Fern der Welt und doch mittendrin – Mein Leben als Eremit - Bruder Otto Stahl - E-Book
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Fern der Welt und doch mittendrin – Mein Leben als Eremit E-Book

Bruder Otto Stahl

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  • Herausgeber: Integral
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Eine Klause mitten im Schwarzwald, fernab vom Trubel und der Hektik unserer Zeit: Bruder Otto ist ein moderner Eremit, der sich ganz bewusst für die Stille und Abgeschiedenheit entschieden hat. Hier erzählt er sein bewegtes Leben als früherer Punk, Zen-Mönch in einem japanischen Kloster und wie er schließlich als Einsiedler findet, wonach er immer gesucht hat: Ruhe, Frieden und innere Einkehr. Dabei ist Bruder Otto alles andere als weltabgewandt: Als Mönch und überzeugter Menschenfreund steht seine Tür für alle offen. Immer wieder klopfen Pilger und Ratsuchende bei ihm an. Bruder Otto hört zu, hat für alle Lebenssituationen eine überraschende Anekdote parat, zaubert jedem ein Lächeln auf die Lippen – egal, wie schwierig die Lage auch zu sein scheint.
Ein inspirierender Wegbegleiter, der Rat und Orientierung gibt und Vertrauen ins Leben schenkt. Mit vielen Übungen und kleinen Meditationen, um verborgene Kraftquellen zu erschließen.

Bruder Otto verstarb am 25.09.2022, kurz nach Fertigstellung seines Buchs. Sein ansteckender Optimismus, sein unerschütterliches Vertrauen in Gott und sein ebenso verschmitzter wie tiefgründiger Humor leben in diesem Buch weiter.

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Seitenzahl: 231

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DAS BUCH

Eine Klause mitten im Schwarzwald, fernab vom Trubel und der Hektik unserer Zeit: Bruder Otto ist ein moderner Eremit, der sich ganz bewusst für die Stille und Abgeschiedenheit entschieden hat. Hier erzählt er sein bewegtes Leben als früherer Punk, Zen-Mönch in einem japanischen Kloster und wie er schließlich als Einsiedler findet, wonach er immer gesucht hat: Ruhe, Frieden und innere Einkehr. Dabei ist Bruder Otto alles andere als weltabgewandt: Als Mönch und überzeugter Menschenfreund steht seine Tür für alle offen. Immer wieder klopfen Pilger und Ratsuchende bei ihm an. Bruder Otto hört zu, hat für alle Lebenssituationen eine überraschende Anekdote parat, zaubert jedem ein Lächeln auf die Lippen – egal, wie schwierig die Lage auch zu sein scheint.

Ein inspirierender Wegbegleiter, der Rat und Orientierung gibt und Vertrauen ins Leben schenkt. Mit vielen Übungen und kleinen Meditationen, um verborgene Kraftquellen zu erschließen.

DER AUTOR

Bruder Otto Stahl (1959-2022) lebte als Eremit in einer Klause oberhalb von Wolfach im Schwarzwald und kümmerte sich dort um den Wallfahrtsort der Jakobuskapelle. Er gehörte in den 1970er-/80er-Jahren Jahren der Punk-Szene in Freiburg an, lebte für knapp drei Jahre als Zen-Mönch in einem japanischen Kloster, bevor er zu seiner Bestimmung als christlicher Mönch fand. Als Altenpfleger verdiente er seinen Unterhalt und bot ehrenamtlich Sterbebegleitung und Suchtberatung an. Seine Offenheit und Lebensfreude zog zahlreiche Ratsuchende an, die mit ihren Sorgen und Nöten zu Bruder Otto kamen. So vereinte er seine tiefe Liebe für die Menschen mit einem zurückgezogenen Leben in Einsamkeit und Stille. Nach schwerer Krankheit verstarb Bruder Otto Stahl im September 2022.

Bruder Otto Stahl

Fern der Welt und doch mittendrin

MEIN LEBEN ALS EREMIT

Wegweisende Impulse für alle Lebenslagen

Mit Daniel Oliver Bachmann

Die in diesem Buch vorgestellten Informationen und Empfehlungen sind nach bestem Wissen und Gewissen geprüft. Dennoch übernehmen die Autoren und der Verlag keinerlei Haftung für Schäden irgendwelcher Art, die sich direkt oder indirekt aus dem Gebrauch der hier beschriebenen Anwendungen ergeben. Bitte nehmen Sie im Zweifelsfall bzw. bei ernsthaften Beschwerden immer professionelle Diagnose und Therapie durch ärztliche oder naturheilkundliche Hilfe in Anspruch.

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Copyright © 2022 by Integral Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte sind vorbehalten.

Redaktion: Sabine Zürn

Covergestaltung: Guter Punkt, München,

unter Verwendung eines Fotos von © Sonja Herpich

Layout, Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-28672-9V002

www.integral-verlag.de

www.facebook.com/Integral.Lotos.Ansata

INHALT

Achtung vor sich selbst erlangen

Bedingungslose Liebe in sich finden

Der Weg in die Stille

Wie ich Eremit wurde

Big in Japan

Der Unsui

Das Leben im Zen-Kloster

Die Bettelschale

Auf nach Tibet

In den Schwarzwald

Die Klause Sankt Jakob

Bildteil

Danksagung

Ein persönliches Nachwort von Daniel Oliver Bachmann

1. ACHTUNG VOR SICH SELBST ERLANGEN

»Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde«, sprach meine Großmutter und schritt dabei beherzt voran. Ich hatte Mühe, ihr auf meinen kurzen Beinen zu folgen. Ich war zehn Jahre alt und kannte den Weg auswendig, so oft war ich ihn schon mit Großmutter gegangen. Und immer betete sie dabei den Rosenkranz. Und ich mit ihr: »Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden …« Dabei hatte ich keine Ahnung von der Vergebung der Sünden und ob es einen Heiligen Geist wirklich gab. Das bringt mir doch nichts, dachte ich, aber da waren wir auch schon am Ziel.

Auf dem Pilgerweg

Das Bruderkirchle liegt an der Steige, eine der alten Straßen, die durch den Schwarzwald auf die Baar führen. Stellen Sie sich den Schwarzwald in meinem Geburtsort Vöhrenbach gern so vor, wie es der Name schon sagt: Hier gibt es sie noch, die endlos dichten Tannen- und Fichtenwälder.

Im 19. Jahrhundert war das eine bettelarme Gegend. Die Winter dauerten von Oktober bis April, waren schneereich und kalt. Es versteht sich fast von selbst, dass man hier die Ursprünge der Schwarzwälder Uhrenindustrie findet. In kleinen Werkstätten entstanden die preisgünstigen Uhren aus Holz, die so stark gefragt waren, dass sie von Uhrenträgern zu Fuß in alle Welt gebracht wurden. Daraus entstanden Handelskompagnien und später Uhrenfabriken, was der arbeitenden Bevölkerung aber wenig nutzte, denn sie blieb arm. Und starb früh: Durch das Bemalen der Uhrenschilder mit giftigen Lacken sank die Lebenswartung in diesen Regionen des Schwarzwalds unter vierzig Jahre.

Kein Wunder also, dass die Menschen an Orte wie dem Bruderkirchle pilgerten, um für bessere Zeiten zu beten. Die ließen dann auch nicht lang auf sich warten: Aus den alten Uhrenfabriken wurden hochmoderne Betriebe, in denen die neuesten Technologien zum Einsatz kommen. In Furtwangen, einer Stadt unweit von Vöhrenbach, entstand aus der früheren Uhrenschule eine der führenden deutschen Hochschulen für Informatik und Digitale Medien.

Von alledem war aber noch nichts zu spüren, als ich mit meiner Großmutter Ende der Sechzigerjahre zum Bruderkirchle pilgerte. Der Ursprung dieser Kapelle liegt im Dunkeln. Im Mittelalter sollen Beginen dort eine Betgemeinschaft eingerichtet haben. Eine Urkunde aus dem Jahr 1651 bezeugt die über Jahrhunderte abgehaltene »Sieben-Frauen-Wallfahrt«. Während des Dreißigjährigen Krieges, als die nahe gelegene Stadt Villingen in Kämpfe und Belagerungen verwickelt war, zogen sich die sogenannten Waldbrüder hierher zurück. Auch eine Eremitage wurde errichtet.

Könnte man in die Zukunft blicken, hätte ich kleiner Bub von diesem spirituellen Ort durchaus angezogen sein können. Doch das war nicht der Fall. Ich begleitete die Großmutter zwar freiwillig, doch vor allem aus dem Grund, weil es immer noch besser war, als zu Hause zu sein. Mein Vater konnte sehr jähzornig werden, und da war es klüger, ihm aus dem Weg zu gehen. Also folgte ich der Großmutter in den Wald. Und betete dabei den Rosenkranz, dessen Worte ich nicht verstand: »Der von Johannes getauft worden ist. Der sich bei der Hochzeit in Kana offenbart hat …« Welche Hochzeit, welche Taufe, was sollte das alles?

Die Macht der Demut

Ich hatte Fragen, aber da gab es noch etwas anderes: Was ich auf diesem Weg empfand, jedoch nicht in Worte fassen konnte, war ein Gefühl von tiefster Demut. Drei der fünf Buchstaben dieses Begriffs sprechen vom Mut – also die Mehrzahl. Denn es gehört Mut dazu, demütig zu sein, und das lernte ich damals, erst hinter der Großmutter herstolpernd und später auf vielen weiteren Stationen meines bewegten Lebens.

Heute bedeutet Demut für mich: Wer sich kleinmacht, gewinnt an Größe. »Denn nicht mein Wille geschehe, sondern dein Wille.« Auch dieser Satz gehört zum Rosenkranz, den meine Großmutter auf dem Weg von Vöhrenbach zum Bruderkirchle und wieder zurück unablässig vor sich hin murmelte. Bei jeder großen Perle betete sie: »Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.«

Da taucht sie auch schon auf, die Erde. Denn mit der Demut komme ich zurück zur Erde, kann ich mich also erden. Und glauben Sie nicht, ich hätte das nicht nötig, nur weil ich Jahre in einem japanischen Zen-Kloster verbracht habe und heute als Einsiedler lebe. Auch ich sitze manchmal auf dem hohen Ross, wenn ich wieder mal glaube, ich sei der Größte. Wenn die Medien schmeichelhafte Porträts über mich schreiben. Wenn das Fernsehen kommt und seine Kameras einschaltet, weil ein Einsiedler in den Zeiten des Corona-Virus doch etwas sagen kann in Sachen Lockdown und Rückzug. Ja, das kann er – doch danach kämpft auch er um seine Demut. Das ist nur menschlich. Da geht es uns allen gleich. Mir. Ihnen. Jedem.

Wissen Sie, dass Demut auch eine Form von Macht ist? Jesus hat es uns gezeigt, auch der heilige Franziskus. Vermeintlich starke Gegner rechnen nicht damit, dass in der Offenbarung von Schwäche wahre Stärke liegt. Deshalb will ich lieber in Demut besiegt werden als mit Stolz siegen. Demütig sein bedeutet, zuerst an andere zu denken, und das ist zu meinem Lebensmotto geworden: Ich will nicht der Erste sein, sondern der Letzte.

Nachdem im Jahr 2020 die Pandemie über uns hereinschwappte, nahm ich überall um mich herum Demut wahr, als die Menschen Hilfsbedürftige fragten, ob und wie sie sie unterstützen könnten. Die COVID-Zeit ist nicht vorbei, doch die Demut hat sich vielerorts verflüchtigt. Oder denken wir an die sozialen Medien, an Facebook, Instagram und TikTok: Wo ist dort Demut zu finden? Dort ist jeder der Größte, der Beste und der Schlaueste. Jeder führt ein glänzendes und erfolgreiches Leben, jeder holt für sich stets das Optimum heraus.

Ich kann mit so etwas nicht aufwarten. In der Schule war ich keine Leuchte. Als ich meine Lehre als Buchdrucker abschloss, starb dieser Beruf von heute auf morgen sang- und klanglos aus. Ich war Punker, ich trank zu viel, ich versuchte sogar einmal vergeblich, mich umzubringen. Ich wusste überhaupt nicht, wo mein Platz im Leben war. Trotzdem kam mir nie in den Sinn, dass womöglich mangelnde Demut der Ausgangspunkt meiner Sinnkrise war. Kommt Ihnen das, zumindest teilweise, irgendwie bekannt vor?

Inzwischen ist viel Zeit vergangen, oder wie man in Wolfach sagt, wo meine Klause im Wald liegt: »Es ist viel Wasser den Bach runtergegangen.« Ein sinniger Spruch in einer Gegend, wo die Flüsse Kinzig und Wolf zusammenkommen, und wo in alten Zeiten die Wolfacher Bäume fällten und zu langen Flößen zusammenbanden, um auf ihnen »hinab ins Land« nach Rotterdam zu fahren. Sie hatten eine Aufgabe, die Wolfacher, und das sage ich heute ihren Nachkommen, wenn sie den Pilgerweg aus dem Städtchen hoch zu mir in die Einsiedelei nehmen: »Wir alle haben eine Aufgabe auf dieser Erde. Noch bevor wir auf die Welt kamen, sprachen wir mit Gott darüber, was wir zu tun und zu lassen haben. Angekommen auf der Erde, hat der Verstand die Aufgabe vergessen, doch wir tragen sie tief in unserem Herzen. Daher machen wir uns auf die Suche. Auf dieser Suche lernen wir – hoffentlich – die Macht der Demut kennen.«

Ich bin auch so ein Suchender, und davon will ich Ihnen in diesem Buch erzählen. Die Suche hat mich zum Eremiten gemacht, doch ich bin alles andere als weltabgewandt. Die Menschen kommen zu mir in meine Klause, und ich gehe zu ihnen. Zum Beispiel für die Sterbebegleitung, die mich vor allem in der Pandemie-Zeit stark gefordert hat.

Ein junger Bursche, gerade mal sechzehn Jahre alt, lag wegen COVID im Sterben. Als ich an seinem Bett saß und seine Hand hielt, fragte er mich: »Bruder Otto, warum muss ich schon sterben?« Ich bin überzeugt davon, dass dieser junge Mensch seine Herzensaufgabe bereits bewältigt hatte. Und wenn wir unsere Aufgabe erledigt haben, wird es Zeit für uns zu gehen. Das sagte ich ihm auch: »Weil du alles schon getan hast.« Und wie alle, die ich in den Tod begleite, ging auch er mit einem Lächeln auf den Lippen. Ich habe noch niemanden begleitet, bei dem das nicht der Fall war.

Und doch ist es für mich jedes Mal eine neue Übung in Demut. Ein alter Herr, ein echtes Original aus dem Städtchen, gab mir darin eine Lehrstunde. Solche Menschen bezeichnet man in unsere Ecke Deutschlands als »knitz«, was so viel heißt, dass sie auf liebenswerte Weise gewitzt sind. Die Wahrheit sprechen sie gern mit einem Lächeln aus, so auch dieser alte Herr, an dessen Sterbebett ich saß. »Otto«, sagte er zu mir, »ich sterbe, aber komm du mal von deinem hohen Ross runter, denn eines Tages gehst auch du.« Warum er das sagte? Weil man in jeder Lebenssituation seine Demut verlieren kann, auch ich. Es ist unsere fortwährende Aufgabe, an ihr zu arbeiten – genau wie ein Sportler seine Muskeln trainieren muss und ein Musiker auf seinem Instrument übt.

Ähnlichkeiten

Eines Tages konnte meine Großmutter den Weg zum Bruderkirchle nicht mehr bewältigen. Der Arzt hatte zu ihr gesagt: »Trinken Sie ein Gläschen Rotwein am Tag, das tut Ihnen gut.« Vielleicht dachte sie, wenn ein Gläschen guttut, tun zwei doppelt gut, und drei sind noch besser. Am Ende waren es zu viele.

Ihr Mann war damals schon lange tot, doch für mich blieb er lebendig. Dabei hatte ich meinen Opa nie kennengelernt, denn er starb, einen Monat bevor ich im Jahr 1959 auf die Welt kam, genau am Tag seines Geburtstags. Das ist bei Weitem nicht die einzige Übereinstimmung zwischen uns. Von Kind auf hörte ich, dass ich ihm »wie aus dem Gesicht geschnitten« sei.

Opa hatte seinen Ruf weg, denn er war Wilderer. Die hatten einst im Schwarzwald einen ganz besonderen Stand. Auf der einen Seite brachen sie das Gesetz, auf der anderen Seite versorgten sie ihre Mitmenschen oft mit dem Nötigsten. Deshalb verriet man einen Wilderer nicht. Wurde jedoch die Obrigkeit seiner habhaft, erging es ihm schlecht. Nun kannten die Wilderer aber die versteckten Pfade im Wald besser als ihre Häscher, und das war auch bei meinem Opa der Fall. So gewann er im Laufe seines Lebens viel Ansehen und wurde sogar im Rathaus von Vöhrenbach mit einem Gemälde bedacht – nicht als frevelnder Wilderer, sondern als tugendhafter Jäger. »Der Otto«, sagten die Leute, »war ein bisschen verrückt« – verrückt im besten Sinne des Wortes: abgerückt vom Rest der Gesellschaft. Das hat mich stark geprägt.

Mir war immer, als ob mein Opa in mir weiterlebte. Dieses Gefühl wurde eines Tages so stark, dass ich darauf bestand, nicht länger mit meinem Taufnamen Jürgen angesprochen zu werden, sondern mit seinem Namen. Dieser ist mir bis heute geblieben: Otto Stahl oder eben Bruder Otto. Als ich mich in späteren Jahren intensiv mit dem Buddhismus befasste, in dem die Seelenwanderung eine bedeutende Rolle spielt, konnte ich vieles besser verstehen: Mein Opa war äußerst naturverbunden und ständig im Wald, genau wie ich heute. Er sprach mit den Bäumen wie mit Lebewesen, ganz in der Tradition des heiligen Franziskus, und auch ich tue das. Er war ein Schelm, der seine Mitmenschen liebte und sie über alles stellte, vor allem über sich selbst – und das ist auch mein Lebensmotto. Ob mein Opa jemals den Begriff Demut gehört hatte, weiß ich nicht. Aber er hätte sehr viel damit anfangen können.

Praxisübung: Waldbaden

Wer seine Demut schult, schult die Achtung vor sich selbst. Die Demut, lateinisch »humilitas«, erdet uns. Das können wir üben, und ich verspreche Ihnen, dass diese Übung eine wunderbare Angelegenheit ist. Im Japanischen nennt man sie »Shinrin Yoku«, ein Begriff, der unter der Bezeichnung »Waldbaden« in unseren Kulturkreis gelangte.

Dabei geht es um den achtsamen Aufenthalt im Wald, oder in meinen Worten: Wir dürfen wieder staunen wie die Kinder. Das ist, was ich tue, wenn ich unter den großen Bäumen spazieren gehe und die Terpene der ätherischen Öle einatme, die sie verströmen. Ich staune und schwärme: Denn von unseren Bäumen profitieren wir bei jedem Atemzug. 4,6 Tonnen Sauerstoff produziert eine hundert Jahre alte Buche pro Jahr – einem Erwachsenen wie mir reicht diese Menge für dreizehn Jahre. Gleichzeitig ist jeder Baum ein Kohlendioxidfresser: An einem sonnigen Tag verarbeitet er 9400 Liter CO2, was dem Ausstoß von drei Einfamilienhäusern entspricht. Auf Deutschland hochgerechnet entlastet der Wald die Atmosphäre Jahr für Jahr um 65 Zillionen Tonnen Kohlendioxid.

Ich habe das Glück, mitten im Schwarzwald zu leben, doch in Deutschland kann jeder waldbaden, denn noch immer hat unser Land mit rund 11,4 Millionen Hektar den größten Waldanteil in Europa. Das entspricht einem Drittel der Fläche. Und was für Wald das ist! Vielleicht finden wir darin keinen 9500 Jahre alten Baum, so wie die schwedische Fichte »Alt Tjiko«, doch viele Bäume, unter denen wir wandeln dürfen, sind sehr viel älter als wir. Das lässt mich staunen. Das verwurzelt mich fest in der Erde. Das macht mich demütig.

Wenn Sie also das nächste Mal in den Wald gehen, lassen Sie die Siebenmeilenstiefel zu Hause.e Fressen Sie nicht Kilometer auf einem Rundweg, sondern gehen Sie bewusst Schritt für Schritt, meditierend, staunend. Staunen Sie über das grüne Moos, staunen Sie über die Welt im Kleinen! Spüren Sie das wunderbare Gefühl der Demut, wenn Sie langsam durch den Wald spazieren!

Die wilden Jahre

In meinem früheren Leben gab es kein Waldbaden. Wie ich Zen-Mönch geworden bin, wie ich zum Einsiedler wurde, darüber werde ich später mehr erzählen, und auch, was mich in die Freiburger Punkerszene brachte, zu einer Zeit, als in der Breisgau-Metropole der Kessel kochte und politischer Widerstand zur Tagesordnung gehörte.

Damals sollte in Whyl am Kaiserstuhl, also ganz in der Nähe der Stadt, ein Atomkraftwerk gebaut werden. Der damalige Ministerpräsident Filbinger verkündete, ohne dieses Kraftwerk würden die Lichter ausgehen. Das Gelände für das AKW lag in einem erdbebengefährdeten Gebiet, umgeben von Weinbergen und dem größten Obstgarten des Landes. In Freiburg formierte sich der Widerstand. Die Anti-Atomkraft-Bewegung organisierte sich, aus der die Partei der »Grünen« hervorging. Mit »Radio Dreyeckland« ging die erste Piratenstation Deutschlands auf Sendung, die illegal über UKW aus dem Schwarzwald, dem Elsass und der nahen Schweiz die Protestbewegung unterstützte. Daneben entwickelte sich in der Stadt eine entschlossene Hausbesetzerszene. Tausende demonstrierten gegen die polizeiliche Räumung der besetzten Häuser im sogenannten »Dreisameck«. Schließlich wurde auch der »Schwarzwaldhof« zwischen Tal- und Schwarzwaldstraße besetzt. Rund hundert Menschen wohnten in der einstigen Knopffabrik.

In dieser Gemengelage wusste ich oft nicht, wo mir der Kopf stand. Ich arbeitete als Drucker in der berühmten »Bundschuh«-Druckerei, benannt nach der Bundschuh-Bewegung aufständischer Bauern im Mittelalter. Nicht zufällig druckten wir die Protestschriften der aufständischen Bewegung dieser Zeit. Ich wohnte in einer WG mit vielen Akademikern, die so viel mehr wussten als ich, der einzige Arbeiter unter ihnen. Gleichzeitig drehte ich mit einigen angesagten Künstlern schrille Avantgarde-Videos, trank viel zu viel und stand doch jeden Morgen wieder pünktlich an der Druckerpresse. Heute würde ich sagen: Ich fühlte mich wie Gott. Unbesiegbar. Unsterblich. Das absolute Ego: Ich bin der Tollste, ich bin der Beste, ich habe alles unter Kontrolle.

Was, ich trinke zu viel? Kein Problem, ich kauf mir ein Sofa, setz mich drauf, mach mir einen gemütlichen Abend zu Hause und lass das Saufen sein. Kaum stand das Sofa da, erhob ich mich, ging in den »Geier«, die damals angesagte Kneipe in Freiburg für alle Revoluzzer, Punker, Künstler und Staatenlose, und trank die nächsten Biere.

Exkurs über den Alkohol

Demut bedeutet, dass wir unsere Stärken und unsere Schwächen sehen. Dass wir sie anerkennen und uns nicht dafür verurteilen. Damals griff ich zur Flasche, um zu flüchten, wenn das Leben zu hart wurde.

Ja, es ist schon eine seltsame Sache mit dem Alkohol. Vielleicht wissen Sie, dass manche Angehörige indigener Völker geringere Mengen eines für den Alkoholabbau wichtigen Enzyms aufweisen. Bei der »Eroberung« des sogenannten »Wilden Westens« im 19. Jahrhundert nutzten das die europäischen Kolonialisten für ihre Zwecke aus. Nicht die Winchester ebnete ihnen den Weg nach Kalifornien, sondern der Alkohol, den sie freizügig ausgaben. Wer heute in die Indianerreservate in den Bundesstaaten Wyoming oder Montana reist, kann die schrecklichen Folgen dieses Alkoholmissbrauchs noch heute sehen. 

In unserem Kulturkreis ist das anders: Seit die Menschheit sesshaft wurde, und schon lange davor ist Alkohol Teil unseres Lebens. Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum die Menschen sesshaft wurden? Jahrtausendelang zogen wir als Nomaden durch die Welt, um dann, ziemlich genau vor fünftausend Jahren, auf einmal damit aufzuhören. In drei weit voneinander entfernten Regionen – im Vorderen Orient im »Fruchtbaren Halbmond«, in China sowie in Mittelamerika – entstanden Siedlungen. Von nun an rodeten wir die Wälder, bestellten die Äcker und machten uns abhängig von Klima- und Wetterbedingungen.

Und wozu die ganze Mühe? Der Evolutionsbiologe Josef Reichholf, Professor für Ökologie und Naturschutz an der Technischen Universität München, sagt: Wir wurden sesshaft, weil wir für unsere religiösen Rituale Alkohol benötigten in Form von Wein und Bier. Deshalb musste der Mensch Weinberge pflanzen und Weizen anbauen. Einige dieser Rituale sind auch im Christentum verankert. Und unser soziales Leben ist darauf aufgebaut, gemeinsam zu essen und zu trinken. Das ist auch kein Problem: Im Gegensatz zu den indigenen Völkern können wir mit Alkohol umgehen, solange der Konsum eine gewisse Menge nicht überschreitet.

Bei mir war das allerdings ganz und gar nicht der Fall. Mir fehlte jegliche Kontrolle, was meinen Alkoholkonsum anging. Das Einzige, was mir blieb, war tiefe Demut. Egal, von was wir abhängig sind – Alkohol, Drogen, schöne Kleider und Schuhe, Anerkennung von anderen, Eitelkeit und Stolz –, das ist alles nur äußerlich, ein Scheinglanz. Das Einzige, was uns dagegen hilft, ist, in Demut unseren inneren Gott zu finden. So schwierig das ist, so schön ist es auch!

Praxisübung: Den inneren Gott finden

Nichts schwerer als das? Nichts leichter als das! Sprechen Sie einfach die folgenden Sätze laut aus, und setzen Sie sie in die Tat um.

Wir glauben daran, dass eine Macht, größer als wir selbst, uns unsere geistige Gesundheit wiedergeben kann.

Wir fassen den Entschluss, unseren Willen und unser Leben der Sorge Gottes anzuvertrauen.

Wir machen eine gründliche und furchtlose Inventur in unserem Inneren.

Wir geben Gott, uns selbst und einem anderen Menschen gegenüber unverhüllt unsere Fehler zu.

Wir sind völlig bereit, all diese Charakterfehler von Gott beseitigen zu lassen.

Demütig bitten wir ihn, unsere Mängel von uns zu nehmen.

Wir erstellen eine Liste aller Personen, denen wir Schaden zugefügt haben, und erklären uns bereit, diesen wiedergutzumachen.

Wir machen diesen Schaden bei allen Menschen wieder gut – wo immer es möglich ist –, es sei denn, wir verletzen dadurch sie oder andere.

Wir setzen die Inventur bei uns fort, und wenn wir unrecht haben, geben wir es sofort zu.

Wir suchen durch Gebet und Besinnung, die bewusste Verbindung zu Gott – so, wie wir ihn verstehen – zu vertiefen.

Wir bitten ihn darum, uns seinen Willen erkennbar werden zu lassen und uns die Kraft zu geben, ihn auszuführen.

Nachdem wir durch diese Schritte ein spirituelles Erwachen erlebt haben, versuchen wir, diese Botschaft weiterzugeben und unser tägliches Leben nach diesen Grundsätzen auszurichten.

Wenn Sie sich nun fragen, was das für Glaubenssätze sind, will ich Sie gern aufklären: Das sind die »Zwölf Schritte« der Anonymen Alkoholiker. Diese Menschen überwinden mithilfe der Kraft der Gemeinschaft die Macht des Alkohols.

Voraussetzung dafür ist Demut, die jedem der oben genannten Sätze zugrunde liegt. Ich habe nur den ersten Satz herausgenommen, der wie folgt lautet: »Wir geben zu, dass wir dem Alkohol gegenüber machtlos sind und unser Leben nicht mehr meistern können.«

Wir können ganz demütig das Wort »Alkohol« durch die Sache ersetzen, die auf uns persönlich zutrifft. Wir sind machtlos gegenüber Alkohol. Drogen. Unserer Arbeit. Einer Krankheit. Den Forderungen der Verwandtschaft. Dem COVID-Virus. Was immer es ist: Wir geben in aller Demut zu, dass wir ihm gegenüber machtlos sind. Glauben Sie mir, wenn Sie das tun, geht es Ihnen schon viel besser! Weil wir loslassen können und sagen können: »Ja, es stimmt. Dein Wille geschehe!«

Ich habe das alles auch erst mühsam lernen müssen, da geht es mir genau wie Ihnen. Eine Zeit lang lebte ich im Allgäu. Ich liebte es, auf die Berge ringsum zu steigen. Oben setzte ich mich hin und sah hinab ins Tal mit den winzigen Häusern und Autos auf den Straßen. Dabei kam immer das Gefühl auf: Warum nimmst du dich so verdammt wichtig? Schau dich um: Sein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit.

Und wenn ich dieses Gefühl zuließ – wenn ich es in mein Herz und meine Seele strömen ließ und mich nicht dagegen wehrte, weil ICH doch die Krönung der Schöpfung war –, dann wurde ich auf einmal ganz ruhig und wunderbar demütig. Dann spürte ich meinen inneren Gott. Dann spürte ich die Kraft der Demut.

2. BEDINGUNGSLOSE LIEBE IN SICH FINDEN

Ja, es hatte etwas mit meinen Lebensumständen zu tun, dass sich mir der Weg zum Mönchsein offenbaren konnte. Das klingt großartig, nicht wahr? Etwas offenbart sich uns. Das ist aber nur in der Rückschau der Fall. Solange wir als Suchende unterwegs sind, offenbart sich gar nichts. Wir gelangen jedoch immer wieder an Weggabelungen, an denen wir eine neue Entscheidung zu treffen haben. Dort erhalten wir Möglichkeiten, die wir noch gar nicht überblicken können. Von so einer Weggabelung in meinem Leben und einer wichtigen Entscheidung will ich Ihnen erzählen. Erst im Nachhinein hat sich mir dadurch etwas offenbart – als es damals geschah, habe ich einfach nach dem Rettungsanker gegriffen.

Stellen Sie sich vor, wie ich damals daherkam: ein junger Bursche im wilden Freiburg, reichlich grün hinter den Ohren, doch mit dem Gefühl, so etwas wie Krösus zu sein … Sie wissen schon, Krösus, der letzte König von Lydien in der heutigen Türkei. Er herrschte um 550 v. Chr., und man sagt ihm märchenhaften Reichtum nach. Er besaß Gold in Hülle und Fülle aus den Bergwerken von Pergamon, und außerdem mussten ihm die griechischen Stadtgründungen in Kleinasien Steuern zahlen.

Von diesem Reichtum war ich als Buchdrucker natürlich meilenweit entfernt, doch das machte nichts, denn ich fühlte mich wie Krösus, wenn ich mir die Nächte im Freiburger Kultklub »Crash« um die Ohren schlug. Auch für mein kleines Geld konnte ich zu dieser Zeit dort alles kriegen. Wir tranken viel und tanzten Pogo, dem damals in der Punkerszene angesagten wilden Tanz, der einem Boxkampf gleicht. Ich war immer mittendrin und voll dabei. Wurde es uns in Freiburg zu öde, fuhren wir nach Basel und machten den Klub »Totentanz« unsicher.

Genau dort geschah eines Tages etwas, das sich im Rückblick als Wendepunkt in meinem Leben darstellt: Mit von der Partie war einer meiner damaligen Sauf- und Rauf-Kumpels. Da er später als Schauspieler Karriere machte, brauchen wir seinen Namen hier nicht zu nennen. Ich hatte zu dieser Zeit eine Freundin. Doch der Kumpel war der irrigen Ansicht, dass ein Mädchen im »Totentanz« ihre Blicke nicht von mir ließe, wo er doch gerade seinen Blick auf sie geworfen hatte. Die Verwirrtheit von zwei jungen Männern im Rausch der Hormone führte zu einem Satz, den nur Halbstarke wie wir damals draufhaben: »Wir zwei gehen jetzt raus und klären es draußen.« Also gingen wir raus, und noch bevor ich wusste, wie mir geschah, kassierte ich eine Tracht Prügel. Mein Kumpel war nicht stärker als ich, doch in ihm steckte viel Wut, und die ließ er an mir aus. Ich wollte und konnte mich nicht wehren, schließlich waren wir bis zu diesem Abend Freunde gewesen. Für ihn war das jedoch Geschichte. Er ließ nicht von mir ab, bis ich im wahrsten Sinne des Wortes grün und blau geschlagen war.

Ich erinnere mich noch, wie ich spät in der Nacht im nahen Rhein versuchte, meine Wunden zu kühlen, doch es half wenig. Ich landete im Basler Kantonskrankenhaus. Dort flickten die Ärzte mich zusammen, danach entließ ich mich selbst. Auf der anderen Seite des Rheins liegt die deutsche Stadt Lörrach, von wo aus ich nach Freiburg trampte, was damals gang und gäbe war. Ich brauchte lange dafür, schließlich sah ich nicht gerade vertrauenerweckend aus. Als ich endlich zerschunden in Freiburg ankam, ließ ich folgende Kunde verbreiten – als ob wir im Wilden Westen wären: »Richtet ihm aus, dass ich ihn umbringe, wenn er mir über den Weg läuft!«

So weit war es mit mir gekommen, und ich meinte es durchaus ernst. Mein Kumpel wusste das, verließ Freiburg und zog so weit wie möglich weg, und zwar nach Hamburg. Das sollte sich für ihn noch als Glücksfall erweisen, denn erst dort fasste er Fuß als Schauspieler. Für mich war es auch eine Art Glücksfall: Ich war ganz unten angekommen, körperlich und seelisch. Von ganz unten kann es immer nur nach oben gehen.

Ich hatte einige Zeit davor einen japanischen Zen-Mönch kennengelernt. Er war eines Tages in unserer Druckerei gestanden und hatte mich eingeladen, bei ihm vorbeizukommen. Was wie ein Märchen klingt, war in diesen Tagen kein Zufall. Von Kyoto aus hatten sich einige Mönche nach Frankreich und Deutschland aufgemacht