8,99 €
Im Jahre 1845 erschien in der Gerstenbergschen Buchhandlung zu Hildesheim unter dem Titel: "Beschreibung meiner Leiden und Schicksale während Napoleons Feldzuge und meiner Gefangenschaft in Rußland" ein Buch, das einen Teilnehmer an diesem Zuge, den späteren hannoverschen Förster Fleck zu Söhre bei Hildesheim, zum Verfasser hat. Das Buch überrascht durch seine anschauliche, schlichte und ergreifende Darstellung. Wohl besitzen wir von Offizieren, die an jenem Zuge teilnahmen, einzelne Memoiren, aber Darstellungen der Erlebnisse des einfachen Soldaten, noch dazu aus der eigenen Feder eines solchen, gibt es kaum. Und doch mußten damals 200,000 Deutsche den Fahnen Napoleons nach Rußland folgen! Was sie erlebt und erlitten haben, veranschaulichen uns Flecks Erlebnisse in anschaulicher Weise.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 103
Veröffentlichungsjahr: 2023
Vorwort
Geschichtliche Einleitung
Der Ausmarsch
Der Anfang in Rußland
Vor Smolensk
Borodino
Mosaisk und Moskau
Von Moskau zurück
An der Beresina
Gefangen
Unter der Knute
Flucht und Rettung
Neue Zuflucht
Abschied
Von Pensa nach der Heimat
IM Jahre 1845 erschien in der Gerstenbergschen Buchhandlung zu Hildesheim unter dem Titel: „Beschreibung meiner Leiden und Schicksale während Napoleons Feldzuge und meiner Gefangenschaft in Rußland“ ein Buch, das einen Teilnehmer an diesem Zuge, den späteren hannoverschen Förster Fleck zu Söhre bei Hildesheim, zum Verfasser hat. Das Buch überrascht durch anschauliche, schlichte und ergreifende Darstellung. Wohl besitzen wir von Offizieren, die an jenem Zuge teilnahmen, einzelne Memoiren, aber Darstellungen der Erlebnisse des einfachen Soldaten, noch dazu aus der eigenen Feder eines solchen, gibt es fast gar nicht. Und doch mußten damals 200,000 Deutsche den Fahnen Napoleons nach Rußland folgen! Was sie erlebt und erlitten, das veranschaulichen uns Flecks Erlebnisse in geradezu typischer Weise. Fleck sagt selbst in der Vorrede zu seinem Buche: „Mag auch die Geschichte durch meine Erzählung nicht gewinnen, immerhin wird man durch sie zur klareren Einsicht in das Wesen, die Mühseligkeiten, Drangsale und Folgen eines Feldzugs gelangen, der zu den größten und furchtbarsten kriegerischen Ereignissen gehört. Wie man das Ganze erst genügend auffaßt und versteht, wenn man die einzelnen Teile begriffen hat, so auch hier: die Schicksale der einzelnen müssen ein helles Licht über die Schicksale der ganzen großen Armee verbreiten, die eroberungssüchtig in Rußland eindrang.“ So ist Flecks Schrift ein lebendiges Denkmal für alle diejenigen unserer deutschen Landsleute, die im Jahre 1812 auf den russischen Schneefeldern gestorben und verdorben, in den russischen Steppen verschollen oder nach wunderbaren Schicksalsfügungen endlich in die Heimat zurückgekehrt sind. Sie ist aber auch eine wertvolle Erinnerung und eindringliche Mahnung an die Zeit vor nun mehr einem Jahrhundert, die zwar von deutscher Schmach erzählt, die aber gleichzeitig für den Gedanken der deutschen Einheit und der nationalen Wiedergeburt eine Zeit des Entstehens und fruchtbaren Keimens gewesen ist. Die Früchte haben wir in den Jahren 1870 und 1871 geerntet und ernten sie noch heute. Wer aber die Ernte einheimst, soll sich auch dankbar der Saatzeit erinnern und besonders derer, die in Tränen säten.
Solche Erinnerungen liegen in Flecks Buche vor und erweckten in mir, als ich sie kennen lernte, den lebhaften Wunsch, sie, die unbekannt und vergessen, neu zu beleben und für unser Volk und unsere Jugend wieder zugänglich zu machen.
Ein unveränderter Abdruck konnte allerdings heutigen Anforderungen nicht mehr genügen. Ausdruck und Stil bedurften leiser Änderungen. Schilderungen russischer Zustände, die heute kaum noch zutreffen, mußten wegfallen, wodurch gleichzeitig der Aufbau der Erzählung an Geschlossenheit gewann. Durch eine zweckmäßigere Gliederung im Anschluß an die wichtigsten Namen und Ereignisse konnte die plastische Wirkung ohne Gefahr erhöht werden. Das alles mußte aber geschehen im Sinne gleichgestimmten Nachempfindens und Nacherlebens, damit der Charakter des Quellenmäßigen und Ursprünglichen unter allen Umständen gewahrt blieb. Der Geist mußte bleiben, der Körper aber klarer und reiner in die Erscheinung treten. Dazu erwies sich zum Verständnis mancher Partien des Buches eine geschichtliche Einleitung mit persönlichen Notizen über den Verfasser als notwendig.
In München steht eine hohe Säule zur Erinnerung an die im Russischen Kriege gebliebenen Bayern mit der Inschrift:
„Auch sie starben den Tod fürs Vaterland.“
Möge das vorliegende Buch in gleichem oder ähnlichem Sinne für alle Söhne unserer Heimat und des deutschen Vaterlandes, die den Fahnen Napoleons nach Rußland folgen mußten, ein Gedächtnismal sein!
Göttingen, im Jahre der hundertsten Wiederkehr des Tages von Tilsit.
August Tecklenburg.
DER Forstadjunkt Fleck, aus den Hildesheimschen stammend, hat den Zug nach Rußland mitgemacht als Soldat des damaligen Königreichs Westfalen, einer derjenigen politischen Gründungen Napoleons I., die, schnell hervorgerufen, ebenso schnell wieder verschwanden und heute nur noch in der geschichtlichen Erinnerung leben, ohne wesentliche Daseinsspuren hinterlassen zu haben.
Das Königreich Westfalen war im Frieden zu Tilsit am 9. Juli 1807 bereits vorgesehen und trat am 18. August 1807 auf Befehl Napoleons ins Leben. Es sollte aus den preußischen Gebietsteilen westlich der Elbe und den angrenzenden und zwischenliegenden Ländern und Herrschaften bestehen. Das waren: der linkselbische Teil der Altmark und des Landes Magdeburg, das Gebiet von Halle, die Staaten von Braunschweig-Wolfenbüttel, das Hildesheimer Land und die Stadt Goslar, das Land Halberstadt und Hohenstein, das Gebiet von Quedlinburg, die Grafschaft Mansfeld, das Eichsfeld mit Treffurt, die Städte Mühlhausen und Nordhausen, die Grafschaft Stolberg, die Staaten von Hessen-Kassel nebst Rinteln und Schaumburg, die ehemals hannoverschen Fürstentümer Göttingen und Grubenhagen nebst Hohenstein und Elbingerode, die Bistümer Osnabrück, Paderborn, Minden, sowie Ravensberg und die Grafschaft Rittberg-Kaunitz.
Das ergab ein Gebiet von etwa 700 Quadratmeilen oder nahezu 40,000 qkm, also etwa von der Größe der heutigen Provinz Hannover, mit rund 2 Millionen Einwohnern.
Jerome, Napoleons jüngster Bruder, sollte Westfalens König, Kassel seine Residenz sein. Am 15. November gab Napoleon dem Lande eine Verfassung und fügte es dem Rheinbunde an.
Als Weihnachtsgeschenk erhielt das Königreich am 24. Dezember eine Einteilung nach französischem Muster in Departements, Distrikte und Kantone. Es wurden gebildet: das Elbdepartement (Magdeburg) mit den Distrikten Magdeburg, Neuhaldensleben, Stendal und Salzwedel; das Departement der Fulda (Kassel) mit den Distrikten Kassel, Höxter und Paderborn; das Harzdepartement (Heiligenstadt) mit den Distrikten Heiligenstadt, Duderstadt, Osterode, Nordhausen; das Departement der Leine (Göttingen) mit den Distrikten Göttingen und Einbeck; das Departement der Oker (Braunschweig) mit den Distrikten Braunschweig, Helmstedt, Hildesheim, Goslar; das Departement der Saale (Halberstadt) mit den Distrikten Halberstadt, Blankenburg, Halle; das Departement der Werra (Marburg) mit den Distrikten Marburg, Hersfeld und Eschwege; das Departement der Weser (Osnabrück) mit den Distrikten Osnabrück, Minden, Bielefeld, Rinteln.
An der Spitze jedes Departements stand der Präfekt, jedes Distrikts der Unterpräfekt, jedes Kantons und jeder Munizipalität der Maire.
Da Westfalen infolge der napoleonischen Auspressungen immer stärker in Geldverlegenheiten geriet, so legte ihm Napoleon im Jahre 1810 das noch leistungsfähige übrige Hannover hinzu - die Departements der Nordelbe, der Niederelbe und der Aller. Doch gehörten diese Gebiete nur vorübergehend zu Westfalen. Um selbst im Besitze der Mündungen von Weser und Elbe zu sein, trennte Napoleon schon nach Jahresfrist Nordhannover wieder von Westfalen und legte es zu Frankreich. Dabei ging auch Osnabrück dem Königreiche verloren.
Am einschneidendsten und empfindlichsten waren die Vorschriften über die Wehrpflicht. Danach war jeder Westfälinger vom 20. bis zum 25. Lebensjahre der Konskription, d. h. der Einschreibung in die Soldatenlisten oder der Militärpflicht unterworfen.
Das hatte man bis dahin kaum gekannt und rief viel Unwillen und Besorgnis hervor, und mancher junge Braunschweiger, Hesse, Hannoveraner usw., der niemals an Soldat werden gedacht, wurde nun nach Kassel, Magdeburg, Braunschweig oder nach einer anderen Garnisonstadt geschickt, um unter Jeromes Oberbefehl nach dem Willen Napoleons seiner Militärpflicht zu genügen.
So kam auch der damalige Forstadjunkt Fleck aus dem Hildesheimschen (Departement der Oker) im Jahre 1810 oder 1811 als westfälischer Soldat nach Kassel. Als Forstmann ward er in das Jäger-Bataillon eingereiht, das den Namen Chasseurs-Carabiniers dʼélite 5hrte, zur Garde des Königs Jerome gehörte und etwa 700 Mann zählte.
Die Elite-Jäger-Karabiniers trugen vollständig dunkelgrüne Uniform mit roten Streifen besetzt. Der einreihige Rock war oberhalb der Schenkel abgerundet und offen und verlief nach hinten in langen zugespitzten Schößen. Die grünen Hosen mit ungarischen Knoten und roter Litze steckten in Gamaschen. Der Tschako trug einen grünen Federbusch mit roter Spitze, das Zeichen des Adlers, grün-rote Schnur und Kordel und weißblaue Kokarde.
Die grünen Achselklappen zeigten rote Umrandung. Über der linken Schulter hing eine grün-rote Schnur, woran das Pulverhorn befestigt war. Von der linken Schulter nach hinten fielen zwei dicke grünrote Quasten herab. Statt der Patronentasche trug der Jäger-Karabinier eine Jagdtasche von Seehundsfell an schwarzem Bandelier. Auf diesem ein längliches Schild aus Messing, von einer Krone überragt und mit den Anfangsbuchstaben J. N. geschmückt. Der Karabiner wurde am Riemen über der rechten Schulter getragen. Der Handsäbel war aus Messing, die Scheide aus natürlichem Leder mit Messing-Garnitur; er hing am schwarzen Bandelier über der rechten Schulter. Die Uniform der Offiziere war ähnlich, nur aus feinerem Tuch und mit Gold eingefaßt und verziert.
Wie diese, so waren auch die Uniformen der übrigen westfälischen Regimenter außerordentlich reich und für das Auge berechnet.
Die ganze westfälische Armee rückte im März des Jahres 1812 in einer Stärke von etwa 27,000 Mann aus und bildete das VIII. Korps der Rheinbundarmee. Westfalen, Sachsen und Polen standen unter dem Oberbefehl Jeromes; sie bildeten den rechten Flügel der „Großen Armee“ und sollten Polen schützen. Deswegen ging der Marsch geradeswegs nach Warschau und von dort gegen das russische Korps unter dem Fürsten Bagration. Da Jerome seiner Aufgabe aber nicht gewachsen war, so mußte er seinen Posten aufgeben und kehrte mit seiner Garde du Corps über Warschau nach Kassel zurück. Sowohl Jeromes Anwesenheit bei der Armee, wie sein Rücktritt waren für die westfälischen Chasseur-Karabiniers mehrfach von besonderer Bedeutung und übten Einfluß auch auf Flecks Schicksale. Im übrigen hängen diese mit dem allgemein bekannten Verlaufe des Feldzuges so eng zusammen, daß die Erzählung sich von selbst versteht.
In der Schlacht an der Moskwa oder bei Borodino hatten die Westfalen Gelegenheit, sich besonders auszuzeichnen. Was sie im übrigen erlitten hatten, geht aus einem Briefe Napoleons vom 23. Dezember 1812 an Jerome hervor. Da heißt es: „Von der westfälischen Armee existiert nichts mehr bei der Großen Armee!“
Welcher Jammer und welches Elend in diesen dürren Worten steckt, das eben weiß uns niemand besser zu erzählen als der Chasseur-Karabinier Fleck.
Eine Ausnahme von den Schicksalen der zurückkehrenden Truppen tritt erst da ein, als Fleck an der Beresina den Kosaken in die Hände fällt und als Gefangener ins Innere von Rußland geführt wird. Während er dann über ein Jahr unter zum Teil wunderbaren Verhältnissen in russischer Gefangenschaft zubringt, kehren die Trümmer der „Großen Armee“ in die Heimat zurück, und trotz des in Preußen aufflammenden Freiheitsfeuers werden in Westfalen aus den heimgekehrten Resten und neuen Ausgelosten neue Regimenter gebildet und mit den Rheinbundtruppen gegen die Verbündeten gesandt; aber bald fielen ganze Regimenter ab, und als im Oktober 1813 unter dem russischen General Ezernitscheff die ersten Kosaken in Kassel einrückten, nahm die Herrlichkeit Jeromes ein jähes Ende. Am 26. Oktober 1813 verließ Jerome Kassel für immer.
Als Fleck im Sommer 1814 in die Heimat zurückkehrte fand er bereits geordnete staatliche Verhältnisse vor. Er trat jetzt in den Forstdienst des Königreichs Hannover ein, wurde erst Förster in Sehlde, dann in Söhre bei Hildesheim. Auf dem Söhrer Forsthause, einem beliebten Ausflugsorte der Hildesheimer, betrieb er neben seinem Amte auch eine Restauration. Nach seiner Pensionierung wohnte Fleck abwechselnd bei seinen Söhnen in Mehle bei Elze und in Lühnde bei Hildesheim. Gestorben ist er als Siebzigjähriger im Jahre 1858 zu Lachtehausen bei Celle.
ES war am 6. März des Jahres 1812. Die Garde des Königs von Westfalen marschierte aus Kassel; mit ihr das Bataillon der Büchsenjäger, dem ich angehörte. Wir sollten zu der großen Armee stoßen, die auf Napoleons Befehl gegen Rußland anrückte.
Ich kann nicht sagen, daß wir mit sonderlicher Freude diesen Marsch antraten. Wir waren Deutsche, und Rußland, gegen das wir kämpfen sollten, hatte eine und dieselbe Sache mit Deutschland. Wir waren daher im Begriff, gegen den Vorteil des eigenen Vaterlandes feindlich aufzutreten. Indes hatten wir zum Nachdenken kaum Zeit; es half uns auch nichts. Wir waren froh, des einförmigen Kasernenlebens und ermüdenden Paradedienstes gewiß auf lange Zeit enthoben zu sein.
Am ersten Tage marschierten wir über Münden und Dransfeld nach Göttingen. Da wurde uns Nachtquartier angewiesen. Die Göttinger Bürger und die Studierenden nahmen uns sehr freundlich auf. Nach langer Zeit kamen wir zum ersten Male wieder in näheren Verkehr mit Bürgern, die es sich angelegen sein ließen, uns aufs beste zu behandeln, und wir konnten einen Vergleich zwischen Göttingen und Kassel anstellen, der freilich sehr zum Nachteil des letzteren ausfiel.