Flieg Möwe flieg - Helga Sadowski - E-Book

Flieg Möwe flieg E-Book

Helga Sadowski

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Beschreibung

Flieg Möwe flieg Maddys Vater wurde entführt! Jetzt beginnt für sie eine abenteuerliche Reise: Frisch weg von der Steuermannschule muss Maddy eine eilige Fracht zum Oberlauf des Morewuh bringen, erstmals alleinverantwortlich auf dem Schiff ihres Vaters. Getrieben von Selbstzweifeln und der Sorge um ihren Vater macht sie sich nur mit ihrem Matrosen Bodo auf den Weg. Doch nach und nachgesellen sich einige Passagiere dazu, die ihr mehr oder weniger hilfreich zur Seite stehen. Ein turbulentes Specktakel zu Wasser, Land und in der Luft!

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Seitenzahl: 331

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Inhaltsverzeichnis

Entführung

„Fundsachen“

Das Metallicon

Löschen, Kribben???

Ein Frosch

Sturmland

Anonyme Anzeige

Saufen

Wasserschweine?

Sandbank

Umlagern

Jungfernflug - Ping Ping

Armbruch

Felsenwand

Sprengung

Eine Überraschung am Abend

Ein Brief

Sabotage

Absturz

Kompetenzgerangel

Deckeldrauf

Strafanzeige

Danksagung:

Für meinen Mann, der mir die nötige Zeit für all meine kreativen Aktivitäten lässt!

Entführung

Der Mond ließ die Wellen des großen, breiten Flusses Morewuh silbern glänzen. Das Bett des Mäusemädchens Maddy Nagezahn wiegte sich sanft im Takt der Strömung des Flusses. Der Diesel dröhnte unten im Schiffsrumpf sein, ihr so lieb gewordenes Schlaflied. Endlich wieder an Bord.

Sie lag mit geschlossenen Augen, warm eingekuschelt und dachte mit einem seligen Lächeln im Gesicht: Ach ist das schön, ich darf ab Morgen unseren Kahn steuern. Ich werde am Haspel stehen und Stromaufwärts fahren. Endlich kann ich Papa entlasten. So ganz daran geglaubt hat er ja nicht. Doch ich werde ihm beweisen, dass ein Mädchen sehr wohl in der Lage ist unser Familienunternehmen weiterzuführen. Was ein Sohn gekonnt hätte, kann ich garantiert auch. Sie öffnete kurz die Augen und schaute zum zweiten Bett in ihrem Zimmer hinüber.

Wir nehmen nur selten Passagiere mit und eine Hamsterdame hatten wir noch nie. Rosa Blümlein, was für ein schöner Name. Die ist immer noch nicht im Bett, scheint eine Nachtschwärmerin zu sein.

Maddy schloss ihre Augen erneut, drehte sich auf die andere Seite und lauschte dem Motor unter ihr im Maschinenraum, der sie schon als Kind ins Land der Träume getuckert hatte. Auch jetzt verfehlte er seine Wirkung nicht, langsam glitt sie hinüber in den Schlaf. Der Diesel vibrierte gleichmäßig und ohne Unterlass.

Plötzlich – absolute Stille!

Weitentfernte Stimmen drangen in ihr Bewusstsein. Sie fuhr hoch, ihr Herz hämmerte wie wild in ihrer Brust. Schwere Stiefel polterten durchs Gangbord.

Maddy stand wie von einer Sehne geschnellt auf ihrem Bett und spähte vorsichtig aus dem Bullauge darüber hinaus auf eine gespenstige Szenerie. Von hier aus konnte sie die offenen Laderäume und die Wohnung von Bodo im Vorschiff einsehen. Sie erkannte ihren Vater, der von zwei schwarzgekleideten, vermummten und bewaffneten Gestalten von einem Laderaum zum anderen gezerrt wurde. Was wollen die? Sie fing einen Blick ihres Vaters auf. Er schaute zwei Mal auffällig zum Ruderhaus hinauf, welches in ihrem Rücken lag. Sie nickte verstehend.

Schwere Schritte kamen aus dem Ruderhaus die wenigen Stufen zur Küche hinunter. Maddy zog instinktive ihr Bettzeug glatt, kroch geschwind in ihren Bettkasten und hielt den Atem an. Der Eindringling bewegte sich hinunter in die Schlafräume, stand kurz still, durchquerte ihr Zimmer und wendete sich dem angrenzenden Schlafraum ihres Vaters zu. Kurze Zeit später hörte sie ihn zurück in die Küche steigen. Die nächsten Geräusche konnte sie nicht recht zuordnen. Ein Stöhnen und unterdrücktes Murren. Ein lauter Knall ließ sie zusammenzucken. Sie zitterte am ganzen Körper. Was war das? Ein Schuss? Hört sich so ein Schuss an? Nein, nein das muss etwas anderes gewesen sein.

Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals hinauf.

Eine Weile blieb es seltsam still, dann ertönte der Motor eines sich rasch entfernenden Schnellbootes, dessen Bugwelle die MS- Möwe leicht schaukeln ließ. Das Wasser lief deutlich hörbar durchs Gangbord des beladenen Schiffes und zurück in den Fluss. Es musste nahe an der Backbordseite, Richtung Bug, entlanggefahren sein. Nach kurzem Zögern verließ Maddy ihr Versteck und spähte erneut vorsichtig durch das Bullauge hinaus in die vom Mond beleuchtete sternenklare Nacht. Niemand war mehr zu sehen.

„Mist!“, murmelt sie. „Unser Schiff treibt rückwärts zu Tal.“

Das Mäusemädchen eilte hinauf ins Ruderhaus und versuchte verzweifelt den Motor in Gang zu setzen, während sie die Umgebung nicht aus den Augen ließ. Wenn ich den Motor nicht anbekomme, laufen wir auf Grund oder schlagen uns am steinigen Ufer ein Leck. Auf Zehenspitzen am Haspel stehend versuchte sie die MS Möwe im Fahrwasser zu halten. Ihre Gedanken rasten: Was soll ich nur tun? Die Strömung drückt uns immer weiter quer zur Fahrrinne. Die Möwe ist zwar nicht gerade lang mit ihren zwei Laderäumen, auch der Tiefgang ist gering, aber quer im Fluss liegen ist gefährlich.

Die Stimme ihres Vaters hallte noch in ihren Ohren: Teile unserer Fracht sind geheim, es ist besser, wenn ihr da nichts von wisst. Der Wasser-Wachtler hat mich gewarnt. Ich weiß nicht was passieren wird, aber eines ist ganz wichtig, die Fracht muss hinauf zu ihm, egal was auch immer geschieht.‘

Sie fasste sich an den Kopf und rief: „Ich bin sowas von blöd!“ Ausgerechnet jetzt schob sich eine Wolke vor den Mond und verdeckte ihn zum Teil. So schnell es Maddy mit dem wenigen Licht der Toplaterne am Mast auf dem Vorschiff und der Beleuchtung im Ruderhaus in der ansonsten Sternenklaren Nacht möglich war, rannte sie durch das rechte Gangbord, neben den Laderäumen entlang, bemüht nicht über die darin befindlichen Poller, zum Befestigen des Frachters an Land, zu fallen, zum Bug des Schiffes und löste den großen Anker am Vorschiff. Kettenrasselnd und mit einem lauten Platschen sauste er ins Wasser. Jetzt kann die Möwe wenigstens nicht mehr weiter Flussabwärts treiben. Maddy kehrte zurück ins Ruderhaus und hielt mit einer Hand am Haspel das Schiff in seiner Position. Nun muss ich nur noch verhindern, dass die Möwe sich quer zur Fahrrinne legt oder am Ufer anschlägt.

Weitere Versuche, den Motor zu starten scheiterten kläglich. Egal wie oft sie den Schlüssel drehte, außer einem unwilligen Wummern tat sich nichts.

„Verflucht nochmal, warum bekomme ich den blöden Diesel nicht in Gang?“, schimpfte sie der Verzweiflung nahe vor sich hin. „Irgendetwas mache ich falsch. Ruhig bleiben Maddy, ganz ruhig.“

Ob ich den Heckanker auch noch fallen lasse, dachte sie und schaute auf das vom Mond erhellte Wasser hinaus zum gegenüberliegenden Ufer. Was treibt denn da? Sieht merkwürdig aus. Hat das Ohren? Nein. Doch, doch das ist kein Treibgut, da schwimmt jemand. Die Brühe ist doch viel zu kalt dafür. Was für ein Spinner. Moment mal, der schwimmt gezielt auf unsere Möwe zu. Noch ein Eindringling, das hat mir gerade noch gefehlt.

Maddy begann zu schwitzen und löschte schnell das Licht im Ruderhaus. Eilig tastete sie sich die wenigen Stufen zur Küche hinunter, griff die gusseiserne Bratpfanne von der Wand und eilte ins Ruderhaus zurück. Dort brachte sie sich zu allem entschlossen mit hocherhobener Pfanne in Position. „Nun trau dich herein“, grummelte sie leise, „ich werde es dir schon zeigen.“

Ein Schatten hievte sich ins Gang Bord. Triefendnass schlich er in geduckter Haltung in Richtung Ruderhaus.

Die nächsten Mäusesekunden kamen Maddy vor wie eine Ewigkeit. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Langsam wurde die Klinke heruntergedrückt und die Tür einen Spalt geöffnet. Eine dicke Knubbelnase schob sich angestrengt schnuppernd durch die schmale Öffnung zwischen Tür und Rahmen, dann erschien ein Auge und lugte vorsichtig hinein. Maddy eben noch bereit, dem Unbekannten eins überzubraten senkte langsam die Pfanne.

„Bodo!“ rief sie erleichtert, „Bin ich froh, dass du das bist. Wir müssen den Motor starten.“ Bodo, eine Wasserratte und Matrose auf der MS Möwe schob seinen triefendnassen Körper vollends ins Ruderhaus, und startete mit nur wenigen Handgriffen den Motor. Der Diesel ließ das Schiff leicht vibrieren. Bodo schaute sie fragend an.

„Wieso häst du datt nich allein geßafft, watt häßt du denn mookt?

Maddy errötete: Ich Dussel, habe in der Aufregung gar nicht ans Vorglühen gedacht.

„Soll ich de Sucher anmoken?“ Mit seiner Frage riss Bodo Maddy aus ihren peinlichen Gedankengängen.

„Nein, das Licht des Mondes muss zunächst genügen. Niemand soll mitbekommen, dass unsere Möwe nicht mehr hilflos in der Mitte des Morewuh treibt. Geh, hol den Anker wieder rauf und zieh dir was trockenes an.“

„Eye, Eye, Käpt’n!“ Bodos Stimme klang spöttisch von einem breiten Grinsen unterstrichen.

„Mach schon Bodo!“ Maddy deutete mit der Hand zum Vorschiff. „Später, erzählst du mir, warum du um diese Zeit schwimmen warst.“

Mit äußerster Vorsicht steuerte Maddy das Schiff in einen der vielen Nebenarme des Flusses, dort gingen sie erneut vor Anker und setzten sich, nachdem Bodo trockene Sachen angezogen hatte, zur Beratung zusammen.

„Hast du gesehen wer meinen Vater und das Fräulein Rosa geholt hat?“ Der Matrose zuckte nur mit den Achseln.

„Keine Ahnung nich, ich dacht datt du watt sehen haben tätest.“

„Was um alles in der Welt hat dich bewogen mitten in der Nacht schwimmen zu gehen und wieso haben die dich nicht geschnappt?“ Bodo rubbelte sich mit einem Handtuch den Kopf trocken.

„Dien Voder hät sächt ich soll in Bach jummpen un an Land schwummen, wie die kommen sün. Von da drüben kunnt ich nix nich erkennen, nur datt de wedder wech fuhren und datt unsern Kahn abtreiben tut. Denn bün ich turüch swummen.“

Maddy seufzte erleichtert.

„Ich bin echt froh, dass du so ein guter Schwimmer bist!“

Bodo winkte lässig ab.

„Datt wird uns Woderratten in die Wiegen lecht, nix Besunders nich. Wie geht nu weiter, watt schall wi moken?“

„Ach Bodo“, seufzte Maddy, „wenn ich das nur wüsste. Was können wir tun, um meinen Vater und Rosa zu befreien? Wo hat man sie hingebracht? Wer waren die?“

„Na, ob wi do watt moken kunn, ich denk ma nich.“

Maddys eben noch besorgter Gesichtsausdruck hellte sich kurz auf. „Moment mal!“, rief sie, sprangt auf und eilte polternd die Treppe zum Ruderhaus hinauf. Suchend schaute sie sich um und murmelte: „Was hat Papa mir mit seinem Blick mitteilen wollen? Hier muss irgendetwas sein.“ In der linken Ecke entdeckte sie einen Schemel, der früher noch nicht hier stand. Ein kurzes Lächeln huschte über ihr Gesicht.

Den hat Papa für mich gekauft damit ich am Haspel stehend alles überblicken kann. Sie hob ihn hoch und stellte ihn an seinen Platz. Dann habe ich ihn morgen gleich parrat, blöde, dass ich ihn eben nicht entdeckt hatte. Es wäre um einiges leichter gewesen am Haspel zu stehen und das Schiff zu steuern.

Bodo rief von unten: „Suchste watt?“

„Ja, ich dachte Papa hätte hier irgendetwas für mich hinterlegt, aber ich finde nichts“, rief sie resigniert zurück. Sie öffnete alle Schiebetüren hinter dem Haspel, zog die darin befindlichen Gegenstände vor, nichts. Mit ungehaltenem Schwung flogen die Türen wieder zu. Sie gab schließlich resigniert auf. „Ich habe seinen Blick vielleicht falsch gedeutet.“

Sie wollte gerade hinunter in die Küche gehen, als ihr Augen den Papierkorb in der Ecke erfassten. Mit zittrigen Fingern ergriff sie das zusammengeknüllte Papier darin und trugt es wie einen Schatz hinunter in die Küche. Dort faltete sie den Zettel auseinander und las laut vor, was ihr Vater offensichtlich in Eile darauf gekritzelt hatte:

Maddy, egal was passiert, bring die Ladung ans Ziel. Suche nicht vorn oder hier, such‘ unter den Segeln. Ich …

Bodo meinte anerkennend: „De Alde Fuchs dä, aber watt tut er mit den letzten Satz meinen tun?“

Maddy überlegte eine ganze Weile. Nur das Plätschern der Wellen war zu hören, welche rhythmisch gegen die Bordwand schlugen.

Der Matrose schaute ihr dabei erwartungsvoll zu.

Bün geßpannt, watt se nu moken tut, dachte er.

Einerseits brannte Maddy darauf zu erfahren, wer ihren Vater verschleppt hatte und wohin, andererseits war da die wichtige und eilige Ladung.

„Papa hat am Abend gesagt, dass unsere Ladung so schnell wie nur irgend möglich zum Oberlauf des Morewuh gebracht werden muss.“ Der Matrose schaute sie fragend an.

„Du wüllst doch nich de Lodung ohne dien Voder Flussaufwärts schippern, datt kannst du doch gar nie nich.“

Auf Maddys Stirn bildete sich eine steile Falte.

„Und ob ich das kann. Wofür war ich auf der Steuermannschule, wenn nicht dafür.“

Bodo schaute misstrauisch und entgegnete: „Datt is aber erst paar Tagen her, datt du beßtanden haben tust.“

Maddy erhob sich und stemmte entschlossen ihre Fäuste an die Hüften.

„Abschluss ist Abschluss. Ich habe den Kahn schließlich auch hier in den Seitenarm gesteuert! Bis wir Papa gefunden haben ist vielleicht alles zu spät wofür auch immer. Die Ladung scheint von äußerster Dringlichkeit. Sonst wäre Papa niemals in der Nacht gefahren und hätte mir nicht diese Nachricht hinterlassen.“

Bodo schaute sie verdutzt an, kratzte sich am Hinterkopf und meinte: „Na denn, du büst de Boss nu, lass uns Morgen, wenn datt hell werden tut losfahren, bevor ich mir datt ausreden tu. Gute Nacht! Ik mok de erste Wache.“

„Nein“, widersprach Maddy energisch, „die Erste übernehme ich, geh du ins Bett, ich wecke dich dann um Mitternacht. Wenn ich morgen steuern will, sollte ich ausgeschlafen haben.“

Maddy saß hellwach im Schneidersitz auf der geschlossenen Klappe, die den Aufgang zur Küche bei Bedarf abdeckte, viele Dinge gingen ihr durch den Kopf. Immer wieder schreckte sie hoch, wenn sie glaubte etwas zu hören, was nicht zu hören sein dürfte. Ein leises Knietschen oder einem Jammern ähnlich. Jedes Mal lauschte sie angestrengt in die Dunkelheit, doch sie schien sich immer getäuscht zu haben.

Morgen werde ich erst mal die Frachtpapiere raussuchen, dachte sie. Ich will schließlich wissen, was hier so eilig zum Wasser-Wächtler an den Oberlauf muss. Wenn ich nur wüsste, was es bedeutet: Suche nicht vorn, suche nicht hier, suche unter den Segeln das Ziel.

Sie versuchte mit den Augen die Dunkelheit zu durchdringen, doch es führte nur dazu diese ermüden zu lassen. Energisch fuhr sie sich mit beiden Händen über das ganze Gesicht.

Kurz nach Mitternacht lief Maddy im Licht des beweglichen Suchscheinwerfers, welcher an der Außenseite des Ruderhauses befestigt war zur Wohnung im Vorschiff, um Bodo zu wecken, damit er die nächste Wache übernahm. Sie war hundemüde und gähnte herzhaft. Gerade, als sie an Bodos Tür klopfen wollte, stutzte sie.

Was war das? Sie schloss die Augen und horchte angestrengt auf die Geräusche des Flusses. Das Gluckern der Wellen, normal. Das knirschen der Ankerkette im Ankerloch, normal. Da, was ist das? Da schlägt etwas gegen den Bug, oder doch nicht? Schon wieder. Das muss zwischen Ankerkette und Bugspitze sein. Vielleicht ein Stück Treibgut.

Sie weckte Bobo. Der streckte seinen Kopf zur Tür heraus und meinte verschlafen: „Watt ßlächt denn do tüssen Ankerkett und Bug dauernd an? Datt tut nerven tun.“

„Ich wollte gerade nachsehen.“ Maddy beugte sich, soweit sie konnte über die Reling und versuchte in dem wenigen Licht der Toplaterne, oben am Mast, etwas zu erkennen. „Hast du mal eine Lampe, Bodo? Scheint was Größeres zu sein.“ Der Gefragte wischte sich den Schlaf aus dem Gesicht, holte seine Taschenlampe aus der Kommode in seinem Wohnraum und trat damit zu ihr. Der Schein der Lampe huschte über das leicht wellenschlagende, am Bug endlangfließende, Wasser. Ihr Kegel erfasste ein großes Stück Treibholz zwischen Ankerkette und der Bugspitze. Die Wellen ließen es sanft auf und ab dümpeln und drückten es immer wieder gegen die Bordwand.

„Was ist das?“, rief Maddy. „Auf dem Holz liegt doch jemand, schau, siehst du das auch?“

Bodo knirschte durch seine Vorderzähne: „Hol einen Flierhaken Deern aber flott. Hoffentlich tut datt noch leben tun.“ Sie kam seiner Aufforderung eilig nach und nahm den geforderten Haken, welcher an einer langen, hölzernen Stange befestigt war, aus der Halterung an der Außenwand von Bodo’s Wohnung.

„Ik wüll versöken“, erklärte er, „datt Treibholz mit seine Fracht zu lösen und um den Bug röm op de Stüerbordseite zu manövreeren.“ Er beugte sich vornüber und begann mit seinen Bemühungen. Es dauerte nicht lange, bis man ihn fluchen hörte. „Verdammich noch mol, datt Ding wüll nich wie ik wüll. Maddy, geh an ßteuerbord und pass auf, datt et uns nich wechdriewen tut.“

Maddy beeilte sich ins Gangbord zu kommen. Bodo rief: „Nu kommt ett, pass op!“ Maddy schaute angestrengt auf das vorbeifließende Wasser. Schon kam das Treibgut angeschwommen. Sie lag auf ihren Knien im Gangbord, griff beherzt zu und bekam einen Arm zu fassen. Keine Sekunde zu spät, denn das Treibholz wurde von einem Strudel erfasst und sogleich unter Wasser gedrückt. Mit viel Mühe konnte sie das arme Geschöpf halten. „Bodo!“, schrie sie. „Bodo, schnell ich kann es bald nicht mehr halten. Der Kopf rutscht dauernd unter Wasser. Es bewegt sich nicht. Wo bleibst du denn?“

Eine große Hand packte das Wesen am Schopf.

„Ich bün ja schon do!“, sagte er mit seiner ihm angeborenen Gelassenheit. Mit der zweiten Hand griff er den frei herum baumelnden Arm. „Nu, op drie, eein, tweei und driee!“ Gemeinsam wuchteten sie das völlig durchnässte und mit allerlei Unrat bestückte Wesen an Deck.

Alle Viere von sich gestreckt lag es reglos auf den Luken und begann plötzlich zu husten. Wasser kam in Sturzbächen aus seinem Mund. Bodo hob ihm den Kopf an und sagte: „Immer rut mitten Dreck.“

„Fundsachen“

Maddy ließ das Licht von Bodos Taschenlampe über den leblos liegenden Körper gleiten.

„Ich nehme erst Mal den ganzen Krempel weg“, sagte sie und befreite ihn von allem, was sich im Wasser daran gehängt hatte: Gräser, Wasserpflanzen, Laub und Abfälle. Um festzustellen, ob noch Leben in diesem Wesen weilte, legte sie ein Ohr an deren Brust und lauschte angestrengt. Erleichtert sagte sie: „Das Herz schlägt regelmäßig.“ Maddy hob ihren Kopf und betrachtete das arme Geschöpf. „Was ist das denn, Bodo?“, fragte sie staunend. „Hast du schon mal ein hellgraues Eichhornmädchen gesehen?“ Der schüttelte nur stumm den Kopf. „Bring es bitte in die Küche und mach danach schnell Badewasser! Sorg bitte dafür, dass wir noch heißes Wasser nachschütten können, es ist stark unterkühlt. Ich will versuchen, es langsam aufzuwärmen.“ Er trug das schlaff auf seinen starken Armen hängende Eichhörnchen, gefolgt von Maddy, nach Achtern übers Ruderhaus hinunter in die warme Wohnung und legte es vorsichtig auf den Küchentisch.

Maddy zog der langsam zu sich kommenden Schiffbrüchigen die nassen Sachen aus, wickelte sie in ein großes Badehandtuch und rubbelte sie ordentlich durch, nicht nur um sie zu trocknen, sondern auch, um ihren Kreislauf in Schwung zu bringen.

Der Matrose hatte den Einkochkessel von der kompakten Anrichte genommen und war damit hinausgegangen, um ihn mit Wasser aus dem Morewuh zu füllen. Man konnte drinnen hören, wie er den Pütz immer wieder ins Wasser warf und an der Bordwand entlang geräuschvoll wieder hochzog.

Das frierende Eichhornmädchen schlug langsam ihre Augen auf und murmelte verwirrt um sich schauend mit klappernden Zähnen: „Wo b – bin ich, b – bist du ein E - Engel?“

„Nein“, antwortete Maddy schmunzelnd, „zum Engel tauge ich wahrlich nicht. Du bist auf unserem Frachtschiff, der MS Möwe. Ich heiße Maddy und wer bist du? Wie kamst du in den Morewuh?“ Die Antwort war ein kaum zu vernehmendes Gemurmel, was Maddy die Frage wiederholen ließ.

„Lilliybell“, hauchte sie.

„Und wie heißt du weiter?“ Maddy schaute ihrem unfreiwilligen Gast tief in die traurigen Augen und erkannte, dass es keinen Sinn machte weiter zu fragen.

Inzwischen kehrte Bodo mit dem gefüllten Kessel in die Küche zurück und entzündete alle vier Flammen des Gasherdes neben der Anrichte. Er wuchtete den vollen Kessel darauf und meinte: „Nu kann die Deern gleich fix in warm Woder, dann word datt bolt bedder wern!“ Lilliybell richtete sich auf und glitt vorsichtig vom Tisch hinunter, ihre Beine gaben nach und sie ließ sich auf einen der beiden vorhandenen Stühle sinken.

„Wo wolltest du hin?“, fragte Maddy und zog eine Augenbraue hoch.

„I, – ins B, – Bad, ich so - oll d, _ doch in wa, - warmes Wa, - asser, o – oder?“ Sie klapperte immer noch vernehmlich mit ihren Zähnen.

Bodo schmunzelte und meinte lakonisch: „Nu tut et ihr schütteln.“ Er rührte mit einem langen Kochlöffel in dem Kessel herum, um das Erhitzen zu beschleunigen. „Bad? Häb wi nich.“

„K, – kein B, – B, – Bad? Auf keinen F, – Fall setze ich mich in eu, – euren Einkochke, – kessel!“

„Wir haben zwar kein Bad, Lilliybell, aber dennoch eine Badewanne“, erklärte Maddy geduldig. „Bodo mach sie auf, füll sie und dann verschwinde.“ Der angesprochene räumte die Brotschneidemaschine und den Brotkasten von der ungewöhnlich breiten und langen Anrichte und nahm die Arbeitsplatte herunter. Zum Vorschein kam eine geräumige Badewanne. Bodos Gesicht drückte großes Erstaunen aus, als er hineinschaute.

„Nanu!“, entfuhr es ihm. „Watt datt denn? Maddy kiek mol in!“ Das graue Mäusemädchen runzelte die Stirn und erhob sich. Sie ging zur Wanne hinüber und schaute hinein.

„Oh nein!“, rief sie entsetzt, „schnell hol die Ärmste da raus.“ Bodo hob die geknebelte und wie ein Postpacket verschnürte Hamsterdame Rosa Blümlein mit Schwung aus der Wanne und stellte sie vorsichtig auf ihre Füße. „Ich wickle sie aus und du schüttest das heiße Wasser in die Wanne. Denk dran, für den Anfang nicht ganz so heiß.“

Der Matrose kam mit routinierten Handgriffen der Aufforderung nach?

Rosa, die inzwischen befreit auf der Eckbank saß, rieb intensiv ihre Handgelenke, um wieder Gefühl in ihre Hände zu bekommen und fluchte leise vor sich hin.

„Tut dir was weh? Haben diese Barbaren dir dich verletzt?“, fragte Maddy besorgt. „Ich helfe eben Lilliybell in die Wanne, dann kümmere ich mich um dich. Ich war der Überzeugung, sie hätten dich auch mitgenommen.“

Rosa meinte: „Geht schon, ich komme zurecht. Sagt mal, hört ihr das auch? Was fällt da dauernd ins Wasser und dann dieses komische rhythmische Schaben, das hörte ich soeben schon.“

Maddy lauschte kurz und erklärte: „Ach, das ist Bodo, der füllt mit der Pütz den Einkochkessel.“

„Was bitte ist ein Pütz?“ Rosa schaute Maddy ratlos an.

„Das ist ein Zinkeimer“, erklärte sie geduldig. „an dessen Henkel eine lange Leine befestigt ist. Der wird mit der Öffnung nach unten ins Wasser geworfen und mit Hilfe der Leine, wenn er vollgelaufen ist, wieder an Bord geholt.“ Die Hamsterdame und das Eichhörnchen Mädchen hatten aufmerksam zugehört. Bodo kam mit dem vollen Kessel herein und kühlte das heiße Wasser in der Wanne herunter. Als er damit fertig war schickte Maddy ihn unmissverständlich hinaus: „Danke Bodo, nun aber raus mit dir!“

„Bün ja schon wech“, grummelte er, und verließ die Wohnung. „Ik mut eh op Wache!“ Er ging hinauf ins Ruderhaus, schloss die Klappe über der Treppe und die Türen davor.

Das Mäusemädchen schob einen Schemel vor die mit Holz verkleidete Badewanne und ließ Lilliybell, von ihr gestützt, hineinsteigen. Diese genoss sichtlich das warme Bad. Maddy reichte ihr ein dickes Stück Kernseife und eine weiche Badebürste.

„Immer feste Schrubben, damit die Spuren von dem ganzen Dreck, der an dir hing, abgehen! Ich besorg dir was zum Anziehen.“ Sie lief die wenigen Stufen in die Schlafräume hinunter. Rosa erhob sich, immer noch ein wenig wackelig auf den Beinen.

„Es liegt mir nicht nur herumzusitzen und mich bedienen zu lassen! Ich koche uns eine Kanne Tee und werde die Betten vorbereiten.“

Maddy betat gerade, mit einigen Kleidungsstücken und frischen Handtüchern auf dem Arm, den Raum.

„Bist du sicher, Rosa, dass du das schaffst? Die Betten übernehme ich selbst. Lilliybell kann meins haben, ich nehme das Ehebett.“

„Wir kommen hier zurecht“, meinte die Hamsterdame. „Du solltest dringend schlafen gehen, die Nacht hat nur noch wenige Stunden.“ Maddy lehnte sich erschöpft in den Türrahmen zu den Schlafräumen hinunter und gähnte herzhaft.

Erst jetzt bemerkte sie ihre Müdigkeit.

„Du hast Recht, ich sollte schon seit einer Mäusestunde schlafen. Bist du sicher, dass ihr allein zurechtkommt?“

„Klar!“, versicherte Rosa, „Ich wecke dich, sobald die Sonne aufgeht. Schlaf gut!“

„Nicht nötig, ich stelle mir meinen Wecker“, Maddy schenkte ihr ein verlegenes Lächeln. „Es tut mir leid, dass ich nicht bemerkt habe, dass man dich gefesselt in die Wanne gelegt hatte! Ich dachte, die Angreifer hätten dich ebenfalls mitgenommen. Wie die den Deckel haben zuknallen lassen, habe ich geglaubt es könnte ein Schuss gewesen sein.“ Bevor Rosa etwas erwidern konnte verschwand Maddy unten in den Schlafräumen.

Rosa wandte sich Lilliybell zu, half ihr aus der Wanne und rubbelte sie mit einem frischen Handtuch trocken. Anschließend föhnte sie ihr das Fell. Nach einer Weile ließ sie überrascht den Föhn sinken.

„Wow, nass war dein Haarkleid komplett grau, doch nun strahlt es schneeweiß und deinen dicken weißen Puschelschwanz zieren rosé Spitzen, genauso wie die zarten Haarbüschel an deinen Ohren. Du bist eine Schönheit.“ Lilliybells Wangen färbten sich leicht rötlich.

Rosa half ihr in das von Maddy gebrachte Nachthemd, die Hausschuhe und den Bademantel. „Ich habe nicht mitbekommen, wie und warum du auf diesem Schiff bist und wo du herkommst?“ Das Eichhornmädchen senkte die Augenlieder, um dem fragenden Blick ihres Gegenübers auszuweichen. Es machte nicht den Anschein, als wolle es antworten. Ohne weiter nachzubohren, reichte Rosa ihr eine heiße Tasse Kräutertee und nahm sich selbst eine. Schweigend tranken sie Schluck für Schluck. Anschließend brachte Rosa Lilliybell ins Bett. „Deine Kleidung“, erklärte sie beim Hinausgehen, „waschen wir Morgen. Ich bin gespannt, ob davon noch alles zu gebrauchen ist.“ Gleichmäßige Atemzüge verrieten ihr, dass Lilliybell bereits eingeschlafen war. Rosa wendete sich ab, zuckte kurz mit den Schultern und nahm die wenigen Stufen zur Küche hinauf. Dort füllte sie zwei Tassen mit Tee und ging damit hinauf ins Ruderhaus.

„Hier Bodo, trink, wird dir guttun!“ Sie lächelte den auf einem Stuhl in der Ecke sitzenden Matrosen freundlich an. „Wo sind wir hier?“ Sie versuchte in dem Zwielicht draußen irgendetwas zu erkennen.

„Wi sünd in en Siedenarm van den ßtrom, nich wiet von die ßtelle, wo se uns kapert häm.“

„Häh?“, Rosa sah ihn fragend an. „Was ist das blos für eine Sprache, die du da sprichst? Ich verstehe nicht alles was du sagst.“ Bodo schaute sie treuherzig an und erklärt unter großer Anstrengung: „Datt nennt wi, äh. Das nennen wir Schifferplatt, datt, – nee, – das ßprechen Leute wie ich, die ihr ganzes Leben op, – nee, – auf den Flüssen des Traumutopien verbracht haben tun und alle Dialekte aus die verßiedenen bereisten Länders vermischen tun.“ Schweißperlen auf seiner Stirn verrieten, wie sehr er sich verausgabt hatte. „Würst sehn, datt lernst du dich ßnell.“ Rosa schmunzelte und nahm ihren letzten Schluck Tee.

„Soll ich dir noch ein wenig Gesellschafft leisten, Bodo?“

„Nee lass man, datt viele Gesabbel licht mich nich. Geh in Bett un slop, äh – schlaf gut!“ Er schaute Rosa gutmütig grinsend an.

„Ich kann auch ohne zu Reden Gesellschaft leisten“, kam es flüsternd von ihren Lippen. Eine leichte Röte überzog ihr Gesicht. Erwartungsvoll schaute sie ihn an, doch er schaute nur stur in die Dunkelheit hinaus. „Na gut, ganz wie du meinst. Dann bleib schön wach und pass gut auf uns auf“, meinte sie verlegen und brachte die leeren Tassen zurück in die Küche.

Dort schaute sie sich um. An der Wand links über der Eckbank befanden sich zwei eingebaute Regale, darüber zwei mittelgroße Schranktüren, worin sie soeben den Tee gefunden hatte. Daneben, zwischen Eckbank und Treppe hinunter in die Schlafräume stand ein Kühlschrank, nicht übermäßig groß, aber völlig ausreichend. Links neben der Treppe nach unten entdeckte sie einen Vorratsschrank. Unter dem Fenster an der Wand zwischen Badewannenanrichte und Vorratsschrank stand eine Spüle mit einer Schwengelpumpe zur Beförderung des Trinkwassers aus dem Vorratstank unten im Bauch des Frachtschiffes ins Waschbecken. Ohne großen Lärm zu verursachen, wusch Rosa die wenigen Tassen ab und räumte sie unter die Spüle, in die dort befindlichen Unterschränke.

So leise wie möglich stieg sie die wenigen Stufen in die beiden Schlafräume hinunter und schaute sich auch dort um. In Maddys Zimmer standen sich zwei Betten gegenüber, mit je einem Bettkasten an den Fußenden. Zwischen den Betten standen zwei Holzstühle, sie dienten zur Ablage der getragenen Kleidung für die Nacht.

Lilliybell lag ruhig schlafend in Maddys Bett, unter dem an der Wand eingelassenen Bullauge. Rechts stand die Tür zum zweiten Schlafraum offen. Rosa erkannte in dem abgedunkelten Raum ein großes Ehebett, über dem ebenfalls ein Bullauge nur spärlich Licht hereinließ. Maddy wirkte etwas verloren in dem Doppelbett, welches neben dem Eingang fast den ganzen Raum einnahm. Rosa wendete sich nach rechts um und stand vor einem eingebauten Kleiderschrank mit drei Schiebetüren, die mittlere zierte ein großer Spiegel.

Du meine Güte, ich habe auch schon mal besser ausgesehen, dachte sie bei ihrem Anblick. Meine Haare stehen zu Berge und meine Kleidung verlangt nach einem Bügeleisen. Sie schüttelte unwillig ihren Kopf und strich sich mit beiden Händen das Haupthaar glatt. Im Nebenraum entdeckte sie eine weitere Tür. Neugierig ging sie leise dort hin, drückte die Klinke herunter und zog sie auf. Erleichtert seufzte die Hamsterdame und dachte, die Toilette, wie praktisch. Sie betätigte den Lichtschalter in dem kleinen Fensterlosen Raum und verriegelte die Tür von innen.

Nebenan im Doppelbett öffnete Maddy ihre Augen und schloss sie sogleich wieder. Ihre Gedanken wirbelten immer noch haltlos durch ihren Kopf. Panik wollte sich in ihr breit machen. An Schlaf war nicht zu denken. Hoffentlich merkt Rosa nicht, dass ich noch nicht schlafe, auf eine Unterhaltung habe ich grad so gar keine Lust. Sie ist zwar nett, aber jetzt will ich nicht.

Sie schauderte innerlich. Oh, mein Gott. Mein Vater wurde entführt! Ich bin allein. Allein für das ganze Schiff verantwortlich. Ich allein habe jetzt die Verantwortung. Das wäre Papa wahrscheinlich überhaupt nicht recht. Sie verzog mit geschlossenen Augen das Gesicht, als sich ihre Gedanken von der Gegenwart abwandten und ungebeten in die Vergangenheit flohen. Papa hat sich immer einen Sohn gewünscht, der mal seine Möwe übernimmt. Ich habe oft schon als kleines Mädchen mitbekommen, wie er darüber mit Mutter gesprochen hat. Mama hatte da ihre eigene Meinung, sie hat stets an mich geglaubt. Doch das konnte ihn so gar nicht trösten. Ich werde wohl immer wieder beweisen müssen, dass ich als Frau sehr wohl in der Lage bin ein Frachtschiff zu betreiben und meine Frau zu stehen. Seit Mamas Tod, ist es auch nicht besser geworden. Eher schlechter sogar, nichts kann ich ihm wirklich recht machen. Wenn ich nur wüsste, was er mit dem letzten Satz gemeint hat? Suche unter den Segeln, wir haben keine Segel. Ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer schmalen Brust. Sie hielt kurz den Atem an und lauschte angestrengt. War das gerade die Toilettentür? Sie hörte wie Rosa sich nebenan in das leicht knarrende Bett legte. Maddy dreht sich auf die andere Seite und versuchte endlich Schlaf zu finden. Sie sah vor ihrem geistigen Auge, wie die fremden Soldaten ihren Vater verschleppten. Fröstelnd wickelte sie sich fester in ihre Decken ein. Was soll ich nur tun, wenn er nie zurückkommt, schaffe ich wirklich schon alles, was man auf einem Schiff tun muss, um davon existieren zu können. Ein dicker Klos in ihrem Hals nahm ihr fast die Luft zum Atmen. Sie setzte sich auf und versuchte tief durchzuatmen. Jetzt nur keine Panikattacke bekommen, Maddy, ganz ruhig und tief Atmen. Es dauerte etwas, doch letztlich schaffte sie es sich zu beruhigen. Es dauerte dennoch gefühlt recht lange, bis sie in einen unruhigen Schlaf fiel. Im Traum sah sie ein großes Segelschiff mit weißen Segeln auf den Wellen des großen Ozeans auf und ab tanzen.

Rosa hatte es sich inzwischen im zweiten Bett in Maddys Zimmer gemütlich gemacht. Ihre Gedanken ließen auch sie nicht gleich zur Ruhe kommen. Auf was habe ich mich da nur eingelassen? Wäre ich bloß daheim geblieben. Mussten die so grob zu mir sein? Ob Maddy wirklich in der Lage ist dieses Schiff mitsamt seiner Ladung den Morewuh hinaufzusteuern? Hoffentlich nicht, es kann wer weiß was passieren, wenn sie es versucht.

Ein ungutes Gefühl beschlich sie, sie hustete kurz.

Es dauerte lange bis auch sie im Land der Träume angekommen war.

Das Metallicon

Rosa wachte schon vorm Morgengrauen auf. Das Beste wird sein, ich stehe schon mal auf, schlafen kann ich eh nicht mehr, dachte sie gähnend, kratzte sich hinter ihrem linken Ohr und schwang die Beine aus dem Bett. Nach allem, was zu einer Morgentoilette gehörte, schlüpfte sie in ein buntes Kleid, das sie aus ihrem Koffer zog, band die grüne Schürze um, welche sie auf einem Stuhl in der Küche gefunden hatte. Ich mach erst mal Kaffee. Das Wasser, zum Kaffee brühen säuselte bald auf dem Gasherd in einem alten Flötenkessel, als sie sich die alte Kaffeemühle zwischen ihre Beine klemmte und eifrig an deren Kurbel drehte. Der Duft von frischem Kaffeemehl strömte ihr aus deren Schublade entgegen. Den ersten Kaffee bringe ich zu Bodo hinauf ins Ruderhaus. Bei dem Gedanken umspielte ein sanftes Lächeln ihren Mund.

Der Kessel gab durch lautes Pfeifen bekannt, dass sein Inhalt nun heiß genug sei.

„Moin!“, war alles was Bodo von sich gab, als sie mit der ersten Tasse das Ruderhaus betrat.

„Guten Morgen Bodo“, hauchte sie und reichte ihm den Kaffeebecher. „Ist etwas nicht in Ordnung? Du scheinst müde zu sein. Kein Wunder, du bist ja schon seit Mitternacht auf den Beinen.“ Er schaute sie ernst an, nahm die Tasse entgegen und trank vorsichtig den ersten Schluck.

„Los, tu Maddy wecken, wi mutt so ßnell datt gehen tut hier wech.“

„Warum das denn?“ Rosa sah sich nach einer Ursache für die Eile um, konnte aber nichts entdecken. Bodo schrubbelte demonstrativ seine dicke Nase und brummte: „Frach nich lang, tu watt ich dich sächt häb. Min Gummel tut jucken, datt mut di langen.“

„Was tut wer?“ Rosa hatte mal wieder nicht viel von dem verstanden was Bodo von sich gab.

„Oh nee, oh nee, meine Nase tut jucken, verßtehsde datt?“ Schon wieder rubbelte er unsanft über seinen Riechkolben. Rosa fragte nicht weiter und lief hinunter ins Schlafzimmer. Sie schaltete die Deckenleuchte an, eilte zu dem Fenster am Fußende des Bettes, riss die Gardinen auf und rief: „Maddy, aufwachen, das Frühstück ist gleich fertig und Bodo meint, wir sollten jetzt sofort die Anker lichten.“ Maddy kniff ob der plötzlichen Helligkeit ihre Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, runzelte die Stirn und murmelte halb aufgerichtet und schlaftrunken: „Hat er gesagt, warum er es so eilig hat?“

„Na ja, wenn ich ihn richtig verstanden habe, meinte er seine Nase würde jucken.“

Wie von der Tarantel gestochen hüpfte Maddy, plötzlich hellwach aus dem Bett und in ihre Kleidung, raste die Treppe zur Küche hinauf und rief über die Schulter, während sie bereits die Treppe zum Ruderhaus hinauf flitzte: „Bring mir bitte das Frühstück nach oben, keine Zeit!“

Was geht denn hier ab?, dachte Rosa und folgte ihr kopfschüttelnd mit einem heißen Becher Kaffee ins vom Matrosen bereits verlassene Ruderhaus. Fragend schaute sie Maddy an.

„Was hat es mit Bodos Nase auf sich?“ Doch diese ignorierte die Frage, setzte den Diesel in Gang und streckte den Kopf zum Ruderhaus hinaus.

„Bodo!“, schrie sie so laut sie konnte in Richtung Bug. „Bodo! Anker auf!“ Schon ertönte das Rasseln der Ankerkette, welche vom Matrosen mittels einer Kurbel auf ein großes, horizontal liegendes Zahnrad aufgewickelt wurde. Das Schiff setzte sich in Bewegung und Maddy brachte es mit Geschick aus dem Seitenarm hinaus auf die Mitte des Stromes, bevor sie schließlich antwortete.

„Wenn Bodos Nase juckt, ist das immer kein gutes Zeichen. Es kann alles bedeuten, nur eben nichts Gutes.“ Sie konzentrierte sich auf die Fahrrinne und verfiel in dumpfes Brüten. Für die Schönheit des vorbeigleitenden Hörnchenburgerlandes hatte sie heute keinen Blick.

Rosa setzte an etwas zu sagen, unterließ es aber, um Maddy nicht in ihrer Konzentration zu stören. Stattdessen schaute sie eine Weile hingebungsvoll hinaus. Sie erblickte kleine Häuser, welche vereinzelt links und rechts das Morewuhufer zierten. Hier und da sah sie Eichhörnchen ihrem Tagesgeschäft nachgehen. Eichhornkinder auf dem Weg zur Schule, was unschwer an den Tornistern auf ihrem Rücken zu erkennen war.

Bei manchen waren die Ranzen so groß, dass es wirkte, als seien diese von dünnen kleinen Beinchen getragen, allein unterwegs.

Am rechten Ufer packte gerade ein älterer Eichhornmann seine Angelsachen zusammen und winkte freundlich herüber. So wie er strahlte, schien er einen guten Fang gemacht zu haben.

Rosa winkte zurück und beschloss erst mal in die Küche hinunterzugehen, um diese noch genauer in Augenschein zu nehmen. Da sie im Ruderhaus überflüssig zu sein schien, was sie glaubte an Maddys Verhalten erkennen zu können, beschloss sie sich anderswo unentbehrlich zu machen.

Es verkehrten zurzeit nicht viele Frachtschiffe auf dem Morewuh. An diesem Morgen begegnete ihnen nur die MS Viktoria, welche zu Tal unterwegs war. Ein dreimal so großer Frachter wie die MS Möwe, beladen mit Feinkohle, was Maddy unschwer an den schwarzen Hügeln, welche aus den offenen vier Laderäumen hervorschauten, erkennen konnte. Auf dem Wohnungsdach, welches man auf Binnenschiffen Roof nennt, stand ein Käfig, in dem zwei Mäusekinder im Vorschulalter spielten. Es mutete Mandy wie immer ein wenig seltsam an. Ich habe nie aus Sicherheitsgründen in so einem Käfig spielen müssen. Mein Spielplatz befand sich bei gutem Wetter auf dem Roof der Küche, dort hatte Papa mich, am Haspel stehend immer im Blick. Die Mutter der Kinder hängt hinter dem Ruderhaus Wäsche auf. Logisch, sie haben das Metallicon hinter sich.

Maddy ließ ihre Schiffshupe kurz ertönen, was der Schiffsführer der MS Viktoria mit einem kurzen Signal seinerseits erwiderte und schon war dieses Zusammentreffen Geschichte.

Ganz nach oben zum Wasser-Wachtler fuhr immer nur die MS Möwe, da sie am wenigsten Tiefgang hatte und relativ klein und wendig war.

Bodo betrat das Ruderhaus.

„Moin!“, grüßte er freundlich. „Miene Nase tut ömmer noch jucken. Heute paßeert ürgendwatt, worst seehn.“

„Alter, hör auf zu unken“, meinte Maddy und konzentrierte sich weiter auf die Fahrrinne. „Hast du inzwischen das Scharnier am Fahnenmast repariert und im Maschinenraum den Ölstand überprüft?“

„Ölßtand tut in Ordnung sein! Datt Scharnier klemmt watt, kiek ick mi ßpäter noch eins an.“

„Vergiss das bitte nicht! Geh schon mal nach vorne, wir erreichen bald die Schleuse zum Metallicon hinauf.“ Sie wies mit der rechten Hand nach vorne. „Schau da, über den letzten Hügeln des Hörnchenburgerlandes hinweg kann man schon die ersten Kronen der Schlote und den dicken Dunst über dem Metallicon deutlich erkennen. Der Himmel ist wie immer rosagrau eingefärbt und die Sonne dahinter sorgt für ein difuses Licht.“ Er schaute mit kummervollem Blick in die Richtung und schubberte erneut seine dicke Nase.

„Ich tu glauben, datt datt nich nur verbrannte Kartoffeln sein tun, wie bein letzten mal wo meine Nase jucken tat. Neee, neee, datt is watt ßlimmeres.“

„Häng vorsichtshalber genug Reibhölzer aus!“, ordnete Maddy an, „wer weiß, ob ich gut mit der Mowe in die Schleuse hineinkomme.“

Bodo trollte sich. Bevor Maddy wieder ins Grübeln kommen konnte, kam Rosa aus der Küche herauf. Sie trug ein Tablett auf dem ein Teller mit zwei belegten Brötchenhälften, einer Kanne frischem Kaffee und zwei Tassen standen. Sie schaute ein wenig enttäuscht.

„War Bodo nicht gerade noch hier?“, fragte sie wie nebenbei. Bevor Maddy reagieren konnte plapperte sie schon weiter. „Hier Maddy, was zu Beißen.“ Sie drückte dem Mäusemädchen ein Brötchen in die Hand und stellte das Tablett auf dem Stuhl in der Ecke ab.

„Danke!“, sagte Maddy etwas undeutlich, weil sie bereits an ihrem ersten Bissen kaute. Rosa schaute ihr eine Weile dabei zu und überlegt: ob das bei mir auch so lustig aussieht, wenn ich etwas esse.

„Maddy, möchtest du noch Kaffee?“, fragte sie.

„Gerne, hast du noch ein halbes Brötchen für mich?“

Rosa nickte stumm und eilte in die Küche hinunter.

Schon bald kehrte sie zurück und legte ein frisch belegtes Brötchen auf Maddys Teller.

„Ich bin noch nie auf einem Fluss gereist, ist es überall so schön wie hier im Hörnchenburgerland? Schau mal dort!“ Rosa zeigte mit ihrer rechten Hand nach Steuerbord. „Eine schöne Wildkräuterwiese mit tausenden von Schmetterlingen, die dort nach Nektar suchen. An sowas kann ich mich gar nicht satt sehen. Die gibt es bei uns zu Hause auch ganz viele.“ Ihre Aufmerksam wurde nun von einem Waldstück eingefangen, vor dem sich ein kleines Häuschen unter etliche Büsche duckte. Auf einer Bank davor saß ein altes Eichhornpaar und genoss den schönen Morgen im Sonnenschein. In der Ferne darüber erhob sich das Schloss derer von Hörnchenburg auf einer Anhöhe. Es mutete an wie ein aus Zuckerguss erstelltes Bauwerk. Die Fahnen an seinen Haupttürmen flatterten leicht in mäßig wehendem Wind. Maddy schaute kurz auf und lächelte.

„Ich weiß, Idylle pur, so richtig was fürs Herz, leider werden wir bald die Schleuse passieren, dahinter schaut es weniger schön aus.“

„Was meinst du damit?“, fragte Rosa erstaunt.