Freiraum finden bei Stress und Belastung - Susanne Kersig - E-Book

Freiraum finden bei Stress und Belastung E-Book

Susanne Kersig

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  • Herausgeber: Arbor
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Susanne Kersigs Botschaft ist so einfach wie hoffnungsvoll: Wenn wir lernen, konsequent einen Ort der Ruhe in uns zu finden, können Stress und Hektik uns nicht mehr so viel anhaben. Wir haben es selbst in der Hand, auch in anstrengenden Zeiten Abstand zu gewinnen und uns aus dem Gefühls- und Gedankenkarussell zu befreien. Dazu bietet sie hilfreiche und bewährte Techniken aus dem "Focusing" an: Einen "Guten Ort" im Körper finden Probleme als "Päckchen verpacken" und zur Seite stellen Das eigene Erleben zu einem "etwas in mir" oder "Teil von mir" zu erklären Den "freien Raum" des Gewahrseins erfahren Durch diese Übungen und durch das Verständnis des Prinzips Freiraum – bei dem wir auf einen heilsamen Abstand zwischen uns und unserem Erleben achten – wird es uns möglich, uns zu entspannen und leicht zu fühlen, selbst wenn die Welt um uns herum zusammenzubrechen scheint. Wir finden Klarheit und können die eigenen Handlungsmöglichkeiten wieder wahrnehmen. Geführte Übungen als MP3-Download im Arbor Online-Center Vier geführte Audio-Übungen zum selbstständigen Üben sind über einen Link im Buch zum Download erhältlich.

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Seitenzahl: 152

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Susanne Kersig

Freiraum finden bei Stress und Belastung

Das praktische Übungsbuch auf Basis von Focusing und Achtsamkeit

Arbor Verlag

Freiburg im Breisgau

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

1 Einleitung

Stress: Die Volksseuche des 21. Jahrhunderts

Freiraum: Ein Weg aus der Stressfalle

2 Was ist Freiraum?

Focusing

Der stimmige Abstand zum Erleben

Der neutrale Beobachter

Bewusstsein für Freiraum entwickeln

Die Grundhaltung der inneren Achtsamkeit

3 Bewährte Freiraum-Techniken

Übung a: Einen Guten Ort im Körper finden

Übung b: Päckchen packen – Probleme sortieren und herausstellen

Übung c: Partialisieren – das Erleben zu einem „Etwas“ machen

Übung d: Die Erfahrung des freien Raumes

4 Freiraum im Alltag

Bewusstsein entwickeln

Äußerer und innerer Freiraum

Freiraum in akuten Stress-Situationen

Der Innere Kritiker

Wenn die Gedanken eng werden

Freiraum und Kreativität

Freiraum und Beziehung

Freiraum bei akuten und chronischen Erkrankungen

5 Den eigenen Weg in den Freiraum finden

Sport und Bewegung

Bewusste Ablenkung: Schöne Dinge tun

Humor ist, wenn man trotzdem lacht

Gedanklich Abstand schaffen und sich der Vergänglichkeit erinnern

Das Gepäck ablegen

Tägliche Meditationspraxis

6 Tipps und Erfahrungen

Übersicht: So schaffen Sie Freiraum im Alltag

Erfahrungsberichte

7 Schlussbemerkung

Anhang

Danksagung

Weiterführende Bücher und CDs

Audio-Anleitungen

Autorin

Landmarks

Cover

Inhaltsbeginn

Anhang

Wichtiger Hinweis

Die Ratschläge zur Selbsthilfe in diesem Buch sind von der Autorin und dem Verlag sorgfältig erwogen und geprüft worden. Dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Bei ernsthafteren oder länger anhaltenden Beschwerden sollten Sie auf jeden Fall einen Psychotherapeuten oder Arzt zu Rate ziehen. Eine Haftung der Autorin oder des Verlages für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

© 2014 Arbor Verlag GmbH, Freiburg

Eine frühere Ausgabe dieses Buchs erschien unter dem Titel: Entspannt und klar, Freiraum finden bei Stress und Belastung

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2022

Lektorat: Richard Reschika

Illustrationen: Charlotte Jørden, www.charlottejoerden.de

Hergestellt von mediengenossen.de

www.arbor-verlag.de

ISBN E-Book: 978-3-86781-395-2

Alle wesentlichen Dinge sind einfach.

(Weisheit)

Abstandhalter

Ich such ´nen Abstandhalter

Für meine Emotionen

Denn meine Seele rennt sich heiß

Und muss sich dringend schonen

Immer gehn die Dinge mir zu Herzen

Alles geht mir nah, verursacht Schmerzen

Irgendwas fasst immerzu mich an

Ist das genetisch, weiblich, steckt es an?

Wissen Sie vielleicht,

was man dagegen machen kann?

Was auch passiert – ich nehm‘s persönlich

Was meinen Sie? Ist das nicht ungewöhnlich?

Gibt es Abstandhalter hier zu kaufen?

Meine Seele müsste mal verschnaufen

Wirklich, ich brauch dringend

so ein Exemplar

Ich hab auch Geld dabei,

ich zahle bar

Das Ding ließ ich mir implantieren

Und nichts mehr

Ging mir an die Nieren

Mein Leben wär‘ fortan

Ein langer, ruhiger Fluss

Gemütlich plätschernd

Bis zum Schluss.

Amelie Fechner[1]

1 Aus: Amelie Fechner, Das pralle Leben – Alltagsgedichte, 2014, mit freundlicher Genehmigung des Ellert & Richter Verlags, Hamburg

1 Einleitung

„Sie sind wirklich sehr dünnhäutig“, staunte die Akupunkteurin bei unserem zweiten Termin. „Ich sehe ja noch die Nadelpunkte der letzten Behandlung auf Ihrer Haut! Nach der Traditionellen Chinesischen Medizin bedeutet dies, dass Sie sich alles sehr zu Herzen nehmen. Das ist nicht unbedingt nur schlecht“, sagte sie mir aufmunternd zulächelnd. Ich spürte, wie sich meine Augen mit Tränen füllten, und fühlte mich gleichzeitig ertappt und verstanden. Wie oft hatte ich mir schon ein dickeres Fell gewünscht! Ich neige schlichtweg dazu, die Dinge zu nah an mich herankommen zu lassen und den hilfreichen Abstand zu meiner inneren und äußeren Welt zu verlieren.

Später, während eines Einführungskurses in die Selbsthilfemethode ­Focusing, hörte ich zum ersten Mal den Begriff Freiraum. Damals eröffnete sich mir die Möglichkeit, gezielt eine heilsame Distanz zu meinem Erleben herzustellen. Wir wurden angeleitet, im entspannten Zustand eine angenehme Stelle im Körper zu suchen und die Empfindungen dieser Stelle – bei mir war es ein warmes Gefühl im Bauch – auf uns wirken zu lassen. Nachdem wir diese Empfindungen erforscht und genossen hatten, malten wir mit bunten Ölkreiden ein Bild von diesem so genannten Guten Ort. Diese Freiraum-Übung hat mich damals zwar tief beeindruckt und ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben, dennoch erschloss sich mir die tief greifende und weit reichende Bedeutung des dahinter stehenden Prinzips erst ganz allmählich im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte. Meine Beziehung zum Freiraum ist nicht die einer Liebe auf den ersten Blick, sondern eher die einer stetig wachsenden Wertschätzung.

Ich leitete zunächst als Psychotherapeutin ausführliche Freiraum-Übungen bei Klienten an, die vor lauter Problemen nicht mehr klar sehen und denken konnten. Häufig fühlten sie sich im Anschluss an solche Übungen erstaunlich erleichtert und verändert, obwohl wir auf die Probleme selbst gar nicht eingegangen waren. Allein die Schaffung des heilsamen Abstands zu den Problemen hatte offensichtlich therapeutische Wirkung!

Dann begann ich das Prinzip Freiraum und die entsprechenden Übungen in Kursen und Ausbildungsgruppen zu vermitteln. Die Rückmeldungen der TeilnehmerInnen zeigten mir, dass sie den Freiraum-Gedanken dankbar aufgriffen und in vielen Alltagssituationen wirkungsvoll umsetzten, besonders in Stresssituationen.

In den letzten Jahren machte ich in der psychotherapeutischen Einzelarbeit die Entdeckung, dass sich, wenn man einen angenehmen Ort im Körper aufsucht und dort aufmerksam verweilt, schon so etwas wie eine Lösung für anstehende Probleme anbahnt! Ich hatte das Gefühl, einen kostbaren Schatz entdeckt zu haben, der im Prinzip von jedem Menschen leicht gefunden werden kann. Die Motivation zu diesem Buch mit geführten Audio-Anleitungen[2] entsprang so auch meinem Bedürfnis, Ihnen und anderen LeserInnen eine einfache und sichere Anleitung zur Schatzsuche im eigenen Körper zu liefern und damit zu Ihrem Wohlbefinden und Ihrer Souveränität beizutragen.

Denn Freiraum ist nicht nur dann hilfreich, wenn man konstitutionell dünnhäutig ist wie ich, sondern auch wenn man einen Weg sucht, um mit den vielfältigen Anforderungen unseres ganz normalen, verrückten Alltagslebens heilsam umzugehen.

Stress: Die Volksseuche des 21. Jahrhunderts

Immer mehr Menschen beklagen sich heutzutage darüber, dass sie nach der Arbeit nicht mehr wirklich abschalten können, kaum noch richtig zur Ruhe finden und zudem schlecht schlafen. Die Gedanken über anstehende Aufgaben, Unerledigtes und Ungelöstes wollen schier nicht enden und scheinen sich wie ein von einem unermüdlichen Hamster angetriebenes Laufrad im Kreis zu drehen. Angesichts der stetig wachsenden Komplexität unseres Lebens haben wir mehr und mehr das Gefühl, nur noch zu reagieren, statt selbst das Steuer in der Hand zu halten.

Tatsächlich leben wir in äußerst anstrengenden Zeiten. Der Stress­pegel unserer Gesellschaft hat sich in den letzten 30 Jahren derart erhöht, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Stress zu einer der größten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts erklärt hat.

Die rasante Entwicklung unserer Informationsgesellschaft mit ihrer erdrückenden Fülle von Nachrichten und Reizen macht es uns schwer, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen und einen klaren Kopf sowie den Überblick zu behalten Die Beschleunigung unseres Lebensrhythmus durch E-Mails und Handys mit der entsprechenden Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit lassen uns durch einen Tag hecheln, der uns kaum noch echte Ruhepausen bietet. Selbst beim Mittagessen werden noch Besprechungen abgehalten oder Nachrichten vom Handy beantwortet.

Dauernde – nicht selten sinnlose – Umstrukturierungen und Fusionierungen in Betrieben führen zu hohen psychischen Belastungen für die betroffenen Mitarbeiter. Durch die Globalisierung des Wettbewerbs ist der Arbeitsdruck in vielen Bereichen enorm gestiegen. Unsere Welt bietet uns immer weniger Zuverlässigkeit, Grenzen oder Halt. Gleichzeitig schießen Angebote gegen Stress und das Burn-out-Syndrom wie Pilze aus dem Boden.

Das Bedürfnis nach Selbstbestimmung ist ein Grundbedürfnis von uns allen. Krank machender Stress am Arbeitsplatz entsteht am ehesten dann, wenn wir einerseits wenig Kontrolle über unsere ­Arbeitsbedingungen haben, wenn die Anforderungen nicht transparent sind und wenn wir ­andererseits kaum Wertschätzung für unsere Leistungen erfahren.

Nicht zuletzt erhöhen auch die unendlich vielen Möglichkeiten, unsere Freizeit zu gestalten und zwischen verschiedenen Konsumangeboten zu wählen, unseren Stresslevel. Man muss nur einmal versuchen, eine Reise im Internet zu buchen oder einen geeigneten Telefontarif zu finden, um nachzuvollziehen, was ich meine. Immer mehr Menschen fühlen sich getrieben und erschöpft – und haben das Gefühl, mit sich selbst und ihrer Umgebung nicht in wirklicher Verbundenheit zu leben.

Wir können als Einzelne diese gesellschaftlichen Entwicklungen nicht einfach stoppen. Aus meiner Sicht wäre es dringend erforderlich, auch politisch und institutionell über eine Entschleunigung, Vereinfachung und Entbürokratisierung unseres Alltags nachzudenken und Institutionen wieder so zu gestalten, dass der Mensch im Mittelpunkt steht – und nicht nur sein bloßes Funktionieren. Da dies jedoch in vielen Bereichen nicht oder noch nicht der Fall ist, bleibt uns momentan nichts anderes übrig, als individuelle Mittel und Wege zu beschreiten, um Stress zu reduzieren, Abstand herzustellen, uns zu entspannen und zur Ruhe zu kommen. Gelingt uns dies nicht, leidet auf die Dauer nicht nur unsere Zufriedenheit, sondern auch unsere Gesundheit und Schaffenskraft.

Dieses Buch zusammen mit den geführten Übungen möchte Ihnen einen leicht gangbaren und wirkungsvollen Weg aus der Stressfalle weisen, der auf der Grundlage von Achtsamkeit und Akzeptanz basiert.

Freiraum: Ein Weg aus der Stressfalle

Der Begriff Freiraum und seine Techniken, die ich hier vorstelle, kommen aus der Selbsthilfemethode des Focusing von Eugene T. (Gene) ­Gendlin. Zwischen uns und unseren Gefühlen, Gedanken und Empfindungen braucht es einen gewissen Abstand, „ein wenig frische Luft“, so der Philosoph Gendlin, damit wir eine Beziehung zu ihnen aufnehmen können. Deswegen besteht, wenn wir ein Problem lösen wollen, der erste Schritt im Focusing darin, zunächst eine gewisse Distanz dazu aufzubauen. Beim Freiraum-Schaffen lassen wir den Körper zu seinem natürlichen Wohlbefinden und inneren Gleichgewicht zurückfinden, indem wir zu unseren Problemen und Belastungen Abstand etablieren. Liegen die Probleme nicht mehr wie kleine Sorgensäckchen auf unserer Brust oder unserem Bauch, findet der Körper zu seiner natürlichen Lebendigkeit zurück.

Das Prinzip Freiraum und die ebenfalls aus dem Focusing stammenden Audio-Übungen sind bewährte und einfache Methoden, die Sie sowohl in der Stille der Entspannung als auch mitten im Trubel des Alltagsgeschehens anwenden können, um gezielt dagegen anzusteuern, dass sich das Stresserleben festsetzt.

Freiraum wirkt ähnlich wie Urlaub. Sie gewinnen dadurch Abstand und Klarheit. Sie besinnen sich darauf, dass Sie viel mehr sind als die Summe Ihrer Sorgen und Probleme, und können dies auch körperlich deutlich spüren. Der Prozess des Freiraum-Schaffens bringt Ihnen frische Energie, um den Herausforderungen des Alltags aus Ihrer inneren Mitte heraus zu begegnen, statt sich von ihnen wie ein Fähnchen im Wind bewegen zu lassen. Er gibt Ihnen ein neues Gefühl von ­Kontrolle – einer Art Kontrolle, die nicht von äußeren Umständen abhängig ist, sondern von Ihrer Beziehung zu Ihren Erfahrungen. Im Freiraum liegt der Raum innerer Freiheit, die Pufferzone, die es ihnen erlaubt, nicht wie eine Marionette auf äußere Anforderungen zu reagieren, sondern mit Souveränität und Gelassenheit.

Dieses Buch und die Audio-Übungen können Ihnen helfen, wenn Sie

sich ein effektives Handwerkszeug wünschen, um Alltagsstress besser zu bewältigen.lernen möchten, den komplexen Herausforderungen des Alltags mit mehr Ruhe, Zentrierung, Gelassenheit und Souveränität zu begegnen.Ihr Leben mehr von innen heraus als von außen gesteuert führen möchten.häufig grübeln und schlecht abschalten können.gerade in einer akuten Krise sind und mit vielen schwierigen Gefühlen zu kämpfen haben.sich in einer schwierigen Lebenssituation befinden, die sich nicht ohne Weiteres verändern lässt.sich selbst schnell vergessen, wenn andere um Sie herum sind.empfindsam sind und sich häufig ungeschützt fühlen.unter Schlafstörungen leiden.von Burn-out bedroht sind.mit Angst- und Panikattacken zu tun haben.unter einer chronischen Krankheit leiden.die Voraussetzungen für Ihre Kreativität bewusst verbessern möchten.meditieren und die Haltung der Achtsamkeit mehr in Ihren Alltag integrieren möchten.Psychotherapeut(in), Berater(in) oder Klient(in) sind.

Sie können die Übungen des Freiraum-Schaffens mit Hilfe der gesprochenen Anleitungen direkt durchführen, ohne vorher das Buch zu lesen. Die Übungen sind besonders dann wirksam, wenn Sie gerade keinen Freiraum haben, wenn Sie z. B. gedanklich oder gefühlsmäßig feststecken oder sich in einer Krise befinden. Sie ersetzen allerdings keine psychotherapeutische Behandlung, sondern verstehen sich, sofern eine solche erforderlich ist, eher als Ergänzung dazu. Nicht alle Probleme können wir alleine lösen, manchmal ist fachliche Hilfe nötig und sinnvoll.

Das vorliegende Buch mit den Übungen möchten Ihnen helfen, Ihre ganz persönliche Entdeckungsreise zum Verstehen und Anwenden des Freiraum-Prinzips zu unternehmen. Dafür stelle ich Ihnen einen Koffer mit etlichen hilfreichen Utensilien zur Verfügung. Die eigentliche Reise unternehmen Sie dann selbst und in eigener Verantwortung. Die jeweiligen Wirkungen der Übungen können individuell sehr unterschiedlich sein. Es ist übrigens nicht nötig, das Buch von vorne bis hinten gelesen zu haben, um die einzelnen Übungen durchzuführen. Gehen Sie nach den Anweisungen im Kapitel 3 vor oder hören Sie sich die gewünschte Übung an.

Alle kursiv gedruckten Beispiele stammen aus meiner psychotherapeutischen Praxis, von SeminarteilnehmerInnen oder von Freunden und Freundinnen, allerdings habe ich Namen und Umstände so verändert, dass die entsprechenden Personen nicht direkt wieder erkennbar sind.

Ich wünsche Ihnen Spaß und Inspiration bei der Entdeckung innerer und äußerer Freiräume!

2 Den Link zum Download der Audio-Anleitungen finden Sie im „Anhang“.

2 Was ist Freiraum?

Focusing

Der Philosoph Gene Gendlin wurde 1926 in Wien geboren und musste wegen seiner jüdischen Herkunft zusammen mit seinen Eltern kurz vor dem Zweiten Weltkrieg vor den Nazis fliehen. Die Familie Gendelin – so der ursprüngliche Name – wanderte in die USA aus. Gene Gendlin wurde später Professor für Philosophie und Psychologie an der Universität von Chicago. Unter anderem arbeitete er mit Carl Rogers zusammen, dem Begründer der Klientenzentrierten Therapie (auch Gesprächspsychotherapie genannt). Im Rahmen eines Forschungsprojektes beschäftigte sich Gendlin mit der Frage, wie und warum sich Klienten während einer Psychotherapie veränderten – oder auch nicht. Dazu hörte er sich tausende Tonbandmitschnitte verschiedener Therapiesitzungen unterschiedlicher Therapeuten und Therapierichtungen an. Er machte dabei eine erstaunliche Entdeckung: Ob sich ein Klient im Laufe einer Psychotherapie verändern würde, hing gar nicht so sehr von der therapeutischen Richtung oder der Person des Therapeuten ab, wie man dies vielleicht vermuten würde. Vielmehr ließ die Art und Weise, wie ein Klient in der allerersten Sitzung von seinem Problem berichtete, zuverlässige Vorhersagen darüber zu, ob er sich später im Laufe des therapeutischen Prozesses verändern würde oder nicht. Klienten, die schon in der ersten Sitzung manchmal nach Worten suchten, stammelten oder seufzten, deren Sprechen also mit dem körperlichen Erleben sichtbar verbunden war, zeigten später Therapieerfolge, unabhängig von der therapeutischen Richtung oder der Person des Therapeuten. Andere Klienten, bei denen eine gefühlsmäßige Beteiligung kaum sichtbar war, deren Bericht eher nur vom Kopf her kam, veränderten sich später kaum. Gendlin interessierte sich nun dafür, was genau „erfolgreiche“ Klienten denn eigentlich anders machten als „erfolglose“. Das, was er damals fand, nannte er Focusing.

Focusing bildet den Prozess ab, den wir immer dann erfahren, wenn wir eine Erkenntnis haben, die wir auch körperlich als völlig stimmig erleben – ein so genanntes Aha-Erlebnis. Diesen Erkenntnisprozess systematisierte Gendlin und entwickelte die Methode des Focusing zunächst als einen Weg der Selbsthilfe und des Philosophierens, bei dem anstehende Probleme oder Fragen dadurch bearbeitet werden, dass man auf Empfindungen im Körper achtet, die das Thema dort auslöst. Das mulmige Gefühl im Bauch, wenn ich an die neue Arbeitsstelle denke, das laute Pochen meines Herzens bei der Erinnerung an den Streit mit meiner Freundin oder der Kloß im Hals beim Gedanken an den bevorstehenden Vortrag – all das enthält wichtige Informationen. Schenke ich diesen oft leisen oder noch unklaren Empfindungen meine Aufmerksamkeit, entfalten sich ihre Bedeutungen meist wie von selbst. Worte, Gefühle oder Bilder tauchen auf, die mir mehr über das Thema sagen, als ich anfänglich darüber wusste. Immer, wenn ein Wort, Satz oder Gefühl wirklich passt, spüre ich eine spontane körperliche Erleichterung oder Verschlimmerung. Am Ende eines Focusing-Prozesses steht in der Regel eine größere Klarheit und ein Wissen darüber, was der nächste stimmige Schritt im Hinblick auf das Problem oder Thema sein kann. Ich weiß nun mit körperlich gefühlter Sicherheit, dass z. B. die neue Arbeitsstelle nicht das Richtige für mich ist – und sage ab.

Focusing ist ein systematischer Zugang zu unserer Intuition. Die Neuropsychologie hat mittlerweile auch das so genannte Bauchgehirn entdeckt. Es handelt sich dabei um ein komplexes Geflecht aus Nervenzellen, das den gesamten Magen-Darm-Trakt durchzieht und mit dem Gehirn durch den Nervus vagus verbunden ist. Wissenschaftler vermuten, dass dies die biologische Entsprechung zu unserer Intuition und unseren „Bauchgefühlen“ ist, die aus der Wechselwirkung der beiden Gehirne entstehen. Neuerdings zeigen einige wissenschaftliche Studien, dass intuitive Entscheidungen, bei denen das Bauchgefühl berücksichtigt wird, rein rationalen Entscheidungen überlegen sind, besonders angesichts komplexer Situationen.

Mit Hilfe von Focusing lernen wir, unser Bauchgefühl zu entschlüsseln und es mit unserem Herzen und unserem Verstand zu verbinden – eine äußerst wichtige Fertigkeit angesichts der vielen Entscheidungen, die wir im Laufe eines Tages treffen!

Focusing kann jeder von Ihnen erlernen, am besten durch den Besuch eines entsprechenden Seminars. Als Methode der Selbsthilfe können Sie es mit sich alleine durchführen oder mit einem so genannten Focusing-Partner. Bei dem partnerschaftlichen Focusing kommen zwei Menschen zusammen, die diese Methode in einem Seminar erlernt haben, und begleiten sich dann gegenseitig bei der Klärung anstehender Fragen oder Themen.

Eine wesentliche Voraussetzung für den Focusing-Prozess ist das Erleben von Freiraum: Zwischen uns und dem Thema, mit dem wir uns beschäftigen wollen, braucht es, wie gesagt, einen gewissen Abstand, etwas „frische Luft“. Haben wir diesen nicht, so sind wir blockiert und stecken fest. Wir sind dann mit dem Thema oder dem Problem identifiziert, und es fällt uns nichts Neues oder Hilfreiches dazu ein. Deshalb ist der erste Schritt im Focusing immer das so genannte Freiraum-Schaffen. Gendlin schreibt: „Focusing beginnt damit, seinem Körper eine Pause zu gönnen, in der er sich selbst wieder als Ganzes finden kann … Darf Ihr Körper erst einmal er selbst sein, ohne Verkrampfung, weiß er schon alleine mit Ihren Problemen umzugehen.“[3]

Mit Hilfe dieses Buches und den angeleiteten Übungen lernen Sie diesen allerersten Focusing-Schritt des Freiraum-Schaffens. Freiraum ist aber nicht nur als Voraussetzung für einen Erkenntnisprozess wichtig, sondern auch für Wohlbefinden und Souveränität im Alltag.

Der stimmige Abstand zum Erleben

Um das Prinzip Freiraum besser zu verstehen, ist es hilfreich, dass wir uns mit dem Abstand zu unseren Gedanken, Gefühlen und Empfindungen beschäftigen. Obwohl wir unbewusst ganz automatisch eine Menge dafür tun, um die Distanz zu unserem Erleben und zu unseren Gefühlen zu regulieren – indem wir z. B., wenn wir sehr wütend sind, joggen gehen oder Tagebuch schreiben –, machen wir uns vielleicht nie Gedanken darüber, von welch zentraler Wichtigkeit dieses Thema ist.