Finanzmarkt und Strafrecht -  - kostenlos E-Book

Finanzmarkt und Strafrecht E-Book

0,0

Beschreibung

Der Tagungsband beleuchtet in Teil 1 aktuelle Schnittstellen zwischen Finanzmarkt und Strafrecht: Doris Hutzler wertet unpublizierte Strafbescheide und -verfügungen des Strafrechtsdienstes EFD zur Meldepflichtverletzung gemäss Art. 37 GwG aus und analysiert das Verhältnis von dessen Praxis zur Lehre und Rechtsprechung. Sabine Gless untersucht, unter welchen Voraussetzungen die Meldepflicht an KI-Systeme delegiert werden könnte. Wolfgang Wohlers erörtert die Frage, welchen Einfluss Art. 89 Abs. 1 lit. c und 92 FIDLEG auf die strafrechtliche Beurteilung des Einbehaltens von Retrozessionen und sonstigen Vergütungen haben. Marc Jean-Richard-dit-Bressel umreisst Widerstände, die bei der Amtshilfe gemäss Art. 38 ff. FINMAG zur Diskussion stehen. Teil 2 des Bandes verschafft ein Update über Entwicklungen in den wichtigsten Teilgebieten des gesamten schweizerischen Wirtschaftsstrafrechts.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 217

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Finanzmarkt und Strafrecht Copyright © by David Zollinger und Marc Jean-Richard-dit-Bressel is licensed under a Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell-Keine Bearbeitung 4.0 International, except where otherwise noted.

© 2024 – CC BY-NC-ND (Werk), CC BY-SA (Text)

Herausgeber: Prof. Dr. Marc Jean-Richard-dit-Bressel, David Zollinger – Europa Institut an der Universität ZürichVerlag: EIZ Publishing (eizpublishing.ch)Produktion, Satz & Vertrieb:buchundnetz.comISBN:978-3-03805-661-4 (Print – Softcover)978-3-03805-662-1 (PDF)978-3-03805-663-8 (ePub)DOI: https://doi.org/10.36862/eiz-661Version: 1.00 – 20240228

Das Werk ist als gedrucktes Buch und als Open-Access-Publikation in verschiedenen digitalen Formaten verfügbar: https://eizpublishing.ch/publikationen/finanzmarkt-und-strafrecht/.

Zitiervorschlag:Normalzitat: Autor/in, Beitragstitel, WIST 14 (2024), Seitenzahl;

Angaben zum Band im Abkürzungsverzeichnis oder bei Erstnennung: Marc Jean-Richard-dit-Bressel/David Zollinger (Hrsg.), Finanzmarkt und Strafrecht, Tagungsband zur 14. Schweizerischen Tagung zum Wirtschaftsstrafrecht 2023, Zürich 2024, hiernach WIST 14 (2024).

1

Vorwort

Die Regulierung des Finanzmarktes ist besonders dicht und unterliegt einem stetigen Wandel. Die vier Beiträge zum Schwerpunkt-Thema der Tagung behandeln aktuelle Schnittstellen zwischen Finanzmarkt und Strafrecht, die von grosser praktischer Bedeutung sind. Wer sich berufsmässig mit der Interaktion von Finanzmarkt und Strafrecht befasst, wird aus dieser Lektüre Gewinn ziehen.

Von Doris Hutzler erfahren wir, welche Diskrepanzen in Bezug auf die einzelnen Voraussetzungen der Meldepflichtverletzung gemäss Art. 37 GwG zwischen Literatur und Judikatur und der nicht veröffentlichten Praxis des Strafrechtsdienstes EFD ein „Stimmungstief in der Compliance Abteilung“ verursachen können. Sie hat ausgewählte Erkenntnisse aus ihrer Auswertung von Strafbescheiden und Strafverfügungen des EFD teils statistisch, teils anekdotisch verarbeitet und verschafft uns so einen bisher verborgenen Einblick in den Rechtsalltag zur Meldepflichtverletzung. Mit ihr ist zu bezweifeln, ob die Inflation an Verdachtsmeldungen, die als Folge einer zu weitgehenden Anwendung von Art. 37 GwG droht, tatsächlich Geldwäscherei zurückdrängt. Der Beitrag endet mit einem überzeugenden Plädoyer für die Abschaffung der fahrlässigen Meldepflichtverletzung gemäss Art. 37 Abs. 2 GwG.

Können die Compliance Officer das Strafbarkeitsrisiko ausschalten, indem sie die Geldwäschereimeldung an Künstliche Intelligenz delegieren? Eine Antwort darauf finden wir bei Sabine Gless. Sie führt uns zunächst in das Wesen von KI-Systemen ein, um anschliessend die Chancen und Gefahren für deren Einsatz für die Geldwäschereibekämpfung zu prüfen. KI-Systeme sollen risikoreiche Transaktionen um bis zu 40% genauer entdecken als regelbasierte Systeme und Menschen im herkömmlichen Monitoring. Dadurch würden sie nicht nur Sicherheitslücken schliessen, sondern auch weniger „false positives“ auslösen. Doch auch die besten KI-Systeme sind nicht fehlerlos. Es kann sogar geschehen, dass die KI ein Risiko verkennt, das für einen Menschen offensichtlich ist. Hinzu kommt als zentrale rechtliche Herausforderung das „Blackbox“-Problem, wonach Entscheidungen von komplexen KI-Systemen weder vorhersehbar noch nachvollziehbar sind, so dass der Grund für die Entscheidung im Dunkeln bleibt. KI ist nicht dagegen gefeit, unerkannt Vorurteile zu entwickeln und sich davon leiten zu lassen. Ist der Mensch für das Versagen des KI-Systems, auf das er sich verlässt, zu bestrafen? Der blinde Einsatz von KI kann fahrlässig sein. Die Autorin übersetzt die drei curae – in eligendo, instruendo et custodiendo – auf KI-Systeme und umreisst so die Voraussetzungen für deren verantwortungsvolle Verwendung.

Nach einer hilfreichen Übersicht über Strafbestimmungen der Finanzmarktgesetze FINMAG, KAG, BankG, FINIG, FinfraG und FIDLEG nimmt Wolfgang Wohlers die Strafnorm von Art. 89 lit. c FIDLEG aufs Korn, die für den vorsätzlichen Verstoss gegen die Bestimmungen über die Herausgabe von Entschädigungen Dritter nach Art. 26 FIDLEG Busse bis zu 100’000 Franken androht. Dabei bringt er nach der Analyse der Tatbestandselemente Unsicherheiten und Widersprüche auf den Punkt, die dadurch entstanden sind, dass der Gesetzgeber in Überzeichnung des Ultima-Ratio-Prinzips in Art. 92 FIDLEG die nach Art. 3 FINMAG Beaufsichtigten und ihr Personal von der Strafbarkeit gemäss Art. 89–91 FIDLEG ausgenommen hat, und zwar mit der Begründung, dass man „diejenigen, die einer prudenziellen Aufsicht unterstellt sind, nicht strafrechtlich, sondern aufsichtsrechtlich sanktionieren [wolle], dass aber diejenigen, die keiner aufsichtsrechtlichen Sanktionierung unterstellt sind, strafrechtlich erfasst werden“ könnten (AB S 2016 1172). Die Strafbestimmungen gelten damit weder für Wertpapierhäuser noch für Vermögensverwalter, wohl aber für Anlageberater, für die das Strafrecht anscheinend als Aufsichtsersatz dienen soll. Ist Art. 92 FIDLEG ein Präzedenzfall oder ein Ausrutscher? Und stuft Art. 89 lit. c FIDLEG als Lex specialis tatsächlich die vom Bundesgericht in BGE 144 IV 294 als qualifizierte ungetreue Geschäftsbesorgung gemäss Art. 158 Ziff. 1 StGB gewürdigte Unterschlagung von Retrozessionen zur blossen Übertretung herunter? Zu diesen bedeutsamen Fragen gibt uns die Abhandlung weiterführende Denkanstösse.

Eine Auslegeordnung von Marc Jean-Richard-dit-Bressel über Schnittstellen von Aufsicht, Advokatur und Strafrecht hat an der Tagung die Podiumsdiskussion eingeleitet. Ersucht die Staatsanwaltschaft die FINMA gemäss Art. 38 FINMAG um die Herausgabe von Akten, kann diese das Gesuch mit Blick auf öffentliche Geheimhaltungsinteressen ganz oder teilweise ablehnen. Die FINMA macht von dieser Befugnis regelmässig Gebrauch, wobei die Strafbehörden bislang nie einen solchen Entscheid an das Bundesverwaltungsgericht weitergezogen haben. Von der FINMA herausgegebene Unterlagen sind nach dem Grundsatz „Nemo tenetur“ im Strafverfahren nicht verwertbar, wenn sie durch Verwaltungszwang herbeigeführte Selbstbelastungen enthalten. Gemäss ständiger Rechtsprechung führt eine gesetzliche Kooperationspflicht im Verwaltungsverfahren nur dann zu dieser Sperrwirkung, wenn Sanktionen konkret angedroht worden sind (BGE 142 IV 207). Die Klärung eines dritten Vorbehalts bleibt in der Schwebe: Entfaltet ein im Verwaltungsverfahren freiwillig preisgegebenes Anwaltsgeheimnis im Strafverfahren weiterhin die Sperrwirkung gemäss Art. 264 Abs. 1 StPO? Das Inputreferat plädiert dagegen und ist in der Podiumsdiskussion erwartungsgemäss auf Widerstand gestossen. Ein klärendes Wort des Bundesgerichts darf in nächster Zukunft erwartet werden (1B_13/2023).

Losgelöst vom Schwerpunktthema der Tagung verschaffen die Beiträge im zweiten Teil des Bandes einen vertieften Einblick in aktuelle Entwicklungen im Verwaltungsstrafrecht (Friedrich Frank), im Steuerstrafrecht (Daniel Holenstein), im Unternehmens-, Korruptions- und Insiderstrafrecht (Nora Markwalder), in der Vermögensabschöpfung, Geldwäscherei und Internationalen Rechtshilfe (David Zollinger) sowie im Vermögens- und Urkundenstrafrecht (Marc Jean-Richard-dit-Bressel). Der letzte Beitrag kritisiert ferner anhand von zwei themenbezogenen Beispielen Diskrepanzen zwischen den vorgefertigen Rechtserörterungen und der konkreten Anwendung als generell drohende Gefahr der „Textbaustein-Justiz“.

Wetzikon und Zürich, im Februar 2024 David Zollinger Marc Jean-Richard-dit-Bressel

2

Inhaltsübersicht

Teil 1: Beiträge zum Schwerpunktthema

Strafrechtliche Verantwortlichkeit des Compliance Officers – it’s happening!

Dr. Doris Hutzler, LL.M., Partnerin bei LCR Services AG, Zürich

Intelligente Agenten im Bankengeschäft – Strafrechtliche Verantwortung?

Prof. Dr. Sabine Gless, Professorin für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Basel

Strafrechtliche Verantwortlichkeit wegen Nichtabführung von Entschädigungen Dritter nach Art. 89 Abs. 1 lit. c FIDLEG und nach StGB

Prof. Dr. Wolfgang Wohlers, Professor für Strafrecht an der Universität Basel

Schnittstellen von Aufsicht, Advokatur und Anklage

Prof. Dr. Marc Jean-Richard-dit-Bressel, LL.M., Staatsanwalt, Abteilungsleiter bei der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich, Titularprofessor an der Universität Zürich

Teil 2: Beiträge zum aktuellen Entwicklungen

Verwaltungsstrafrecht

Friedrich Frank, Rechtsanwalt, Fachanwalt SAV Strafrecht, Jetzer Frank Rechtsanwälte, Zürich

Steuerstrafrecht

Daniel Holenstein, Rechtsanwalt, dipl. Steuerexperte, NSF Rechtsanwälte AG, Zürich

Unternehmens‑, Korruptions- und Insiderstrafrecht

Prof. Dr. Nora Markwalder, Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie unter besonderer Berücksichtigung des Wirtschaftsstrafrechts an der Universität St. Gallen.

Vermögensabschöpfung, Geldwäscherei und internationaler Rechtshilfe

David Zollinger, Rechtsanwalt, Capt Zollinger Rechtsanwälte, Wetzikon

Vermögens- und Urkundenstrafrecht

Marc Jean-Richard-dit-Bressel

I

Teil 1: Beiträge zum Schwerpunktthema

Strafrechtliche Verantwortlichkeit des Compliance Officers - it’s happening!

Doris Hutzler

Inhalt

It’s happening!Stimmungstief in der Compliance AbteilungZwei Straftatbestände und ihre RelevanzGeldwäscherei durch UnterlassenMeldepflichtverletzungWhat is really happening?Die Meldepflichtverletzung in Theorie und PraxisEinordnung der StrafbestimmungAnzeige, Verfolgung und BeurteilungIn Theorie……und EFD-PraxisObjektiver TatbestandTäter und ZurechnungIn Theorie……und EFD-PraxisUnterlassene oder verspätete MeldungIn Theorie……und EFD-PraxisVermögenswerteIn Theorie……und EFD-PraxisBegründeter VerdachtIn Theorie……und EFD-PraxisSubjektiver TatbestandIn Theorie……und EFD-PraxisBussenhöhen und ihre KonsequenzenIn Theorie……und EFD-PraxisVerjährung und VerfahrensdauerIn Theorie……und EFD-PraxisAusgewählte VerfahrensrechteVerbot des Selbstbelastungszwangs (Nemo tenetur-Grundsatz)In Theorie……und EFD-PraxisVerschlechterungsverbot (Reformatio in peius)Fazit und AusblickFazit der AuswertungAusblickLiteraturverzeichnis

It’s happening!

Stimmungstief in der Compliance Abteilung

„Zwei Zürcher Bankkader wurden gebüsst, weil sie schmutziges Geld nicht meldeten“[1] oder „Ex-Kadermann verurteilt: Schweizer Bank verdiente 18 Millionen mit gestohlenen Geldern“.[2] Solche Schlagzeilen verbreiten sich in und zwischen den Compliance-Abteilungen der Banken in Windeseile, denn beim genannten „Kader“ handelt es sich regelmässig um Personen in Kontrollfunktionen. Die Branche ist klein und durchlässig genug, dass selbst eine vollständig anonymisierte Berichterstattung Rückschlüsse auf die betroffene Bank oder die verurteilte Person zulässt. Da mag es auch nicht erstaunen, dass sich in den Compliance-Abteilungen unlängst eine Angstkultur verbreitet, die es schwierig gestaltet, gut ausgebildete und erfahrene Compliance Officer ohne Wagniszuschlag zu rekrutieren. Mindestens ebenso schwer fällt es dem Compliance Officer, risikobasierte und lösungsorientierte Empfehlungen zur Einhaltung von Vorgaben und zum Erkennen entsprechender Verfehlungen abzugeben, wenn er davon ausgehen muss, dass für ihn im Gebiet der Geldwäschereibekämpfung eine Nulltoleranz gilt. Der Alltag des Compliance Officers besteht heute überspitzt formuliert darin, sich selbst (!) dokumentarisch für jeden Entscheid abzusichern, Unsicherheiten stets an die höhere Führungsstufe zu eskalieren und – falls dies zu seinen Aufgaben gehört – am laufenden Band Verdachtsmeldungen an die Meldestelle für Geldwäscherei („MROS“) abzusetzen. Ob diese Praxis tatsächlich im Dienst einer effektiven Geldwäschereibekämpfung steht, ist zu bezweifeln, steht aber nicht im Fokus der vorliegenden Abhandlung.[3]

Zwei Straftatbestände und ihre Relevanz

Geldwäscherei durch Unterlassen

Das Bundesgericht hatte 2010 erstmals die lange Zeit umstrittene Frage zu prüfen, ob sich Finanzintermediäre bzw. die für diese verantwortlichen natürlichen Personen wegen Geldwäscherei durch Unterlassen im Sinne von Art. 305bis i.V.m. Art. 11 StGB[4] strafbar machen können – und dies bejaht. Konkret hat es festgestellt, dass die in Art. 6 und 9 GwG[5] verankerten Abklärungs- und Meldepflichten (i.c. zu mutmasslich aus Bestechung stammenden Vermögenswerten mehrerer brasilianischer Steuerbeamter) eine für eine unechte Unterlassung gemäss Art. 11 StGB verlangte Garantenpflicht etablieren. Die verantwortlichen Personen haben mithin eine Garantenstellung inne, welche sie zu einer Handlung verpflichtet. Unterbleibt eine solche Handlung (i.c. die Abklärung und gegebenenfalls Meldung des verdächtigen Sachverhalts) und liegen die übrigen Voraussetzungen für eine strafbare Geldwäschereihandlung vor, dann machen sich die verantwortlichen Personen wegen Geldwäscherei durch Unterlassung strafbar. Im konkreten Fall wurden fünf hohe Mitarbeiter und Organe einer Bank verurteilt, darunter auch der Chef der Compliance-Abteilung.[6]

Das Urteil wurde in der Literatur extensiv besprochen.[7] Dabei erfuhren mehrere Aspekte dieses wenig fundiert begründeten Entscheids heftige und berechtigte Kritik. So stellen Bommer und Thommen die Garantenstellung eines Finanzintermediärs für die Einziehungsinteressen der Rechtspflege über Art. 6 und 9 GwG generell in Abrede,[8]Bommer kritisiert den Entscheid mit dem zusätzlichen Argument, dass die Verletzung der Meldepflicht schon als solche strafbar sei. Würde diese stets zu einer Garantenstellung führen, fiele es schwer, Art. 37 GwG noch einen selbständigen Anwendungsbereich zuzuerkennen.[9]Muskens/Niggli kommen über die Grenzen der Analogie zum Schluss, dass die Geldwäscherei als schlichtes Tätigkeitsdelikt in der Form eines abstrakten Gefährdungsdelikts dem Konstrukt der in Art. 11 StGB verankerten unechten Unterlassung gar nicht offenstehe, eine Geldwäscherei durch Unterlassung, zumindest als Täter, mithin gänzlich undenkbar sei.[10]Ruckstuhl schliesst sich der Kritik dieser Autoren an und führt anschaulich aus, wie eine solche Praxis zu einer nicht mehr zu rechtfertigenden Ausweitung der Strafbarkeit führen kann, indem sich die objektive Unschärfe mit der subjektiven kumuliere.[11] Als abstraktes Gefährdungs- und Tätigkeitsdelikt sei die Strafbarkeitsschwelle ohnehin bereits sehr tief angesetzt, der Begriff der Eignungshandlung zudem sehr breit definiert. Mit der Unterlassung komme ein weiterer unspezifischer Vorwurf hinzu.[12] Auch genüge ein Eventualvorsatz des Täters, der bei der Geldwäscherei gemäss Rechtsprechung bereits darin erkannt wird, dass keine weiteren Abklärungen i.S.v. Art. 6 GwG vorgenommen wurden, was eine klare Unterscheidung von der straflosen bewussten Fahrlässigkeit praktisch verunmögliche.[13]

Seit diesem Urteil sind 15 Jahre vergangen und der Autorin ist für diesen Zeitraum keine weitere rechtskräftige Verurteilung eines Compliance Officers wegen Geldwäscherei durch Unterlassung bekannt.[14] BGE 138 IV I hatte zwar ebenfalls eine Verurteilung wegen Geldwäscherei durch Unterlassen durch einen Bankangestellten zum Inhalt, beim Verurteilten handelte es sich aber um einen Kundenberater in leitender Stellung.[15] Weitere inzwischen ergangene Urteile gegen Bankmitarbeitende wegen Geldwäscherei knüpften nicht an eine Unterlassung, sondern an eine aktive Handlung an.[16]

Ob die in der Literatur geäusserte, vehemente Kritik an der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Strafverfolgung in diesem Bereich zur Zurückhaltung animiert oder ob die Staatsanwälte, wie wiederholt versichert, ihre beschränkten Ressourcen bevorzugt auf die Verfolgung „richtiger Verbrecher“ (gemeint sind Vortäter und professionelle Geldwäscher) konzentrieren, kann vorliegend offenbleiben. Dass es an Fällen von Verstössen gegen Art. 6 und 9 GwG durch Finanzintermediäre einerseits und an Geldwäschereihandlungen über Geschäftsbeziehungen bei Schweizer Finanzintermediären andererseits nicht mangelt, ist jedoch kein Geheimnis. In diesem Zusammenhang sind Verfahren wegen einer Meldepflichtverletzung (Art. 37 GwG) aber bedeutend relevanter als solche wegen Geldwäscherei durch Unterlassen.

Meldepflichtverletzung

Als prominentes Beispiel ist etwa der Entscheid des Bundestrafgerichts vom 19. Dezember 2017 zu nennen, der die Verurteilung eines Compliance Officers (Group Head of Legal, Compliance and Risk und zugleich Mitglied der Geschäftsleitung) wegen einer fahrlässig begangenen Meldepflichtverletzung i.S.v. Art. 37 Abs. 2 GwG bestätigte. Konkret hatte die Bank verdächtige Vermögenswerte auf Konten eines ehemaligen Amtsträgers in einem anderen bekannten brasilianischen Korruptionsskandal rund um das staatliche Erdölunternehmen Petrobras zu spät an MROS gemeldet.[17]

Strafverfahren gegen Compliance Officer wegen einer Meldepflichtverletzung haben sich – anders als solche wegen Geldwäscherei durch Unterlassen – in der Praxis etabliert.[18] Dies ist jedenfalls eingangs zitierter Tagespresse zu entnehmen. Da abgesehen von den wenigen gerichtlich beurteilten und damit publizierten Fälle[19] weder Statistiken noch Inhalte zu solchen Verfahren veröffentlicht werden[20], beschränkt sich die Literatur zu diesem Thema bis heute auf die Theorie zum Straftatbestand sowie auf die wenigen Entscheide der höheren Instanzen.

What is really happening?

Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der nicht publizierten Praxis des Strafrechtsdienstes EFD zu Art. 37 GwG für den Zeitraum 2014-2022. Er legt zunächst die einzelnen Voraussetzungen einer Meldepflichtverletzung dar und zeigt sodann die durch den Strafrechtsdienst des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD) entwickelte Praxis auf.[21]

Für den vorliegenden Beitrag und das diesem zugrundeliegende Referat vom 8. Juni 2023 im Rahmen der 14. Schweizerischen Tagung zum Wirtschaftsstrafrecht, wurden Anfragen an das EFD gestellt und entsprechende (per E-Mail) erhaltene Antworten verwendet. Zudem wurden vom EFD anonymisiert zur Verfügung gestellte rechtskräftige Entscheide aus dem Zeitraum 2014-2022 eingesehen und ausgewertet. Ausgewählte Erkenntnisse aus dieser Auswertung wurden vorliegend zum Teil statistisch, zum Teil anekdotisch verarbeitet.

Die Meldepflichtverletzung in Theorie und Praxis

Einordnung der Strafbestimmung

Gemäss Art. 37 Abs. 1 GwG wird mit Busse bis zu 500’000 Franken bestraft, wer vorsätzlich die Meldepflicht nach Art. 9 GwG verletzt. Wer fahrlässig handelt, wird gemäss Abs. 2 mit Busse bis zu 150’000 Franken bestraft.

Das Geldwäschereigesetz ist ein Bundesverwaltungsgesetz und Finanzmarktgesetz, der Art. 37 GwG ein Tatbestand des Verwaltungsstrafrechts. Die Verfolgung und Beurteilung von Art. 37 GwG ist dem EFD und damit einer Verwaltungsbehörde des Bundes übertragen. Somit ist das Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR[22]) anwendbar.[23] Subsidiär anwendbar sind – über Art. 2 VStrR – das Strafgesetzbuch (StGB) und, gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung, die Strafprozessordnung (StPO)[24].[25] Da die Tat ausschliesslich mit Busse bedroht ist, qualifiziert sie als Übertretung.[26]

Der Tatbestand ist als echtes Sonderdelikt ausgestaltet. Die Tat kann demnach nur von einer Person begangen werden, die dem GwG unterstellt ist. Weiter ist er als echtes Unterlassungsdelikt und als abstraktes Gefährdungs- und Tätigkeitsdelikt konzipiert. Die Straftat besteht darin, dass der Finanzintermediär einen Sachverhalt trotz Vorliegen eines begründeten Verdachts nicht oder nicht rechtzeitig an MROS meldet.[27] Dabei reicht es aus, dass das geschützte Rechtsgut[28] abstrakt gefährdet ist.

Anzeige, Verfolgung und Beurteilung

In Theorie…

Für die Verfolgung und Beurteilung zuständig ist gemäss Art. 50 Abs. 1 FINMAG der Strafrechtsdienst EFD.[29] Steht die Strafsache in einem engen Zusammenhang mit einem bereits anhängigen Verfahren bei einer Strafverfolgungsbehörde (z.B. der Bundesanwaltschaft), so kann das EFD unter den Voraussetzungen von Art. 51 Abs. 1 FINMAG eine Vereinigung bei der Strafverfolgungsbehörde anordnen.[30]

Das EFD eröffnet ein Verwaltungsstrafverfahren, wenn es durch eine Strafanzeige oder auf andere Weise von einem Sachverhalt erfährt, der im Sinne eines Anfangsverdachts hinreichend konkret auf das Vorliegen einer möglichen strafbaren Handlung in seinem Zuständigkeitsbereich hinweist.[31] Zur Strafanzeige verpflichtet sind gemäss Art. 19 Abs. 2 VStrR und Art. 302 Abs. 1 StPO neben den Strafverfolgungsbehörden und der Polizei auch die gesamte Bundesverwaltung, und damit insbesondere die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA.[32]

Der Entscheid erfolgt mit Strafbescheid entweder durch den entscheidenden Beamten im ordentlichen Verfahren[33] oder direkt durch den untersuchenden Beamten im abgekürzten Verfahren.[34] Wird ein Strafbescheid akzeptiert, wird also keine Einsprache[35] dagegen erhoben, wird dieser zum rechtskräftigen Urteil. Eine fristgerechte Einsprache führt dazu, dass der Strafrechtsdienst EFD den Sachverhalt erneut zu prüfen und mittels Strafverfügung zu beurteilen hat.[36] Gegen eine solche kann wiederum eine gerichtliche Beurteilung durch das Bundesstrafgericht verlangt werden.[37] Erfolgt kein solches Begehren, erwächst die Strafverfügung in Rechtskraft.

…und EFD-Praxis

Vom Strafrechtsdienst EFD konnten für den untersuchten Zeitraum folgende Zahlen erhältlich gemacht werden:[38]

Zwischen 2014-2022 erfolgten gemäss EFD-Auskunft insgesamt 78 Strafanzeigen, davon 63 seitens der FINMA[39], 10 Anzeigen von Staatsanwaltschaften, 3 von Privaten und eine Anzeige vom Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Ein Verfahren wurde von Amtes wegen eröffnet. Dieses Bild bestätigte sich auch bei der Einsicht in die rechtskräftigen Entscheide, bei denen die Anzeigen vor dem untersuchten Zeitraum eingegangen waren. Auch diese Sachverhalte wurden entweder durch die FINMA oder durch eine Strafverfolgungsbehörde zur Anzeige gebracht. Darunter befand sich allerdings auch eine Anzeige der FINMA wegen eines Börsendelikts, nach welcher die Untersuchung erst im Laufe des Verfahrens auf den Art. 37 GwG ausgeweitet wurde.

Im gleichen Zeitraum wurden 34 Erledigungen durch das EFD verzeichnet: 16 rechtskräftige Verurteilungen, 11 Delegationen nach Art. 51 FINMAG an eine Staatsanwaltschaft und 7 Nichtanhandnahmen und Einstellungen.

Per 31.12.2022 lag die Zahl der beim EFD pendenten Verfahren/Strafanzeigen wegen einer mutmasslichen Meldepflichtverletzung bei 47.

Von 19[40] zur Einsicht erhaltenen rechtskräftigen Verurteilungen durch das EFD waren 3 im abgekürzten Verfahren ergangen. Von den 16 Erledigungen im ordentlichen Verfahren erwuchs bei 13 bereits der Strafbescheid in Rechtskraft. Gegen die 3 übrigen wurde jeweils Einsprache erhoben, wobei diese schliesslich mit einer rechtskräftigen Strafverfügung endeten.

Objektiver Tatbestand

Neben einer Unterstellung des Täters unter die Meldepflicht (a) verlangt der Tatbestand das Unterlassen einer unverzüglichen Meldung (b) trotz eines begründeten Verdachts auf eine Geldwäschereivortat i.w.S. (c) und damit in Zusammenhang stehende, in eine Geschäftsbeziehung involvierte Vermögenswerte (d). Jede dieser vier Voraussetzungen bringt heikle Abgrenzungsfragen mit sich.

Täter und Zurechnung

In Theorie…

Als echtes Sonderdelikt kann die Meldepflichtverletzung nur von Personen begangen werden, die der Meldepflicht i.S. von Art. 9 GwG unterstehen, also insbesondere von Finanzintermediären (Art. 2 GwG). Handelt es sich dabei um ein Unternehmen, ist weiter zu bestimmen, wer intern für die Meldepflicht verantwortlich ist. In Anwendung von Art. 6 VStrR werden primär natürliche Personen zur Verantwortung gezogen. Gemäss Art. 25a GwV-FINMA[41] entscheidet das oberste Geschäftsführungsorgan über die Erstattung von Meldungen, wobei diese Entscheidung auch an eine unabhängige Person (z.B. den Head Compliance) oder ein mehrheitlich unabhängiges Gremium delegiert werden kann, wovon insbesondere in grösseren Instituten regelmässig Gebrauch gemacht wird.[42] Neben der für den Meldeentscheid zuständigen Person[43] können sich unter Umständen auch Vorgesetzte[44] bzw. Organe[45] strafbar machen, sofern diesen ein entsprechender Vorwurf gemacht werden kann.[46] Hinzugezogene betriebsfremde Stellen (z.B. Outsourcingpartner) können insoweit haftbar gemacht werden, als ihnen eine solche Entscheidung überhaupt delegiert werden kann.[47] Externen Beratern (z.B. Rechtsanwälten) kann als „Extraneus“ immerhin die Teilnahme an einer durch den Beratenen vorsätzlich begangenen Meldepflichtverletzung vorgeworfen werden.[48] Schliesslich stellt sich die Frage, wie mit Entscheiden von Gremien umzugehen ist. Gemäss Rechtsprechung schliesst ein Gremienentscheid die Strafbarkeit des Einzelnen nicht aus.[49] Das Unternehmen selbst kann gemäss Art. 49 FINMAG dann ausnahmsweise zur Bezahlung der entsprechenden Busse verurteilt werden, wenn die Ermittlung der strafbaren natürlichen Person unverhältnismässig wäre und eine Busse von höchstens 50’000 Franken in Frage kommt.[50] Eine echte Unternehmensstrafbarkeit i.S.v. Art. 102 StGB ist aufgrund der Ausgestaltung von Art. 37 GwG als Übertretung hingegen nicht möglich. Inwieweit betriebsinterne Dritte verantwortlich gemacht werden können, die gemäss interner Kompetenzregelung weder für den Meldeentscheid zuständig sind noch die zuständige Person überwachen oder instruieren müssten, wird in der Literatur kaum diskutiert. Zu denken ist zum Beispiel an einen Kundenberater, der von aus Verbrechen stammenden Vermögenswerte eines Kunden weiss oder wissen müsste, die zuständige Compliance-Abteilung aber nicht davon in Kenntnis setzt und eine Meldung an MROS in der Folge unterbleibt.[51]

Je nach Auslegung kann die Meldepflicht folglich jeden im Unternehmen treffen, der sich in der Lage befindet, einen begründeten Verdacht zu erkennen und der zu einer entsprechenden Eskalation oder Meldung verpflichtet ist. Im Ergebnis kann damit je nach Konstellation, internen Prozessen und konkretem Sachverhalt fast jede Person im (und um das) Unternehmen haftbar gemacht werden – stellvertretend auch das Unternehmen selbst.

…und EFD-Praxis

In den 19 Entscheiden des EFD wurde die Meldepflichtverletzung in 7 Fällen nach dem „Täterprinzip“ in Anwendung von Art. 6 Abs. 1 VStrR natürlichen Personen zugerechnet. Dabei wurden in 4 Fällen leitende Mitarbeiter in Kontrollfunktionen (Legal & Compliance-Verantwortliche, Head of Compliance o.ä.) verurteilt, in 2 Fällen waren es Compliance Officer ohne leitende Funktion. In einem Fall wurde der zuständige Kundenberater zur Verantwortung gezogen.

In einigen dieser Fälle wurde das vorgeworfene Fehlverhalten derjenigen Person zugerechnet, die (gemäss Sachverhaltsfeststellungen) als einzige vom verdächtigen Sachverhalt wusste oder hätte wissen müssen. So wurden z.B. öffentliche negative Informationen über einen Kunden durch den Kundenberater mangels Abklärung nicht erkannt oder ein Compliance Officer unterliess trotz Hinweisen seitens des Kundenberaters weitere Abklärungen. Bei anderen Fällen waren Gremien bis hin zur Geschäftsleitung über Jahre mit dem Fall befasst und dennoch wurde das Fehlverhalten in Form einer verspäteten Meldung nur der für den Meldeentscheid zuständigen Person zugerechnet.

In einem Fall wurde neben dem Täter i.e.S. dessen Vorgesetzter in Anwendung von Art. 6 Abs. 2 VStrR über die Grundsätze der Geschäftsherrenhaftung strafrechtlich zur Verantwortung gezogen.

In den verbleibenden 11 Fällen wurde unter Anwendung von Art. 49 FINMAG das Unternehmen, jeweils eine Bank, zur Bezahlung der Busse verurteilt. Dies mit der Begründung, dass sich die strafbare natürliche Person nicht aus den Akten ergebe, deren Ermittlung unverhältnismässig wäre und eine Busse von höchstens 50’000 Franken in Frage komme. Dabei handelt es sich allerdings um ältere Entscheide, 8 davon aus den Jahren 2014-2016. Seither wurde der Anwendungsbereich der stellvertretenden Haftung durch die Rechtsprechung eingeschränkt, indem minimale Ermittlungsbemühungen gegen die in Frage kommenden natürlichen Personen nachgewiesen werden müssen, bevor Art. 49 FINMAG zur Anwendung gelangen darf.[52] Seither findet Art. 49 FINMAG in der neueren EFD-Praxis offenbar keine Anwendung mehr.

Unterlassene oder verspätete Meldung

In Theorie…

Gemäss Art. 9 GwG muss eine Verdachtsmeldung unverzüglich erstattet werden. Für die Strafbarkeit bedarf es damit einer gänzlich unterlassenen oder einer verspätet erstatteten Meldung. Im ersteren Falle ist die Erfüllung dieses Tatbestandsmerkmals einfach zu erstellen, zumal der Zeitraum einer Untersuchung durch den Strafrechtsdienst EFD mit einigem zeitlichen Abstand erfolgt, so dass im Zeitpunkt der Feststellung der Unterlassung durch die Behörde keine rechtzeitige Meldung mehr erstattet werden kann.

Für die Erstattung einer Meldung ist keine gesetzliche Frist vorgesehen. Der Begriff „unverzüglich“ wurde im rechtlichen Kontext bisher nicht definiert. Einig ist sich die Lehre und Rechtsprechung dahingehend, dass es bei der Verspätung auf den einzelnen Sachverhalt ankommt und dass jeweils eine Risikoabwägung zwischen Sorgfalt und Geschwindigkeit vorgenommen werden muss.[53] „Unverzüglich“ bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch, dass etwas ohne Verzögerung oder zeitnah geschieht. Es beschreibt einen kurzen Zeitraum zwischen zwei Ereignissen oder Zeitpunkten. Im Einzelfall muss daher zunächst auf den Ausgangszeitpunkt abgestellt werden, in dem der begründete Verdacht i.S.v. Art. 9 GwG (erstmals) entsteht. Gemäss der seit dem 1. Januar 2023 kodifizierten Definition des begründeten Verdachts (Art. 9 Abs. 1quater GwG) liegt ein solcher dann vor, wenn die Abklärungen gemäss Art. 6 GwG zu einem konkreten Hinweis oder mehreren Anhaltspunkten abgeschlossen sind oder sein müssten und dieser (Anfangs‑)Verdacht nicht ausgeräumt werden konnte.

Wie viel Zeit für diese vorgängigen Abklärungen zur Verfügung steht, ist ebenfalls nicht geklärt. Die häufig zitierte, durch einen Entscheid der ehemaligen Eidgenössischen Bankenkommission EBK im Jahr 2007 ins Leben gerufene 60-Tage-Frist für Abklärungen entbehrt nicht nur einer regulatorischen Grundlage, sondern war selbst im konkreten Fall nur für die Bearbeitung von Treffern aus der Transaktionsüberwachung gedacht.[54] Ebenfalls wenig hilfreich ist ein Urteil des Kantonsgerichts Graubünden aus dem Jahr 2004, das dem (freigesprochenen) Angeklagten zugestand, dass eine 5 Tage nach Eingang der negativen Information über den Kunden erstattete Meldung noch nicht als verspätet gelte, zumal noch ein Wochenende dazwischen lag.[55] In der Praxis kann die Aufarbeitung eines komplexen Sachverhalts mit mehreren involvierten Kunden und Geschäftsbeziehungen einige Zeit in Anspruch nehmen. Es ist in Erinnerung zu rufen, dass auch sorgfältige Abklärungen gemäss Art. 6 GwG zur Pflicht des Finanzintermediärs gehören.[56] Es ist allerdings, je nach Intensität des Anfangsverdachts mit Blick auf die Rechtsprechung eher riskant, eine detaillierte langwierige Aufklärung eines umfassenden Sachverhalts einer zeitnahen Meldung vorzuziehen.[57]

Aktuell liegt es also im Ermessen der Strafbehörden zu erkennen, ob Abklärungen nach einem Anfangsverdacht genügend rasch durchgeführt wurden und ob eine ergangene Meldung noch unverzüglich erstattet wurde. Dieser Mangel an Vorhersehbarkeit ist nicht nur rechtsstaatlich, mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot problematisch. Dass keinerlei Praxis zur Frage der Unverzüglichkeit bekannt ist, führt überdies dazu, dass Verdachtsmeldungen häufig überhastet und ohne gründliche Abklärungen erstattet werden, was weder der Arbeit der Meldestelle noch der Geldwäschereibekämpfung als solches dient. Vielmehr riskiert der Finanzintermediär, mangels sorgfältiger Abklärungen einen Teil der verdächtigen Vermögenswerte nicht zu entdecken.

Unklar ist, ob eine solch unvollständige (da überhastet erstattete) Meldung ebenfalls zu einer Meldepflichtverletzung führen könnte. Eine zu formelle Interpretation wird in der Lehre zu Recht abgelehnt.[58] Das Risiko einer Verletzung der Meldepflicht wäre aber trotz einer früh erstatteten Meldung zumindest dann gegeben, wenn mangels gründlicher Abklärung in einem komplexen Fall nur ein kleiner Teil der vom Verdacht betroffenen Vermögenswerte – die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs – entdeckt und gemeldet wird.

…und EFD-Praxis

In den 19 EFD-Entscheiden war die Meldung in 10 Fällen gänzlich unterblieben, was eine Meldepflichtverletzung bei Vorliegen der anderen Voraussetzungen ohne Weiteres erstellt.

In 6 Fällen war die Meldung (gemäss Feststellungen des EFD) zwischen 1.5 und etwas über 6.5 Jahre nach Entstehen eines begründeten Verdachts erfolgt. Geht man davon aus, dass ein begründeter Verdacht in diesen Zeiträumen tatsächlich vorgelegen hat, dann sind diese Meldungen sicher nicht unverzüglich erstattet worden.

Bei solch langen Phasen der vorgeworfenen Verletzung macht der exakte Zeitpunkt der erstmaligen Meldepflichtverletzung für die Strafbarkeit keinen bedeutenden Unterschied. Allerdings ist festzuhalten, dass das EFD für die Unverzüglichkeit sehr unterschiedliche und insgesamt kurze Fristen ansetzt. Bei einigen Fällen ist es davon ausgegangen, dass die Meldepflichtverletzung und damit der begründete Verdacht bereits am Tag der ersten verdächtigen Transaktion, mit Empfang einer Editionsverfügung bezüglich eines Kunden, mit Aufnahme eines Kunden in eine Negative News-Datenbank oder mit einer Betrugsmeldung durch eine Drittbank vorlag. Dabei wird seitens EFD ausser Acht gelassen, dass der Finanzintermediär zunächst Abklärungen vornehmen muss und zudem erwartet wird, dass eine Meldung sorgfältig vorbereitet wird.[59] In anderen Fällen ist das EFD mit Verweis auf bereits erwähnte EBK-Praxis[60] strikt von einer 60-Tage-Frist seit einer ungewöhnlichen Transaktion ausgegangen. Ansonsten lag die erwartete Reaktionszeit dazwischen.