als würde ein Teil von ihm mit dem Bullet fliegen. Wütend raste es durch die brennende Luft. "Lass es nicht ankommen, lass es nicht ankommen!", wünschte sich Foy in einer Litanei der Verzweiflung. Er starrte auf den schwarzen Punkt hinter ihnen. Es war ein Kind, das war nun zu erkennen, und es kam schnell näher. Zu schnell. Dann fand das Bullet sein Ziel. Die Silhouette sackte zusammen. Foy schloss die Augen. Er rang nach Luft.
„Dann war der Junge wohl doch noch nicht tot. Nun, jetzt ist er es jedenfalls!“ Mit diesen Worten stieg Wallmann Rey wieder ein. Der Con startete und bewegte sich auf die beiden Männer zu. Paspar trat zur Seite und Foy tat es ihm nach. Das Fahrzeug rollte an ihnen vorbei. Kurz sah es so aus, als würde es jeden Moment anhalten, dann wurde das Summen des Energators lauter und der Con beschleunigte. Sand wurde von den Ketten der Fahrzeugrollen aufgewirbelt.
„…ein anderer Junge… helle Haare!“, murmelte Paspar.