Flucht mit sechs Kindern aus Syrien - Wolfgang Crasemann - E-Book

Flucht mit sechs Kindern aus Syrien E-Book

Wolfgang Crasemann

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Beschreibung

Die Flucht aus Syrien während des Bürgerkriegs in ein fremdes Land ist alles andere als leicht. Es ist eine authentische Lebensgeschichte: Die Familie Al Said wagt den mutigen Schritt, reist mit sechs Kindern los und lässt Verwandte, Heimat und alles Vertraute zurück, um ihr Glück in einer ungewissen Zukunft zu finden. Der Weg ist nicht leicht, doch zielstrebig findet die Familie einen Weg, um nach Deutschland zu kommen, wo unzählige Herausforderungen auf sie warten. Eine andere Kultur, eine fremde Sprache und knappe finanzielle Mittel. Doch mithilfe vieler offener, hilfsbereiter Deutscher beginnt die Integration der Familie zu gelingen. Der Mut, trotz vieler Hürden und traumatischer Erlebnisse nicht aufzugeben und ein neues Leben zu beginnen, ist bewundernswert.

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Seitenzahl: 172

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2025 novum publishing gmbh

Rathausgasse 73, A-7311 Neckenmarkt

[email protected]

ISBN Printausgabe: 978-3-7116-0465-1

ISBN e-book: 978-3-7116-0466-8

Lektorat: Naemi Hofer

Umschlagfoto: Alexandra Juncker

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: Alexandra Juncker

www.novumverlag.com

Einleitung

Die Debatte um Migration, Flüchtlingsbegrenzung, Verringerung der sozialen Leistungen und Integration ist das Top-Thema in der Innenpolitik und wird es sicher auch noch lange bleiben. Auch wenn der Sturz von Bachar al-Assad in Syrien die Flüchtlingskrise etwas zu entspannen scheint, so bleibt die grundsätzliche Problematik, denn Überbevölkerung, Armut und Kriege in vielen Ländern werden in Zukunft immer mehr Menschen dazu veranlassen, nach Europa zu fliehen. Wir müssen lernen, damit umzugehen. Wie dies zum Wohle von uns allen geschehen kann, dies zeigt diese wahre Geschichte.

Es geht vor allem darum, Widersprüche aufzulösen:

Wir benötigen dringend Arbeitskräfte, aber lassen nicht zu, dass Flüchtlinge arbeiten: Die ausgebildete Pflegekraft in einem Flüchtlingsheim ist zur Untätigkeit verdammt, obwohl im Pflegeheim nebenan dringend Personal gesucht wird.Das Asylrecht gilt für Menschen, die politisch verfolgt werden, es kommen aber verstärkt Wirtschaftsflüchtlinge, die kein Bleiberecht haben. Die Ausländerbehörden können sich nicht genügend um politisch Verfolgte kümmern, weil Wirtschaftsflüchtlinge die Antragswege verstopfen.Ausländerbehörden und Gerichte ersticken unter Papierbergen, obwohl jeder weiß, dass digitalisierte und schlankere Verfahren zu einer effizienteren und damit menschlicheren Behandlung der Geflüchteten führen würden.Den Menschen brennt die Flüchtlingsproblematik unter den Nägeln, trotzdem kümmert sich die Politik nur halbherzig um dieses Thema, mit der Folge, dass radikale Parteien stärker werden und die Demokratie in Deutschland in Gefahr gerät.

Umso wichtiger ist es, auch über Integrationserfolge zu sprechen und darzustellen, wie eine wirksame und menschenwürdige Integration zu unser aller Wohl gelingen kann.

Daher möchte ich mit diesem Buch die Geschichte der Familie Al Said erzählen, die wie so viele syrische Familien auf abenteuerliche Weise nach Deutschland geflohen ist, um hier ein neues Zuhause zu finden.

Die Familie Al Said lebt seit 2018 in einem kleinen Ort nahe Berlin. Die Familie, das sind Ahmad (44) und Amal (39) und die sechs Kinder Lina (19), Osman (18), Jamila (16), Jasmin (14), Halima (13) und Mohamed (10). Mittlerweile sind beide Eltern berufstätig, Ahmad arbeitet im örtlichen Pflegeheim und Amal in der Mensa der Grundschule. Alle Kinder sind in Ausbildung bzw. in der Schule und haben Ziele für ihr Leben in Deutschland. Die Familie ist gut in der Nachbarschaft integriert und fühlt sich wohl.

Ich half Osman, Jasmin, Halima und Mohamed bei den Hausaufgaben in Mathematik, Deutsch und Englisch. Über die Kinder lernte ich die Eltern kennen, die mir bei köstlichem Tee von ihrem Leben als Flüchtlinge erzählten. Die Geschichte empfand ich so spannend, dass ich beschloss, sie aufzuschreiben.

Ich möchte die Erlebnisse so authentisch wie möglich erzählen, deshalb lasse ich die Familie ihre traumatische Fluchtgeschichte und die Erlebnisse hier in Deutschland weitgehend selbst schildern. Ihre Aussagen habe ich in meine Sprache übertragen, damit der Text besser lesbar ist. Ich habe auch Interviews mit den Helfern geführt, die die Familie in unterschiedlichen Lebenssituationen kennengelernt und ihren Beitrag zur Integration geleistet haben.

Zum Schutz der Familie habe ich alle sensiblen, personenbezogenen Daten wie Eigennamen von Personen und einige Ortsnamen anonymisiert. Demzufolge ist die Familie auch nicht abgebildet. Freundlicherweise hat sich die Schülerin Alexandra bereit erklärt, mit ihren Zeichnungen die Erlebnisse graphisch anzureichern.

I. Das Leben in Syrien

Ahmad wurde im Jahre 1980 als sechstes Kind der Familie Al Said geboren. Er lebte mit seinen neun Geschwistern, sechs Schwestern und drei Brüdern, in einer wohlhabenden Familie. Sein Vater, ein erfolgreicher Geschäftsmann, besaß ein Bekleidungsgeschäft mit fünf bis sechs Mitarbeitern in dem Basar von Sayyidah Zainab, einer kleinen Stadt mit 135.000 Einwohnern, zehn Kilometer südlich von Damaskus.

In dieser Stadt liegt die große, wunderschöne alte Moschee, in der sich das Grabmal von Zainab, der Enkelin von Mohammeds Tochter, befindet. Diese Grabstätte ist für die schiitischen Gläubigen eine bedeutende Pilgerstätte, sodass jedes Jahr viele Tausend Pilger, vor allem aus dem Iran, aber auch aus dem Libanon, dem Irak und aus Syrien selbst, diese Grabstätte besuchen. Nach den religiösen Zeremonien war der Basar erste Anlaufstätte, um sich zu beköstigen, Einkäufe zu erledigen und Geschenke für die Verwandten und Freunde zu besorgen. So kam die Familie Al Said zu bescheidenem Wohlstand, der ihnen zu einem angenehmen Leben in Frieden verhalf.

Ahmads Mutter kümmerte sich – wie in Syrien üblich – voll und ganz um die zahlreichen Kinder und die vielen Besuche von Verwandten und Freunden. Das Elternhaus hatte drei Etagen und insgesamt zwölf Zimmer, also genügend Platz für die große Familie.

Ahmads Kindheit und Jugend

Ahmad, wie empfandest du deine Kindheit in Syrien?

„Ich blicke auf meine Kindheit mit vielen positiven Gedanken zurück: Meine Eltern und Geschwister kümmerten sich um mich, ich hatte viel Spaß mit meinen Geschwistern und meinen Freunden. Meine Freizeit habe ich ohne die heute übliche Elektronik verbracht, mein Vater wollte auch keinen Fernseher und das war rückblickend gar nicht schlecht. Wir spielten viel Fußball, gingen ins Kino und ich lernte in einem Verein Taekwondo. Wir haben Flaschendeckel gesammelt und daraus kleine Spielzeugautos gebastelt. Fahrradfelgen haben wir ins Rollen gebracht, wir haben Vögel abgeschossen und sie danach gegrillt, wir haben kleine Ringkämpfe ausgetragen; alles mit viel Fantasie, was die heutigen Kinder gar nicht mehr kennen. Einmal im Monat besuchten wir die Grabstätte unserer Vorfahren, beteten und legten einen Blumenstrauß auf das Grab. Aber wir Kinder nahmen diese Rituale nicht so ernst. Nach ein paar Tagen trocknete der Strauß und wir bastelten Flitzebögen daraus, mit denen wir auf Zielscheiben schossen.

Besondere Erinnerungen habe ich natürlich an das Ende des jährlichen Ramadan-Festes. Es wurde drei Tage gefeiert, wir erhielten Geldgeschenke und Süßigkeiten, wir gingen mit unseren Eltern einkaufen und durften bei der Wahl der Kleidung sogar mitbestimmen. Selbst der Besuch der Moschee war nicht langweilig, denn es wurde ja nicht nur gebetet, sondern viel gesungen und man traf die Kinder der befreundeten Familien auf der Straße und an der Moschee.

Ich kann mich auch gut daran erinnern, dass mein Vater jeden Morgen Kaffee mahlte, und zwar in einem Trog mit einem altertümlichen Holzstab, so wie es in unserer Familie Tradition war. Wir durften als Kinder stets probieren und es schmeckte köstlich.“

Du bist ja dort zur Schule gegangen, welche Erinnerungen hast du an die Schulzeit?

„Ich muss gestehen, ich bin nie gerne zur Schule gegangen, das Lernen nach strenger Methode behagte mir gar nicht.

In der Grundschule lernte ich Arabisch, Mathematik, Geschichte, Biologie, Geographie, Koran, Sport und Musik. In der 5. Klasse kam das Fach ‚Militär‘ hinzu. Kleine Kinder, Mädchen und Jungen, lernten zum Beispiel, wie eine Pistole funktioniert und aus welchen Materialien sich diese zusammensetzt. Pro Klasse gab es 25 – 30 Schüler. Ich musste eine Schuluniform tragen, die aus einer braunen Jacke und einem orangen Halstuch bestand. An die Grundschulzeit habe ich auch schöne Erinnerungen, denn jeden Monat unternahm die Klasse einen Ausflug in eine andere Stadt oder in einen Naturpark zum Picknick.

Die Oberschule besuchte ich von der 7. bis zur 8. Klasse. Jetzt musste ich noch eine Fremdsprache lernen. Die Schüler durften aber nicht wählen, sondern zogen aus einer Trommel ein Los, auf dem entweder ‚Englisch‘ oder ‚Französisch‘ stand. Ich hatte Pech, ich zog ‚Französisch‘ und musste mich so mit der schwierigeren Fremdsprache beschäftigen. In der Oberschule war eine olivgrüne Armeekleidung Pflicht. Die Lehrer waren streng, es fand ausschließlich Frontalunterricht statt, es gab auch schon mal Schläge. Einmal trug ich meine Mütze falsch herum. Beim Schulappell fiel das auf, es gab Schläge und einen Tritt, der mich über zwei Meter in das Weite beförderte. Die Angst vor den Lehrern verdarb mir die Lust auf die Schule. So wurde ich in der 8. Klasse nach sechs Monaten krank. Man brauchte kein Attest vorzulegen, man war einfach zu Hause. Das gefiel mir und so simulierte ich die Verlängerung der Krankheit, bis etwas Entscheidendes geschah: Meine Eltern merkten, dass ich nicht mehr zur Schule gehen wollte. Sie nahmen mich aus der Schule, was der Gesundung äußerst förderlich war. Die Schule war damals nur bis einschließlich der 7. Klasse Pflicht, sodass der Schulabbruch in der 8. Klasse durchaus legal war.

In den Sommerferien, die vier Monate lang dauerten, war es auch für Kinder üblich, einer Beschäftigung nachzugehen. Mein Vater wollte, dass seine Söhne gut auf das Arbeitsleben vorbereitet werden. So arbeitete ich bereits mit zehn Jahren in der Holzwerkstatt einer befreundeten Familie. Es war keine harte Arbeit, eher ein Praktikum, wo ich viel lernte und Spaß bei den Holzarbeiten hatte. In den nächsten Jahren folgten Praktika in einer Schuhfabrik, in einer Baufirma und einer Bäckerei. Das alles machte mir viel mehr Spaß als das Lernen in der strengen und daher unbeliebten Schule.“

Nach der Schulzeit arbeitete Ahmad bei seinem Vater und seinem älteren Bruder, der zwischenzeitlich ein eigenes benachbartes Bekleidungsgeschäft gegründet hatte. So konnte er vor allem seinen Vater entlasten, der so mal zu Hause bleiben konnte, um sich auszuruhen, Gäste zu empfangen oder Freunde zu besuchen.

Mit 18 Jahren kam Ahmad wie alle männlichen jungen Syrer zur Armee und diente dort zwei Jahre und drei Monate.

Ahmad, wie empfandest du die Armeezeit?

„Die Wehrpflicht bestand aus sehr viel Sport, drei Stunden pro Tag, zunächst die Grundausbildung und dann die Spezialausbildung. Ich kam zur Artillerie, wo ich mich auf die Erkennung und die Daten von Zielobjekten spezialisierte, die ich an die Kanoniere übermittelte, damit die Kanonen optimal ausgerichtet werden konnten. Nach Hause durfte ich nur alle zwei Monate jeweils sechs Tage lang. Ich nahm auch an Manövern teil, die in der Wüste stattfanden. Übernachtet wurde im Zelt.“

Wie kam es denn dazu, dass du drei Monate länger als üblich dienen musstest?

„Wir hatten in der Regel am Nachmittag kein Programm, meine Kaserne war auch nicht weit weg von meinem Wohnort. So war es reizvoll, sich unbemerkt von der Truppe zu entfernen und zu Hause zu übernachten. Ich hörte von einigen Kameraden, dass sie dies schafften. Eines Tages fasste ich Mut und versuchte, den Zaun zu überwinden. Dummerweise erwischte mich ein Wachsoldat, dem ich Rede und Antwort stehen musste. Er warf mir auch vor, andere Kameraden angestiftet zu haben, was gar nicht stimmte. So landete ich im Militärgefängnis und man rasierte mir die Kopfhaare komplett weg. Es sollten zehn Tage sein, aber mein Vorgesetzter holte mich nach zwei Tagen heraus. Mein Vorgesetzter verriet mir auch einen Trick, wie ich legal die Kaserne hätte verlassen können, aber nun war es zu spät. Das Schlimmste war, dass ich drei Monate länger dienen musste. Von da an waren alle Gedanken an unerlaubte Handlungen verflogen.“

Amals Kindheit und Jugend

Amal wurde 1985 als fünftes von neun Kindern geboren. Ihr Vater besaß eine Baufirma mit drei bis vier Mitarbeitern. Ihre Mutter war Hausfrau und starb früh an Krebs. Schon einen Monat nach ihrem Tod heiratete der Vater zum zweiten Mal und Amal bekam drei Stiefbrüder und zwei Stiefschwestern. Die Kinder wuchsen in einem Dorf mit etwa 1.000 Einwohnern in der Nähe von Damaskus auf.

Amal, welche Erinnerungen an deine Kindheit sind dir noch präsent?

„Ich war bis zum Tod meiner Mutter ein glückliches Kind. Meine Mutter war sehr gastfreundlich, so kamen immer ganz viele Kinder zu uns zum Spielen. Hinter unserem Haus befand sich ein Berg, dort sammelten wir Dosen und bastelten daraus Teller und Becher, Utensilien, die unser Mutter-Vater-Kind-Spiel bereicherten. Wir sammelten Gras und Sträucher, um daraus Essen für unser Familienspiel zuzubereiten. Manchmal picknickten wir und jede meiner Freundinnen brachte etwas zu essen mit. Meine Mutter konnte Puppen nähen und ich freute mich riesig, wenn ich am Ende des Ramadans eine selbst genähte Puppe als Geschenk bekam. Wir hatten auch viele Tiere zu Hause, sodass ich als Kind lernte, wie man Kühe und Schafe melkt. In den Ferien fuhr ich oft zu Oma und Opa nach Quneitra auf den Golanhöhen; dort half ich meinen Großeltern bei der Kartoffel- und Weizenernte.

Weniger schön verlief mein Leben nach dem Tod meiner Mutter, die starb, als ich zwölf Jahre alt war. Meine Geschwister und ich hatten kein gutes Verhältnis zu unserer Stiefmutter und irgendwie war das so harmonische Familienleben gestört. Ich verzog mich – so oft es ging – zu meiner Tante oder zu meinen Großeltern, um den häuslichen Spannungen aus dem Weg zu gehen.“

Und wie war deine Schulzeit?

„Die Schule mochte ich eigentlich ganz gerne. Ich hatte viele Freundinnen. In der Pause traf ich mich mit einer Freundin, die offenbar einen reichen Vater hatte. In einem Buch war immer ein Geldschein versteckt, der in Geschäften gegen Süßigkeiten und Eiscreme eingetauscht wurde, die auch für mich bestimmt waren. Mein Lieblingsfach war Geschichte, denn ich mochte die Ausflüge zu den Golanhöhen und nach Damaskus. Das einzige Problem stellte ein Lehrer dar, der gleichzeitig unser Nachbar war, so fühlte ich mich beim Spielen gehemmt. Ich musste mich manchmal der unangenehmen Frage stellen, ob ich schon die Hausaufgaben gemacht hätte. Wenn ich mal keine Hausaufgaben gemacht hatte und dies auffiel, dann gab es am nächsten Morgen Schläge mit dem Wasserschlauch auf die Hände. Wenn ich daran denke, dann tun mir die Hände heute noch weh.“

Nach der Schule hatte Amal die Idee, eine Ausbildung als Krankenschwester zu absolvieren, aber sie wurde von ihren Eltern nicht gefördert. Im Gegenteil, die Eltern erwarteten von ihr Hilfe im Haushalt, um die kleinen Geschwister zu versorgen. So blieb sie zu Hause, kümmerte sich um die Schafe und Kühe und lernte, wie man Käse und Butter macht.

Es war üblich, dass die Verwandten sich regelmäßig besuchten, und so besuchte Amal eines Tages zusammen mit ihrer Tante deren Onkel, der wiederum Vater von Ahmad war. Bei dieser Zusammenkunft war Ahmad auch zugegen und diese Begegnung war für beide eine schicksalhafte, denn sie verliebten sich ineinander. Bereits drei Tage später fand die Verlobung statt und sieben Tage danach die Hochzeit – Liebe auf den ersten Blick. Eine solch schnelle Verbindung war durchaus üblich, denn wenn die Kinder zu sehr zauderten, spielten die jeweiligen Eltern Schicksal und brachten die ihrer Meinung nach passenden Kinder zusammen. „Amor“ bleibt dann außen vor. Wie in Syrien üblich sind die Hochzeitsprozeduren riesige, kostspielige Feste, aber sie sind eben Tradition und keiner will sich dieser Tradition entziehen.

Die Hochzeitsfeier

Ahmad, beschreibe einmal die Hochzeit:

„Es war ein tolles Fest und teuer, nicht für mich, sondern für meinen Vater, den Vater des Bräutigams. Er kaufte einen Ring, mehrere Armbänder, Ohrringe aus Gold und eine schöne Uhr, die ich meiner Braut bei der Verlobung überreichte. Ich fragte Amals Vater und den bestellten Imam, ob ich Amal heiraten dürfe. Ein Imam musste anwesend sein, der bezeugte, dass ich es ernst meinte und dass mein Vater genügend Geld für das Brautpaar aufbringen konnte. Mein Vater spendete etwa 1.000 € und sagte zu, weitere 1.000 € für die Einrichtung der Wohnung auszugeben. Da zögerte Amals Vater nicht und sagte Ja. Es gab ein großes Mittagessen mit Nachbarn, Freunden und Familie. Der Imam regelte die Formalitäten.

Zwischen Verlobung und Hochzeit wurde ausgiebig die Junggesellenzeit verabschiedet. Amal feierte mit ihren Freundinnen zu Hause, es wurde gesungen, getanzt und alle Freundinnen ließen sich Henna malen.“

Henna ist ein rotbraunes Pulver, das aus getrockneten Blättern des Hennastrauches gewonnen und auf die Haut aufgetragen wird. Es soll nach uralten Vorstellungen vor „bösen Blicken“ schützen und wird daher bei Geburten, Beschneidungen und Hochzeiten verwendet.

„Ich feierte zwei Tage und Nächte mit meinen Freunden auf der Straße, von Haus zu Haus gab es Lichterketten, die allen Passanten zeigten, dass hier etwas Besonderes stattfand.

Der Bund fürs Leben wurde im Jahre 2002 geschlossen. Nach dem Frühstück gingen wir Männer alle in die Moschee und baten Allah um Segen für das neue Paar. Danach gingen wir zum Friseur, um uns neu frisieren zu lassen, und zu einem Bekleidungsgeschäft, um uns neue Anzüge zu kaufen. Wie üblich bezahlte mein Vater auch die neuen Frisuren und Anzüge für meine Gäste. Dann gab es das große Mittagessen auf der Straße, ich durfte mich auf einen Thron setzen, man ulkte und scherzte und ich wurde immer nervöser. Als alles vorbereitet war, kam die Gesellschaft der Braut aus der Nachbarschaft, wo Amal sich auf die Hochzeit vorbereitet hatte. Sie hatte ein wunderschönes weißes Kleid mit Schleppe an, ich durfte sie nicht berühren, sondern nur anlächeln. Der Zeremonienmeister der Gesellschaft, die auf etwa 500 Personen anwuchs, ergriff das Mikrofon. Er hielt eine kleine Rede, wünschte uns Glück und Segen. Dann verlas er, wer uns welche Geldgeschenke gemacht hatte, einige schenkten anstatt Geld auch Schafe, die wir aber umgehend verkauften, denn was sollten wir in unserer Wohnung mit Schafen, zum Kuscheln waren sie ja zu groß.

Als es dunkel wurde, war die Feier beendet und ich durfte erstmals mit Amal in meine neu bezogene Wohnung gehen. Mein Vater räumte eine Etage seines Hauses und stattete sie mit neuen Möbeln aus, denn Amal sollte sich in unserer Familie wohlfühlen.“

Die Familie wächst

Das junge Paar lebte glücklich in einer ganzen Etage des Elternhauses, in dem neben dem Vater noch zwei Brüder und drei Schwestern von Ahmad lebten. Schon bald kündigte sich Nachwuchs an. Im Januar 2005 wurde Tochter Lina geboren und am 1. Januar 2006 wurde die Geburt von Sohn Osman bekannt gegeben. Das war nicht das eigentliche Geburtsdatum, denn Osman wurde schon im Dezember des Vorjahres geboren, aber die Anmeldung von Geburten im neuen Jahr hatte Vorteile im Hinblick auf den Schulbesuch. Daher gingen Ahmad und Amal erst später zu dem Quartiersmanager, der die Geburt im Familienbuch bestätigte und beim Meldeamt der Stadtverwaltung anmeldete.

Ahmad arbeitete im Geschäft seines Vaters, das dank der Touristen sehr einträglich war. Manchmal kamen Reisebusse mit Touristen, die sich in Ahmads Geschäft umsahen. Der Reiseleiter des Busses wurde stets zum Essen eingeladen, damit er beim nächsten Mal wieder einen Schwarm von Touristen brachte. Die potenziellen Käufer wurden mit Tee und Säften verköstigt, damit sie sich im Geschäft wohlfühlten, was die Kauflaune beförderte. Ahmad lernte etwas Persisch und konnte die Zahlen sogar auf Hindi und Türkisch. Eine Besonderheit war, dass Ahmads Vater dank seiner Beziehungen zu einigen Kleiderfabrikanten Markenware von sehr guter Qualität bezog und diese deutlich günstiger als in anderen Geschäften anbieten konnte.

Ahmad, wie hast du die Zeit nach der Familiengründung in Erinnerung?

„Es war eine wunderbare Zeit. Ich war glücklich mit meiner Familie. Wir alle verstanden uns im großen Haus sehr gut. Und meine Kinder waren natürlich eine besondere Freude. Wie in Syrien üblich bestand der Tag eigentlich nur aus einer immerwährenden Party. Der Basar war 24 Stunden lang in Betrieb. Wir öffneten unser Geschäft meist um 5.00 Uhr morgens und schlossen um 24.00 Uhr. Wir wechselten uns ab, sodass vor allem unser Vater sich zu Hause ausruhen konnte. In unserem Geschäft war eigentlich ständig etwas los, die Geschäfte liefen gut. Nach Schließung gingen wir manchmal mit unseren Mitarbeitern in ein Café oder ein Restaurant, wir schauten Fußball und spielten Karten, manchmal bis 4.00 Uhr morgens, um die Kühle der Nacht zu genießen. Am Freitag schlossen wir um die Mittagszeit und gingen gemeinsam in die Moschee. Ein Teil unserer Belegschaft fuhr auch schon mal in die Berge, um das ‚Wir‘-Gefühl zu stärken. Natürlich wurden unsere Mitarbeiter eingeladen. Wir haben mit Herz gearbeitet, mein Vater, mein Bruder, ich und unsere Mitarbeiter, das war eine große Familie, wir waren füreinander da, wir haben viel gelacht und geplaudert.

An meinen freien Tagen machte ich Ausflüge mit meiner Familie in die Berge oder nach Dar’a, wo es einen großen Wasserfall und antike Kulturstätten gibt, oder wir fuhren zu einem großen Freizeitpark in der Nähe des Flughafens von Damaskus. Den liebten unsere Kinder besonders, weil es riesige Spielplätze, Karussells und Achterbahnen gab. Neben dem Freizeitpark fand einmal im Jahr eine große Weltausstellung statt. In einer fünf Kilometer langen Schaustraße stellten etwa 50 Länder ihre Produkte aus, von Nägeln bis große Maschinen, natürlich mit den landestypischen kulinarischen Köstlichkeiten. So tranken wir alkoholfreies Bier am deutschen Stand und aßen Croissants am französischen Stand.

Im Sommer fuhren wir mit meiner Familie und den Familien unserer Geschwister an die Küste und mieteten uns ein oder zwei große Chalets für 20 – 30 Personen. Wir spielten, badeten, grillten am Strand, fuhren mit Booten zu den vorgelagerten Inseln und an der Steilküste entlang. Wenn die Chalet-Besitzer ein Fest organisierten, dann tanzten und chillten wir die ganze Nacht hindurch.“

Die Familie wurde schnell größer. Im September 2007 wurde Jamila geboren, im Januar 2009 folgte Jasmin und im August 2010 Halima, also drei weitere Töchter. Amal kümmerte sich um