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»So irritiert und glücklich war er noch nie gewesen. Komisch, dass Kinder einen beides gleichzeitig fühlen lassen konnten.«
Frank ist ein einsamer, alter Griesgram, der mit niemandem außer dem „Geist“ seiner verstorbenen Frau Marcie spricht – bis eines Tages ein blonder Haarschopf über seinem Gartenzaun auftaucht. Der sechsjährige Red, der gerade mit seiner Mutter ins Nachbarhaus eingezogen ist, und seitdem ununterbrochen am Schwatzen oder Trampolinspringen ist, geht Frank zunächst gehörig auf die Nerven. Doch die entschlossene Freundlichkeit des Kindes, das neben der Trennung seiner Eltern auch einen schweren Start an seiner neuen Schule verkraften muss, hilft Frank aus seiner Isolation heraus. Es entsteht die unwahrscheinlichste aller Freundschaften. Eine Freundschaft, die das Leben der beiden für immer verändern wird!
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Seitenzahl: 525
Veröffentlichungsjahr: 2025
Zum Buch
»So irritiert und glücklich war er noch nie gewesen. Komisch, dass Kinder einen beides gleichzeitig fühlen lassen konnten.«
Frank ist ein einsamer, alter Griesgram, der mit niemandem außer dem „Geist“ seiner verstorbenen Frau Marcie spricht – bis eines Tages ein blonder Haarschopf über seinem Gartenzaun auftaucht. Der sechsjährige Red, der gerade mit seiner Mutter ins Nachbarhaus eingezogen ist, und seitdem ununterbrochen am Schwatzen oder Trampolinspringen ist, geht Frank zunächst gehörig auf die Nerven. Doch die entschlossene Freundlichkeit des Kindes, das neben der Trennung seiner Eltern auch einen schweren Start an seiner neuen Schule verkraften muss, hilft Frank aus seiner Isolation heraus. Es entsteht die unwahrscheinlichste aller Freundschaften. Eine Freundschaft, die das Leben der beiden für immer verändern wird!
Zum Autor
Matt Coyne stammt aus Sheffield, South Yorkshire. Im September 2015 wurde Matts Leben durch die Ankunft seines Sohnes Charlie auf den Kopf gestellt. Nach drei Monaten Elternschaft meldete er sich in den sozialen Medien an und schrieb über seine Erfahrungen als ahnungsloser Elternteil in der ersten Zeit. Innerhalb weniger Tage wurde sein Beitrag über das Überleben in den ersten Monaten der Elternschaft von Millionen Menschen auf der ganzen Welt geteilt. Daraufhin gründete Matt seinen beliebten Blog Man vs. Baby, der mittlerweile über 400.000 Follower hat. Auf der Grundlage von Man vs. Baby hat er zwei Sunday Times-Bestseller veröffentlicht und außerdem für The Guardian, The Telegraph, Private Eye und das GQ Magazine geschrieben. »Frank & Red« ist Matts erster Roman.
Matt Coyne
Frank & Red
Roman
Aus dem Englischen von Kristian Lutze
HarperCollins
Die Originalausgabe erschien 2024 unter dem Titel
Frank & Red bei Wildfire, Headline Publishing Group, London.
© 2024 Matt Coyne
Deutsche Erstausgabe
© 2025 für die deutschsprachige Ausgabe
HarperCollins in der
Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH
Valentinskamp 24 · 20354 Hamburg
Covergestaltung von Christian Richert, Digitage
Coverabbildung von Illustration by Bruno Mangyoku, represented by Handsome Frank
E-Book Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN9783749908677
www.harpercollins.de
Jegliche nicht autorisierte Verwendung dieser Publikation zum Training generativer Technologien der künstlichen Intelligenz (KI) ist ausdrücklich verboten. Die Rechte der Urheber und des Verlags bleiben davon unberührt.
Für Lyns und Charlie
Und für Lorraine.
Mit dem Leben ist es wie mit einem Theaterstück
»Ah, Himmelherrgott …«
Es klopfte erneut an der Haustür.
Er fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht, stemmte sich aus dem Sessel hoch, trank den letzten Schluck Bier aus der Flasche und stapfte in den Flur.
Durch die Milchglasscheibe konnte er zwei Gestalten erkennen, eine größer als die andere, beide in Schwarz. Sie wollten gerade ein drittes Mal klopfen, als Frank die Tür aufriss.
»Hallo! Guten Morgen«, flötete die kleinere Gestalt – eine Frau – und überspielte ihre Abscheu über seine Erscheinung, indem sie freundlich den Kopf zur Seite legte. Der Mann, ein blasses schmales Hemd, lächelte Frank nur dämlich an, als würde er in das Gesicht eines Kindes starren.
»Es tut uns wirklich leid, Sie heute Morgen zu stören. Wir wollten …«
Aber Frank sah die Broschüre, die der Mann in der Hand hielt, darauf das Bild einer Kerze, von einer Dornenkrone umkränzt, und wusste, was kam. Es tat ihnen keineswegs leid, ihn zu stören.
Mit einer Begeisterung, die ein nervöses Zucken seines linken Auges auslöste, fuhr die Frau fort: »… fragen, ob wir heute mit Ihnen über das Glück in Ihrem Leben sprechen dürfen …« Ihr Blick zuckte zu der Flasche in seiner Hand. »Und über das, was vielleicht fehlt? Vielleicht sogar darüber, wie Jesus ein Teil …«
Frank blinzelte einmal langsam.
Und dann:
»Kommen Sie rein!«, sagte er unvermittelt enthusiastisch, den irischen Akzent voll aufgedreht. »Bitte, kommen Sie!«
Sichtlich überrascht wechselten die beiden Besucher einen Blick, als er zur Seite trat und sie in den beengten Flur bat. Sie streiften sich an einer ausgefransten Fußmatte die Schuhe ab, während Frank sie mit strahlendem Lächeln und ausgestrecktem Arm an der Treppe vorbeidirigierte. »Bitte, gleich dort entlang.«
Sie marschierten im Gänsemarsch den Flur hinunter – vorbei an einer alten Kommode mit Fotos und einer längst verdorrten Grünlilie – und schließlich in die Küche.
»Und nur noch … hier durch.«
Frank öffnete die Hintertür und schob das Paar ohne weitere Umstände nach draußen. »Und jetzt verpisst euch«, sagte er, machte eine obszöne Geste und knallte die Tür zu. Ihre verdutzten Gesichter waren auch durch die Mattglasscheibe noch gut zu erkennen.
Seine eigene Miene nahm wieder ihren gewohnten Ausdruck von Überdruss und Verärgerung an, und er warf die leere Bierflasche in Richtung Mülleimer, verfehlte ihn aber um gut dreißig Zentimeter. Die Flasche prallte gegen die Fußleiste und rollte dann unter den Küchentisch. Frank öffnete schnaubend den Kühlschrank, um sich eine neue Flasche zu nehmen, als am Fuß der Treppe seine Frau auftauchte.
»Nun, das war ein bisschen gemein«, sagte sie und lehnte sich an die Wand.
Ohne sie zu beachten, öffnete er die Bierflasche mit dem Handballen an der Kante des Küchentresens und trank einen Schluck. Dann ging er zurück ins Wohnzimmer, zurück zu seinem Sessel und dem Abdruck seines Körpers, der den Sessel zu den seltenen Anlässen bewohnte, zu denen Frank nicht selbst darin saß. Er wollte sich gerade rücklings hineinfallen lassen, als es erneut klopfte, ein leises Tippen, diesmal an der Hintertür.
»Herrgott noch mal! Was ist denn jetzt?«
Marcie lächelte. »Nun, das Gartentor ist abgeschlossen. Du hast den Schlüssel verloren, vor etwa einem Jahr, weißt du nicht mehr?« Achselzuckend fuhr sie fort: »Und da sie nur zurück durchs Haus hier wegkommen, könnte ich mir vorstellen, dass sie wieder reinwollen.«
Frank öffnete die Tür, und die zweiköpfige Truppe Gottes trat mit verlegenem Lächeln wieder ein. Wie Touristen, die versuchen, sich zu orientieren, standen sie in der Küche, bis Frank sie ungeduldig zurück in den Flur und zu der Tür wies, durch die sie vor nicht einmal zwei Minuten hereingekommen waren.
Sie drängten ein weiteres Mal vorbei an der vollgestellten Kommode mit den Fotos und der lange verblichenen Grünlilie, hasteten über die ausgefranste Matte zu der Treppe vor dem Haus und zogen geräuschvoll die Tür hinter sich zu.
»Du bist echt ein Arsch.« Seine Frau kicherte.
Frank nahm noch einen Schluck aus der Flasche und lächelte unwillkürlich zurück.
Aber sie war verschwunden, so, wie sie immer verschwand. Und ihn jedes Mal aufs Schmerzhafteste daran erinnerte, dass sie seit fast zwei Jahren tot war.
Skriiwoing.
Skriiwoing.
Skriiwoing.
Skriiwoing.
Es war das ärgerlichste Geräusch, das er je gehört hatte. Als würde ein Esel ein quietschendes Gummispielzeug bespringen.
Das neue Kind nebenan nannte offenbar ein Trampolin sein Eigen.
Frank saß nur deshalb im Garten hinter dem Haus, weil er dem Lärm entkommen wollte, den die Umzugsleute vor dem Haus veranstalteten. Der Tag, vor dem ihm seit dem Auszug von Mrs. Palmer-Machin gegraut hatte, war schließlich gekommen: Er war von den Geräuschen neuer Nachbarn aufgewacht.
Mrs. Palmer-Machin war die perfekte Nachbarin gewesen. Sie hatte ihn nur angesprochen, um ihm einen guten Morgen zu wünschen, häufig aber nicht einmal das. Sie machte selten Lärm, und das einzige Geräusch, das durch die gemeinsame Wand drang, war der Ton ihres Fernsehers, der in dem Maße, in dem ihre Hörkraft nachgelassen hatte, mit der Zeit ein klein wenig lauter geworden war.
Aber eines Abends im vergangenen Dezember hatte es nebenan ein großes Gepolter gegeben – irgendetwas war umstoßen worden –, und Frank hatte aus einem Fenster im ersten Stock geblickt und die alte Frau in Unterwäsche auf der Straße stehen sehen. Er war nach draußen gegangen, hatte sie behutsam zurück in ihr Haus geführt und auf einem Zettel am Kühlschrank die Telefonnummer ihrer Tochter gefunden. Binnen Stunden war die alte Dame verschwunden, um fortan in Cleethorpes, Skegness oder irgendeinem anderen heruntergekommenen Küstenkaff zu leben, wohin die Alten und der Spaß zum Sterben kamen.
Seit jenem Tag waren nur noch einmal Zeichen von Leben aus der Nummer 32 gedrungen, als Mrs. Palmer-Machins Tochter und ihr Schwiegersohn gekommen waren und sich darangemacht hatten, das Leben der alten Frau in Mülltüten zu stopfen und in ihren Wagen zu packen. Der Schwiegersohn hatte Frank gegenüber beim Abschied betont, die Küste sei der perfekte Ort für die alte Dame, um dort ihre letzten Jahre zu genießen.
Natürlich, dachte Frank, die Viktorianer schworen auf die Seeluft – und es hatte ja auch etwas vage Poetisches, wenn ein Mensch dem Ende seiner Tage an einem Ort entgegensah, wo das Land endete. Aber die Fröhlichkeit, mit der der Schwiegersohn die ganze Sache nahm, ärgerte Frank, und er hatte erwidert, ja, Mrs. Palmer-Machin sei ganz bestimmt begeistert, ihren Lebensabend in einem »verfallenden Drecksloch« zu verbringen, wo »sich Erde und Wasser begegnen«.
»Da lass ich mich lieber vorher erschießen«, hatte er geknurrt. Und der Schwiegersohn seiner alten Nachbarin war mit einem Gesichtsausdruck zu seinem Wagen zurückgegangen, der vermuten ließ, dass er das bereitwillig übernehmen würde.
Das war vor mehr als zehn Monaten gewesen. Seitdem hatte das Haus leer gestanden, ein Umstand, der Frank perfekt passte. Das heißt, es hatte bis heute leer gestanden. Nun hallten seit dem Morgen in seinen eigenen Wänden Geräusche von Kartons und Möbeln wider, die ins Nachbarhaus geschleppt und hin und her geschoben wurden.
Um zehn Uhr hatten Franks Zähne bereits bei jedem dumpfen Aufprall und Poltern gekribbelt, sodass er voller Überdruss, Angst und Schrecken beschlossen hatte, sich mit einem Becher Tee und der Zeitung in den Wald aus Unkraut und hodenhohen Gräsern im Garten hinter dem Haus zu verziehen, weil er es drinnen nicht mehr aushielt.
Zweifellos wäre es sinnvoller gewesen, für ein paar Stunden komplett die Flucht zu ergreifen und einen Pub oder ein Café in der Nähe aufzusuchen, doch auf den Gedanken kam er erst gar nicht. Schließlich war das »jenseits des Tores«. Der Garten hinter dem Haus musste genügen.
Als er aus der Hintertür trat, musste Frank sein Gesicht abschirmen, als wäre er ein Vampir, der Gefahr lief, in Flammen aufzugehen. Sich ins Freie und in die grelle Sonne zu wagen, fühlte sich fremdartig an, und als seine Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, war er beinahe überrascht, den Garten in einem derart verwilderten Zustand vorzufinden.
Das vormals ordentliche Gemüsebeet war nur mehr ein wirres Geflecht von Wurzeln und Bambusstöcken. Zu beiden Seiten des schmalen Rasenstreifens, der zu einer Wildblumenwiese mutiert war, attackierten Efeu und Blauregen die Zaunelemente. Und das alte Holzgewächshaus am Ende des Gartens stand schief wie ein Betrunkener, die Scheiben von braunen Tomatenpflanzen und stacheligen Obstbäumen durchbohrt.
»Hmm.«
Frank ließ den Blick schweifen und entdeckte auf der Terrasse hinter sich einen Plastikstuhl. Er war mit grünem Moos bedeckt und stand aufgeklappt mit Blick in den Garten, als hätte dort die ganze Zeit jemand gesessen, um den Verfall zu beobachten. Frank klemmte die Zeitung unter den Arm, nahm den Stuhl und stellte ihn mitten auf den einst so sorgfältig gepflegten Rasen. Er balancierte den Teebecher auf der Armlehne und ließ sich stöhnend nieder.
Mit einem Gefühl, das an Zufriedenheit grenzte, bemerkte er, wie still es war.
Aber dieser Moment der Zufriedenheit fand ein rasches Ende, als Frank die Zeitung irgendwo aufschlug und eine ganzseitige Anzeige für »Black Friday Deals!« entdeckte, dazu das Bild eines unmöglich perfekten Paares, das nur in Unterwäsche bekleidet breit grinsend nebeneinanderstand, nachdem die beiden bei etwas gewonnen hatten, das sich »Love Island« nannte. Er grunzte noch einmal. »Hmm.«
Heutzutage sprangen offenbar alle in Unterwäsche herum. In Zeitungen, in Magazinen und im Fernsehen. Ständig halb nackt. Oder schlimmer. Als er gestern Abend den Fernseher eingeschaltet hatte, war er in eine Sendung geraten, in der die Kandidatinnen und Kandidaten anhand der Betrachtung isolierter Körperteile ihrer Mitbewerber wählen mussten, mit wem sie ein Date haben wollten. Er hatte eilig weitergeswitcht, als eine über die Maßen erregte junge Frau gerade einen potenziellen Gefährten auswählte, allein anhand des Anblicks seiner blassen Beine samt Gemächt, das zwischen ihnen baumelte wie eine schiefe Tulpe.
So viel zu Channel 4.
Frank blätterte eine Seite um und noch eine, merkte jedoch bald, dass er eigentlich keine Lust hatte zu lesen, als Letztes Artikel über irgendwelchen Promi-Blödsinn und Dinge, die er nicht wirklich verstand, schon gar nicht bei der inzwischen eingesetzten Ablenkung aus dem Nachbargarten. Aber er tat trotzdem weiter so, als würde er lesen, denn es hätte sich seltsam angefühlt, einfach dazusitzen, als würde er selbst auch nur darauf warten, zu sterben oder nach Cleethorpes verfrachtet zu werden.
So köchelte Frank still vor sich hin, starrte auf Wörter und Bilder auf den bedruckten Seiten und verfluchte stumm die Wendung der Ereignisse, die dazu geführt hatte, dass das Haus nebenan nicht länger leer stand. Der grässliche Gedanke, die neuen Nachbarn könnten sich als »freundlich« oder – Gott bewahre – »gesprächig« erweisen, bestürzte ihn.
Und diese Bestürzung steigerte sich zu blankem Entsetzen angesichts der Vorstellung, dass eine Familie einzog, noch dazu eine Familie mit einem kleinen Kind.
Und vor allem mit einem verdammten Trampolin.
Skriiwoing.
Skriiwoing.
Skriiwoing.
Skriiwoing.
»Und, was denkst du?«
Red stand mit geschürzten Lippen auf dem Weg vor dem Haus. Das war nicht das, was er sich vorgestellt hatte. Etwas Burgähnlicheres hatte er sich ausgemalt, mit großen Toren. Nicht unbedingt mit Zugbrücke und Wassergraben, aber mit Türmchen und Flagge und einem Garten so groß wie ein Park.
Offensichtlich war seine Fantasie wieder mit ihm durchgegangen.
Das hatte seine alte Lehrerin Mrs. Rennie immer gesagt. »Du musst aufpassen, dass deine Fantasie nicht mit dir durchgeht, Red.« Allerdings hatte das nur dazu geführt, dass er sich das Wort FANTASIE als Zeichentrickfigur mit Armen und Beinen vorstellte, die seine Hand packte und ihn mit sich fortriss.
Und ja, dieses Mal war seine Fantasie auf jeden Fall mit ihm durchgegangen, denn das, was er jetzt betrachtete … war eine Enttäuschung.
Es sah so langweilig aus wie ein gewöhnliches Haus. Das kleinste in einer Reihe kleiner Häuser. Und während Red nun dieses Reihenmittelhaus aus rotem Backstein anstarrte, fand er etwas bestätigt, was er schon geahnt hatte. Die Entscheidung, ihr Haus in Stanhope Gardens zu verlassen, war ein furchtbarer Fehler gewesen, und wenn irgendjemand sich die Mühe gemacht hätte, ihn zu fragen, hätte Red ihm das auch sagen können.
Er hatte von Anfang an nicht umziehen wollen, hatte das Haus, in dem sie mit Dad gewohnt hatten, nicht verlassen wollen. Red wusste wirklich nicht, warum sie, bloß weil Dad jetzt mit dem »Busenwunder« zusammenwohnte, ans andere Ende von London ziehen mussten – und in das hier.
Aber seine Mum hatte darauf bestanden. Sie hatte gesagt, das neue Haus würde bestimmt »cool« sein. Sie hatte gesagt, es würde »fantastisch« sein.
Es war nicht cool. Es war nicht fantastisch.
Als Red nicht antwortete, fragt seine Mum noch einmal: »Und, was denkst du?« Sie rieb seine Hand, die sie in ihrer hielt. »Von innen ist es wirklich schön. Und es gibt drei Schlafzimmer, das heißt, in einem können wir ein Spielzimmer mit einer Höhle einrichten. Das wird super.«
Super. Fantastisch. Cool. Allmählich fragte Red sich, ob seine Mum wusste, was diese Worte wirklich bedeuteten.
»Und?«, sagte sie noch einmal.
Es war nur ein winziges Wort, aber diesmal bekam Red etwas von der Hoffnung mit, die darin lag, aber auch von der Traurigkeit über seine Reaktion, und er fühlte sich plötzlich schuldig.
Er verstand nicht alles, was im vergangenen halben Jahr passiert war. Genau genommen verstand er nichts von dem, was im vergangenen halben Jahr passiert war, doch er hatte mitbekommen, dass seine Mum viel geweint hatte, was sie in letzter Zeit jedoch nicht mehr ganz so oft tat. Also kniff er fest die Augen zusammen, setzte ein fröhliches Gesicht auf, ließ sein Stirnrunzeln bleiben und gab sich alle Mühe, das Gute zu sehen.
Er legte den Kopf zur Seite und schloss ein Auge, sodass er nur ihr neues Haus und die beiden Häuser links und rechts daneben sehen konnte. »Es sieht aus wie ein Sandwich.«
Seine Mum legte ebenfalls den Kopf zur Seite. »Ja, irgendwie schon.«
Das Metalltor quietschte, als sie es aufstieß, und schlug klappernd gegen die Mauer, die ihr Haus von dem Nachbarhaus trennte. Sie hüpften die drei Stufen hinauf in einen winzigen Vorgarten mit leeren Blumentöpfen, Bodenplatten und kleinen Flächen von grauem Kies. Zum ersten Mal nahm Red auch Notiz von den Nachbarhäusern und blieb stehen, um sie genauer zu betrachten.
Das Haus auf der rechten Seite war wie ein Amoklauf aus Farben: Sie explodierten in hängenden Körben zu beiden Seiten der Haustür und in blühenden Rosenbeeten im Vorgarten. Es sah aus wie in einem Gartencenter; Reds Nase juckte.
Das Haus auf der linken Seite war das genaue Gegenteil, der böse Zwilling. Es spähte hinter Hecken hervor, die Fenster waren dunkel. Als würde das Haus sich verstecken. Das gefiel Red. Zumindest war es interessant. Ein Ort, wo man ein Schwert oder Lichtschwert brauchen würde, um …
»Red, du versperrst den Weg.«
Er drehte sich um. Hinter ihm stand einer der stämmigen Umzugsmänner mit einem großen Karton im Arm und lächelte ungeduldig. Red bewegte sich in einer Art Moonwalk rasch drei Schritte zur Seite. Der Mann trat grunzend durch die Haustür, und Red folgte seiner Mum in den Flur.
Drinnen roch es nach Keksen und sah insgesamt vielversprechender aus.
Hinter der Tür waren ein Boden mit Schachbrettmuster und eine steile Treppe mit lila Teppich und einem Holzgeländer, das aussah, als ließe sich darauf vielleicht gut rutschen. Die Wände waren weiß, und die Tapete hatte diese kleinen Hubbel, an denen man herumknibbeln konnte. Am Ende des Flurs fiel hinter den gestapelten Kartons Licht in eine kleine Küche.
Ein weiterer Umzugsmann kam herein, und Reds Mum zog Red erneut zur Seite.
»Und möchtest du dein Zimmer sehen, Reddy?«
»Ja-hmm«, sagte er, ohne richtig zuzuhören. Er war beschäftigt damit, über das Geländer zu streichen, um dessen Rutschbarkeit zu überprüfen. Auf einer Skala von eins bis zehn war es etwa eine Sechs. Das Geländer in Stanhope Gardens war eine Acht gewesen.
»Na, dann komm, Slo-Mo.«
Er nahm zwei Stufen auf einmal, um auf der Treppe mit ihr Schritt zu halten. Der Vimto-rote Teppich endete auf einem kleinen Absatz.
Oben roch es nicht mehr so stark nach Keksen und mehr wie Uroma Irene, bevor sie an »einen besseren Ort gegangen« war (in den Himmel, wie sich herausstellte, und nicht – wie Red zunächst geglaubt hatte – zu Laser Quest).
Von dem Flur im ersten Stock gingen vier Türen ab. Mit großem Tamtam öffnete seine Mum die erste. »Badezimmer«, sagte sie und erlaubte ihnen beiden einen Blick hinein, »mit Badewanne!«
Sie waren nicht direkt aus ihrem Haus in Stanhope Gardens in dieses neue Haus gezogen, sondern hatten drei Monate bei Tante Steph gewohnt, während »ein paar Gelddinge« geklärt wurden. In Tante Stephs Wohnung gab es nur eine Dusche.
»Eine Badewanne! Kannst du das glauben?«
Ja, konnte er.
»Und das ist mein Zimmer.« Seine Mum öffnete die Tür gegenüber. Dahinter befand sich ein großer, komplett leerer Raum mit einem Boden aus Holzdielen mit ein paar eingetrockneten alten Farbklecksen und einem Fenster zum Vorgarten und zur Straße.
»Und du, mein Schatz, kannst dir eins von den beiden anderen Zimmern aussuchen.«
Red blickte auf die beiden geschlossenen Türen hinter sich und überlegte, welche er zuerst öffnen sollte. Er hatte einmal ein Buch über einen Jungen gelesen, der vor dem gleichen Problem stand. Hinter der einen Tür war ein Drache gewesen und hinter der anderen ein Raum voller Süßigkeiten und Gold, deshalb nahm Red sich Zeit, enemenemuhte stumm im Kopf und entschied sich schließlich für das linke Zimmer.
Kein Schatz, kein Drache.
Nur eine kleine dunkle Abstellkammer, ebenfalls mit Holzboden und einem winzigen Fenster, das mit einer vergilbten Zeitung zugeklebt war. Es war ungefähr so groß wie der Vorratsschrank in dem alten …
(Zuhause.)
Aber das andere Zimmer war viel größer, mit einem gemusterten Teppichboden und eingebauten Kleiderschränken mit Spiegeltüren, sodass es aussah wie zwei Zimmer. Es war genauso dunkel wie die winzige Kammer nebenan, was aber wohl daran lag, dass die Vorhänge vor dem großen Erkerfenster zugezogen waren.
Seine Mum spähte über seine Schulter ins Zimmer. »Ja, ich glaube, das sieht am besten aus.«
»Warum?«
»Also, zunächst einmal ist es viel größer. In dem anderen muss der Hund mit dem Schwanz ja von oben nach unten wedeln.«
Red blickte überrascht auf. »Welcher Hund?«
»Das ist bloß eine Redewendung, Red. Es bedeutet, dass es nicht sehr groß ist.«
»Aber dafür kann der Hund doch nichts.«
»Wa…? Es ist bloß … bloß … Vergiss es. Hör zu, wir können die Wände neu streichen, und du darfst die Farbe aussuchen. Dann noch ein neuer Teppich, und deine Captain-America-Lampe kann in die Ecke. Und wir hängen ein paar Poster auf; es wird bestimmt fantastisch. Es gibt sogar genug Platz, dass deine Freunde hier übernachten können, wenn du willst.«
Fantastisch. Wieder dieses Wort.
Red war nicht überzeugt. Es waren nicht nur das Haus und das Zimmer, sondern auch die Idee, dass Freunde hier übernachten könnten. Er hatte nur einen richtig guten Freund, Noah Conway, und der wohnte jetzt am anderen Ende der Stadt, zwei Häuser entfernt von dem alten Zuhause, das sie verlassen hatten.
Seine Mum drückte seine Schulter, als hätte sie etwas Falsches gesagt. »Hör mal, all das ist ein Neuanfang. Eine neue Schule bedeutet auch jede Menge neuer Freunde. Vielleicht müssen wir ein Doppelstockbett für dich besorgen.«
»Ein Doppelstockbett?« Kurz sprudelte Begeisterung in ihm hoch und erlosch gleich wieder. »Noah hat ein Doppelstockbett.«
»Ich weiß.«
Unbehagliches Schweigen.
»Da ist noch etwas.« Sie grinste, wippte auf den Zehen und klatschte in die Hände. »Mach die Vorhänge auf.«
Red sah sie argwöhnisch an. »Diese Vorhänge?«
»Ja. Guck mal in den Garten.«
Er ging zu dem Fenster. Eine Spinnwebe streifte sein Gesicht. Er wischte sie spuckend beiseite, zog erst einen, dann den anderen Vorhang auf, stellte sich auf Zehenspitzen und spähte hinaus.
Und dann sah er es.
»Ein Trampolin!«
Seine Mum lachte. »Ja, ich hab es hierher liefern lassen, damit du …«
»Ein Trampolin!«, rief er noch einmal. Diesmal war es ein Schlachtruf, mit dem er an ihr vorbeistürzte. »Ein Trampo…« Auf dem Treppenabsatz vor der Tür blieb Red abrupt stehen. Wenn dies einer seiner Zeichentrickfilme gewesen wäre, hätte man das Geräusch kreischender Bremsen gehört. Er machte kehrt, rannte zurück zu seiner Mum und schlang heftig die Arme um ihre Beine. Dann lief er wieder los, fiel halb die Treppe hinunter und kletterte über die Kartons im Flur. Irgendwo über sich hörte Red seine Mum »Sei vorsichtig!« rufen, während er in den Garten rannte und mit der für ihn typischen Koordination mit der Nase auf dem Rasen landete.
»Ein Trampolin!«
Skriiwoing.
Skriiwoing.
Er gab sich alle Mühe, es zu ignorieren. Aber es war weniger ein Geräusch als vielmehr ein Gefühl, als würde von innen wiederholt gegen seine Schläfen geschlagen.
Skriiwoing.
Skriiwoing.
Nach einigen Minuten bemerkte Frank etwas aus den Augenwinkeln. In regelmäßigen Abständen und im Takt mit dem Geräusch tauchte knapp oberhalb der Zaunkrone ein blonder Haarschopf auf und verschwand sofort wieder.
Skriiwoing.
Skriiwoing.
Er blickte kurz auf und erregte versehentlich die Aufmerksamkeit des Besitzers des Schopfes.
»Hi«, sagte der Junge.
Frank ignorierte ihn und starrte auf sein ungelöstes Kreuzworträtsel.
Als der Junge keine Antwort bekam, redete er weiter, wobei er jeweils ein Wort sagte, wenn er am höchsten Punkt seines Sprungs kurz über den Zaun blicken konnte:
»Was?«
Skriiwoing.
»Machst?«
Skriiwoing.
»Du?«
Skriiwoing.
Frank tat weiter so, als würde der Junge nicht existieren. Eine Taktik, die seiner Erfahrung nach überraschend gut funktionierte, wenn man wollte, dass Leute sich einfach verpissten. Zumindest bei Erwachsenen.
»Hi«, sagte der Junge noch einmal.
Skriiwoing.
»Ich hab ein Trampolin.«
Skriiwoing.
»Was du nicht sagst«, murmelte Frank vor sich hin.
Skriiwoing.
»Ja, das sage ich.«
Skriiwoing.
»Es ist neu.«
Das Ärgernis hörte zum Glück auf zu hüpfen und verschwand aus seinem Blickfeld.
Frank atmete erleichtert aus und widmete sich wieder, zum zehnten Mal, der Sieben waagerecht: »Emotion eines Wildpferds.«
Die kurze Pause wurde von einem Scheppern vorzeitig beendet, dann tauchte das Gesicht des Jungen diesmal komplett sichtbar wieder auf, als er über den Zaun spähte. Offenbar hatte er sich auf eine umgekippte Schubkarre gestellt, um diese aus seiner Sicht anscheinend faszinierende und wichtige Unterhaltung fortzusetzen.
»Wie heißt du? … Mister? … Ich heiße Red. Also … alle nennen mich Red.« Er schniefte. »Das ist nicht mein richtiger Name. Mein richtiger Name ist Leonard, aber den mochte ich nicht, deshalb habe ich, als ich klein war, so getan, als könnte ich ihn nicht hören, und meine Mum hat gesagt, ich darf mir selbst einen Namen aussuchen, und Red gefällt mir wirklich gut. Wie heißt du? Ich wette, ich kann deinen Namen raten. Ich wette, es ist etwas Komisches wie Connor oder Bob oder so. Ich hatte mal einen Hamster, der Bob hieß.« Der Junge runzelte die Stirn. »Aber er ist gestorben, weil ich ihn auf meinem Fahrrad mitgenommen und fallen gelassen habe. Dann habe ich ihn überfahren, und er war ganz tot und blutig, und ich habe geweint, deshalb sind wir zu Kentucky Fried Chicken gegangen … Ich mag dein Haus. Es sieht alt aus. Als könnte es umfallen. Das ist mein Haus.« Er wies hinter sich. »Es ist neu und sieht aus wie ein Sandwich.«
Er machte eine Pause, um Luft zu holen.
»Wie heißt du?«
Frank starrte weiter sinnlos auf die Zeitung und hoffte wider alle Erwartung, dass es dem Jungen irgendwann langweilig werden und er verschwinden würde – oder, noch perfekter, dass er von einem Meteor getroffen werden würde, sodass nur seine qualmenden Schuhe zurückblieben.
»Wie heißt du?«, wiederholte der Junge beharrlich in demselben fröhlichen Tonfall. »Mister? Mister?«
Schließlich drehte Frank die Zeitung um und legte sie auf seinen Schoß. »Hör zu … Kleiner.«
»Red«, verbesserte der Junge ihn.
Frank blickte auf, nicht zuletzt, um zu sehen, ob der Junge ihn absichtlich ärgern wollte.
Er war etwa fünf oder sechs Jahre alt, mit einem roten Kopf und Schnodder, der auf seiner Oberlippe glänzte. Seine Unterlippe stand vor wie die eines Pfeifenrauchers, während er erfolglos versuchte, sich die Strähnen seines strohblonden Ponys aus den Augen zu pusten. Dann hörte er auf zu pusten und lächelte breit.
»Hör zu, Kleiner«, wiederholte Frank. »Haben deine Eltern dir nicht gesagt, dass du nicht mit Fremden reden sollst? Ich bin ein Fremder. Okay? Ich …« – er zeigte mit dem Finger auf seine eigene Brust – »bin ein Fremder.«
Der Junge trommelte mit den Fingern auf die Zaunkrone. Frank drehte die Zeitung wieder um.
Zwanzig Sekunden vergingen.
»Was liest du?«
Frank schloss die Augen und atmete durch die Nase wie ein Bulle, der von einer Stechfliege gepiesackt wird. Er trank einen großen Schluck von seinem kalten Tee.
»Bist du ein Peedovieler?«
»Herrgott noch mal!« Frank spuckte Tee auf sein Hemd.
»Du hast gesagt, du wärst ein Fremder. Noah Conways Bruder sagt, man muss vorsichtig sein mit Fremden, weil sie Peedoviele sein könnten«, erklärte der Junge sachlich.
Frank tupfte sein Hemd ab. »Himmel noch mal. Nein, ich bin kein verdammter …«
Hinter dem Jungen rief eine Frauenstimme aus dem Haus: »Reddy, mit wem redest du?«
Der alte Mann versuchte ein letztes Mal, sich wieder der Zeitung zu widmen.
»Ich rede bloß mit dem Mister von neben!«, rief der Kleine zurück. »Aber es ist okay … ERISTKEINPEEDOVIELER!«
»Unglaublich.« Frank schüttelte den Kopf. Er sammelte gerade eilig seine Sachen zusammen, um ins Haus zu gehen, als Augen und Nase der Mutter neben denen ihres Sohnes über dem Zaun auftauchten.
»Hi«, sagte sie.
Gütiger Gott. Womit habe ich das verdient?
Frank nickte einmal mit papierdünner Begeisterung, klappte den Gartenstuhl zusammen und nahm seinen Becher aus dem hohen Gras.
»Tut mir leid, wenn Red Sie gestört hat. Er ist ein bisschen … leicht erregbar. Neues Haus. Zum ersten Mal auf einem Trampolin. Ich bin Sarah.«
Frank presste die Lippen zusammen und setzte mit einem aggressiv-höflichen Lächeln seinen Weg ins Haus fort, während seine beiden neuen Nachbarn weiter über den Zaun spähten.
»Na, dann tschüss«, sagte die Mutter des Jungen sarkastisch und zerzauste ihrem Sohn das Haar. »Komm, Reddy, du kannst mir helfen mit den …«
Irgendetwas ließ Frank abrupt stehen bleiben.
Irgendetwas an ihrer Stimme oder ihrem Gesicht oder vielleicht auch die Alchemie von beidem ließ ihn innehalten.
»Ich kenne Sie«, sagte er, drehte sich um und sah sie direkt an.
Einen Moment lang wirkte sie ein wenig verwirrt – dann wurde ihr Blick milder, als auch sie ihn erkannte. Sie lächelte sanft und nickte. »Ja.« Sie wies mit dem Daumen vage hinter sich. »St. John’s, dort arbeite ich …«
»Das Hospiz«, unterbrach er sie.
»Ja.«
»Sie waren eine der Schwestern.«
»Ja.«
»… von Marcie.«
»Ja.«
Frank nickte. Er versuchte so etwas wie ein Lächeln aufzusetzen. Doch es war ihm unbehaglich, und er ertappte sich dabei, stattdessen auf eine Art sein Gesicht zu verziehen, die sich merkwürdig anfühlte und wehtat. »Okay«, stieß er hervor. Er war sich nicht sicher, was er mit »Okay« meinte, doch etwas anderes fiel ihm nicht ein.
Als er ins Haus ging, konnte er hinter sich den Kleinen hören.
»Mummy … wer ist Marcie?«
»Wer ist Marcie, Mummy?«
»Wer ist Marcie?«
»Wer ist Marcie?«
Reds Mum war damit beschäftigt, den Inhalt eines Kartons mit der Aufschrift »Küche« in diverse Schubladen zu packen.
»Marcie war eine meiner Patientinnen, das ist alles.«
»Ist sie gestorben?«
»Ja.«
»Wie?«
Sie unterbrach ihre Arbeit für eine Sekunde und küsste ihn auf den Kopf. »Sie war krank, Red.«
»Oh.«
»Wie ich sehe, hast du die Nachbarn bezirzt?« Marcie blickte aus dem Fenster in den Garten, als er durch die Hintertür hereinkam und die Zeitung auf die Küchenanrichte warf. »Ziemlich aufregend«, fuhr sie fort. »Das Nachbarhaus steht schon viel zu lange leer. ›Spukhäuser gibt es nicht, nur Häuser, die nicht bewohnt sind‹ … Wer hat das noch mal gesagt?«
»Es ist eine Katastrophe, eine absolute Katastrophe. Hör dir den Lärm an, jetzt schon.« Frank hielt kurz inne und legte den Kopf zur Seite. Mit einiger Mühe konnte man von Weitem ein kaum hörbares Kratzen vernehmen. »Es ist, als würde eine Herde Gnus durch den Flur galoppieren.«
Sie verdrehte die Augen. »Frank, das sind bloß die Umzugsmänner.«
»Ich vermisse Mrs. Palmer-Machin. Mrs. Palmer-Machin hat nicht so einen Radau gemacht.«
»Du vermisst Mrs. Palmer-Machin? Ha! Früher hast du gesagt, sie wäre dir unheimlich. Weißt du noch, wie einmal den ganzen Tag ihre Milch vor der Haustür stand und ich mir Sorgen gemacht habe, ihr könnte etwas zugestoßen sein? Ich habe dich gebeten, bei ihr vorbeizuschauen, und du hast gesagt, wir sollten einfach eine Woche warten, dann würden wir es schon riechen.« Marcie schüttelte den Kopf, wandte den Blick wieder aus dem Fenster und reckte den Hals, um zu sehen, ob der Junge und seine Mutter noch dort draußen waren. »Kannst du es glauben, dass unsere neue Nachbarin eins von den Mädchen aus St. John’s ist? So ein Zufall! Erinnerst du dich an sie, Frank? Ich erinnere mich. Sie war wirklich nett. Und ihr kleiner Junge ist so niedlich. Er erinnert mich an Mikey … Weißt du noch, wie er in dem Alter war? Nur Schnodder und Geschnatter.«
Bei der Erwähnung ihres Sohnes grunzte Frank und kippte den Rest seines Tees in die Spüle. »Ja, nun, entschuldige, wenn meine Begeisterung sich in Grenzen hält. Ein lautes Blag und eine permanente Erinnerung an diesen verdammten Ort sind genau das, was ich nebenan brauche. Wohl eher nicht.«
Marcie schüttelte noch einmal den Kopf und warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
Aber für Frank war es wahr. Ein Kind im Nachbarhaus war schon schlimm genug, doch eine konstante Erinnerung an St. John’s hatte ihm gerade noch gefehlt. Niemand musste ihn an jene Wochen erinnern, an jene Tage. In denen er Marcie erklärt hatte, er wolle nicht, dass sie starb. Und an jene letzten Momente, als Marcie flüsternd geantwortet hatte: »Jeder stirbt, Frank.«
Und er hatte erwidert: »Nicht du, Mar. Nicht heute.«
Und dann hatte sie es doch getan.
Nein, daran musste er nicht erinnert werden, überhaupt nicht.
Wie alle Katastrophen hatte es ziemlich banal begonnen. An einem ganz gewöhnlichen Abend.
Sie saßen an ihrem Ecktisch im Fairfield, dem Pub, der ihr zweites Zuhause geworden war, seit sie sich fast vierzig Jahre zuvor von Dublin nach London verpflanzt hatten.
Im Laufe dieser Zeit war der Laden beinahe unverändert geblieben. Stühle mit Rückenlehnen aus gepolstertem dunkelrotem Samt und Hocker mit Brandflecken von Zigaretten waren um lackierte Tische verteilt. Es gab einen uralten gemusterten Teppich, der auf einem Streifen von zwei Metern vor einem Dartboard und in einem schwarzen Oval vor zwei Spielautomaten völlig abgetreten war. Das Fairfield hatte sich dem Zeitalter von Speisenangeboten und Großbildfernsehern erfolgreich widersetzt. Die Seele des Lokals wurde perfekt eingefangen von einem gerahmten Bild, das hinter dem Tresen hing: der Ausdruck einer vergrößerten TripAdvisor-Bewertung, die schlicht lautete: »Der Pub, den die Zeit vergessen hat. Totales Drecksloch. Ein Stern.« Das Bild hing lächerlich schief.
Aber für Frank und Marcie war es ein Ort, wo sie an Silvesterabenden den Countdown ins neue Jahr erlebt und Geburtstage gefeiert hatten, wo Freunde zum Inventar gehörten. Ein Ort, den sie liebevoll das Flea nannten.
Es war ein Mittwoch, Quiz-Abend. Sie saßen an einem Tisch mit halb vollen Gläsern und aufgerissenen Chipstüten. Zusammen mit Sal, deren Mann Jonny und Franks ältestem Freund »Fat Ken« bildeten sie ein Quiz-Team, das Stammgäste des Flea als »The Clueless« kannten. Der Name »die Ahnungslosen« war nicht ganz fair, aber sie waren ein Team, das die Mittwochabende nicht zu ernst nahm; hin und wieder gewannen sie, häufiger nicht. Aber sie waren zufrieden damit, »The Clueless« zu sein und nicht einer dieser Half-Pint-Super-Quizzer vom Team »Universally Challenged« oder »The Likely Lads« (zwei Buchhalter und ein Typ, der bei DFS Sofas oder irgendwas verkaufte, die sich stundenlang an einem halben Pint festhalten und den Kopf darüber zerbrechen konnten, wie die Hauptstadt von Botswana heißt, als ob das irgendwen einen Dreck scherte).
Bloß ein Mittwochabend wie immer.
Bis er das nicht mehr war.
Marcie saß Frank gegenüber mit Blick auf den Tresen und dem Rücken zu dem riesigen blickdichten Fenster des Fairfield. Sie notierte die Quiz-Antworten auf einem Zettel, lachte, trank und neckte mit großer Begeisterung Fat Ken wegen dessen jüngstem Schnäppchen: ein Polohemd, das er in einem Secondhandladen erworben hatte. Es war fleischfarben, mit einem blauen Paisley-Muster und zwei Nummern zu klein, sodass es aussah, als wäre das Muster auf Kens Bauch tätowiert.
»Ganz ehrlich, Ken, als du reingekommen bist, dachte ich zuerst, du bist nackt.« Marcie wischte sich eine Lachträne ab und holte Luft. »Ich wusste gar nicht, wohin ich gucken soll, ich war …«
Sie wurde von dem Lautsprecher über ihrem Kopf unterbrochen:
»Frage Nummer acht! Musik! In welchem Chuck-Berry-Hit von 1964 heiratet ein Junge namens Pierre eine reizende Mademoiselle?«
(Es herrschte allgemeine Belustigung über die französische Aussprache des Wirtes – Paris mit einem Schuss Peckham. Mademoiselle klang wie Madam Moyzel.)
Die Frage wurde wiederholt, und diesmal fing Frank an, laut zu singen und sich auf seinem Stuhl hin und her zu wiegen, begleitet von Stöhnen und Zwischenrufen der gegnerischen Mannschaften, die ihm vorwarfen, die Antwort zu verraten. Das war Frank egal. »Ah, verpisst euch!«, pöbelte er zurück und brach in Gelächter aus, das in einem Hustenanfall erstickte.
Er konnte die Worte unmöglich nicht singen, war dies doch der Song, zu dem Marcie und er in der Küche ihrer Kellerwohnung getanzt hatten – ihr erstes gemeinsames Zuhause in Wood Green. Die Erinnerung kehrte mit lebhafter Klarheit zurück: der Song im Radio, Marcie hochschwanger. Frank, der laut mitsang, während er sie in seinen Armen hielt und herumwirbelte, über ihren Mangel an Rhythmusgefühl und Koordination lachte, als sie eine Drehung von ihm weg machte, und staunte, wie wenig es sie kümmerte. Wie vollkommen sie im Moment aufging.
Als das Geschrei sich legte und die nächste Frage gestellt wurde, lächelte er Marcie über den Tisch hinweg an und zwinkerte ihr zu. Er wollte gerade noch einen Schluck von seinem Pint trinken – doch dann stutzte er.
Denn anstatt sein Lächeln zu erwidern, wirkte Marcie verwirrt – regelrecht konfus. Sie starrte auf den Zettel auf dem Tisch vor sich und auf die Wörter, die sie dort notiert hatte. Und Frank erkannte, dass sie kreuz und quer über die ganze Seite verteilt waren – sinnlos, überdimensioniert und krakelig wie von einem Kleinkind geschrieben.
Ihr Stift schwebte über dem Blatt, und sie blickte zu Frank auf. Er sah, dass sie Angst hatte.
»Frank?«, sagte sie.
Die nächsten acht Monate waren wie ein freier Fall.
Es war Samstagmorgen, das erste Wochenende in ihrem neuen Haus, und Red saß am Küchentisch und schaufelte begeistert Cheerios in sich hinein. Er war seit sechs Uhr wach, als er, ein trübes Auge geöffnet, verschlafen ins Zimmer seiner Mum gekommen war, um ihr zu erklären, er könne nicht mehr schlafen. Sie hatte ihre Bettdecke angehoben und ihn in ihr Bett gelassen, jedoch darauf bestanden, dass er noch »mindestens eine Stunde« die Augen zumachte. Aber nachdem Red zwei lange Minuten im Dunkeln gelegen hatte, hatte er das Schweigen mit einem winzigen Flüstern gebrochen.
»Mummy.«
Schweigen.
»Mummy.«
»Ja, Red?«, stöhnte sie.
»Bist du wach?«
»Nein. Schlaf weiter.«
»Aber ich muss dich etwas fragen.«
»Frag mich später.« Ihre Stimme war belegt.
»Ich muss dich aber jetzt fragen.«
Schweigen.
»Mummy.«
»Mummy.«
»Muuuummy.« Ein wenig lauter.
»Was denn, Red?«
»… Wer würde einen Kampf gewinnen? Ein Hai oder ein Gorilla mit einer Rüstung?«
»Uuund ich bin wach«, sagte sie und streckte ihre Beine unter der Decke hervor. Ein paar Sekunden später folgte ihr Oberkörper. Sie rieb sich die Augen, knipste die Nachttischlampe an, griff nach ihrer Brille und einem Haargummi und bündelte ihr blondes Haar zu einem Dutt.
Red begann, auf dem Bett zu hüpfen, und sie blickte mit aufgeblasenen Wangen zu ihm hoch. »Du weißt, dass du mein ungeliebtestes Kind bist, oder?«
Er lächelte auf sie herab und hüpfte weiter. »Du hast keine anderen Kinder.«
»Ich weiß«, erwiderte sie. »Was möchtest du zum Frühstück, du Verrückter?«
Eine Stunde später, um sieben Uhr, aß Red seinen letzten Löffel Frühstücksflocken, nahm die Schale in beide Hände und trank mit lautem Schlürfen den Rest der gezuckerten Milch.
»Ja, aaaber was ist mit einem Oktopus gegen einen Gorilla – wer würde da gewinnen? Denn ein Oktopus hat Tenta…«
Acht Uhr.
»… und mehr Arme als ein Gorilla, deshalb …«
»Oh, ich weiß nicht, Red«, sagte seine Mum verzweifelt. »Es käme darauf an, ob der Kampf im Wasser oder an Land stattfindet … und ob der Gorilla um sechs Uhr am verdammten Morgen geweckt worden ist, und – hör mal, warum guckst du nicht nach, ob der Postbote schon da war?«
Grinsend sprang Red von seinem Stuhl, der beinahe nach hinten umgekippt wäre. Das mit der Post hatte er schon immer spannend gefunden: die Tatsache, dass eine Person auf einer Seite der Welt einen Briefumschlag in einen Kasten werfen konnte, der dann Tage später bei ihm auftauchte. Red kam das vor wie seltsame Magie. Außerdem bestand immer die Möglichkeit, dass sie eine Postkarte von Seth bekamen, dem syphilitischen Lama, das sie letztes Jahr bei einem Besuch im Zoo von Twycross adoptiert hatten.
»Nicht rennen im Flur!«, rief seine Mum.
»Okay!«, rief er zurück und rannte durch den Flur.
Es gab keinen Briefschlitz in der Haustür. Stattdessen hatte der vorherige Besitzer außen neben der Haustür einen roten Briefkasten aufgehängt, auf dem in Schönschrift die Zahl 32 stand. Red fischte den Briefkastenschlüssel aus der Schale auf dem Flurtisch, öffnete die Haustür und zitterte ein wenig, weil die Luft des frühen Morgens seinen Atem in Drachenqualm verwandelte.
Er wollte gerade den Briefkasten öffnen, als er noch dichteren Qualm bemerkte, der in einer Wolke von nebenan herüberwehte, wo der Nachbar auf der Stufe vor seinem Haus stand und eine Zigarette rauchte. Red wollte gerade etwas sagen, als der alte Mann mit wehendem Bademantel wieder in seinem Haus verschwand und nur einen Kringel aus Qualm zurückließ.
Red dachte unwillkürlich, dass er wirklich aussah wie ein Zauberer.
»Du lässt die Kälte rein, Reddy!«, rief seine Mum.
Er öffnete mit dem Schlüssel eilig den Briefkasten, nahm mehrere Umschläge (die meisten braun), einen Prospekt für Wintergärten und die Speisekarte eines Lieferdienstes namens Pizza Rocket heraus und ging zurück in die Küche, wo er die Post auf den Tisch legte.
»Was möchtest du heute machen, du Bandit? Mummy hat noch ein paar Tage frei, und deine Schule geht erst am Montag los. Heute Vormittag muss ich noch ein paar Sachen erledigen, aber heute Nachmittag könnten wir in den Park gehen, wenn du möchtest.«
»Okay«, sagte Red. Und dann, als wäre ihm das gerade eingefallen: »Wir könnten gucken, ob der Mister von nebenan mitkommen will.«
Seine Mum sah ihn an, als hätte er vorgeschlagen, dass sie sich im Park in Hundekacke wälzen sollten.
»Ich glaube nicht«, sagte sie ausdruckslos.
Red runzelte enttäuscht die Stirn.
»Ich glaube, der Mister von nebenan mag seine eigene Gesellschaft, Red.«
»Was bedeutet das?«
»Na ja. Manche Menschen sind einfach nicht so gern unter Leuten. Sie möchten …« Sie machte eine Pause, überlegte und fuhr fort: »… für sich bleiben.«
Red kapierte es nicht.
»Schau mal, erinnerst du dich noch an Mummys alte Chefin, als ich bei der Stadt gearbeitet habe? Linda?«
»Ja.«
»Also, ich glaube, der Mister von nebenan ist ein bisschen so wie sie.«
»Was? Ein ›blödes Miststück‹?«
»Wa…? Nein.« Seine Mum senkte die Stimme. »Und so sprechen wir nicht über andere. Mummy hätte diese Worte nicht sagen dürfen.« Sie seufzte. »Ich meine bloß, manche Menschen mögen andere Leute nicht besonders, deshalb halten sie sich lieber in ihren eigenen Räumen und ihrer eigenen Gesellschaft auf. Sie sind gerne für sich.«
»Das klingt wie Unsinn«, erwiderte Red skeptisch.
Hinter ihr ploppte ein Toast aus dem Toaster. Seine Mum bestrich ihn mit Margarine, schnitt ihn in Dreiecke, biss eine Ecke ab und stellte Red den Rest hin.
»Außerdem hast du doch Spaß mit Mummy, oder nicht? Wir können dir ein Eis kaufen, die Enten füttern und so.«
»Okay«, sagte Red abwesend, in Gedanken immer noch bei Haien, Gorillas und Tintenfischen – aber vor allem bei dem merkwürdigen Mister von nebenan. »Ich glaube, er ist vielleicht ein Zauberer.«
»Wer?«
»Der Mister von nebenan. Ich glaube, er ist vielleicht ein Zauberer.«
»Er ist kein Zauberer, Red.«
»Er hat einen Bart.«
»Genau wie dein Onkel Martin – und der arbeitet bei PC World.«
»Aber der Mister hat einen richtigen grauen Bart, wie ein Zauberer.«
»Red, er ist kein Zauberer.«
»Vielleicht nicht mehr. Vielleicht hat er seine magischen Kräfte verloren oder so?«
Der Gesichtsausdruck seiner Mutter veränderte sich. Sie hörte auf, sich mit allem Möglichen zu beschäftigen, und sah ihn direkt an. »Er ist kein Zauberer, Red … und er ist auch nicht Miles.«
Red blickte verwirrt auf. »Was?«
»Der Mann von nebenan … Er ist nicht Miles.«
»Hä? Also, das ist wirklich total verrückt. Natürlich ist er nicht Miles, Miles war eine Taube.«
Miles war in der Tat eine Taube. Eine Taube, die gegen ihre Terrassentür gekracht und bewusstlos liegen geblieben war, als Red vier Jahre alt war. Red war entsetzt gewesen, als sein Vater in der Annahme, das Tier sei tot, vorgeschlagen hatte, es in die Mülltonne zu werfen. Stattdessen hatte Red darauf bestanden, dass sie den Vogel auf einem Geschirrhandtuch auf der Wiese in die Sonne legten, wo er langsam wieder zu sich kam.
In den darauffolgenden Tagen hatte Red Miles in einem Karton wieder gesund gepflegt. Er hatte ihm Lieder vorgesungen und ihm einen kuscheligen Chewbacca zur Gesellschaft gegeben, bevor sie den (völlig verwirrten) Vogel eine Woche später im Park tränenreich freigelassen hatten.
»Nein … Ich meine nur, dass ich diesen Ausdruck in deinem Gesicht erkenne. Diesen ›Miles‹-Blick. Ich meine, du siehst irgendwas, was verletzt ist, und willst es heil machen. Aber manchmal kann man das nicht. Etwas heil machen, meine ich.«
»Ich weiß nicht, wovon du redest. Was meinst du? Wieso verletzt?«
»Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, was ich meine … Iss einfach deinen Toast.« Seine Mum nahm die Post vom Küchentisch und begann, sie zu sortieren. Die Werbung warf sie in den Karton für Altpapier unter dem Tresen.
»Oh, na super«, sagte sie und schnalzte mit der Zunge, als sie den letzten Umschlag umdrehte. Er war aus dickem weißem Papier. Eine Geburtstagskarte vielleicht. Die Adresse war handgeschrieben.
Franklin Hayes
34 Merton Road
Finchley, London
N 28Js
»Was’n los, Mummy?«
»Nichts. Ich glaube, der Postbote hat einen Brief bei uns eingeworfen, der für nebenan bestimmt ist.«
»Ich bringe ihn rüber!«, rief Red und griff nach dem Umschlag.
Aber seine Mum war schneller. »Schon gut«, sagte sie und schob den Umschlag in die Tasche ihres Bademantels. »Wir werfen ihn heute Nachmittag auf dem Weg ein.«
»Aahh.«
»Aahh«, äffte sie ihn nach. »Also, heute Nachmittag in den Park. Aber was willst du heute Vormittag machen? Draußen ist ein herrlicher Tag. Du könntest auf deinem Trampolin springen. Oder ich könnte deine Malsachen auspacken, und du könntest ein bisschen malen, während ich die Küche zu Ende einräume.«
Red verzog das Gesicht und überlegte kurz, bevor er begeistert nickte. »Ich könnte ein Bild für den Mister nebenan malen!«
Seine Mum ließ die Schultern sacken. »Super.«
Frank stand am Wohnzimmerfenster, zupfte mit zwei Fingern vorsichtig die Gardine zur Seite und spähte mit gesenktem Kopf durch den Spalt.
Marcie hockte hinter ihm auf dem Kaminsims und ließ barfuß die Beine baumeln, als säße sie an einem Ufer. Sie trug Jeans und ein T-Shirt, auf dem in neonfarbenen Buchstaben stand: »Shit Happens«.
Frank hatte sich daran gewöhnt, dass seine Frau, wenn sie ihm erschien, jeweils unterschiedlich alt war. Das war eine der Merkwürdigkeiten an ihr, seit sie »zurückgekommen« war. Manchmal tauchte sie in Gestalt der achtzehnjährigen Frau auf, als die er sie kennengelernt hatte. An anderen Tagen sah sie aus wie in den Jahren vor ihrem Tod. Frank war allzu bewusst, dass ihre Erscheinung sich auf Varianten beschränkte, die er auch im wirklichen Leben gesehen hatte. Nie war sie ein Kind, nie trug sie Kleidung, die er nicht kannte, was ihn in seiner traurigen Akzeptanz der Tatsache bestätigte, dass sie eine Ausgeburt seiner Fantasie sein musste.
Im Augenblick sah Marcie aus wie in den späten Neunzigern. Damals war sie um die vierzig gewesen, hatte angefangen, sich in ihrer Haut wirklich wohlzufühlen, und war darum umso schöner geworden. Sie sah lebendig und gesund aus. Ihr Haar fiel bis auf die Schultern und lockte sich, ungebändigt wie immer nach einem Urlaub mit Sonne und Meer. Ihre Augen waren lebhaft, an den Rändern gerahmt von den ersten feinen Fältchen. Fältchen, die manche Leute Krähenfüße nennen, die jedoch häufig bloß die Feinheiten sind, die einen Menschen zufrieden aussehen lassen.
»Was machst du, Frank?«
Er warf ihr einen ärgerlichen Blick zu und spähte dann weiter durch den Spalt. »Ich versuche zu erkennen, ob das Blag immer noch da draußen ist.«
Sie glitt geräuschlos von dem Kaminsims, tauchte neben ihm auf und schaute über seine Schulter. Red saß in einem Chaos aus Papier, Farben und Stiften im Schneidersitz auf dem Weg vor dem Haus. Seine Haare standen in alle Richtungen ab, gestärkt von Schnodder und Farbe, seine Zunge lugte zwischen den Zähnen hervor und streckte sich konzentriert in Richtung seiner Nasenspitze.
»Okay? … Warum?«, fragte sie, vage amüsiert.
»Ich weiß nicht, warum er dort draußen ist. Er ist eine verdammte Plage.«
»Nein. Nicht, warum er dort draußen ist. Warum stört es dich so, dass er dort draußen ist?«
Er drehte sich erneut zu ihr um. »Darum. Ich möchte bloß den Küchenmüll rausbringen. Und er lungert da rum, und wenn ich rausgehe, wird er mit mir reden oder mich bedrängen oder irgendwas. Schon schlimm genug, dass ich wegen des verdammten Trampolins nicht mehr im Garten sitzen kann. Jetzt wurschtelt er auch noch vor dem Haus rum. Wohin ist es gekommen, wenn ein Mann nicht mal mehr seinen Müll rausbringen kann?«
»Er sitzt bloß auf dem Weg und malt; er wird dich nicht beißen, du Spinner. Und weshalb denkst du, er wäre ein Blag oder eine Plage? Er ist bloß ein freundlicher kleiner Junge.«
Frank sah sie an und grinste höhnisch. »Ich sag dir, was er ist. Er ist eine verdammte Nervensä…« Er brach ab und tauchte plötzlich unter das Fenstersims ab. »Scheiße. Er hat mich gesehen.« Er blickte Marcie vorwurfsvoll an. »Das ist deine Schuld. Du hast die Gardine bewegt.«
»Franklin, ich bin ein Produkt deiner Fantasie. Wie zum Teufel soll ich sie bewegt haben?«
Frank kroch zurück zum Fenster und spähte erneut hinaus. Red hatte seine Buntstifte auf dem Weg liegen lassen und kam auf das Haus zu. »Scheiße. Er kommt den Weg hoch.« Frank drückte sich mit dem Rücken an die Wand und wartete auf das Klopfen.
Doch es klopfte nicht. Stattdessen hörte er, wie der Briefschlitz aufgeklappt wurde.
»Mister!« Ein winziger Ruf hallte durch den Flur. »Hallloooo! Mister?! Ich bin’s. Bist du da?«
Frank kauerte sich hinter das Sofa.
»Ich habe dich gerade am Fenster gesehen, Miiiister!«
Marcie kehrte zum Kaminsims zurück. »Willst du ihm nicht antworten?«, fragte sie und betrachtete ihre Hände.
Frank legte einen Finger auf die Lippen und gab ihr ein Zeichen, still zu sein.
»Nur du kannst mich sehen oder hören, du verdammter Idiot. Was gestikulierst du also hier rum?«
Wieder bedeutete Frank ihr, leise zu sein. Es sah aus, als würde er einen unsichtbaren Hund tätscheln.
»MISTERRR!«
Es entstand eine Pause. Frank konnte den Kleinen durch den immer noch hochgeklappten Briefschlitz schniefen hören. Er wartete mit angehaltenem Atem.
Schließlich rief der Junge erneut, nachdem er offenbar zu einem Schluss gekommen war. »Also, ich glaube, VIELLEICHTMACHSTDUGERADEAAODERSO?«
Frank hörte, wie der Briefschlitz sich quietschend schloss und gleich wieder geöffnet wurde.
»Lass dir Zeit. SONSTKANNSTDUVERSTOFFUNGKRIEGEN!«
»Was ist mit dem Kleinen?«, presste Frank zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Im selben Moment rief die Mutter des Jungen seinen Namen.
»Jedenfalls, ich GEHEINDENPARK, Mister!« Wieder hallte die Stimme durch den Flur. »ICHHABDIREINBILDGEMALT. Ich stecke es in den Briefkasten, dann kannst du es sehen, WENNDUFERTIGAAGEMACHTHAST.«
Frank hörte, wie etwas auf die Fußmatte fiel.
»ALSO, BISBALD!«, flötete Red, und die Briefklappe ging wieder zu.
Frank atmete aus, richtete sich auf, riskierte einen letzten Blick aus dem Fenster und sah Red den Weg hinunterhüpfen.
»Ich hab es dir ja gesagt, eine verdammte Plage«, erklärte Frank, als der Junge sich noch einmal umdrehte, Franks Gesicht am Fenster sah und begeistert winkte. Der alte Mann zog die Gardine schnell wieder zu, konnte jedoch hören, wie die Sandalen des Jungen weiter den Weg hinunter und die Stufen zu seinem eigenen Haus hinauftappten, bevor die Tür nebenan laut zugeschlagen wurde. Frank seufzte erleichtert.
»Geh und bring den Müll raus, du elender alter Knacker. Übrigens«, fügte Marcie hinzu, »wissen wir beide, dass die Mülltonne erst am Dienstag geleert wird.«
»Das weiß ich, aber es ist … Also … Der Küchenmülleimer ist voll. Deshalb leere ich ihn«, sagte Frank knapp. Er zog den halb vollen Müllsack aus dem Treteimer, band ihn zu und marschierte zur Haustür.
Als er den Flur betrat, sah er einen großen Bogen liniertes Malpapier, der halb zusammengerollt und an einer Seite eingerissen auf dem Boden lag. Reds Geschenk. Frank hob es auf und hätte es beinahe direkt in den Müllsack gestopft. Aber dann stellte er den Sack doch ab und rollte das Blatt neugierig auf.
Es war eine farbenfrohe Buntstiftzeichnung, die jedoch verkehrt herum war. Frank drehte das Blatt um und erkannte das Bild eines lächelnden Dinosauriers. Er hatte winzige Augen, und aus seinem Hinterteil loderte ein Feuerstrahl. Im Hintergrund waren eine Sonne, ein Vulkan, ein Regenbogen und ein paar »m«-förmige Vögel gemalt.
»Was ist es?«, fragte Marcie hinter ihm.
Er hielt das Bild hoch, und Marcie betrachtete es für eine Weile, bevor sie prustend lachte, als sie die Nachricht las, die mit grünem Filzstift unter dem Bild stand.
Ich bin traurig, dass deine Frau tot ist. Liebe Grüße Red xxxxx
PS Das ist ein Bild vom einen Dinosaurier, der Allosaurus heißt, Allosaurusse sind auch tot.
PPS Tut mir leid, der Vulkan ist ein bisschen blöd geworden. Ich kann mein Gelb nicht finden.
Irgendetwas an dem Bild erinnerte Frank an die Broschüren, die man ihnen gegeben hatte, als man herausgefunden hatte, was mit Marcie los war. Nicht, dass diese Broschüren Bilder von Allosauriern enthielten, die Feuer aus ihrem Arsch bliesen oder so. Sie wirkten bloß genauso lächerlich. Auf dem Titel prangte meist ein Foto von einem Sonnenuntergang oder eine gütige Hand, die eine andere runzelige und alte Hand hielt.
Auf dem Titelblatt einer Broschüre mit dem fröhlichen Titel »Leben mit der Diagnose« war nur ein Foto von einem Teller Kekse neben einer Tasse Tee abgebildet gewesen, und dieses spezielle Pamphlet war Frank besonders im Gedächtnis haften geblieben. Der Tee war unerklärlicherweise mit zu viel Milch verdünnt.
Tut uns leid, dass du bald den Löffel abgibst. Hier hast du einen Schokokeks und eine ungenießbare Plörre.
Am Morgen nach dem Quiz hatte Marcie darauf beharrt, dass ihr am Abend zuvor bloß »ein bisschen blümerant« gewesen sei, wahrscheinlich Müdigkeit, eine Erkältung oder ein Virus in den Knochen. Aber im Laufe des Vomittags wurde deutlich, dass es mehr als das war. Sie zeigte sich selbst bei den einfachsten Aufgaben verwirrt, setzte hin und wieder zu einem Gedanken an und verlor ihn wieder wie einen Heliumballon, der ihr aus der Hand glitt.
Um die Mittagszeit saßen sie beide in einer Arztpraxis. Am Nachmittag in einem Krankenhaus.
Zunächst nahm man an, es handele sich um einen milden Schlaganfall, ein Gewitter im Gehirn, das Marcies Konzentrationsfähigkeit und ihr Verständnis selbst gewöhnlichster und alltäglichster Dinge ausgeschaltet hatte. Es sei ein »Segen«, sagten die Ärzte, dass sie noch in der Lage war, zu sprechen und sich verständlich zu machen. Dass sie sich hin und wieder in einem Satz verlor und das Ende vergaß, würde höchstwahrscheinlich wieder besser werden, sagten sie, »langsam, aber sicher«.
Aber als im Laufe der nächsten Tage die Ergebnisse der diversen Tests eintrafen wie unerwünschte Post, die in einem Sturm zugestellt wird, wurde aus dieser Gewissheit ein »wir müssen abwarten« oder »wir sind nicht sicher«, bis man am Ende zu dem Schluss kam, dass ein Schlaganfall doch unwahrscheinlich war. Und schon bald stand die tatsächliche Diagnose schwarz auf weiß fest: Es war ein Astrozytom.
»Guter Name für eine Band«, hatte Marcie matt gesagt.
Aber es war ein noch besserer Name für einen Hirntumor. Denn darum handelte es sich.
Frank bekam gar nicht mehr richtig mit, wie der Arzt erklärte, dass sie nichts tun könnten, um das Kommende aufzuhalten. Stattdessen starrte er auf die Uhr an der Wand über dem Kopf des jungen asiatischen Mannes. Sie tickte auf eine Art, die Frank aggressiv, spöttisch und vollkommen unangemessen für einen Raum erschien, in dem Menschen unter Umständen Schlimmes mitgeteilt bekamen. Ein bisschen so, als ginge man zu einer Beerdigung, und auf dem Sarg würde eines dieser Becken spielenden Aufzieh-Äffchen hocken. Er überlegte, sich offiziell zu beschweren. Was für eine lächerliche …
Ihm wurde vage bewusst, dass der Arzt sich jetzt direkt an ihn wandte.
»Und haben Sie irgendwelche Fragen, Frank?«
Frank drehte sich zu Marcie. Sie hatte bemerkt, wie unbehaglich es dem Arzt als Überbringer solch schlechter Nachricht war, und eine Hand auf Franks Knie gelegt, um ihm zu signalisieren, dass es okay war. Typisch und absurd: In diesem Moment dachte sie daran, wie der junge Arzt sich fühlte.
Frank hingegen dachte an sich. Und an Fallschirme.
Er hatte einmal eine Spruchweisheit gehört, die sinngemäß lautete: »Man braucht keinen Fallschirm, wenn man nur einmal springen will.« Daran dachte er: Sich in jemanden zu verlieben und dieses Gefühl zuzulassen, war wie ein freier Fall ohne Schirm. Und das war okay, wenn es die Liebe des Lebens war und man vorhatte, nur einmal zu springen.
Aber als er jetzt auf den Tag genau fünfundvierzig Jahre nach ihrer ersten Begegnung in diesem Krankenhauszimmer saß, begriff Frank, dass er in gewisser Weise die ganze Zeit gefallen war. Ohne Fallschirm, seit Jahrzehnten. Und Marcie durfte nicht sterben, denn sonst würde er hart auf dem Boden aufschlagen und sich alle Knochen brechen, und seine Überreste würden verstreut werden, bis er nicht mehr zu identifizieren war.
Irgendwo knapp über der Oberfläche sagte Dr. Paresi noch einmal: »Haben Sie irgendwelche Fragen, Frank?«
Das riss ihn unvermittelt zurück in das Gespräch, und ihm wurde klar, was man ihnen gerade erklärt hatte: dass Marcie sterben würde. Und er hatte keine Fragen. Überhaupt keine, was ihm irgendwie verkehrt schien. Alles schien verkehrt. Das Ganze war der Inbegriff von Verkehrtheit.
Sie verließen das Krankenhaus am späten Nachmittag mit Behandlungsplänen und Tee-und-Keks-Broschüren, die eine Zukunft vorzeichneten, die direkt anzuschauen sie beide nicht ertrugen. Erst als sie in ihrem Wagen auf dem obersten Deck des Parkhauses saßen, sackte diese harte Realität, und sie gestanden sich ein, dass die Situation so wenig okay war, wie es die Realität nur sein konnte.
Während Regen auf die Windschutzscheibe prasselte, redete Frank zu viel. Er ging alles durch, was jeder einzelne Arzt ihnen im Laufe der vergangenen Woche gesagt hatte, und schürfte in jedem Wort nach etwas Positivem. Und als er nichts fand, weinten sie und belogen sich gegenseitig darüber, wie sie mit dem, was nun folgte, klarkommen würden.
Als sie schließlich beide erschöpft waren, legte Frank seine Hände aufs Lenkrad und fragte nach ihrem Sohn.
»Was ist mit Mikey?«
Im Laufe der vergangenen zehn Tage hatten sie sich darauf geeinigt, ihrem Sohn nicht zu erzählen, dass seine Mum krank war. Michael und seine Frau hatten erst vor Kurzem geheiratet und waren gerade in ihr neues Haus gezogen. Marcie hatte darauf bestanden, dass sie ihn, bevor sie genauer wussten, womit sie es zu tun hatten, nicht mit ihrem »Drama« behelligen sollten. Frank hatte widerwillig zugestimmt, doch nun beschlich ihn das Gefühl, dass sie keine andere Wahl hatten, als ihrem Sohn alles zu erzählen. Es war zu groß. Zu wichtig.
»Mikey muss es wissen«, sagte er jetzt.
»Frank, nein.«
»Mar, er hat ein Recht, es zu erfahren«, beharrte Frank sanft. »Und er ahnt bestimmt sowieso längst, dass irgendwas ist. Sie wollten am Sonntag kommen, und ich habe sie schon bis zum nächsten Monat vertröstet.«
»Das ist mein Ernst, Frank.« Sie starrte ihn an und kniff dann fest die Augen zusammen, als könne sie diesen Teil der Unterhaltung löschen.
»Mar …«
»Er ist gerade so glücklich.« Trotz allem flackerte ein Lächeln in ihren Augen auf. »Ich kann nicht diejenige sein, die es verdirbt. Ich kann einfach nicht.«
Danach hatte sie lange geschwiegen.
In den Monaten darauf spielte Frank dieses Gespräch immer wieder in seinem Kopf ab. Schon in dem Moment hatte es sich angefühlt wie ein Fehler, ihrem Sohn die Wahrheit vorzuenthalten. Schon damals war es ihm vorgekommen, als würde er einen Backstein in einen Teich werfen – und der würde Wellen schlagen. Aber er gab trotzdem nach.
»Okay«, sagte er zögernd. »Fürs Erste. Aber er würde es wissen wollen, Mar. Er ist …«
»Ich weiß. Ich weiß. Aber bitte. Nur noch nicht gleich.« Sie öffnete die Augen, fasste sein Kinn und drehte seinen Kopf zu sich, bis er sie direkt ansah. »Genau genommen, will ich nicht, dass irgendjemand es weiß. Weder Verwandte noch Freunde. Nur fürs Erste, okay?«
»Wieso?«
Sie verzog das Gesicht. »Komm schon, du weißt, wie es ist, Frankie. In dem Moment, wo du es Leuten erzählst, verändert sich alles. Ich habe es bei meiner Schwester gesehen, bei meinem Dad, bei deiner Mum. Die Leute fangen an zu reden, als wäre man schon …« Sie verstummte. »Es ist, als wäre man nicht mehr man selbst … sondern nur noch dieses Ding, das das Leben aus allem heraussaugt. Und das will ich nicht sein.«
Frank nickte zögernd in Richtung Fenster. »Okay«, sagte er und ließ den Wagen an.
Red kam mit seinem Block unter dem Arm zurück durch die Tür und entdeckte seinen gelben Buntstift im Flur auf dem Boden. Offenbar hatte er ihn fallen lassen, als er seine Stifte und Farben nach draußen getragen hatte. Er hob ihn rasch auf, steckte ihn in die Tasche seiner Shorts und setzte sich auf die unterste Stufe, um sich Schuhe anzuziehen.
Nach ein paar Minuten rief seine Mum aus der Küche: »Bis wir dort sind, hat der Park wahrscheinlich schon geschlossen! Hast du deine Schuhe angezogen?«
»Ja!«, antwortete er.
Sie kam in den Flur, sah ihn auf der Stufe sitzen und zeigte auf das spaghettiartige Gewirr seiner Schnürsenkel.
»Was soll das sein?«
»Hasenohren«, entgegnete er stolz.