Foxgirls – Wenn die Fuchsmagie erwacht - Sabine Städing - E-Book

Foxgirls – Wenn die Fuchsmagie erwacht E-Book

Sabine Städing

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Beschreibung

Eine magische Begegnung

Puder Zucker und Bonnie Vanzetti, beide 13 Jahre, sind waschechte Hamburgerinnen und lieben es, sich im bunten Leben ihrer Stadt treiben zu lassen. Doch als sie eines Abends einen Fuchs finden, der sich ihnen als Fuchsgeist Mellow vorstellt, lernen sie ihr geliebtes Hamburg von einer völlig neuen Seite kennen. Denn Mellows Magie überträgt sich auf Bonnie und Puder, und befähigt die beiden Mädchen, sich in Füchse zu verwandeln! In Fuchsgestalt entdecken sie, dass es in der Stadt vor magischen Wesen nur so wimmelt. Doch die Welt der Elbnixen, U-Bahn-Ghule und Stadtwölfe ist in Gefahr, denn Jäger mit finsteren Absichten sind hinter ihnen her ...

Die spannende Gestaltwandler-Fantasy aus der Feder der Dein Spiegel-Bestseller-Autorin Sabine Städing als Neuausgabe

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Seitenzahl: 289

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Sabine Städing

Wenn die Fuchsmagie erwacht

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© 2016 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten

Zuerst erschienen unter dem Titel »Foxgirls«

Text: © Sabine Städing 2016

Umschlaggestaltung und Vignette: Melanie Korte

TP · Herstellung: bo

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-31447-7V001

www.cbj-verlag.de

Für Zino und drei Wichtel, die mich beim Schreiben begleitet haben

1

»Umpf!« Der Schlag traf Puder so hart, dass sie das Gleichgewicht verlor und rückwärts auf der Matte landete.

»Du hast geträumt, Pomposa!«, grinste der Junge, der ihr den Schlag versetzt hatte, und reichte ihr gutmütig die Hand.

Ohne sich darum zu kümmern, sprang Puder auf und fummelte sich den blöden Zahnschutz aus dem Mund. »Nenn mich nicht Pomposa, Rapha!«, fauchte sie.

Puder konnte ihren Namen nicht ausstehen. Es war ein absolutes Rätsel, was sich ihre Eltern dabei gedacht hatten.

Pomposa, die Prunkvolle – mal ehrlich, wer wollte so heißen? Puder jedenfalls nicht. Und weil sie mit Nachnamen Zucker hieß, wurde sie schon im Kindergarten einfach Puder genannt. Puder Zucker, damit konnte man leben, fand Puder.

Jetzt stand sie in einer altersschwachen Sporthalle, mitten auf St. Pauli, und starrte Rapha, den Chef ihrer Gang, böse an. Es war megapeinlich, von den Füßen gefegt und dabei von ein paar Bluthunden beobachtet zu werden.

»Du darfst dich von den Typen nicht ablenken lassen«, flüsterte Bonnie.

»Ach wirklich …?« Puder sah ihre Freundin genervt an. Natürlich durfte sie sich von den Typen nicht ablenken lassen. Und normalerweise passierte ihr so ein dummer Fehler nur selten. Aber es passierte eben auch selten, dass ihr vier Bluthunde beim Kickboxen zusahen. Und dass sie da waren, konnte nur eins bedeuten, nämlich Ärger!

Die vier Bluthunde waren Mitglieder der »Bloodhound«-Gang. Sie hatten den Namen von einer amerikanischen Band geklaut, die kein Schwein mehr kannte. Puder und Bonnie nannten sie einfach »Bluthunde«, genau wie Rapha. Sie selbst gehörten zu den »Pauli-Panthern«. Wer die Panther und Bloodhounds nicht kannte, konnte leicht den Eindruck gewinnen, dass sie bis aufs Blut verfeindet wären. Doch das war glücklicherweise nicht der Fall. In der Schule kamen sie sogar erstaunlich gut miteinander aus. In Hamburg gab es so viele Gangs, dass man unmöglich mit allen bis ins Grab verfeindet sein konnte.

Die meisten gab es übrigens auf St. Pauli, dem buntesten Teil der Stadt. Hier reihten sich eine Bar und ein Club an den anderen, es gab Musicaltheater und das Wachsfigurenkabinett. Auf St. Pauli trafen Touristen, Obdachlose, Punks und Partygänger aufeinander.

In eine Gang wurde man gewissermaßen geboren. Puder und Bonnie gehörten zu den Pauli-Panthern, weil sie alle im selben Block wohnten. Es war einfach so und fühlte sich irgendwie richtig an, und niemand machte sich einen Kopf darüber.

»Sie kommen rüber«, murmelte Puder. Bonnie und Raphael strafften die Schultern.

»Da steht einer der Panther wohl nicht ganz sicher auf den Beinen!«, feixte Mungo, der Bloodhound-Boss, während seine Begleiter, Samu, Quincy und Tim blöde gluckerten. Bonnie schoss sofort das Blut in den Kopf, dabei hätte doch eigentlich Puder rot werden müssen. Puder unterdrückte ein Grinsen. Sie wusste, dass Bonnie wahnsinnig verliebt in Mungo war und total auf seine strubbeligen blonden Haare und die süßen Sommersprossen stand. Leider hatte Mungo Bonnie bisher überhaupt nicht auf der Rechnung.

»Zwei Dinge«, sagte er jetzt gefährlich leise und blickte grimmig in die Runde. »Erstens: Wer von euch hat auf der Party, Samu mit einem wasserfesten Stift eine durchgehende Augenbraue gemalt?«

Die drei Pauli-Panther grinsten zufrieden, sagten aber kein Wort.

»Er muss zur Hochzeit seiner Tante, ihr Spinner! Und zweitens … möchten wir die Karten abholen, die ihr euch, ohne zu fragen, aus dem dicken Bismarck geliehen habt!«

Puder und Bonnie sahen sich nervös an. Dummerweise wussten sie genau, von welchen Karten die Rede war. Der FC St. Pauli spielte nächsten Monat gegen Nürnberg und die Bluthunde hatten im alten Bismarckdenkmal sechs Karten versteckt. Die Pauli-Panther kannten das Versteck im Denkmal, und so wie es aussah, wussten die Bluthunde, dass sie es kannten.

Puder kaute angespannt auf ihrer Unterlippe. Nicht, dass sie ein schlechtes Gewissen gehabt hätte. Der Himmel wusste, wie die Bluthunde an die Karten gekommen waren. Aber sie waren bloß zu dritt, während die Bluthunde zu viert waren.

»Das Spiel ist ausverkauft, und wir haben vor, hinzugehen«, sagte Mungo.

Rapha krauste die Nase und näherte sich bis auf wenige Zentimeter dem Anführer der Bloodhounds. »Ich habe keine Ahnung, wovon du redest«, zischte er.

»Dann solltest du vielleicht das Vakuum zwischen deinen Ohren füllen«, knurrte Mungo.

»Mich interessieren eure Karten nicht, verstanden?«, schnaubte Raphael genauso unangenehm. »Und jetzt verschwindet ihr besser!«

Mungo stieß ihn mit dem Zeigefinger vor die Brust. »Wir behalten euch im Auge«, versprach er drohend. »Und wehe es lässt sich auch nur einer von euch im Stadion blicken!«

»Was dann?«, fragte Raphael.

»Dann nehmen wir euch auseinander!«

»Und wenn wir euch wieder zusammensetzen, sitzen eure Hintern auf den Schultern. Aber das fällt ja zum Glück nicht weiter auf!«

Einige Sekunden lang starrten sich die beiden Anführer feindselig in die Augen. Dann gab Mungo seiner Truppe ein Zeichen, woraufhin die Bluthunde kehrtmachten und eilig die Halle verließen.

»War nett, mit euch zu reden, Jungs«, rief Puder ihnen hinterher.

»Ja, kommt doch morgen wieder vorbei«, schlug Bonnie gut gelaunt vor und sah Mungo verliebt nach. Sie grinste so verzückt, dass Puder fürchtete, es würden rosa Wölkchen aus ihrem Mund kommen, sobald sie ihn öffnete.

»Hast du gesehen, wie süß seine Sommersprossen leuchten, wenn er rot wird?«, fragte Bonnie prompt.

»He, auf wessen Seite stehst du?«, schnauzte Raphael.

»Mach dir keine Sorgen. Ich bin ein Panther, genau wie du«, gab Bonnie schnippisch zurück und verschwand hinter Puder in der Umkleidekabine.

»Wusstest du eigentlich, dass Mungos die einzigen Tiere sind, die freiwillig gegen Kobras kämpfen?«, fragte sie wenig später verträumt, während sie in ihrer Tasche nach dem Deo kramte. »Früher glaubte man, sie seien immun gegen Schlangengift. Was nicht stimmt. Sie sind bloß ungeheuer mutig … und sehen dabei soooo knuffig aus!«

Puder setzte ihre coole Nerd-Brille auf. »Und wusstest du, dass Mungo nur Mungo heißt, weil ihn mal eine Blindschleiche gebissen hat?«

Bonnie sah sie überrascht an. »Ehrlich? Eine Blindschleiche? Der Ärmste!« Sie sprühte sich großzügig Deo unter die Achseln und reichte es dann an ihre Freundin weiter.

»Wie sieht es aus, hat deine Mutter heute Nachtschicht?«, fragte Puder wenig später, als beide, umgezogen und duftend, aus der Umkleide gingen.

Bonnie nickte. Ihre Mutter war Krankenschwester und alleinerziehend, genau wie Puders Vater. Nur, dass der im Gewölbe arbeitete, einem schnuckeligen kleinen Music Club, was ungleich cooler war. Betreuungstechnisch waren sie beide aber in der gleichen Situation. Puders Vater kam selten vor vier Uhr morgens nach Hause, und wenn Bonnies Mutter Nachtschicht hatte, war es bei ihr genau das Gleiche.

»Super. Ich hätte mal wieder Lust auf Rocky, was meinst du?« Puder sah ihre Freundin fragend an.

Sie hatten das Musical schon ungefähr fünfundzwanzig Mal gesehen, aber es wurde niemals langweilig. Im Gegenteil. Es war immer wieder wahnsinnig romantisch.

»Rocky geht immer«, meinte Bonnie und schulterte ihren Rucksack.

Von der Sporthalle bis zur Reeperbahn, wo das Musical lief, war es nur ein kurzes Stück. Auf St. Pauli war nichts wirklich weit voneinander entfernt. Man gelangte in wenigen Minuten auf die Meile, an den Hafen, in die Stadt, und wenn es sein musste, auch zur Schule. Wenn man die Abkürzungen kannte, ging alles sogar noch ein bisschen schneller.

Jetzt trabten die beiden Mädchen über das runde Kopfsteinpflaster der schmalen Seitenstraßen und zwängten sich durch eine Lücke im Bretterzaun. »Wählt 110, wir sind für jeden Spaß zu haben«, hatte jemand daran gesprüht. Puder und Bonnie winkten ein paar Punks zu, die auf dem frisch besetzten Platz vor ihren Bauwagen saßen, kletterten über eine brüchige Steinmauer, sprangen von dort auf das flache Dach einer Garage und waren beinah schon da.

Von vorne sah das Operettenhaus vielversprechend und modern aus. Von hinten war es wenig spektakulär und es gab mindestens fünfzig Wege unbemerkt hineinzukommen. Man musste bloß aufpassen, dass einen nicht der alte Jürgensen erwischte.

Heute stand zum Beispiel gleich die Hintertür offen. Durch die Garderoben gelangte man ziemlich problemlos hinter die Bühne. Die Schauspieler, die noch in der Maske saßen, petzten nicht, und Puder und Bonnie konnten es sich auf ihrem Stammplatz, zwischen Scheinwerfern und Bühnenseilen, bequem machen. Während der Vorstellung kam hier nie jemand her und man hatte einen fantastischen Blick auf das Geschehen.

Die Mädchen hatten das Stück schon so oft gesehen, dass sie locker als zweite Besetzung hätten einspringen können. Nicht, dass es unbedingt Puders Musik war, dafür war sie viel zu schmalzig. Aber Rocky war ein echter Schatz – auch wenn er schon ziemlich alt war.

Nach der Vorstellung mischten sie sich unbemerkt unter das Publikum. Das Risiko entdeckt zu werden, war sehr gering.

»Hast du gemerkt, dass Adrienne einen kurzen Texthänger hatte?«, fragte Bonnie, während sie sich in der Menge in Richtung Ausgang treiben ließen.

»Und hast du bemerkt, dass Rocky echtes Nasenbluten hatte, weil Apollo ihn so unglücklich getroffen hat?«

»Was? Armes Rockyli!«, rief Bonnie mitleidig.

Dann waren sie draußen, und Puder atmete erleichtert auf. Sie hatte die ganze Zeit nach dem alten Jürgensen Ausschau gehalten. Doch zum Glück waren sie ihm diesmal nicht in die Arme gelaufen. Der Kartenabreißer hatte sie nämlich auf dem Kieker, seit er sie vor ein paar Wochen zweimal hintereinander erwischt hatte. Heute war alles gutgegangen und sie fühlten sich einfach großartig.

Auf der Reeperbahn funkelten inzwischen die Lichter an den alten Fassaden der Geschäfte und aus dem »Docks« gleich nebenan dröhnten die Bässe irgendeiner Black Metal Band.

»Reeperbahn, ich komm an, du geile Meile …«, summte Bonnie das alte Lied von Udo Lindenberg.

Puder stieß sie an. »Hör auf, das klingt scheußlich! Wollen wir nicht noch kurz im Gewölbe vorbeischauen?«

»Ich weiß nicht. Es ist schon ziemlich spät. Meinst du nicht, dass uns dein Vater auf der Stelle nach Hause schickt?«, fragte Bonnie.

»Quatsch!« Puder war quasi im Gewölbe aufgewachsen und hielt es für ihr gutes Recht, zu jeder Tages- oder Nachtzeit dort aufzukreuzen.

Der Beat Club ihres Vaters lag ein wenig abseits, in einer kleinen, dunklen Seitenstraße. Wochentags waren um diese Zeit kaum noch Menschen unterwegs. Funzelige Straßenlaternen erhellten den Weg nur unzureichend und in den Zweigen magerer Sträucher hingen verloren einige Plastiktüten und Zeitungsfetzen. Vom Glanz und Glitter der großen Meile fehlte hier jede Spur.

Ein kühler Wind war aufgekommen und ließ den Herbst ahnen, der irgendwo draußen auf dem Meer wartete. Jedenfalls stellte sich Puder vor, dass er dort draußen wartete. Sie zog sich die Kapuze ihres Hoodies über den Kopf und hakte sich bei Bonnie ein. Bonnie hatte recht, eigentlich war es nicht mehr die Uhrzeit, um allein auf der Straße unterwegs zu sein. Aber sie hatte ihren Vater den ganzen Tag nicht gesehen, und wenn sie sowieso schon in der Gegend waren, konnte sie ihm auch kurz Hallo zu sagen.

Plötzlich fing die Straßenlaterne neben ihnen an zu flackern. Beunruhigt sahen sich die Mädchen an. Ein Stromausfall musste ja nun wirklich nicht sein. Sie hatten den Club schon fast erreicht, als plötzlich einige merkwürdige Gestalten vor ihnen auf die Straße traten.

Ganz automatisch verlangsamten die Mädchen ihre Schritte. Was waren das denn für komische Typen? Sie waren alle auffallend groß und trugen die gleichen langen grauen Mäntel und schwarzen Stiefel. Ein rundes Logo auf ihren Ärmeln und Stiefelschäften zeigte den goldenen Kopf eines hundeähnlichen Tieres.

Die Männer schenkten den Mädchen keine Beachtung. Eine schwarz-weiße Katze hatte ihr Interesse geweckt. Sie kreisten das Tier ein, bis einer von ihnen vorschnellte und es im Genick packte. Die Katze sträubte sich und maunzte kläglich. Der Mann verzog keine Miene, während er sie den anderen stumm entgegenhielt.

»Was tun die da?«, flüsterte Bonnie empört.

Puder zuckte verwirrt mit den Schultern.

Die Männer hatten inzwischen ihre Handys gezückt und machten Fotos von dem fauchenden, strampelnden Tier.

Im Haus gegenüber flog eine Tür auf, und ein Mann, breit wie ein Schrank, stürmte heraus. »He, Meister! Lass die Katze los, oder …« Der Mann verstummte, als sich die Männer langsam zu ihm umdrehten.

Der Mantelmann mit der Katze streckte den Arm aus und ließ das Tier fallen. Dann machte er einen Schritt auf den Hausbewohner zu, packte ihn am Kragen und zog ihn mit einem Ruck zu sich heran.

»Hast du ein Problem, mein Freund?«

Seine Stimme klang wie das Knarren einer rostigen Tür.

Puder lief ein Schauer über den Rücken. Ein anderer Ledermantel schien nun die Mädchen bemerkt zu haben. Er drehte sich zu ihnen um. Sein Blick war so kalt, dass man allein vom Hingucken Erfrierungen bekam.

»Was gibt es zu glotzen … Verschwindet! Husch, husch ins Körbchen!«, blaffte er. Die anderen lachten.

Dann gab der Mantelmann dem Hausbewohner einen kräftigen Stoß und die Männer marschierten mit wehenden Mänteln davon.

Verdutzt rappelte sich der Anwohner auf und starrte ihnen hinterher.

»Alles in Ordnung?«, fragte Puder.

»Jo, alles in Ordnung«, murmelte er und verschwand wieder in dem Hauseingang, aus dem er gekommen war.

Bonnie zog ihre Freundin schnell weiter. »Was waren das denn für fiese Typen?«, zischte sie.

»Echte Volltrottel«, stimmte ihr Puder aus vollem Herzen zu. »Ich hoffe, wir sehen sie hier nicht wieder.«

Das Gewölbe war ein kleiner, uriger Musikclub mit einer hohen gewölbten Decke, Wänden voll kitschiger Stuckornamente und einem gewaltigen sechsarmigen Kronleuchter, der mitten im Raum von der Decke baumelte. Hier traten Bands auf, die vom großen Durchbruch träumten. Hier hingen Typen herum, die über nichts anderes als Musik redeten. Hier gab es einen kleinen Übungsraum. Und mit etwas Glück bekam man hier sogar ein Stück selbst gebackene Pizza.

Puder und Bonnie drängten sich durch die Tür. »Hallo, Max!«, begrüßten sie einen schwarz gekleideten Mann, der sich an den Lautsprechern zu schaffen machte. Das Gewölbe war rappelvoll, und dementsprechend schwierig war es, sich bis zu Puders Vater durchzudrängeln. Lars Zucker stand hinter dem Tresen und quatschte in aller Ruhe mit ein paar Kumpeln, während die Gäste geduldig auf ihre Getränke warteten.

»Hi, Paps!«, rief Puder und schlüpfte ganz selbstverständlich hinter den Tresen, um die Gäste zu bedienen. Bonnie setzte sich währenddessen auf ein Fass und sah ihr dabei zu. Die Band war so laut, dass man sich sowieso nicht normal unterhalten konnte, und genau das schien den Leuten zu gefallen.

»He, was macht ihr denn hier?«, wunderte sich Puders Vater. »Wisst ihr, wie spät es ist?«

»Kurz nach elf«, sagte Puder, während sie eine Fritz-Kola nach der nächsten ausschenkte.

»Absolut korrekt«, nickte ihr Vater. »Und wenn du nicht willst, dass morgen das Jugendamt vor der Tür steht, machst du jetzt die Biege und gehst nach Hause ins Bett, verstanden?«

Das Jugendamt, Puder und ihr Vater, das war eine unendliche Geschichte. Puder liebte ihren Vater über alles. Leider gab es auf der ganzen weiten Welt niemanden, der so talentiert von einer dummen Sache in die nächste stolperte wie er. Seine genialen Einfälle, wie man in richtig kurzer Zeit an richtig viel Geld kommt, waren berüchtigt. Und das letzte Mal durfte er diese Idee auch direkt vor dem Richter erklären.

Puder seufzte. »Kriegen wir noch eine Pizza?«

Offiziell durfte ihr Vater im Club keine Pizza verkaufen, aber an manchen Tagen, wenn Alessandro von nebenan gute Laune hatte, backte er in seiner Pizzeria auf riesigen Blechen Pizza und brachte sie rüber. Dafür durfte er dann das ganze Jahr gratis gute Livemusik hören.

Ihr Vater deutete mit dem Kopf zur Küche. »Da hinten ist noch was, aber danach geht ihr nach Hause, kapiert?«

»Okay, Sir!«, sagte Puder und balancierte zwei riesige Stücke Margherita auf Servietten aus der Küche. Sie setzte sich neben Bonnie auf das Fass. »Danach müssen wir gehen«, nuschelte sie mit vollem Mund und Bonnie nickte. Die Pizza war oberlecker. Nirgendwo schmeckte sie besser als hier. Alessandro behauptete, er sei in seinem früheren Leben ein Fünf-Sterne-Bäcker gewesen. Aber Puder glaubte ihm kein Wort.

Zufrieden sah sie sich um. Man konnte die Band zwar nicht sehen, weil sich die Leute vor der kleinen Bühne drängten, aber die Musik war sehr in Ordnung. Dann wanderte ihr Blick zu ihrem Vater und verfinsterte sich. Er wurde von zwei aufgedonnerten Lederjacken-Tussis belagert. Sie standen um ihn herum, legten ihm abwechselnd die Hand auf den Arm und gackerten wie die Hühner.

»Die Tanten sollen meinen Vater in Ruhe lassen!«, grummelte sie.

Bonnie grinste. »He, es gehört zu seinem Job, mit ihnen zu reden. Ich wünschte, ich hätte einen Vater, der so aussieht. Er erinnert mich irgendwie an Kurt Cobain. Weißt du, wen ich meine?«

»Ja, den toten Sänger von Nirvana!«, brummte Puder und schob sich das letzte Stück Pizza in den Mund. Bonnie hatte recht. Es gab hässlichere Exemplare als ihren Vater, aber das war doch noch lange kein Grund, ihn ständig anzugrapschen!

»Bis nachher, Däääddy!«, rief sie so laut, dass es nicht zu überhören war.

»Verzieh dich, Puder!«, schnaubte ihr Vater. Und Puder und Bonnie machten sich kichernd aus dem Laden.

2

Der Block, in dem Puder und Bonnie wohnten, bestand aus dreistöckigen alten Backsteinhäusern, die sich um einen baumbewachsenen Innenhof drängten. Abends und an den Wochenenden wurde dort gerne gegrillt und gefeiert.

Heute feierte dort niemand. Aus manchen Fenstern fiel noch Licht, irgendwer spielte Musik und Frau Paternas alter Fernseher flimmerte im Wohnzimmer ihrer Erdgeschosswohnung. Puder lebte gerne hier. So gerne, dass sie sich überhaupt nicht vorstellen konnte, irgendwo anders zu leben. Hier war sie zu Hause, hier kannte sie jede Ecke, jeden Stein und jedes Geräusch. Und zwar so gut, dass ihr sofort der leichte Schimmer auffiel, der aus der Müll-Ecke kam, wie Frau Paterna sie nannte. Hier stapelten die Hausbewohner ihre alten Kartons, Matratzen und unnützen Bettgestelle so lange, bis das Zeug irgendwann von der Müllabfuhr abgeholt wurde.

»Siehst du das?«, fragte Puder und stieß Bonnie an.

»Nö, was meinst du?«

»Na da, den roten Schimmer zwischen den Kartons!«

Bonnie blieb stehen und blinzelte. »Du hast recht! Vielleicht hat jemand Grillkohle ausgekippt!«

»Glaub ich nicht! Es könnte auch ein funkelnder Schatz sein.« Puder zwinkerte Bonnie zu.

»Ja klar … ein Schatz! Dass ich nicht von selbst daraufgekommen bin!« Bonnie verdrehte die Augen. »Wer sollte in unserem Hof einen Schatz verstecken?«

Puder zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, am besten wir sehen mal nach.«

»Och nee, du willst jetzt nicht ernsthaft im Müll wühlen.

Mir ist kalt und ich will endlich nach Hause.«

»Hör auf zu quengeln. Siehst du das nicht? Da ist ganz sicher etwas!«

»Schick mir eine Nachricht, wenn du den Schatz gefunden hast! Ich gehe jetzt ins Bett! Unter einer Million brauchst du allerdings gar nicht erst anklingeln!«

Puder war mit ihren Gedanken schon ganz woanders. Sie hatte sich einen kaputten Regenschirm geschnappt und stocherte damit zwischen Kartons und alten Gardinen herum. Plötzlich zuckte sie zurück. Irgendetwas hatte nach ihr geschnappt.

»Bonnie, komm schnell! Ich glaube, hier ist ein Tier oder so was!«, rief sie aufgeregt.

Vorsichtig schob sie mit dem Schirm einen Pappkarton zur Seite und traute ihren Augen nicht! Ein Fuchs fauchte sie wütend an und kroch noch tiefer zwischen die Pappen.

»Ich glaube, er ist verletzt«, keuchte Puder.

Im Nu war Bonnie bei ihr. Dank ihrer Mutter kannte sie sich mit Erster Hilfe bestens aus.

»Wie kommt ein Fuchs in die Stadt?«, fragte sie ungläubig.

»Hier soll es doch sogar Wildschweine und Waschbären geben«, antwortete Puder.

Sie hob erneut den Karton an, und da saß er.

Zusammengekauert, aber wachsam sah er die Mädchen an.

»Er hat Angst!«, rief Puder voller Mitleid. »Schschschsch …, alles wird gut. Wir tun dir nichts, Füchslein«, säuselte sie und räumte langsam einen Karton nach dem nächsten beiseite. So leicht ließ sich der Fuchs aber nicht beruhigen. Er fauchte drohend und versuchte erneut, sich zu verkriechen.

»Da ist eine Wand, da kommst du nicht weiter.« Puder streckte vorsichtig ihre Hand aus. Der Fuchs schnappte drohend ins Leere.

»So kommst du nicht an ihn ran. Wir brauchen Handschuhe, oder …« Bonnie zog ihre Kapuzenjacke aus und reichte sie ihrer Freundin.

Puder griff danach und breitete die Jacke wie ein Fangnetz aus. »Du machst es uns nicht einfach, Füchslein!«, murmelte sie und warf im nächsten Moment die Jacke über das verletzte Tier. Der Fuchs versuchte zu fliehen, aber Puder und Bonnie waren schneller.

»Ich hab ihn! – autsch!«, rief Bonnie.

»Pass auf, er beißt!«, warnte Puder, während sie versuchte, den zappelnden Fuchs in die Jacke zu wickeln. »Au, verdammter Mist!« Sie warf einen kurzen Blick auf ihren Arm, wo der Fuchs sie erwischt hatte, und zog ihm die Kapuze fest über den Kopf. Wie ein Rollbraten in die Jacke gewickelt, konnte er sich nicht mehr bewegen. Zwar brummte und fauchte er noch immer bedrohlich, aber das Zappeln ließ deutlich nach.

»So ist es gut! Wir wollen dir bloß helfen, vertrau uns!«, murmelte Puder beruhigend, während sie den Fuchs an sich drückte und hinter Bonnie die Treppen hinauf zu ihrer Wohnung lief.

»Der Schlüssel ist vorne in meiner Hosentasche«, schnaufte sie. Bonnie fummelte ihn heraus und schloss die Wohnungstür auf. Dann brachten sie den Fuchs in Puders Zimmer.

»Ich lasse ihn jetzt runter!« Puder setzte den Fuchs samt Jacke auf den Boden. Wie der Blitz schoss das Tier in eine Ecke des Zimmers und sah die Mädchen misstrauisch an.

»Er hat Angst«, sagte Bonnie voller Mitleid.

»Na klar hat er Angst. Ich hätte auch Angst, wenn ich mit uns beiden allein im Zimmer wäre.«

»Siehst du, wie schmutzig er ist? Aber er blutet nicht mehr.« Bonnie zeigte auf das struppige, blutverkrustete Fell des Fuchses.

»Der Ärmste! Ob er Durst hat?« Puder lief in die Küche und kam gleich darauf mit einer Schüssel Wasser zurück. Dann hockte sie sich auf den Boden und schob ihrem Patienten ganz langsam die Wasserschüssel hin. Der Fuchs ließ sie nicht aus den Augen. Eine Weile passierte nichts, doch dann traute er sich tatsächlich zwei Schritte aus seiner Ecke und fing an, gierig zu trinken.

Die Mädchen sahen sich lächelnd an. »Was machen wir jetzt mit ihm?«, fragte Puder.

»Am besten, wir lassen ihn erst mal in Ruhe. Vielleicht können wir ihn morgen verarzten. Ich muss jetzt sowieso nach Hause, sonst schlafe ich in Mathe wieder ein.« Behutsam stand Bonnie auf und ging zur Tür.

»Warum musst du jetzt von Mathe reden?«, stöhnte Puder und folgte ihr in den Flur. »Ich habe noch nicht einmal Hausaufgaben gemacht.«

Bonnie schlüpfte aus der Tür ins Treppenhaus. »Ich hole dich morgen früh ab«, rief sie leise, während sie die Treppe hinunterlief. »Melde dich, wenn irgendwas Spannendes passiert!«

Puder schloss sorgfältig hinter ihr ab. Dann ging sie ins Badezimmer, um sich die Hände zu waschen und sah sich den blutigen Kratzer auf ihrem Unterarm noch mal genauer an. Er war nicht der Rede wert.

Als sie zurück in ihr Zimmer kam, hatte sich der Fuchs in seiner Ecke zusammengerollt und sah sie müde aus bernsteinfarbenen Augen an.

»Es ist okay, Fuchs. Du kannst schlafen, wo du willst.« Puder zog ihre Jeans aus, nahm die Brille ab und schlüpfte ins Bett. Angestrengt lauschte sie ins Dunkel, aber der Fuchs machte nicht das kleinste Geräusch. Schließlich fielen ihr ebenfalls die Augen zu. Sie träumte von Männern in langen Mänteln, die ihr Fußballkarten am ausgestreckten Arm vor die Nase hielten, und von einem Fuchs, der von einer Meute Bluthunde über eine Bühne gehetzt wurde.

Mitten in der Nacht wurde sie wieder wach. Das Mondlicht fiel silbern ins Zimmer. Puder stellte beruhigt fest, dass sich der Fuchs nicht von der Stelle gerührt hatte.

Sie konnte ihn ganz deutlich sehen. Sein Fell schimmerte, als würden eine Million Staubteilchen im Sonnenlicht tanzen. Es sah wunderschön aus und war das gleiche Schimmern, das ihn auch im Hof verraten hatte. Einen Moment überlegte sie, ob sie jemals etwas von schimmernden Füchsen gehört hatte. Dann legte sie sich wieder hin. Sie würde der Sache später auf den Grund gehen. Heute war sie einfach viel zu müde dazu.

Ein paar Stunden später wurde sie von ihrem Handy geweckt, noch bevor der Wecker klingelte. Bonnie hatte ihr auf WhatsApp eine Nachricht geschickt.

Meine Hand sieht voll fies aus. Ich zeige sie jetzt meiner Mutter

Echt, du Arme! Aber erzähl ihr nicht, dass der Fuchs noch bei mir ist.

Ok schrieb Bonnie. Und zehn Minuten später: Ich komme heute nicht zur Schule. Ich muss zum Arzt. Meine Mutter will, dass ich mich gegen Tollwut impfen lasse. Kommst du mit?

Nö! schrieb Puder und dann: Was fressen Füchse eigentlich?

Mäuse!

Vergiss es! schrieb Puder zurück. Als sie von ihrem Handy aufsah, bemerkte sie, dass der Fuchs sie beobachtete.

Dann kam noch eine Nachricht von Bonnie. Meine Mutter besteht darauf, dass du mitkommst und dich impfen lässt. Sie sagt, alles andere wäre fahrlässig. Ich hole dich gleich ab.

Puder seufzte und ging ins Badezimmer, um zu duschen. Als ihr Blick auf den Kratzer an ihrem Arm fiel, bekam sie einen Schreck. Er hatte sich genau wie bei Bonnie ganz fies entzündet, tat aber kaum weh.

Sie duschte heiß und ausgiebig, band sich dann ihre rotblonden Haare mit einem Zopfgummi zusammen und ging anschließend in die Küche. Vielleicht hatten sie ja irgendeinen Mausersatz im Kühlschrank, mit dem sie den Fuchs füttern konnte. Wie immer warf sie einen kurzen Blick ins Schlafzimmer ihres Vaters. Er lag begraben unter einem Berg von Kissen und schlief.

Gestern waren noch Frikadellen im Kühlschrank gewesen. Heute stand nur noch die leere Frischhaltebox da. Also schnappte sich Puder die letzten beiden Mortadella-Scheiben und marschierte damit zurück in ihr Zimmer. Der Fuchs hob wachsam den Kopf. Um ihn nicht zu verschrecken, setzte sie sich ganz langsam vor ihn auf den Boden und hielt ihm stumm eine Wurstscheibe hin. Der Fuchs schien nicht besonders überrascht. Er schnüffelte kurz und schnappte ihr die Wurst dann gierig aus der Hand. Puder lächelte. »Nachher bringe ich dir mehr«, versprach sie.

Das Handy summte erneut. Komm runter, ich warte im Hof! schrieb Bonnie. Und nimm deine Schulsachen mit, meine Mutter hat mich auch dazu gezwungen.

»Bis nachher, Füchschen«, murmelte Puder. »Ach ja, mein Vater ist da. Also, wenn du ihn hörst, wäre es besser, du würdest dich verstecken. Genügend Zeugs liegt hier ja herum.«

Sie schnappte ihren Rucksack und machte sich auf den Weg.

Bonnie saß auf der niedrigen Mauer im Hof und spielte mit ihrem Handy. Als sie Puder kommen sah, stand sie auf und hielt ihr die Hand hin. »Hier, guck dir das mal an! Hast du jemals schon so etwas Fieses gesehen?«

»Ups!« Puder schluckte. Bonnies Hand war geschwollen und sah wirklich schlimm aus. »Tut es sehr weh?«, fragte sie mitleidig.

Bonnie schüttelte den Kopf. »Irgendwie nicht.«

»Mich hat er auch erwischt.« Puder krempelte ihre Ärmel auf und zeigte ihren Kratzer. Mit Bonnies Hand konnte der zwar nicht mithalten, aber rot war er auch.

»Na toll. Danke, Fuchs!«, grollte Bonnie. »Meine Mutter hat uns bei sich in der Klinik angemeldet. Die warten da schon auf uns. Wir sollen uns auf der Kinderstation melden.«

»Wo?« Puder blieb empört stehen. »Auf der Kinderstation? Wie peinlich ist das denn? Stell dir vor, uns sieht jemand. Also ich …«

Bonnie fasste sie einfach am Arm und zog sie ungeduldig mit. »Was ist denn daran peinlich? Selbst wenn jemand sieht, wie wir dieses Krankenhaus betreten, woher soll er wissen, dass wir auf die Kinderstation wollen?«

»Nicht wollen … müssen«, brummte Puder. Aber natürlich hatte Bonnie recht.

Obwohl es erst halb acht war, war das Wartezimmer proppenvoll. Und jetzt war Puder doch froh, dass Bonnies Mutter so gute Beziehungen hatte. Die Schwester an der Information bugsierte sie nämlich gleich in ein leeres Behandlungszimmer. Fünf Minuten später saß ihnen eine Ärztin gegenüber und sah sie über den Rand ihrer Brille forschend an.

»Wie fühlt ihr euch?«

»Ganz gut, es tut eigentlich gar nicht weh!«

Die Ärztin schaute sich Bonnies Hand und Puders Arm an und ließ sich die Geschichte mit dem Fuchs noch einmal erzählen. Dann stellte sie ein paar Fragen. »Wann ist der Biss passiert? Wie ist es dazu gekommen? War der Fuchs apathisch oder hatte er sogar Schaum vor dem Mund?«

Die beiden letzten Fragen konnten die Mädchen ganz klar mit Nein beantworten.

»Gut«, sagte die Ärztin. »Ich gebe euch trotzdem vorbeugend eine Spritze gegen Tollwut. In den nächsten Wochen müsst ihr euch noch zwei weitere Spritzen abholen, dann seid ihr auf der sicheren Seite. Das Risiko, dass der Fuchs die Tollwut hatte, ist glücklicherweise gering. Seit 2006 hat es keinen Tollwutfall mehr in Deutschland gegeben.«

Na, das war doch sehr beruhigend. Erleichtert atmeten die Mädchen auf. Sie bekamen ihre Spritze, die Wunden wurden versorgt und dann konnten sie das Krankenhaus auch schon wieder verlassen.

»Lasst euch ein Attest mitgeben, von wann bis wann ihr hier gewesen seid. Das könnt ihr in der Schule vorlegen. Wenn ihr euch beeilt, schafft ihr es noch zur zweiten Stunde.«

Freundlich sah die Ärztin sie an.

Puder und Bonnie lächelten tapfer. »Machen wir. Vielen Dank!«

Was blieb ihnen anderes übrig – sie gingen zur Rezeption, ließen sich ein Attest geben und stiegen schweigend in den Fahrstuhl. Kaum hatte sich die Tür hinter ihnen geschlossen, zerknüllte Puder ihr Attest und warf es einfach in die Ecke. »Mein Vater schreibt mir ein besseres«, verkündete sie aufmüpfig.

Bonnie sah sie ungläubig an. »He, was soll das? Heb das wieder auf. Du willst doch nicht im Ernst wieder schwänzen?«

»Doch! Du etwa nicht?«

Man sah Bonnie deutlich an, wie sehr sie mit sich kämpfte. »Ich weiß nicht. Ich möchte keinen Brief nach Hause kriegen. Meine Mutter hat schon so viel um die Ohren, und ich möchte nicht, dass sie meinetwegen …«

Puder hob ihr Attest schweigend auf und sah Bonnie verlegen an. »Deine Mutter hat echt Glück mit dir«, sagte sie und meinte es völlig ernst. »Und du hast Glück mit deiner Mutter. Sie ist wie … eine Art Leuchtturm, finde ich. Sie weiß immer genau, was richtig und was falsch ist. Du wirst ganz sicher mal eine super tolle Anwältin, oder was sie sonst für dich geplant hat. – Vorausgesetzt du hörst nicht immer auf mich und vergisst das mit dem Schwänzen!« Puder stopfte das Attest umständlich in ihre Jackentasche. »Ich komme vermutlich mehr nach meinem Vater …«

Bonnie kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. »So richtiges Schwänzen wäre es heute eigentlich gar nicht«, meinte sie dann. »Meine Hand tut zwar kaum weh, aber sie ist schon ziemlich dick. Ich weiß nicht mal, ob ich mit dem Verband überhaupt einen Stift halten kann …« Sie lächelte Puder schief an.

Puder grinste bis über beide Ohren. »Deine Entscheidung! – Aber du hast recht. Verbände und Stifte passen einfach nicht zusammen.«

Bonnie strahlte. »Also gut …! Was machen wir jetzt?«

»Wir könnten zuerst zum Bäcker gehen und anschließend etwas für den Fuchs zum Fressen besorgen«, schlug Puder vor und hakte sich bei ihrer Freundin unter.

Also gingen sie zum Bäcker, kauften sich dort zwei Franzbrötchen und verbrachten den Vormittag gemütlich am Alsterufer. Sie saßen auf den Treppenstufen, hielten ihre Gesichter in die warme Sonne, und mit jedem Bissen, den das süße, klebrige Brötchen kleiner wurde, schrumpfte auch ihr schlechtes Gewissen.

Es war herrlich, einfach dazusitzen, aufs Wasser zu gucken und den Menschen zuzuhören, die in der Stadt Urlaub machten oder sich einfach treiben ließen wie sie selbst.

Schließlich zerbröselte Puder das letzte Stück Franzbrötchen, das sie sich aufgehoben hatte, und teilte es gerecht unter den Möwen und Schwänen auf. »Ich glaube, es ist besser, wenn wir jetzt das Futter für den Fuchs besorgen und dann nach Hause gehen. Bestimmt ist er nicht stubenrein«, sagte sie.

Bonnie rümpfte die Nase und stand auf. »Aber du willst ihn doch nicht mit Mäusen füttern, oder?«

»Quatsch! Sehe ich aus wie ein Monster? Ich kaufe ein paar Dosen Katzenfutter, das müsste gehen. Igel fressen so etwas auch.«

Im Supermarkt der Europapassage gab es alles, was ein Katzenherz höher schlagen ließ. Herzhafte Innereien, Hühnchen mit Pasta und Seefisch in pikanter Sauce.

Puder und Bonnie nahmen von jeder Sorte eine Dose. »Irgendwas wird ihm schon schmecken«, hoffte Puder. »Meinst du, ich soll ihm noch einen Kauknochen …«

Plötzlich lief Bonnie dunkelrot an und zerrte Puder hinter das Regal mit den Gemüsekonserven.

»Was ist?«, fragte Puder verblüfft.

»Bluthunde!«, hauchte Bonnie und schob die Dosen zur Seite, um besser sehen zu können.

Puder verdrehte genervt die Augen. »Lass mich raten, einer von ihnen ist Mungo, der alte Angeber.«

»Nein, er ist nicht dabei«, sagte Bonnie enttäuscht. Sie steckte so tief im Regal, dass ihr Kopf fast auf der anderen Seite wieder herausguckte.

»Und … was machen sie?«, fragte Puder nach einer Weile.

»Ich weiß nicht. Sie stehen vor den Nassrasierern.«

»Was wollen sie denn damit?« Puder zog Bonnie aus dem Regal und sah selber nach. »Bist du sicher, dass sie sich nicht für die Nasenhaartrimmer oder Kondome interessieren?«

Bonnie fing an zu kichern.

»Hey, ihr zwei Grinsekatzen! Wir haben euch heute in der Schule vermisst!«

Erschrocken fuhren die Mädchen herum. Hinter ihnen stand Mungo, der Chef der Bloodhounds, mit zwei Flaschen Cola in den Händen, und sah sie spöttisch an. Dann fiel sein Blick auf ihren Einkaufswagen. »Herzhafte Innereien … Verstehe! Die Panther haben sich eine Kleinigkeit zu essen besorgt. Macht ihr das Zeug vorher warm, oder …«

»Wir essen das kalt, direkt aus der Dose«, fauchte Puder ihn an. »Und jetzt lass uns durch, Waldi. Wir haben Hunger!«

Mungo trat grinsend zur Seite und die Mädchen schoben ihren Einkaufswagen hocherhobenen Hauptes zur Kasse. Das Miauen und Schnurren, das gleich darauf hinter ihnen einsetzte, beachteten sie nicht weiter.

3

»Hallo, Paps!«, rief Puder, noch während sie die Wohnungstür aufschloss. Aber sie bekam keine Antwort. Auf dem Küchentisch lag eine eilig hingekritzelte Nachricht: »Ich bin kurz weg. Im Kühlschrank ist noch etwas Chili. Wir sehen uns später! xx«

»Hast du Hunger?«

Bonnie schüttelte den Kopf. »Nee, das Chili von deinem Vater ist mir zu scharf.«

Puder öffnete eine Dose Seefisch in pikanter Sauce und füllte alles auf eine Untertasse. »Ich hoffe, er frisst so etwas!« Sie hielt verdutzt inne.

»Was ist?«

»Ich weiß nicht, aber die Stelle an meinem Arm ist plötzlich ganz rau. Fühl mal!«

Bonnie ließ ihre Finger über Puders Arm gleiten. »Stimmt. Fühlt sich irgendwie stoppelig an. Wer weiß, was sie uns im Krankenhaus für ein Zeug gespritzt haben.« Dann lachte sie. »War nur Spaß! Die Verletzung fängt sicher an zu heilen. Ich würde sie eincremen.«