Flaschenpost vom Träumeling - Jakob Graf - E-Book

Flaschenpost vom Träumeling E-Book

Jakob Graf

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Beschreibung

Miko Träumeling heißt er. Versehentlich ist der sympathische Weltraumpirat auf der Erde gelandet. Und weil er nun mal hier ist und nicht zurück kann, versucht er Mensch zu werden. Dazu muss er die Erdenbewohner kennenlernen und verstehen. Mit kluger Naivität und subtiler Neugierde erkundet er das irdische Leben. Sein treuer Begleiter ist ein Goldfisch - klingt kurios, ist aber so. Mit ihm kann er sich herrlich austauschen und Fragen klären. Dass sich unser Träumeling im Verlauf seiner Menschwerdung auch noch verliebt, sei hier verraten - mehr aber nicht. Lest selbst, denn Miko Träumeling erzählt das ja alles in seinem »Tagebuch mit dem Bromm« und erklärt dabei mit reichlich Verstand und viel Ironie, wie dieMenschenwelt »funktioniert«. Ein außerordentlich unterhaltsames und köstliches Leseerlebnis mit reichlich Erkenntnisgewinn für Groß und Klein, das Fragen stellt wie: Wer bin ich? Was ist Leben? Was ist Liebe? Und warum sind Essiggurken eigentlich so verdammt lecker?  • Genialer Mix aus liebevollen Alltagsbeobachtungen und Science-Fiction für Kinder und alle Menschen, die sich die Neugierde der Kindheit bewahrt haben.   • Miko Träumeling könnte auch eine Figur aus Douglas Adams, »Per Anhalter durch die Galaxis« sein - vielleicht ist sie es sogar ...    • Herausragend illustriert von Sophie Lucie Herken

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Jakob Graf

Flaschenpost vom Träumeling

Mit Bildern von

Sophie Lucie Herken

 

 

 

360 Grad Verlag GmbH · 2023

Lindenstraße 23 · D-69181 Leimen

www.360grad-verlag.de

www.facebook.de/360GradVerlag

www.instagram.com/360gradverlag_bestbooks

Text: © Jakob Graf

Illustrationen und Cover: Sophie Lucie Herken

Umschlag und Satz: Helmut Schaffer, Hofheim a. Ts.

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-96185-901-6

 

 

 

Für Aysha, ohne dich hätten die Molbies nie das BROMM der Welt erhört …

Tag 1

Halb Mensch, halb Molbie

So, liebes Tagebuch. Wie fange ich am besten an? Ich, ähm, bin neu hier. Also so richtig neu, und mit „hier“ meine ich hier auf der Erde. Bis vorgestern wusste ich noch nicht einmal, was ein Tagebuch ist. Aber während meiner Nachtlektüre habe ich gelesen, was man so mit Tagebüchern macht.

Also, wenn es dich nicht stört, werde ich dich jetzt vollschreiben. Wenn du das jedoch nicht möchtest, ist dies die letzte Gelegenheit, mich davon abzuhalten. In diesem Fall suche ich mir nämlich ein neues Tagebuch. Nichts für ungut, aber ich muss unbedingt dokumentieren, was gerade mit mir passiert. Ich hoffe, du verstehst das.

Du hast keine Einwände? Gut, dann geht’s jetzt los. Wundere dich nicht, wenn ich bei jedem Tagebucheintrag die Lesenden adressiere. Ich habe nämlich vor, alles, was ich schreibe, mit der Welt zu teilen. Ich werde meine Einträge sogar vertonen und in einem Podcast zu den Menschen sprechen. Aber genug geplaudert.

Liebe Lesende, ich bin Miko Träumeling, Podcast-Pirat aus dem Weltall, und das ist meine Flaschenpost. Ihr seid bestimmt verwirrt, aber glaubt mir, damit seid ihr bei Weitem nicht die Einzigen. Ich bin gerade dabei, ein Mensch zu werden, und ich muss leider zugeben, es könnte besser laufen. Die Gesamtsituation ist für mich doch eher befremdlich, doch ich bin zuversichtlich. Vielleicht beginne ich mit einem kurzen Rückblick.

Es sollte eine ganz normale Forschungsreise zur Erde werden. Eine Routineuntersuchung. Ein kurzer Gesamtscan der Biomasse und der Bewusstseinsentwicklung, und dann zack, ab zurück ins heimische Universum!

Doch dann ist der unwahrscheinliche Fall eines intergalaktischen Zusammenstoßes eingetreten. Während der Aufzeichnungsphase wurde mein Sternenschiff gerammt. Wahrscheinlich von einem anderen Sternenschiff, aber es könnte auch etwas Irdisches gewesen sein. Sicher bin ich mir nicht. Das Letzte, woran ich mich erinnern kann, ist, dass sich ein Wurmloch vor mir öffnete und es einen gewaltigen Rumms gab, der mein Sternenschiff vorübergehend außer Gefecht setzte.

Was das bedeutet? Die Frage ist berechtigt. Für mich bedeutet es, dass ich erst einmal nicht mehr nach Hause kommen werde. Hier die Kurzfassung für alle Erdenbewohner: Alle Universen sind Teil eines Urstroms, der alles durchfließt. Auf meinem Planeten nennen wir den Urstrom wegen des Geräusches, das er macht, das BROMM. Genau genommen benennen wir es nicht, wir fühlen das BROMM. Wir benennen nämlich gar nichts, da wir nicht mit Worten kommunizieren. Aber dazu später mehr.

Ihr, liebe Erdlinge, seid ein Planet in der Überwachungsgruppe Z34b und werdet von meiner Spezies, den Molbies, überwacht. Alle Planeten, welche denkende Wesen beherbergen, die das BROMM noch nicht verstanden haben, müssen überwacht werden. Doch ich will euch nicht mit Dingen vollsabbeln, die ihr sowieso nicht verstehen könnt.

Vollsabbeln, ein schnuckeliges Wort, das ich, übrigens auch erst gestern Nacht, neu gelernt habe.

Für euch ist es wichtig, zu wissen: Außerirdische existieren nicht nur, sondern sie dokumentieren euer ganzes Leben. Jeder Moment wird analysiert und jeder Gedanke archiviert. Es gibt Forschungsstationen auf dem ganzen Erdball, vor allem unter Wasser.

Warum wir Molbies uns so gut vor euch versteckt halten können, hängt wiederum mit unserem Verständnis des BROMMS zusammen. Gelegentlich kommt es aber zu Zwischenfällen. Seit etwa 200.000 Erdenjahren halten wir uns an ein strenges Protokoll. Wer entdeckt wird oder wie in meinem Fall Schiffbruch erleidet, muss sich für das höhere Gut opfern und das eigene Dasein aufgeben, indem er sich transformieren lässt.

Sternenschiffe regenerieren sich zwar von selbst und ich bin mir sicher, dass auch mein eigenes längst wieder funktionsfähig wäre, aber das Protokoll ist in diesem Punkt gnadenlos streng. Jedes molbische Sternenschiff hat einen Transformationsprozessor an Bord, der einen schiffbrüchigen oder versehentlich von Menschen entdeckten Molbie in alles verwandeln kann – je nachdem, als was jener den Rest seines Daseins verbringen will.

Das Protokoll besagt, man darf sich jedes auf der Erde lebende Wesen aussuchen. Auch Gegenstände sind erlaubt und sogar ziemlich beliebt.

Ich wählte das Leben eines erwachsenen Menschenmännchens. Fragt mich nicht, warum ich das tat. Es hat noch nie einen Molbie vor mir gegeben, der sich dafür entschieden hat, freiwillig ein Mensch zu werden. Aber es musste alles ziemlich schnell gehen und ich war nie sehr entscheidungsfreudig. Meine Taktik war es, wegzusehen und blind etwas auf dem Transformationsprozessor einzutippen und, was soll ich sagen, nun ja, das ist das Ergebnis.

Fakt ist, ich werde mit jedem Wort, das ich spreche, immer mehr zu einem Menschen. Und alles, was ich noch über meine ursprüngliche Spezies weiß, versickert allmählich im ewigen Fluss des BROMMS.

Da mein vergangenes Dasein wie ein Traum im ewigen Nichts versinken wird und meine Erinnerung daran verlischt, habe ich mir für meine zukünftige Existenz einen passenden Namen zugelegt. Ich bin Miko Träumeling und wohne in einem Ein-Zimmer-Apartment in Bielefeld.

Soweit ich weiß, ist die Transformation endgültig und nicht mehr umkehrbar. Aber noch ist sie nicht abgeschlossen. Für ein bis drei Jahre werde ich mich an Teile meiner früheren Existenz erinnern können. Und da ich ja nun zum Team Mensch gehören werde, will ich euch nichts vorenthalten. Ich möchte euch alles, an das ich mich noch erinnern kann, erzählen, doch vor allem will ich lernen, wie man ein guter Mensch wird.

Seit die Transformation begonnen hat, verspüre ich ein großes Bedürfnis, mich mitzuteilen. Anfangs habe ich es mit langen Gesprächen über das ewige Weltall an der Supermarktkasse probiert, aber das scheint wohl nicht gerade üblich zu sein unter euch, ähm, ich meine unter uns Menschen.

Also habe ich mir dieses Tagebuch zugelegt, ein Mikrofon gekauft und ein Podcast-Studio in meinem Apartment eingerichtet.

Eine Sache noch. Ihr fragt euch bestimmt, warum ich mich Pirat nenne. Nun, warum auch nicht? Ich dachte einfach, es sei angebracht. Immerhin war ich ja der Kapitän eines Sternenschiffs, auch wenn sich dieses jetzt in ein Ein-Zimmer-Apartment in Bielefeld transformiert. Außerdem habe ich gelesen, dass Piraten immer auf der Suche nach einem Schatz sind. Ich verrate euch jetzt ein Geheimnis, liebe Lesende. Seitdem ich Mensch werde, habe ich das unerklärliche Verlangen, etwas Verlorengegangenes wiederzufinden. Als Molbie war mir solch ein innerer Drang nie bekannt. Es ist nur ein Gefühl, eine Art Druck in meinem Brustkorb, der mir sagt: Miko, du musst einen unbekannten Schatz bergen. Tut mir leid, dass ich es nicht besser beschreiben kann, aber ich werde mir Mühe geben, euch auch in Zukunft über mein Menschwerden und alles andere auf dem Laufenden zu halten.

Adieu für heute, liebe Lesende. Ich bin Miko Träumeling, Podcast-Pirat aus dem Weltall, und das ist meine Flaschenpost.

Tag 2

Weltraum im Wohnzimmer

Hallöchen und söchen, liebe Lesende. Ich habe gehört, es soll gut sein, originelle Begrüßungen zu benutzen, um das Vertrauen seiner Mitmenschen zu gewinnen. Noch weiß ich nicht, was ich von meinem sich langsam zum Erdenbewohner transformierenden Ich halten soll. Es ist nicht gerade leicht, von Augenblick zu Augenblick immer mehr zu vergessen, wie es war, ein Molbie zu sein. Gleichzeitig weiß ich noch nichts darüber, wie es ist, ein Mensch zu werden. Eine meiner verrücktesten und zugleich faszinierendsten Entdeckungen ist, eine eigene Stimme zu haben. Ich meine, was man damit für seltsame Geräusche produzieren kann.

Entschuldigt, ich habe mich etwas mitreißen lassen. Was wollte ich sagen? Ach ja. Der Einfachheit halber habe ich das Wort Molbie als Namen für meine Spezies benutzt. Es ist allerdings nur eine phonetische Annäherung. Wir Molbies haben nämlich keine Namen. Wir kommunizieren auch nicht, wie bei den Menschen üblich, mit einer ausgesprochenen Sprache. Worte sind uns völlig fremd. Molbies kommunizieren, indem sie das BROMM verformen.

Hach ja, das BROMM. Wer es versteht, braucht keinen Mund zum Reden. Man verbiegt es einfach, und das BROMM teilt mit, was man sagen will. Auch die molbischen Sternenschiffe nutzen das BROMM und können so problemlos in Sekundenbruchteilen von einer Galaxie in die nächste schippern.

Apropos Sternenschiff. Meins ist ja kein Sternenschiff mehr, sondern ein Ein-Zimmer-Apartment in Bielefeld. Die Transformation des Sternenschiffs geht aber genauso schleppend voran wie meine eigene. Das heißt, meine Wohnung befindet sich mitten in einer Identitätskrise. Das bringt gewisse Probleme mit sich. Der Kühlschrank zum Beispiel war früher das Dimensionsfenster auf der Kontrollbrücke des Sternenschiffs. Wenn ich die Kühlschranktür öffne, blicke ich zunächst für ein paar Sekunden auf ferne Galaxien und in die endlosen Weiten des interdimensionalen Weltraums.

Dann bemerkt meine Wohnung den Fehler und – schwups – schon sehe ich das Innenleben meines Kühlschranks. Beim Spülen der Toilette höre ich manchmal den Ruf des BROMMS aus fernen Sternensystemen. Ach ja, und auf dem Regal neben meinem Bett steht ein Aquarium mit einem Goldfisch.

Ich habe mir ein paar Bücher über Goldfische zugelegt und kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass es sich bei diesem Goldfisch um kein irdisches Exemplar handelt. Ich fürchte, er muss während der Transformation aus irgendeiner anderen Dimension in die hiesige Realität geplumpst sein. Grundlage meiner These ist, dass alle Goldfischarten, die mir in den Büchern begegnet sind, im Wasser leben. Mein Goldfisch nicht. In seinem Aquarium befindet sich nämlich kein Wasser. Der Goldfisch benimmt sich aber so, als bewege er sich im Wasser, und schwebt fröhlich seine Runden. Zudem weigert er sich vehement, das Aquarium zu verlassen. Der Goldfisch hat buschige goldbraune Augenbrauen und gibt von Zeit zu Zeit blubbernde Geräusche von sich.

Das meiste, was ich als Molbie über die Menschen wusste, wurde bei der Transformation gelöscht. Andererseits weiß ich auch nicht, ob mir das Wissen der Molbies in meiner neuen Situation wirklich helfen würde. Sie erforschen euch zwar seit Jahrtausenden, aber so gut sie euch auch kennen mögen, verstanden haben sie euch nie.

Gewisse noch vorhandene Molbie-Eigenschaften helfen mir aber dabei, schneller ein Mensch zu werden. Zum Beispiel brauche ich zurzeit noch keinen Schlaf. Müdigkeit ist mir fremd. Und ich kann lesen wie ein Weltmeister. Ich nutze also die ganze Nacht dazu, mich fortzubilden.

Bei meinen ersten Leseversuchen habe ich in einer ruhigen Minute ein paar buddhistische Schriften und das Tibetische Totenbuch überflogen. Scheinbar gibt es Erdenbewohner, die beim Stillsitzen das BROMM erfahren haben und von ihm lernen durften. Allerdings sind die Menschen als intergalaktische Spezies noch zu jung, um das BROMM wirklich erfassen zu können.

So griffen die ersten Mönche, die es erfuhren, nur einen Teil des Urstroms auf und nannten es das OMM.

Arme Menschen. Also, WIR armen Menschen. Verflixt, ich muss mir endlich angewöhnen, mich als einen von euch zu sehen. Nun ja, ohne das BR werden wir nie das BROMM in seiner Vollkommenheit verstehen können. Aber allein der Versuch zählt. Jedenfalls habe ich das irgendwo gelesen.

Heute war ich wieder einkaufen. Zum ersten Mal nicht aus Spaß an der Sache, sondern aufgrund eines tatsächlichen Anflugs dessen, was wir Menschen Hunger nennen. Auf dem Weg nach draußen sah ich eine junge Dame in unserem Hausgang, die schäumendes Wasser im Treppenhaus verteilte. Mein Vermieter kam zur selben Zeit aus seiner Wohnung und rutschte uns fröhlich entgegen.

Er hatte einen hochroten Kopf und als er die Frau beim Schaum­wasserverteilen sah, grüßte er sie mit den Worten: „Stellen Sie das nächste Mal gefälligst ein Schild auf! Ich habe mir beinahe das Genick gebrochen.“

Es fällt mir noch immer sehr schwer, menschliches Verhalten zu deuten, aber ich denke, mein Vermieter war sehr dankbar für den Gebrauch des Schaumwassers und wollte sichergehen, dass auch andere im Haus sich eventuell das Genick brechen dürfen. Deshalb kam er bestimmt auf die Idee mit dem Schild.

Ich glaube, die Dame wollte ihm beim Sterben behilflich sein, sodass er den ewigen Kreislauf des Leidens, welcher die menschliche Existenz eindeutig ist, endlich verlassen könne. Was für liebenswürdige Menschen doch in meinem Wohnhaus leben. Ich grüßte die beiden im Vorbeigehen mit meiner neu gelernten Begrüßung „Hallöchen und söchen“ und ging einkaufen.

Kurzer Nachtrag: Nach dem Einkaufen habe ich noch etwas in der Menschengeschichte gestöbert. Entschuldigt, falls ich mich in gewissen Dingen noch etwas ungeschickt anstelle. Es ist scheinbar doch nicht üblich, anderen beim Sterben zu helfen, und mein Vermieter war wohl eher nicht so erfreut darüber, dass er sich beinahe das Genick gebrochen hat. Auch teilen offensichtlich nicht alle Menschen dieselben Ansichten darüber, was das menschliche Dasein angeht. Im Gegenteil, es gibt unter uns Menschen wohl verschiedene Weltanschauungen, politische Meinungen und überhaupt Meinungen aller Art.

Aber gut. Daran muss ich mich noch gewöhnen. Bitte nehmt es mir nicht übel, aber es macht es mir nicht gerade leichter, ein Mensch zu werden, wenn nicht einmal ihr euch einig seid, was das bedeutet. Meine nächtliche Lektüre hat ergeben, dass die Menschen manchmal sogar so unterschiedlicher Meinung sind, dass sie sich streiten, einander wehtun und sogar ohne dessen Einwilligung einen anderen töten. Der Tod ist wohl generell etwas eher Unerwünschtes.

Jetzt hinterfrage ich natürlich die Absichten der Dame mit dem Schaumwasser. Ich werde sie bei Gelegenheit wohl selbst mal fragen müssen, was sie sich dabei gedacht hat.

Ich bin Miko Träumeling, Podcast-Pirat aus dem Weltall, und das ist meine Flaschenpost.

Tag 3

Essiggurken und Frau Freutmichsehr

Liebe Lesende und, ähm …, Beinahe-Mitmenschen,

mein Goldfisch Tony blubbert gerade in seinem wasserlosen Aquarium vor sich hin. Immer wenn er blubbert, kommt es mir so vor, als wolle er mir etwas mitteilen. Gerade blubbert er so vehement, dass ich mich gar nicht aufs Schreiben konzentrieren kann. Er hört bestimmt gleich wieder auf. Am besten nutze ich die Gelegenheit, ihn euch mal vorzustellen. Also, er heißt Tony. Das weiß ich, weil gestern ein Zettel mit seinem Namen vor dem Aquarium lag. Keine Ahnung, wie der dorthin kam. Ich sage ja, mein Apartment macht seltsame Dinge, seitdem es kein Sternenschiff mehr ist.

Ich fragte mich letztens nach meiner Nachtlektüre, ob es ein bestimmtes Merkmal gibt, welches das Menschsein ausmacht. Mir fiel auf, dass ihr Menschen offensichtlich davon besessen seid, aus allerlei Chaos Ordnung zu schaffen und aus Durcheinander Muster zu kreieren.

Es scheint mir ein äußerst lustiges Spiel zu sein. Ein Wohnzimmer ist nur zum Wohnen da, ein Schlafzimmer nur zum Schlafen, und wehe dem, der daran denkt, eine Partie Minigolf darin zu spielen. Jahre werden in Monate aufgeteilt, Monate in Wochen, Wochen in Tage, Tage in Stunden, Stunden in Minuten und Minuten in Sekunden. Große Landmassen sind Kontinente, die man aber mithilfe von Grenzen wiederum in Länder und ganz viele andere Untergruppen aufteilen kann. Für alles gibt es Überbegriffe, Unterbegriffe, Kategorien und Gruppen. Nichts darf ohne eigene Schublade sein.

Eine Regel dieses seltsamen Spiels ist es, das Chaos als etwas Unheimliches, Unbeschreibliches, ja sogar Gefährliches anzusehen, das man um jeden Preis in Ordnung bringen muss. Überall, wohin ich blicke, gehen Menschen Ritualen nach und befolgen Regeln und Gesetze. Ihr seid echt richtig vernarrt in dieses Spiel.

Versteht mich nicht fasch. Es scheint mir auch ein sehr gelungener und spaßiger Zeitvertreib zu sein, auch wenn manche von euch es vielleicht doch ein wenig übertreiben … also von uns … ich meine natürlich, von uns übertreiben es manche. Jetzt ist wohl mal wieder der Molbie mit mir durchgegangen, entschuldigt. Ich will niemandem auf den Schlips treten.

Ich gestehe, auch ich habe, ganz in menschlicher Manier, einen ersten Zwang entwickelt. Oder zumindest eine Vorliebe, ein Ritual, dem ich nachgehen muss und das ich kaum zu kontrollieren vermag: das Einkaufen. Oder besser gesagt: einfach das Herumschlendern im Supermarkt. Ihr erinnert euch vielleicht, liebe Lesende, dass ich nicht schlafe. Noch nicht. Das ist bestimmt wie mit dem Hunger. Nach und nach werde ich alle Molbie-Eigenschaften ablegen und vollkommen zu einem Menschen werden. Zurzeit liege ich aber die ganze Nacht wach im Bett und lese Bücher.

Zwischen zwei Büchern packt mich dann meistens die Vorfreude auf den bevorstehenden Besuch des Supermarktes. Jeden Morgen, bevor der Supermarkt um die Ecke aufmacht, stehe ich als Erster vor der Eingangstür.

Sobald er seine Pforten öffnet, trete ich ein und bewundere die zwanghafte Ordnung der dort aufgereihten Produkte. Ich schlendere stundenlang durch die Gänge und schiebe meinen Einkaufswagen vor mir her. Dabei vertausche ich hier und da ein paar Artikel und beobachte, wie meine Mitmenschen darauf reagieren. Ich verstecke zum Beispiel in dem Regal für Gesichtspflege und Körperhygiene ein Croissant oder lasse eine Flasche Geschirrspülmittel im Kühlregal bei den Smoothies stehen. Die Artikel lieben die Veränderung.

Ich glaube, die Menschen meinen, nur weil sie denken, seien sie die Einzigen, die etwas fühlen. Das BROMM fließt aber durch alles, und alles erfährt durch das BROMM das, was ihr das Dasein nennt. Aber ich neige schon wieder zu chaotisierten Gedanken. Ich werde mich, um meiner Mitmenschen willen, ab jetzt bei meinen Flaschenpost-Tagebucheinträgen um eine lose Struktur bemühen.

Als Erstes will ich euch von meinen Fortschritten beim Menschwerden berichten. Das wäre heute zum Beispiel meine Supermarkt-Anekdote … dann werde ich von meinen Erinnerungen an mein Molbie-Dasein erzählen und dann… ja dann vielleicht noch ein paar wahllose Gedanken zum Abschluss? Was haltet ihr davon?

Also, mein Ritual … ich tummle mich täglich von etwa sieben bis elf Uhr morgens in den Gängen zwischen den Supermarktregalen, bis ich Hunger bekomme. Dann kaufe ich drei Gläser Essiggurken und gehe frühstücken. Danach sammle ich auf der Straße einsam herumfliegende Plastik- und Papiertüten ein und bringe sie am frühen Nachmittag wieder zu den anderen in den Supermarkt zurück, die dort brav geordnet an der Kasse liegen. Sozusagen eine ehrenamtliche und sozial engagierte Aktion für den Zusammenhalt der Papier- und Plastiktütenkommunen.