Festtagsstimmung - Katie Fforde - E-Book

Festtagsstimmung E-Book

Katie Fforde

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Beschreibung

Es ist nicht gerade die prickelndste Phase ihres Lebens: Grace wurde von ihrem Ehemann verlassen, Ellie ist schwanger und nun ebenfalls ohne Mann. Doch es ist schnell Schluss mit frustig, als Ellie als Untermieterin bei Grace einzieht. Denn das wunderschöne Anwesen, das Grace von ihrer Großtante geerbt hat, bietet nicht nur ausreichend Wohnraum, sondern eignet sich hervorragend für Events verschiedener Art, die die beiden mit viel Fantasie organisieren. Darüber hinaus entdecken sie eines Tages durch einen Zufall lang verborgene Kostbarkeiten, die ihnen ganz neue Perspektiven eröffnen. Und so hat es schließlich den Anschein, als könne das Glück vollkommener nicht sein ...

Eine herzerwärmende Liebesgeschichte, gespickt mit Humor, von Bestsellerautorin Katie Fforde.

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.

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Seitenzahl: 692

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungDanksagungKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28

Über dieses Buch

Es ist nicht gerade die prickelndste Phase ihres Lebens: Grace wurde von ihrem Ehemann verlassen, Ellie ist schwanger und nun ebenfalls ohne Mann. Doch es ist schnell Schluss mit frustig, als Ellie als Untermieterin bei Grace einzieht. Denn das wunderschöne Anwesen, das Grace von ihrer Großtante geerbt hat, bietet nicht nur ausreichend Wohnraum, sondern eignet sich hervorragend für Events verschiedener Art, die die beiden mit viel Fantasie organisieren. Darüber hinaus entdecken sie eines Tages durch einen Zufall lang verborgene Kostbarkeiten, die ihnen ganz neue Perspektiven eröffnen. Und so hat es schließlich den Anschein, als könne das Glück vollkommener nicht sein …

Über die Autorin

Katie Fforde wurde in Wimbledon geboren, wo sie ihre Kindheit verbrachte. Heute lebt sie mit ihrem Mann, drei Kindern und verschiedenen Katzen und Hunden in einem idyllisch gelegenen Landhaus in Gloucestershire, England. Erst vor wenigen Jahren begann sie mit dem Schreiben romantischer, heiterer Gesellschaftskomödien, die stets sofort die englischen Bestsellerlisten eroberten.

Katie Fforde

Festtagsstimmung

Aus dem Englischen vonMichaela Link

beHEARTBEAT

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2003 by Katie Fforde

Titel der englischen Originalausgabe: »Restoring Grace«

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2006/2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titelbild: mauritius-Images/Thonig

Umschlaggestaltung: Kirstin Osenau unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Kozhadub Sergei | stockcreations; ©iStock: MiaZeus

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-4822-4

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für D. S. F.

Ohne dich wäre das alles durchaus auch möglich

gewesen – aber es hätte lange nicht

so viel Spaß gemacht.

Danksagung

Da ich mein eigenes Leben und meine eigenen Erfahrungen inzwischen für das Schreiben restlos ausgeschlachtet habe, bleibt mir nur noch der Rückgriff auf neue Wissensgebiete, die aber erst erobert sein wollen. Und das kann ich nicht allein, dafür bin ich auf Hilfe angewiesen. Eine ganze Anzahl von Menschen hat mich dabei auf vielfältige Weise unterstützt. Ich bin ihnen allen tief und von Herzen dankbar, aber natürlich selbst verantwortlich für alle Fehler, die mir unterlaufen sein mögen.

Desmond Fforde riet mir, in die Gelben Seiten zu schauen, und dort stieß ich auf die Gemäldekonversatorin Clare Herbert, die mir nicht nur großzügig ihre Zeit und ihr Fachwissen zur Verfügung stellte, sondern mich darüber hinaus mit Richard Watkiss bekannt machte. Er hat dann dafür gesorgt, dass mich die Restaurierung und Konservierung von Bildern stärker faszinierte – auch im romantischen Sinne –, als ich je vermutet hätte. Mel Danne hat mich zu ihren Weinabenden eingeladen. Geoffrey Brett und Tim Marshfield haben meinem Computer die Flötentöne beigebracht, als ich bereits einem Nervenzusammenbruch nahe war. Jonathan Early und Louse Ratcliffe gaben mir Ratschläge auf verschiedenen Gebieten, Sophie Hannah und Debbie Evans speziell zum Thema Schwangerschaft. Und Duncan Broady von der Firma Bristol Preservations bestätigte mir, wie kostspielig die Sanierung eines von Trockenfäule befallenen Hauses ist.

Wie immer danke ich allen bei Random House ohne wertende Reihenfolge: Kate Elton, Georgina Hawtrey-Woore, Char-lotte Bush, Kate Watkins, Justine Taylor, dem wunderbaren Vertriebsteam und jeder anderen, die immer gut drauf und hilfsbereit war und der ein wenig Lob gut tut.

Ein Dankeschön auch der freundlichen, gewissenhaften Richenda Todd, die meine Bücher weiterhin mit viel Takt und Feingefühl redigiert, und Sarah Molloy dafür, dass Sie eine Tigerin ist, ein großer Fan und eine liebe Freundin.

Kapitel 1

Das Haus ist wunderschön, dachte Ellie. Perfekte Proportionen. Wahrscheinlich georgianisch oder Queen Anne.

Seine Front beherrschten fünf Sprossenfenster, die durch Hochschieben zu öffnen waren, die Haustür mit dem charakteristischen Oberlicht und einige Dachgauben. Zu der mit Jasmin überwucherten Veranda hinauf führte ein sehr gepflegter Fußweg. Wie ein Puppenhaus, dachte sie und lachte dann über sich selbst: Ein Puppenhaus war ein Abbild eines echten Hauses, nicht umgekehrt.

Die hohen Mauern, die den Garten umschlossen, waren aus einem schönen, grauen Stein, und durch das Tor konnte Ellie sorgfältig gestutzte Obstbäume sehen, in die etwas Wilderes hineinwuchs, wahrscheinlich Rosen. Ein großes Beet zarter, malvenfarbener Krokusse unterbrach das satte Grün des Rasens, und der Pfad war von Narzissen gesäumt. Es war jetzt genau die richtige Jahreszeit, und obwohl die Blumen im Einzelnen für Ellie nicht wirklich wichtig waren, sah das Haus trotz des eisigen Windes absolut entzückend aus.

Sie stellte ihre Tasche auf den Boden und nahm das Tor in Augenschein. Es wirkte ziemlich stabil, und sie setzte einen Fuß auf eine Quersprosse zwischen den Pfosten. Dann zog sie sich hoch, um das Haus besser sehen zu können.

Gegen eine der steinernen Säulen gelehnt, die das Tor einrahmten, konnte Ellie das Haus in seiner Gesamtheit betrachten. Es war das, was Makler als »Juwel« bezeichnen würden. Zwar schien es nicht bewohnt zu sein, aber es konnte ohne weiteres jemand hinter den Fenstern stehen und sie beobachten. Allerdings hoffte sie inbrünstig, dass das nicht der Fall war – es wäre peinlich gewesen, ja sogar demütigend. Sie sprang auf den Boden zurück. Dann erinnerte sie sich und fragte sich, ob es unter den gegebenen Umständen vernünftiger gewesen wäre, nicht zu springen.

Seufzend angelte sie ihren Fotoapparat aus ihrer Tasche und kletterte wieder auf ihren Ausguck. Sie stellte die Belichtungszeit sowie die Blendenöffnung ein, mühte sich mit der Entfernungseinstellung ab und wünschte, sie hätte eine modernere Ausrüstung, die ihr dergleichen Dinge abnehmen würde. Schließlich war sie keine Fotografin. Sie wollte lediglich ein Foto von dem Haus haben.

Sie machte mehrere Aufnahmen, stieg dann wieder auf den Boden hinunter und steckte den Fotoapparat zurück in ihre ausgebeulte Basttasche. Dann nahm sie ihren silbernen Nasenstecker heraus, der zwar winzig war, auf bestimmte Menschen aber dennoch bedrohlich wirken konnte. Desgleichen entfernte sie zwei von ihren Ohrringen (sodass nur noch ein einziges Paar übrig blieb) und zupfte an ihren Kleidern und ihrem Haar. Es war wichtig, seriös zu wirken; Besitzer georgianischer Pfarrhäuser waren in der Regel eher konservativ.

Als sie sich eine Strähne ihres scharlachroten Haares unter ihr Bandana schob, wurde ihr bewusst, dass sie in Wirklichkeit gar keine Vorstellung davon hatte, wie sich ihre Bemühungen auswirkten: Möglich, dass sie jetzt aussah wie eine in einem Wigwam hausende New-Age-Reisende oder eine Hausiererin. Dennoch drückte sie die Schultern zurück, griff nach ihrer Tasche und öffnete das Tor. Das war der Teil der Arbeit, der Mut kostete.

Die Besitzer eines solchen Hauses mussten wohlhabend sein, dachte sie, fest entschlossen, optimistisch zu sein. Sie hoffte nur, dass die Leute keine Hunde hatten.

»Nicht dass ich Hunde nicht mag«, murmelte Ellie für den Fall, dass tatsächlich Hunde da waren und zuhörten. »Ich möchte nur nicht angesprungen werden, nicht gerade jetzt.«

Doch es kamen keine Hunde herbeigelaufen, um ihr die freundlichen, aber starken Pfoten in den Bauch zu drücken (wie beim letzten Haus), und sie erreichte die Haustür unbeschmutzt und im Stande, weiterhin normal zu atmen. Dann holte sie tief Luft und zog kräftig an dem Knauf, der aus dem steinernen Türpfosten herausragte. Sie konnte nur hoffen, dass das Ding an irgendetwas befestigt war. Es bimmelte ermutigend, aber die Sekunden, während deren sie darauf wartete, dass jemand die Tür öffnete, waren immer die schlimmsten. Sie bewegte die Zunge in ihrem Mund, damit sie nicht zu trocken wurde und ihre Lippen nicht an ihren Zähnen festklebten, wenn sie zu lächeln aufhörte. Dann entspannte sie den Mund, damit sie ein aufrichtiges Lächeln zu Stande bringen konnte, sobald die Tür geöffnet wurde.

Sie brauchte nicht lange zu warten. Eine Frau mit ängstlichem Gesichtsausdruck, die über ihren Jeans Pullover, Strickjacken und Schals in mehreren Schichten trug, dazu Schafsfellstiefel, erschien. Das war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht die Besitzerin, befand Ellie, sondern wohl eher die Tochter des Hauses. Die Frau war vielleicht etwas älter als sie selbst – Ende zwanzig, Anfang dreißig – und wirkte ein wenig ätherisch, ein Eindruck, der durch ihre Körperverhüllungen noch hervorgehoben wurde. Sie erweckte den Eindruck, als hätte sie sich eine Weile außerhalb der Welt aufgehalten. Ihr Haar war hellbraun, erst kürzlich gewaschen und, so wie es aussah, nicht leicht zu bändigen. Ellie dachte, dass sie wahrscheinlich irgendein spezielles Produkt brauchte, um es unter Kontrolle zu bekommen, aber diese Frau sah nicht so aus, als hätte sie jemals etwas von Stylingwachs oder Mousse gehört. Ihre schlammgrünen Augen erinnerten Ellie an einen Halbedelstein, den ihr einmal jemand aus Indien mitgebracht hatte, und auf ihrer Nase und ihren Wangenknochen verteilten sich ein paar Sommersprossen. Ellie mochte Sommersprossen; sie hatte selbst welche, und es machte ihr Mut, sie im Gesicht dieser Frau zu sehen.

»Hallo«, sagte sie. »Ich wüsste gern, ob ich Sie für ein Bild von Ihrem Haus interessieren könnte … oder dem Haus Ihrer Eltern?«

Die junge Frau schüttelte den Kopf, sodass ihr glänzendes Haar noch mehr in Unordnung geriet. »Nein, es ist mein Haus.«

Das war eine kleine Überraschung, aber Ellie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. »Hm, ich habe gerade ein paar Fotos davon geschossen, und falls Sie Interesse hätten, könnte ich anhand der Bilder ein Aquarell für Sie malen. Sehen Sie?« Ellie holte ihr Album aus der Tasche. Darin fanden sich Fotografien von Häusern, neben denen Fotos der Bilder zu sehen waren, die sie gemalt hatte. Dann förderte sie flink ein Originalbild zu Tage, das bereits aufgezogen, aber noch nicht gerahmt war. »Und das ist eins von denen, die ich vor einer Weile angefertigt habe!« Sie lachte, um die Situation ein wenig zu entspannen.

Die junge Frau nahm das Musterbild. »Es ist wunderschön. Das Problem ist, ich könnte es mir unmöglich leisten …«

»Meine Preise sind sehr vernünftig. Ich könnte Ihnen eins für etwa fünfzig Pfund malen. Ungerahmt.«

»Das ist in der Tat ein vernünftiger Preis«, stimmte die Frau ihr zu. »Aber die Sache ist die …« Sie hielt inne und seufzte. »Andererseits wäre ein Bild ganz reizend, falls …«

Ellie verlagerte ihr Gewicht auf den anderen Fuß. Es wäre fatal, diese Frau zur Eile anzutreiben, falls sie sich vielleicht dafür entschied, ein Bild in Auftrag zu geben, aber auf der anderen Seite musste sie schon seit einer ganzen Weile dringend zur Toilette. Der Sprung vom Tor hatte die Sache nicht besser gemacht.

»Es tut mir Leid, dass ich so lange brauche, um mich zu entscheiden«, fuhr die Frau fort, den Blick mit schräg gelegtem Kopf immer noch auf das Musterbild geheftet.

»Machen Sie sich keine Gedanken. Die Leute brauchen immer ewig.« Ellie musterte die Frau ein wenig eingehender. »Es tut mir Leid, ich weiß, dass es eine furchtbare Frechheit ist, doch würde es Ihnen sehr viel ausmachen, wenn ich Ihre Toilette benutzte? Normalerweise würde ich es einfach aushalten, aber ich bin schwanger.« Bei diesen Worten errötete sie. Sie hatte es bisher fast niemandem erzählt, nicht einmal ihren Eltern, und es war erschreckend, das Wort laut ausgesprochen zu hören.

»Oh! Gott! Wie schön! Natürlich! Kommen Sie doch herein. Ich fürchte allerdings, dass es bei mir nicht sehr ordentlich ist.« Die junge Frau öffnete die Tür.

Ellie blieb auf der Schwelle stehen. »Mein Name ist Ellie, Ellie Summers.« Sie griff nach der Hand der anderen Frau. »Es kommt mir irgendwie unhöflich vor, Ihre Toilette zu benutzen, wenn Sie nicht einmal meinen Namen kennen.«

Die Frau lachte und sah plötzlich hübsch aus. »Ich heiße Grace – Ravenglass oder Soudley.« Sie legte nachdenklich die Stirn in Falten. »Ich bin vor kurzem geschieden worden, und ich kann mich nicht entscheiden, ob ich meinen alten Namen wieder annehmen soll.«

Als sie einander die Hände schüttelten, fragte Ellie sich, was diese Frau an sich haben mochte, dass es ihr nichts ausgemacht hatte, ihre Schwangerschaft zu erwähnen. Wahrscheinlich lag es daran, dass auch sie ein wenig verletzlich wirkte.

»Kommen Sie herein«, bat Grace. »Ich zeige Ihnen, wo es langgeht.«

Grace hatte die Haustür seit einiger Zeit für niemand anderen mehr geöffnet als die Handwerker, aber dieses Mädchen – Ellie – hatte etwas an sich, das ihr gefiel. Vielleicht lag es an ihrem unbefangenen Lächeln, den leuchtend bunten Kleidern und dem noch kräftiger leuchtenden Haar, das unter ihrem Schal hervorlugte. Und sicherlich spielte es eine wichtige Rolle, dass Ellie ungefähr gleichaltrig war. Solche Gesellschaft fehlte ihr seit einer Ewigkeit.

Sie würde wohl kein Bild kaufen – diese Ausgabe konnte sie niemals rechtfertigen –, aber es machte ihr nichts aus, das Mädchen durch den Flur zum Bad zu führen, das sie für heute Abend frisch geputzt hatte.

Sie wartete in der Küche nebenan, damit sie hörte, wenn Ellie von der Toilette kam, und sie hinausbegleiten konnte. In der Zwischenzeit beschäftigte sie sich damit, die Flaschen auf dem Tisch neu zu sortieren, und zermarterte sich das Gehirn mit der Frage, wo sie hier im Haus vielleicht noch weitere Sitzmöbel finden konnte. Ihre wenigen Stühle standen bereits am Tisch, aber es klafften noch einige Lücken. Wahrscheinlich standen oben auf dem Speicher noch weitere Teekisten. Sie waren zwar ein wenig hoch, aber durchaus bequem, wenn sie Kissen darauf legte. Glücklicherweise hatte sie jede Menge Kissen. Ein Heizlüfter blies tapfer seine Wärme in die eisige Luft, er hatte die Kälte bisher aber noch nicht beeindrucken können.

Sie hörte die altmodische Toilettenspülung und stand bereit, als Ellie aus dem Badezimmer kam.

»Es ist ein entzückendes Haus«, stellte Ellie voller Eifer fest. »Selbst im Bad ist die Einrichtung noch aus dem letzten Jahrhundert. Was für ein Spülkasten! Und erst das Waschbecken! Genau wie ein alter Waschtisch, nur aus Porzellan!« Als ihr klar wurde, dass wieder einmal ihre Zunge mit ihr durchging, biss sie sich auf die Unterlippe. »Oh, Entschuldigung. Ich hoffe, ich habe mich nicht allzu sehr wie ein Makler angehört.«

»Das Haus ist wirklich entzückend«, stimmte Grace ihr zu, denn Ellies Enthusiasmus gefiel ihr. Wenn jeder so reagierte, brauchte sie sich weniger Sorgen darum zu machen, ihr Haus fremden Menschen zu öffnen. »Es ist allerdings ziemlich kalt.« Einem Impuls folgend, fügte sie hinzu: »Wollen Sie auch den Rest des Hauses sehen? Ich könnte ein wenig Übung gebrauchen.«

»Wie meinen Sie das? Sie wollen das Haus doch nicht etwa für die Öffentlichkeit zugänglich machen, oder?«

Grace lachte. »Nicht direkt, aber heute Abend erwarte ich jede Menge Leute, die mir wildfremd sind, und ich habe seit Ewigkeiten niemanden mehr hier gehabt.« Sie runzelte die Stirn. »Natürlich werde ich sie nicht aus der Küche herauslassen, es sei denn, sie müssen zur Toilette. Aber ich hätte nichts dagegen, Sie herumzuführen.«

»Nun, wenn es Ihnen hilft, ich würde das Haus schrecklich gern sehen.« Ellie versuchte gar nicht, ihre Aufregung zu verbergen. »Ich liebe Häuser. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum ich sie male.«

Ich muss verrückt sein, dachte Grace, als sie durch den Flur voranging, einfach Leute von der Straße einzuladen, sich in meinem eiskalten Haus umzusehen. Nein, tröstete sie sich, Ellie hatte schließlich Interesse an dem Haus gezeigt; sie wollte es wirklich sehen. Außerdem war es ja nicht so, als gäbe es hier irgendetwas, das zu stehlen sich lohnen könnte. Als sie an der Küche vorbeikamen, fragte sie: »Soll ich den Kessel aufsetzen? Hätten Sie anschließend gern eine Tasse Tee oder Kaffee? Ich wollte mir gerade selbst eine Kanne kochen, als Sie geklingelt haben.«

»Das wäre wunderbar. Als ich vorhin nach einer Toilette gesucht habe, konnte ich nichts finden, das nicht entweder ein Pub oder eine Antiquitätenhandlung war, und beide hatten geschlossen. Hier ist meilenweit nichts, das nach einem Café aussieht.«

»Ja, es ist wirklich sehr entlegen hier. Wie haben Sie mich überhaupt gefunden?«

»Ich bin neulich hier vorbeigekommen, als ich ein Bild abliefern musste, und habe mich verlaufen. Als ich Ihr Haus sah, wusste ich, dass es ein wunderschönes Bild abgeben würde.«

»Das würde es sicher …« Grace wirkte plötzlich wieder sehr schüchtern, und Ellie sprach hastig weiter.

»Ich will Sie nicht bedrängen, wirklich nicht. Ich weiß, wie es ist, pleite zu sein.« Sie hielt inne, denn ihre Offenheit war ihr peinlich. »Natürlich sind Sie vielleicht gar nicht pleite …« Sie schauderte, obwohl sie die Regung zu unterdrücken versuchte, und lenkte unbeabsichtigt die Aufmerksamkeit auf die Kälte im Haus.

»›Pleite‹ dürfte genau der richtige Ausdruck sein. Ich setze den Kessel auf.«

»Also, das ist die Diele, wie man sieht.« Grace stand in dem quadratischen, holzvertäfelten Raum, von dem aus eine steinerne, nicht mit Teppich belegte Treppe zu einer kleinen Galerie hinaufführte. Hier hatte ihr immer besonders gefallen, wie die Schatten der Fenstersprossen die kahlen Steinfliesen mit einem Muster überzogen und ihre Ungleichmäßigkeit bloßlegten.

»Und hier ist das Wohnzimmer«, fuhr sie fort, nachdem Ellie Zeit gehabt hatte, die perfekten Proportionen zu bewundern, die schöne Holzvertäfelung und den überwölbten Stauraum unter der Treppe, wo sich jetzt Kisten mit Wein und Gläsern stapelten.

Auch das Wohnzimmer war holzvertäfelt, aber hier war es dank des letzten Lichtes des Februartages heller als in der Diele. Außer zwei Schiebefenstern, die bis zum Boden hinabreichten, gab es noch eine rundbogige Fenstertür zum Garten hin.

»Ich weiß nicht, ob das noch dem Originalzustand entspricht«, meinte Grace, als sie mit einer beinahe entschuldigenden Geste auf das Fenster zeigte, »doch im Sommer ist es wunderbar. Wir haben fast den ganzen Tag lang Sonne.«

»Aus welcher Zeit stammt das Haus?«, fragte Ellie. »Ich hätte es für georgianisch gehalten, aber ich verstehe nichts von Architektur. Eigentlich sollte ich das natürlich, angesichts meines Berufs.«

»An dem Haus ist so viel herumgepfuscht worden, dass man es kaum noch sagen kann, doch meine Tante erzählte immer aus der Zeit König Wilhelms III. und seiner Königin Maria, also aus dem späten siebzehnten Jahrhundert, wenn ich mich nicht täusche. Über einem Bogen im Garten steht die Jahreszahl 1697, aber ich denke, auf diesem Grundstück hat schon seit eh und je ein Haus gestanden.«

»Das ist ja wirklich alt!« Ellie schlenderte durch das Zimmer, nahm seine schönen Proportionen in sich auf und staunte ein wenig, dass es so leer stand. »Der Kamin ist zauberhaft«, bemerkte sie (sonst gab es einfach nichts im Raum) und bewunderte die zierliche Steinmetz-Arbeit.

»Und er zieht auch sehr gut«, erwiderte Grace. »Früher brannte darin immer ein Feuer, wenn wir zusammen waren.« Sie selbst hatte es den ganzen Winter lang nicht über sich gebracht, ein Feuer anzuzünden und allein in dem großen Raum zu sitzen. Stattdessen hatte sie die meisten Abende im Bett verbracht und es sich mit dem Radio, einem Stapel Büchern, zwei Wärmflaschen und ihrer Gänsedaunendecke gemütlich gemacht. Vielleicht wurde es Zeit für sie, wieder ein Feuer zu entfachen und ihr Einsiedler-Dasein zu beenden. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen noch das Esszimmer.«

Sie gingen zurück in die Diele und durch einen Flur auf der gegenüberliegenden Seite. Grace öffnete die Tür. »Dieser Teil des Hauses ist viel älter als der vordere. Selbst als Edward – mein Mann – noch hier war, haben wir diesen Raum nicht oft benutzt. Er ist zu weit von der Küche entfernt, und er ist nicht so hell wie das Wohnzimmer. Er ist mehr oder weniger in Vergessenheit geraten.«

»Wenn Sie das Wohnzimmer nicht hätten, würden Sie diesen Raum lieben«, meinte Ellie und dachte an ihr eigenes kleines Haus, wo man durch die Haustür direkt ins Wohnzimmer fiel und die Treppe an der hinteren Mauer zu drei winzigen Schlafzimmern hinaufführte.

Grace errötete. »Natürlich. Ich bin einfach furchtbar verwöhnt.« Statt einer Entschuldigung fügte sie hinzu: »Diese Gardinen hängen schon seit einer Ewigkeit – ich wage es nicht, sie aufzuziehen, aus Furcht, sie könnten zerfallen. Ich könnte mir niemals neue leisten. Die Gardinen im Wohnzimmer sind nicht ganz so alt, sie sind erst zu Zeiten meiner Tante angeschafft worden.«

Nach einer Inspektion des Arbeitszimmers, eines großen, holzvertäfelten Raumes, gingen sie nach oben, wo sie sich ein wenig flüchtiger umsahen. Als sie die Treppe wieder hinuntergingen, sagte Ellie:

»Ich möchte ja nicht unhöflich sein, aber mir ist wohl oder übel aufgefallen, dass Sie nur sehr wenig Möbel haben. Man hat doch nicht bei Ihnen eingebrochen, oder?«

Der Gedanke war zutiefst erschreckend. »Oh nein, die Möbel sind nicht gestohlen! Sie sind von allein verschwunden.«

»Was?«

Grace kicherte, weil ihr plötzlich klar wurde, wie diese Worte geklungen haben mussten. »Natürlich nicht von allein. Sie wurden von einem Erwachsenen begleitet. Sie gehörten meinem Mann.«

»Oh.«

Grace, die an den Kessel auf dem Gasherd denken musste, bat: »Lassen Sie uns wieder in die Küche gehen, bevor das Wasser verkocht. Außerdem müsste es da drin jetzt ein wenig wärmer sein.«

Gemeinsam traten sie in den großen, ziemlich trostlosen Raum. Er hatte eine hohe Decke, und der Fußboden war wiederum mit steinernen Fliesen belegt.

»Was dieser Raum braucht«, meinte Ellie, »ist eine Menge kupferner Töpfe und Pfannen, einen Bratspieß, Zuckermühlen und dergleichen.«

»Ich hätte lieber einen Agaherd«, entgegnete Grace.

Ellie kicherte. »Ich schätze, mir würde es genauso gehen.«

»Also, möchten Sie Tee oder Kaffee?«, fragte Grace, aber Ellie hatte ihre Aufmerksamkeit inzwischen der riesigen, in die Wand eingebauten Anrichte zugewandt, auf der einige Teller, die nicht zusammenpassten, jedoch sehr alt aussahen, tapfer versuchten, den Platz auszufüllen.

»Die ist aber prima! Da passt ja eine ganze Mahlzeit drauf! Die konnte Ihr Mann wohl nicht mitnehmen.«

»Oh nein. Er war sehr zurückhaltend.« Plötzlich schien es Grace wichtig zu sein, dass Ellie nicht schlecht von Edward dachte – schließlich liebte sie ihn noch immer. »Er hat nichts mitgenommen, das nicht ihm gehörte, und er hat mir das Bett und die Federdecke dagelassen, die eigentlich beide ihm gehörten. Aber setzen Sie sich doch. Also, möchten Sie Tee oder Kaffee?« Graces Hand schwebte zwischen einer Kaffeedose und einem Päckchen mit Teebeuteln; sie wünschte jetzt, sie hätte die Bettdecke nicht erwähnt. Das war etwas so Persönliches.

»Ich habe mir den Kaffee zurzeit abgewöhnt«, erklärte Ellie. »Aber Tee wäre wunderbar.« Sie zog sich einen Stuhl heran. »Normalerweise werde ich nicht bewirtet, bevor ich das Bild male, obwohl man mir manchmal etwas anbietet, wenn ich es abliefere.«

Grace lachte. »Ich bin mir nicht sicher, ob ›Bewirtung‹ ganz der richtige Ausdruck für einen Tee ist – den ersten, den ich seit einer ganzen Weile jemandem anbiete.« Ellies Anwesenheit in ihrer Küche hatte etwas ungemein Aufmunterndes. Sie war so geradeheraus, und auch wenn sie ihr Herz auf der Zunge zu tragen schien, war sie jedenfalls nicht kritisch.

Jetzt sagte Ellie: »Ich weiß, dass es kalt ist, aber warum tragen diese Flaschen Socken?«

»Um die Etiketten zu verstecken«, erklärte Grace und lachte abermals. »Ich organisiere heute Abend eine Weinverkostung. Die Erste in meinem eigenen Haus, obwohl ich bereits einige andere organisiert habe.«

»Oh? Ist das wie eine Prüfung? Müssen die Leute erraten, welcher Wein welcher ist?«

»Oh nein, nichts dergleichen. Nicht bei dieser Art von Weinverkostung. Dies hier ist viel bescheidener, und es geht mir darum herauszufinden, welchen Wein die Leute mögen. Im Wesentlichen testen wir gerade Supermarktweine, um festzustellen, welcher davon am meisten Anklang findet. Ich werde die Ergebnisse für ein paar Lokalzeitungen aufschreiben, bei denen ich unter Vertrag stehe.« Sie runzelte die Stirn. »Ich schreibe die Artikel von Hand und bringe sie dann in ein Büro in der Stadt, um sie abtippen zu lassen. Es ist im Grunde ziemlich töricht; die Zeitungen zahlen mir nicht viel, und ich gebe den größten Teil davon für das Abtippen aus. Doch es ist immerhin etwas, und es bringt eine gute Publicity. Außerdem heißt das, dass ich die Artikel mit aufführen kann, wenn andere Zeitungen oder Zeitschriften einen Weinkritiker suchen.«

»Weinkritiker! Das klingt sehr anspruchsvoll. Ich habe keinen blassen Schimmer von Wein.«

»Das brauchen Sie auch nicht, es sei denn, es ist Ihr Job. Sie brauchen nur zu wissen, ob Sie den Wein mögen. Wenn Sie wollen, könnten Sie bleiben und an der Weinverkostung teilnehmen.«

Grace hatte nicht gewusst, dass sie das sagen würde, aber jetzt, da sie die Einladung ausgesprochen hatte, wurde ihr klar, dass sie gern ein wenig moralische Unterstützung von jemandem gehabt hätte, der ihr nicht ganz so fremd war wie die übrigen Gäste. Sie hatte den Kontakt zu ihren Freundinnen verloren, als sie geheiratet hatte und von zu Hause fortgezogen war, und dann hatten Edward und sie hauptsächlich mit seinen Altersgenossen verkehrt. Das war das Problem, wenn man in einem großen Haus fernab von anderen Häusern lebte: Es war schwer, seine Nachbarn kennen zu lernen, vor allem, wenn man ledig war. Die Begegnung mit Ellie machte ihr bewusst, wie sehr sie weibliche Gesellschaft vermisste.

»Das ist wirklich nett von Ihnen«, antwortete Ellie, »aber ich trinke im Augenblick nichts. Weil ich schwanger bin.« Dann begann Ellie zu Graces Entsetzen und zu ihrer nicht geringen Überraschung zu weinen. »Oh Gott, es tut mir so Leid! Es muss an den Hormonen liegen oder so. Es ist so schwer, darüber zu reden.«

»Haben Sie es schon vielen Leuten erzählt? Ist das jedes Mal passiert?« Grace hörte sofort auf, sich selbst zu bemitleiden, und wünschte, sie wäre nicht zu verklemmt gewesen, um die Arme um Ellie zu legen.

Ellie zog die Nase hoch, stöberte in ihrer Tasche nach einem Taschentuch und förderte einen Fetzen Küchenpapier zu Tage, der offensichtlich bereits als Mallumpen benutzt worden war. »Nein. Praktisch niemandem. Genau genommen nur meinem Freund und jetzt Ihnen.«

»Oh.« Grace fühlte sich enorm geschmeichelt. »Nun, es ist oft einfacher, mit Leuten zu reden, die man wahrscheinlich nicht wiedersehen wird. Wie bei Zugreisen.«

Ellie schnüffelte abermals und nickte.

»Dann haben Sie es Ihren Eltern also noch nicht erzählt?«

Ellie schüttelte den Kopf. »Es wäre alles okay, wenn ich sagen könnte, dass Rick und ich heiraten werden. Aber das ist nicht der Fall.«

»Ich selbst kann die Ehe nicht gerade empfehlen, nachdem meine erst vor kurzem geschieden worden ist. Sie könnten doch einfach zusammenleben«, meinte Grace.

»Könnten wir, nur dass Rick kein Baby will. Er findet, unser Leben sei in Ordnung, so wie es ist, und er hat Recht. Nur bin ich eben schwanger. Er meint …« Sie schniefte noch ein wenig lauter. »Er meint, ich sollte … Mein Gott, ich kann es nicht einmal aussprechen!«

»Nein, tun Sie’s nicht. Das ist nicht nötig. Ich weiß, was Sie sagen wollen. Er findet, Sie sollten aufhören, schwanger zu sein.« Grace stand auf, kramte eine Schachtel mit Papiertaschentüchern hervor und stellte sie vor Ellie hin. »Ich gieße jetzt den Tee auf.«

»Also, warum haben Sie sich scheiden lassen?«, fragte Ellie ein paar Minuten später, nachdem sie einen aufmunternden Schluck von dem heißen Gebräu genommen hatte. »Hat er jemand anderes gefunden? Oder Sie?« Als ihr klar wurde, dass sie einmal mehr ihrer Neugier die Zügel hatte schießen lassen, biss sie sich auf die Unterlippe. »Entschuldigung! Sie brauchen es mir nicht zu erzählen. Es geht mich nichts an. Ich bin schrecklich taktlos.«

»Hm, eingedenk der Tatsache, dass wir uns wahrscheinlich nicht wieder sehen werden …« Grace runzelte die Stirn. Plötzlich fand sie den Gedanken traurig, dass diese junge Frau, die selbst unter Tränen noch fröhlich war, schon bald für immer aus ihrem Leben verschwinden würde. »… da kann ich es Ihnen genauso gut erzählen.«

»Warum haben Sie ihn geheiratet? Doch wahrscheinlich nicht wegen seiner Möbel.«

Grace kicherte. »Als ich mich in ihn verliebte, wusste ich nichts von seinen Möbeln – obwohl er ein paar wunderschöne Antiquitäten hatte.«

»Also, warum haben Sie ihn dann geheiratet?«

»Er war – ist – schrecklich attraktiv. Er ist älter als ich, und ich war noch sehr jung, als ich ihn kennen lernte. Er war so geistreich und kultiviert, und aus irgendeinem Grund wandte er mir seine Aufmerksamkeit zu. Es war, als schiene die Sonne auf mich allein herab. Ich konnte ihm nicht widerstehen.«

»Wie alt ist er jetzt?«

»Sechsundvierzig. Ich bin einunddreißig.«

»Das ist ein ziemlich großer Altersunterschied«, bemerkte Ellie vorsichtig.

»Ja, aber ich glaube nicht, dass das das Problem war. Nicht wirklich.«

»Was war es dann?«

Grace seufzte. Sie hatte so viel über das alles nachgedacht, dass sie beinahe taub war gegen den Schmerz. »Hm, die Hauptsache war wohl, dass ich ein Baby haben wollte und er nicht. Er hat schon Kinder von seiner ersten Frau. Aber unterm Strich war ich einfach seinem scharfen Intellekt unterlegen. Er hat eine andere gefunden, die eher seinem Niveau entsprach. Eigentlich kann ich ihm keinen Vorwurf daraus machen.«

»Das ist sehr großmütig von Ihnen! Sie haben nicht das Bedürfnis, ihr die Augen auszukratzen? Ich hätte es.«

Grace schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht. Und in gewisser Weise empfand ich beinahe Erleichterung, als er ging, denn das, wovor ich mich gefürchtet hatte, war schließlich eingetreten. Also brauchte ich mich nicht länger davor zu fürchten und konnte einfach anfangen, darüber hinwegzukommen. Ich will nicht sagen, dass ich nicht am Boden zerstört gewesen wäre …« Sie hielt inne, um sich zu fragen, wie lange dieses Gefühl sich wohl noch halten mochte. »Aber ich wusste immer, dass ich ihn nicht dauerhaft für mich würde interessieren können. Ich habe nie wirklich geglaubt, dass er mich tatsächlich liebte – oder zumindest nicht, dass er mich bis in alle Ewigkeit lieben würde. Und in dieser Hinsicht hatte ich Recht«, fügte sie ein wenig kläglich hinzu. »Obwohl er sehr gut zu mir war.«

Sie sah Ellie an, die so ruhig und gelassen wirkte, obwohl sie von einem Mann schwanger war, der das Kind nicht wollte. »Warum erzähle ich Ihnen das alles eigentlich?«

»Wir befinden uns in einem virtuellen Zug«, rief Ellie ihr ins Gedächtnis. »Wir werden einander nicht wiedersehen. Es sei denn, Sie könnten sich doch ein Gemälde leisten.« Sie hielt inne. »Hat er Ihnen das Haus überlassen?«

»Oh nein, das habe ich von meiner Tante geerbt.«

»Dann hat er Ihnen also Geld gegeben, als er ging?«

»Ja, er hat mir eine sehr großzügige Abfindung gezahlt, doch obwohl ich für die nächsten Monate noch genug übrig habe, um mich über Wasser zu halten, habe ich den größten Teil davon doch bereits ausgegeben.«

»Man kann hier aber nicht erkennen, wofür«, erwiderte Ellie lächelnd.

»Hm, nein.« Grace lachte. »Doch wenn Sie auf den Dachboden gingen, würden Sie sehen, dass der ganze Dachstuhl nagelneu ist und dass jeder beschädigte Ziegel durch einen heilen ersetzt wurde. Das hat ein Vermögen gekostet. Von dem, was nach den Dacharbeiten noch übrig war, habe ich mir einen Wagen gekauft.«

»Das ist ja schrecklich. Und er hat Sie praktisch ohne Möbel sitzen lassen?«

»Nur mit dem, was ich geerbt habe.«

Ellie war verwirrt. »Aber hatte denn Ihre Tante auch keine Möbel? Das kommt mir seltsam vor!«

»Oh doch, die sind jedoch an meinen älteren Bruder und meine Schwester gegangen. Sie haben die Möbel bekommen und ich das Haus, weil sie nicht nur meine Tante war, sondern auch meine Patentante. Die beiden waren stinksauer.«

»Warum?«, wollte Ellie verblüfft wissen.

»Sie fanden, das Haus hätte verkauft und das Geld unter uns aufgeteilt werden sollen. Aber als meine Tante starb, waren Edward und ich gerade frisch verlobt, also schien es absolut sinnvoll zu sein, hier zu leben. Außerdem hat meine Tante es offensichtlich so gewollt, sonst hätte sie ihr Testament anders abgefasst.«

»Also war es vom Standpunkt Ihres Manne aus gesehen eine gute Idee, eine Frau zu heiraten, die ein herrliches Haus hatte, wenn er selbst jede Menge hübscher Antiquitäten besaß, die ein Heim brauchten.«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Er hat mich nicht wegen meines Hauses geheiratet, da bin ich mir ziemlich sicher. Er hat sich auf eine merkwürdig zwanghafte Art und Weise in mich verliebt. Als die Besessenheit verblasste, wurde ihm klar, dass wir im Grunde nicht viel gemeinsam hatten, und dann hat er sich natürlich in eine andere Frau verliebt.«

»Wie lange waren Sie denn zusammen?«

»Wir haben geheiratet, als ich zweiundzwanzig war, und hatten fünf sehr glückliche – eigentlich sogar ekstatische – Jahre, ein weniger glückliches und eins, das schlicht und einfach unglücklich war. Es hat fast zwei Jahre gedauert, bis die Scheidung über die Bühne war.«

»Für mich klingt das nach einem absoluten Mistkerl.«

»Das ist er nicht, wirklich nicht. Er ist eine Art Serienmonogamist und wahrscheinlich außer Stande, einer Frau länger als ein paar Jahre treu zu bleiben, aber ein Mistkerl ist er nicht. Mir gegenüber hat er sich sehr fair benommen.«

Ellie zuckte die Schultern. »Ich finde, Sie legen da eine sehr reife Einstellung an den Tag.«

»Ich behaupte nicht, dass ich seinetwegen nicht gelitten hätte, aber er hat mir niemals absichtlich wehgetan. Und die Sache mit dem Baby ist verständlich. Immerhin hat er bereits zwei Kinder, an denen nicht das Geringste auszusetzen ist. Als er sich über meine Gefühle klar wurde – und vor allem, da er zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich sicher eine andere im Sinn hatte –, beschlossen wir, Schluss zu machen.«

»Es ist wirklich eine Ironie des Schicksals«, meinte Ellie und leerte ihren Becher. »Auf der einen Seite sind Sie, die sich ein Baby wünscht, und auf der anderen bin ich, schwanger, obwohl ich mir keins wünsche.«

»Ich dachte, Sie hätten gern ein Kind? Sagten Sie nicht, dass Sie unmöglich etwas … dagegen unternehmen könnten?«

»Das ist nicht ganz das Gleiche. Bevor ich schwanger wurde, wollte ich kein Kind. Aber jetzt, da ich schwanger bin, kann ich es unmöglich nicht bekommen.«

»Und Sie glauben nicht, dass Ihre Eltern Ihnen helfen werden?«

»Hm, doch, das werden sie. Doch sie werden mir eine schreckliche Standpauke halten, weil ich nicht vorsichtiger war.« Sie grinste schief. »Ich habe die Pille genommen, aber irgendwann habe ich mich einmal übergeben. Es muss wohl gerade der falsche Augenblick gewesen sein.«

»Oder der richtige Augenblick. Aus der Sicht des Babys.«

»Es ist ein Jammer, dass wir nicht die Art Leute sind, die einfach ihr Leben tauschen können. Ich könnte Ihnen mein Baby geben und einfach weitermachen wie immer, und Sie könnten mein Baby nehmen und müssten nicht länger nach einem Mann suchen, der Sie zur Mutter macht. Aber das ist wohl unmöglich.« Es war eine Feststellung, keine Frage.

»So einfach ist das Leben nie. Möchten Sie noch eine Tasse Tee?«

»Nein, danke, doch noch ein Ausflug zur Toilette wäre mir sehr willkommen.«

Grace blieb in der Küche, während Ellie dem Bad einen zweiten Besuch abstattete, dann begleitete sie sie zu ihrem Wagen und winkte ihr nach, bis sie außer Sicht war. Als sie wieder zurückkam, erschien ihr das Haus plötzlich größer, einsamer und womöglich sogar noch ein wenig kälter als zuvor.

»Wenn ich einen Abend lang lauter Fremde im Haus hatte, werde ich mich geradezu darauf freuen, mich einsam zu fühlen«, murmelte sie und konzentrierte sich dann wieder auf die Notwendigkeit, Sitzmöbel für die Weinverkostung zu finden und letzte Hand an ihren jüngsten Artikel zu legen. »Ich muss mir einen Computer anschaffen oder wenigstens eine Schreibmaschine«, fuhr sie fort. »Ich muss wieder in die wirkliche Welt zurückkehren.«

Kapitel 2

Als Ellie unter einem Abendhimmel, den die letzten Sonnenstrahlen bunt färbten, davonfuhr, dachte sie über Grace und deren Geschichte nach. Es war irgendwie bizarr, dass sie allein in diesem großen, eiskalten, leeren Haus saß, eine gescheiterte Ehe hinter sich und die Aussicht auf wildfremde Gäste vor sich, die zu einer Weinverkostung kamen.

Andererseits war ihr eigenes Leben auch alles andere als perfekt: Rick und sie, die in einem winzigen Cottage in Bath lebten und von Tag zu Tag weniger glücklich waren.

Sie biss sich auf die Lippen, um die Traurigkeit abzuwehren, die bei der Erinnerung daran in ihr aufstieg, wie glücklich sie gewesen waren, als sie zusammengezogen waren. Es hatte so viel Spaß gemacht, nach einem Haus zu suchen, das sie mieten wollten, und anschließend darauf zu warten, ob sie’s bekommen würden, um es sich später dort gemütlich zu machen.

Natürlich war sie es gewesen, die den größten Teil der Arbeit erledigt hatte. Rick war Installationskünstler. Er hatte eine Ecke im Atelier eines anderen gemietet und verbrachte die meisten seiner wachen Stunden dort. Deren waren allerdings nicht allzu viele, dachte Ellie gereizt. Solange man studierte, war es schön und gut, erst mittags aufzustehen, aber wenn man berufstätig war, musste man auch die entsprechende Leistung erbringen.

Für Rick war es einfacher. Er hatte keinen festen Job und widmete all seine Zeit seiner Kunst, und zu Anfang hatte Ellie das vollkommen in Ordnung gefunden. Er war auf der Universität zwei Jahre weiter gewesen als sie und hatte sein Kunststudium mit einem Sehr gut abgeschlossen. Natürlich war seine Kunst wichtiger als ihre.

Ellie hatte das Fach Kreative Kunst belegt und eine durchaus respektable Zwei bekommen, aber obwohl sie mit großer Leidenschaft malte und zeichnete und sogar schon vor Beendigung des Studiums mehrere Bilder verkauft hatte, wusste sie, dass sie keine Künstlerin von Ricks Format war.

Und so hatte es ihr nichts ausgemacht, tagsüber in einem Café und abends in einer Bar zu arbeiten, damit er sich darauf konzentrieren konnte, sein Talent weiterzuentwickeln, das alle für etwas Besonderes hielten.

Aber jetzt, nachdem sie achtzehn Monate zusammenlebten, verdross sein Tunnelblick sie mehr und mehr, und das war schon so gewesen, bevor sie schwanger geworden war und er darauf mit einem solchen Wutanfall reagiert hatte.

»Tief durchatmen, Ellie«, ermahnte sie sich, als sie die Stadt erreichte und sich langsam mit ihrem kleinen Wagen durch die schmalen Gassen auf ihr Cottage zubewegte. »Reg dich nicht wieder auf. Es war beim ersten Mal schon schlimm genug, es ist nicht gut für das Baby, und du kannst dir keine neuen Teller leisten.«

Damals hatte sie bitterlich geweint: über seine Einstellung, weil sie so müde war, weil sie sich so elend fühlte wie sonst nur, wenn sie ihre Tage bekam – nur dass es diesmal noch schlimmer war als jemals vor ihrer Schwangerschaft. Aber vor allem, weil sie ausgerechnet ihren Teller vom College zertrümmert hatte. Sie hatte diesen Teller geliebt. Er war oval, gelb und mit Fischen und anderen Meeresbewohnern aus Ton beklebt gewesen. Der Teller hatte noch einen Zwilling, aber der gelbe war ihr liebstes Stück gewesen, der schönste, und sie hatte ihn zerbrochen.

»Benimm dich wie eine Erwachsene, Ellie«, schalt sie sich laut, dann schob sie den Schlüssel ins Schloss und bereitete sich im Geiste auf die Schweinerei vor, die sie gewiss erwartete. »Erledige den Abwasch oder mach die Fliege!«

Sie hielt kurz inne, um den Stapel mit Briefen von der Türmatte aufzuheben, und dabei ging ihr der Gedanke durch den Kopf, dass sie in mancher Hinsicht tatsächlich erwachsener war als Grace, obwohl diese eine Scheidung durchgemacht hatte. So etwas passierte eben, wenn man von einem Jungen schwanger wurde, den man nicht länger liebte: Es war eine Art Crash-Kurs in Sachen Reife.

»Hallo, Schatz«, rief sie die Treppe hinauf, bevor sie ins Wohnzimmer trat und ihre Tasche absetzte.

»Ich bin im Bad!«, antwortete Rick, und sie ging nach oben.

Seine langen, eleganten Gliedmaßen ließen sich nicht in der engen Badewanne unterbringen, und er hatte sie über die Ränder gehängt. Jedes Mal, wenn er sich bewegte, drohte das Wasser überzuschwappen. Auf seinem Bauch lag ein großer Schwamm, und im Wasser trieben Reste von Seifenbläschen. Ein wenig bewunderte Ellie noch seine Attraktivität und erinnerte sich daran, wie leidenschaftlich er gewesen war, als sie sich kennen gelernt hatten, wie sehr ihn die Welt um sich herum fasziniert hatte. Aber heute war sie sich vor allem da-rüber im Klaren, dass er mit Sicherheit jeden Tropfen heißen Wassers verbraucht hatte, ohne vorher den Heißwasserbereiter einzuschalten, sodass sie, falls sie ebenfalls ein Bad nehmen wollte, mindestens eine Stunde würde warten müssen. Und er hatte den letzten Rest ihres Lavendelöls verbraucht.

»Schönen Tag gehabt?«, fragte sie und bemerkte dabei, dass das Handtuch, das sie erst am Tag zuvor gewaschen und getrocknet hatte, auf dem Fußboden lag, mitten in einer Wasserlache.

»War ein Scheißtag. Warum kommst du nicht zu mir in die Wanne? Und munterst mich ein bisschen auf?«

Ellie schüttelte den Kopf. Sie wollte den Fußboden nicht unter Wasser setzen, sie wollte keinen Sex, wenn sie später noch arbeiten musste, und sie musste schon wieder zur Toilette.

»Bleib nicht zu lange drin, Schatz. Ich muss aufs Klo.«

»Auf mich brauchst du keine Rücksicht zu nehmen«, sagte Rick.

Ellie schüttelte den Kopf. »Ich warte lieber. Hast du irgendwas zum Tee gerichtet?«

»Keine Zeit. Als ich im Atelier fertig war, bin ich gleich in die Badewanne. Ich musste den Kopf freikriegen.«

Ellie lächelte und hoffte, dass er die Falschheit dieses Lächelns nicht bemerkte. Dann hob sie das Handtuch auf, hängte es über das Waschbecken und verließ den Raum. Sein fabelhafter Körper und sein unwiderstehliches Lächeln hatten für sie in letzter Zeit ein wenig von ihrem Zauber verloren.

In der Küche, einem kleinen, leider feuchten Anbau hinter dem Wohnzimmer, füllte sie den Kessel, um den Abwasch zu erledigen. Wenn man bedachte, dass Rick den größten Teil seiner Zeit im Atelier verbrachte und mit seinen Freunden zum Mittagessen immer in den Pub ging, war es erstaunlich, wie viel schmutziges Geschirr er produzierte.

Er hatte sich offensichtlich zum Frühstück etwas gebraten, es mit getoastetem Brot und gebackenen Bohnen gegessen und reichlich Tomatenketschup dazugegeben. Und dann – wahrscheinlich nach seiner üblichen Mittagsmahlzeit, Pastete mit Pommes frites und mehreren Pints Bier – hatte er noch genug Zeit und Appetit aufgebracht, um sich eine Hand voll Bombay-Mix und ein paar Chips reinzuziehen. Das Päckchen mit dem Bombay-Mix war umgekippt, die Hälfte seines Inhalts lag auf dem Fußboden. Das war ärgerlich, denn abgesehen davon, dass Ellie von dem Currygeruch übel wurde, konnten sie sich eine derartige Verschwendung nicht leisten.

Während sie Becher auswusch und mit dem Fingernagel Ketschup und Eigelb von dem Teller kratzte, dieweil ihr Freund in heißem Wasser schwelgte, überlegte Ellie, dass sie selbst ein wenig von Letzterem gebrauchen könnte. Was wäre es wohl für ein Gefühl, eine verhätschelte Mätresse zu sein, die man feierte und anhimmelte und der man jede Laune erfüllte? Es wäre sogar besser, einen Freund zu haben, mit dem sie nicht zusammenlebte: Dann hätte sie nur ihren eigenen Schmutz beseitigen müssen, und es gäbe keine ekelhaften Socken und Boxershorts zu waschen.

Das wäre jetzt, da sie schwanger war, allerdings etwas schwierig zu bewerkstelligen – in Kürze würde sie so fett sein, dass niemand sie mehr besonders attraktiv finden konnte. Einen Moment lang hielt sie bei der Arbeit inne. Da die Uhr lief, sollte sie sich vielleicht noch schnell eine fabelhafte Affäre gönnen, bevor man ihr die Schwangerschaft ansah? Schließlich war so etwas oft der Anfang einer Beziehung, an der man den größten Spaß hatte. Warum begnügte man sich nicht einfach mit dem Anfang, dem herrlichen, beflügelnden, leidenschaftlichen Sex, und ließ es dabei bewenden?

Der Gedanke hob ihre Laune beträchtlich, und sie wandte ihre Gedanken wieder Grace zu. Wie sie wohl mit ihrer Weinverkostung zurechtkam? Als sie mit dem Abwasch fertig war, hatte sie beschlossen, dass sie ihr Haus trotzdem malen und Grace das Bild schenken würde. Sie hatte so verloren gewirkt, dass Ellie sie ein wenig aufmuntern wollte.

»Also«, sagte Rick, als er sauber und fast trocken nach unten kam und sich sofort auf das Sofa fallen ließ. »Wie bist du klargekommen? Hast du den voll gefressenen Kapitalisten irgendwelche hingeklecksten Bilder von ihren Villen aufgeschwatzt?«

Ellie schüttelte den Kopf. Grace war keine voll gefressene Kapitalistin, auch wenn einige ihrer Vorfahren es vielleicht gewesen waren. »Nein, aber ich habe ein paar Fotos von einem wirklich entzückenden Haus gemacht.«

»Hast du einen Auftrag gekriegt?«

»Nein. Die Besitzerin konnte es sich nicht leisten.«

»Ich finde, das ist reine Zeitverschwendung, Ellie, so viel Benzingeld auszugeben, um deine Bilder zu verkaufen. Mit einem Job wärst du besser bedient.«

Ihr wurde klar, dass dies Ricks Art war, »Interesse zu zeigen«, und sie wünschte sich, er würde sich die Mühe sparen. »Ich habe bereits zwei Jobs, Rick, und bei beiden muss ich viel stehen. Jetzt, da ich schwanger bin, sollte ich es damit nicht übertreiben.«

Rick blickte finster drein, was ihn noch attraktiver erscheinen ließ. »Ich dachte, wir wären übereingekommen, dass du diesbezüglich etwas unternehmen wirst.«

Ellie biss sich auf die Lippen. Sie hatte keine Kraft für einen Streit, aber wie konnte er das alles nur wieder von neuem aufrollen? Ricks gesamte Sensibilität schien in seine Kunst zu fließen; für seine Beziehung war nichts mehr übrig. »Du bist übereingekommen. Ich nicht«, entgegnete sie.

»Wir haben darüber geredet und sind übereingekommen, dass es das Vernünftigste wäre.«

Fang bloß nicht an zu heulen, Ellie, reiß dich zusammen und bleib ruhig!, befahl sie sich. »Ich gebe dir Recht, dass es vernünftig wäre, ich werde es aber nicht tun.«

»Susie hat eine Abtreibung vornehmen lassen. Sie ist blendend klargekommen.«

»Davon bin ich überzeugt. Ich freue mich für sie, aber ich werde es trotzdem nicht tun.«

»Blöde, sentimentale Kuh«, sagte er ohne Groll.

Groll hin oder her, Ellie zuckte zusammen. Er wollte ihr nicht wehtun, aber seine Worte versetzten ihr trotzdem einen Stich.

»Kochst du mir dann Tee?«

»Nein. Ich gehe zur Arbeit.« Sie würde zu früh kommen, doch das war ihr egal. Bei der Arbeit bezahlte man sie wenigstens dafür, dass sie aufräumte und putzte, und gelegentlich sagte jemand »Danke«.

Nachdem Ellie abgefahren war, hatte Grace ihre Vorbereitungen für die Weinverkostung fortgesetzt. Es war ein neues Projekt: ihr Versuch, etwas zu tun, das sich am Ende auszahlen und sie wieder mit Menschen zusammenbringen würde.

Sie war ziemlich erfolgreich mit ihren Artikeln – einige der Lokalzeitungen hatten gekauft, was sie bisher geschrieben hatte, und warteten jetzt auf Nachschub –, aber sie schrieb in der Hauptsache über besondere Weine, die die meisten Leute sich nicht leisten konnten. Die Idee mit den Weinverkostungen war ein Versuch, gewöhnliche Leute dafür zu interessieren, den Wein zu verkosten, den die meisten Leute tranken. Es sollte Spaß machen. Sie hoffte nur, dass sie die gesellschaftlichen Umgangsformen noch halbwegs beherrschte. Es war das erste Mal, dass sie Gäste hatte, seit Edward gegangen war, und vor ihrer Heirat hatte sie niemals etwas Derartiges arrangiert.

Sie holte die Gläser unter der Treppe hervor, nahm sie aus den Kartons und untersuchte sie auf Flecken. Da sie in puncto Sauberkeit nicht zufrieden gestellt war, setzte sie den Kessel auf und hielt jedes Glas in den Dampf, bevor sie es mit einem Tuch polierte.

An jedem Platz standen sechs Gläser auf einem Blatt Papier mit nummerierten Kreisen, damit die Leute wussten, welches Glas zu welcher der nummerierten Flaschen gehörte. Sie hatte liebevoll den Fuß von sechs Gläsern nachgezeichnet und das Blatt in der Poststelle in der nächsten Stadt fotokopiert. Während der Mann am Schalter ihr geholfen hatte, als die Maschine den Geist aufgegeben hatte, hatte sie herausgefunden, dass er ein Weinliebhaber war; er und seine Frau würden heute Abend zu den Gästen gehören.

Unter den Kreisen für die Gläser befand sich eine Tabelle auf den Blättern mit Zahlen und Buchstaben an der Seite und Spalten, in die die Gäste Bemerkungen über den Geschmack und den Geruch eines jeden Weins eintragen konnten. Außerdem gab es eine Spalte, in der sie jeden Wein benoten konnten. Sie hatte diese Tabelle nach dem Vorbild einer Weinverkostung, die sie besucht hatte, als sie noch für die Weinimporteure tätig gewesen war, aus dem Gedächtnis entworfen.

Am unteren Rand des Blattes folgte dann noch eine Liste der Weine mit Herkunft und Preisen. Grace fand es immer amüsant, wie oft sich die Leute verschätzten, wenn es darum ging, welches wohl der teuerste und welches der günstigste Wein war, und wie sehr sie sich über solche Schnitzer gewöhnlich ärgerten.

Sie war über Gebühr nervös. Denn eigentlich handelte es sich ja nur um eine sehr zwanglose Weinverkostung – sie war sogar kostenlos. Grace hoffte zwar, dass ihre Gäste vielleicht einen Unkostenbeitrag für den Wein leisten würden, aber im Grunde war das Ganze ein Experiment. Würde überhaupt jemand aufs Land hinausfahren und im Haus eines Fremden Supermarktweine verkosten?

Sie hatte einmal im Gemeindehaus für die Frauenvereinigung eine Weinverkostung veranstaltet, die ihr viel Freude bereitet und viel Zuspruch gefunden hatte. Die Teilnehmerinnen waren mit Begeisterung auf das Ganze eingegangen, und obwohl Grace geglaubt hatte, vor Nervosität jeden Moment in Ohnmacht zu fallen, war die Veranstaltung gut über die Bühne gegangen: Sobald sie erst einmal angefangen hatte, über die Weine zu sprechen, hatte sie gemerkt, wie gern sie ihre Begeisterung mit anderen teilte. Und die Begegnung mit Ellie am Nachmittag hatte ihr ein wenig von ihrer Angst vor den fremden Menschen genommen – mit Ellie jedenfalls war sie gut zurechtgekommen.

Als das Telefon klingelte, vermutete sie, dass irgendjemand absagen wollte – wahrscheinlich im Auftrag aller geladenen Gäste –, sodass sie den ganzen Wein allein würde trinken und sämtliche Knabbersachen selbst würde verzehren müssen. Sie war sich nicht sicher, ob ihr eine solche Entwicklung in ihrer gegenwärtigen Verfassung willkommen wäre oder nicht – also nahm sie äußerst zaghaft den Hörer von der Gabel.

Es war ihre Schwester. »Hi, Grace, wie geht’s dir?«

»Oh, hi, Allegra. Schön, von dir zu hören.« In mancher Hinsicht war es wirklich schön, zumindest würde es ihr die Zeit vertreiben, bevor ihre Gäste kamen, und sie daran hindern, sich aus lauter Nervosität bereits über den Wein herzumachen und sich in ein betrunkenes Wrack zu verwandeln, bevor irgendjemand auf ihrer Schwelle erschien.

»Ich habe mich gefragt, ob du noch einmal darüber nachgedacht hast, das Haus zu verkaufen.«

Typisch Allegra, sie kam gern direkt zur Sache. »Nun ja, natürlich habe ich darüber nachgedacht, da du es vorgeschlagen hast, aber ich werde es ganz bestimmt nicht verkaufen.«

»Es ist einfach unvernünftig, dass du allein dort lebst, nachdem Edward weg ist.« Allegra war offensichtlich eine Anhängerin der Theorie »Steter Tropfen höhlt den Stein«. Wenn man jemanden nur lange genug bearbeitete, würde der Betreffende irgendwann nachgeben, einfach weil er nicht bis in alle Ewigkeit Widerstand leisten konnte.

»Edward ist schon so lange weg. Warum sollte ich jetzt verkaufen?«

»Weil du nun, nachdem du das Dach hast reparieren lassen, einen anständigen Preis dafür erzielen würdest.«

Wenn Allegra kein Blatt vor den Mund nahm, würde Grace es auch nicht tun. »Du meinst, du würdest ein größeres Stück von dem Kuchen bekommen.«

»Red keinen Unsinn!« Allegra konnte sehr scharfzüngig sein. »Natürlich würden wir das Geld, das du für das Dach ausgegeben hast, abziehen, bevor wir den Erlös teilen. Es war schließlich deine Scheidungsabfindung. Aber du weißt genau, dass es sehr unfair von Tante Lavinia war, dir das Haus zu hinterlassen und nicht uns allen.«

»Sie hat dir und Nicholas die Möbel hinterlassen! Die waren einiges wert.« Grace fand das Gespräch ebenso langweilig wie ärgerlich. Es war nicht das erste Mal, dass sie über dieses Thema redeten, und sie wusste, dass es nicht das letzte Mal sein würde.

»Nichts im Vergleich zum Wert des Hauses.«

»Nun, sie war meine Patentante.«

»Wirklich, Grace, ich wünschte, du würdest aufhören, dich in dieser Angelegenheit so kindisch und halsstarrig zu zeigen! Du musst doch einsehen, dass das Haus viel zu groß für dich ist, um darin zu leben. Tante Lavinia hat dir, als du ein Kind warst, nie besondere Aufmerksamkeit geschenkt, weshalb also hat sie dir das Haus hinterlassen? Offensichtlich wurde sie langsam gaga. Und wenn sie nicht mehr richtig bei Verstand war, ist es nur fair, dass du dich anständig benimmst und das Haus mit uns teilst.«

»Sag mir Bescheid, wenn du bei mir einziehen willst«, entgegnete Grace ungehalten, »aber ich dachte, du wärst in Farnham mit David und den Jungen ganz glücklich.«

»Oh, mach dich nicht lächerlich!«

»Hm, vielleicht hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie sich nie um mich gekümmert hat, als ich noch klein war. Aber wie dem auch sei, gaga oder nicht, sie hat das Haus mir hinterlassen. Und warum fängst du jetzt eigentlich wieder davon an? Ich habe das Haus seit neun Jahren.«

»Ja, aber als du zusammen mit Edward dort gewohnt hast, war es nicht ganz so sinnlos. Außerdem, wie kannst du in einem Haus leben, in dem überhaupt keine Möbel stehen?«

»Ein paar Möbel habe ich.« Sie blickte zu dem Küchentisch hinüber, den sie auf einem Flohmarkt in der Stadt gekauft hatte. »Teetruhen sind äußerst vielseitig, und wenn meine Idee mit den Weinverkostungen ein Erfolg ist, werde ich mir haufenweise hübsche Holzkisten besorgen. Ich habe mal mit einer jungen Frau zusammengearbeitet, die sich eine ganze Küche aus Weinkisten gebaut hat.«

Ein verärgerter Seufzer zischte durchs Telefon. »Wie dem auch sei, Nicholas hat mich gebeten, dich anzurufen …«

»Er hätte mich selbst anrufen können.« Trotz ihres Ärgers war Grace im Grunde froh, nicht mit ihrem Bruder sprechen zu müssen; er war noch tyrannischer als Allegra.

»Er hat viel um die Ohren. Er hat einen sehr hochkarätigen neuen Job. Ein Bürogebäude in der Canary Wharf.«

»Das klingt gut«, entfuhr es Grace. »Sein Ego wird zwischen den anderen Wolkenkratzern überhaupt nicht auffallen.«

Allegra, die an eine viel sanftmütigere jüngere Schwester gewöhnt war, war schockiert. »Grace! Als Kind warst du nie so grob! Eine vollkommene Idiotin, aber nicht grob.«

»Nein, hm, wahrscheinlich bin ich inzwischen erwachsen geworden. Das bringt eine Scheidung so mit sich.«

Stille trat ein.

Ich habe immer gewusst, dass deine Ehe zum Scheitern verurteilt ist. Grace spürte, dass Allegra mit sich rang, ob sie diese Worte aussprechen oder ob sie lieber den Mund halten sollte. Dank Edwards antiker Möbel hatten Allegra und Nicholas alles aus dem Haus fortschleppen können, das nicht niet- und nagelfest gewesen war.

»Tut mir Leid, Grace, ich bin wohl ein bisschen taktlos, aber ich finde wirklich, dass es weit besser für dich wäre, das Haus zu verkaufen. Es muss ein Vermögen wert sein.«

»Nicht unbedingt. Der Grundstücksboom ist vorbei, und vielleicht stellt sich heraus, dass der Holzwurm im Gebälk sitzt.«

»Aber das ist doch nicht der Fall, oder?« Allegra klang ernsthaft besorgt. »Du hast ja gerade das Dach renovieren lassen.«

»An dem Haus ist noch eine Menge mehr zu reparieren als das Dach«, erklärte Grace, der es eine geradezu beunruhigende Befriedigung verschaffte, Allegra aus der Fassung gebracht zu haben.

»Aber du hast das doch sicher überprüfen lassen?«

Der Holzwurm war offensichtlich nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. »Noch nicht.«

»Du musst! Ich bestehe darauf. Genau genommen werde ich noch mehr tun: Ich werde den Sohn meiner Freundin zu dir schicken, damit er das erledigt.«

Grace hielt sich das Telefon vom Ohr weg. Ihre Schwester wurde langsam ziemlich schrill.

»… Er wird einen sehr vernünftigen Preis verlangen. Nein, ich bezahle es selbst, dann hast du nämlich keine Ausrede, es noch länger hinauszuschieben!«

»Ähm, nein«, entgegnete Grace, die diese Feststellung beim besten Willen nicht bestreiten konnte. Sie hätte tatsächlich Ausreden gefunden, deren schlagkräftigste der Einwand gewesen wäre, dass sie es sich ohnehin nicht leisten konnte, etwas dagegen zu unternehmen, falls das Haus langsam vom Holzwurm aufgefressen wurde. Außerdem würde das Haus sich wahrscheinlich genauso lange halten wie sie selbst, solange nur nicht allzu viele Holzwürmer darin hausten. Es war sehr groß.

»Gib mir Bescheid, wann es dir passen würde.« Nachdem sie Grace’ Zustimmung erhalten hatte, wurde Allegra wieder ruhiger.

»Ich bin fast die ganze Zeit zu Hause, Legs.«

»Ich wünschte, du würdest mich nicht so nennen!«

»Entschuldigung.«

Allegra seufzte. »Nein, na ja, ich nehme an, es ist eine Angewohnheit. Dieser elende Nicholas hat damit angefangen. Aber wirklich, Grace, ich mache mir ein bisschen Sorgen um dich. Du solltest mehr aus dem Haus gehen.«

»Doch nicht jetzt, denn ich erwarte jeden Augenblick einen Haufen fremder Leute, die zur Weinverkostung kommen, und ich habe noch nicht mal das Brot auf den Tisch gestellt.«

Der Telefonanruf ihrer Schwester hatte eine merkwürdig belebende Wirkung auf Grace. Er bekräftigte all ihre Gedanken und Gefühle, was das Haus betraf. Sie war entschlossen, es nicht zu verkaufen. Sie liebte es; es gehörte ihr. Sollten ihr Bruder und ihre Schwester sie weiter um ihr Glück beneiden. Schließlich hatten die beiden die sehr wertvollen Möbel bekommen, waren erfolgreich im Berufsleben und nicht solo wie sie selbst. Zu Allegra gehörte ein wohlhabender Ehemann, und Nicholas war mit einer sehr glamourösen, rassigen Investmentbankerin liiert. Und obwohl man in der Bankbranche nicht mehr so viel Geld scheffelte wie früher einmal, standen sich die beiden zusammen doch außerordentlich gut.

Andererseits bedeutete der Unterhalt eines solchen Hauses, selbst wenn sie sehr bescheiden lebte, eine ständige Sorge. Nachdem sie sich um das Dach gekümmert hatte, war sie zumindest einigermaßen zuversichtlich, für eine Weile kein Geld mehr investieren zu müssen. Im älteren Teil des Hauses, an der Rückfront, waren die Wände feucht, aber fast alle alten Häuser waren an der einen oder anderen Stelle feucht, und da sie den hinteren Teil nicht benutzte, stellte es kein Problem dar.

Aber ungeachtet ihres Optimismus, dass das Haus länger existieren würde als sie selbst, und ihrer entspannten Haltung der Feuchtigkeit gegenüber, war ihr klar, dass das Haus verfallen würde, wenn es nicht warm gehalten und richtig bewohnt wurde. Sie brauchte entweder einen halbwegs anständig bezahlten Job, um das Haus gut in Schuss zu halten, oder – und dies war der Weg, den sie zurzeit beschritt – sie konnte das Haus selbst benutzen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Daher die Weinverkostung, die, wie sie zu ihrem Entsetzen feststellte, in weniger als einer Stunde beginnen würde.

»Oh Gott! Jetzt muss ich so tun, als wäre ich jemand, der weiß, wovon zum Teufel er redet!«

Sie wusste allerdings, wovon zum Teufel sie redete; sie machte sich nur Sorgen, dass ihr vielleicht niemand glaubte.

Als sie die Treppe hinauflief, um sich umzuziehen, wurde ihr klar, wie viel davon abhing, dass der Abend ein Erfolg wurde. Es war nicht nur das Geld, obwohl auch das wichtig war – sie wollte beweisen, dass sie in Luckenham House leben musste, dass das Haus einen Wert hatte, der über die Steine und den Mörtel hinausging, über seinen finanziellen Wert und über seine Schönheit. Andernfalls wäre das Haus, das alles war, was sie auf der Welt besaß, lediglich ein sehr hübscher und äußerst unbequemer Ort, um dort zu leben.

Als sie ihren uralten Schminkbeutel hervorkramte, kam ihr ein Gedanke: Obwohl sie ihre Tante Lavinia nur ein einziges Mal – mit damals siebzehn Jahren – besucht hatte, musste Lavinia, die in Wirklichkeit eine Großtante gewesen war, gespürt haben, dass Grace sich in das Haus verliebt hatte. Ihre Eltern hatten Bemerkungen über die Kosten für den Unterhalt gemacht und darüber, wie schwierig es war, Haushaltshilfen zu finden, aber Grace hatte lediglich ohne Vorbehalte erklärt, es sei wunderschön.

Sie warf einen Blick auf ihr Make-up, von dem sie den größten Teil vor ihrer Heirat oder sogar vor ihrer Bekanntschaft mit Edward gekauft hatte, und beschloss, sich die Mühe mit der Grundierung zu sparen. Stattdessen hauchte sie die Mascara ein paar Mal an und hoffte, dass noch welche übrig war. Während sie mit der eingetrockneten Spirale zu Werke ging, begriff sie, dass das der Grund gewesen sein musste, warum ihre Tante ihr das Haus hinterlassen hatte und nicht die Möbel. Sie hatte gesehen, was über das Augenfällige hinausging.

Zu ihrer ungeheuren Erleichterung kam als Erstes das freundliche Ehepaar, das in seinem Tante-Emma-Laden auch die Poststelle betrieb.

»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie neugierig ich auf dieses Haus bin!«, rief Mrs. Rose. »Meine Tante hat hier geputzt, als ich noch klein war, und sie hat mir immer von den wunderschönen Dingen in diesem Haus erzählt.«

Grace lachte. »Ich fürchte, die wunderschönen Dinge sind samt und sonders verschwunden, aber das Haus ist noch dasselbe.«

»Irgendwann würde ich mich schrecklich gern mal hier umsehen!«

Grace kam der Gedanke, dass Mrs. Rose durchaus im Stande sein könnte, jedem zu erzählen, wie es im Innern des Hauses aussah, kam aber zu dem Schluss, dass es ihr nichts ausmachen würde. Schließlich war ehrliche Armut kein Grund, sich zu schämen, und wenn die ortsansässigen Einbrecher erfuhren, dass sie keine Möbel besaß, hätte sie durchaus nichts dagegen.

»Ich führe Sie anschließend gern herum. Wobei es nicht besonders viel zu sehen gibt.«

»Danke, mein Kind, ich freue mich darauf.«

Da sie die ersten Gäste waren und Grace sie sympathisch fand, führte sie Mr. und Mrs. Rose zu den bequemsten Stühlen. Die Nachzügler würden mit den Teekisten vorlieb nehmen müssen.

Das nächste Paar, die Cavendishes, lebte für gewöhnlich in London. Die beiden waren jung, gut gekleidet und unverhohlen reich, aber Grace erwärmte sich trotzdem für sie. Sie wirkten nett.

»Hi! Ich bin Sara, und das ist Will«, meinte Sara. Sie trug ein scharlachrotes Kostüm und einen himmlischen schwarzen Schal, der wahrscheinlich genauso viel gekostet hatte wie Grace’ Auto. »Will, Darling, das ist Grace, wir haben am Telefon miteinander geplaudert. Will gibt immer ein Vermögen für Wein aus, und ich fand, es sei an der Zeit, dass ich mich diesbezüglich ein wenig schlau mache. Oh, Sie kenne ich!«, sagte sie übergangslos zu den Roses, die ziemlich steif auf ihren Stühlen saßen und sich fragten, ob ihnen ein Fehler unterlaufen war. »Sie betreiben das Postamt!« Sara streckte die Hand aus, sodass Mr. Rose sie erreichen musste. »Ich liebe Ihren kleinen Laden! Er ist wie eine Schatztruhe! Man kann nie wissen, was man darin finden wird!«