Festung Glückstadt -  - E-Book

Festung Glückstadt E-Book

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Beschreibung

2014 jährte sich die Belagerung und das Ende der Festung Glückstadt zum 200. Mal. Im Januar 1814 endete die Belagerung der Stadt Glückstadt durch die Gegner Napoleons. Anlässlich des 200. Jahrestages dieses wichtigen historischen Ereignisses, beschloss der Vorstand der Detlefsen-Gesellschaft im November 2012 unter Dr. Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt, eine Vortragsreihe zur Festungsgeschichte Glückstadts zu veranstalten. Die sechs Vorträge sollten an die Belagerung vor 200 Jahren erinnern und im Winter 2014 stattfinden.

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Für Lori

Inhalt

Vorwort

Klaus-J. Lorenzen-Schmidt

Garnisonsleben in Glückstadt 1689–1813

Christian Boldt

Die Festung Glückstadt als wichtige dänische Landesfestung von ihrer Gründung bis in das Jahr 1813 und ihre Rolle in den militärischen Konflikten des dänischen Königshauses

Reimer Möller

Über den englischen Seekrieg in den norddeutschen Küstengewässern, insbesondere die Belagerung der Festung Glückstadt 1813/1814

Ruth Möller

Die Belagerung der Festung – Leiden der Einwohner

Klaus-J. Lorenzen-Schmidt

Die Belastungen der Zivilbevölkerung bei der Belagerung der Festung Glückstadt im Dezember 1813 und Januar 1814

Ruth Möller

Die Entfestung Glückstadts, die Schaffung der Anlagen und das Gedenken an die Belagerung in Worten und Objekten

Vorwort

Liebe Freundinnen und Freunde der Detlefsen-Gesellschaft, 2014 jährte sich die Belagerung und das Ende der Festung Glückstadt zum 200. Mal. Im Januar 1814 endete die Belagerung der Stadt Glückstadt durch die Gegner Napoleons. Anlässlich des 200. Jahrestages dieses wichtigen historischen Ereignisses, beschloss der Vorstand der Detlefsen-Gesellschaft im November 2012 unter Dr. Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt, eine Vortragsreihe zur Festungsgeschichte Glückstadts zu veranstalten. Die sechs Vorträge sollten an die Belagerung vor 200 Jahren erinnern und im Winter 2014 stattfinden. Laut Gästebuch kamen mehr als 800 Zuhörer. Besonders gefreut hat uns, dass dieses Jubiläum, nach Bekanntgabe in der Presse, von Vertretern aus Kultur, Gewerbe, Kirche, Stadt und Tourismus zum Anlass genommen wurde, eine Festungswoche zu veranstalten. Das Glückstadt Destination Management (GDM) organisierte historische Stadtrundgänge mit dem Schwerpunkt Festungsgeschichte, viele Glückstädter Gastronomen riefen die Festungsschmauswoche aus und das Detlefsen-Museum lud zu einem Vortrag zur Geschichte der Stadt ein. Das GDM hat die Organisation dieser Veranstaltungen übernommen und auch Flyer mit dem Programm drucken lassen, in denen auch unsere sechs Veranstaltungen gut beworben wurden. Einen herzlichen Dank an dieser Stelle dafür. Die lokale Presse begleitete die Aktionen wohlwollend und berichtete ausführlich über die einzelnen Veranstaltungen. Alle unsere Vorträge zur Festungsgeschichte erscheinen nun mit diesem Band, als Sonderpublikation im Rahmen unserer Vortragsreihe, den wir unserem 2015 verstorbenen Ehrenvorsitzenden Dr. Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt widmen.

Die Detlefsen-Gesellschaft dankt an dieser Stelle Frau Claudia Boldt für die gelungene Gestaltung (Grafik u. Layout) des Bandes und Elke Witt und Sönke Loebert für die Korrektur einiger Aufsätze. Ferner gilt unser Dank all unseren Referenten und Förderern – nur durch ihre Beiträge konnte die vorliegende Publikation entstehen.

Borsfleth im Winter 2016

Christian Boldt M.A.

Garnisonsleben in Glückstadt 1689–1813

Klaus-J. Lorenzen-Schmidt

Glückstadt war zu Beginn des 19. Jahrhunderts schon durch seine Funktion als Festungs- und Garnisonsstadt eine Ausnahme und im Rahmen der Herzogtümer Schleswig und Holstein vergleichbar eigentlich nur mit der Landeshauptfestung Rendsburg. Aber neben diesen beiden stark befestigten Städten, die sich ganz den militärischen Bedürfnissen unterwerfen mussten, gab es doch eine Reihe von offenen Städten und Flecken, die kurz- oder längerfristig als Garnisonsorte für das doch recht starke stehende Heer des dänischen Gesamtstaates zu dienen hatten.

Über die Verhältnisse zwischen Bürger- und Einwohnergemeinde einerseits und der militärischen Besatzung andererseits in Glückstadt am Vorabend des Engagements der dänischen Monarchie in den Napoleonischen Kriegen sind wir vor allem durch Arbeiten von Carl Friedrich Rode1, Gerhard Köhn2 und Hans Reimer Möller3 informiert. Ich selbst habe die sehr aussagekräftige Volkszählungsliste von 1803 für die Stadt ausgewertet.4 Aber natürlich gibt es auf diesem Gebiet noch viel zu tun, wie jüngere, massiv quellenbasierte Forschungen für das dänische Reich zeigen.5 Gleichwohl soll hier ein historisch entwickelter Überblick über das Garnisonsleben bis 1813 gegeben werden.

Offiziere des Königin-Leibregiments. Stadtarchiv Glückstadt, Köhn-Sammlung.

Grenadiere des Königin-Leibregiments. Stadtarchiv Glückstadt, Köhn-Sammlung.

Glückstadt 1803

Die Volkszählungsliste von 1803 zeigt uns nicht nur die Zahl und Zusammensetzung der Glückstädter Zivilbevölkerung, sondern gibt uns auch wichtige Aufschlüsse über die Garnison. Die Stadt war damals die bedeutendste im Südwesten Holsteins. Sie hatte eine reine Zivilbevölkerung von ca. 3.200, während Itzehoe nur 2.600, Wilster nur 1.800 und Krempe nur gut 1.000 vorweisen konnte. In Glückstadt gab es nicht nur eine kopfstarke Garnison mit Offizierskorps, sondern auch die „Regierung“ für Holstein – damals noch ungetrennt Verwaltung und Rechtsprechung. Mehrere Obergerichtsadvokaten waren hier ansässig. Natürlich machten sich in der Berufszusammensetzung der Stadt die beiden bedeutenden Nachfrager nach Gütern gehobener handwerklicher Produktion und des speziellen Handels bemerkbar.

Tab.1: Gewerbetreibende nach Sparten auf 1.000 Bewohner in den südwestholsteinischen Städten 18036

Vor allem Krempe und Wilster hatten ein beträchtliches Umland mitzuversorgen, denn das Landhandwerk war in den Herzogtümern bis zur preußischen Zeit (1867) stark beschränkt.7

Die dänische Heeresorganisation8

Die in den Jahren 1615 bis 1621 gegründete und ausgebaute Festung erhielt erst in den Jahren nach dem 30jährigen Krieg eine Garnison. Unter dem Druck des rivalisierenden Schweden entschloss sich Dänemark zur Errichtung eines stehenden Heeres. Ausschlaggebend waren dafür die leidvollen Erfahrungen des Zweiten Schwedischen Krieges (1655–1660), in dem Kopenhagen nur knapp dem schwedischen Zugriff entgangen war. 1659 bezog das neu errichtete Leibregiment der Königin zu Fuß seinen Garnisonsort an der Unterelbe, wo es bis 1848 seinen Standort behalten sollte (es wurde 1842 bei der Heeresreform in 17. Linieninfanterieregiment umbenannt).

Die Einheiten des stehenden Heeres bestanden ganz überwiegend aus geworbenen Soldaten, von denen viele aus dem Inland kamen, mehr aber noch aus dem deutschen Ausland. Erst 1701 wurden sog. Nationale Regimenter (bestehend aus Infanterie und Landdragonern) in den drei Teilen der Monarchie (Norwegen, Dänemark und den Herzogtümern) eingerichtet, die nun aus wehrpflichtiger eingeborener Mannschaft bestanden; sie traten neben die geworbenen Verbände. 1733 gab es sechs nationale Infanterieregimenter zu je zwei Bataillonen, die je sechs Kompanien stark waren. Die Soldaten waren 18 bis 36 Jahre alt; die Dienstzeit betrug insgesamt sechs bis acht Jahre und setzte sich aus einer Grundausbildungsperiode, anschließend monatlichen Sonntagsübungen sowie jährlich mehrwöchigen Sommermanövern zusammen. Die Nationalsoldaten konnten also ihren Berufen während ihrer Dienstpflichtzeit nachgehen.

Die Heeresreform, die unter dem Oberkommandierenden Claude Louis, Graf von Saint Germain, 1761–1767 angestoßen wurde, hatte das Ziel, 13 Infanterieregimenter zu je 1.000 Mann in zwei Bataillonen aufzustellen; von der Gesamtstärke sollten etwa 25 % Landrekruten, also Eingeborene, sein. Doch schon 1766 bestand das Heer der Monarchie aus zwei Leibgarden, sechs Kürassier- und vier Dragonerregimentern sowie 16 Infanterieregimentern, von denen in den Herzogtümern ein Regiment Infanterie in Glückstadt, sechs Infanterieregimenter in Rendsburg, ein disloziertes Infanterieregiment auf Helgoland, in Friedrichsort und Glückstadt sowie vier Kompanien Artillerie (der sog. Holsteinische Artillerieetat) in Rendsburg und Glückstadt garnisonierten. Die Mehrheit (ca. 65 %) der Soldaten stammte aus deutschen Landen und deshalb wurde folgerichtig 1772 das Deutsche die Kommandosprache im dänischen Heer. In der Folgezeit scheint sich das Verhältnis zwischen dänisch und deutsch gewandelt zu haben, denn 1788 stammten von den neu geworbenen Soldaten 4.400 aus Dänemark, während nur 4.000 aus Deutschland; insbesondere die Kavallerieeinheiten waren dänisch majorisiert.

Die Landmilitär- und Remonteordnung von 1800 machte mit der Werbung von Soldaten im Ausland Schluss und etablierte die Wehrpflicht, ließ allerdings Stellvertreter für Wehrpflichtige zu, so dass in der Folgezeit eine gewisse Professionalisierung des Soldatenberufes in den Mannschafts- und Unteroffiziersrängen stattfand.

Marine

Die dänische Kriegsmarine machte seit der Zeit Christian IV. eine Entwicklung zu andauernd stehenden Einheiten durch. Für den Stadtgründer Glückstadts war ja die Gewinnung eines guten Nordseehafens als Basis seiner südelbischen Politik bedeutend. Die Marinegarnison im Rahmen des königlich-dänischen See-Etats entwickelte sich hier ebenfalls, wenngleich nicht mit großen Einheiten. Dazu gehörte ab etwa 1670 eine kleine Abteilung der See-Equipage (Ausrüstung). Glückstadt war als Marine-Garnison recht unbedeutend, denn man befürchtete keine Marineangriffe auf das südwestliche Holstein.

Glückstadt als Garnison

Zunächst muss betont werden, dass die historischen Nachrichten über das Zusammenleben von Zivil- und Militärbevölkerung der Stadt durch die Quellenlage verzerrt sind. Aktenmäßig niedergeschlagen haben sich die Problemfälle, nicht die normalen Alltagssituationen.

Rangabzeichen der Glückstädter See-Equipage. Stadtarchiv Glückstadt, Köhn-Sammlung.

a) Unterbringung der Soldaten

Die Einquartierung der Mannschaften und Unteroffiziere erfolgte in den Häusern der Bürger. Allerdings wurden in begrenztem Umfang in den Radialstraßen Soldatenbuden gebaut, die vor allem verheirateten Mannschaftsdienstgraden (ab Gefreiten) und Unteroffizieren Unterkunft boten. Die Offiziere mieteten sich in gehobenen Bürgerhäusern ein.

b) Uniformierung

Die Uniformierung (einheitliche Gestaltung der Bekleidung und Montur) der Soldaten einer Großeinheit (Regiment) wird erst im 18. Jahrhundert möglich und dann ein Lieblingskind von Heeresreformern.

Soldatenbuden in Glückstadt. Hier die Große Danneddelstraße mit den ehemaligen Soldatenbuden. Anfang der 1960er Jahre wurden sie abgebrochen.

c) Dienst

Der Dienst der Soldaten war sehr eingeschränkt. Es mussten täglich Wachen bezogen werden und zwar: an den drei Toren, an den beiden Hauptwachen, auf bestimmten Bastionen und bei den Pulvertürmen, auch beim Stockhaus (dem Militärgefängnis). Die Arbeit der Karrensträflinge musste bewacht werden. Die ganze Garnison oder einzelne Einheiten exerzierten wöchentlich auf dem Marktplatz oder auf dem Exerzierplatz vor dem Deichtor. Dort fanden auch die Schießübungen statt – allerdings wegen der Kostspieligkeit von Pulver und Kugeln nur selten in scharfer Form. Dieser Dienst forderte keinen der Soldaten allzusehr, so dass manche in früher erlernten Berufen Gelegenheitsarbeiten ausführten – zum Leidwesen der Handwerker der Stadt.

Die gesamte Garnison rückte wenigstens einmal im Jahr zu einer mehrwöchigen Manöverperiode aus. Es wurden dann die in den Herzogtümern stehenden Verbände zusammengezogen und im Feld zu Übungen von Angriff und Verteidigung eingesetzt. In dieser Zeit übernahmen Bürger die Bewachung der militärischen Anlagen.

Kam es in dem ruhigen Ablauf doch einmal zur Notwendigkeit, die gesamte Garnison unter Waffen zu haben, wurde der Generalmarsch geschlagen, d.h. die Tamboure der Einheiten gaben Trommelsignale in allen Straßen, auf welche hin die Sammlung und Aufstellung auf dem Marktplatz erfolgte.

d) Besoldung

Die Besoldung der Mannschaften und Unteroffiziere war schlecht. Festangestellte Offiziere erhielten standesgemäßes Salär, mussten aber oft genug auf Privatvermögen ihrer Familien oder auf Kredite bei Bürgern zurückgreifen, um nicht als „arm“ angesehen zu werden. Insbesondere die Mannschaften und Unteroffiziere versuchten, ihr Einkommen durch allerlei Tätigkeiten (Dienstleistungen, handwerkliche Arbeiten) aufzubessern, was starke Spannungen mit den interessierten Zivilisten auslöste, die sich beim Rat der Stadt über diese Konkurrenz beschwerten. Schlechtes Einkommen vermehrte aber auch Diebstahlsvergehen.

e) Religion

Die meisten geworbenen Soldaten waren evangelisch-lutherischen Bekenntnisses. Es gab jedoch auch Reformierte9 und Römisch-Katholische unter ihnen, denn in Deutschland galt ja noch der Grundsatz des Augsburger Religionsfriedens „wessen die Herrschaft, dessen die Bestimmung der Religion seiner Untertanen“. Für die Evangelischen wurde an die Stadtkirche die sog. Soldatenkirche (das zweite Schiff) angebaut, auch wenn die Garnison der Schlossgemeinde zugewiesen war. Aber das Schloss wurde ja bereits 1708 abgebrochen und damit die Schlosskapelle. Glückstadt als religiöse Freistatt machte dann auch für die Katholiken den Weg frei zur Bildung einer eigenen Gemeinde, die schließlich in der Namenlosen Straße ihr Gotteshaus erhielt.

f) Justiz

Die gesamte Garnison unterlag nicht der Rechtsprechung des Rates oder des im Ort ansässigen Obergerichts, sondern eigener Militärgerichtsbarkeit. Auditoren wurden die Militärrichter genannt und normalerweise hatte jedes Regiment seinen Auditor. Die Strafen waren denen der Zivilgerichte ziemlich ähnlich, doch war der Bereich der Disziplinarstrafen besonders. Ehrenstrafen waren das „Reiten“ auf dem hölzernen Esel oder Pferd, dessen Rücken scharfkantig gearbeitet war, also das Sitzen zusätzlich peinvoll machte, und das „Stehen“ vor dem Haus des Vorgesetzten in voller Montur – oft über einen vollen Tag. Auf schwerere Vergehen stand das „Spießrutenlaufen“ durch eine Gasse von stockbewehrten Kameraden, die auf den Delinquenten einzuschlagen hatten. Damit es schmerzhaft genau wurde, ging dem armen Sünder ein Unteroffizier mit Sponton voran, der verhinderte, dass die Tortur zu schnell endete. Die Todesstrafe bei schwersten Vergehen wurde zumeist durch Erschießen, aber auch durch Enthauptung oder Hängen vollstreckt, wobei ein Platz vor dem Deichtor als Hinrichtungsstätte diente.10

Der Fall des Musketiers Peter Tolsen von 1761 mag die Härte der Militärjustiz illustrieren.11 Tolsen hatte das auf der Straße spielende sechsjährige Kind des Unterkanzleiboten Hahn erschossen, ohne dass er dafür einen Grund angeben konnte. Das militärgerichtliche Urteil lautete, dass der Täter in neun Wochen je einmal am Tötungsort ausgepeitscht und danach von unten herauf gerädert und anschließend bei lebendigem Leibe auf das Rad geflochten werden sollte. Die Hinrichtung erfolgte ohne Milderung am 8. Februar 1762 auf dem Marktplatz.

g) Desertion

Ein Hauptdelikt der geworbenen Soldaten bestand in der Desertion, also der Flucht aus dem Militärdienst. Dass viele zu diesem Mittel griffen, hatte etwas mit dem Stumpfsinn und der disziplinarischen Härte des Dienstes, aber auch mit den nicht einwandfreien Werbermethoden zu tun, bei denen Alkohol keine geringe Rolle spielte. Wurden Deserteure gefasst, erhielten sie zur Abschreckung drakonische Strafen, oftmals mehrfaches Spießrutenlaufen. Dennoch wagten viele Geworbene den gefährlichen Rückweg in das Zivilleben – mussten sich dann aber ins Ausland begeben.

h) Sexualität

Die meisten einquartierten Soldaten waren unverheiratet (1803 99,6 %) und zwischen 20 und 30 Jahren alt. Bekanntlich ist die Zeit zwischen dem 18. und 35. Lebensjahr die Spanne im Leben von Männern, in der das Bedürfnis nach Geschlechtsverkehr am größten ist. Wie konnten die unverheirateten Männer der Glückstädter Garnison diesem „Drang“ nachkommen? Soweit die Quellen das erkennen lassen, gab es in der Stadt weder Bordelle noch eine Szene freier Prostitution – ohnehin war letztere kriminalisiert und wurde strafrechtlich verfolgt. Dem Dilemma durch Heirat zu entgehen, war angesichts der schlechten Besoldung Mannschaftsdienstgraden nahezu unmöglich. Blieb verdeckte Prostitution – etwa von jüngeren Witwen oder unverheirateten Dienstmädchen, auch wenn das Netz sozialer Kontrolle sehr engmaschig war. Im ländlichen Umland konnten Soldaten durchaus bei Mägden landen, denn der Soldat, v.a. der Unteroffizier und Offizier in seiner Uniform machte Eindruck – zumal, wenn er einem einfältigen Mädchen die Ehe versprach.

Nähere Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Garnison, Umland und unehelichen Geburten fehlen. Ich selbst habe im Kremper und Hohenfelder Kirchenbuchmaterial mehrere Hinweise auf uneheliche Schwängerungen durch Soldaten im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert gefunden. Eine systematische Durchsicht sowohl der Glückstädter wie der Umlandkirchenbücher würde sicher quantifizierbares Material zu diesem Komplex zu Tage fördern. Einen Fall von 1749 berichtet Otto Ulbricht in seinem grundlegenden Werk „Kindsmord und Aufklärung in Deutschland“12 aus dem Marschgut Groß-Kollmar. Gesche Stötenpahl, 25 Jahre alt, Dienstmagd und unverheiratet, brachte am 14. März des Jahres heimlich ein Kind zur Welt, das sie tötete. Das Delikt wurde aufgedeckt und in der Kriminaluntersuchung sagte sie aus: „Den Vater ihres Kindes, den Tambour Bruhns … (habe sie) bei ihrer vorletzten Dienstherrschaft, der Gärtnerin Horops, kennengelernt. Er diente beim Bornholmischen Regiment, das in Glückstadt stationiert war.“ Bruhns hatte Stötenpahl – ihrer Aussage nach – die Ehe versprochen, worauf es einmal zum Geschlechtsverkehr gekommen war, war jedoch im Herbst 1748 bereits desertiert und verschwunden. Nachdem Gesche Stötenpahl den Kindsmord vor drohemder Folter zugegeben hatte, wurde sie zum Tode verurteilt – wir wissen aber nicht, ob das Urteil in Zuchthausstrafe umgewandelt wurde.

Fälle wie dieser, aber ohne die furchtbare Konsequenz von Kindsmord und Todesurteil, müssen in Glückstadt und Umgebung keine Seltenheit gewesen sein und führten zu dem um 1790/1800 entstandenen Spottvers über die vier südwestholsteinischen Städte:

„Itzehoe is dat hoge Fest,

Krempe is dat Roddennest,

Wilster isde Waterpool

Glückstadt is de Horenschool.“13

Einquartierung 1803

Die Festungsstadt Glückstadt beherbergte im Februar 1803 5.210 Menschen. Sie lebten in 698 Häusern und bildeten 948 Wohnparteien. Es wurden auch 29 Keller und 5 Säle, daneben eine Reihe von Buden bewohnt. Die Stadt selbst war verwaltungsmäßig in vier Quartiere (Stadtviertel) eingeteilt. Von der Bevölkerung waren 54,4 männlichen und 45,6 weiblichen Geschlechts.14 In der Stadt hielten sich 778 Militärpersonen auf, von denen das Gros der Gemeinen zwischen 20 und 30 Jahren alt war (Durchschnitt unter Berücksichtigung der älteren Offiziere und Unteroffiziere 33,46 Jahre). Von den Militärpersonen waren 35 Offiziere (vom Fähnrich bis zum Generalleutnant), 115 Unteroffiziere und 633 Gemeine, also Mannschaften. Die Mariner machten nur 46 Mann aus. Es gab auch 36 pensionierte Soldaten (vom Landsoldaten bis zum Generalmajor) in der Stadt.

Die Wohndichte war beträchtlich: Es wohnten durchschnittlich 7 Personen pro Haus. Die durchschnittliche Einquartierungslast pro Haus war 0,7 Soldaten. Aber die Einquartierungen waren nicht gleichmäßig verteilt. Vor allem in Kleinhäusern, also denen der ärmeren Stadtbürger, waren Soldaten untergebracht und die lagen im III. und IV. Quartier, v.a. im Norden der Stadt (III. Quartier 0,7, IV. Quartier 1,6 Einquartierte pro Haus).

Die Einquartierung war kein unabwendbares Schicksal für die Glückstädter Hausbesitzer. Man konnte sich bei den Einquartierungsbürgern (Billetiers) freikaufen. Aber zahlreiche ärmere Haushalte brauchten das vom Staat gezahlte Einquartierungsgeld zur Aufbesserung ihrer Einkünfte. Und deshalb zeigt die Einquartierung in Glückstadt auch die Trennung in ärmere und reichere Straßenzüge. 31 bis 40 % der Häuser in der Daneddelstraße, Kleinen Kremperstraße, Kleinen Nübelstraße und im Kleinen Schwibbogen hatten Einquartierung, 41 bis 50 % der Häuser in der Ballhausstraße, Hinterm Kirchhof, im Großen Schwibbogen und beim Stockhaus ebenfalls; nur am Wall stieg diese Zahl auf über 51 %.

Doch Militärpersonen hatten auch eigene Haushalte bzw. wohnten zur Miete, und zwar nicht nur Offiziere.

selbstständig

zur Miete

einquartiert

Offiziere

17

17

0

Unteroffiere

69

3

36

Gemeine

72

5

406

Tab. 2: Selbständige Haushalte, Mietwohnungen und Einquartierungen von Soldaten

Übrigens waren fast 100 % der Einquartierten unverheiratet.

Trotz der später überbetonten Klagen über die Zustände in der Zeit als dänisch-holsteinische Garnisonsstadt muss man im Großen und Ganzen doch feststellen, dass die Anwesenheit des Leibregiments Königin und anderer Militäreinheiten für Handel, Handwerk und Einkommen kleiner Hausbesitzer nicht unvorteilhaft war.

Bürgerbewaffnung und Garnison15

Seit 1644 gab es zur Sicherung der damals nur zeitweilig mit Söldnern belegten Festung ein Bürgerkontingent aus vier Kompanien zu je 120 Mann, denen jeweils ein Hauptmann und ein Quartiermeister vorstanden. Die Ausrüstung und Bewaffnung dieser Truppe bestand aus Ringkragen, Partisanen und Pistolen. Jede Kompanie führte eine weiße Fahne. Nachdem die dauernde Garnison in die Festung gelegt worden war, bestand die Aufgabe der Bürgerkompanien aus der Bewachung der Stadt bei Abwesenheit der Garnison und dem Aufeisen der Festungsgräben im Winter (nur im Verteidigungsfall). Seit 1707 führten die Bürgerkompanien ein Scheibenwettschießen – dann offensichtlich mit Musketen durch.

1762 wurde die Belastung der Bürger erhöht. Sie sollten nun täglich zwei Offiziere, neun Unteroffiziere und 50 Gemeine nebst zwei Tambouren zur Bewachung der drei Tore, von zwei Ravelins, der Schanze „Sieh dich vor“ am Westende des Rethövels und der Bastion „Erbprinz“ stellen – eine starke Zumutung, denn die Bürger gingen ja ihrem Erwerb nach. Um 1780 bestand das tägliche Wachkontingent schon aus 75 Mann. Die Bewaffnung wurde 1787 vom Militäretat gestellt: 400 ältere Musketen wanderten aus dem Zeughaus in das Rathaus, um fortan den Bürgern zu dienen.

Übrigens richteten die Bürger selbst 1787 eine reitende Bürgergarde aus 14 bis 25 Mann ein, um damit zur repräsentieren: Die Garde ritt fürstlichen oder königlichen Besuchen entgegen und geleitete sie in die Stadt. Das war etwas für Honoratioren und deren Söhne, die sich den Spaß leisten konnten.

Teils mit Murren, teils mit Stolz trugen die Bürger die halbmilitärische Bürde, die sicher auch Anlässe für geselliges Beieinander bot und zum Gemeinsinn in der Stadt beitrug.

Dänische Marsch- und Signaltrommel von 1759. Sie wurde auf Befehl des Kronprinzen 1791 vom Glückstädter Zeughaus an das Bürgermilitär ausgegeben. Standort: Detlefsen-Museum. Foto: Stadtarchiv Glückstadt.

Waffenrock des gewählten Befehlshabers der Glückstädter Bürgerwehr von 1848; Feldwebel J. Schenck gehörte zum Bürgerartilleriekorps. Man sieht auf dem Foto die Unteroffizierstressen am Kragen und an den Ärmelaufschlägen. Auf der Schulterklappe ist der Buchstabe G wie Glückstadt zu erkennen. Standort Detlefsen-Museum. Foto: Stadtarchiv Glückstadt.

Unterhaltung der Festungsanlagen

Wer sorgte dafür, dass die aufwendigen Holz-Erde-Stein-Anlagen, die Wassergräben, Tore, Brücken, Brustwehren in verteidigungsfähigem Zustand erhalten wurden? – Zuständig für die bauliche Aufsicht über die Anlagen war das Ingenieurkorps der Armee.16 Im Rahmen der Budgetbedingungen konnte es Baumaßnahmen an Unternehmer (Maurer, Zimmerleute, Dachdecker, Schmiede etc.) vergeben. Stand es um den Frieden (wie in der Zeit zwischen 1721 und 1807) gut, dann war es schwieriger, die Festungswerke zu unterhalten; umso hektischer waren dann bei Kriegsgefahr die Instandsetzungsmaßnahmen.

Glückstädter Bürgerliche Reitende Garde unter König Christian VIII., Epauletten des Rittmeisters. Standort Detlefsen-Museum. Foto: Stadtarchiv Glückstadt.

Glückstädter Bürgerwehr von 1848. Epauletten des Hauptmanns Nicolaus Heinrich Timm, Zimmermeister. Standort: Detlefsen-Museum. Foto: Stadtarchiv Glückstadt.

Epauletten des Kornetts. Standort Detlefsen-Museum. Foto: Stadtarchiv Glückstadt.

Epaulette der Bürgeroffiziere in den Festungen Rendsburg und Glückstadt, Musterzeichnung von 1802. Stadtarchiv Glückstadt. Die drei Quasten sind für Capitains, zwei sind für Premierlieutenants und einer ist für Secondlieutenants.

Die ganz normalen Erd-, Faschinen- und Wasserbaumaßnahmen wurden von den sog. Karrensklaven oder -sträflingen ausgeführt: männlichen Zuchthäuslingen, die straferschwerend an eine Schubkarre geschmiedet wurden und tagein tagaus mit Schaufel und Karre, mit Wassereimern und Faschinen unter militärischer Aufsicht Löcher in den Wällen schlossen, die Stakette am Fuß der Wälle erneuerten, Pfähle rammten, Brustwehren auf die richtige Höhe brachten, Versackungen ausbesserten, Dämme sicherten etc. etc. Nachts schliefen sie bei ihrer Karre. Überlebten sie, wurden sie nach Strafverbüßung von der Karre gelöst und in die Freiheit entlassen.

Belastungsproben

In Friedenszeiten war das Zusammenleben von Zivilisten und Militärs in der Festungsstadt weitgehend unproblematisch. Kam es aber zum Krieg und möglicherweise zur Belagerung der Festungsstadt, dann wurde es für beide Gruppen sehr ungemütlich. Das geschah im Falle Glückstadts zweimal: 1627–1628 und 1813–1814, also mit sehr großem zeitlichen Abstand. Während des Dreißigjährigen Krieges wurde die Wallensteinsche Belagerung durch die Allerheiligenflut (bei mangelhaftem Deichschutz) aufgehoben. Der Generalissimus Herzog Albrecht von Wallenstein (Waldstein) hatte keinerlei Möglichkeiten, die Nachschubzufuhr der Stadt von der Elbe her zu unterbinden und musste sich vor dem steigenden Flutwasser auf die Geest zurückziehen. – Die zweite Belagerung, bei der es in dieser Vortragsreihe gehen soll, konnte die Festung dank britischer Kriegsschiffe ganz einschließen, dauerte bis zur Kapitulation nur vierzehn Tage und ließ die Stadtbevölkerung die Schrecken einer heftigen Beschießung spüren. Darüber wird an anderer Stelle berichtet. Die ex post angestellte Überlegung, ob ein so hoher Aufwand, wie ihn Bau und Unterhaltung einer großen Festungsanlage über fast 200 Jahre erforderte, sich militärisch oder gar volkswirtschaftlich lohnte, hat gleichwohl Berechtigung, wenn wir aus der Geschichte lernen wollen.

Fazit

Glückstadt litt als Garnisonstadt nicht mehr als andere Städte mit gelegentlicher oder permanenter militärischer Besatzung. Das Verhältnis zwischen Militär- und Zivilpersonen hatte sich über 150 Jahre gut einspielen können. Die Glückstädter Wirtschaft profitierte von der Anwesenheit des Offizierskorps und hatte stets ein Reservoir an billigen Zusatzarbeitskräften. Die militärischen Erfordernisse schränkten zwar die bürgerliche Bewegungsfreiheit bisweilen ein, insbesondere durch den bürgerlichen Wachdienst, aber andererseits hatten zahlreiche ärmere Bürgerfamilien die Chance, durch Einquartierungsgelder ihr Budget aufzubessern. Die Festungsanlagen schnürten die Stadt, die bis 1850 ohnehin nur geringes Wachstum verzeichnete, nicht übermäßig ein – die Bebauung der niedergelegten Wälle und des Areals vor der ehemaligen Befestigung setzte erst in der Kaiserzeit (ab 1871) ein.

1 F.C. Rode, Kriegsgeschichte der Festung Glückstadt und der Niederelbe, 2 Bände, Glückstadt-Hamburg 1940.

2 G. Köhn, Glückstadt als Garnisonsstadt und Festung, in: Glückstadt im Wandel der Zeiten, hrsg. v.d. Stadt Glückstadt, Band 2, Glückstadt 1966, S. 23–53; ders., Das Verhältnis von Bürgern und Soldaten in der Festung Glückstadt im 17. und 18. Jahrhundert, in: Festungsforschung 8 (1987), S. 111–141.

3 H.-R. Möller, In einer Balkenritze gefundene Glückstädter Wachrapporte aus dem Jahre 1788, in: Jb Steinburg 34 (1990), S. 271–287.

4 K.-J. Lorenzen-Schmidt, Die Bevölkerung der Festung Glückstadt am 13. Februar 1803, in: VDG 1 (1998), S. 5–50, 135–139. Die Volkszählungsliste ist ediert: H. Bogs, R. Gehrmann u. R. Möller, Einwohnerbuch der Stadt Glückstadt 1803, Kiel 1998.

5 Karsten Skjold Petersen, Husarer i Roskilde. En garnison og dens by 1778–1842, Roskilde 2003.

6 Vgl. K.-J. Lorenzen-Schmidt, Die Städte des Kreises Steinburg während der frühen Neuzeit im wirtschaftlichen und sozialen Vergleich, jn: ZSHG 123 (1997), S. 128–156, hier Tab. 7 (S. 148).

7 F. Hähnsen, Die Entwicklung des ländlichen Handwerks in Schleswig-Holstein, Leipzig 1923 (QuFGSH Band 9).

8 B. Walbom-Pramvig, Uniformer, faner og våben in den danske hær fra 1659 til 1980, Frederikssund 1988; Handbuch zur nordelbischen Militärgeschichte. Heere und Kriege in Schleswig, Holstein, Lauenburg, Eutin und Lübeck 1623–1863/67, hrsg. V. E.S. Fiebig und J. Schlürmann, Husum 2010.

9 K.-E. Schultze, Militärpersonen in der reformierten Gemeinde zu Glückstadt (Elbe) 1641–1667, in: Genealogie 1 (1952), S. 51–55.

10 F. Treichel, Der Capitain (Hauptmann) wurde erschossen … und andere Hinrichtungen beim Militär in Glückstadt, in: Jb Steinburg 38 (1994), S. 265–275.

11 Ebda., S. 265 f.

12 München 1990, S. 25-27, S. 335–338.

13 Itzehoe das hohe Fest, Krempe das Rattennest, Wilster das Wasserloch, Glückstadt die Hurenschule. Vgl. K.-J. Lorenzen-Schmidt, Städte (wie Anm. 6), S. 128.

14 Diese Relation ist garnisonsbedingt. Denn in anderen Orten Holsteins gab es leichte Frauenüberschüsse.

15 H.-R. Möller, Die Bürgerbewaffnung in Glückstadt, in: Jb Steinburg 38 (1994), S. 176–207.

16 Vgl. Jörn Meiners, Claus Hinrich Christensen (1768–1841). Festungen, Deiche, Schleusen in Schleswig-Holstein und Dänemark, Heide 1995.

Die Festung Glückstadt als wichtige dänische Landesfestung von ihrer Gründung bis in das Jahr 1813 und ihre Rolle in den militärischen Konflikten des dänischen Königshauses

Christian Boldt

Im Jahr 1544 hatte König Christian III. die Herzogtümer unter sich und seinen beiden Brüdern aufgeteilt. Nach dem Tod Herzogs Johann des Älteren von Hadersleben 1580, teilten König Friedrich II. und Herzog Adolf von Gottorf dessen Anteil unter sich auf. Der Konflikt zwischen König und Gottorfer Herzog um die Frage der Souveränität des Herzogtums Schleswig-Holstein-Gottorf dominierte gleichsam als politisches Leitmotiv das gesamte 17. Jahrhundert.

Die Gründung Glückstadts

„Glückstadt / ist von der Königl. Mayest. zu Dennemarck / Norwegen / etc. König Christian IV. höchstseligen Andenckens / umb das Jahr 1620. erst erbawet. Ja die gantze Gegend daherumb / war nichts anders als eine Wüsteney oder Wildnuß / wie sie auch den Namen Wildnuß führete / welchen Ort höchsterwehnete Ihre Königl. Mayest. mit einem Teiche umbfangen / und die Stadt / weil der Ort einen zimblichen Hafen hatte / daselbst anlegen / und boni ominis ergo, Glückstadt nennen lassen. Sie lieget sonsten an einem tieften kotigen Orte / worzu man über einen langen Steindamm / der wol drey vierteihl Meilen weges lang / von der Krempe außreisen muß / ihr lat. ist 53. gr. 52. min. long. aber 42. gr. 45. min. ist entlegen von der Krempe eine kleine Meile weges / von Itzeho so wol als der Wüster 2. Meil weges / von Hamburg 7. Meilen / von Rendesburg 8. Meilen / von Gottorff ellff Meilen / von Kiel 10. Meil / von Lübeck 12. Meil weges.“17

Die unbebauten Wildnisse. Karte von Bartholomäus Schröder 1601, Bückeburg, Niedersächsisches Staatsarchiv.

Diese wenig schmeichelhafte Beschreibung der Lage der neuen Stadt von Caspar Danckwerth lässt einen an der Urteilskraft des dänischen Königs zweifeln. Auch der Plan von der Wildnis vor der Eindeichung von 1601, lässt Zweifel aufkommen. Der Plan vom 24. September 1601 von Bartholomäus Schröder zeigt die südliche Grenze des königlichen Anteils zu den schauenburgischen Besitzungen in Holstein sowie den Verlauf des Elbdeiches um die Wildnis und das eingedeichte Herrenfeld. Dieses Wildnis genannte Außendeichsland war fortwährend den Sturmfluten ausgesetzt und im Laufe der Jahre durch Anschwemmungen höher als die umliegenden bedeichten Ländereien. Die Trockenlegung der ca. 7 km langen und 4,5 km tiefen Fläche war Voraussetzung für eine Stadtgründung an dieser Stelle. Schon Christians Vater, Friedrich II. von Dänemark, hatte 1575 die Eindeichung erwogen, jedoch nicht ausgeführt. Es stellt sich unweigerlich die Frage, warum Christian IV. nun 40 Jahre später eine Stadt in den sumpfigen, mückenverseuchten und von Sturmfluten geplagten Elbmarschen baute.

Ausgangspunkt für die Gründung Glückstadts war das Bestreben Christian IV., einen Stützpunkt in der Nähe Hamburgs zu erhalten. Zwar war er als Herzog von Holstein nominell auch Landesherr über Hamburg, doch die reiche Handelsstadt hatte sich schon unter seinen Vorgängern weitgehend verselbstständigt. Sie strebte danach, sich ganz vom Landesherren zu lösen und eine Reichsstadt zu werden. Das wollte der reiche und unternehmende Renaissancefürst Christian IV. nicht zulassen. Deshalb versuchte er noch vor Beginn des eigentlichen Kräftemessens mit Hamburg die bereits von seinem Großvater ausgebaute Festung Krempe so nach vorne zu bringen, dass sie ihm als Stützpunkt dienen konnte (1598–1605).18 Er musste dann jedoch erkennen, dass die verkehrsferne Lage Krempes eine großzügige Lösung – vor allem einen Zugang zum Meer – nicht bieten konnte.19 So beschloss der König, in den Marschen an der Mündung des Rhins in die Elbe einen modernen Nordseehafen zu bauen. Der königliche Anteil der Herzogtümer Schleswig und Holstein besaß keinen für Seeschiffe geeigneten Nordseehafen, denn Husum und Tönning gehörten zum Anteil der Gottorfer Herzöge.20

Die Politische Einteilung Schleswig-Holsteins im Jahr 1622. Kopie der Karte im Stadtarchiv Glückstadt, Kleine Schriften II.

Wie auf der Karte zu ersehen, stellten die Herzogtümer Schleswig und Holstein kein einheitliches Territorium dar, weil nach den Landesteilungen von 1544 und 1580 das Land in zwei Herrschaftsbereiche, den königlichen und den gottorfischen Anteil, zerfiel. Die Gottorfer, wiewohl aus königlich-dänischem (also: oldenburgischem) Hause hervorgegangen, näherten sich im 17. Jahrhundert mehr und mehr dem Königreich Schweden an – in erster Linie, um ein Gegengewicht zu der erdrückenden könig-herzoglichen Macht des dänischen Königs zu gewinnen, denn diese bedrohte den Bestand des kleinen Fürstentums mit Reunions-(Wiedervereinigungs-)gelüsten. Als weitere Territorien bestanden in Holstein noch das Bistum Lübeck (mit Schwerpunkt in Eutin), die Grafschaft Holstein-Pinneberg (im Wesentlichen das Gebiet des heutigen Kreises Pinneberg), das Herzogtum Sachsen-Lauenburg und schließlich das Gebiet der Freien Reichsstadt Lübeck. Hamburg konnte erst 1618 einen ersten staatsrechtlichen Erfolg auf dem Weg zur Reichsfreiheit erlangen, als das Reichskammergericht als höchstes Gericht des Reiches seine Reichsunmittelbarkeit anerkannte.21

So kam es von 1615 bis 1628 zur Gründung und zum Ausbau Glückstadts. 1616, nachdem die „Wildnisse“ beiderseits der Rhinmündung, zusammen mit den Schauenburgern22, eingedeicht waren, soll Christian selber den Grundriss für Stadt und Festung abgesteckt haben. Als offizielles Gründungsdatum der planvoll nach Art der Renaissance mit zwölf radial vom Marktplatz ausgehenden Straßen angelegten Stadt gilt der 22. März 1617, als Glückstadt das Stadtrecht verliehen bekam.

Die Originalurkunde, die ca. 38 x 50 cm groß ist, wird im Landesarchiv Schleswig-Holstein in Schleswig unter der Signatur „Urkundenabteilung B Holstein Nr. 286“ aufbewahrt.23

Gründungsurkunde Glückstadts. Die Originalurkunde (38 x 50cm) wird im Landesarchiv Schleswig-Holstein in Schleswig aufbewahrt. Foto: Stadtarchiv Glückstadt, Köhn-Sammlung.

Die neue Stadt im Herrschaftsbereich des Herzogs sollte nicht nur im Handel Hamburg Konkurrenz machen. Sie hatte eine wichtige strategische Funktion. Zeug-, Proviant und Gießhäuser wurden für die Garnison und den Flottenstützpunkt gebaut. Glückstadt sollte nicht nur helfen, die Interessen gegen Hamburg zu wahren, es war gleichzeitig als gesicherter Elbübergang für die Ambitionen Christians im Niedersächsischen Kreis wie auch als Rückzugspunkt im Falle militärischer Rückschläge gedacht.24

Restaurierte Sektion am Selymbria Tor. Im Vordergrund die Vormauer und die Brustwehr über dem ehemaligen Wassergraben, links im Hintergrund ein Turm der Hauptmauer, Istanbul 2006. Foto: Wikipedia, CC BY-SA 3.0.

Das Aufkommen der Feuerwaffen