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Feuer E-Book

Karen Rose

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Beschreibung

Aus Leichtsinn verursachen vier College-Studenten einen Großbrand in einem Apartmentkomplex, bei dem ein junges Mädchen qualvoll verbrennt. Was sie nicht wissen: Sie werden beobachtet. Wenig später erhalten sie ein Video und die unmissverständliche Anweisung, ein Warenhaus in Brand zu stecken. Sie haben keine Wahl und setzen ein Flammeninferno in Gang, das Feuerwehrmann Hunter und seine smarte Kollegin, Detective Olivia Sutherland, tagelang in Atem hält. Dann stirbt der erste der Freunde – bei einem Autounfall, angeblich. Als wenig später der nächste ums Leben kommt, entsteht Panik. Was für ein grausames Spiel spielt dieser Erpresser? Er muss zum Schweigen gebracht werden – für immer…

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Karen Rose

Feuer

Thriller

Aus dem Amerikanischen von Kerstin Winter

Knaur e-books

Über dieses Buch

»Brandheiß-brandneu Exklusiv im Taschenbuch – von der Spiegel-Bestsellerautorin!«

Inhaltsübersicht

Für Martin, mein Herz. [...]Prolog1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. KapitelDank an
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Für Martin, mein Herz.

Für Lt. Kate Czaja und alle Feuerwehrleute auf der Welt. Danke für euren Mut und Einsatz.

 

Für Karen Kosztolnyik. Danke.

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Prolog

Minneapolis, Minnesota Montag, 20. September, 0.00 Uhr

Sie waren tatsächlich gekommen. Er musste zugeben, dass es ihn überraschte. So viel Mumm hätte er ihnen gar nicht zugetraut, am wenigsten dem Mädchen. Dass ausgerechnet sie die Sache bis zum Ende durchzog, hätte er nicht gedacht.

Vier Kids vom College, alle in Schwarz gekleidet. Vier Kids vom College, die zu viel Zeit hatten. Zwei mit viel zu reichen Vätern. Wenn alles nach Plan lief, würde ein großer Teil von Daddys Geld bald ihm gehören.

Regel Nummer eins in seinem Universum: Wer nicht erpresst werden wollte, durfte keinen Blödsinn machen. Regel Nummer zwei: Wer Blödsinn machte, musste wenigstens schlau genug sein, sich nicht erwischen zu lassen. Die vier vom College waren nicht besonders schlau.

Aus dem Schutz der Bäume, die mit großem Aufwand seitens der Baufirma erhalten geblieben waren, filmte er, wie die vier näher kamen. Ihre Gesichter waren im Mondlicht kaum zu erkennen, und obwohl er das Geld ihrer reichen Daddys darauf verwettet hätte, dass sie glaubten, sich lautlos zu bewegen, hätten sie mit ihrem Lärm Tote wecken können.

»Wartet.« Einer der vier blieb stehen. Er hieß Joel und war derjenige von den vieren, der den Plan am eifrigsten vorangetrieben hatte. »Lasst uns die Sache noch einmal genau durchdenken.«

Interessant. Konflikte machten das Ganze immer ein wenig spannender. Unbemerkt filmte er weiter.

»Keine Verzögerung«, sagte das Mädchen. Sie hieß Mary und war ein Miststück. »Wir waren uns einig, Joel. Diese Wohnanlage muss weg. Wir müssen ein Zeichen setzen.«

»Sie hat recht.« Das kam von Eric, dem sogenannten Kopf der Truppe. Von wegen. »Das ist unsere Chance, unseren Teil zur Rettung dieses Feuchtbiotops beizutragen. Tun wir nichts, wird bald das ganze Seeufer mit solchen Wohnhäusern bebaut sein.« Er wandte sich zu dem Grobian hinter ihm um. »Der Wachmann macht in zwei Minuten seine Runde. Und er wird dort aus der Hintertür kommen. Ihr wisst, was ihr zu tun habt. Kommt, Leute. Legen wir los.«

Der grobschlächtige Riese hieß Albert, das »t« wurde nicht mitgesprochen. Er war Frankokanadier und über ein Hockey-Stipendium am College aufgenommen worden. Rechtsaußen. Höllisch guter Checker. Nun setzte sich Albert gehorsam in Bewegung und verschwand um die Hausecke. Seine Recherchen hatten Alberts Jugendstrafregister ans Tageslicht gebracht. Bestimmt wusste der Bursche genau, was zu tun war.

Gleich würde die Show beginnen. Schnell. Er nahm seine zweite Kamera aus dem Rucksack, drückte die Teleskopbeine des Stativs in den weichen Boden und richtete das Objektiv aus. Gerade rechtzeitig, bevor Mary, Eric und Joel das Gebäude auf der Ostseite durch die Tür zum Treppenschacht betraten.

Die Tür wurde mit einem dicken Stein offen gehalten. Vermutlich hatte sich ein Bauarbeiter Zeit und Mühe sparen wollen. Das beste Sicherheitssystem der Welt taugte nichts, wenn man unachtsame Bauarbeiter hatte. Die vier vom College hatten offenbar ihre Hausaufgaben gemacht und wussten genau, welche Tür offen war. Chapeau!

Er ließ die Kamera auf dem Stativ laufen, machte sich auf denselben Weg wie Albert kurz zuvor und kam just in dem Augenblick an, als der Wachmann pünktlich ins Freie trat. Fünf Sekunden später lag er bewusstlos auf dem Boden, und ein zufriedener Albert schob den kleinen Schlagknüppel zurück in seine Tasche.

Alles war auf Film gebannt. Alberts Familie war bettelarm, daher gab es im Moment von der Seite kein Geld zu holen, aber die Chancen, dass Albert einmal ein Sportprofi-Gehalt mit vielen Nullen bezog, standen gut. Ich kann warten. Erics und Joels Daddys waren beide reich genug, um sein Konto zu füllen. Und was Marys Vater anging … Auf manchen Zahlungen musste kein Dollarzeichen stehen.

Manches musste persönlich getilgt werden.

Kaum war eine weitere Minute vergangen, als Mary auch schon aus dem Seiteneingang trat und auf Albert zukam. Gemeinsam blickten sie zu den Fenstern hinauf und warteten.

Er wartete aus sicherer Entfernung mit ihnen. Dann sah er die ersten dünnen Rauchschwaden aus den oberen Stockwerken kommen. Mary hieb mit der Faust in die Luft und flüsterte: »Ja!«

Wenige Minuten später hatte sich der Rauch verdichtet, doch die Seitentür war noch nicht wieder aufgegangen. Der Triumph in Marys Miene war der Sorge gewichen, als sie nun einen Schritt nach vorn machte, doch Alberts Pranke hielt sie zurück.

»Sie sind da noch drin«, sagte sie und riss sich los. »Lass mich.«

Albert schüttelte den Kopf. »Gib ihnen noch eine Minute.«

Endlich flog die Tür auf, und Eric und Joel stolperten keuchend heraus. Mary und Albert hasteten ihnen entgegen und zogen sie von dem Neubau fort.

»Du verdammter Vollidiot«, fauchte Eric, nach Atem ringend. »Deinetwegen wären wir fast draufgegangen!«

Joel sank auf die Knie. Er hustete und schnappte krampfartig nach Luft, dann blickte er mit Entsetzen auf. »Aber sie wird sterben.«

Mary und Albert sahen einander schockiert an. »Wer wird sterben?«, fragte Albert.

Joel kam wieder auf die Füße. »Ein Mädchen. Sie ist da drin gefangen. Wir müssen sie rausholen.« Er machte einen Satz auf das Gebäude zu. »Verdammt«, schrie er, als Eric und Albert ihn zurückhielten. »Lasst mich los!«

Mary umfasste Joels Gesicht. »Da ist jemand drin?« Sie warf Eric panisch einen Seitenblick zu. »Ihr habt gesagt, dass niemand da drin sein würde. Dass es ganz sicher sei.«

»Es darf auch niemand da drin sein«, presste Eric durch zusammengebissene Zähne hervor. »Joel hat gar nichts gesehen. Lasst uns abhauen, bevor jemand den Rauch bemerkt und die Feuerwehr ruft.«

»Sie ist da drin«, wiederholte Joel. Seine Stimme klang nun hysterisch. »Ich hab sie gesehen. Schaut doch!«

Sie sahen hinauf, er folgte der Blickrichtung durch das Objektiv, und als die vier entsetzt aufkeuchten, sah er sie ebenfalls. Das Mädchen schlug mit den Fäusten gegen das Panoramafenster, das sich nicht öffnen ließ. Sie war jung, noch ein Teenie, und ihr Mund war zu einem Schrei aufgerissen, den niemand hören konnte. Noch während sie hinsahen, schien die Kraft des Mädchens zu erlahmen, und sie presste das Gesicht gegen die Scheibe. Dann glitten ihre Handflächen mit einem Mal an der Scheibe nach unten und außer Sicht.

Joel versuchte ein letztes Mal, sich loszureißen. »Sie wird da oben sterben. Ist euch das etwa egal? Es sollte niemand verletzt werden. Lasst mich los. Ich muss sie da rausholen!«

Mary packte ihn am Haar. »Hör auf! Wenn du da reingehst, seid ihr beide tot.«

Joel hatte zu schluchzen begonnen. »Dann ruf die 911. Bitte! Verdammt, tu es!«

»Hör mir zu.« Marys Stimme klang eindringlich und leise. »Wenn wir die Feuerwehr rufen, gehen wir alle ins Gefängnis. Gefängnis, Joel. Das kommt nicht in Frage. Also hör jetzt auf.«

Aber Joel wollte nicht hören. Er wehrte sich, trat nach den anderen und versuchte verzweifelt, sich zu befreien. Hinter ihm nickte Eric mit grimmiger Miene Albert zu. Albert zog den Knüppel aus der Tasche, und kurz darauf sackte Joel in sich zusammen. Genau wie der Wachmann zuvor.

»Verschwinden wir«, sagte Eric gepresst. Er und Albert hievten Joel hoch und trugen ihn durch die Bäume zu ihrem Wagen, den sie dort geparkt hatten.

Mary sah noch einmal hinauf zu dem Fenster, an dem niemand mehr zu sehen war. »Mist«, zischte sie, dann lief sie los, überholte die Jungen und zerrte den Maschendrahtzaun auseinander, in den sie ein Loch geschnitten hatten. »Schnell. Schiebt ihn durch.«

Na, so was. Er senkte die Kamera und sah den Rücklichtern des Autos hinterher. Das war weit aufregender gewesen, als er gedacht hatte. Einfache Brandstiftung hätte ihm auf Jahre hinaus viel Erpresserspaß beschert. Aber ein Mord übertraf Brandstiftung und so gut wie alles andere auch. Er hatte einige Klienten, die dem zustimmen würden.

Rasch packte er die erste Kamera und das Stativ ein. Rauch stieg auf, und er hörte das Bersten der ersten Scheiben. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Feuerwehr eintraf. Aber dann bin ich schon weg. Er schulterte seinen Rucksack und war schon im Begriff, um das Gebäude herum zum See zu laufen, wo er sein Boot am Steg befestigt hatte.

»Sie da! Anhalten!« Die Stimme war dünn und kraftlos, aber er hörte sie. Er wirbelte herum und fand sich dem Wachmann gegenüber, der benommen auf ihn zuwankte. Blut sickerte aus einer Wunde an seinem Schädel. Albert hatte offenbar nicht fest genug zugeschlagen. Der Mann hielt ein Funkgerät in der einen, eine Pistole in der anderen Hand. »Stehen bleiben, oder ich schieße. Ich tu’s wirklich.«

Heute nicht mehr, Opa. Gelassen zog er seine eigene Waffe und feuerte. Ungläubig öffnete der Wachmann den Mund. Dann sank er auf die Knie und brach zum zweiten Mal an diesem Abend zusammen.

»Du wärst besser liegen geblieben«, murmelte er. Er lief zu seinem Boot und warf den Rucksack hinein. Der Motor erwachte schnurrend zum Leben. Er streifte die Skimaske ab. Falls ihn jemand nun sah, könnte er behaupten, er habe den Rauch gesehen und angelegt, um zu helfen. Aber niemand sah ihn. Nie sah ihn jemand.

Wodurch es viel leichter war, ihren Geheimnissen zu lauschen. Er tätschelte den Rucksack mit den Kameras darin. Wodurch es noch viel leichter war, ihr Geld zu kassieren. Ich liebe meinen Job.

 

Oh, mein Gott. Oh, mein Gott. Austin Dent spähte an dem Stamm des Baums vorbei, hinter dem er sich verborgen hatte, und presste die Hände auf den Mund. Der Wachmann war tot. Der andere Mann hatte ihn erschossen. Tot!

Und man wird glauben, dass ich es war. Ich muss abhauen. Er wich ein paar Schritte zurück und blickte erneut zu dem brennenden Gebäude hinauf.

Tracey. Sie war hinter ihm gewesen, als er aus dem Haus gerannt war. Doch draußen war sie plötzlich nicht mehr da gewesen. Als er zurückkehren wollte, hatte er nur noch Rauch gesehen. Ein angstvolles Schluchzen stieg in seiner Kehle auf. Tracey.

In der Ferne blitzten Lichter auf. Da kamen sie schon. Die Polizei war unterwegs. Die verhaften mich. Sperren mich wieder ein. Nein. Nicht wieder. Das ertrage ich nicht noch einmal. Er taumelte zurück, wirbelte herum und begann zu rennen.

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1. Kapitel

Minneapolis, Minnesota Montag, 20. September, 0.40 Uhr

Höher, Zell!«, rief David Hunter ins Funkgerät. Seine Stimme klang gedämpft durch die Atemmaske. Er stellte sich gegen den Wind, der den beißenden Qualm in den Nachthimmel blies. Der Korb, in dem er stand, befand sich auf Höhe der dritten Etage. Ein Gurt sicherte ihn, dennoch spannte er instinktiv die Beine an.

»Rauf geht’s.« Jeff Zoellner, sein Partner, betätigte den Korb vom Fuß der Leiter aus.

David richtete den Winkel der Düse aus, die am Korb installiert war, während er langsam aufwärtfuhr, so dass sie auf die Flammen zielte, die bereits die unteren zwei Etagen vernichtet hatten, bevor sie eingetroffen waren. Keiner von ihnen war hineingegangen – zu gefährlich. Sie konnten nur versuchen, das Feuer einzudämmen, bevor es auf die Bäume übersprang.

Das hier hätte ein fünf Stockwerke hohes Gebäude mit Luxusapartments werden sollen. Zum Glück ist es noch nicht fertig. In wenigen Wochen hätten sich viele Menschen darin aufgehalten. Und jetzt vielleicht einer. Der Wachmann wurde vermisst. Falls er in einem der unteren Stockwerke gewesen war, konnte er nicht mehr am Leben sein. Falls er nach oben gelaufen war, bestand vielleicht noch eine Chance, ihn zu retten.

Brandstiftung. David presste die Kiefer zusammen, während der Korb langsam weiter in die Höhe stieg. Damit kannte er sich aus, es hatte ihn einmal sogar persönlich betroffen. Der Wind drehte wieder, und er fuhr instinktiv zurück, als ihm die Flammen entgegenschlugen. Für einen Sekundenbruchteil verlor er das Gleichgewicht. Konzentriere dich, Junge. Bring dich nicht in Gefahr.

»David?« Jeffs Stimme klang eindringlich. »Alles okay bei dir?«

»Ja.« Wieder stieg die Plattform mit dem Korb ein Stück in die Höhe, so dass er in eines der Panoramafenster blicken konnte. Alle Wohnungen hier oben waren mit diesen Fenstern ausgestattet. Er sah keine Flammen, aber Rauch quoll aus den kleineren Fenstern, die bereits geborsten waren.

Die Panoramafenster waren ausnahmslos intakt. Sie bestanden aus Sicherheitsglas und konnten nicht platzen. Außerdem ließen sie sich nicht öffnen. Sie waren für eine schöne Aussicht gedacht, nicht als Fluchtweg.

Und dann sah er es. Sein Herzschlag beschleunigte sich.

»Stopp!« Er beugte sich über den Rand des Korbs, so dass er näher ans Fenster gelangte. Das konnte doch nicht wahr sein. Eigentlich darf niemand da drin sein. Und doch war es so.

»Was ist los?« Der Korb ruckte, als Jeff auf die Bremse trat.

Handabdrücke. Die schwachen Umrisse kleiner Hände, die im Licht seines Scheinwerfers irgendwie … leuchteten. Aber wieso? »Handabdrücke.« Und Spuren von Fingern, die an der Scheibe herabgeglitten waren, als jemand verzweifelt nach einem Fluchtweg gesucht hatte. »Da ist jemand drin! Wir müssen ihn rausholen!«

»Hunter?« Captain Tyson Caseys Stimme durchschnitt das statische Rauschen. »Können Sie jemanden erkennen?«

Mit den Hebeln und Knöpfen, die im Korb angebracht waren, fuhr David näher heran, bis die Plattform gegen die Wand stieß. Angestrengt blickte er durch den Qualm, und ihm wurde bange ums Herz. »Ich sehe Arme.« Dünne, nackte Arme, ein schmaler Rücken. Langes, blondes Haar. Jedenfalls nicht der vermisste Wachmann, der Mitte fünfzig war. »Eine Frau. Scheint bewusstlos zu sein. Das Fenster ist schlagfest.«

»Bleiben Sie, wo Sie sind«, sagte Casey. »Sheridan, drehen Sie die Düse ab. Zell kommt mit der Säge hoch.«

David spürte, wie der Druck im Schlauch nachließ, als am Boden der Hahn zugedreht wurde. Er blickte hinab und sah, wie Jeff mit geübten Bewegungen die Leiter hinaufkletterte. Beeil dich, hätte er ihm am liebsten zugerufen, aber er wusste sehr gut, dass Jeff es richtig machte, indem er kein Risiko einging. Einen Moment lang überlegte er, mit seiner Axt das Fenster einzuschlagen, aber er wusste, dass die Säge die Arbeit schneller und effektiver erledigen würde, also sparte er sich die Energie. Wieder sah er durch das Fenster zu der Frau. Sie hatte sich nicht geregt.

Wahrscheinlich war sie tot. Bitte nicht. Er spähte durch die Scheibe. War noch jemand da drin? Hatte sie vielleicht das Feuer gelegt?

Jeff stieg in den Korb, die Motorsäge in der Hand. David deutete auf den entferntesten Winkel des Fensters, so weit wie möglich weg von dem Opfer und den Handabdrücken. Gleichzeitig bemühte er sich, das Bild der verängstigten Frau zu verdrängen, die panisch zu entkommen versuchte. Ja, es war möglich, dass sie diesen Brand gelegt hatte. Er musste die Abdrücke für die polizeilichen Ermittlungen erhalten.

Sein Sauerstoffvorrat war fast zu Ende, also wechselte er den Behälter aus, während Jeff die Säge durch das fast undurchdringliche Glas zwang, bis ein Loch entstanden war, durch das David einsteigen konnte.

Jeff packte ihn an der Schulter. »Vielleicht ist sie daran schuld«, rief er. »Pass auf dich auf.«

»Klar«, rief er zurück. Er stieg durch das Loch und hielt sich so dicht wie möglich an der Wand, denn es bestand die Gefahr, dass der Boden unter ihm nachgab. Langsam ging er in die Hocke und sah sich um.

Aber es war sonst niemand zu sehen. Los, raus hier. Hol sie und nichts wie weg. Sie war leicht, ihr Gewicht kaum spürbar, als er sie sich auf die Schulter hievte. Am Fenster übergab er sie an Jeff, stieg dann wieder ins Freie und funkte Gabe Sheridan an, damit er sie herunterfuhr.

Langsam glitt die Plattform von dem Neubau und den Flammen zurück, die im zweiten Stock noch immer loderten. Der Rettungssanitäter wartete unten, um das Opfer in Empfang zu nehmen.

David streifte die Maske ab, sobald seine Füße den Boden berührten. Jeff tat es ihm nach. Einen Moment lang schloss David die Augen und genoss die Brise auf seinem Gesicht. Die eigentlich kühle Nachtluft war noch immer aufgeheizt, aber verglichen mit der Hitze unter der Maske kam sie ihm vor wie angenehm klimatisiert. Nun blickte Scotty Schooner, der Arzt, grimmig auf.

Und David wusste Bescheid. »Ist sie tot?«

Scotty nickte.

Er spürte Jeffs Hand auf der Schulter. »Tut mir leid, Kumpel.«

»Mir auch.« David fielen wieder die Handabdrücke ein. »Sieh dir mal ihre Hände an.«

Scotty kniete neben der Trage, und jetzt sah David, dass es sich bei der Toten um einen Teenager handelte. Das Mädchen trug eine abgewetzte Jeans und ein dünnes T-Shirt. So jung. Was für eine Verschwendung.

Scotty betrachtete stirnrunzelnd die Hände. »Sie hat eine Art Gel auf der Haut.«

Davids Captain und zwei Polizisten traten zu ihnen und beugten sich ebenfalls über das Mädchen.

»Was ist das für ein Zeug?«, fragte einer der Polizisten.

»Ich weiß es auch nicht, aber es reflektiert Licht. Ich habe ihre Handabdrücke auf der Fensterscheibe gesehen«, erklärte David. »Sie haben im Licht meiner Lampe geschimmert. Die Brandermittler werden bestimmt eine Probe davon haben wollen. Falls sie das Feuer gelegt hat, war ihr offenbar der Fluchtweg abgeschnitten worden. Sie war in Panik. Auf der Scheibe waren eine Menge faustgroßer Abdrücke zu sehen, als hätte sie dagegen gehämmert.«

»Und falls sie den Brand nicht gelegt hat, war es Mord«, sagte der andere Cop. »Ich rufe die Zentrale an.«

»Melden Sie einen Doppelmord«, erklang eine weibliche Stimme hinter ihnen. Carrie Jackson war zu ihnen getreten. Sie und ihr Zugteam hatten das Haus von der Westseite am See her gekühlt. »Der Wachmann. Ich wäre fast über ihn gestolpert, als ich die Schlauchleitung gelegt habe. Schusswunde in der Brust.«

Scotty stand auf. »Ich sehe ihn mir an.«

Carrie zuckte mit den Schultern. »Bitte. Aber er ist definitiv tot. Und zwar schon etwas länger.«

»Das glaube ich dir«, entgegnete Scotty. »Aber so sind die Regeln. Zeig mir, wo er liegt.« Gemeinsam gingen Carrie und Scotty um das Gebäude herum. Einer der Polizisten folgte ihnen.

Der andere richtete sich mit einem Seufzen auf. »Ich rufe die Mordkommission, die Spurensicherung und den Gerichtsmediziner. Sie werden Sie befragen wollen. Vor allem Sie, Hunter, da Sie das Mädchen rausgeholt haben.«

Mordkommission. David wurde die Kehle eng, als der Mann das Wort aussprach, und einen Augenblick lang drang ein anderer Gedanke an die Oberfläche seines Bewusstseins. Es gab eine Menge Ermittler in der Mordkommission. Es war unwahrscheinlich, dass sie kam. Und falls doch? Darüber mache ich mir Gedanken, wenn es so weit ist. Er räusperte sich und nickte. »Natürlich. Was immer erforderlich ist.«

»Sobald wir hier fertig sind«, warf Captain Casey ein. »Wir müssen die erste Etage unter Kontrolle bekommen. Hunter, Zell und Sie gehen wieder rein. Durchsuchen Sie die oberen Etagen. Sehen Sie nach, ob sich noch irgendwo jemand aufhält, der sich nicht dort aufhalten soll, und vergewissern Sie sich, dass wir keine Glutnester in den Wänden haben.«

»Machen wir«, sagte Jeff.

David verdrängte den Gedanken an gewisse Ermittlerinnen der Mordkommission und warf dem Mädchen auf der Trage einen letzten Blick zu. Was hatte sie bloß in dem Haus gemacht? Warum hat nur niemand auf dich aufgepasst? Aber er wusste nur allzu gut, dass das Leben nicht so einfach war. »Ich sehe mich noch einmal um, vielleicht finde ich ja einen Ausweis. Sie ist noch ein Kind. Jemand wird sich um sie sorgen.«

»Fassen Sie aber nichts an«, sagte der Polizist, woraufhin David am liebsten die Augen verdreht hätte. Manchmal taten die Cops, als wären sie Kleinkinder.

»Keine Angst. Hab’s schon kapiert.«

Montag, 20. September, 1.15 Uhr

Olivia Sutherland, Detective der Mordkommission, zeigte dem Uniformierten, der den Zugang zum Neubau bewachte, ihre Marke, fuhr durch das Tor und passierte die Übertragungswagen der Sender und die Kameraleute. Dass hinter ihr Blitzlichter zuckten, war ihr nur allzu bewusst. Aus den Fragen, die die Presseleute ihr hinterherriefen, schloss sie, dass Brandstiftung als Tatsache bereits feststand.

Das Brennen in ihren Eingeweiden verstärkte sich. Allein ihre Anwesenheit ließ eine Erinnerung, die ohnehin noch recht frisch war, im Gedächtnis der Öffentlichkeit wieder aufleben. Zwischen all den Fragen nach der Brandstiftung hörte sie auch Bemerkungen, die auf ihren letzten Fall abzielten. Dass es unvermeidlich war, wusste sie. Aber es musste ihr ja nicht gefallen.

»Wie geht’s Ihnen denn so, Detective?« Ein Reporter, den sie früher einmal ganz gut hatte leiden können, lief neben ihrem Auto her, bis ein Polizeibeamter ihn aufhielt. »Sind Sie schon über die Leichengrube hinweg?«, rief er ihr hinterher. »Oder müssen Sie noch immer zum Psychiater?«

Olivia presste die Zähne zusammen. Sie hatte nur an den drei Therapiesitzungen teilgenommen, die ihre Vorgesetzten ihr verordnet hatten, aber der Kerl tat so, als sei sie knapp einem Anstaltsaufenthalt entronnen.

Mit kaltem Blick betätigte Olivia den elektrischen Fensterheber. Sie drosselte erst das Tempo, als sie die Reihe der Dienstwagen erreichte und neben dem Ford ihres Partners parkte. In ihr kam etwas zur Ruhe. Kane war schon hier. Er weiß, was zu tun ist.

Der Gedanke erschreckte sie. »Und ich auch«, sagte sie mit fester Stimme. »Reiß dich zusammen.« Aber sie befürchtete, dass sie es nicht schaffte. Plötzlich fiel ihr das Atmen schwer, und ihr Puls begann zu jagen. Weil die drei ihr von oben verordneten Termine bei der Polizeipsychologin nicht geholfen hatten. Noch immer hatte sie nicht verarbeitet, was sie in der Leichengrube gesehen hatte – im Massengrab, das sie vor sieben Monaten im Keller eines Serienmörders entdeckt hatten.

In vier Jahren Mordkommission hatte sie schon viele Leichen gesehen, doch nichts ließ sich mit dem Fall vom vergangenen Februar vergleichen. Der Mörder hatte ungehindert dreißig Jahre lang getötet und die Leichen in einer Kalkgrube in seinem Keller begraben. Hätte er nicht sein Tempo erhöht und dadurch Fehler gemacht, hätten sie ihn und sein scheußliches Geheimnis vielleicht niemals entdeckt.

Die Aufgabe, sich um die Toten zu kümmern, war Kane und ihr zugefallen. Tagelang hatte sie nicht geschlafen, nicht gegessen, nichts anderes getan, als Tote zu identifizieren, die Angehörigen zu informieren und wieder zur Grube zurückzukehren, um sich die nächsten vorzunehmen. Seitdem beherrschte die Grube ihre Träume: Finster, schier bodenlos und voller Leichen. Ungelöschter Kalk war nicht gut zu Menschenfleisch.

Ihre Finger krampften um das Lenkrad, während sie versuchte, sich zu beruhigen und die Panik niederzukämpfen. Denn sieben Monate und Dutzende von Leichen später gefror sie noch immer innerlich zu Eis, wenn sie wusste, dass ein neues Opfer auf sie wartete. Ein winziges Problem für eine Mordermittlerin, dachte sie verbittert.

»Jetzt steig schon aus«, murmelte sie, »und mach deinen Job.« Sie biss die Zähne zusammen, holte tief Luft und zwang ihre Füße, sich zu bewegen. Dann setzte sie eine konzentrierte Miene auf, als gäbe es keinen Gedanken in ihrem Kopf, der nichts mit diesem Tatort zu tun hatte. Mit dieser Nacht. Diesen zwei Opfern. Ein Wachmann mittleren Alters und ein junges Mädchen, noch nicht erwachsen.

Denk an diese zwei. Denk daran, dass du ihnen Aufklärung schuldig bist. Mach deinen verdammten Job!

Noch einmal holte sie tief Atem und verzog das Gesicht, als ihr beißender Qualm in die Lungen drang. Das Feuer hatte stark gewütet. Gleich zwei Löschzüge hatten auf den Notruf reagiert: zwei Tanklöschfahrzeuge, eine Drehleiter und zwei Rettungseinheiten, die nun doch nicht gebraucht worden waren.

In dieser Nacht gab es nur noch eine Fahrt zum Leichenschauhaus.

Während sie auf das Gebäude zuging, ertappte sie sich dabei, wie sie die Feuerwehrfahrzeuge nach der Nummer der jeweiligen Wache absuchte, auch etwas, was sie sich in den vergangenen sieben Monaten angewöhnt hatte und was sie fast so verabscheuungswürdig fand wie ihre neue Angst vor Leichen. Dass sie überhaupt wusste, welche Kennnummer sein Fahrzeug hatte, war peinlich genug. Es sollte sie nicht kümmern, ob er hier war oder nicht. Aber natürlich war es ihr nicht egal. Wie jämmerlich benehme ich mich eigentlich? Herrgott, verdammt jämmerlich.

Sie zuckte zusammen, als sie »L21« auf dem Drehleiterwagen mit dem Korb las. Er war hier. Oder zumindest seine Wache. Lass ihn bitte heute Nacht keinen Dienst haben. Such Kane und mach deinen Job.

Kane war leicht in der Menge auszumachen. Ihr Partner war ein hochgewachsener Mann, sogar verglichen mit den Polizisten und Feuerwehrleuten, die er meist um mindestens einen Kopf überragte. Er war außerdem der Einzige hier, der einen schwarzen Fedora trug. Sie wusste, dass er den Hut nur dann trug, wenn es um Brandstiftung ging. Er roch nach kaltem Rauch, und seine Frau Jennie verlangte, dass er ihn in der Garage aufbewahrte.

Alle anderen Filzhüte wurden mit größter Sorgfalt auf Styroporköpfen im Gästezimmer aufbewahrt. Alle in der Abteilung Gewaltverbrechen trugen Filzhüte bei der Arbeit, und diese hübsche Tradition war schon lange vor Olivias Zeit ins Leben gerufen worden. Sie war als Symbol gedacht, als eine Art Verbindungsglied zu früheren Ermittlern, und inzwischen war sie außerdem zu einer Legende dieser Stadt geworden: Die Mordkommission war im Allgemeinen als »Hat Squad« – das Hutkommando – bekannt.

Wenn neue Ermittler ihren ersten Mordfall aufklärten, bekamen sie von ihren Kollegen, der Squad, ihren ersten Fedora geschenkt. Kane hatte Olivia den ihren geschenkt, aber sie kam sich ein wenig albern damit vor. Nun schmückte er auf ihrem Schreibtisch im Büro die Büste einer griechischen Göttin, die sie auf einem Flohmarkt gefunden hatte.

Kane hingegen mochte seine Hüte. Er besaß mindestens ein Dutzend. Kane sah gern gut aus.

Im Augenblick sah Kane aber vor allem perplex aus. Olivia ging den Hang hinauf auf ihn zu. Er stand mit einem uniformierten Beamten über eine Bahre gebeugt. Der Gerichtsmediziner hockte neben der Leiche und verpackte die Hände in Plastiktüten, und Olivias Magen hob sich. Nicht schon wieder.

Sieh sie an, befahl sie sich barsch. Sie ist bestimmt … intakt. Olivia sog den Atem ein, zwang ihren Blick hinab und stieß die Luft aus, als die Erleichterung sie überspülte. Das Opfer war tatsächlich unversehrt. Die Knochen waren von Haut und Gewebe bedeckt – alle Knochen.

Das Schlimmste war überstanden. Jetzt kann ich meinen Job tun. Das Mädchen sah aus wie sechzehn. Das wächserne Gesicht und das lange blonde Haar waren voller Schmutz und Ruß, ebenso das dünne, ausgeblichene T-Shirt. Die Jeans waren zerschlissen, jedoch nicht durch intensives Tragen, sondern künstlich auf alt getrimmt. Ihre Füße waren nackt, die Sohlen verbrannt, die Fußnägel leuchtend orangefarben lackiert.

Olivia unterdrückte das Zittern, das immer auf die Erleichterung folgte, und wartete, bis sie ihre Stimme wieder unter Kontrolle hatte. »Was wissen wir?«

»Weiblich, weiß«, erwiderte der Uniformierte. »Kein Ausweis. Wurde im dritten Stock gefunden. Sie war schon tot, als der Feuerwehrmann sie herausholte.«

»Ursache?«

Isaac Londo, Assistent der Gerichtsmedizin, blickte auf. »Wahrscheinlich Rauchvergiftung. Ich habe keine neueren Verletzungen entdeckt. Ältere allerdings.«

»Wo und was genau?«, fragte Kane.

»Sie scheint sich einen Finger gebrochen zu haben, und am rechten Unterarm habe ich eine Quetschung entdeckt.«

Olivia verengte die Augen. Die letzten Reste ihrer Panik ebbten rasch ab und wurden durch kalte Wut ersetzt. Ausreißerin, riet ihr Instinkt. Die Arbeit mit Ausreißerinnen war in den vergangenen Jahren zu ihrer persönlichen Mission geworden, nachdem sie ihre beiden Halbschwestern kennengelernt hatte. Mia war Polizistin mit Auszeichnungen, doch Kelsey war eine Straftäterin, deren kriminelle Karriere ebenfalls als Ausreißerin begonnen hatte. Die Anzeichen waren deutlich erkennbar. »Jemand hat sich an ihr vergriffen.«

»Vermute ich jedenfalls.« Londo hockte sich auf die Fersen. »Beim Wachmann ist der Fall allerdings klar. Jemand hat ihm einen stumpfen Gegenstand über den Schädel gezogen, und er hat eine Kugel in der Brust.«

»Wo ist er?«, wollte Olivia wissen.

»Auf der anderen Seite des Gebäudes, am Seeufer. Dale und Mick sind gerade dort.«

Dale war Londos Partner, Micki Ridgewell Leiterin der Spurensicherung. »Und er da?« Sie zeigte auf einen Mann um die vierzig in einem Jogginganzug, der hinter dem Absperrband unruhig auf und ab lief.

»Sammy Sothberg«, sagte der Polizist. »Er ist der Bauleiter. Von ihm wissen wir, dass der Wachmann Henry Weems hieß und siebenundfünfzig Jahre alt war. Er stammt hier aus dem Ort.«

»Hast du schon mit ihm gesprochen?«, fragte sie Kane.

»Ja«, antwortete er. »Kurz. Er ist ziemlich fertig. Hat ein Alibi, aber wir müssen es noch überprüfen. Er hat uns auch Weems’ Adresse gegeben, damit wir Mrs. Weems benachrichtigen können.«

Au fein. Darauf freuen wir uns immer. Olivia blickte die Fassade des Neubaus hinauf und sah ein großes Loch mit schartigen Rändern in einem der Panoramafenster. »Dort oben war sie?«

»Ja.« Die Antwort kam von Micah Barlow, dem Brandursachenermittler, der nun auf sie zutrat. Augenblicklich stellten sich Olivia die Stacheln auf.

»Oh, Mann«, murmelte Kane laut genug, dass Barlow es hören musste. »Nicht der.«

»Kane«, flüsterte Olivia vorwurfsvoll, und ihr Partner seufzte. Sie und Micah Barlow waren zusammen auf der Akademie gewesen. Und sie waren einmal miteinander befreundet gewesen. Jetzt allerdings nicht mehr, denn Barlow war ein intriganter und arroganter Mistkerl.

Barlow blickte zwischen Olivia und Kane hin und her und schüttelte mit aufgesetzter Milde den Kopf. »Bringen wir es einfach hinter uns, okay? Die Feuerwehrleute haben die Handabdrücke auf der Scheibe gesehen. Das Fenster ist schlagfest, daher mussten sie es aufschneiden. Der Mann, der das Mädchen herausgeholt hat, hat am Rand schneiden lassen, damit euch die Abdrücke erhalten bleiben.«

»Sehr vorausschauend gedacht«, sagte Olivia. »Wir möchten mit ihm reden.«

»Er ist noch drin. Ich bringe euch zu ihm, sobald er rauskommt.«

»Gut.« Olivia versuchte, die Gereiztheit abzuschütteln, die sie in seiner Gegenwart immer empfand. »Wie ist das Feuer gelegt worden?«

»Aus dem, was wir bisher gesehen haben, hat man mehrere Kanister Teppichkleber unten und im ersten Stock ausgekippt. Die Sprinkleranlage ist defekt. Jemand hat die Kette vom OS and Y durchtrennt und das Ventil zugedreht.«

»OS&Y« stand, wie Olivia wusste, für »outside stem and yoke valve«, das Absperrventil an der Leitung, durch die das Wasser der städtischen Versorgung in die Sprinklerrohre gelangte. »Fehlt im Werkzeugschuppen vielleicht ein Bolzenschneider?«

»Sieht nicht so aus. Wir bekommen noch eine Inventarliste, aber anscheinend haben der oder die Täter ihr eigenes Werkzeug mitgebracht.«

»Also kamen sie vorbereitet. Welcher Zündmechanismus?«

»Noch haben wir nichts gefunden, aber wir hatten bisher auch noch kaum Gelegenheit, uns umzusehen. Trotzdem glaube ich nicht, dass es sich um einfache Streichhölzer gehandelt hat. Wenn man einen ganzen Kanister Klebelösung im Raum verteilt, steigen Dämpfe auf. Wer da ein Streichholz fallen lässt, schafft es nicht bis zur Tür. Das Zeug ist extrem entzündlich.«

»Ist der Teppich schon verlegt worden?«, fragte Olivia.

»Nein. Der Bauleiter sagt, das hätte morgen geschehen sollen. Also heute. Teppich, Dämmung und Kleber waren bereits ins Erdgeschoss und in die ersten drei Etagen gebracht worden. In den Stockwerken vier und fünf liegt hauptsächlich Parkett, die Böden waren also schon fertig.«

»Also wusste jemand, dass das Material verfügbar war«, überlegte Kane. »Überwachungsvideos?«

Barlow runzelte die Stirn. »Die Kameras sind fünf Minuten vor Mitternacht ausgeschaltet worden. Der Wachmann wäre um fünf nach zwölf auf seine übliche Runde gegangen.«

»Also muss es jemand gewesen sein, der hier zu tun hat«, sagte Olivia. »Oder der Informationen aus erster Hand bekommt.«

Barlow nickte. »Wir haben schon eine Liste der Angestellten angefordert.«

»Wo ist der Kontrollraum?«, fragte Kane.

Barlow deutete auf einen von zwei Baucontainern. »Bis letzten Monat war ständig ein Mann im Wagen, der die Monitore überwacht hat. Aber wegen einer Budgetüberschreitung musste Personal eingespart werden. Jetzt gibt es nur noch eine Wache pro Schicht. Der Bauwagen ist normalerweise der erste Anlaufpunkt.«

»Schickst du die Kanister mit der Klebelösung ins Labor?«, wollte Olivia wissen.

»Hab sie der CSU schon mitgegeben«, antwortete Barlow. »Den Manager hat die Sache arg mitgenommen. Weems war sein Freund. Er hat uns gesagt, dass der Wachmann zwei Jobs hatte, um sein Kind aufs College schicken zu können.«

Olivia seufzte. »Wir müssen seine Finanzen ohnehin überprüfen. Irgendjemand wird von der Versicherung profitieren. Vielleicht sollte eigentlich niemand zu Schaden kommen.« Sie blickte auf die Bahre, auf der das Mädchen lag. »Irgendetwas ist wohl schiefgelaufen.«

»Schau dir mal ihre Hände an, Liv«, sagte Kane. »Eine Art Gel.«

Londo hielt die linke Hand des Opfers hoch, und Olivia sah die verschmierte Plastiktüte. »Ein Brandbeschleuniger?«, fragte sie.

»Nein«, sagte Barlow. »Wir haben sie mit einem Sniffer untersucht. Das Gel wurde nicht angezeigt. Und an ihrer Kleidung befindet sich auch nichts. Wenn sie also mitgeholfen hat, den Teppichkleber zu verteilen, dann war sie vorsichtig genug, nichts davon auf ihre Klamotten zu kleckern.«

Mit einem Sniffer konnte man Kohlenwasserstoffe in Brandbeschleunigern nachweisen, also hatte Barlow höchstwahrscheinlich recht. »Haben die Jungs von der Feuerwehr irgendetwas bei ihr gefunden?«

»Noch nicht. Aber sie haben das Feuer auch erst vor ungefähr einer halben Stunde unter Kontrolle gebracht. Im Augenblick suchen sie oben nach weiteren Opfern. Wir geben euch und der CSU Bescheid, sobald wir sicher sind, dass keine Gefahr mehr besteht.« Natürlich würde er das tun. Denn ob sie ihn nun ausstehen konnte oder nicht, er war ein Profi. Wie wir. Also mach deine Arbeit. Sieh sie dir an, Liv. Sieh sie dir genau an.

»Danke«, sagte sie an Barlow gewandt, dann ging sie neben der Bahre in die Hocke und betrachtete die Hand, die Londo in die Tüte gesteckt hatte. Der Nagellack hatte dieselbe Farbe wie der auf den Zehennägeln – Orange. »Bist du mit ihr fertig?«, fragte sie Londo, und als er nickte, zögerte sie nur einen kurzen Moment, bevor sie die Hand schließlich anhob und ins Licht hielt. »Schaut euch mal die Abziehbildchen auf den Nägeln an. Sie ist nicht von hier.«

»G-A-T-O-R«, las Kane, dann sah er sich die rechte Hand an. »S-R-U-L-E. Gators Rule. Sie war ein Fan der Gators.«

»Beim Spiel letzte Woche habe ich ganz schön viel Geld verloren«, murrte Londo.

»Die Florida Gators gehören zur dortigen Uni«, dachte Olivia laut nach. »Sie scheint mir aber nicht alt genug, um aufs College zu gehen. Vielleicht stammt sie ursprünglich aus Florida.«

»Oder sie war nur ein Fan«, gab Kane zu bedenken, und Olivia zuckte mit den Schultern.

»Irgendwo müssen wir ja anfangen. Wir müssen ihre Fingerabdrücke überprüfen. Wenn sie irgendwo eine Akte hat, dann ist die hoffentlich nicht versiegelt. Falls sie vermisst wird, hat vielleicht jemand eine Rundmeldung an die Medien herausgegeben oder sie beim Center for Missing and Exploited Children gemeldet.«

»Wenn sie von zu Hause weggelaufen ist, dann ist es eher wahrscheinlich, dass niemand sie vermisst gemeldet hat«, sagte Kane.

»Ich weiß. Aber die Jeans sind ziemlich neu und nicht gerade billig gewesen. Sie kann noch nicht lange allein unterwegs sein. Wir geben ihr Foto heraus, und vielleicht haben wir ja Glück.« Olivia legte die Hand des Mädchens behutsam an ihre Seite, richtete sich auf und betrachtete das Gesicht. Mitleid regte sich in ihr. Sie war so jung. »Wissen wir schon, was sie da oben gemacht hat?«

Barlow schüttelte den Kopf. »Bisher deutet nichts darauf hin, dass sie nicht allein gewesen ist. Ich schicke euch die Feuerwehrleute rüber, sobald sie wieder aus dem Gebäude kommen.«

»Und ich bringe sie ins Leichenschauhaus, wenn ihr sie nicht mehr hier braucht«, sagte Londo, und Kane nickte.

»Komm, Liv. Sehen wir uns den Wachmann an.« Er wartete, bis sie ein paar Schritte von den anderen entfernt waren, und murmelte dann: »Alles okay mit dir? Als du aus dem Auto gestiegen bist, warst du etwas grün um die Nase.«

Olivia spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. »Ja, klar, alles okay«, erwiderte sie barsch. Nicht einmal Kane hätte das sehen dürfen. »Bringen wir das hier einfach zu Ende.« Nur war es nie zu Ende. Immer würde es ein junges Ding geben, das zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war. Ein junges Ding mit blauen Flecken und Prellungen. Einen Mann mit einer Kugel im Körper, dessen Witwe informiert werden musste. Ihre Kehle schnürte sich zusammen und nahm ihr die Luft. »Komm. Wir haben uns heute Nacht noch um eine weitere Leiche zu kümmern.«

Montag, 20. September, 1.20 Uhr

»Siehst du was?«, fragte Jeff. Sie hatten die Masken wieder aufgesetzt und die Sauerstoffbehälter ausgetauscht. Die den Baumaterialien entströmenden Dämpfe waren oft giftig, und David kannte zu viele Feuerwehrveteranen mit Lungenschäden. Er hasste die Maske, wollte aber seine Lungen schützen.

»Nein.« David schwenkte die Wärmebildkamera über die stützende Wand. Dahinter befand sich der Luftschacht, wo sich oft noch weitere Brände verbargen. Doch hier war nichts. Sie waren über die Treppe hinaufgekommen und hatten die oberen Stockwerke abgesucht. Nun waren sie wieder in der dritten Etage, wo sie das Mädchen gefunden hatten. Bisher kein Feuer mehr und keine weiteren Opfer. Danke.

David wandte sich der aufgeschnittenen Fensterscheibe zu. Nun, da der Qualm sich verzogen hatte, konnte er deutlich die Handabdrücke sehen, die das Mädchen hinterlassen hatte. Er ließ das Licht der Taschenlampe über den Boden gleiten in der Hoffnung, einen Rucksack, ein Portemonnaie oder irgendetwas zu finden, das ihnen sagen konnte, wer sie war.

Und dann blinzelte er, als das Licht plötzlich von etwas reflektiert wurde. »Zell, schau!«, sagte er und deutete mit dem Lichtstrahl auf eine Kugel, die genauso leuchtete wie die Handabdrücke des Mädchens. Die Kugel hatte etwa zehn Zentimeter Durchmesser und lag ungefähr einen halben Meter von der Stelle entfernt, an der er das Mädchen gefunden hatte. David war ein paar Schritte näher herangegangen, als er spürte, wie der Holzboden unter seinen Füßen nachzugeben schien.

Er wich zurück und hielt die Luft an, bis er wieder festen Boden unter den Füßen hatte.

»David?« Auch Zell war mitten in der Bewegung erstarrt.

»Alles okay.« Sein Herz raste unter dem Adrenalinansturm. Doch er ignorierte es und leuchtete die Kugel erneut an. »Siehst du das?«

»Ja. Was ist das?«

»Keine Ahnung, aber auch das Ding ist voll mit diesem Gel.«

»Wie die Hände. Ich würde sagen, das überlassen wir den Cops.«

»Einverstanden.« Er wandte sich zur Treppe um … und spürte nichts mehr, als der Boden unter ihm wegbrach. Reflexartig riss er die Arme zur Seite und stemmte sich mit den Ellbogen auf die Bodenbretter, die noch geblieben waren. Sein Körper steckte in einem Loch, seine Füße baumelten frei aus der Decke der Etage unter ihm. Dort war nur Schwärze zu sehen. Das Feuer im zweiten Stock hatte die Decke weggebrannt. Wenn er losließ, mochte er auf festem Boden landen, aber es war nicht unwahrscheinlich, dass er auch durch den Boden unter ihm krachte.

Jeff ließ sich auf den Bauch fallen und streckte ihm den Griff seiner Axt entgegen. »Auf drei.«

David packte den Griff mit der Linken und stützte den rechten Arm auf. Auf drei stemmte er sich hoch, schob seine Hüfte auf das Holzbrett und lag wenige Sekunden später bäuchlings auf dem Reststück und wartete mit zugekniffenen Augen ab. Als er sich hinaufgeschwungen hatte, war noch mehr von der Decke unter ihm weggebrochen, so dass im Raum nun mehr Loch als Boden war. Verdammt. Das war verflucht knapp gewesen.

Er rollte sich behutsam zur Seite und öffnete die Augen, als die glitschige Glaskugel über eine zerbrochene Holzdiele auf das Loch zurollte. Wieder war es ein Reflex, als er seinen Arm über den Abgrund hervorschnellen ließ und die Kugel in seinen Handschuh plumpste.

»Hab sie«, murmelte er, und hinter ihm lachte Jeff schnaufend. »Wollen wir hoffen, dass das Ding es wert war.«

David blickte auf den Inhalt seines Handschuhs, dann in den Abgrund und versuchte, sich nicht vorzustellen, dass er fast dort hinuntergestürzt war. »Und was mache ich jetzt damit?«

»Pack die Kugel wieder dahin, wo du sie herhast. Die Cops rasten aus, wenn du Beweisstücke anfasst.«

»Ich kann sie nicht einfach wieder dorthin zurücklegen. Da ist ein großes Loch!«

»Dann nimm sie mit. Aber die Cops rasten trotzdem aus.« Jeff betätigte sein Funkgerät. »Dritter Stock ist eingebrochen. Hunter und ich sind unverletzt. Wir kommen über die Treppe runter.«

»Verstanden«, kam die knisternde Antwort ihres Captains.

David kam, die Kugel noch immer in der Hand, auf die Knie. Sie krochen auf die Treppe zu, atmeten jedoch erst wieder frei, als sie ganz unten angekommen waren. Draußen riss David sich die Maske ab und atmete erleichtert die frische Luft ein. Seine Knie waren weich, aber er würde sich nichts anmerken lassen.

»Hunter?«

Der Typ von der Abteilung Brandursachenermittlung. David hielt ihn für einen aufrichtigen Kerl. »Barlow.«

»Ich habe gehört, dass der Boden eingestürzt ist. Alles klar bei Ihnen?«

»Ja.« Er hielt dem Mann die behandschuhte Hand mit der Kugel hin. »Das hier lag in der Nähe der Stelle, an der das Mädchen gestorben ist.«

Barlow zog die Brauen hoch. »Sie haben einen Tatort verändert?«

»Da ist kein Tatort mehr«, gab David trocken zurück. »Der Boden ist dort komplett weggebrochen. Die Kugel rollte auf das Loch zu, und ich habe sie gefangen. Reiner Reflex.«

»Ein Wahnsinns-Save«, warf Jeff ein. »Untere vom neunten, alle Bases besetzt, und – paff! Hunter holt sie raus. Und dann hab ich ihn rausgeholt«, fügte er augenzwinkernd hinzu. »Jetzt ist er mir was schuldig!«

David verdrehte die Augen. »Also, Barlow, wollen Sie die Kugel nun, oder nicht?«

Barlow schüttelte den Kopf. »Kommen Sie mit. Sie können sie selbst der Mordkommission geben. Die Ermittlerin wird nicht gerade entzückt sein, dass etwas am Tatort verändert wurde.«

Zum zweiten Mal in dieser Nacht hatte David das Gefühl, sich im freien Fall zu befinden. Die Ermittlerin. Er kannte nur einen weiblichen Detective bei der Mordkommission. Er setzte sich in Bewegung. Danke.

Montag, 20. September, 1.25 Uhr

Eric hob den Kopf und sah auf, als Mary ins Zimmer kam. Sie trocknete sich mit einem Handtuch das Haar und sah stirnrunzelnd zum Sofa hinüber, auf dem Joel reglos und mit geschlossenen Augen lag.

»Ist er etwa noch immer bewusstlos? Verdammt, Albert. Du hast zu fest zugeschlagen.«

Albert grunzte von seinem Sessel aus. »Er ist zu sich gekommen, während du das ganze heiße Wasser verbraucht hast.«

Sie warf ihm einen bösen Blick zu. »Verpiss dich. Meine Mitbewohner würden dumme Fragen stellen, wenn ich nach Hause käme und wie ein Waldbrand stinken würde.« Behutsam setzte sie sich neben Joel aufs Sofa. »Komm, Liebling«, sagte sie ruhig. »Du musst das abschütteln.«

Joels Schlucken war deutlich zu hören. »Wir haben sie umgebracht.«

Mary hob eine Schulter. »Ja, das haben wir. Und damit müssen wir leben. Aber wir werden es niemandem sagen. Wir müssen tun, als sei alles okay, sonst wandern wir alle in den Knast.«

Joel nickte niedergeschmettert. »Ich kann noch immer ihr Gesicht sehen. Wie es sich gegen die Scheibe drückt.«

Eric erging es genauso. Wann immer er die Augen schloss, sah er nichts als ihren zum Schrei aufgerissenen Mund. Sie hatten sie nicht bemerkt, als sie den Kleber ausgekippt hatten. Sie musste sich irgendwo versteckt haben. »Sie hat sich illegal in dem Gebäude aufgehalten.«

Joels Lachen war beinahe hysterisch. »Hast du eben wirklich das Wort ›illegal‹ benutzt? Was willst du damit sagen – dass es gar nicht unsere Schuld ist? Glaubst du diesen Schwachsinn wirklich?«

»Ja, genau das will ich damit sagen«, erwiderte Eric ruhig. Sie mussten den Tatsachen ins Auge sehen, und eine Tatsache war, dass er auf keinen Fall in den Knast gehen würde. »Wir müssen zusammenhalten, Joel.«

»Aber wir haben sie umgebracht«, wisperte Joel mit gebrochener Stimme. »Wir haben sie ermordet.«

»Sei kein Kleinkind, Fischer«, knurrte Albert. »Ja, wir haben sie umgebracht. Krieg dich wieder ein.«

Mary verengte die Augen. »Lass ihn in Ruhe. Er steht unter Schock und hat Kopfschmerzen. Du hättest nicht so hart zuschlagen dürfen.«

Alberts Gesicht verfinsterte sich. »Ich hätte noch viel härter zuschlagen sollen. Dann müsste ich mir das Gewinsel nicht mehr anhören. Wir haben sie ermordet«, äffte er Joel nach. »Okay – na und? Wir können das verdammt noch mal nicht mehr ändern, also sag deinem Weichei von Freund, dass er endlich die Schnauze halten soll, sonst sorge ich dafür, dass er es tut.«

Bleich vor Wut öffnete Mary den Mund, um ihm ihre Meinung an den Kopf zu schleudern, und vermutlich hätte es jeder Nachbar auf Erics Etage gehört.

»Regt euch ab«, fauchte Eric. »Wir wollten ein Zeichen setzen. Wir wollten der Baufirma eine deutliche Botschaft schicken, dass sie sich von dem See fernhalten soll, und das haben wir getan.«

Joel setzte sich auf und betastete vorsichtig die Beule, die Alberts Knüppel auf seinem Hinterkopf hinterlassen hatte. »Mach dir doch nichts vor. Niemand wird unsere Botschaft hören. Man wird nur davon reden, dass ein Mädchen umgekommen ist. Unseretwegen lebt sie nicht mehr.«

»Und es ist ein trauriger Verlust«, sagte Mary und strich Joel über das Haar. »Du hast selbst gesagt, dass wir uns in einem Krieg befinden.«

Joel schloss die Augen. »Ich weiß, was ich gesagt habe. Aber das war vorher. Wir haben einen Menschen getötet, Mary. Glaubst du, die Bullen würden uns das durchgehen lassen? Die werden uns aufspüren.«

»Und sie hätten nicht lange suchen müssen, wenn wir zugelassen hätten, dass du sie rufst«, knurrte Albert.

»Albert«, zischte Mary. »Halt die Klappe.«

Eric hatte plötzlich die kindliche Sehnsucht nach einem Schalter, mit dem er die Zeit zurückdrehen könnte. Aber er würde keine zweite Chance bekommen. Sie hatten getan, was sie getan hatten. Und nun mussten sie den Kopf einziehen und sich verstecken.

»Seid still, ihr alle. Wir müssen uns beruhigen, oder wir gehen alle ins Gefängnis.« Er schaltete den Fernseher ein und fing an, durch die Sender zu zappen. Alle fuhren zusammen, als Bilder des Brandes den Bildschirm ausfüllten. »Lasst uns sehen, was die Presse zu sagen hat. Dann überlegen wir, was wir als Nächstes tun müssen – falls überhaupt.«

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2. Kapitel

Montag, 20. September, 1.30 Uhr

Liv, warte.«

Olivia ging mit weit ausholenden Schritten um den ausgebrannten Neubau herum, verlangsamte ihr Tempo aber, als Kanes ruhige Stimme hinter ihr erklang. Sie hatte sich ihm gegenüber ausgesprochen barsch benommen, obwohl er ihr nur hatte helfen wollen. »Es tut mir leid«, sagte sie leise. »Ich hätte dich nicht so anfahren dürfen.«

»Daran bin ich ja gewöhnt«, klagte er in einem Tonfall, der sie sehr an I-Aah, den Freund von Pu dem Bären, erinnerte und unwillkürlich zum Lächeln brachte. Er erwiderte das Lächeln. »Na, siehst du. Ich wusste doch, dass sich deine Mundwinkel aufwärtsbewegen können. Das tun sie in letzter Zeit allerdings nicht besonders oft. Hör mal, ich wollte es nicht noch schlimmer machen.«

Olivia ließ die Schultern sinken. »Ich tue meine Arbeit, Kane.«

»Das weiß ich doch.« Seine Stimme klang tröstend, ohne herablassend zu sein. »Und unsere Psychologin kann dir nicht helfen?«

»Ich brauche keine verdammte Seelenklempnerin.« Sie wusste, dass sie sich kindisch verhielt, und seufzte. »Verflixt noch mal, Kane. Ich brauche bloß Zeit.«

»Dann nimm dir Zeit. Aber versprich mir etwas. Wenn es bis Neujahr nicht besser ist, dann sag es mir. Ich kenne einen Therapeuten, der dir helfen könnte. Und den du bestimmt leiden kannst.«

Sie wusste, warum er diesen Zeitpunkt nannte. Silvester war sein letzter offizieller Arbeitstag. Kane ging nach fast dreißig Jahren Dienst in Rente. Olivia wollte gar nicht daran denken. Wollte nicht daran denken, sich an einen neuen Partner gewöhnen zu müssen. Aber ihr war klar, dass er sich Sorgen um sie machte, also nickte sie. »Okay. Können wir uns jetzt den toten Wachmann ansehen?«

Sie bogen um die Ecke und erkannten augenblicklich Henry Weems’ Leiche im Scheinwerferlicht der CSU. Er lag auf dem Bauch, einen Arm unter sich, den anderen ausgestreckt, die Pistole ein paar Zentimeter vor seinen Fingern. Der Rücken seiner Uniform war dunkel von Blut, die Austrittswunde größer als Kanes Faust.

Neben dem Toten stand eine Bahre, auf dem ein offener Leichensack lag. Londos Partner, der medizinisch-technische Assistent Dale Eastman, wartete geduldig, während Micki Ridgewell von der CSU Fotos machte.

»Hohlspitzgeschoss?«, fragte Olivia.

»Wahrscheinlich«, antwortete Micki. »Wir suchen die Patrone noch. Sobald wir mit dem Toten fertig sind, gehen wir die Gegend mit einem Metalldetektor ab. Bei so viel Baumaterial kann das aber eine Weile dauern. An der Hintertür haben wir Blut gefunden, daher nehmen wir an, dass man ihn dort niedergeschlagen hat. Und die Menge an Blut deutet darauf hin, dass er einige Minuten dort gelegen hat. Rollen wir ihn herum.«

Kane und Dale taten es. Auch die Vorderseite der Uniform war blutdurchtränkt, die kleine Eintrittswunde in Herznähe deutlich zu sehen.

»Der Schuss sollte töten«, bemerkte Kane. »Wie lange ist er schon tot?«

»Höchstens zwei Stunden«, sagte Dale. »Der Doc kann euch den Zeitraum weiter eingrenzen.«

Olivia hob die Waffe des Wachmanns auf und roch daran. »Er hat nicht abgefeuert, die Waffe war aber entsichert. Er ist niedergeschlagen worden, aber vielleicht zu schnell wieder zu sich gekommen und hat den Brandstifter überrascht.«

»Der zwischen ihm und dem See stand, als er geschossen hat.« Kane deutete auf das Gewässer. »Es gibt zwei Möglichkeiten, schnell von hier zu verschwinden: Durchs Tor vorn und dann mit dem Auto oder per Boot übers Wasser. Lass uns den Zaun nach Löchern absuchen, Mick.«

»Das haben wir schon getan. Und wir haben drei gefunden. Eines dort drüben am Anleger, eines da« – sie deutete vom Neubau weg – »und eines an der Seite, wo das Mädchen gefunden wurde. Wir werden den Draht auf Oxidation überprüfen, um festzustellen, wann die Löcher geschnitten worden sind.«

Olivia sah zum Zaun. An einem Eckpfahl befand sich eine Kamera. »Hast du das mit dem Überwachungssystem gehört?«

»Ja.« Micki nickte unglücklich. »Insiderjob – leider.«

»Wir haben die Personalakten schon angefordert«, sagte Kane. »Wie kompliziert wäre es, die Kameras auszuschalten?«

»Das weiß ich noch nicht. Sugar soll das System überprüfen und euch anschließend Bescheid geben.« Sugar war Mickis Elektronik-Guru.

»Detectives? Sie wollten mit den Feuerwehrmännern sprechen, die das Mädchen aus dem Haus geholt haben?«

Micah Barlow kam mit einem Feuerwehrmann an seiner Seite um die Ecke, und jede Hoffnung, die sie noch gehegt hatte, schwand. Ihr Herz krampfte sich so fest zusammen, dass sie nach Luft schnappen musste. Nur wenige Männer gingen wie er. Kein Mann sah dabei so aus wie er. Kein Mann hatte das Recht, so auszusehen.

Er war groß, der Feuerwehrmann – einige Zentimeter größer als Barlow, der ohnehin schon über einen Meter achtzig maß. Das grelle Scheinwerferlicht der CSU leuchtete auf ein mit Ruß verschmiertes Gesicht, aber kein Schmutz dieser Welt konnte darüber hinwegtäuschen, dass er der bestaussehende Mann war, der ihr je begegnet war. Oder der ihr je begegnen würde. Allein dafür verfluche ich dich.

Es hatte ja so kommen müssen, dass er heute Nacht Dienst hatte. Und es hatte natürlich auch so kommen müssen, dass ausgerechnet er das Opfer gefunden und es zu retten versucht hatte. Dass er schlau genug gewesen war, die Abdrücke zu erhalten.

Denn ausgerechnet er war der eine Mann, den sie nicht sehen wollte, weder heute Nacht noch sonst irgendwann. Schließlich hatte er alles darangesetzt, ihr aus dem Weg zu gehen. Sieben Monate lang. Vor sieben Monaten war er nach Minneapolis gezogen, hatte aber kein einziges Mal angerufen oder eine E-Mail geschickt. Monatelang hatte sie sich gefragt, warum er hergekommen war. Mittlerweile war es ihr egal.

Sie wappnete sich innerlich und schlug einen Tonfall an, von dem sie inständig hoffte, dass er freundlich, aber unbeteiligt klang. Dann trat sie vor. »David Hunter. Lange nicht gesehen. Wie geht’s?«

Einen Moment lang schien Davids geschmeidiger Gang aus dem Takt zu geraten, doch als er sprach, klang er nur ein wenig überrascht. »Olivia. Schön, dich zu sehen.«

Barlow zog die Brauen hoch, und Olivia musste Kane nicht erst ansehen, um zu wissen, dass er dasselbe getan hatte. »Ihr kennt euch?«, fragte Barlow.

»Wir haben gemeinsame Freunde«, sagte Olivia mit aufgesetzter Gelassenheit. Dabei hämmerte ihr Herz so heftig, dass sie praktisch nichts anderes hören konnte, und so war es bisher jedes Mal gewesen, wenn sie ihm begegnet war. Ihm schien es nichts zu bedeuten. Und im Augenblick hatte es auch keinerlei Bedeutung. »Kane, erinnerst du dich an Mr. Hunter? Er ist ein Freund von Eve.«

Und Eve war eine Freundin von Olivia. Es war Eve gewesen, die ihr erzählt hatte, dass David in die Zwillingsstädte ziehen würde, Eve, die ihr erzählt hatte, dass er eine Stelle bei der hiesigen Feuerwehr gefunden hatte. Und es war Eve gewesen, die irgendwann aufgehört hatte, sie auf dem Laufenden zu halten, da Olivia sich nicht mehr dafür interessierte.

»Natürlich erinnere ich mich«, sagte Kane, zögernd, wie Olivia schien. »Was macht der Arm?«

Der Arm, den er sich vor sieben Monaten gebrochen hatte, als der Serienmörder David von der Straße abgedrängt hatte, weil er geglaubt hatte, dass Eve im Wagen saß. Und es war im Krankenhaus gewesen, als Olivia ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Nun hob David den Arm und bewegte ihn hin und her. »So gut wie neu, danke der Nachfrage.«

Genug davon. »Sergeant Barlow sagte, du hättest das Mädchen gefunden«, sagte sie, barscher als beabsichtigt.

David schien ein wenig zurückzuweichen, und er schluckte sichtbar. »Wir kamen zu spät. Sie war schon tot.«

Und das schmerzte ihn, wie man leicht erkennen konnte. Wider besseres Wissen blickte Olivia ihm in die grauen Augen und sah das Elend und die Trauer, und plötzlich schmerzte ihr wild pochendes Herz um seinetwillen. Sie sah den Tod jeden Tag. Er zum Glück nicht. »Du konntest nichts mehr tun, David«, murmelte sie. »Sie hätte gar nicht da drin sein dürfen. Niemand hätte da drin sein dürfen.«

Und einen Moment lang gab es eine Verbindung zwischen ihnen. Die Verbindung. Dieselbe Verbindung, die sie an jenem Abend gespürt hatte, als er sie hatte vergessen lassen, dass … als er sie eigentlich alles hatte vergessen lassen. Einen Augenblick lang war er nicht David Hunter gewesen, groß, dunkel, wie ein griechischer Gott, bei dessen Anblick die Frauen auf der ganzen Welt weiche Knie bekamen. Er war ein Mann mit einer schönen Seele gewesen, die er mir für ein paar Stunden gezeigt hat. Aber während sie ihn noch ansah, schien er sich zu verschließen und sie einmal mehr wegzustoßen.

»Ja, ich weiß«, gab er ruhig zurück. »Aber sie war da drin, aus welchem Grund auch immer. Ich habe nach einem Ausweis, einem Portemonnaie oder einem Rucksack gesucht, aber nichts gefunden. Es war allerdings auch ziemlich dunkel im Inneren. Vielleicht habt ihr nach Tagesanbruch mehr Glück.«

Barlow blickte zwischen ihr und David hin und her, und zu ihrem Entsetzen wurde ihr bewusst, dass sie zu David aufstarrte wie ein liebeskranker Teenager. Aber schließlich himmelte jede Frau David an, man würde also nichts anderes von ihr erwarten. Und ich erfülle die Erwartungen voll und ganz.

»Wann können wir hinein, um uns den Fundort anzusehen?«, fragte sie eisig.

»Heute Nacht jedenfalls nicht mehr«, sagte Barlow. »Im dritten Stock ist der Boden teilweise eingestürzt, wir können niemanden dort herumlaufen lassen. Ihr müsst warten, bis wir abgestützt haben, was noch übrig ist. Aber die Männer haben etwas rausgeholt, das ihr bestimmt sehen wollt. David?«

»Das lag auf dem Boden in ihrer Nähe.« Er hielt ihr seine Hand hin, die noch im Handschuh steckte. Darauf lag eine Glaskugel, die ungefähr die Größe von Olivias Faust hatte. Sie war mit etwas Glitzerndem, Gallertartigem überzogen.

Olivia zog die Brauen zusammen. »Du hast den Tatort verändert?«, fragte sie scharf.

»Der Boden ist unter Hunter weggebrochen«, erklärte Barlow ruhig, und ihr erschreckter Blick flog unwillkürlich zu David. »Dass du dieses Beweisstück überhaupt hast, verdankst du nur seiner raschen Reaktion.«

»Es ist alles gutgegangen«, erklärte David. »Die Kugel rollte auf das Loch zu. Mein Adrenalinspiegel war noch extrem hoch, und ich habe reflexartig danach gegriffen, aber anschließend konnte ich das Ding nicht zurücklegen, weil der Boden an der Stelle weg war.«

Sie zwang ihre Muskeln, sich wieder zu entspannen. Der Gedanke, er hätte durch den Boden stürzen können, ließ auch ihren Adrenalinspiegel in die Höhe schnellen. »Handelt es sich um das Gel, das das Mädchen an den Händen hatte?«

»Vermutlich«, sagte Barlow. »Das Labor wird es uns bestätigen.«

Kane beugte sich über ihre Schulter, um die Kugel zu betrachten. »Wozu das Gel?«

»Ich nehme an, das werden Sie wohl selbst herausfinden müssen«, sagte David.

Olivia wandte sich um und schreckte zusammen, als sie Micki direkt hinter sich entdeckte. »Kannst du die Kugel an dich nehmen, Mick?«

Mickis Blick ruhte einen Moment lang wissend auf Olivias Gesicht. »Sicher.«

»Nimm den Handschuh auch mit, falls wir noch weitere Spuren brauchen. Hast du noch ein weiteres Paar Handschuhe?«, fragte sie David, und dieses Mal gelang es ihr besser, gleichgültig zu wirken.

»Ja, im Wagen. Wenn wir dann fertig wären, würde ich mich gern wieder an die Arbeit machen. Ich habe noch einiges zu tun.«

Wenn wir dann fertig wären … Nein, sie glaubte nicht, dass sie jemals fertig mit ihm wäre. Aber wen kümmerte das schon? Er war nach nur einer Nacht fertig mit ihr gewesen. Wie blöd ich war!

Sie zwang sich, ihn lächelnd anzusehen. Unverbindlich. »Danke. Wir melden uns, wenn wir noch weitere Fragen haben. Kane, wir müssen Mrs. Weems benachrichtigen, bevor sie es aus den Nachrichten erfährt. Haben wir hier noch etwas zu tun?«

Kane schüttelte den Kopf. »Nicht, solange wir nicht hineinkönnen. Haben Sie unsere Handynummern, Barlow?«

Der nickte. »Ja. Ich melde mich, sobald es wieder sicher ist.«

Micki hatte die Kugel in eine Plastiktüte gesteckt und zog nun an Davids Handschuh. »Sie bekommen ihn so bald wie möglich zurück.«

»Kein Problem«, sagte David, drehte sich ohne ein weiteres Wort um und war bereits hinter der Hausecke verschwunden, als Olivia feststellte, dass sie den Atem angehalten hatte.

Herrgott. »Micki, gibst du die Fingerabdrücke des Mädchens in die Datenbank ein? Achte vor allem auf Meldungen aus Florida. Sie hatte Klebebildchen der Gators auf den Fingernägeln. Und ruf uns bitte an, wenn du etwas über dieses Gel herausgefunden hast.«

»Wie der Mann schon sagte – kein Problem«, antwortete Micki leichthin, aber Olivia kannte den Blick ihrer Freundin. Sie wartete auf eine Erklärung.

Als hätte ich eine zu bieten. Sie beschloss, das Thema zu wechseln. »Abbott will uns bestimmt morgen früh um acht in seinem Büro sehen.« Ihr Captain war berühmt-berüchtigt für seine Acht-Uhr-Meetings.

»Ich versuche, die Fingerabdrücke noch vorher durch die Datenbanken zu schicken«, meinte Micki. »Danach könnten wir einen Kaffee trinken. Und ein bisschen plaudern.«

»Machen wir«, erwiderte Olivia tonlos, dann wandte sie sich an Micah Barlow, der sie genau zu beobachten schien, und plötzlich wurde sie wütend. Dass sie David Hunter für eine Nanosekunde auch nur in Betracht gezogen hatte, war gewissermaßen auch seine Schuld. Dieser elende Schuft, der sich überall einmischen musste.

»Abbott wird auch dich sprechen wollen«, sagte sie kühl. »Weißt du, wie du zu seinem Büro kommst?«

»Ich habe schon mit deinem Captain gearbeitet«, gab er zurück. »Ich werde da sein.«

Sie nickte knapp, dann wandte sie sich um und ging mit Kane zu ihrem Wagen. Er sagte nichts, bis sie die Fahrertür aufgeschlossen hatte. An den Kotflügel gelehnt, verschränkte er die Arme vor der Brust und musterte sie prüfend.

»Was war das gerade?«

Sie riss ihre Tür auf. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wovon du sprichst.«

Kane drückte ihre Tür sanft wieder zu. »Olivia.«

Sie seufzte tief. »Ein gigantischer Fehler, okay? Einer, den ich weder wiederholen noch mit irgendjemandem besprechen will.«

Er wirkte enttäuscht. Kane liebte saftige Klatschgeschichten. »Oh, na gut, dann eben nicht«, brummte er. »Hier ist Weems’ Adresse. Soll ich?«

»Nein, du warst letztes Mal dran. Diesmal spreche ich mit der Frau.« Die meisten Ermittlerteams warfen eine Münze, aber Olivia und Kane teilten die ungeliebten Aufgaben immer fair untereinander auf. So war es schon immer gewesen, sogar als sie noch ganz jung dabei gewesen war und er sie angelernt hatte. »Wir treffen uns dort.«

Sie öffnete die Tür, während Kane zu seinem Wagen ging, hielt jedoch inne, als sie plötzlich ein merkwürdiges Gefühl hatte. Sie sah sich um und entdeckte David, der am Löschwagen stand und sie beobachtete. Ein Schauder überlief sie. Einen Augenblick lang hielten ihre Blicke einander fest, dann hob er leicht das Kinn, als wollte er sie herausfordern. Er wandte sich ab, zog sich einen neuen Handschuh über, und der Moment war vorüber.

Bebend stieg Olivia in ihren Wagen. Das brauche ich nicht. Jetzt bestimmt nicht.

Er hatte sieben Monate Zeit gehabt. Sieben verdammte Monate, um etwas zu sagen. Etwas zu tun.