Fire Girl – Gefährliche Suche - Matt Ralphs - E-Book

Fire Girl – Gefährliche Suche E-Book

Matt Ralphs

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Beschreibung

Hazel Hooper hat die ersten zwölf Jahre ihres Lebens auf einer Waldlichtung verbracht, die von ihrer Mutter Hecate durch einen Zauberbannkreis von der Außenwelt abgeriegelt wurde. Hazel sehnt sich danach, die Welt draußen kennenzulernen. Aber am allermeisten wünscht sie sich, endlich selbst magische Fähigkeiten zu entwickeln. Als ihre Mutter von einem gefährlichen Dämon entführt wird, erwachen Hazels Zauberkräfte - dennoch gelingt es ihr nicht, ihre Mutter zu retten. Nun ist sie ganz auf sich allein gestellt – vielleicht nicht ganz allein, denn Hazel hat irrtümlich eine kleine Haselmaus verzaubert, die ihr nun als verlässlich missgelaunter Gefährte zur Seite steht. Gemeinsam machen sich das Mädchen und die Maus auf, um den Dämon zu verfolgen und Hecate zu befreien. Doch schnell muss Hazel feststellen, dass das Leben außerhalb der Lichtung weitaus gefährlicher ist, als sie angenommen hatte. Gnadenlose Hexenjäger bevölkern die Landstriche – und die wenigen verbliebenen Hexen schrecken nicht davor zurück, sich die Macht der gefährlichen Dämonen zunutze zu machen, um sich zu verteidigen. Als Hazel den jungen David trifft, den Gehilfen des genialen - doch unglücklicherweise meist betrunkenen - Dämonenjägers Titus schöpft sie Hoffnung; doch sie ahnt noch nicht, dass der Junge und sein Meister auch berühmt dafür sind, Hexen aufzuspüren …

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Matt Ralphs

iyj

Fire Girl

Gefährliche Suche

6

Aus dem Englischen von Doris Hummel

Vollständige eBook-Ausgabe der Hardcoverausgabe

bloomoon, München 2016

Text copyright © 2015 by Matt Ralphs

First published 2015 by Macmillan Children’s Books,

an imprint of Pan Macmillan,

a division of Macmillan Publishers International Limited

Titel der Originalausgabe: Fire Girl

Die Originalausgabe erschien 2015 bei Macmillan Children’s Books, ein Imprint von Pan Macmillan, London.

© 2016 arsEdition GmbH, Friedrichstr. 9, 80801 München

Alle Rechte vorbehalten

Text: Matt Ralphs

Übersetzung: Doris Hummel

Umschlaggestaltung: Grafisches Atelier arsEdition

unter Verwendung von Material von Colin Thomas und Shutterstock

Umsetzung eBook: Zeilenwert GmbH

ISBN eBook 978-3-8458-1805-4

ISBN Printausgabe 978-3-8458-1640-1

www.bloomoon.de

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Inhalt

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Cover

Titel

Impressum

Traditioneller englischer Kinderreim

Prolog

1. Die Hexenlichtung

2. Ein Dämon vor der Tür

3. Bramley, die Haselmaus

4. Die Grenzhecke

5. Hinter der Hecke

6. Wychwood

7. Der Waidmann

8. Eine gepeinigte Stadt

9. Mr David Drake, Hexenfinder-Lehrling

10. Der Bär und die Schiet-Elfe

11. Der Kutschwagen

12. Dämonologie

13. Seide und Gift

14. Lilith und Spindel

15. Nicolas Murrell

16. Der Hexenfinder

17. Zurück im Wald

18. Das Häuschen im Wald

19. Die Puppe

20. Sterbliche Überreste

21. Ein Silberschein

22. Die blinde Mary Applegate

23. Lügen und Geheimnisse

24. Der Sauger

25. Der geschlängelte Fluss

26. Rivenpike

27. Ein klebriges Ende

28. Die Kirche und der Glockenturm

29. Der magische Kreis

30. Die Beschwörung

31. Die Dämonenpest

32. Das Glück eines armen Mannes

33. Geister

34. Die Burg

35. Schau nicht hin

36. Dunkler Abstieg

37. Ein unerwartetes Wiedersehen

38. Alte Bekannte

39. Feuriger Tod

40. Blind und verloren

41. Dämonenfutter

42. Baals Stimme

43. An Fleisch gebunden

44. Seelenopfer

45. Blumen pflücken

Epilog

Der Autor

Weitere Titel

Leseprobe zu "GODDESS OF POISON"

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Ziehst du am Seil, die Glocke schellt,

der Teufel zurück in die Hölle fällt.

Stell eine Falle aus Draht und Schlinge,

den Pfahl ins rächende Feuer bringe.

Im silbernen Sieb fang ihre Seele,

der Hexe Leben dich nie mehr quäle.

Traditioneller englischer Kinderreim

6

Prolog

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Wald von Wychwood, England, 1656

Zwölf Jahre nach Ende des Hexenkriegs

Mary Applegate erwachte und spürte vor Angst einen mächtigen Kloß in ihrem Hals.

Da ist jemand in meinem Zimmer.

Sie lag so still und reglos wie eine Leiche da und lauschte nach dem Eindringling – dem Ding –, das sie beobachtete, da war sie sich ganz sicher. Alles, was sie hörte, waren jedoch das Geflüster der Bäume und das entfernte Kreischen einer Eule. Da war nichts, was dieses unbehagliche Gefühl hätte erklären können, das an ihren Nerven zerrte. Nichts – abgesehen von einem schwachen kupferartigen Geruch, wie von warmem Blut.

Ihre Ellenbogen knacksten, als sie sich im Bett aufsetzte. »Närrisches altes Weib«, murmelte sie vor sich hin. »Es war nur ein Traum.«

Die kalte Luft kribbelte auf ihrer Haut. Leise brummend wickelte sie die Bettdecke über ihre Schultern, mühte sich aus dem Bett und hinkte die Treppe hinunter. Ihre alten Knochen schmerzten bei jedem vorsichtigen Schritt.

Die Haustür knarrte in den Angeln und ließ den Duft von Regen und nassen Blättern in ihre Hütte. Mary wunderte sich darüber, dass sie offensichtlich vergessen hatte, sie abzusperren, bevor sie zu Bett gegangen war, zog die Tür zu und schob den Riegel vor.

Das Holz und der Gips an den Wänden fühlten sich rau unter ihren Fingern an, als sie durch die Küche zur Feuerstelle humpelte. Sie stocherte in der Glut, legte neue Holzscheite auf und sah zu, wie die Flammen knisternd aufloderten.

»Oh, Gander«, seufzte sie und hielt ihre kalten Hände über die Flammen. »Wärst du doch nur hier, du törichtes altes Vieh.«

Seit dem Tod ihres Gänse-Vertrauten war Marys düstere Welt noch düsterer geworden. Sie vermisste Ganders Schnattern und seine Gesellschaft so sehr. Manchmal bildete sie sich ein, sie würde seine Füße mit den Schwimmhäuten hinter sich auf den Bodenbrettern watscheln hören, aber es war jedes Mal nur ein Echo ihrer langsam verblassenden Erinnerung.

Sie schüttelte den Kopf, hängte einen Kessel mit gewürztem Honigwein über die Feuerstelle, setzte sich und wartete darauf, dass er warm wurde. Sein süßlicher Geruch erfüllte die ganze Küche und lullte sie ein, bis sie in einen unruhigen Schlaf fiel.

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Ein wütendes Hämmern an der Tür weckte Mary. Sie riss den Kopf in Richtung des Lärms herum und ihr Herz flatterte wie eine gefangene Motte. Niemand besuchte sie mehr, schon gar nicht mitten in der Nacht.

»Wer ist da?«, rief sie und schlich auf die Tür zu. »Was wollt Ihr?«

Es kam keine Antwort.

Sie holte tief Luft, schob den Riegel zurück und öffnete die Tür einen Spaltbreit. Die Luft war spröde vom Frost. Vögel flatterten in den Bäumen, ihre Flügel raschelten wie Pergament.

»Kalt wie ein Grab heute Nacht.« Die Stimme eines Mannes, weich und tief wie Treibsand. »Darf ich hereinkommen?«

Er stieß die Tür auf und schob sich an Mary vorbei, ohne eine Antwort abzuwarten.

»Wer seid Ihr?«, rief sie und ließ ihn dabei nicht aus den Augen.

»Nur ein Reisender, der Schutz vor der Kälte sucht. Habe ich Euch erschreckt?« Er war Mary so nahe, dass sie seinen Atem auf ihrer Wange spüren konnte.

»Es braucht mehr als einen spätnächtlichen Besucher, um mich zu erschrecken«, murmelte sie und verbarg ihre Furcht hinter einem Stirnrunzeln.

»Tatsächlich?« Der Fremde klang amüsiert. Der Stuhl unter ihm knarzte, als er sich an den Tisch setzte. »Hach, was für ein wunderbares Feuer.«

Ärger stieg in Mary auf.Taucht ohne Einladung hier auf, noch dazu mitten in der Nacht,dachte sie.Eine Frechheit!

»Rieche ich da etwa Honigwein?«, fragte der Mann. »Ich hätte nichts gegen einen Becher einzuwenden, um mich aufzuwärmen.«

Es war in Wychwood üblich, den Bedürftigen zu helfen, ganz gleich, wie unpassend der Zeitpunkt auch sein mochte. Mary biss die Zähne zusammen. »Aber gerne doch«, erwiderte sie.

»Ich nehme nicht an, dass Ihr viel Besuch bekommt, so tief hier draußen im Wald.«

»Ganz sicher nicht um diese Uhrzeit.« Mary stellte vorsichtig den Topf auf dem Tisch ab, holte zwei Becher aus einem Regal und setzte sich dem Mann gegenüber. »Und Ihr habt Euch verirrt?«

»Verirrt?« Der Mann kicherte. »Nein. Ich weiß ganz genau, wo ich hingehe. Soll ich uns einschenken?« Der Duft des Honigweins stieg zwischen ihnen auf, als er die Becher füllte.

Die Stille dehnte sich zwischen ihnen aus, bis Mary den Mann schließlich anblaffte: »Und wo geht Ihr hin?«

»Rivenpike.«

»An diesen grauenvollen Ort? Dort werdet Ihr nichts finden, außer Schatten und Geistern.«

»Nichtsdestotrotz ist Rivenpike mein Ziel.« Der Mann schob sich auf seinem Stuhl hin und her. »Obwohl ich einen kleinen Umweg gemacht habe, um dich zu besuchen … Mary Applegate.«

»Woher kennt Ihr meinen Namen?«, stammelte sie und verschluckte sich beinahe an ihrem Getränk.

»Oh, ich weiß alles über dich. Ich weiß, warum du allein hier draußen lebst. Ich weiß, wer dich vor all den Jahren geblendet hat und warum sie es getan hat. Ich weiß genau, wer du bist und was du bist.«

Angst schnürte Mary die Kehle zu. »Seid Ihr ein … Hexenjäger?«

»Ganz im Gegenteil.« Der Mann kicherte wieder. »Erkennst du meine Stimme tatsächlich nicht? Nun, es ist auch wirklich schon einige Jahre her, schätze ich.«

Mary kramte in ihrem Gedächtnis … seine Stimme klang seltsam vertraut. »Nein«, hauchte sie schließlich. »Das kann nicht sein. Nicolas?«

»Ja, ich bin Nicolas Murrell, der Minister für Magie und Hexerei unseres früheren Königs.«

»Aber …« Mary schüttelte verwirrt den Kopf. »Ich dachte, sie hätten dich gefangen genommen und in den Tower geworfen.«

»Das haben sie auch, Mary, das haben sie auch. Und dort blieb ich in Lord Cromwells … Obhut … für sehr viel länger, als mir lieb war. Aber ich konnte fliehen, und nun sind sie auf der Jagd nach mir.« Ein Hauch von Befriedigung mischte sich in seine Stimme. »Du spielst für den meistgesuchten Mann in England die Gastgeberin.«

Marys Beine zitterten, als sie von ihrem Stuhl aufstand. »Ich will, dass du g-gehst«, stotterte sie. »Sofort.«

»Aber ich bin doch eben erst angekommen. Bitte, setz dich wieder.« Er klopfte mit den Fingerknöcheln auf den Tisch. »Setz dich.«

Verängstigt und ein wenig überfordert gehorchte Mary.

»Nun, dann sage mir, Mary: Warum hast du dich in Wychwood versteckt?«

»Ich bin geflohen, nachdem wir den Hexenkrieg verloren hatten«, antwortete sie und fingerte nervös an ihrem silbernen Armband herum. »Der Wald ist nun der einzige Ort, an dem ich noch sicher bin.«

»Aber nicht mehr lange. Die Hexenjäger weiten ihre Netze aus. Cromwell will dich loswerden, ein für alle Mal. Es gibt keine sicheren Orte für Hexen mehr oder für diejenigen, die mit ihnen sympathisieren.«

Mary griff mit zitternden Fingern nach ihrem Becher. »Ich habe gehört, dass sich der Hexenzirkel im Norden zur Wehr setzt.«

»Das tun sie, aber ihr Widerstand schwindet.«

»Ich habe für ihren Erfolg gebetet«, sagte Mary.

»Und doch hast du es nicht gewagt, dich ihnen anzuschließen?«

Mary sank in sich zusammen, als sie die Verachtung in seiner Stimme hörte. »Ich wäre ihnen nicht von Nutzen. Außerdem habe ich genügend Kriege für ein ganzes Leben mitgemacht. Ich will nichts damit zu tun haben.«

»Und was willst du dann?«, fragte Murrell.

Mary nahm all ihren Mut zusammen, lehnte sich vor und antwortete: »Dass man mich in Ruhe lässt.«

»Ich fürchte, das ist nicht möglich.« Murrells Worte trieften wie Sirup in ihre Ohren. »Ich will, dass du mir hilfst.«

»Wie könnte eine blinde alte Heckenhexe wohl jemandem wie dir helfen?«

Murrell legte seine kalte Hand auf die ihre. Mary zuckte zusammen, als sie bemerkte, dass sein Daumen nur noch aus einem stumpfen Stummel bestand.

»Ich will Informationen«, sagte er und drückte ihre Finger.

»Warum sollte ich dir irgendetwas erzählen?«, flüsterte Mary und wünschte sich, sie könnte das Beben in ihrer Stimme kontrollieren.

»Weil ich dir im Austausch dafür auch etwas geben werde.«

Der Stuhl schabte über den Boden, als Murrell sich erhob, um den Tisch herumging und sich hinter sie stellte. Mary erstarrte, als er ihren Kopf mit beiden Händen packte und seine Fingerspitzen auf ihre Augenlider presste. Er murmelte leise etwas und ein stechender, glühender Schmerz bohrte sich in ihren Schädel.

»Hör auf«, würgte Mary hervor und versuchte, seine Hände wegzuschieben. »Was tust du denn da?«

»Ich mache dir ein Geschenk«, antwortete Murrell und ließ sie wieder los. »Öffne deine Augen.«

Mary blinzelte. Bunte Farbkleckse flirrten vor ihren Augen, als sich die Blindheit allmählich auflöste, die ihre Sicht jahrzehntelang verschleiert hatte. Verschwommene Formen wurden langsam schärfer: der von Flecken übersäte Esstisch, die glühende Feuerstelle und die mit Gläsern, Töpfen und Kupferpfannen gefüllten Regale.

»Was hast du getan?«, schrie Mary und wünschte sich, sie hätte den Mut, sich umzudrehen und ihn anzusehen. »Du bist kein Träger – du solltest gar keine Magie ausüben können. Was für ein dunkler Zauber ist das?«

Murrells Schatten türmte sich hinter ihr auf. »Ich glaube, das weißt du.«

»Dämonen-Magie?« Mary schnappte nach Luft. »Oh nein … Du warst schon immer waghalsig und unbesonnen, Nicolas, aber sich mit Dämonen einzulassen –«

»In diesen finsteren Zeiten bleibt mir keine andere Wahl.«

»Du kannst Dämonen nicht vertrauen – du weißt genauso gut wie ich, dass sie dich ohne zu zögern verraten würden. Sag mir, was hast du aufgegeben, um diese Magie zu besitzen?«

»Ich bin bereit, jedes Opfer zu bringen, um unsere Leute zu retten«, erwiderte Murrell. »Im Gegensatz zu dir.«

Mary atmete tief ein und versuchte angestrengt, ihren Herzschlag wieder zu verlangsamen. Sie betrachtete die sich schlängelnden blauen Adern und die Form ihrer knochigen Finger, die unter ihrer seidenpapierdünnen Haut zu sehen waren. »Ich sehe so alt aus«, sagte sie.

»Die Zeit zeigt weniger Gnade als ich«, bemerkte Murrell und legte seine Hände auf ihre Schultern. »Und um dir das zu beweisen, will ich dir die Chance geben, es wiedergutzumachen.«

»Was wiedergutzumachen?«

»Dass du unsere Leute im Stich gelassen und den Kampf gegen die Hexenjäger aufgegeben hast«, antwortete er. »Quid pro quo, Mary. Ich will dir nur eine einzige Frage stellen. Wenn du sie mir wahrheitsgemäß beantwortest, werde ich dich in Ruhe lassen. Wenn du mich jedoch anlügst –«

»Erspare mir deine Drohungen«, fiel Mary ihm ins Wort und klang dabei mutiger, als sie sich fühlte. »Frag mich einfach.«

Murrell beugte sich nach unten, bis sein Mund beinahe ihr Ohr berührte. »Wo ist sie?«

Mary kniff die Augen zusammen, weil sie ganz genau wusste, nach wem Murrell fragte. Nicht das, dachte sie. Das kann ich dir nicht sagen.

Murrell stützte sich noch schwerer auf ihren Schultern ab. »Nun?«, hakte er nach.

Mary versuchte, verblüfft zu klingen. »Wo ist wer?«

»Na, na, na, Mary. Du solltest es doch besser wissen, als mich zum Narren zu halten. Ich weiß, dass du weißt, nach wem ich suche.«

»Ich habe keine Ahnung, von wem oder was du sprichst«, spuckte Mary aus. »Du bist hier nicht willkommen. Verschwinde aus meinem Haus.«

»Ich hatte gehofft, dass es nicht so weit kommen würde«, seufzte Murrell. »Aber ich glaube, es ist an der Zeit, dich mit deinem zweiten Hausgast bekannt zu machen. Rawhead, komm heraus und begrüße unsere Gastgeberin.«

Die Tür des Schranks unter der Treppe schwang mit einem Knarren auf und ließ denselben kupferartigen Blutgeruch frei, den Mary bereits in ihrem Schlafzimmer wahrgenommen hatte.

»Komm her, Rawhead«, befahl Murrell. »Komm her und setz dich an den Tisch.«

Ein Schatten bewegte sich im Schrank, und plötzlich tauchte ein knochenfarbiger Schädel – kahl und scheinbar ohne Gesichtsteile, abgesehen von zwei riesigen klaffenden Nasenlöchern – im flackernden Feuerschein der Küche auf. Ein hautloses Biest aus Fleisch und Sehnen kam mit langen Schritten auf den Tisch zu und kratzte dabei mit den schwarzen Klauen an seinen Füßen und Händen über die Bodenbretter.

Ein Dämon,dachte Mary.Er hat mich beobachtet, als ich geschlafen habe. Er war die ganze Zeit hier!

Murrell griff nach seinem Becher. »Köstlich, der Honigwein. Sehr erfrischend.«

Mary zeigte mit einem zitternden Finger auf den Dämon. »Bei der Macht der Mondgöttin, ich befehle dir, diesen Ort zu verlassen.«

Der Dämon gähnte und enthüllte gleichmäßige Reihen bösartiger Zähne. Seine schlangenartige Zunge schnellte über den Tisch und schmeckte die Luft.

»Deine mickrige Zauberei kann gegen Rawhead nichts ausrichten«, sagte Murrell. »Du solltest dich glücklich schätzen, Hexe. Nur ganz wenige bekommen die Möglichkeit, einen so mächtigen Dämon zu sehen – und noch weniger kommen mit dem Leben davon und können anschließend davon berichten.«

Mary wich zurück, als sich das Biest zu ihr beugte und heißer Atem aus seinen Nasenlöchern schoss. »Dämonen heraufzubeschwören verstößt gegen die Gesetze der Magie«, bemerkte sie.

»Ich habe beschlossen, sie zu missachten.«

»Dazu hast du kein Recht. Was, wenn der Bindungszauber versagt? Was, wenn du stirbst und dieses … abscheuliche Ding dadurch frei durch die Welt ziehen kann, ohne einen Meister, der die Kontrolle über es hat?«

»Wir befinden uns im Krieg, Mary. Wir brauchen Waffen, mit denen wir kämpfen können. Aber … zurück zum Geschäftlichen. Wo … ist … sie?«

Mary wappnete sich innerlich. »Ich weiß nicht, von wem du sprichst.«

»Lügnerin.«

Mary starrte auf den Tisch, die Lippen fest zusammengepresst.

»Rawhead ist hungrig«, warnte Murrell. »Vielleicht sollte er mit deinen Füßen anfangen?«

Die alte Hexe schloss die Augen, während der Dämon mit seinem sabbernden Kiefer malmte.

»Ich gebe dir noch eine letzte Chance, Mary Applegate«, fuhr Murrell fort. »Wo finde ich Hecate Hooper?«

1 Die Hexenlichtung

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Hexen sind ein weises, listiges Volk,

gewandt im Umgang mit Kräutern und Heilmethoden.

Die fähigsten unter ihnen – als Träger bekannt –

besitzen magische Kräfte und können

Zauberformeln und Zaubersprüche anwenden.

ANMERKUNGENZU HEXEREIUND DÄMONOLOGIE

von Dr.Neil Fallon

6

Die Lichtung, Wald von Wychwood, drei Tage später …

Hazel Hooper schlenderte auf dem Pfad durch den Obstgarten, pfiff leise vor sich hin und genoss die Wärme der Sonne auf ihrem Rücken. Lichtstrahlen fielen schräg durch die Bäume und zauberten ein golden leuchtendes Farbenspiel in die Wipfel über ihr. Es war ein perfekter Spätsommertag auf der Hexenlichtung, dem einzigen Zuhause, das sie jemals gekannt hatte.

Sie nahm einen Apfel aus ihrem Korb, biss herzhaft hinein und ließ den Saft über ihr Kinn tropfen. Gerade reif für einen Kuchen, dachte sie.

Sie erstarrte mitten im Kauen, als etwas Großes und Orangefarbenes direkt vor ihr auf den Pfad sprang. Es war Ginger Tom, der übellaunige Katzen-Vertraute ihrer Mutter, mit dem sich Hazel in dauerhaftem Kriegszustand befand. Etwas Kleines, Pelziges baumelte zwischen seinen Zähnen.

»Tom!«, brüllte Hazel. »Was hast du da? Oh, du schreckliches Biest – das ist eine arme kleine Haselmaus.«

Wutentbrannt schleuderte sie den Apfel so fest sie konnte nach ihm. Er flog über Toms Kopf hinweg, prallte gegen einen Baum und ließ klebrige Pampe auf den Kater herabregnen.

»Schikanier nächstes Mal jemand in deiner eigenen Größe«, rief sie, als er die Beute fallen ließ und jaulend in den Büschen verschwand.

Hazel stellte ihren Korb auf den Boden, hob die Haselmaus so behutsam wie sie konnte hoch und umschloss den zitternden Körper des Tierchens mit ihren Händen. Sie machte die Augen zu, suchte nach einem Funken Magie in sich und flüsterte einen Heilungszauber, den sie sehr gewissenhaft aus einem der Bücher ihrer Mutter auswendig gelernt hatte.

»Magia-mus-sanaret«, raunte sie. Wie gewöhnlich passierte nichts.

»Halte durch, kleine Maus«, flüsterte sie und schluckte ihre Enttäuschung hinunter. »Ma bringt dich wieder in Ordnung.« Sie rannte durch den Obstgarten in einen penibel gepflegten Gemüsegarten. Am Ende des Weges stand ein Häuschen mit durchhängendem Strohdach und einem Meer aus Blumen rund um die Tür. Völlig außer Atem stürzte Hazel in die Küche. »Ma, guck mal, was ich …«

Ein fauliger Geruch ließ sie erstarren. Durch den Schleier aus fettigem Dampf war Hazels Mutter Hecate kaum zu erkennen. Sie starrte in einen brodelnden Kessel, eine Hand in die Hüfte gestemmt, während sie sich mit der anderen übers Kinn strich.

»Was riecht denn hier so?« Hazel schnappte nach Luft und kämpfte gegen den Drang an, laut zu würgen. »Noch mehr Anti-Kobold-Mittel?«

»Hmm, ich muss noch ein bisschen daran herumtüfteln, oder?«, murmelte Hecate nachdenklich. »Sei ein Schatz und reich mir ein bisschen von der Baumheidenwurzel, ja?«

»Gleich, Ma. Schau dir erst mal an, was Tom gemacht hat.« Hazel hielt ihr die Haselmaus hin. »Alles, was dein nichtsnutziger Vertrauter tut, ist, Tiere zu quälen, die kleiner sind als er. Er ist so ein Tyrann.«

»Er mag vielleicht mein Vertrauter sein, aber das heißt nicht, dass er nicht immer noch seine animalischen Instinkte hätte«, erwiderte Hecate. Sie sah das Tier stirnrunzelnd an. »Sein Bein ist gebrochen und es hat einen Schock erlitten, aber ich glaube, ich kann ihm helfen.«

Hazel sah völlig fasziniert zu, wie ihre Mutter eine Zauberformel murmelte – »Magia-mus-sanaret« –, mit ihren Lippen die Nase der Haselmaus berührte und einen silbernen Nebel ausatmete. Schon einen Moment später schlug die Haselmaus die Augen auf, setzte sich auf und wischte sich mit einer jetzt wieder heilen Vorderpfote über die Schnurrhaare.

»Ich habe diesen Zauberspruch auch versucht, aber es hat nicht geklappt«, sagte Hazel und setzte das kleine Tier vorsichtig auf der Tischplatte ab.

»Ich bin mir sicher, dass du dein Bestes gegeben hast«, erwiderte Hecate und legte einen Deckel auf den brodelnden Kessel. »Vielleicht sollten wir die Fenster aufmachen …«

»Aber hätten sich meine Zauberkräfte nicht inzwischen zeigen müssen? Ich bin doch alt genug, oder nicht?«

»Nun … ja. Aber … wir haben doch schon darüber gesprochen, Hazel. Die Chancen, dass du auch eine Trägerin wirst, sind sehr gering. Wir sind eine sehr seltene Art.«

»Aber ich will so sein wie du«, entgegnete Hazel. »Meinen eigenen Vertrauten haben, Dinge heilen und –«

»Ich weiß, dass du das willst«, unterbrach Hecate sie. »Aber, glaube mir, es ist viel sicherer, wenn du ein ganz gewöhnliches, nichtmagisches Mädchen bleibst.« Sie strich Hazels zerzaustes rotes Haar glatt. »Du könntest da ruhig mal mit einem Kamm durchgehen. Und wie ich sehe, bist du schon wieder in deinem besten Kleid auf Bäume geklettert. Schau nur, die Nähte lösen sich schon auf.«

Ich wünschte, du würdest mich nicht mehr wie ein kleines Mädchen behandeln,dachte Hazel und Wut loderte in ihr auf.

»Mary kommt uns bald besuchen«, fügte Hecate hinzu und riss Hazel aus ihren Gedanken. »Sie bringt das Buch über Kräuterkunde mit, von dem ich dir erzählt habe.«

Hazel rollte mit den Augen. »Großartig«, brummte sie.

»Es umfasst ein höchst informatives Kapitel über Giftpilze, von dem ich finde, dass du es lesen solltest«, fuhr Hecate mit einer erhobenen Augenbraue fort.

»Ich hab doch gesagt, dass es mir leidtut, dass ich die falsche Sorte gepflückt habe«, schnaubte Hazel. »Ich hab sicher nicht versucht, uns mit dieser Pilz-Pastete zu vergiften.«

»Ich weiß.« Hecate lächelte. »Ich zieh dich doch nur auf.«

Hazel beobachtete, wie die Haselmaus auf die Obstschale zuwackelte, und versuchte, ihre Wut wieder zu bändigen. Der Tag war viel zu schön, um ihn mit einem Streit zu verderben. »Ist es wahr, dass Marys Vertrauter letzten Monat gestorben ist?«

»Für Gander war es an der Zeit weiterzuziehen«, antwortete Hecate.

»Dann ist sie jetzt ganz allein?«

»Na ja, sie hat immer noch uns.«

»Aber sie lebt ganz allein. Sie muss so einsam sein.« Die Haselmaus mühte sich redlich, in die Obstschale zu klettern. Hazel gab ihrem behäbigen Hintern einen Schubs und die Haselmaus fiel hinein.

»Mary ist ein zäher alter Knochen und an ihre eigene Gesellschaft gewöhnt.«

»Aber sie ist blind und wird immer älter, Ma. Ich finde das traurig – niemand sollte immerzu allein sein.«

Hecate setzte sich an den Tisch und nahm Hazels Hand. »Ich bin mir sicher, dass du wie immer einen Vorschlag hast, wie sich das lösen ließe, richtig?«

»Na ja … Warum bleibe ich nicht bei ihr – und leiste ihr Gesellschaft? Nur für ein oder zwei Tage? Wenn sie uns besuchen kommt, könnte ich sie zurück nach Hause begleiten und –«

»Du weißt doch, dass du die Lichtung nicht verlassen darfst«, sagte Hecate.

»Aber es wäre doch nur für ein paar Tage –«

»Nein, Hazel. Das geht auf keinen Fall. Wir können die Grenzhecke nicht überschreiten. Darüber haben wir doch gesprochen.«

»Haben wir nicht, nicht richtig.« Hazel zog ihre Hand weg. »Du hast mir zwar gesagt, dass wir nicht weggehen können, mir aber nie erklärt, warum.«

»Du bist noch zu jung, um …«

»Ich bin fast dreizehn!«

Hecate klopfte energisch mit einem Finger auf den Tisch. »Ganz genau.«

»Ich will doch nur wissen, warum du mich hier wie eine Gefangene hältst.«

»Aber … das hier ist dein Zuhause.« Hecates Gesicht verdüsterte sich. »Ich dachte, du liebst die Lichtung?«

»Tue ich ja auch«, versicherte Hazel. »Aber ich sitze schon mein ganzes Leben lang hier fest. Ich will auch den Rest von England sehen. Ich will auch mal anderen Menschen begegnen, nicht nur dir und Mary. Warum verstehst du das denn nicht?« Sie riss frustriert an ihren roten Locken. »Ich meine, willst du mich wirklich für immer hier festhalten?«

Hecate blickte auf ihre gefalteten Hände hinab. »Du weißt ja nicht, wie es da draußen ist.«

»Dann sag es mir. Ich will einfach nur die Wahrheit wissen. Das habe ich verdient.«

»Mein kleines Mädchen wird erwachsen.« Hecate lächelte traurig und strich mit einer Hand über Hazels Wange.

»Genau das versuche ich dir zu sagen, Ma.«

»Vielleicht ist es wirklich an der Zeit, dass du es erfährst.« Hecate schnappte sich die verdutzte Haselmaus aus der Obstschale. »Ich lasse den Kleinen hier frei und springe kurz in den Weiher, um den Kopf freizukriegen. Wir unterhalten uns, wenn ich wieder zurück bin.«

2 Ein Dämon vor der Tür

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Dämonen sind unheilige Kreaturen

in unendlich vielen, grauenvollen Gestalten.

EINBLICKEINDIE WELTDER DÄMONEN

von Grand Magus David Ellefson

6

Hazel beobachtete durch die offene Tür, wie Hecate um den Weiher herumging und die Haselmaus neben einer Weide absetzte. Was hat England nur an sich, das Ma solche Angst macht?, fragte sie sich. Die Aussicht, es endlich zu erfahren, war ebenso aufregend wie furchteinflößend.

Löwenzahnschirmchen schwebten mit der frischen Brise dahin, während jagende Schwalben aus dem Himmel herab ins glitzernde Wasser tauchten. Hecate, deren Haar in der Sonne glänzte, watete bis zur Hüfte in den Weiher. Der Duft von Heckenkirschen wehte in die Küche und trug eine leicht kupferartige Note mit sich, die Hazel nicht richtig zuordnen konnte.

Der Geruch wurde stärker und löste ein Gefühl der Bedrohung in ihr aus, das sich in ihrer Magengegend festsetzte. Sie stand auf, schlug sich dabei ein Bein am Tisch an und brachte die Obstschale ins Wanken. Äpfel kullerten heraus und plumpsten mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden. Hazel erreichte die Tür gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie sich unter Wasser etwas vom Ufer des Weihers abstieß und hinter ihrer Mutter herschwamm.

Eine Kreatur mit gewölbtem, augenlosem, knochenweißem Schädel durchbrach die Wasseroberfläche des Weihers. Sie stieg immer höher – konzentriert und angespannt, aber vollkommen ruhig, die klauenartigen Finger wie bei einer zum Angriff bereiten Gottesanbeterin gefaltet.

Als sich der Klumpen in Hazels Kehle endlich wieder auflöste, stieß sie einen Schrei aus. Doch bevor Hecate überhaupt eine Chance hatte, sich umzublicken, schlug die Kreatur zu, packte sie um Hals und Taille und hob sie komplett aus dem Teich hoch. Hecate zappelte und wehrte sich, als sie ans gegenüberliegende Ufer geschleppt wurde, und strampelte mit den Beinen silbern spritzende Bögen aus dem Wasser.

Einen elektrisierenden Augenblick lang fing Hecate den Blick ihrer Tochter ein. »Lauf, Hazel – lauf!«

Aber Hazel bewegte sich nicht. Eine Wut, wie sie sie noch nie zuvor gespürt hatte, explodierte in ihr und löschte ihre Angst vollkommen aus.

»Lass meine Mutter in Ruhe«, brüllte sie, und mit einem Mal wurde die ganze Welt rot.

Die Luft um sie herum begann zu knistern, als ihr Herz so viel Magie durch ihre Adern pumpte, dass sie dachte, ihr würde der Schädel zerspringen. Mit einem Kreischen streckte Hazel die Arme aus und schickte eine brodelnde Welle aus Feuer durch den Garten in Richtung des Weihers.

Die Kreatur wirbelte sofort herum, um Hecate abzuschirmen, bevor der Feuersturm über ihren Rücken tobte. Das Ding gab keinen Laut von sich, nicht einmal, als sein Fleisch verbrannte und sich seine Haut abschälte.

Hazels grimmiger Zauber zischte ein letztes Mal und erstarb wieder. Sie sank wie eine fallen gelassene Marionette auf dem Boden zusammen und hob den Kopf gerade noch rechtzeitig, um zu beobachten, wie der Dämon zwischen den Bäumen verschwand und ihre Mutter dabei wie ein neugeborenes Baby in seinen Armen trug.

3 Bramley, die Haselmaus

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Die größte Gefahr geht für uns von den Trägern aus.

Träger sind fast ausschließlich weiblich

und ihre magischen Fähigkeiten sind

weitaus größer als die gewöhnlicher Hexen.

Matthew Hopkins, Generalhexenjäger

6

Hazel erwachte halb ertrunken und schnappte nach Luft. Bis auf das Mark zitternd vor Kälte lag sie auf dem Boden, einen Arm ausgestreckt, so als würde sie nach einem Rettungsseil greifen. Dunkle Gewitterwolken, aufgedunsen und von Blitzen aufgeladen, grollten über ihr und schleuderten Regen nieder.

Ma,dachte sie.Wo ist sie?

Ihr Hals fühlte sich ganz rau an. Von Durst geplagt, schlürfte sie gierig aus der Pfütze, in der sie lag. Das dreckige Wasser gab ihr gerade genügend Kraft, um sich wackelig aufzurappeln. Die Erinnerungen brachen über sie herein: der augenlose Dämon, das vor Todesangst verzerrte Gesicht ihrer Mutter … Aber am lebendigsten kam ihr noch immer der Feuerzauber vor, der aus ihren Fingern geströmt war. Sie hob die Hände, sicher, dass sie von Brandblasen und schwarz verkohlter Haut übersät sein würden, doch sie schienen unversehrt.

Das Gras und Schilf rund um den Teich waren braun verbrannt und in der Luft hing noch immer ein Hauch von Schwefel und Magie. Ihrer Magie. In der Ferne lag der Wald, über den Horizont geschmiert wie Kohle auf nassem Pergament.

Was war dieses … Ding? Warum hat es Ma mitgenommen?, fragte sich Hazel und ließ ihren Blick über die Landschaft schweifen, auf der Suche nach irgendeiner Spur. Ist sie noch am Leben?

Sie strich sich einige triefend nasse Haarsträhnen aus dem Gesicht, rannte ins Haus zurück und begann, Schubladen und Schränke aufzureißen. Sie packte eine Umhängetasche mit Brot, Käse, Trockenfleisch, einem Taschenmesser, einem kleinen Beutel mit Münzen und ein paar Kleidungsstücken zum Wechseln. Dann schlüpfte sie hastig in ein trockenes Kleid und in ihre mit Nägeln beschlagenen, knöchelhohen Stiefel, legte sich einen roten Kapuzenumhang um, eilte zur Tür – und blieb wie angewurzelt stehen.

Das Land jenseits der Lichtung war Hazel vollkommen unbekannt, und sie hatte sich schon immer danach gesehnt, es zu entdecken. Aber nun, da sie aus schierer Verzweiflung gezwungen war, die Hexenlichtung zu verlassen, konnte sie noch nicht einmal den Mut aufbringen, durch ihre eigene Haustür zu treten. Sie suchte nach ein wenig Hoffnung in ihrem Herzen, aber alles, was sie fand, waren Zweifel und Furcht.

»Komm schon, Hazel«, flüsterte sie und ballte die Fäuste. »Du kannst das.«

»Du willst doch wohl nicht bei diesem Wetter rausgehen, oder?«, fragte eine hohe Stimme.

Hazel wirbelte herum. »Wer ist da?«

»Ich bin’s.« Die Stimme klang verärgert.

»Äh … wer? Wer bist du?«

»Du bist nicht besonders aufmerksam, was? Schau mal nach unten. Nein, hier drüben.«

Hazel schnappte nach Luft. Auf der umgedrehten Obstschale, mit einem gereizten, empörten Ausdruck im Gesicht, saß die kleine Haselmaus.

»Mach den Mund wieder zu«, blaffte sie Hazel an. »Sonst siehst du aus wie ein Dummkopf.«

Hazel fand ihre Stimme wieder. »Du kannst … sprechen?«

»Offensichtlich.«

Sie beugte sich nach unten, hob die Haselmaus hoch und hielt sie auf der offenen Handfläche vor ihr Gesicht. Ihr Fell war warm und weich. »Ich glaub es nicht.«

Die Haselmaus stellte sich auf die Hinterbeine und fuchtelte mit einer Kralle vor Hazels Nase herum. »Wie kannst du es wagen, mich einfach hochzuheben, ohne zu fragen?«

»Du kannst tatsächlich sprechen.« Hazel glotzte sie weiter mit großen Augen an. »Aber wie?«

»Mit meinem Mund, natürlich. Siehst du, wie er sich synchron zu meinen Worten bewegt? Obwohl ich zugeben muss, dass ich bis eben nur mit anderen Tieren sprechen konnte.« Die Haselmaus blickte sich nervös um. »Apropos, wo ist dieses grässliche Katzenvieh?«

Die Luft knisterte vor Magie, und Hazel hätte die Haselmaus beinahe fallen lassen, als Flammen aus ihrem Fell aufflackerten. Hitze flimmerte, und der Schwanz des Tieres glühte wie ein heißer Schürhaken, aber dennoch spürte Hazel nicht mehr als ein warmes Kribbeln. Nach ein paar Sekunden erloschen die Flammen wieder.

»Was war das?«, kreischte sie.

»Ich weiß es nicht«, winselte die Haselmaus. »Das passiert schon die ganze Zeit, seit ich in dein kleines Feuerwerk am Teich geraten bin. Du hast mich verzaubert, und das gefällt mir ganz und gar nicht. Du musst besser aufpassen, auf wen du zielst.«

»Ich hab das mit dir gemacht?«

»Ja.« Die Haselmaus schüttelte angewidert den Kopf. »Ich saß einfach da und hab mich um meine eigenen Angelegenheiten gekümmert, als du mich mit deinem blöden Zauber erwischt hast. Jetzt wird bestimmt keiner meiner Freunde mehr mit mir reden wollen und ich kann es ihnen noch nicht mal übel nehmen.« Die Haselmaus funkelte Hazel böse an und breitete ihre Schnurrhaare aus. »Aber dir nehme ich es übel.«

Hazel ließ sich auf einen Stuhl plumpsen und starrte den kleinen Kerl hilflos an. »Es tut mir leid. Ich wusste bis heute gar nicht, dass ich überhaupt magische Kräfte habe. Es ist einfach so aus mir rausgeplatzt. Aber wenigstens hab ich dich nicht verletzt.«

Die Haselmaus schniefte. »Na ja, aber gib acht, dass das nicht noch mal passiert.«

Nach einem Moment des unangenehmen Schweigens fragte Hazel: »Hast du auch einen Namen?«

»Natürlich hab ich einen Namen. Alle Tiere haben Namen. Meiner ist Bramley, nach meinem Lieblingsessen.« Die Haselmaus blickte demonstrativ auf die aus der Schale gekullerten Äpfel.

Hazel setzte sie wieder auf dem Tisch ab, griff nach einem der Äpfel und schnitt mit ihrem Messer eine Scheibe ab.

»Danke«, sagte Bramley.

»Ich bin Hazel. Hazel Hooper.«

»Nun gut, Hazel Hazel Hooper, da du mich vorhin vor dieser Katze gerettet hast … schätze ich, kann ich dir noch mal verzeihen.«

Hazel blickte durch die offene Tür auf den Wald hinaus. »Ich muss gehen«, sagte sie, eher zu sich selbst als zu Bramley.

»Unsinn. Schau dir nur mal an, wie das schüttet. Du würdest glatt weggespült.«

»Ich muss gehen.«

»Na schön, aber gib mir nicht die Schuld, wenn du dir was einfängst«, erwiderte Bramley und rieb sich mit den Pfoten die Schnurrhaare, um ein paar Tropfen Apfelsaft wegzuwischen.

»Ich muss meine Mutter finden. Aber was kann ich schon ausrichten gegen dieses … Ding?«

Bramley hüpfte auf Hazels Schoß und schaute zu ihr hoch. »Mehr als du denkst – du bist schließlich kein gewöhnliches Mädchen.«

»Bin ich nicht?« Hazel runzelte die Stirn.

»Du hast gezaubert, oder etwa nicht? Und das bedeutet, dass du eine –«

»Ich bin eine Trägerin.« Die Worte nur auszusprechen, jagte ihr einen aufgeregten Schauer über den Rücken. »Ich bin eine Feuerhexe.«

»Korrekt! Und ich werde mir jetzt ein Nest in deinem Haar bauen«, verkündete Bramley, kletterte an ihrem Kleid hinauf und steckte seinen Kopf durch ihre dunkelroten Locken. »Ich nehme an, du hast keine Einwände?«

»Kommst du denn mit mir?«

»Na, selbstverständlich.«

Hazel schüttelte den Kopf. »Aber warum?«

»Ich kann jetzt schon sehen, dass ich das Hirn in dieser Partnerschaft sein werde«, brummelte Bramley. »Komm schon, denk nach.»

»Oh, ich verstehe! Du bist mein Vertrauter.«

»Endlich hat der Blitz eingeschlagen«, erwiderte Bramley und vergrub sich noch tiefer in ihren Haaren.

»Aber wie …?«

»Na ja, als ich noch ein Junges war, hab ich Geschichten von Tieren gehört, die von einem Zauber getroffen wurden und anfingen, mit Hexen zu sprechen. Ich hab immer gehofft, dass mir das nie passieren würde.« Er tauchte oberhalb von Hazels anderer Schulter wieder auf. »Oh, diese Seite sieht ja genauso aus wie die andere«, sagte er mit einem Anflug von Enttäuschung.

»Ich verstehe«, murmelte Hazel. Sie kam zu dem Schluss, dass die Gesellschaft eines genervten Nagetiers immer noch besser war als gar keine Gesellschaft. »Ich schätze, dann müssen wir wohl das Beste aus der ganzen Sache machen, was? Und ja, du darfst dir ein Nest in meinen Haaren bauen, solange du mir versprichst, dass du dein Geschäft nicht darin verrichtest.«

»Wofür hältst du mich denn – für eine gemeine Ratte?« Bramley drückte sein warmes Fell gegen ihre Haut. »Und jetzt lass uns aufbrechen, wenn es denn sein muss.«

»Ich glaube … ich glaube, das Ding, das Ma mitgenommen hat, war ein Dämon«, flüsterte Hazel.

»Ein Dämon, ja?«, fiepste Bramley. »Sind die denn alle so hässlich wie der?«

»Ich weiß es nicht, aber hässlich oder nicht, wir werden ihn aufspüren.« Hazel schnappte sich ihre Tasche und trat in den Regen hinaus.

»Ich hatte schon so ein ungutes Gefühl, dass du das sagen würdest«, erwiderte Bramley.

4 Die Grenzhecke

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Einige Hexen besitzen die Fähigkeit, die Welt der Natur für aufrichtige Zwecke zu manipulieren, etwa um Tiere zu heilen oder eine reiche Ernte hervorzubringen.

EINE STUDIEDERWOHLWOLLENDEN MAGIE von Titus White

6

Während sich Bramley an ihrem Ohr festklammerte, folgte Hazel dem niedergetrampelten Pfad des Dämons durch die Bäume, nicht sicher, ob der beißende Geruch des Blutes in der Luft real war oder nur ihrer Einbildung entsprang. Sie wusste nur eines mit Sicherheit: Wenn sie sich noch einmal umdrehte, um einen letzten Blick auf ihr Haus zu werfen, würde sie ihr Mut wieder verlassen und sie würde sich unter ihrem Bett verkriechen und nie wieder hervorkommen.