Frantumaglia - Elena Ferrante - E-Book

Frantumaglia E-Book

Elena Ferrante

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Beschreibung

Briefe, Aufsätze und Interviews aus über fünfundzwanzig Jahren verflechten sich zu dem lebhaften Selbstporträt einer außergewöhnlichen Autorin. Elena Ferrante beantwortet in den Frantumaglia die wichtigsten der Fragen ihrer Leserinnen und Leser, sie zeigt sich so offen wie nie zuvor – und bleibt uns doch faszinierend fremd.

»Frantumaglia«. Es ist Elena Ferrantes Mutter, eine Schneiderin, die ihrer Tochter dieses Wort hinterlässt – es stammt aus dem neapolitanischen Dialekt, aus der Welt der verknoteten Fäden und der aufgetrennten Nähte, ein Sinnbild für Unaussprechliches, Verwirrendes. Und ein Sinnbild eben auch für die Empfindungen und Ideen, die Elena Ferrantes Leben prägen – und über die sie sich hier Klarheit verschafft. Die Weltautorin erzählt von ihrer neapolitanischen Herkunft, von ihrer Kindheit als ein unerschöpfliches Archiv aus Erinnerungen, Eindrücken, Fantasien, sie erläutert ihr Verhältnis zur Psychologie und zu Frauenfragen, sie diskutiert ihre Haltung zur Öffentlichkeit und spricht über heutige Bedenken und Begeisterungen.

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Seitenzahl: 558

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Elena Ferrante

Frantumaglia

Mein geschriebenes Leben

Aus dem Italienischen von Julika Brandestini und Petra Kaiser

Suhrkamp Verlag

Inhalt

I. Schriften. 1991-2003

1. Das Befana-Geschenk

2. Die Schneiderinnen der Mütter

3. Schreiben auf Bestellung

4. Das verfilmte Buch

5. Die Neuerfindung von Lästige Liebe. Briefwechsel mit Mario Martone

6. Mediale Hierarchien

7. Ja, nein, ich weiß nicht. Entwurf eines lakonischen Interviews

8. Die Kleider, die Körper. Lästige Liebe auf der Leinwand

9. Heimlich schreiben. Brief an Goffredo Fofi

10. Arbeitende Frauen

11. Lügen sagen immer die Wahrheit

12. Stadt ohne Liebe. Antworten auf die Fragen von Goffredo Fofi

13. Ohne Sicherheitsabstand. Antworten auf die Fragen von Stefania Scateni

14. Eine Geschichte der Auflösung. Antworten auf die Fragen von Jesper Storgaard Jensen

15. Willentliche Aussschaltung der Ungläubigkeit

16. La Frantumaglia

Abgründe

Das Monster in der Kammer

Das Bild der Mutter

Die Städte

Frauenkleider

17. Eine Nachbemerkung

II. Bekenntnisse. 2003-2007

1. Nach La Frantumaglia

2. Das Leben im Buch. Interview mit Francesco Erbani

3. Die »Tage« auf der Kippe. Brief an Roberto Faenza

4. Die verblüffende Olga der Margherita Buy. Antworten auf die Fragen von Angiola Codacci-Pisanelli

5. Niemandes Buch

6. Wie hässlich dieses Kind ist

7. Stationen einer einzigen Suche. Antworten auf die Fragen von Francesco Erbani

8. Die Temperatur, die Leser entfacht. Dialog mit den Hörern von ›Fahrenheit‹

9. Die erotische Aura des mütterlichen Körpers. Antworten auf die Fragen von Marina Terragni und Luisa Muraro

III. Briefe. 2011-2016

Ein Buch, das andere Bücher begleitet. Briefwechsel zwischen den Lektoren Simona Oliveto und Sandra Ozzola Ferri, Edizioni e/o

1. Die Leuchtkraft der Untergeordneten. Antworten auf die Fragen von Paolo di Stefano

2. Höhenangst. Antworten auf die Fragen von Karen Valby

3. Jeder Mensch ist ein Schlachtfeld. Antworten auf die Fragen von Giulia Calligaro

4. Abwesende Komplizin. Antworten auf die Fragen von Simonetta Fiori

5. Niemals die Deckung fallenlassen. Antworten auf die Fragen von Rachel Donadio

6. Frauen, die schreiben. Antworten auf die Fragen von Sandra, Sandro und Eva

7. Exzessive Persönlichkeiten. Antworten auf die Fragen von Gudmund Skjeldal

8. Dreizehn Briefe. Antworten auf die Fragen von Maurício Meireles

9. Erzählen, was sich der Erzählung entzieht. Antworten auf die Fragen von Yasemin Çongar

10. Die Wahrheit über Neapel. Antworten auf die Fragen von Árni Matthíasson

11. Die Uhr. Antworten auf die Fragen der Kunstzeitschrift Frieze

12. Der Vorgarten und die Welt. Antworten auf die Fragen von Ruth Joos

13. Das Magma unter den Konventionen. Antworten auf die Fragen von Elissa Schappell

14. Programmatische Unzufriedenheit. Antworten auf die Fragen von Andrea Aguilar

15. Frauen, die Grenzen überschreiten. Antworten auf die Fragen von Liz Jobey

16. Die Verschwendung weiblicher Intelligenz. Antworten auf die Fragen von Deborah Orr

17. Trotz allem. Antworten auf die Fragen von Nicola Lagioia

Nachweise

Zu diesem Buch

Dieses Buch richtet sich in erster Linie an alle, die die ersten beiden Romane von Elena Ferrante, Lästige Liebe (1992) und Tage des Verlassenwerdens (2002), begeistert gelesen und diskutiert haben. Inzwischen hat Lästige Liebe eine Art Kultstatus erlangt, viele haben die wunderbare Verfilmung von Mario Martone gesehen und das Interesse an der ungewöhnlich öffentlichkeitsscheuen Autorin ist weiterhin ungebrochen. Zudem hat die Zahl begeisterter Leser nach dem Erscheinen von Tage des Verlassenwerdens noch einmal kräftig zugenommen, sodass die Fragen danach, wer sich wohl hinter dem Namen Elena Ferrante verbirgt, eindringlicher wurden.

Um diese wachsende Neugier zu befriedigen, haben wir uns deshalb entschlossen, dem ebenso anspruchsvollen wie wohlwollenden Publikum weitere Texte der Autorin zugänglich zu machen, und haben für diesen Band Briefe der Autorin an den Verlag edizioni e/o, einige der seltenen, schriftlich gegebenen Interviews und ihre Korrespondenz mit ausgewählten Lesern zusammengestellt. Im Übrigen machen diese Texte ein für alle Mal deutlich, weshalb sich die Autorin seit nunmehr zehn Jahren so beharrlich der Sensationsgier der Medien verweigert.

Die Verleger Sandra Ozzola und Sandro Ferri

Dieses Vorwort der Verleger zur ersten Auflage von Frantumaglia datiert vom September 2003. Alle Anmerkungen stammen vom Verlag.

I. Schriften

1991-2003

1. Das Befana-Geschenk

Liebe Sandra,

bei dem letzten, sehr angenehmen Treffen mit Dir und Deinem Mann hast Du ironisch nachgefragt, was ich denn nun zu tun gedenke, um den Verkauf von Lästige Liebe zu fördern (an den endgültigen Titel des Buches muss ich mich erst noch gewöhnen), und mir dabei einen Deiner lebhaften, amüsierten Blicke zugeworfen. Zu einer spontanen Antwort fehlte mir der Mut, zumal ich auch dachte, Sandro gegenüber schon recht deutlich gewesen zu sein, er schien nichts dagegen zu haben. Deshalb hatte ich eigentlich gehofft, das Thema nicht mehr ansprechen zu müssen, auch nicht im Spaß. Ich antworte Dir nun schriftlich, denn damit ersparen wir uns meine langen Pausen, meine Unsicherheit, meine Nachgiebigkeit.

Ich habe die Absicht, gar nichts für Lästige Liebe zu tun, nichts, was ein öffentliches Auftreten mit sich brächte. Ich habe bereits genug für diesen Roman getan: Ich habe ihn geschrieben. Wenn das Buch etwas taugt, sollte das reichen. Ich werde keine Einladung zu Diskussionen oder Tagungen annehmen. Ich werde zu keiner Preisverleihung gehen, falls man mir denn einen Preis zuerkennen sollte. Ich werde keine Werbung für das Buch machen, vor allem nicht im Fernsehen, weder in Italien noch im Ausland. Ich werde mich nur schriftlich zu Wort melden, aber auch das möglichst auf ein Minimum beschränken. Für mich und meine Familie steht dieser Entschluss unwiderruflich fest. Ich hoffe, ich muss meine Meinung nicht ändern. Mir ist durchaus bewusst, dass das für den Verlag Schwierigkeiten aufwirft. Ich habe Hochachtung vor Eurer Arbeit, ich hatte Euch sofort gern, und ich will Euch nicht schaden. Falls Ihr mich also nicht länger unterstützen wollt, sagt es gleich, ich hätte Verständnis dafür. Es ist ja überhaupt nicht nötig, dass ich dieses Buch veröffentliche.

Wie Du weißt, fällt es mir schwer, die Gründe für meine Entscheidung umfassend darzulegen. Aber Du sollst wissen, dass ich eine kleine Wette mit mir, mit meinen Überzeugungen abgeschlossen habe. Ich glaube, Bücher brauchen, wenn sie einmal geschrieben sind, keinen Autor mehr. Wenn sie etwas zu erzählen haben, finden sie früher oder später ihre Leser. Und wenn nicht, dann eben nicht. Dafür gibt es viele Beispiele. Ich liebe diese geheimnisvollen Bücher aus alter und neuer Zeit, die zwar keinen bestimmten Autor haben, aber trotzdem ein intensives Eigenleben geführt haben und noch führen. Für mich sind sie wie ein Wunder, das über Nacht kommt, wie die Geschenke der Befana, auf die ich als Kind so sehnsüchtig gewartet habe, ich ging sehr aufgeregt ins Bett, und wenn ich morgens aufwachte, waren die Geschenke da, aber niemand hatte die Befana gesehen. Wahre Wunder sind solche, von denen nie jemand erfahren wird, wer sie vollbracht hat, egal ob die kleinen Wunder der heimlichen Hausgeister oder die großen, wirklich atemberaubenden Wunder. Diesen kindlichen Wunsch nach kleinen und großen Wundern habe ich immer noch, ich glaube nach wie vor daran.

Darum, liebe Sandra, möchte ich in aller Deutlichkeit sagen: Falls Lästige Liebe es aus eigener Kraft nicht schaffen sollte, ein größeres Publikum anzusprechen, je nun, dann haben wir, Du und ich, uns eben geirrt; aber falls doch, wird das Buch auch ohne unsere Hilfe seinen Weg gehen, und uns bleibt nur die freudige Aufgabe, uns bei den Leserinnen und Lesern für ihren Zuspruch zu bedanken. Und ist es nicht auch so, dass Werbung sehr teuer ist? Ich werde die kostengünstigste Autorin des Verlags sein. Sogar meine Anwesenheit wird Euch erspart bleiben.

Sehr herzlich

Elena

Brief vom 21. September 1991

2. Die Schneiderinnen der Mütter

Liebe Sandra,

die Sache mit dem Preis wühlt mich sehr auf. Mich verwirrt nicht so sehr die Tatsache, dass mein Buch einen Preis bekommt, sondern vielmehr, dass er den Namen Elsa Morantes trägt. Um ein paar Dankeszeilen zu schreiben, die vor allem eine Hommage an diese von mir zutiefst verehrte Autorin sein sollen, habe ich in ihren Büchern nach passenden Zitaten gesucht. Dabei habe ich festgestellt, dass eine solche Drucksituation einem mitunter übel mitspielen kann. Ich habe geblättert und geblättert, aber nicht ein einziges passendes Wort gefunden, dabei hatte ich doch eine ganze Reihe deutlich in Erinnerung. Man müsste einmal darüber nachdenken, wie und wann Wörter aus Büchern verschwinden und diese dann am Ende wie leere Gräber wirken.

Was hat mich in diesem Zusammenhang so blind gemacht? Eigentlich war ich auf der Suche nach einer unverkennbar weiblichen Passage über die Figur der Mutter, doch die von der Morante geschaffenen männlichen Erzählstimmen irritierten mich. Ich wusste genau, dass es diese Passagen gibt, aber um sie wiederzufinden, hätte ich den ersten Leseeindruck wiederherstellen müssen, als es mir mühelos gelang, die männlichen Stimmen als Verkleidung weiblicher Stimmen und Gefühle wahrzunehmen. Das Schlimmste jedoch, was man unter solchen Umständen tun kann, ist, unter Hochdruck nach einer zitierbaren Stelle zu suchen. Bücher sind komplexe Gebilde, die Zeilen, die uns tief erschüttert haben, markieren den Höhepunkt eines inneren Erdbebens, das ein Text von den ersten Seiten an in uns Lesern ausgelöst hat: also entweder macht man die Verwerfung ausfindig, und wird zu dieser Verwerfung, oder die Worte, von denen wir meinten, sie wären eigens für uns geschrieben, sind nicht mehr auffindbar und klingen, falls man sie doch wiederfindet, banal und geradezu abgedroschen.

Am Ende habe ich auf das Euch bekannte Zitat zurückgegriffen, das ich eigentlich Lästige Liebe als Motto voranstellen wollte. Doch selbst das ist schwieriger als gedacht, denn wenn man es heute liest, klingt es so selbstverständlich, lediglich wie eine ironische Passage über die Entmaterialisierung des mütterlichen Körpers durch den süditalienischen Mann. Falls Ihr es zum besseren Verständnis für notwendig haltet, diese Stelle zu zitieren, schicke ich Euch hier den ganzen Textauszug. In der Passage schildert Morante, was die Protagonistin Giuditta zu ihrem Sohn sagt, als der sich wie ein typischer Sizilianer benimmt, nachdem seine Mutter ihre Schauspielkarriere nach einer schlimmen Demütigung endgültig aufgibt und sich endlich wieder normal kleidet.

Giuditta ergriff seine Hand und bedeckte sie mit Küssen. In diesem Augenblick sah er, wie sie ihm später sagte, genau wie ein echter Sizilianer aus, wie einer von diesen strengen sizilianischen Ehrenmännern, die immer auf ihre Schwestern aufpassen, dass sie am Abend nicht allein ausgehen, den Verehrern keine Hoffnungen machen und dass sie keinen Lippenstift benutzen und für die das Wort »Mutter« zwei Dinge bedeutet: »alt« und »heilig«. Die Farbe, die sich für die Kleider der Mutter geziemt, ist Schwarz oder höchstens Grau oder Braun. Ihre Kleider sind unförmig, denn niemand, nicht einmal die Schneiderinnen der Mütter, kommt auf den Gedanken, dass eine Mutter den Körper einer Frau besitzt. Die Zahl ihrer Lebensjahre ist ein Geheimnis ohne Bedeutung, denn ohnehin gibt es für sie nur eines: das Altsein. Dieses Alter ohne Form und Gestalt hat heilige Augen, die um die Kinder weinen, nicht wegen eigenen Kummers; es hat heilige Lippen, die für die Kinder beten, nicht für sich selbst. Und wehe dem, der vor diesen Kindern den heiligen Namen der Mutter leichtfertig ausspricht! Wehe! Es ist eine tödliche Beleidigung.

Dieser Passus soll bitte ohne Emphase vorgetragen werden, mit normaler Stimme, ohne die deklamatorischen Töne schlechter Komödianten. Wer von Euch das liest, sollte nur die folgenden Worte leicht betonen: unförmig, Schneiderinnen der Mütter, Körper einer Frau, Geheimnis ohne Bedeutung.

Und hier nun schließlich mein Brief an die Preis-Jury, hoffentlich wird klar, dass die Worte der Morante alles andere als abgenutzt sind.

Ich entschuldige mich nochmals für die Umstände, die ich Euch bereite.

Elena

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Jury, als glühende Verehrerin Elsa Morantes habe ich etliche ihrer Worte im Gedächtnis. Also habe ich mich, bevor ich diesen Brief begann, auf die Suche nach diesen mir bekannten Worten gemacht, um mich daran festzuhalten und dadurch an Substanz zu gewinnen. Allerdings habe ich dort, wo ich sie vermutete, kaum etwas gefunden. Viele hatten sich versteckt. Andere, nach denen ich gar nicht gesucht habe, stachen mir plötzlich beim Durchblättern ins Auge, manche haben mich mehr verzaubert als die eigentlich Gesuchten. Worte schlagen im Kopf des Lesers oft unvorhergesehene Wege ein. In erster Linie ging es mir um die Figur der Mutter, ein zentrales Motiv im Werk der Morante, und zu diesem Zweck durchstöberte ich Lüge und Zauberei, Arturos Insel, La Storia und Aracoeli. In der Erzählung Der andalusische Schal fand ich schließlich, wonach ich vermutlich mehr oder weniger gesucht hatte.

Sicher kennen Sie den Text besser als ich, und ich brauche ihn hier nicht noch einmal wiederzugeben. Es geht um das Bild, das Söhne von ihren Müttern haben: Mütter sind alt, mit heiligen Augen, heiligen Lippen, in schwarzen, grauen oder ganz selten mal braunen Kleidern. Die Autorin spricht anfänglich von »diesen strengen sizilianischen Ehrenmännern, die immer auf ihre Schwestern aufpassen«. Doch schon bald, nach wenigen Sätzen, verlässt sie Sizilien und geht, wie mir scheint, zu einem weniger lokal gefärbten Bild der Mutter über. Das geschieht mit der Einführung des Adjektivs unförmig. Die Kleider der Mütter sind unförmig, auch ihr Alter ist unbestimmt, sie sind einfach nur alt, »denn niemand«, schreibt Elsa Morante, »nicht einmal die Schneiderinnen der Mütter, kommt auf den Gedanken, dass eine Mutter den Körper einer Frau besitzt.«

Wichtig scheint mir die Wendung »niemand kommt auf den Gedanken«. Das Unförmige ist derart dominant für das Bild der »Mutter«, dass es weder Söhnen noch Töchtern jemals in den Sinn käme, den Körper der Mutter mit weiblichen Formen in Verbindung zu bringen, es sei denn mit Abscheu. Das gelingt nicht einmal den Schneiderinnen, obwohl sie doch selbst Frauen, Töchter, Mütter sind. Aus Gewohnheit schneidern sie den Müttern Kleider auf den Leib, die alles Weibliche negieren, als sei alles Weibliche eine Art Lepra, die das Bild der Mutter entstellt. Sie tun es ganz automatisch und machen so auch das Alter zu einem Geheimnis ohne Bedeutung, für Mütter gibt es nur ein Alter: das Altsein.

Erst jetzt, wo ich darüber schreibe, fange ich an, bewusst über die »Schneiderinnen der Mütter« nachzudenken. Sie faszinieren mich, vor allem im Zusammenhang mit einem Ausdruck, der mich schon als Kind fesselte: »Kleider wie auf den Leib geschnitten«. Als Kind dachte ich, dahinter stecke etwas Anstößiges: eine aggressive Handlung, eine gewaltsame Zerstörung der Kleider und schamlose Entblößung des Körpers; oder schlimmer noch, eine magische Kunst, die die Umrisse des Körpers bis zur Obszönität sichtbar macht. Heute erscheint mir dieser Ausdruck weder böse noch anstößig. Vielmehr fasziniert mich der innere Zusammenhang von zuschneiden, einkleiden, aussprechen. Ich finde es spannend, dass sich daraus auch die Redensart »über jemanden herziehen« entwickelt hat. Würden die Schneiderinnen lernen, den Müttern die Kleider so auf den Leib zu schneidern, dass er sichtbar wird, oder sie so hauteng zu machen, dass der weibliche Körper wieder zum Vorschein käme – dieser weibliche Körper, den Mütter nun mal haben und immer schon hatten –, dann käme das Einkleiden einem Entblößen gleich und der Körper der Mütter, ihr Alter, wäre nicht länger ein Geheimnis ohne Bedeutung.

Vielleicht hatte auch Elsa Morante, als sie von den Müttern und ihren Schneiderinnen sprach, die Notwendigkeit vor Augen, für sie richtige Kleider zu finden und mit der schlechten Gewohnheit zu brechen, die schon lange das Wort Mutter belastet. Vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall erinnere ich mich an andere Bilder (beispielsweise »das mütterliche Schweißtuch«, »das sich wohltuend wie frische Liebe auf den leprösen Körper legt«), in die man sich gerne versenken würde, um als neue Schneiderin den Fehler des Unförmigen auszubügeln.

Die Autorin nahm den Preis für das beste Erstlingswerk, den ihr die Jury im Rahmen der 6. Auflage des Premio Procida, Isola di Arturo – Elsa Morante (1992) für Lästige Liebe zuerkannte, nicht persönlich entgegen. Bei der Preisverleihung wurde stattdessen der hier abgedruckte Brief verlesen. Dieser Text wurde in den von Jean-Noël Schifano und Tjuna Notarbartolo herausgegebenen Cahiers Elsa Morante, Edizioni scientifiche 1993, abgedruckt und wird hier leicht gekürzt wiedergegeben.

3. Schreiben auf Bestellung

Liebe Sandra,

da habt Ihr mir ja was Schönes eingebrockt: Bei der Arbeit an dem Beitrag für Euer Verlagsjubiläum habe ich nämlich festgestellt, dass Schreiben auf Bestellung mühelos von der Hand geht und man dabei sogar auf den Geschmack kommt. Und wie soll's jetzt weitergehen? Soll jetzt alles Wasser den Abguss hinunter, weil der Stöpsel nun mal gezogen ist? Im Augenblick könnte ich über alles und jedes schreiben. Ihr möchtet einen Beitrag zur Feier des neuen Autos? Prompt werde ich irgendwo die Erinnerung an meine erste Autofahrt abrufen und mich dann, Zeile um Zeile, bis zum Glückwunsch zum neuen Auto vorarbeiten. Ich soll Euch gratulieren, weil Eure Katze Junge bekommen hat? Schon grabe ich die Katze aus, die mein Vater mir erst geschenkt und mir dann, vom Miauen genervt, wieder weggenommen und an der Straße nach Secondigliano ausgesetzt hat. Ihr möchtet einen Beitrag für ein Buch über das heutige Neapel? Da nehme ich als Ausgangspunkt die Episode, als ich mich einmal aus Angst, einer aufdringlichen Nachbarin zu begegnen, die meine Mutter rausgeworfen hatte, nicht aus der Wohnung traute und ziehe dann Wort um Wort die Angst vor der Gewalt heraus, die einen heute anspringt, weil die alte Politik sich zwar ein neues Make-up auflegt, man aber gar nicht erkennen kann, worin das Neue, das wir unterstützen sollen, eigentlich besteht. Ich soll etwas schreiben zu dem dringenden Wunsch der Frauen, endlich zu lernen, die eigene Mutter zu lieben? Dann erzähle ich, wie meine Mutter mich als Kind fest an die Hand nahm, damit fange ich an – im Übrigen würde ich darüber tatsächlich gern schreiben, denn ich weiß noch genau, wie es sich anfühlte, wenn sie aus Angst, ich könnte mich losreißen und auf die holprige, gefährliche Straße laufen, meine Hand fest umklammerte, wobei ich ihre Angst spürte und selbst Angst bekam –, und dann finde ich garantiert einen Weg, um auf das Thema einzugehen und auch ein kunstgerechtes Zitat von Luce Irigaray oder Luisa Muraro einzuflechten. Ein Wort zieht das andere nach sich, eine Seite von banaler, eleganter, akkurater Kohärenz bringt man immer zusammen, zu jedem beliebigen Thema, egal ob anspruchslos oder anspruchsvoll, simpel oder komplex, nebensächlich oder grundsätzlich.

Was also soll ich tun, Eure Bitte einfach ablehnen und damit Menschen verprellen, die ich mag und denen ich vertraue? Das liegt mir nicht. Also habe ich ein paar Zeilen geschrieben, als Zeichen echter Hochachtung für den ehrenwerten Kampf, in dem Ihr Euch seit Jahren engagiert und der, glaube ich, heute noch schwerer zu gewinnen ist.

Hier also mein Beitrag, herzlichen Glückwunsch. Diesmal begnüge ich mich damit, über einen Kapernbusch zu schreiben. Keine Ahnung, was danach kommt. Ich könnte Euch leicht mit Erinnerungen, Gedanken, universellen Entwürfen überschütten. Nichts leichter als das. Momentan habe ich das Gefühl, ich könnte auf Bestellung über alles schreiben, über die Jugend von heute, die Schandtaten des Fernsehens, über Di Giacomo, Francesco Jovine, über die Kunst zu gähnen oder über einen Aschenbecher. Auf die Frage eines Journalisten, wie er zu seinen Geschichten komme, nahm Tschechow, der große Tschechow, den erstbesten Gegenstand, der ihm in die Finger fiel – ein Aschenbecher nämlich –, und sagte: Sehen Sie den hier? Wenn Sie morgen wiederkommen, gebe ich Ihnen eine Geschichte mit dem Titel Der Aschenbecher. Eine herrliche Anekdote. Aber wie und wann wird etwas so dringlich, dass man unbedingt darüber schreiben muss? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass Schreiben auch eine deprimierende Seite hat, wenn die Absicht plötzlich zu durchsichtig wird. Dann klingt sogar die Wahrheit bisweilen künstlich. Deshalb möchte ich, um jedes Missverständnis zu vermeiden, hier noch einmal, ganz ohne Kapern oder sonstiges, ganz ohne Literatur, ausdrücklich betonen, dass meine Glückwünsche aufrichtig gemeint sind und von Herzen kommen. Bis bald,

Elena

An einem der vielen Häuser, in denen ich als junge Frau gewohnt habe, wuchs jedes Jahr ein Kapernbusch, an der Wand Richtung Osten. Die Wand bestand aus nacktem Stein, war schlecht verfugt, und es gab keinen Samen, der dort nicht seine Scholle fand. Doch insbesondere der Kapernbusch blühte und gedieh dort so prächtig und in so zarten Farben, dass er mir wegen seiner Kraft, seiner sanften Energie im Gedächtnis geblieben ist. Der Mann, der uns das Haus vermietete, mähte jedes Jahr mit der Sense alle Pflanzen nieder, doch vergeblich. Als er irgendwann die Wand ausbesserte, brachte er mit der Hand eine glatte Putzschicht auf und strich sie dann in einem grauenhaften Hellblau. Lange wartete ich zuversichtlich darauf, dass der Kapernbusch sich bekrabbeln, wieder ausschlagen und den eintönigen Putz sprengen würde.

Heute, wo ich meinem Verlag gratuliere, habe ich das untrügliche Gefühl, dass es wirklich passiert ist. Der Putz bekam Risse, der Kapernbusch konnte wieder austreiben. Deshalb wünsche ich dem Verlag e/o, dass er weiterhin gegen den Putz kämpft, gegen alles, was durch Übertünchen harmonisiert. Auf dass er stur von Jahr zu Jahr immer neue Blüten hervorbringe, neue Bücher in Form der Kapernblüte.

Der Anlass, auf den hier Bezug genommen wird, war das 15-jährige Bestehen der Edizioni e/o (1994). Der Text wurde in dem Katalog abgedruckt, den der Verlag anlässlich des Jubiläums herausbrachte.

4. Das verfilmte Buch

Lieber Sandro,

natürlich bin ich neugierig, ich kann es kaum erwarten, das Drehbuch von Martone zu lesen, und möchte Dich daher bitten, es mir sofort zu schicken. Allerdings befürchte ich, dass die Lektüre nur dazu dient, meine Neugier zu befriedigen, denn für mich bedeutet es, zu verstehen, was genau an meinem Buch Martone zu einer Verfilmung gereizt hat und noch reizt, welchen Nerv es bei ihm getroffen hat, wie es seine Phantasie angeregt hat. Ansonsten rechne ich eigentlich eher damit, in eine komische, ein bisschen peinliche Lage zu geraten: denn dadurch werde ich zwangsläufig zur Leserin eines fremden Textes, der eine Geschichte erzählt, die ich selbst geschrieben habe; anhand seiner Worte werde ich mir dann vorstellen, was ich mir schon einmal vorgestellt, gesehen und mit meinen Worten fixiert habe; und diese zweite Vorstellung wird zwangsläufig in einen – ironischen? tragischen? – Vergleich mit der ersten münden; ich werde also zur Leserin eines meiner Leser, der mir auf seine Art, mit seinen Mitteln, mit seiner Intelligenz und Sensibilität erzählt, was er in meinem Buch gelesen hat. Keine Ahnung, wie ich darauf reagieren werde. Aber ich befürchte, ich werde feststellen, dass ich über mein eigenes Buch wenig weiß. Ich befürchte, in dem Text eines anderen (ein Drehbuch ist zwar eine spezielle Form des Schreibens, erzählt aber trotzdem eine Geschichte) zu sehen, was ich wirklich erzählt habe und was mir womöglich missfällt; oder Schwächen zu entdecken; oder einfach festzustellen, was fehlt, was ich unbedingt hätte erzählen müssen, aber aus Unfähigkeit, Ängstlichkeit, selbstgewählter stilistischer Beschränkung oder oberflächlicher Betrachtung nicht erzählt habe.

Aber Schluss jetzt, ich will das nicht unnötig in die Länge ziehen. Denn ich muss gestehen, dass die Lust auf eine gänzlich neue Erfahrung stärker ist als alle kleinlichen Sorgen und Ängste. Ich glaube, ich werde es folgendermaßen machen: Ich lese den Text von Martone und ignoriere dabei einfach, dass es sich um eine Etappe auf dem Weg zu einer Verfilmung handelt; ich nutze die Arbeit und den Erfindungsreichtum eines anderen einfach als Gelegenheit zur weiteren Auseinandersetzung, und zwar nicht mit meinem Buch, das inzwischen ein Eigenleben führt, sondern mit der darin angesprochenen Thematik. Sag ihm bitte, wenn Du ihn siehst oder mit ihm telefonierst, dass er sich von mir auf keinen Fall einen fachlich hilfreichen Beitrag erwarten soll.

Ich danke Dir für Deine Mühe.

Elena

Der Brief vom April 1994 bezieht sich auf das Drehbuch von Mario Martone zur Verfilmung von Lästige Liebe. Martone schickte das Drehbuch mit einem Begleitbrief an die Ferrante. Danach entwickelte sich eine lebhafte Korrespondenz, die wir im Folgenden dokumentieren.

5. Die Neuerfindung von Lästige Liebe

Briefwechsel mit Mario Martone

Campagnano, 18. April 1994

Liebe Signora Ferrante,

ich schicke Ihnen die dritte Fassung des Drehbuchs, an dem ich zurzeit arbeite. Wie Sie sich sicher vorstellen können, wird es nach und nach noch weitere Fassungen geben, weil sich dauernd Veränderungen ergeben, neue Ideen hinzukommen, die Figuren sich ebenso weiterentwickeln wie die Orte der Handlung. Tatsächlich ist ein Drehbuch so etwas wie eine Landkarte: Je genauer es ist, desto freier kann man sich bewegen, wenn die Filmaufnahmen beginnen. Doch bis dahin hört die Arbeit daran niemals auf.

Ich habe versucht, Ihr Buch zu verstehen und zu respektieren und zugleich durch meine Erfahrungen, meine Erinnerungen meine Wahrnehmung von Neapel zu filtern. Ich versuche, eine Delia zu erschaffen, die sich vermutlich von der Delia unterscheidet, die Sie kennen: Das ist gerade deshalb erforderlich, weil Sie ihr Bild verschleiern wollten. Sie enthüllen ihr Denken, geben dem Leser wichtige Anhaltspunkte, stellen sie uns aber nie so deutlich vor Augen wie die anderen Figuren. Meines Erachtens muss diese ausgefeilte Erzählstrategie, die die geheimnisvolle Beziehung zwischen Delia und Amalia kreiert, zwangsläufig aufgelöst werden, um sich dann, so hoffe ich, filmisch wieder herzustellen: denn im Film müssen wir Delia von Anfang an sehen. Ich versuche, Delia eine Persönlichkeit zu geben, die eine Mischung zwischen der Romanfigur und der Schauspielerin, Anna Bonaiuto, darstellt, die sie verkörpern wird, nach einem Verfahren, das mir sehr am Herzen liegt (denken Sie dabei, falls Sie den Film gesehen haben, an die Figur des Renato Cacciopoli und den Schauspieler Carlo Cecchi in Tod eines Neapolitanischen Mathematikers). Dabei geht es darum, sich mit der filmischen Umsetzung möglichst nah an die literarische Vorlage zu halten: Man darf nicht vergessen, dass die Kamera das Gesicht, den Körper, den Blick festhält.

Momentan ist die Anzahl der Rückblenden sowie der Stimmen aus dem Off vielleicht noch ein bisschen zu hoch. Aber bedenken Sie bitte, dass man dieses Material später sehr frei verwenden kann, deshalb halte ich es für besser, es erst mal beizubehalten. Auch die Schauplätze habe ich verändert, vor allem das Hotelzimmer habe ich durch ein Thermalbad ersetzt. Diese Änderungen wie weitere, die möglicherweise noch folgen werden, haben in erster Linie damit zu tun, dass ich lieber an echten Schauplätzen drehen möchte, die dem Geist des Romans entsprechen, anstatt im Studio. In zweiter Linie damit, dass mitunter (und das ist bei dem Hotelzimmer der Fall) das Bild auf der Leinwand zwangsläufig anders ausfällt als das in der Phantasie. Aus demselben Grund möchte ich zum Beispiel auch, dass Onkel Filippo noch beide Arme hat: ansonsten befürchte ich, dass der Zuschauer sich dauernd fragt, wo der Trick ist.

Was den Zeitraum betrifft, in dem der Film spielt, und das Wahlkampfklima, das ich im Hintergrund angedeutet habe, würde ich gerne Ihre Meinung hören: Es sollte meines Erachtens nicht belanglos sein. Ich lege Ihnen die Fotokopie eines Artikels aus Manifesto bei, der meines Erachtens sehr gut das Verhältnis der Weiblichkeit von Alessandra Mussolini und dem Faschismus als »anthropologische« Tatsache in Neapel trifft: ein Verhältnis, das mir für die Handlung von Lästige Liebe durchaus relevant erscheint.

Auf jeden Fall möchte ich Sie bitten, nicht zu zögern, mir Hinweise zu geben oder Vorschläge zu machen, auch im Detail, falls Sie es wünschen: für mich wären sie absolut wertvoll. Ich hoffe inständig, dass Sie von dem Drehbuch nicht enttäuscht sind. Ich wäre sehr froh, wenn ich bei dem Film auf Ihr Vertrauen zählen könnte.

Ich grüße Sie mit Zuneigung und Dankbarkeit,

Mario Martone

Lieber Martone,

Ihr Drehbuch hat mich derart begeistert, dass ich bei der Antwort trotz mehrfacher Versuche nie über die ersten Zeilen voller Wertschätzung und Bewunderung für Ihre Arbeit hinausgekommen bin. Ich fürchte, ich weiß nicht, wie ich zu Ihrem Vorhaben beitragen kann. Deshalb werde ich es so machen: Ich liste im Folgenden, pedantisch und ein wenig peinlich, die nebensächlichen, mitunter völlig irrelevanten Punkte auf, an denen Sie eingreifen könnten, und zwar genau in der Reihenfolge, wie sie mir beim Lesen aufgefallen sind, ohne großen Anspruch. Viele Anmerkungen werden Ihnen sicher unbegründet erscheinen, eher dadurch motiviert, wie ich die Handlung und die Figuren im Kopf habe, als dadurch, wie sie tatsächlich im Buch stehen. Darüber hinaus kann es durchaus sein, dass ich Ihre Anstrengung, die Figur der Delia filmisch neu zu erfinden, vielleicht nicht hinreichend würdige. Dafür bitte ich Sie im Voraus um Verzeihung.

S. 10 Erwähnung von Augusto: Delia ist völlig verkrampft, in jedem Muskel, in jedem Wort; freundlich, aber unterkühlt, liebevoll, aber distanziert. Ihr Verhältnis zu Männern beruht nicht auf realen Erfahrungen, sondern auf Experimenten, die sie im Selbstversuch an ihrem gehemmten Organismus erprobt: sämtlich gescheiterte Experimente. Sie kann, glaube ich, das Alleinsein nicht genießen. Alleinsein ist für sie keine Parenthese, keine Auszeit von einem erfüllten Leben, sondern eine Abschottung, die zur Lebensform geworden ist. Bei ihr ist jede Geste, jedes Wort wie ein Knoten, der sich erst im Lauf der Handlung löst. Daher hat es, glaube ich, wenig Sinn, Andeutungen zu machen, die nahelegen, sie hätte ein normales Leben, das aus gewöhnlichen Sätzen und Gefühlen besteht. Wenn es wirklich einen Augusto gäbe, würde Delia nicht darüber sprechen. Deshalb würde ich den Namen sowie jede Anspielung auf Einsamkeit streichen, genauso wie dieses »erzählen wir uns doch ein bisschen«.

S. 14 Die Bemerkung von Maria Rosaria scheint mir übertrieben. Stattdessen würde ich sie lieber etwas sagen lassen, was sofort eindeutig auf die Eifersucht des Vaters hinweist. Bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf hinweisen, dass unbedingt klarer werden muss, dass der Vater immer eifersüchtig war. Denn diese väterliche Eifersucht bildet ja den Ausgangspunkt für Delias Bild der untreuen Mutter. Schon als kleines Kind glaubte Delia, Amalia habe sie nur in die Welt gesetzt, um sie aus sich heraus zu projizieren, sich vor ihr zu trennen, damit sie sich ungehindert anderen hingeben kann. In diesem Bild von Amalia – nicht der wirklichen Amalia – kreuzen sich die väterliche Obsession und das Gefühl der Verlassenheit, das Delia schon als Kind empfindet (Verweis auf die Abstellkammer auf den ersten Seiten).

S. 16/17 Die zweite Bemerkung von Maria Rosaria und die folgende von Wanda scheinen mir überflüssig, weil sie nur Dinge sagen, die alle drei Schwestern bereits wissen. Außerdem sind sie als rhetorische Fragen formuliert, die vielleicht dem Zuschauer nützen, aber nicht den Figuren. Und steht Maria Rosarias Ton nicht im Widerspruch zu dem, was sie über sich und den Ehemann sagt? Wenn ihre Flucht aus Neapel und aus den Familienverhältnissen das Thema ist, wäre es dann nicht sinnvoller, dass die drei Schwestern etwas darüber sagen, was die anderen noch nicht wissen?

S. 18 Der Körper der alten Nähmaschinen und dessen Erforschung durch das Mädchen könnten einführen in die Heimarbeit der Mutter, in das Thema Kleider (jenes Hineinschlüpfen in Kleider, die in Delias Vorstellung der Mutter gehörten, eine wichtige Entscheidung), die Verletzung am Finger. All das (Nähmaschine, Nadel, Kreide, Fingerhut, Nadelkissen, Handschuhe, Stoffe und Kleider) sind Hinweise darauf, wie Amalia ihren rebellischen und deshalb zu bestrafenden Körper entweder versteckt oder überhöht. Zugleich möchte ich auch noch einmal ausdrücklich betonen, dass Amalias Heimarbeit auch für den harten Kampf bestimmter Kreise in den vierziger und fünfziger Jahren steht, die schlimmste Not zu überwinden und sich ein besseres Leben leisten zu können (in den Augen der kleinen Delia waren das blaue Kostüm und Casertas Kamelhaarmantel der Beweis für ein anderes Leben der Mutter, ein zweites heimliches Leben). Grundlegend für die Handlung von Lästige Liebe ist der enorme Aufwand, der betrieben wurde, um sich trotz drückender Armut wenigstens ein paar Symbole einer Art bürgerlichen Wohlstands leisten zu können. Man muss sich klarmachen, dass Nicola Polledro mit seinen Geschäften lange die Pasticceria seines Vaters über Wasser hielt; denn durch den Handel mit der »Kunst« von Delias Vater verdiente er eine Zeit lang ganz gut, glitt dann aber immer weiter in krumme Geschäfte ab, sodass sein Vater schließlich im Alter ein Leben am Rande der camorristischen Machenschaften des Sohnes fristen muss. Man muss sich ebenso klarmachen, dass Delias Vater ursprünglich womöglich wirklich ein talentierter Maler war – vielleicht stammte das Bild der Vossi-Schwestern ja tatsächlich von ihm –, sich dann aber arrangieren musste, um Geld für die Familie zu verdienen und später, um mit Caserta mithalten zu können (Casertas ostentativer Wohlstand ließ ihn neidisch und bösartig werden). Dieser Kampf um den sozialen Aufstieg hinterließ bei ihm deutliche Spuren, löste Spannungen und Frustrationen aus, die sich mit Eifersucht, sexueller Verunsicherung, Rachegelüsten wegen des verschwendeten Talents und der erlittenen Ausbeutung vermischten und leicht in Gewalt umschlugen. Das alles erschien der kleinen Delia als Männersache. Wichtig jedoch sind die Augenblicke, in denen ihr zum ersten Mal klar wird, dass die Mutter durch ihre Näharbeiten zum Lebensunterhalt der Familie beiträgt; dass der Körper der Mutter als Aktmodell für die »Zigeunerin« diente; dass es bei dem Bruch zwischen Caserta und dem Vater (und Amalias Einmischung) um die ökonomische Verwertung dieses Körpers ging.

S. 19 Wieso leitet hier die Stimme aus dem Off zur Aufzug-Episode über? Wäre es nicht besser, man sähe Amalia auf dem Treppenabsatz nach Delia rufen, um dann auf die Episode zurückzukommen?

S. 33 Die erste Bemerkung von Delia scheint mir unbegründet. In meiner Vorstellung gab es die eifersüchtigen Gewaltausbrüche des Vaters schon immer. An dieser Stelle werden die Gründe für seine Eifersucht einfach nur komplexer und seine Wut steigt.

S. 34 Die Figur des Vaters von Nicola Polledro, Antonios Großvater, scheint mir zu blass (aber vielleicht täusche ich mich). Sie müsste deutlicher herausgearbeitet werden, weil sie eine wichtige Rolle spielt. Denn Caserta verkauft die Bar nicht selbst, sondern nötigt seinen Vater, sie zu verkaufen. Der Alte muss als »Angestellter« Nicolas auftreten, während Nicola selbst den feinen Herrn spielt.

S. 38 Das Thema des Bildes müsste weiter ausgebaut werden, unabhängig vom Buch: Es ist die einzige Stelle, wo Delias Vater glaubhaft zwischen reiner Angeberei und verratenem Talent schwankt.

S. 53 Den neuen Schauplatz (Therme anstelle von Hotel) finde ich nicht schlecht. Wie schon gesagt, befürchte ich nur, dass dabei eine charakteristische Eigenschaft in der Figur Delias verlorengeht: Ihr Körper ist blockiert in einer Art programmatischen Umkehr lebhafter sexueller Sinnlichkeit, die sie ihrer Mutter zuschreibt. Entweder vermittelt die Szene diese Blockade zwischen Abscheu und Lust, und damit ihre leidgeprüfte Menschlichkeit, oder sie läuft Gefahr, nur eine Konzession an die erotischen Erwartungen des Publikums zu werden.

S. 68 Dieses »sieh an, sieh an, sieh an« würde ich streichen. Das passt nicht zu Delia.

S. 69 Das Bild-Thema müsste man vielleicht noch stärker herausarbeiten. Die Suche nach ökonomischer, sozialer und kultureller Emanzipation durch die mythologische Überhöhung der Kunst könnte ein »positiver« Zug des Vaters sein, der aufgrund sozialer Benachteiligung gezwungen ist, sein Talent zu verschwenden. Ich glaube, man braucht gar nichts hinzufügen, es reicht, wenn Sie das bei der Arbeit mit dem Schauspieler stärker visualisieren.

S. 74 Die Bemerkung von Delia ist schwierig. Hier handelt es sich um keine neue Erkenntnis (für den Zuschauer schon, aber nicht für Delia), sondern um die Anstrengung, sich selbst eine längst bekannte Wahrheit einzugestehen, die aber erst in diesem Augenblick formuliert werden kann.

Und als Letztes: Die Aktualisierung mit dem Wahlkampf finde ich nicht schlecht, solange sie »Untermalung« bleibt und sich nicht in den Vordergrund drängt.

Ich hoffe, Sie sind gnädig mit mir. Ich weiß so gut wie nichts darüber, wie man ein Drehbuch liest, womöglich habe ich etwas plump Dinge aufgeschrieben, die Ihnen schon klar waren, die Sie sich schon notiert hatten oder die nichts mit dem Erzählen in Bildern zu tun haben. Falls das so sein sollte, werfen Sie getrost alles weg und bewahren nur meine aufrichtige Bewunderung für Ihre Recherche, für Ihre Arbeit. Was mir an meinem Buch wichtig ist (und worauf ich stolz bin), ist, dass es Ihre Phantasie und Vorstellungskraft beflügelt hat. Mit Hochachtung

Elena Ferrante

Lieber Martone,

diese letzte Fassung finde ich noch überzeugender als die vorhergehende, aber es fällt mir schwer, klar zu formulieren, warum. Ich weiß nur, dass ich Ihren Text mit einer Intensität und Teilnahme gelesen habe, die mein eigener mir bisher verweigert. Je mehr Sie Lästige Liebe neu erfinden, desto mehr kann ich mich damit identifizieren, desto mehr sehe ich, was der Text transportiert. Über diese Empfindung muss ich noch weiter nachdenken. Einstweilen bin ich mit dem Resultat zufrieden, für mich und für Sie.

Gegen die Verlegung von Delias Wohnort nach Bologna habe ich nichts einzuwenden. Rom spielt für die Handlung eigentlich keine Rolle: höchstens als anonymes Umfeld für eine alleinstehende Frau mit einer gewissen Begabung, das ihr Möglichkeiten bietet, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, hart gegen sich selbst und andere, um ihre prekäre Balance zu halten; aber sie ist fragil, ängstlich, irgendwie auch kindlich, verfällt in die alten Verhaltensmuster, wenn die Mutter sie besucht. Bologna hingegen suggeriert, soweit ich weiß, ein Plus an »Künstlerischem« und »Alternativem«, über das die Romanfigur, zumindest nach meiner Intention, nicht verfügt. Doch wenn Sie glauben, dass diese Stadt der Entwicklung der Figur und ihrer Glaubwürdigkeit nützt, dann ist das für mich in Ordnung.

Geradezu begeistert bin ich von Ihrer Entscheidung, Amalias Wohnung in einen Palazzo della Galleria zu verlegen. Diese Gebäude kenne ich. Eine gute Wahl, und umso vielversprechender, als sie es dank Ihrer Sensibilität erlaubt, die quasi anthropologischen Veränderungen im Lebensstil abzubilden. Eigentlich hatte ich mir eine Gasse in einer weniger noblen Gegend vorgestellt. Aber das Bild von Delia, wie sie vom Fenster auf die Passage hinuntersieht und dabei vom Stimmengewirr im Dialekt überflutet wird, hat mir sehr gefallen.

Auch die Veränderungen an der Nachtszene, vermutlich durch die Wahl des Schauplatzes bedingt, finde ich überzeugend, obwohl ich eigentlich an der Idee hing, dass Delia sich nach unten bewegt (ihr Zufluchtsort als Jugendliche lag oben, was in meiner Vorstellung – vielleicht ein bisschen mechanisch – immer das Gegenteil zum unten der Kellerwohnung in der Kindheit bezeichnete: an diesen Zufluchtsort lockt sie ihre Mutter, dorthin kommt später auch Caserta; aber beide Begegnungen scheitern, sodass Delia zwangsläufig wieder nach unten muss, eine Verschiebung, die sich durch den gesamten Aufbau der Geschichte zieht und die Sie, wie mir scheint, durch das Spannungsverhältnis zwischen Zentrum und Peripherie sehr gut herausgearbeitet haben. Aber das sind Feinheiten, so wie sie jetzt ist, scheint mir die Szene sehr gelungen, straff, effizient).

Bleibt meines Erachtens das Problem der Begegnung mit der Mutter im Aufzug. Das ist eine Schlüsselszene, weil hier die Mutter-Tochter-Beziehung zum ersten Mal offen in Eifersucht und eine peinliche Körperlichkeit umschlägt (im Buch wird diese Verlegenheit durch ein Geste ausgedrückt: Delia entzieht der Mutter die Hand und legt sie aufs Herz, dann öffnet sie die Tür und fordert die Mutter auf, auszusteigen). Hier, glaube ich, haben wir eine dieser Stellen, wo die Erzählerstimme durch die Vorwegnahme von Delias eifersüchtiger Frage die Szene entschärft und dadurch eher Verwirrung stiftet als zur Klarheit beiträgt. Ich weiß nicht, was man da machen könnte, damit der Zuschauer die Szene nicht für eine Rückblende hält, sondern für eine Vision. Aber Sie haben schon so viele Probleme gelöst, da werden Sie auch hierfür eine Lösung finden.

Apropos Erzählerstimme aus dem Off: Beim Lesen der letzten Fassung ist mir klar geworden, dass die Form der Ich-Erzählung für Sie eine äußerst lästige Fessel gewesen sein muss (wenn die erste Person erst einmal eingeführt ist, lässt sie sich nicht mehr so ohne weiteres in eine dritte verwandeln). Dennoch haben Sie das Problem äußerst kreativ gelöst, indem sie einmal Delias Wahrnehmung als Kind betonen, ein anderes Mal die Brillen-Methode verwenden. Deshalb möchte ich Sie – über die Schwierigkeiten mit der Aufzug-Szene hinaus – dazu ermuntern, einen letzten Versuch zu unternehmen, die Ich-Erzählerstimme ganz zu streichen.

Im Buch ist sie die Stimme einer Delia, die schon alles hinter sich hat. Sie gehört nicht der Frau, die noch in Neapel lebt, sondern der Frau, die aus dieser Erfahrung verändert hervorgegangen ist und jetzt, wieder weit weg von Neapel, von den inneren und äußeren Veränderungsprozessen erzählen kann. Aber die Delia im Film, der man von »innen« und von »außen« dabei zusehen kann, wie sie diese Entwicklung durchläuft (das sehr schöne Ende ist der Beweis für Ihre hervorragende Arbeit), braucht keine Zusammenfassung a posteriori. Deshalb sind die im Drehbuch verbliebenen Reste der Erzählerstimme inzwischen überflüssig und stehen in gewisser Weise sogar im Widerspruch zu ihrem Ursprung. Als Aussagen einer Stimme, die im Rückblick erzählt, können sie nicht als »gegenwärtige Gedanken« einer dritten Person fungieren, die noch gar nicht wissen kann, was geschehen wird – die Figur, die wir auf der Leinwand agieren sehen, verfügt ja bereits über eine eigene, parallel eindringlich gezeigte Innenwelt.

Ja, streichen Sie möglichst alles, was von der Erzählstimme noch übrig ist: Das dürfte Ihnen an diesem Punkt nicht schwerfallen. Vielleicht, wenn Sie keine bessere Lösung finden, kann man den Anfang so lassen, aber ohne die jetzigen Korrekturen, um damit den literarischen Aufbau deutlich zu machen.

Jetzt möchte ich einige Bemerkungen zur Leseerfahrung anschließen. Notgedrungen haben Sie die von mir bewusst gewählte Leerstelle der Sprache ausgefüllt: den Dialekt. Und zwar so natürlich, dass ich beim Lesen ganz hin und weg war. Dabei stelle ich mir vor, dass auch die nicht verschriftlichten Sprüche und Hintergrundgeräusche dazu beitragen, jenes dialektale Meer zu schaffen, das Delia als bedrohlich empfindet, als Rückfall in die Sprache der Obsessionen und der kindlichen Gewalterfahrung (in diesem Sinn finde ich es großartig, dass die obszönen Bemerkungen in Szene 17 nicht direkt von Caserta kommen, sondern aus dem Trubel der Stadt; sehr gut finde ich auch das unglaubliche Stimmengetöse bei der Essensszene).

Wenig überzeugend finde ich hingegen, dass Delia (in Szene 6) zu Giovanna den Satz sagt, mit dem auch (aber nicht nur) ihr Wortbeitrag beginnt. Ich sage Ihnen auch, warum: Es scheint mir nicht stimmig, Delia schon in den Anfangsszenen Dialekt reden zu lassen, zumal in einer Umgebung, die in jeder Hinsicht von Neapel weit entfernt ist; es müsste vielmehr so sein, dass jede dialektale Einfärbung entweder spontan erfolgt (zum Beispiel als Reaktion auf die Belästigung eines jungen Mannes) oder als Anzeichen einer zunehmenden Annäherung an Amalia; vor allem aber scheint es mir falsch, dass wir diesen Satz – und dazu noch aus ihrem Mund – gleich am Anfang hören. Denn dieser Satz hat eine Geschichte, die wir zurückverfolgen müssen. Der Satz stammt angeblich von Amalia; Onkel Filippo macht dazu eine mysteriöse Andeutung; wir schreiben den Satz der kleinen Delia zu; wir erfahren, dass sie ihn vom alten Polledro aufgeschnappt hat; und erst am Schluss wird uns klar, wie sie ihn umgeformt hat, und hören, wie die erwachsene Delia ihn befreiend ausspricht.

Folglich überzeugt es mich nicht, den Satz schon am Anfang von Delia zu hören (im Übrigen würde sie so etwas nie sagen, sondern darüber hinweggehen oder eine allgemeinere Formulierung wählen, weil ihr die Obszönität der Mutter peinlich wäre). Ich glaube, der Satz müsste eindeutig aus Amalias Mund kommen, was Delia unerträglich findet. Der Fortgang der Geschichte wird uns glauben machen, dass Amalia diese Worte gesagt hat, vielleicht in einem Zustand geistiger Verwirrung oder aus Angst (Caserta ist bei mir, dein Vater will mir weh tun usw.), als Schimpftirade einer Betrunkenen oder als hilfloser Versuch einer Versöhnung.

Jedenfalls gehören diese Worte meines Erachtens ans Ende von Szene 5, zu den anderen von Amalia am Telefon gebrabbelten Obszönitäten; um dann unmittelbar danach Delias entsetztes Gesicht zu zeigen, in dem sich ihr differenziertes Innenleben und ihre leidvolle Erfahrung spiegeln. »Mama, wer ist denn bei dir?«, könnte Delia daraufhin fragen, wie in einer Art Déjà-vu.

Was den Satz an sich betrifft, möchte ich vorsichtig zu bedenken geben (ich bin mir selbst nicht ganz sicher): Entweder er ist wirklich unerträglich obszön (und der hier ist es nicht) oder aber er spielt nur völlig vage auf irgendetwas Obszönes an. Ihr Satz gehört zur zweiten Gruppe; deswegen würde ich wenigsten das »unter« streichen, denn es ist zu konkret und zugleich nicht konkret genug.

Und als letzte Anmerkung zu diesem Punkt: Am Ende von Szene 44, als Polledro aufsteht und weggeht, könnte man schon den Vater zeigen und dazu die Stimme der kleinen Delia, die den Satz des alten Polledro sagt, so als hätte Caserta ihn zu Amalia gesagt. Dann könnte es weitergehen mit Delia: »Und wenn ich nun krank bin …«; und dann mit 12 weiter. Um die Handlung klarer zu bekommen, denn ich hatte das Bedürfnis, sofort zu erfahren, wie die kleine Delia die Worte des alten Caserta einsetzt. Aber vielleicht liege ich da auch falsch. Ich schreibe in Eile, ohne ausreichend Zeit, um unsinnige Vorschläge zu streichen.

Es gibt noch ein weiteres Thema, das Zweifel bei mir hinterlassen hat: die wirtschaftliche Ausbeutung der Arbeit von Delias Vater.

Um die Geschäfte der drei Männer zu charakterisieren, würde ich schon auf einen Caserta setzen, der, wie es im Buch heißt, gute Kontakte zu »amerikanischen Matrosen« hatte, aber mehr Details einfügen. Nach dem, wie Sie den Anfang der Szene mit der Ohrfeige (eine sehr gute Lösung) aufgebaut haben, wissen wir fast nichts darüber, welche Art Geschäfte die drei Herren wirklich gemacht haben: Onkel Filippos lauthals geäußerte Begeisterung sagt darüber so gut wie nichts. Wenn man hingegen die wenigen Zeilen über »die Porträts für die Amerikaner« aus dem Buch weiter ausführen wollte, könnte Onkel Filippo beispielsweise in Szene 4 mit einem Stapel Fotos kommen und sagen: »Mach hiervon mal vier Porträts für die Amerikaner. Caserta sagt, es muss schnell gehen. Hier habe ich dir die Fotos mitgebracht.« Dann könnte die Kamera die Fotos in Großaufnahme einfangen, über den Rand der Staffelei schwenken und in einer Ecke die fertigen Porträts zusammen mit den üblichen Landschaften und Seestücken zeigen. Und Delia könnte auf Seite 31 sagen: »Er unterhielt gute Kontakte zu amerikanischen Matrosen, ließ sich ihre Familienfotos zeigen und überredete sie dann, von der Mutter, der Verlobten oder der Ehefrau ein Ölporträt zu bestellen. Er hat ihr Heimweh ausgenutzt und uns damit ernährt, auch dich …« Caserta hatte also die Aufgabe, die Matrosen zu kontaktieren und für den Vater Aufträge für Porträts ihrer Lieben zu akquirieren. Erst als diese Einkommensquelle langsam zu versiegen droht, kommt Migliaro ins Spiel, der dem Vater eine ganz andere, kleinbürgerliche Klientel erschließt, die in den fünfziger Jahren unaufhaltsam anwächst.

Ich unterbreite Ihnen diese Vorschläge nur, weil ich fürchte, dass die Tätigkeit von Caserta und Delias Vater im Drehbuch nicht genügend deutlich werden. Wenn Sie auf diese keineswegs unwahrscheinliche Form von »Kunsthandel« anspielen, würde die Sache wesentlich konkreter (Fotos, Porträts), was dann auch den Ausbruch von Onkel Filippo (im Übrigen sehr wirkungsvoll: er sollte so bleiben) über die »Zigeunerin« erklären würde.

Das waren meine allgemeinen Vorschläge, jetzt folgen nur noch Kleinigkeiten, die ich Ihnen Seite für Seite aufliste. Aber Achtung: Ich merke selbst, dass ich vielleicht übertreibe. Aufgrund wenig rationaler Idiosynkrasien habe ich sogar das »nicht« von Delia auf Seite 5 gestrichen: »Dein Vater arbeitet immer noch im Polizeipräsidium, nicht?« Weg mit dem »nicht«. Seien Sie bitte gnädig mit mir.

S. 13 Das Gespräch zwischen den Schwestern ist jetzt besser, trotzdem würde ich noch einiges ändern. Vor allem das »schon sehr lange« von Delia: Das scheint mir zu vage und zu weinerlich, würde ich durch eine ungefähre Zeitangabe ersetzen (es gibt doch die Szene, wo Delia ihrer Mutter gesteht, dass sie sich oft auf den Treppenabsatz im letzten Stock flüchtet. Seit wann? Seit zwei Jahren? Seit drei? Delia könnte einfach sagen: »Schon lange. Seit zwei, drei Jahren«); oder einfach: »lange«; oder: »ja, schon lange«.

Darüber hinaus stört mich immer noch die Antwort von Maria Rosaria: vielleicht wittere ich in allen Dialektäußerungen eine implizite Gefahr: überall lauert die Inszenierung im neapolitanischen Tonfall, weinerlich, zuckersüß, bebend, pathetisch, eine ostentative Gefühlsduselei, die überhaupt kein Gefühl vermittelt. Es stimmt, es gibt tatsächlich eine Kommunikation auf Neapolitanisch, die diese Eigenschaften aufweist (stellenweise hört man ihr Echo bei Onkel Filippo und der De Riso); aber ich würde sie nicht noch durch emphatisches Deklamieren wie im Theater verstärken. Ich würde eine Maria Rosaria auftreten lassen, die versucht ihre Rührung zu beherrschen durch ein nüchternes: »Mama hätte sich lieber in den Zug setzen und zu dir nach Bologna fahren sollen«, ein halber Vorwurf: dann ein Weinen, auf das Wanda unwillig reagiert.

S. 25 Wäre es nicht besser, die De Riso unten auf der Seite »in der Wohnung« sagen zu lassen statt »in der Passage«?

S. 28 Mir ist eingefallen, dass es vielleicht gut wäre, wenn man Amalia auf dem alten vergilbten Foto gut erkennen könnte, ihr Gesicht, ihre Frisur. Der Zuschauer muss wissen, wie Amalia auf dem Passfoto aussieht, denn nur dann wird er überrascht sein, wenn Delia nach dem Streit mit Polledro den Ausweis ausklappt und feststellt, dass das (alte) Passfoto verändert wurde. Auf jeden Fall müsste man vor der Szene mit Polledro und der Überraschung mit dem Ausweis ein Foto von Amalia gesehen haben.

S. 32 Irgendwas stimmt in diesem wichtigen Satz immer noch nicht, aber ich weiß nicht, was. Vielleicht das »halb nackt«, das scheint mir redundant, vor allem wenn Tonfall und Miene der Schauspielerin sonst stimmen. Außerdem könnte Delia an dieser Stelle ein bisschen Dialekt reden, aber ruhig, ohne Übertreibung, so als hörte sie plötzlich die Stimmen von damals. So in der Art: »Hübsches Gesicht. Aber er wollte nicht, dass diese Zigeunerin zu Hunderten auf den Jahrmärkten in der Provinz landete …« Aber ich will nicht übertreiben: stecke ich meine Nase zu sehr in Ihre Arbeit?

S. 54 Sehr gut finde ich die Idee, die übermächtige Mutter in einer durch Anhauchen beschlagenen Scheibe verschwinden zu lassen; und noch besser gefällt mir, dass die Mutter und Caserta in fortgeschrittenem Alter wieder daraus auftauchen, wenn die Scheibe erneut klar wird, mitten in dem vollen Speisesaal, in dem sich Camorraanhänger während des Wahlkampfes zum Essen treffen.

S. 56 Das »Delia« von Polledro unten auf der Seite würde ich streichen. Er spricht sie einfach an: Er denkt an seine eigenen Probleme, hat überhaupt keine ernsthafte Absicht, mit dieser Person, die Delia heißt, in Kontakt zu treten; deshalb macht sie auch eine ironische Bemerkung.

S. 57 Polledros Bemerkung scheint mir unklar. Besser vielleicht: »Du bist doch zu mir ins Geschäft gekommen, nicht ich zu dir.«

S. 65 Wieso kann Delia Ende 1948 nicht selbst eine Telefonnummer wählen? Dieses Klingeln, abnehmen und auflegen scheint mir verwirrend.

S. 69 Den Vater hätte ich gern etwas nachgiebiger. Er könnte zum Beispiel sagen: »Ganz egal, ob sie mich nun geliebt hat oder nicht. Sie war eine Lügnerin.«

Für diese Figur möchte ich, unabhängig vom Buch und quasi als Gegengewicht zu der grauenhaften Szene davor einen »guten« Moment. Zum Beispiel am Schluss der 4 könnte die kleine Delia zu ihrem Vater laufen, der schon wieder an der Staffelei steht und eine »Zigeunerin« oder ein neues Auftragsporträt skizziert. Er könnte versuchen, sie auf den Schoß zu nehmen, sie sträubt sich und er fragt: »Was ist los? Wer hat dich zum Weinen gebracht?«. Sie macht sich widerwillig los und antwortet: »Niemand«, und er widmet sich wieder dem Malen. Aber ich weiß nicht, ob das geht, es gibt ja schon die sehr gute Szene mit den Helferinnen.

S. 71 Ist die zweite Bemerkung des Vaters (»Die hat doch mit Caserta rumgeknutscht«) nicht zu harmlos? Wäre ein »die hat es doch mit Caserta getrieben« nicht besser? Und auch Delias Antwort müsste härter klingen: »Ja, sie war eine Lügnerin, aber wieso hast du einem kleinen Kind geglaubt? Für dich war sie doch schon eine Hure, wenn sie einem anderen nur Guten Tag sagte! Du hast mir doch gerne geglaubt, nur zu gern! Du hast mir geglaubt, so wie ich dir geglaubt habe. Wenn ich sie weggehen sah, dachte ich: Ja geh nur, du bist wirklich eine Hure.« Oder so ähnlich. Jedenfalls könnte Delia hier gut wieder in den Dialekt verfallen.

S. 72 Bei der dritten Bemerkung des Vaters. Besser: »das habe ich gemacht, als ich fünfundzwanzig war ‌…« usw.

S. 75 Das »Sieh an« gefällt mir nicht. Durch das »Wo bist du?« ist schon klar, dass Delia sich beobachtet fühlt.

S. 76 In der dritten Bemerkung von Delia würde ich »ekelhaft« streichen. Das ist überflüssig, weil das, was man sieht, schon abstoßend genug ist. Ich würde hinzufügen: »Ich habe meinem Vater gesagt …« Oder (besser noch): Das »Komm her« käme von Casertas Vater, und die erwachsene Delia würde, nachdem sie es für sich wiederholt hat, endlich eingestehen: »Ich habe meinem Vater erzählt, Caserta habe das zu Amalia gesagt und mit ihr gemacht, was in Wahrheit jener Alte zu mir gesagt und mit mir gemacht hat.«

Das war's. Ich habe getan, worum Sie mich gebeten hatten. Wahrscheinlich bekommen Sie diese Anmerkungen erst, wenn die Dreharbeiten schon begonnen haben, und können sie gar nicht mehr verwenden. Kann man nichts machen. Auf jeden Fall habe ich mich gern mit Ihrem Text beschäftigt und mir gerne überlegt, was Ihnen nützen könnte: Mitunter kam es mir sogar so vor, als könnte ich noch einmal Hand an meinen eigenen Text anlegen. Bitte ignorieren Sie unkontrollierte Anfälle von Narzissmus, Arroganz, Anmaßung.

In Freundschaft und Dankbarkeit,

Elena Ferrante

Rom, 29. Januar 1995

Liebe Elena,

inzwischen ist der Film fertig. Es fehlen noch ein paar Arbeitsschritte (Ton und Mischung, Bildkorrektur), doch im Wesentlichen ist in der Arbeitskopie, die wir jetzt schon zeigen können, alles enthalten. Lästige Liebe kommt im April in die Kinos.

Zum letzten Mal schrieb ich Ihnen im August, das war ein Monat vor Drehbeginn. Die folgenden Monate waren so intensiv, dass es mir jetzt schwerfällt, all die Emotionen und Reflexionen dieser begeisternden und anstrengenden Zeit in einem Brief zusammenzufassen. Ich möchte Ihnen nur sagen, wie dankbar ich Ihnen dafür bin, dass ich diesen Film machen durfte, den ich, unabhängig von potenziellen Reaktionen, über alles liebe. Das war nur möglich, weil Sie mir vertraut haben, und ich hoffe, ich habe Sie nicht enttäuscht.

Ihr letzter Brief war für mich äußerst wertvoll. Während der Dreharbeiten trug ich ihn immer bei mir, er hat mir sehr dabei geholfen, letzte Unklarheiten auszuräumen und weiter am Drehbuch zu arbeiten, um es zu perfektionieren. Elena, wollen Sie nicht nach Rom kommen, um sich den Film anzusehen? Ich kenne Ihre Zurückhaltung, und ich respektiere Ihren Wunsch, nicht öffentlich aufzutreten. Sie können Ort und Zeit frei wählen, doch wenn Sie nicht wollen, sagen Sie es ruhig, ich verstehe Sie sehr gut. Aber Sie sollten wissen, dass wir alle, ich, Anna und die ganze Crew, Ihnen große Sympathie und großen Respekt entgegengebracht haben und immer dachten, wir machen den Film mit Ihnen zusammen.

In der Hoffnung auf eine baldige Antwort, grüße ich Sie sehr herzlich,

Mario

Lieber Mario,

Ihre Einladung hat mir das Leben ziemlich schwer gemacht. Ich brauche wohl nicht zu sagen, wie gerne ich das Ergebnis Ihrer Arbeit sehen würde, es liegt mir wirklich sehr am Herzen. Doch zurzeit ist jeder Tag für mich eine echte Herausforderung. Ich arbeite sehr viel an einem neuen Text – von einem Roman zu sprechen, fällt mir schwer, ich weiß noch nicht genau, was daraus wird – und mache mich jeden Morgen an die Arbeit, immer in der Angst, womöglich nicht weitermachen zu können. Ich weiß aus Erfahrung (eine schreckliche Erfahrung), dass der Impuls, schreiben zu müssen, mitunter durch irgendeinen Zufall schlagartig nachlassen kann; und wenn dieser Impuls nachlässt, ist die Arbeit von Monaten hinfällig, und mir bleibt nichts anderes übrig, als auf die nächste Gelegenheit zu warten.

Natürlich ist Ihr Film alles andere als irgendein Zufall. Obwohl ich in den vergangenen Monaten versucht habe, den Film als eine künstlerische Operation zu betrachten, die grundsätzlich unabhängig ist nicht so sehr von dem Buch, als vielmehr von den Gefühlen, die ich dazu hege, bezweifle ich doch stark, dass ich ihn mir einfach als unbeteiligte Zuschauerin ansehen könnte. Der Eindruck, den ich von Ihrer Person, von der Leidenschaft und Intelligenz, mit der Sie sich in diese Arbeit gestürzt haben, gewonnen habe, verbietet mir, mir selbst etwas vorzumachen. Ich kann sehr gut vorhersehen, welche Auswirkungen ein Werk auf mich haben wird, das, so glaube ich, mit einer noch wesentlich größeren Energie auf mich einstürzen wird als die, die ich selbst für das Buch aufgewendet habe. Deshalb weiß ich, dass Ihr Film mich tief bewegen und nötigen wird, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen, mit dem, was ich bisher gemacht habe, und mit dem, was ich zukünftig machen will. Deshalb habe ich mich nach langem Zögern dazu entschlossen, mich lieber auf die Arbeit an meinem neuen Buch zu konzentrieren, ohne Unterbrechungen zu riskieren, die möglicherweise endgültig sein könnten.

Die Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen. Denn das Bedürfnis, mich von Ihrem Film mitreißen zu lassen (dass der Film gut werden würde, daran hatte ich seit der Lektüre des Drehbuchs nie den geringsten Zweifel), ist genauso stark wie das Bedürfnis, mich davor zu schützen. Natürlich werde ich das nicht lange durchhalten und schließlich der Versuchung nachgeben. Doch bis dahin bin ich sicher, dass Sie meine Zurückhaltung (eigentlich bin ich überhaupt nicht zurückhaltend) und meine Ängste verstehen werden.

Herzlich,

Elena Ferrante

Der Briefwechsel Martone ‌– ‌Ferrante über das Drehbuch zu Lästige Liebe wurde in Linea d'ombra abgedruckt (Doppelheft 106, Juli/ August 1995).

6. Mediale Hierarchien

Lieber Erbani,

Ihr Brief hat mich durch seine nüchterne Offenheit verblüfft, so schreiben nur Menschen, die nichts zu verbergen haben. Wenn ich sicher wäre, auf Ihre Fragen ebenso transparent antworten zu können, würde ich sagen, in Ordnung, machen wir ein Interview. Aber auf der Suche nach Ideen laufe ich den Wörtern hinterher, ich brauche sehr viele Sätze – wahre, wirre, wortreiche –, um zu einer Antwort zu gelangen. Das bedeutet nicht, dass ich keine Lust hätte, mich mit Ihnen zu unterhalten. Gerade wegen Ihrer bestechenden Klarheit habe ich Lust bekommen, Ihnen meinerseits eine Frage zu stellen: Warum sind Sie, obwohl Sie das Buch doch schon vor einem Jahr gelesen und, wie Sie selbst sagen, es sehr geschätzt haben, erst jetzt, wo Sie erfahren haben, dass es verfilmt wird, auf die Idee gekommen, mich zu kontaktieren?

Würden wir tatsächlich nicht unbedingt ein Interview, aber vielleicht ein freundschaftliches Gespräch führen, würde ich mit Ihnen vor allem darüber diskutieren, warum Sie sich so lange Zeit gelassen haben. Sie schreiben, ein wenig weniger brutal, als ich es jetzt zusammenfasse: Ihr Buch sagt mir etwas, aber Ihr Name sagt mir nichts. Frage: Gesetzt den Fall, mein Buch hätte Ihnen nichts, mein Name aber viel gesagt, hätten Sie mich dann schneller um ein Interview gebeten?

Nehmen Sie das nicht als Zeichen von Verbitterung, das ist es nicht, ich nehme Ihre direkte Art nur zum Anlass, um selbst ganz direkt ein Thema anzuschneiden, das mir am Herzen liegt. Ich möchte Sie Folgendes fragen: Ist ein Buch für die Medien identisch mit dem Namen des Autors? Ist die Resonanz des Autors oder, besser gesagt, der Auftritt der Person in den Medien von grundlegender Bedeutung für ein Buch? Ist es für die Kulturredaktion der Zeitungen keine Nachricht wert, dass ein gutes Buch erschienen ist? Ist es nur eine Meldung wert, wenn irgendein bekannter Name, der den Redaktionen etwas sagt, irgendein beliebiges Buch veröffentlicht?

Ich glaube, die gute Nachricht ist immer: Es ist ein Buch erschienen, das sich zu lesen lohnt. Und ich glaube auch, dass den echten Leserinnen und Lesern herzlich gleichgültig ist, wer das Buch geschrieben hat. Sie sind nur daran interessiert, dass der Autor gewissenhaft weiterarbeitet und weitere gute Bücher veröffentlicht. Und ich glaube sogar, dass selbst die Werke großer Schriftsteller, verglichen mit dem überbordenden Leben, das uns beim Lesen aus ihren Seiten entgegenschlägt, nur eine Anhäufung toter Buchstaben sind. Das ist alles. Um es auf eine Formel zu bringen, selbst Tolstoi würde zum nichtssagenden Schatten, wenn er mit Anna Karenina spazieren ginge.

Nun werden Sie mir sagen: Was soll ich machen, es ist das ungeschriebene Gesetz der Presse, das ein solches Vorgehen verlangt; wenn einer keinen Namen hat, kann ich ihm auch keinen Platz in der Zeitung einräumen; wenn es selbst in Neapel keine Menschenseele gibt, die je den Namen der Autorin von Lästige Liebe gehört hat, warum soll ich dann in einer großen Zeitung ihr Buch rezensieren oder ein Interview mit ihr machen? Bloß weil sie ein annehmbares Buch geschrieben hat?

Sie haben recht, Sie haben sich so verhalten, wie sich Journalisten heute verhalten müssen. Sie haben auf ein Ereignis gewartet, das einen Artikel rechtfertigt, eine Schlagzeile über ein Buch, das Ihnen nicht missfallen hat. Und dieses Ereignis ist erst ein Jahr später eingetreten: Das Buch wird verfilmt, von einem bekannten Regisseur, deshalb kann man jetzt auch getrost ein Interview machen mit dieser Signora, auch wenn sie nicht einmal auf lokaler Ebene über die allerkleinste Berühmtheit verfügt. Im Grunde haben Sie mir höflich, vielleicht sogar mit leichtem Bedauern, klargemacht, dass mein Buch nur aufgrund des Filmereignisses ein Interview wert ist.

Gut, ich beschwere mich nicht. Ich bin froh, dass Lästige Liebe