Franz oder Warum Antilopen nebeneinander laufen - Christoph Simon - E-Book

Franz oder Warum Antilopen nebeneinander laufen E-Book

Christoph Simon

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Beschreibung

In der Hauptrolle: Franz, der ewig bekiffte Gymnasiast, der die Oberstufe lieber bis zum Umfallen wiederholt, als – Gott bewahre – erwachsen zu werden und sich der fürchterlich komplizierten Welt da draußen zu stellen. Mit im Gepäck sein Dachs MC, der ideale beste Freund. In den Nebenrollen: Franz' Kumpel Rambo Riedel, der unvergleichliche und dezent alkoholabhängige Hausmeister Eryilmaz, die Ex-DDR-Lehrerin Doro Apfel – ach, und dann ist da natürlich noch Venezuela, das Mädchen aus der Nachbarschaft, heißblütig, militant und andauerndes Thema aller Tag- und Nachtträume von Franz.

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Über dieses Buch

In den Hauptrollen: Franz, der ewig bekiffte Gymnasiast, und sein Dachs MC, der ideale beste Freund. In den Nebenrollen: Franz’ Kumpel Rambo Riedel, der dezent alkoholabhängige Hausmeister Eryilmaz, die Ex-DDR-Lehrerin Doro Apfel – ach, und natürlich noch Venezuela, heißblütig, militant und andauerndes Thema aller Tag- und Nachtträume von Franz.

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Christoph Simon (*1972) ist Schriftsteller, Kabarettist und Slam-Poet. Seine Werke wurden mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Literaturpreis des Kantons Bern. Er ist zweifacher Schweizermeister im Poetry-Slam und Preisträger des renommierten Salzburger Stiers 2018. Er lebt in Bern.

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Christoph Simon

Franz oder Warum Antilopen nebeneinander laufen

Roman

E-Book-Ausgabe

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Bilgerverlag @ Unionsverlag

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© by bilgerverlag, Zürich 2001/2016

© by Bilgerverlag, Zürich 2022

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Sawitree Pamee, 123rf (Junge); Shutterstock (Dachs)

Umschlaggestaltung: Sven Schrape

ISBN 978-3-293-31003-2

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Version vom 03.06.2022, 18:44h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

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Inhaltsverzeichnis

FRANZ ODER WARUM ANTILOPEN NEBENEINANDER LAUFEN

Am Anfang der AlpenKeine SchmerzenDer metallene KugelschreiberIm Erste-Hilfe-RaumJulian reiht die Panzer aufKindergartenkackeDreiundzwanzig FehlerEin Freund aus SaskatchewanDie Hand lebt wieder aufSchlafversagenVon Seesternen und SchraubenschlüsselnLiege leiseSüdenDie schwarzen PunkteEin Champion geht zu BodenBesuchszeitPeggy vom WettbüroBeim SultanEine Zeit, überfrachtet mit wunderbaren DingenAm Rand des UniversumsDer Korbflecht-WettbewerbJohann steigt ausTask ForceWullschleger hält eine RedeDie wichtigste Mahlzeit des TagesBiremoschtSchiffbruchDas LehrabschlussgeschenkKompostDas RekursbegehrenFolterkammerDas Loch der GesellschaftMaulwurfIm Erste-Hilfe-Raum IIDie nächsten Monate …DemoDer violette TunnelFeierabendWildbahn

Mehr über dieses Buch

Christoph Simon: »Mein kriminelles Potenzial ist ziemlich hoch.«

Über Christoph Simon

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Am Anfang der Alpen

Ich war Gymnasiast und kiffte. Ich kam aus dem Kiffen gar nicht mehr heraus, und wenn ich nicht gerade eine Socke missbrauchte, die Klasse wiederholte oder bei den Eltern im Lerchenfeld das Bewusstsein verlor, dann kiffte ich: auf dem Radweg zum Gymnasium, in den dunklen Ecken der Fahrradeinstellhalle, im Holunderbusch, die ganzen sechs Jahre lang – Anschlussklasse, Terzia, Terzia zum Zweiten, Sekunda, Prima, Prima zum Zweiten –, und ich war so bekifft wie ein Maulwurf auf dem Hochseil.

Mein Dunstkreis war Thun, eine kleine Stadt am Anfang der Alpen. Bis zu meinem zehnten Lebensjahr war Thun einfach der Ort, wo ich meinem Bruder hinterherlief, zwischen zehn und zwanzig der Ort, wo ich mich vor Mädchen versteckte. Dabei hatte Thun einiges zu bieten: einen beglückenden Fluss – die Aare –, einen See mit gründelnden Schwänen drauf, die Aussicht auf ein paar stocksteife Berge, ein Regionalspital, einen Waffenplatz und ein ganz beträchtliches Schloss. Touristen waren ganz wild auf dieses Schloss. Wenn man Versicherungsstatistiker aus Tel Aviv und niederländische Geigenlehrerinnen nach ihren helvetischen Lieblingsplätzchen fragte, dann nannten sie das Zähringer-Schloss mit den vier Ecktürmen gleich nach dem grauenvollen Matterhorn, der Kapellbrücke in Luzern und den degenerierten Bären im Bärengraben. (Wenn ich über Touristinnen und Touristen nachdenke, bleibt mir regelmäßig die Luft weg.) Aber hauptsächlich war Thun eine bescheuerte Garnisonsstadt. Wenn ich auf meinem Rad die Allmend entlang Richtung Würfel fuhr, konnte ich meine Zähne drauf verwetten, dass mich gleich ein Panzer oder ein 10-DM oder ein Major im weißen Opel niedermähte. Ich nenne das Gebäude des Thuner Gymnasiums Würfel. Alle nennen es so, weil es wie ein Würfel gebaut ist: rechtwinklig zueinanderstehende, quadratische Flächen … Es ist kein besonders scharfsinniges Bild für ein Gebäude, dessen Flachdach mit Stacheldraht gegen Tauben ausgelegt ist und hinter dessen atombombensicheren Mauern man sich verbarrikadieren und mitverfolgen kann, wie die Welt hochgeht. Festung wäre eine genauere Bezeichnung. Aber niemand spricht von Festung, weil man davon die Gänsehaut bekommt. Das Ding heißt Würfel, und das ists.

Prima (Wiederholung), Ende Mai 1995. Es ging um nichts, um irgendeine einfallslose Familienangelegenheit, und dann begannen wir zu streiten und ich machte mich weg. Mutter lief kreischend hinter mir her, aber ich hängte sie auf der Lerchenfeldstraße ab. Es war Samstagnacht. Ich radelte Richtung Innenstadt, steuerte an der Kaserne vorbei, bog in die Militärstraße, um den geleasten Alfa Romeos und tiefergelegten Nissans zu entgehen, die mit dröhnenden Pioneer-Boxen durch die Gegend bretterten und nach Freiwilligen zum Totmachen Ausschau hielten. Ich fuhr durch die baumgesäumten Schönau- und Hohmad-Quartierstraßen und gelangte über die Frutigenstraße zum Würfel; ich kettete das Rad an die unregelmäßig flackernde Laterne beim Haupteingang, umschritt das verriegelte Gebäude (Ost-, Nord-, Westeingang), kletterte die Verschalung aus Stahlblech hoch und fand ein Fenster zum Durchschlüpfen – ein offenes Fenster findet sich in jeder Wand – und dann war ich drin, im Würfel, wo immer Platz für mich war.

Die Mäuse in der Einstellhalle und ich waren das einzige Lebendige da drin, ich spukte durch die Klassenzimmer und die breiten Flure, stieg über die Senktür aufs flache, mit Kies bedeckte Dach. Ich spähte über die nächtliche Stadt, eine kühle Brise wehte vom See herüber, ich guckte die Sterne an, die am Himmel lagen wie verschüttetes Salz, drehte einen Joint, ging zähneklappernd auf dem knirschenden Dach umher, schlüpfte zurück ins Gebäude, wos wärmer war, ging die Steintreppe hinab in die Einstellhalle, trank im Heizungskeller einen Schluck Kartoffelschnaps, den der einsame Hauswart in einer Mineralwasserflasche hinter dem Ölheizungskessel versteckt hielt, und schlief, an den lauen Warmwasserboiler gelehnt, bis Sonntagmittag durch. Ich wachte auf mit steifem Hals und schmerzenden Gliedern, machte Liegestütze (vier), Rumpfbeugen (sechs) und Klimmzüge am Rauchabzug (zweieinhalb). Ich wischte in der Einstellhalle das Mäusegift aus den Ecken, blaugrüne lebensverachtende Körner, die ich in den Schirmständer am Westeingang warf. Ich wäre gern zurückgegangen, um die Mäuse abzufüttern, hatte aber nichts Essbares dabei. Der Gedanke machte mich hungrig, ich stieg in den ersten Stock, entwendete aus dem unverschlossenen Büro der Prorektorin ein paar getrocknete Feigen (sie litt unter chronischer Verstopfung) und entschädigte sie mit einem sorgfältig gefertigten Papierschiffchen, das ich auf ihrem Schreibtisch deponierte und über dessen Herkunft sie sich den Rest ihres Lebens den Kopf zerbrechen mochte. Ich überlegte, wen ich von ihrem Telefon aus anrufen könne, aber abgesehen von meinem Bruder (der nicht gern telefonierte) und Venezuela Lüthi (die bestimmt gerade für eine fröhliche Zukunft an Grenzübergängen in Basel oder Chiasso Zollschranken mit Benzin übergoss und anzündete) fiel mir niemand ein, mit dem ich ein paar Worte hätte wechseln wollen. Ich war allein auf der Welt (genau wie jeder andere). Schließlich drückte ich aufs Geratewohl irgendwelche Tasten und plauderte eine halbe Stunde lang mit einem glücklich verheirateten Zahnarzt in Nairobi.

Den ganzen Sonntag stromerte ich gutgelaunt durch den Würfel, der Montag lag siebzehn, fünfzehn, vierzehn Stunden entfernt. Ich schaute beim Kopierapparat für Lehrer nach, ob Englisch- und Klassenlehrer Wullschleger eine Kostbarkeit hatte liegenlassen, wie letzten November, als Riedel das Original-Testblatt unter der Abdeckung entdeckt und es für einen Moment so ausgesehen hatte, als überstünde ich das Wintersemester ohne Ermahnung. Die ganzen englischen Sätze hatten auf dem Blatt gestanden. Riedel zerrte mich aus dem Computerkurs, und dann hockten wir in der Bibliothek, übersetzten und lernten auswendig. Wir einigten uns, ein paar Fehler einzubauen, damit Wullschleger später nichts auffallen würde. Es war großartig. Wir waren am Boden zerstört, als wir hörten, dass in Wullschlegers Dachwohnung in der Gerberngasse während eines der großen Sommergewitter der Blitz eingeschlagen hatte, und dass der Test ausfallen musste.

Ich nahm die Finger vom Kopierapparat, schlurfte in mein Klassenzimmer (Prima C, Tischaufstellung in Hufeisenform) und riss die Fenster auf, um frische Luft und helle, nette Sonntagsgeräusche hereinzubekommen. Ich vertauschte meinen Stuhl mit einem, der sich besser anfühlte, schob mein Schreibpult eine Hüftbreit zum Fenster hin, um in einen toten Winkel zu geraten, wenn Gonçalves am Projektor kurbelte, rieb die staubigen Blätter der Yuccapalme auf dem Fensterbrett ab, befestigte an der Seitenwand das Poster der Schweizer Fußballnationalmannschaft (WM USA 94), das ein Witzbold zusammen mit dem Klassenbuch in die Bananenschachtel fürs Altpapier geschmissen hatte, und dann bummelte ich zwischen Klassenzimmer, Flachdach, Toilette, Einstellhalle, Heizungskeller, Dämmerung, Nacht, Schlaf, Traum und Kiff hin und her. Man braucht nicht viel zum Glücklichsein: ein Versteck, gutes Gras, ein Selbstgespräch und das Versprechen, dass alles bleibt, wie es ist.

Keine Schmerzen

Ein Schalter wurde geknipst und Neonröhren sirrten. Ich erwachte in der Einstellhalle, eingebettet zwischen Fahrrädern und Mopeds (die wahrscheinlich irgendwelchen Sekundanerinnen gehörten, die nach Wochenschluss von treulosen Jungs vom Segelclub abgeholt und auf einer Thunerseejacht abgefüllt worden waren). Es war Montag, nun ging der Reigen wieder los.

Ich sah den Hauswart das Tor zur Einfahrt der Einstellhalle aufschließen. Er trug knittrige, orangefarbene Überhosen, ein weißes Unterhemd und schleifte einen Besen hinter sich her. Mit einem grimmigen Sieben-Uhr-Gesicht begann er, Mäusegift in die Ecken zu streuen.

Ich freute mich, den Hauswart zu sehen. Wir hegten füreinander eine Art kameradschaftlichen Respekt, obwohl wir uns als Menschen nicht weniger hätten ähneln können: Er war breitnackig und tätowiert, ich lang und schmal, er soff, ich kiffte, er hatte eine Berufsehre, die weit über die Bekriegung von Staub und verstopften Abflüssen hinausging, ich war geschult darin, jeglicher Art von Verantwortung aus dem Weg zu gehen. Unsere Gemeinsamkeiten waren eine gelegentliche Partie Backgammon in seiner Wohnung am Obermattweg in Gwatt und die Tatsache, dass wir beide zum Würfel gehörten wie das Zähringer-Schloss zu Thun.

Der Boden war übersät mit den Überresten meiner Tüten. Ich hatte in den vergangenen dreißig Stunden zwei oder drei Dutzend Tüten verbrannt, genug, um eine Herde Elefanten kirre zu machen. Ich hob die Stummel auf und zerblies die Asche. Dann nahm ich lautlos ein Fahrrad aus dem Ständer.

»Aha, der Gymnasiastenschreck!«, rief ich durch die Einstellhalle und schob das Rad lärmend zurück, um dem Hauswart den unmissverständlichen Eindruck eines soeben eingetrudelten, unbescholtenen Gymnasiasten zu vermitteln. »Auf wen haben wirs denn heute abgesehen?«

Der Hauswart wandte sich überrascht um. Sein Gesicht hellte sich auf. »Willst du wissen, was ich von Mäusen halte?« Er trottete auf mich zu.

Gleich würden wir ein geselliges Gespräch anfangen, der Hauswart würde sich über schmarotzende Kleinsäuger und klebrige Ölflecken auslassen, ich würde ein Wort des Einverständnisses beisteuern, dann würde er mir einen unzimperlichen Klaps auf den Hinterkopf verpassen, und jeder würde sich wieder um seine eigenen Angelegenheiten kümmern.

»Ich streue Gift, und sie fressens ratzeputz auf. Am Morgen ist alles weg, aber kein abgemurkstes Mäuschen irgendwo. Eine verdammt immune Bande.«

Ich hatte die Hände voller Tütenstummel, und als ich dem starken Mann einen Ach-erzählen-Sie-mir-nichts-von-Mäusen-Wink hinübersenden wollte, fielen die Stummel herunter wie Papierschnitzel.

»Ich werde Fallen aufstellen müssen.« Der Hauswart blieb vor mir stehen und verschraubte die Dose Mäusetod. »Ich werde in einem Winkel lauern. Wenn ich eine Falle zuschnappen höre, stelle ich gleich eine neue hin. Ich bring die Mäuse alle um, alle, die da sind.«

»Lassen Sie sich nicht aufhalten. Tun Sies jetzt.« Ich versuchte, auf möglichst viele Stummel gleichzeitig zu treten.

Er verstaute das Gift in seiner Überhose. Dann sah er mich an und fragte, als hätte er mich erst jetzt bemerkt: »Franz, was zum Teufel tust du so früh im Würfel?«

Ich zögerte. »Muss noch lernen.« Dann vage: »Ein Test.«

Seine Stirn runzelte sich. Sein Blick wanderte an mir herunter und verharrte bei meinen Schuhsohlen und den Stummeln, die darunter hervorquollen.

Ich versuchte es mit einem Trick und schüttelte den Kopf. »Ist das zu glauben? Da raucht einer tatsächlich Gras.« Ich hob einen Stummel auf, zog ihn an der Nase vorbei und kratzte mich an verschiedenen Haaransätzen, als würde ich darüber nachgrübeln, wer sich in dieser schamlosen Art über die Hausordnung hinwegzusetzen wagte. »Kein Wunder, legen Sie sich auf die Lauer. Mäuse, Schmieröl, Erkältungen, Haschisch. Manche schleppen alles rein.«

Es funktionierte nicht.

Der Hauswart sah mir schwer in die Augen. »Sag mal, Franz, immer wenn ich dich sehe …«

Dann wolle ich mal los, sagte ich schnell und machte einen Schritt Richtung Treppe, aber er legte seine kräftige Pranke auf meine Schulter und drehte mich um. »Immer wenn ich dich sehe, hast du einen Joint in den Fingern.«

Ich überlegte nicht lange. »Regen Sie sich ab. Immer wenn ich Sie sehe, rieche ich Schnaps.«

Er hörte das nicht gern. An einem anderen Tag wäre er rot angelaufen und hätte mich gewarnt, ich solle nicht so leichtfertig meine Bildung mit Rauch riskieren. Oder er hätte mir den Besen über den Hintern gezogen, Kameradschaft hin oder her. An diesem Morgen tat er nichts dergleichen, und das war einen Moment lang eine ganz nette Abwechslung.

»Bei mir gehört das zum Job«, sagte er schlau. »Meinen Körper rein halten von Bakterien und Staub. Ich nenne es Desinfektion.« Sein Griff festigte sich. »Franz, was ist für dich die Höhe menschlichen Glücks? In einem verdammten Keller sitzen und dich vergiften?«

»Ich mach das ganz gern.«

»Es gefällt mir nicht.«

»Ich räums weg.«

»Ich meine nicht die Schweinerei am Boden.« Seine Stimme klang gereizt, wie immer, wenn er noch wenig getrunken hatte. »Dieser Dreck, den du in dich reinpumpst, was glaubst du, richtet der in dir an?«

»Nichts.« Wenn Haschisch tatsächlich so schädlich war, wie der Hauswart zu wissen meinte, hätte ich längst als Häufchen Asche in eine Urne gepackt auf dem Wohnzimmerschrank meiner Eltern stehen müssen.

»Nichts?«

»Ein behagliches Bad in Geräuschen und Gewürzen und in zwei riesigen Sträußen Sonnenblumen, vielleicht.«

»Flachskopf. Es verdirbt mir die Laune, Backgammon gegen einen Flachskopf zu spielen.«

»Jetzt hören Sie mir mal gut zu, ich vergesse immer, wie Sie heißen …«

Natürlich kannte ich seinen Namen: Eryilmaz. Hüseyin Eryilmaz.

Ich blinzelte ihm in die rotgeäderten Augen. »Warum haben Sie keinen Namen, den man sich merken kann?«

Eryilmaz verzog keine Miene. Er war ein Dickschädel, ohne einen Funken Humor. Ich steckte ausweglos fest, tat instinktiv das Falsche und zündete den Stummel an, den ich aufgehoben und in meiner Hand gewiegt hatte. Ich war nie durch sonderlich kluge Entscheidungen aufgefallen, und diese war eine davon.

»Dein Hirn ist nicht das, was es sein sollte, Franz.« Eryilmaz packte mich am Handgelenk. »So wies aussieht, spielt dein Hirn ein Doppel mit deinem Darm. Es produziert nur Scheiße.«

Ich versuchte mich zu befreien, aber es gelang mir nicht.

Es wäre der richtige Moment gewesen, um zu sagen: »In Ordnung, Eryilmaz, Sie haben gewonnen. Ich gebe das Kiffen auf. Keine Schmerzen.«

Aber ich knurrte: »Etwas zu vereinfachen ist leicht, Besenmann. Man schneidet rechts und links großzügig weg und übermalt den Rest mit Leuchtfarbe. Himmel Arsch, meinen Sie, sich im Heizungskeller mit Schnaps zu betrinken sei nobler?«

Seine Augen schlossen sich bis auf einen Spalt. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren legte er die Hand, die den glühenden Stummel hielt, auf den Sattel eines Fahrrads, und begann, mit dem Besenstiel auf sie einzuhämmern. Mit dem Besenstiel. Er drosch, bis ich den Stummel fallen ließ, dann ließ er los und zertrat die Glut am Boden. Ich hatte das Gefühl, eine ganze Menge Dinge falsch gemacht zu haben und vermied es, Eryilmaz anzusehen. Einen Augenblick später begann sich die Einstellhalle mit Terzianerinnen und Terzianern, Rädern und Geplapper zu füllen. Die Terzis kamen immer als erste, und immer in Dreier- oder Vierergruppen, weil sie einander noch vor der Geografiestunde erzählt haben mussten, was sie alles am Wochenende zum ersten Mal gemacht hatten. (Zum ersten Mal einem Drehorgelspieler am Bahnhof mit Kleingeld ausgeholfen, zum ersten Mal bis ein Uhr morgens im Ausgang gewesen, zum ersten Mal den Wirtschaftsteil der Sonntagszeitung von Anfang bis Ende durchgelesen usw.)

Eryilmaz machte sich mit peinlicher Sorgfalt daran, meine Produktion an Stummeln aufzukehren, bevor irgendein Schlaukopf mit gefährdeter Promotion auf die Idee kommen konnte, mich beim Rektor zu verpfeifen. Er hatte einen verfluchten Kern aus Gold.

»Sie sind ein verrückter Stahlbolzen, Eryilmaz. Hat Ihnen das schon jemand gesagt?«

»Verdammt, Franz, du hast dich nicht im Griff, du …«

»Was machen Sie im Würfel den ganzen Tag? Ich frage mich das seit Jahren.«

»Ich reiße Mäusen den Kopf ab.«

»Bei der nächsten Partie Backgammon mach ich Sie fertig, Besenmann. Verlassen Sie sich drauf.«

»Scher dich zum Teufel, Franz!«

Stück um Stück, wie Kühe in einen Stall, kamen Gymnasiastinnen und Gymnasiasten durch das Tor der Einfahrt und drängten sich in der Einstellhalle.

Ich blieb ein bisschen stehen – dann spürte ich den Schmerz.

Ich schubste mich durch, stürzte die Treppe hoch, wirbelte auf die Toilette und hielt die brennende Hand unters kalte Wasser. Es war die linke – ich bin Linkshänder. Ich fühlte den Herzschlag an den unsinnigsten Stellen. Mir schwindelte. Ich betrachtete mein Gesicht im Spiegel, sah kleinkindlichen Flaum am zwanzigjährigen Kinn, und mir schwindelte noch mehr. Ich schloss die Augen und zählte bis zwanzig. Dann strauchelte ich zu den Kabinen, um die schadhaften Finger mit Klopapier zu polstern, hörte die Glocke schellen, trat mir auf den Schnürsenkel (was sonst), versuchte das Gleichgewicht zu halten, verknackste mir stattdessen den Fuß und stürzte Nase voran in die Klotür. (Ich wusste nicht, was gut für mich war.)

Ich rappelte mich hoch, massierte mir vorsichtig die Nasenwurzel und überlegte mir unwillkürlich, was passieren würde, wenn mich die NASA in eine Mondrakete stecken würde, um Gesteinsproben aus einem Meteoritenkrater zu schaufeln. Wahrscheinlich würde ich einfach geradeaus düsen, ein paar verträumte Meldungen nach Houston morsen, wies mit dem Sonnenwind stehe da draußen, was sich vor der Windschutzscheibe herumtreibe … Weit ins All hinaus, geradeaus in einer direkten Linie von der Erde in ein schwarzes Loch. Keine Vorstellung, die mich freudig erregte.

Ich atmete tief durch, klopfte die Asche aus den Kleidern und humpelte ins Klassenzimmer.

Ich war verspätet. Alle neunzehn oder zwanzig Kameraden hockten bereits an den Pulten. Ich kannte ihre Namen nicht. Ich wechselte so oft die Klasse, dass ich es aufgegeben hatte, sie auseinanderzuhalten. Es waren einfach Kameraden, Mädels. Kumpel A, Kumpel B, Mädchen A, Mädchen B … An der Tafel stand der vorzeitig ergraute Volkswirtschaftslehrer Gonçalves. Er schaute mit traurigen Augen herüber, betrachtete meinen fußlahmen Gang und lächelte mit sanfter Anteilnahme. »Franz, Sie sollten sich am Wochenende weniger rumprügeln, dann würden Sie auch pünktlich zum Unterricht erscheinen.« Gonçalves hatte seine eigene kleine Logik der Dinge.

»Alles klar, Meister«, erwiderte ich.

Er strahlte mich an. »Lesen Sie Epiktet.«

Ich hätte Epiktet gelesen, sagte ich, ich wolle ihn nicht lesen.

»Seine hübschen Anmerkungen zum wahren Fortschritt, der durch Mühe und Disziplin zustande kommt?«

»Genau deswegen will ich ihn nicht lesen.«

Ich wollte mich setzen.

»Einen Moment noch, Franz!«

Gonçalves griff in seine Aktenmappe und überreichte mir eine Notiz mit meinem Namen und Wullschlegers Kürzel drauf: die schriftliche Aufforderung zu einem »klärenden Gespräch« unter vier Augen. Morgen hatte ich mich bei ihm, dem Klassenlehrer, im Lehrerzimmer zu melden. Ich ging an meinen Platz.

Gonçalves begann seiner Lehrtätigkeit nachzugehen. Ich leihte ihm Gehör, schrieb in rechtshändiger Anfängerschrift mit, bis mir die Tinte ausging, dann kratzte ich den Vorrat an spanischem Gras hervor, den ich mit Klebestreifen unter dem Pult festgemacht hatte, und begann auf meinem Schoß zu rüsten.

Ich verlebte einen unproduktiven, anregenden Montagmorgen, träumte mal diesem Einfall nach, mal jenem, ich machte ausgiebig Pause im Holunderbusch beim Froschteich, betrachtete Libellen, Wasserläufer und Ameisen, deren Geschäftigkeit mich ermunterte, in der Bibliothek vorbeizuschauen und ein paar Bücher in den Regalen zu vertauschen. Dann stand ich am Kaffeeautomaten fürs Mittagessen an, und um zwei Uhr nachmittags betrat ich hinter einer Frau irgendwo zwischen zwanzig und fünfzig das Klassenzimmer.

Der metallene Kugelschreiber

Ich schob mir den Stuhl unter, während die Frau ihre Aktenmappe im rechten Winkel aufs Lehrerpult legte, so wie Lehrkräfte das machen.

»Wer ist denn die?« flüsterte irgendwer.

Nur eine Frau, die ich nicht kenne, dachte ich. Die Frau war klein und schwerhüftig, hatte tabakbraunes Haar und eine blasse Haut. Sie trug einen pastellfarbenen Anzug und eine Krawatte, die einen regelrechten Botanischen Garten darstellte. Ich taxierte das Gedeihen und Blühen auf der Krawatte und kam zum Schluss, einem unberechenbaren Menschen gegenüberzusitzen.

»Heiliger Strohsack! Was für ein Aufzug!« flüsterte jemand. »Von so was kann man ja erblinden!«

»Macht sie uns Angst, Anton?« kicherte jemand anderes.

»Wer macht uns Angst? Keiner macht uns Angst.«

»Wenn ich wüsste, worüber Sie sich unterhalten, könnte ich Ihnen vielleicht dienlich sein«, sagte die Frau am Lehrerpult mit einem eisigen Lächeln. Die Menge verstummte, ohne erst lange zu trödeln.

Sie stellte sich vor: »Mein Name ist Brunisholz. Ich bin Ihre neue Betriebswirtschaftslehrerin.« Sie habe vor noch nicht langer Zeit an ebendiesem Gymnasium die Matura gemacht, fuhr sie spröde fort. Sie freue sich, die Klasse unterrichten zu dürfen, trotz der traurigen Umstände. »Ich ersetze Herrn Deiss, der vorige Woche beim Einschrauben einer Sicherung – wie Sie bereits erfahren haben dürften – unglücklich verstorben …«

Lehrkräfte wie Kameraden: ein beständiges Kommen und Gehen.

Die neue Betriebswirtschaftslehrerin ließ Testblätter durch die Klasse laufen und blickte über die Köpfe hinweg, als wolle sie die Welt, zumindest einen anständigen Teil davon, regieren. Dann fiel ihr Blick plötzlich auf mich, erst überrascht, dann scharf, dann noch schärfer. Sie konnte nicht wegsehen. Etwas in diesem Blick verriet mir, dass es im Würfel bald keinen Frieden mehr für mich geben würde. Ein mutiger Mensch hätte vielleicht gesagt: »In Ordnung, Frau Brunisholz, das interessiert mich. Habe ich Eiterbeulen im Gesicht?«

Ich bückte mich nur übers Blatt.

Nach der Lektion wies die Lehrerin mich an, ihr zu folgen. Ich fragte nicht, worum es sich handelte, sondern steckte mir die erstbeste Waffe in die Gesässtasche, die ich auf meinem Pult auftreiben konnte. Es war ein metallener Kugelschreiber.

Wir gingen zum dauerdefekten Schüler-Kopierapparat und waren allein. Mit dem alten Betriebswirtschaftslehrer pflegten sich solche Zusammenkünfte um bittere Testresultate zu drehen, doch Frau Brunisholz war neu an der Schule, und ich hatte keine Ahnung, was sie von mir wollte. Ich wartete geduldig, bis sie die Nase genug gekraust hatte, um loslegen zu können.

»Ich hatte immer den Wunsch, Sie wiederzusehen, Franz. Das war eine – unvergessliche Begegnung für mich. Ich hoffe, das wissen Sie.«

Ich ließ mir meine Überraschung nicht anmerken. »Mir hats auch Spaß gemacht, Frau Brunisholz.«

Dabei konnte ich mich nicht entsinnen, ihr jemals begegnet zu sein. Das Gedächtnis eines Kiffers: Lücken, Nebel, Elendsviertel. Frau Brunisholz war mir unbekannt. (Ich trage das mit Fassung. Es macht mir nicht viel aus, wenn mir ein Gesicht entfällt. Wenn man sich jedes merken müsste, dem man begegnete, hätte man am Ende eine ziemliche Galerie beisammen und käme nicht vom Fleck.) Aber ich freute mich natürlich, in Betriebswirtschaft eine Verbündete gefunden zu haben. Gemeinsame Erlebnisse verbinden. 

Frau Brunisholz fragte mit gepresster Stimme, ob ich etwa noch stolz darauf sei, was ich angerichtet hätte, und bedachte mich mit einem harten missfälligen Blick.

Mir wurde ganz schlecht von ihren Blicken. »Sagen Sie, Frau Brunisholz«, hörte ich mich plötzlich fragen, »was ist denn damals ganz genau geschehen?«

Sie explodierte. »Sie haben vor fünf Jahren auf dem Pausenhof – Sie waren in der Anschlussklasse und ich in der Oberprima –, Sie haben mich damals am Ohr gepackt und hineingeschrien, so Frauen wie mich würden Sie am liebsten so lange anfurzen, bis sie erstickten!«

»Was?« Es verschlug mir den Atem.

»Ich habe ein Pfeifen in meinem Ohr, verstehen Sie?« Sie kreischte jetzt. »Es pfeift die ganze Zeit, weil Sie mir ein Loch ins Trommelfell geschrien haben. Sie erinnern sich doch?!«

Ich verneinte, heiser vor Schreck, zermarterte mir das Gehirn, verneinte abermals.

Sie schrie, ob ich die Sache etwa abstreiten wolle.

»Selbstverständlich nicht!«, beteuerte ich schnell. »Auf keinen Fall!«

Ich glaubte ihr aufs Wort. Ich baute immer solchen Mist – ich war ein tatkräftiges Mitglied des Vereins der vereinigten Mistbäuerinnen und Mistbauern. Es war furchtbar. Ich hatte die Schildkröte meines Bruders aus dem Käfig gescheucht. Ich hatte im Familien-Behinderten-Camp mit einer ungehörigen Einlage die Theateraufführung ruiniert. Lauter schlimme Sachen. Warum sollte ich der armen Frau Brunisholz nicht das Trommelfell ruiniert haben? Es bringt kein Glück, mir zu begegnen.

Frau Brunisholz fuhr sich mit dem Ärmel ihres Anzugs über die schweißnasse Stirn und lockerte ihren Krawattenknopf. Ich langte nach dem Kugelschreiber in der Tasche, denn einen Augenblick lang befürchtete ich, sie werde mir das furchtbare Ding um den Hals legen, mir die Luft abstellen und meinen Leichnam zur Warnung für andere Übeltäter an die Laterne beim Haupteingang knüpfen.

»Sollten Sie jemals wieder ausfallend gegen mich werden, sorge ich persönlich dafür, dass man Sie in eine Besserungsanstalt einweist!«

Ich nickte zustimmend, bis mir der Kopf abfiel vor Zustimmung.

Die Krawatte blieb, wo sie hingehörte. Vielleicht hatte Frau Brunisholz sich gesagt, sie wolle mit der Krawatte lieber keinen Unsinn treiben, wo ich mit einem spitzen Kugelschreiber vor ihr rumfuchtelte.

»Respekt, Franz, Respekt. Mehr verlange ich nicht.« Sie machte kehrt und ließ mich am einsamen Kopierapparat zurück.

Ich blickte zu Boden und begann ohne viel Hoffnung darüber nachzudenken, ob jemand noch etwas Erheiterndes von mir erwartete.

Im Erste-Hilfe-Raum

Es war vier Uhr, der Würfel leerte sich, aber ich wollte nirgendwo anders hin, schon gar nicht nach Hause (das kein wirkliches Zuhause ist – nur ein Esstisch mit einem Haufen Fremden drum herum, die darauf warten, sich in die Wolle zu kriegen), und da kamen mir meine beschädigten Gliedmaßen gerade recht. Ich platzte ins Büro der Prorektorin und bat sie um den Schlüssel zum Erste-Hilfe-Raum.

»Wo brennts denn, Franz?« Sie saß in ihrem Sessel aus Leder und sah beunruhigt von der Computertastatur auf. Ein Haufen Akten und Unterlagen versperrte mir die Sicht auf die Stelle, wo ich gestern das Papierschiffchen für sie hinterlegt hatte.

»Ich habe mir die Hand vermurkst.« Den verdrehten Fuß ließ ich weg. (Ich ziehe mir nicht gern vor Leuten die Schuhe aus. Das ist ein Komplex.)

Nachdem sie Dokumente geschlossen und Papiere in Ablagefächer gesteckt hatte, begleitete mich die Prorektorin durch die Verbindungstür von ihrem Büro in den Erste-Hilfe-Raum. Ich sackte aufs Krankenlager.

»Wie haben Sie das gemacht?«, fragte sie und schmierte ein grünliches kühlendes Gel auf meine Hand.

Ich sagte, ich hätte mir die Hand vormittags in der Tür eingeklemmt.

»Sie müssen eine merkwürdige Technik haben, eine Tür zu schließen«, meinte sie. »Warum zeigen Sie mir das erst jetzt, Franz?«

»Na ja … Sie wissen ja, wie es ist, Doro.«

»Für Sie immer noch Frau Apfel.«