Forsaken Diaries - S. F. Kraft - E-Book

Forsaken Diaries E-Book

S. F. Kraft

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Beschreibung

Ein Tagebuch. Eine dunkle Prophezeiung. Ein Dorf, das in blutrotes Licht getaucht wird. Bist du bereit, die Wahrheit herauszufinden? Du sollst auf dem Dachboden deiner Eltern aufräumen. Doch anstatt alte Sachen auszusortieren, erforscht du die Erinnerungsstücke deiner Vorfahren. In einer der ältesten Kisten findest du ein Buch. Du beginnst zu lesen … Eine Dark Fantasy Novelle im Tagebuchstil. Tauche ein in die Geschichte und lass die Vergangenheit wieder aufleben. Erlebe die düstere Erzählung durch die Augen der Tagebuchschreiberin. Immer begleitet von der Frage: Wer ist das wahre Monster? ----- Forsaken Diaries ist eine Dark Fantasy Novellen Reihe von S. F. Kraft. In jedem Buch taucht man durch das Tagebuch einer anderen Person in die Geschichte ein. Jeder Band ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig gelesen werden. Zusammen ergeben sie einen größeren Blick auf die Ereignisse einer fantastischen Welt. Mondverflucht ist das Tagebuch von Lena. Einer jungen Frau, die aus ihrer zerstörten Heimat flüchtet und ein neues Zuhause sucht. Doch kaum kommt sie zur Ruhe, überlagert eine dunkle Prophezeiung das Leben in dem Dorf ... Wird sie die anstehenden Ereignisse überstehen? Und wer ist das wahre Monster in dieser Geschichte? ----- S. F. Kraft steht für fantastische Geschichten mit einer Neigung zum Düsteren. Gänsehaut und einen wohligen Schauer. Wut, über die Ungerechtigkeit den Charakteren gegenüber. Erleichterung und Freude über die kleinen Siege. Emotionen, die sich auf die Lesenden übertragen. Dazu Experimente mit verschiedenen Stilrichtungen. Dark Fantasy und Cosmic Horror. Ein bisschen modern, ein bisschen altmodisch, immer fantastisch.

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Seitenzahl: 186

Veröffentlichungsjahr: 2025

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S. F. Kraft

FORSAKEN DIARIES

Mondverflucht

Über die Autorin

S. F. Kraft steht für fantastische Geschichten mit einer Neigung zum Düsteren. Gänsehaut und einen wohligen Schauer. Wut, über die Ungerechtigkeit den Charakteren gegenüber. Erleichterung und Freude über die kleinen Siege. Emotionen, die sich auf die Lesenden übertragen. Dazu Experimente mit verschiedenen Stilrichtungen. Dark Fantasy und Cosmic Horror. Ein bisschen modern, ein bisschen altmodisch, immer fantastisch.

Über das Buch

Ein Tagebuch. Eine dunkle Prophezeiung. Ein Dorf, das in blutrotes Licht getaucht wird. Bist du bereit, die Wahrheit herauszufinden?

Du sollst auf dem Dachboden deiner Eltern aufräumen. Doch anstatt alte Sachen auszusortieren, erforscht du die Erinnerungsstücke deiner Vorfahren. In einer der ältesten Kisten findest du ein Buch. Du beginnst zu lesen …

Eine Dark Fantasy Novelle im Tagebuchstil. Tauche ein in die Geschichte und lass die Vergangenheit wieder aufleben. Erlebe die düstere Erzählung durch die Augen der Tagebuchschreiberin. Immer begleitet von der Frage:

Wer ist das wahre Monster?

Für alle, die gelernt haben, bei Dunkelheit das gefährlichste Wesen zu sein, um den wahren Monstern zu entgehen – und die trotzdem Liebe und Gnade kennen.

Die Mondin lächelt sanft auf euch.

Bevor Du liest

Tagebücher sind ein Ort der privaten Zuflucht. Man kann ihnen die Geheimnisse anvertrauen, die man sonst niemandem sagt, oder die eigenen Hoffnungen aufschreiben, die man kaum zu träumen wagt.

Man kann ihnen aber auch die Schrecken anvertrauen, die einen heimsuchen, um sie zu mildern. Ein Tagebuch kann voll von Albträumen, Schmerz und Schlimmerem sein.

Dieses spezielle Tagebuch enthält Themen, die für manche Personen schmerzhafter sein können als für andere. Damit Du die Möglichkeit hast, Dir zu überlegen, ob Du das Buch sicher genießen kannst, gibt es am Ende Content Notes. Das geht allerdings nicht, ohne das bestimmte Themen gespoilert werden.

Ich wünsche Dir so oder so ein sicheres und angenehmes Lesevergnügen!

S. F. Kraft

Der Fund

Du kletterst die Dachbodenleiter mit gemischten Gefühlen hinauf. Deine Mutter war recht deutlich: Wenn du einige der alten Möbel hier für deine Wohnung mitnehmen willst, musst du erst aufräumen.

Einen Moment bleibst du stehen, während sich deine Augen an das Halbdunkel gewöhnen. Die Luke wird selten geöffnet, Staub tanzt vor dir in der Luft. Deine Nase kitzelt und du musst den Impuls unterdrücken, zu niesen.

Über die Jahre hat sich auf dem Dachboden deiner Eltern einiges angesammelt. Von alten, ausrangierten Möbeln über Koffer, Aussteuertruhen und Kleidersäcke. Inmitten letzterer ist auch der Sack mit deinen alten Kuscheltieren.

Du sollst ihn durchgehen, ob du sie wirklich alle brauchst. Genauso wie manche der Kleidersäcke. Deine Mutter möchte hier entrümpeln. Du sollst für die Familie den ersten Schritt machen und deine alten Sachen aussortieren. Dafür kannst du dir irgendetwas aussuchen. Eine Kleinigkeit, eine der kleineren Truhen oder etwas in der Art.

Du seufzt leise und gehst zu dem Lichtschalter. Die alte Funzel geht flackernd an. Gefühlt ist es kein bisschen heller geworden, aber du lässt die Birne brennen.

Zögernd suchst du den Dachboden ab. Dort in der Ecke sind die Säcke mit Kuscheltieren, Kleidern und anderen Stoffsachen, die durch das Plastik vor Staub geschützt werden sollen. Eigentlich solltest du dort anfangen. Aussortieren.

Aber es gibt einen feinen Unterschied zwischen »nicht mehr brauchen« und »weggeben«. Dir ist klar, dass du nicht alle dieser Kuscheltiere brauchst. Ansonsten wären sie schon längst in deiner kleinen Wohnung und nicht hier auf dem Dachboden deiner Eltern. Dennoch: sie weggeben oder gar wegwerfen?

Du wendest den Blick ab und gehst in die entgegengesetzte Richtung zu den Koffern und Truhen. Vielleicht kannst du dich leichter zu der Aufgabe durchringen, wenn du weißt, was du als Belohnung bekommst.

Deine Finger gleiten über staubige Oberflächen und hinterlassen deutlich sichtbare Spuren. Wie lange wurden die Koffer nicht mehr geöffnet? Du kannst nicht sagen, wann du das letzte Mal nicht einfach nur einen Sack hochgetragen, sondern auch etwas angeschaut hast.

Vorsichtig öffnest du die Schließen des Koffers und hebst den Deckel an. Eine Staubwolke wird aufgewirbelt und kratzt in deinem Hals, ehe du den Inhalt des Koffers in Augenschein nehmen kannst. Darin sind Schachteln, Bänder und ein großes Buch. Ein altes Fotoalbum? Während du es durchblätterst und die verblassten Bilder deiner Großeltern betrachtest, musst du schmunzeln. Nichts, was du mitnehmen würdest. Aber deine Eltern könnten es trotzdem von hier oben retten und zu den anderen Fotoalben tun. Behutsam schließt du den Koffer wieder und trägst das Fotoalbum zur Bodenluke. Dort legst du es ab, ehe du dich wieder den Truhen zuwendest.

Manche von ihnen sind stark verziert, das kannst du selbst unter der Staubschicht deutlich sehen. Du weißt noch, dass du deine Mutter einmal gefragt hattest, warum es auf dem Dachboden so viele Truhen gibt. Sie hatte dir damals erklärt, dass der Braut früher bei Hochzeiten eine Aussteuertruhe mit Silber, Damasttischdecken und ähnlichen wertvollen Gegenständen mitgegeben wurde. Die wenigstens konnten sich später davon trennen, außer sie mussten den Inhalt verkaufen.

Damals hatte deine Mutter dich wieder mit runter genommen, sodass du die Truhen nicht geöffnet hattest. Jetzt gleiten deine Finger über das trockene Holz einer verzierten Truhe und malen ein neues Muster in den Staub. Du öffnest den Deckel, vorsichtiger als bei dem Koffer. Ein leichtes Jucken in der Nase kannst du nicht vermeiden.

Im Inneren findest du Stoffe, die wahrscheinlich einmal weiß waren. Sie sehen nicht mehr frisch aus und sicherheitshalber hebst du sie nicht heraus. Hier gab es schon immer Mäuse am Dachboden. Du kannst gut darauf verzichten, mit einer von ihnen Bekanntschaft zu machen, weil du ihr Nest durchwühlst. Enttäuscht, dass nichts Interessanteres als fleckiger, stockender Stoff vor dir liegt, schließt du die Truhe erneut.

Trotzdem arbeitest du dich durch die Aussteuertruhen. Alte Porträts deiner Urahnen, angelaufenes Silberbesteck und viel fleckiger Stoff. Außerdem Staub, überall Staub.

Du gehst weiter von Truhe zu Truhe, bis du unter der Dachschräge kniest. Aus einer mit Schnitzereien verzierten Aussteuertruhe nimmst du einen alten Spiegel. Sein Glas ist blind, aber der Rahmen gefällt dir. Gerade, als du aufstehst und dich umdrehst, fällt dir eine kleinere Truhe auf. Sie steht im dunklen Winkel unter der Dachschräge und ist dir bisher entgangen.

Die Truhe ist kleiner als die meisten anderen und als du den Staub abwischst, siehst du keine Zierden. Etwas daran reizt dich.

Wie alt sie wohl ist?

Du öffnest die Klappe. Im ersten Moment verziehst du enttäuscht das Gesicht. Vor dir liegt erneut nichts als Stoff. Du stutzt. Die Art, wie er umgeschlagen ist, wirkt nicht so, als wäre er einfach gefaltet. Viel wahrscheinlicher ist es, dass etwas in den Stoff eingeschlagen ist. Zögernd, jederzeit bereit, die Hand wegzuziehen, solltest du eine Maus aufscheuchen, greifst du in die Truhe. Der Stoff ist rau und du spürst deutlich etwas Festes darin. Keine Bewegung, kein Geräusch. Du atmest auf. Neugierig schlägst du den Stoff um. Vor dir liegt ein altes Buch. Du streichst über seinen Einband. Das trockene Leder ist von Rissen durchzogen.

Du holst es aus der Truhe und kriechst einige Schritte, bis du dich wieder aufrichten kannst. Direkt unter der Dachschräge ist es zu dunkel, um zu lesen, also gehst du zu dem schmutzigen Fenster. Schnell wischst du eine aussortierte Kommode, die dort steht, ab und setzt dich halb darauf.

Als du das Buch öffnest, fällt dir auf, dass die ersten Seiten zusammenkleben. Sie müssen mit Wachs in Berührung gekommen sein. Vorsichtig, um das Papier nicht zu beschädigen, trennst du sie mit deinem Nagel auf. Ist es überhaupt Papier, was du hier in Händen hältst? Es fühlt sich anders an, fremd. Erneut fragst du dich, wie alt diese Kiste und ihr Inhalt wohl sind.

Endlich kannst du einen Blick in das Buch werfen. Die Seiten sind dicht mit Handschrift beschrieben. Die Tinte ist überraschend schwarz. An einigen Stellen fallen dir Zeichnungen und Symbole auf, als du durchblätterst. Du blätterst zurück zur ersten Seite. Auf der Innenseite des Einbands steht ein Wort. Lena. Ist das der Name der Besitzerin? Der Schreiberin? Oder war das Buch ein Geschenk an sie?

Du runzelst die Stirn, als du versuchst, die ersten Zeilen auf der nachfolgenden Seite zu lesen. Die Schrift erinnert dich an alte Handschriften aus Filmen und Büchern. Es ist anstrengend, sie zu lesen. Die Worte, die du entzifferst, wirken teilweise veraltet.

Trotzdem gibst du nicht auf. Mit jedem Wort, das du erkennst, wird es leichter, das nächste zu lesen. Deine Augen gewöhnen sich an das dir fremde Schriftbild. Du rutschst auf der Kommode zurück, machst es dir bequemer und blätterst weiter.

Und so beginnst du, in diesem fremden Leben zu lesen.

25. Lenzmond, nördlicher Rand des Lichtwaldes

Liebes Tagebuch,

ich muss es erneut versuchen. Ein Neuanfang an einem fremden Ort, ein neues Tagebuch. Ich hoffe und bete, dass ich endlich zur Ruhe kommen kann.

Nichts wünsche ich mir mehr als Frieden vor diesen Monstern in Menschengestalt. Nie wieder will ich den Gestank brennenden Fleisches riechen. Oder das spöttische Krächzen der Töchter des Todes über einem Galgen hören.

Bitte – lass es den letzten Neuanfang sein.

Ich weiß, ein Tagebuch kann mir diesen Wunsch nicht gewähren. Wen soll ich sonst darum bitten? Die Mondin geht jeden Abend auf und wacht über uns, doch das Fürstenhaus hat schon vor vielen Jahren den Glauben an sie untersagt. Es zählt als Frevel, etwas anderes als die Heiligkeit der Fürstenfamilie anzubeten. Doch welche Wunder haben sie vollbracht und welches Gute für das Land getan?

Lieber vertraue ich auf die Gestirne als auf Menschen, die sich selbst heiligsprechen. Nur offen kann ich das nicht tun. Wie so vieles. Allein diese Gedanken aufzuschreiben, ist ein Fehler. Besser wäre es, ich würde die erste Seite wieder herausreißen und verbrennen. Aber das möchte ich nicht. Trotzdem muss ich vorsichtiger sein. Ich habe genug gesehen, um zu wissen, wie mit Ketzern umgegangen wird.

Letzte Nacht war ich wieder in einem Albtraum gefangen. Überall waren Feuer und Schreie. Der Klang schwerer Stiefel, die jeden meiner Nachbarn, meiner Familie, gejagt haben. Grobe Hände, die sie aus ihren Häusern gezehrt haben, um sie abzuschlachten. Blut auf den Klingen der Jäger. Ihre hasserfüllten Blicke haben mich in die Dunkelheit getrieben. Es gab keine Gnade, kein Entrinnen. Nur Feuer, Schmerz und Tod. Die Söhne des Todes sind über den Boden gehuscht, während das krächzende Lachen seiner Töchter sich mit den Schreien der Sterbenden vermischt hat. Als ich endlich aufgewacht bin, war ich schweißgebadet. Ich musste in meine Decke beißen, um das Wimmern und Schluchzen zu unterdrücken. Es ist so schwer, weiterzumachen, nach allem, was geschehen ist. Aber ich will nicht so enden.

Es wird besser. Das sage ich mir immer und immer wieder. Mit jedem Tag, den ich mich weiter von den Ruinen meiner alten Heimat entferne. Mit jeder Nacht, in der die Mondin auf ihr rotes Kleid verzichtet. Und mit jedem neuen Morgen, an dem ich am Leben bin. Ich muss es nur noch selbst glauben.

Als ich aufgebrochen bin, habe ich die Wege komplett gemieden. Wenn ich andere Reisende oder Arbeiter gesehen habe, habe ich mich noch tiefer in die Wälder zurückgezogen. Mittlerweile wage ich mich langsam wieder in die Nähe anderer Menschen. Auch wenn ich weiß, was für Monster sie sein können. Die Einsamkeit kann ebenfalls tödlich sein. Sie raubt zu viele Lebensgeister. Es ist wesentlich mehr Arbeit, allein durchzukommen.

Ich habe es versucht. Bei der Mondin, ich habe es versucht. Aber dafür bin ich nicht gemacht. Ich vermisse Gesellschaft, meine Familie. Ich möchte wenigstens unter Menschen sein, wenn ich meine Liebsten schon nie wieder sehen kann. Möchte Schutz und Hilfe suchen.

Trotzdem muss ich immer vorsichtig sein. Man weiß nie, wer oder was die anderen in Wahrheit sind. Ob hinter dem freundlichen Lächeln eines Feldarbeiters nicht ein tief fürstengläubiger Mann steckt, der jeden frevlerischen Gedanken sofort meldet. Oder ob unter dem Umhang des Reisenden die Uniform eines Jägers versteckt ist. Beides kann tödlicher und grausamer sein als jedes wilde Tier, dem ich in den Wäldern begegnet bin. Seit der aktuelle Fürst in seinem Wahn überall Garnisonen der Jäger hat bauen lassen, sind die Straßen sogar noch gefährlicher geworden.

Morgens, sobald die Sonne ihr Antlitz wieder über dem Land zeigt, laufe ich weiter. Ein paar Tage noch. Nur noch etwas mehr Abstand zwischen mich und meine Vergangenheit.

Ich werde wohl nie vergessen, was in meinem Heimatort passiert ist. Ich trage unsichtbare Male dieser Erlebnisse davon, kann sie weder abwaschen noch loslassen. Laufe ich davor weg oder versuche ich, mir ein neues Leben zu erschaffen? Ich weiß es nicht.

Wenn ich mich wieder unter Menschen wagen will, dann muss ich es schaffen, nach Außen hin Ruhe zu bewahren. Selbst wenn die Nächte schlimm sind. Ich kann mich niemandem anvertrauen. Ich will es nicht.

Wenn ich irgendjemandem erzähle, von wo ich komme, werden sie mich davon jagen. Niemand nimmt Flüchtlinge aus dem Westen auf. Nicht seit den schrecklichen Ereignissen vor einigen Jahren. Das Risiko ist zu hoch, werden sie sagen. Wenn sie nicht direkt die Jäger rufen, damit ich untersucht werde. Und die Untersuchungen der Leute des Fürsten enden immer in Blut und Tod. In ihren Augen gibt es keine Unschuldigen. Manchmal sprechen sie einen Toten von seiner Schuld frei, aber was hat dieser dann noch davon?

Ich möchte nicht so enden. Ich möchte in Freiheit leben, möchte meinen Frieden.

Aber die Erinnerungen lassen mich nicht los. Deswegen muss ich sie aufschreiben, muss alles aufschreiben. Wenn ich nicht sprechen kann, vielleicht verschafft mir wenigstens das Ruhe? Möglicherweise werden sogar die Albträume weniger, falls ich von den schönen Dingen erzähle. Wenn ich immer wieder aufschreibe, dass es gut wird, dann muss es das irgendwann werden. Ich muss nur fest genug daran glauben. Dann wird, beim Willen der Mondin, alles gut werden.

Ja, es wird besser, liebes Tagebuch. Das muss es.

Du zögerst und lässt das Buch sinken. Im ersten Moment hattest du an einen altmodischen Roman gedacht, der im Stil eines Tagebuchs verfasst wurde. Ist Dracula nicht beispielsweise in Briefform geschrieben? Aber die Schrift, die ganze Aufmachung passt nicht. Es ist ein echtes Tagebuch.

Willst du wirklich wissen, wie sich das Leben dieser jungen Frau entwickelt hat? Ihre privaten Gedanken, Ängste und Hoffnungen wissen? Und vor allem: Kannst du sie ertragen? Offensichtlich hat die Schreiberin einiges erlebt, was ihr zu schaffen gemacht hat. Du schlägst das Buch auf deinem Schoß wieder auf, lässt das Papier durch deine Finger gleiten. Das Tagebuch öffnet sich dabei wie von selbst auf einer anderen Seite. Als warte es nur darauf, weitergelesen zu werden.

Das vergilbte Papier. Die eigenartige Schrift. Was auch immer es ist, dass dich in seinen Bann zieht: Dieses Mal unterbrichst du deine Lektüre nicht mehr.

10. Keimmond, Ruine in Lerchental

Ich hätte nie gedacht, einmal das Lerchental zu sehen. Ich habe zuvor meine Heimat und den Lichtwald nie verlassen.

Es ist sonderbar, keine Bäume um mich herum zu haben. Die ganze Gegend ist von dornigem Gestrüpp überwuchert. Geröll und Ruinen sind überall im Tal verteilt, aber kein Wäldchen in Sicht. Es ist anstrengend, abseits des Handleswegs durch das Tal zu wandern. Trotz alledem wollte ich wenigstens etwas Schutz für die Nacht haben. Deswegen bin ich heute auf der Suche nach einem Lagerplatz länger gelaufen als sonst. Es war schon dämmrig, als ich eine große Eiche erreicht habe. Direkt in der Nähe habe ich Ruinen gefunden, in denen ich mein Lager für die Nacht aufgeschlagen habe.

Ich frage mich, ob die Eiche der Baum aus der alten Geschichte ist. Meine Mutter hat sie meiner Schwester und mir früher gerne erzählt. Zusammen mit anderen Sagen und Legenden rund um die Gestirne und ihre Helden.

Angeblich gibt es hier im Lerchental einen Baum, an dem sich jährlich die Lerchen sammeln, um um ihren gefallenen Helden zu trauern. Das Licht des Helden sollte einst das Land erhellt haben, so wie sein Zorn es später verbrannte. Die Tränen der Lerchen sollen diesen Bereich besonders fruchtbar machen. Und doch liegt das Tal in Trümmern, nichts als verlassene Ruinen und verwilderte Flächen. In ganz Lovisticia soll es Spuren des verheerenden Wirkens des gefallenen Helden geben.

Auch der Bruder des gefallenen Helden, der Erwählte der Mondin, hat seine Spuren hinterlassen. Der Hügel der Nachtigallen soll immer noch jedes Jahr im Herbst an seinem Todestag blühen. Wenn ich könnte, würde ich ihn nur zu gerne sehen. Die Blüten sollen wunderschön sein und eine heilende Wirkung haben. Allerdings ist der Hügel im Süden des Landes. Die Reise dahin wäre viel zu gefährlich.

Schon seit Langem hieß es, dass in den südlichsten Regionen Lovisticias eine Krankheit umgeht, für die weder die Mediziner des Fürsten noch die Weisen Frauen ein Heilmittel hatten. Niemand scheint bereit zu sein, über die genauen Symptome zu sprechen. Alle haben Angst davor. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Fremder nicht sofort auffallen würde. Niemand möchte in den Süden, im Gegenteil, die Leute fliehen von dort, wenn sie gesund sind und die Möglichkeit erhalten.

Um dorthin zu kommen, müsste ich außerdem die waldlose Grenze überschreiten. Meine Mutter hatte uns immer gewarnt, dass dahinter nichts als Tod und Verderben lauern.

Ich weiß nicht, ob das nur auf altem Aberglauben beruht. Aber ich möchte es nicht herausfinden. Hier, inmitten der Ruinen, fällt es mir leicht, mir vorzustellen, dass der Fluch des gefallenen Helden das Land weiterhin in seinem Griff hat.

Statt nach Süden zu gehen, schlage ich mich Richtung Norden durch. Ich hoffe, dass dort, fernab der Hauptstadt, Teile des alten Glaubens weiterhin Leben. Das hier Legenden und Geschichten immer noch von Mutter an Tochter weitergegeben werden. Der Fürst kann sie verbieten, aber er kann unseren Geist nicht zwingen, sie zu vergessen. Es wäre ein Hoffnungsschimmer, das vertraute Zeichen der Mondin zu sehen. Jedes Gestirn bietet mehr Trost, als es der Glaube an die Fürstenfamilie je könnte. Selbst die wankelmütigen Sterne, denen sich nur Narren und Verzweifelte zuwenden, schenken wenigstens Hoffnung. Mir bleibt nur, auf die Mondin zu vertrauen und die Augen nach einem versteckten Zeichen offen zu halten.

Morgen werde ich meinen Weg fortsetzen.

23. Keimmond, Waldrand am Ende des Lerchentals

Gestern habe ich das Lerchental verlassen. Der letzte Abschnitt des Weges war noch anstrengender. Zuletzt musste ich immer bergauf gehen, dem Geröll und Gestrüpp zum Trotz. Ich habe die ersten Ausläufer des Waldes erreicht. Statt ein Gefühl von Heimat auszulösen, wie ich es gehofft hatte, fühlte es sich dunkel und abweisend an. Also habe ich mich bis zum Hauptweg durchgekämpft, um mein Lager in der Nähe aufzuschlagen.

Im Lichtwald, in meiner Heimat, überwiegt große Teile des Jahres sanftes Grün. Kräuter und Wildpflanzen wachsen auf den häufigen Lichtungen. Höhlen und Felsen aus hellem porösen Stein finden sich überall in der Region. Der Boden ist schwer und lehmig, aber fruchtbar.

Hier im Norden wirken schon die Ausläufer des Waldes dunkel. Zwischen den Bäumen scheint kaum Licht den Boden zu berühren. Auch die Erde fühlt sich seit einiger Zeit anders an. Als wäre das Land selbst kalt und abweisend gegen die Menschen geworden.

Ich wage es nicht, weiterhin abseits des Weges zu gehen, wenn ich den Wald betrete. Ohne die Sonne kann ich mich nicht orientieren. In diesem düsteren Gebiet möchte ich nicht alleine umherirren. Allerdings bin ich mir nicht sicher, wo die Straße hinführt. Ich kann nur hoffen, dass sie mich nicht geradewegs zu einer der Garnisonen der Jäger bringt.

Selbst wenn, ich bin mittlerweile so schwach, dass ich sogar ein Brot annehmen würde, dass mir von einem der Schoßhunde des Fürsten hingeworfen wird. Meine letzten Vorräte sind seit einiger Zeit aufgebraucht. Im Lerchental wachsen zum Glück viele Pflanzen, derren Blätter oder Wurzeln essbar sind. Trotzdem merke ich immer mehr, wie die Reise an mir zehrt.

Ich muss meinen Beutel noch einmal mit Wildkräutern und Wurzeln füllen, bevor ich mich in den Wald wage.

28. Keimmond, Dornenwald, Straße Richtung Osten

Die letzten vier Tage hatte ich das Glück, von einem fahrenden Händler auf seinem Ochsen-Karren mitgenommen zu werden. Er hatte mich am Rand des Weges laufen sehen, ausgemergelt und stolpernd. Schmutzig, mit schulterlangem, verfilztem Haar und abgetragener Kleidung. Und statt mich zu ignorieren oder fortzuscheuchen, hatte er mir angeboten, mich mitzunehmen.

Ich war zu erschöpft, um mich zu verstecken, als ich einen Karren hörte. Und viel zu dankbar für das Angebot, als dass ich hätte ablehnen können. Auch wenn ich mich deswegen nicht getraut habe, weiter Tagebuch zu führen.

Was, wenn der Händler, Hubertus, es gesehen und mich ausgefragt hätte? Oder noch schlimmer, versucht hätte, es mir abzunehmen und zu lesen?

Er hat auch so genug Fragen gestellt. Ich habe ihm erzählt, dass meine Eltern an einer Krankheit gestorben sind. Dass sie gesagt hätten, hier im Nordosten hätten wir noch entfernte Verwandte. Und ich sei auf der Suche nach diesen Verwandten. Es ist nur zum Teil gelogen und er hat nicht zu tief gebohrt.

Stattdessen habe ich dank ihm etwas mehr über die Gegend erfahren. Er selbst ist auf dem Weg in die Hauptstadt. Der Weg durch den Wald sei von seinem Heimatort südlich des Lerchentals der sicherste und schnellste.

Kurz hatte ich Angst. Ich wollte keinesfalls in die Hauptstadt. Sie ist das Zentrum des Fürstenglaubens, die Hauptbastion der verfluchten Jäger, seiner abgerichteten Truppen. Hubertus bekam davon nichts mit. Oder falls doch, muss er gedacht haben, ich hätte Angst, mich verlaufen zu haben. Denn er erklärte, dass es eine Weggabelung gäbe. Danach sei wenige Tagesreisen weiter die erste Ortschaft im Wald, Drei Eichen. Dort könnte ich mehr über meine Verwandten herausfinden.

Er erzählte noch einiges über seine Familie, die Waren, mit denen er handelte, und das Leben in der Hauptstadt. Ich war froh, die letzten Münzen, die meine Familie noch gehabt hatte, in unterschiedliche Börsen eingepackt zu haben. So konnte ich ihn entlohnen und ihm einen Teil seiner Trockenrationen abkaufen. Ein paar Münzen habe ich noch versteckt. Wenn die Mondin mir gewogen ist, kann ich damit neue Vorräte in Drei Eichen kaufen.

Heute Morgen hat er mich an der beschriebenen Weggablung abgesetzt und ist weiter in Richtung Hauptstadt gefahren. Ich bin den anderen Weg entlanggelaufen. Aber nach den letzten Tagen der Ruhe, in denen ich wieder richtig Essen konnte, fühle ich mich gestärkt. So wie Hubertus mich angesehen hat, muss ich immer noch ein erbärmliches Bild abgeben. Allerdings ich habe keinen Zweifel mehr, dass ich die Tagesmärsche bis Drei Eichen schaffen werde. Der Wald wirkt immer noch bedrohlich und abweisend. Zumindest weiß ich jetzt, wohin mich der Weg als Erstes führt.

03. Wonnemond, Scheune in Drei Eichen

Ich war so lange unterwegs, dass der Gedanke, an einem festen Ort bleiben zu können, sonderbar anmutet. Einen kompletten Mondzyklus über bin ich gereist. Und nun kann ich hier im Ort bleiben?