Fremdsprachendidaktik als Wissenschaft und Ausbildungsdisziplin -  - E-Book

Fremdsprachendidaktik als Wissenschaft und Ausbildungsdisziplin E-Book

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Beschreibung

Die universitäre Fremdsprachendidaktik verfolgt seit langem eine doppelte Ausrichtung: In ihrer Funktion als forschende Disziplin erforscht, beschreibt und interpretiert sie Unterricht, seine Teilnehmer:innen sowie seine Lehr-Lernprozesse. Als (aus-)bildende Disziplin beschäftigt sie sich u.a. mit dem übergeordneten Ziel, (zukünftige) Fremdsprachenlehrkräfte aus- bzw. weiterzubilden. Diese doppelte Ausrichtung der Fremdsprachendidaktik wurde lange Zeit eher als Widerspruch und nicht als sich notwendigerweise bedingende Ergänzung aufgefasst. Entscheidende Beiträge für das Zusammendenken und Zusammenwachsen hat Daniela Caspari während ihrer gesamten bisherigen beruflichen Laufbahn geleistet. Zu ihrem 60. Geburtstag versammelt die vorliegende Festschrift Beiträge von 32 Autor:innen, die mit ihren Überlegungen zur fremdsprachendidaktik als forschende und (aus-)bildende Disziplin das kreative und bedeutsame Schaffen der Jubilarin an dieser für das Selbstverständnis des Faches so wichtigen Schnittstelle würdigen.

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Andreas Grünewald / Sabrina Noack-Ziegler / Maria Giovanna Tassinari / Katharina Wieland (Hrsg.)

Fremdsprachendidaktik als Wissenschaft und Ausbildungsdisziplin

Festschrift für Daniela Caspari

© 2021 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

ISSN 0175-7776

 

ISBN 978-3-8233-8461-8 (Print)

ISBN 978-3-8233-0332-9 (ePub)

Inhalt

Tabula gratulatoriaFremdsprachendidaktik als Wissenschaft und AusbildungsdisziplinFremdsprachendidaktik als WissenschaftsdisziplinFremdsprachendidaktik als AusbildungsdisziplinLiteraturThemenblock I: Fremdsprachendidaktik als Wissenschaftsdisziplin„Die geeignetste Vorbildung der Lehrer“ – Fachdiskussion und bildungspolitische Entwicklungen in der neusprachlichen Reformbewegung1 Die Vorgeschichte2 Fremdsprachenlehrerbildung in der neusprachlichen ReformbewegungLiteraturGrammatik im Übungsapparat von Französischlehrwerken (1970 – 2020)1 Einleitung2 Grammatik im Übungsapparat von Lehrwerken3 Darstellung der Ergebnisse4 FazitLiteraturGrammatik und Kompetenzorientierung: une mésentente cordiale?1 Impressionen eines Missverhältnisses oder Missverständnisses2 Sprachliche Mittel bei der Kompetenzorientierung in administrativen Dokumenten3 Lösungsvorschläge auf der unterrichtlichen Ebene4 Einige Impulse aus der deutschen Fremdsprachendidaktik5. Das Vermittlungsangebot einer multiperspektivischen Sicht auf GrammatikLiteraturNachhaltiges Wortschatzlernen mit digitalen Ressourcen1 Einleitung2 Wortschatzlernen in der Ausbildung von Fremdsprachenlehrkräften3 Möglichkeiten zur Erforschung des individuellen Wortschatzlernens4 AusblickLiteraturDas didaktische Potential mehrsprachig-wortserieller Einsatzübungen (EuroComDidact ToGo)1 Kurze Vorstellung der Lernapp EuroComDidact ToGo2 Lehrlernziele3 Modellierung von morphosemantischer Distanz und Transparenz auf der Wortebene4 Das meseWot-Übungsformat5 Zum didaktischen Potential des meseWoT-Formats in Lehrwerken6 Die meseWoT-Struktur7 Interlinear-Anordnungen – ein verwandtes Übungsformat8 Didaktische Steuerung9 Reichweite und Lernwirksamkeit des ÜbungsformatsLiteraturChronik eines angekündigten Todes? Anmerkungen zu einigen Normativitäten in der (nicht nur) romanistischen Literatur- und Kulturvermittlung1 Einleitung2 Lernbedingungen für Literatur im Unterricht der romanischen Sprachen3 Praxisdokumente4 Nach der Didaktik des Fremdverstehens5 Praxeologische Schlüsse für die Literatur- und Kulturdidaktik6 FazitLiteraturProfessionalisierung in biografischer Perspektive. Gedanken zu einer reflektierten Fachlichkeit in der universitären Fremdsprachenlehrer*innenbildung1 Einleitung2 Impulse aus der Professionsforschung3 Der berufsbiografische Ansatz von Professionalität: Erfahrung und Reflexivität4 Zum Verständnis der Fachlichkeit in den fremdsprachenphilologischen Studienanteilen5 FazitLiteraturEthnographische Forschung als professionelle Kompetenz1 Die Forschung als wissenschaftliche Domäne und die Unterrichtspraxis2 Ethnographie als Methode3 Ethnographie als lebensweltbezogene Forschung und Grundlage des Unterrichts4 Ethnographie als kulturelle Forschung5 Ethnographie als fremdsprachendidaktische Praxisforschung: Aufgaben und Unterrichtsentwicklung6 Ethnographisches Forschen als didaktische KompetenzLiteraturFremdsprachendidaktische Professionalisierung – Prinzipien und Forschungsansätze: Anmerkungen zu Fortbildungsprojekten des Goethe-Instituts1 Das Forschungsfeld Lehr- und Professionsforschung2 Rückblick auf zehn Jahre Deutsch Lehren Lernen: Prinzipien „wirksamer“ Lehrer*innenfortbildung3 Unterrichtsbezug und reflektiertes Erfahrungslernen: Merkmale des Programms Deutsch Lehren Lernen4 Forschungsperspektiven und Forschungsstand zu DLLLiteraturThemenblock II: Fremdsprachendidaktik als AusbildungsdisziplinNeue Professionalitätsfacetten im frühen Englischunterricht auf Distanz1 Lernarrangements auf Distanz im frühen EnglischunterrichtBeispiel I: Phasen direkter InstruktionBeispiel II: technology-mediated task-based language learning2 Agiles Unterrichtsmanagement durch adaptive Fremdsprachenlehrerprofessionalität3 Erweiterung digitaler Kompetenzmodelle4 AusblickLiteraturFremdsprachenunterricht professionell planen1 Professionalisierung als Herausforderung für die Fremdsprachendidaktik2 Unterrichtsplanung als Baustein der Professionalisierung3 Studien zur Planung von Fremdsprachenunterricht4 Professionalisierung mit dem Pro Plan Modell5 Erforschung des Planungshandelns6 AusblickLiteraturProfessionsorientiertes Lehren und Lernen in der Lehrkräftebildung1 Einführung2 Erstes Beispiel: „Lernen durch Lehren“ in der sprachendidaktischen Grundausbildung von Lehrer/-innen3 Zweites Beispiel: Verbindung von Theorie und Praxis im Berliner Praxissemester durch den ko-konstruktiven Ansatz4 Drittes Beispiel: Performativ-forschendes Lernen und Lehren in der Lehrkräfteweiterbildung5 SchlussreflexionLiteraturÜberlegungen zu Vernetzung und Kohärenzerleben in der fremdsprachlichen Lehrer*innenbildung1 Problemaufriss2 Fokussierte Kompetenzschulung als kohärenzstiftendes Element3 Vernetzung von Strukturen, Inhalten und Phasen der Lehrer*innenbildung4 Reflexion und reflexive Handlungspraxis5 AusblickLiteraturUnterrichtsentwicklung als gemeinsames Ziel?!1 Unsere Perspektive: die Schnittstelle2 Ausgewählte Momente des Zusammenwirkens in der Bildungsregion Berlin-Brandenburg3 Bildungspolitik/ Bildungsverwaltung – ein verkannter Akteur?4 Fragen5 WünscheLiteraturSprachlernberatung in der Lehrerausbildung – Lernszenarien zum Erwerb professioneller Kompetenzen1 Sprachlernberatung: von den Bedürfnissen der Lernenden zu den Kompetenzen der Lehrenden2 Sprachlernberatung: Grundlage eines komplexen Lehr-Lern-Szenarios in der Lehrerausbildung3 Aufgaben: Auslöser von professionellen KompetenzenLiteraturPrêter sa voix à quelqu’un d’autre: Eine Lernaufgabe zum inklusiven Miteinander anhand von französischen Jugendromanen1 Einleitung2 Die komplexe Lernaufgabe2.2 La tâche et le plan de travail3 Didaktisch-methodische Begründung der Lernaufgabe4 SchlussbemerkungLiteraturIl ou elle von Bernard Friot1 Literaturarbeit als Teil des Bildungsauftrags von Fremdsprachenunterricht2 Symbolische Bildung im fremdsprachlichen Literaturunterricht3 Il ou elle von Bernard Friot: Vorschläge für den Französischunterricht4 Fazit und AusblickLiteraturIl ou elleVon der Idee zum Text – Begleitung und Konzeption von empirischen Masterarbeiten in der Fremdsprachendidaktik an der Universität Bremen1 Einführung2 Abschlussmodul zur Begleitung von Masterarbeiten in der Didaktik der romanischen Sprachen der Universität Bremen3 Der Aufbau einer fachdidaktischen empirischen Masterarbeit4 Das Kolloquium5 Fachspezifische Sprachlichkeit6 Die Bewertungskriterien7 FazitLiteraturVarianten empirisch orientierter fremdsprachendidaktischer Abschlussarbeiten1 Einleitung2 Forschende Elemente im Rahmen der fachdidaktischen Ausbildung3 Varianten empirisch orientierter Abschlussarbeiten im Bereich der Fremdsprachendidaktik4 Masterkolloquium „Fachdidaktik Romanische Sprachen“Literatur

Tabula gratulatoria

Dagmar Abendroth-Timmer, Siegen

Karin Aguado, Kassel

Grit Alter, Innsbruck

Markus Bär, Wuppertal

Rupprecht S. Baur, Duisburg/Essen

Mark Bechtel, Osnabrück

Ellen Beermann, Berlin

Anka Bergmann, Berlin

Ursula Behr, Jena

Gabriele Bergfelder, Schopfheim

Gabriele Blell, Hannover

Stephan Breidbach, Berlin

Andreas Bonnet, Hamburg

Eva Burwitz-Melzer, Gießen

Helene Decke-Cornill, Berlin/Hamburg

Kristine Deharde, Berlin

Bettina, Deutsch, Berlin

Bärbel Diehr, Wupptertal

Daniela Elsner, Frankfurt a.M.

Christiane Fäcke, Augsburg

Jeannine Feix, Berlin

Claudia Finkbeiner, Kassel

Manuela Franke, Potsdam

Britta Freitag-Hild, Potsdam

Uwe Gellert, Berlin

Georgia Gödecke, Bremen

Juliana Gómez Medina, Bogotá

Virtudes González, Göttingen

Andreas Grünewald, Bremen

Urška Grum, Potsdam

Wolfgang Hallet, Gießen

Claudia Harsch, Bremen

Lene Heine, Bochum

Myriam Hilout, Berlin

Adelheid Hu, Luxembourg

Britta Hufeisen, Darmstadt

Bernhard Huss, Berlin

Brigitte Jostes, Berlin

Christine Junghans, Berlin

Petra Kirchhoff, Erfurt

Friederike Klippel, München

Corinna Koch, Münster

Elisabeth Kolb, München

Katharina Kräling, Berlin

Almut Küppers, Frankfurt a. M.

Lutz Küster, Berlin

Jürgen Kurtz, Gießen

Margitta Kuty, Greifswald

Michael Legutke, Gießen

Eva Leitzke-Ungerer, Halle

Waltraud Löchel, Berlin

Simone Lück-Hildebrandt, Berlin

Beate Lüdtke, Berlin

Diana Maak, Berlin

Hélène Martinez, Gießen

Nicole Marx, Köln

Grit Mehlhorn, Leipzig

Judith Meinschaefer, Berlin

Franz-Josef Meißner, Gießen

Jürgen Mertens, Ludwigsburg

Anne Mihan, Berlin

Julia-Josefine Milster, Berlin

Christopher Mischke, Waiblingen

Nancy Morys, Luxembourg

Christian Neumann, Berlin

Christiane Neveling, Leipzig

Isabell Nicolas, Berlin

Sabrina Noack-Ziegler, Berlin

Wiebke Otten, Berlin

Helene Pachale, Hannover

Elke Philipp, Berlin

Jochen Plikat, Dresden

Kathleen Plötner, Potsdam

Elisabetta Proverbio, Berlin

Kerstin Rauch, Berlin

Marcus Reinfried, Jena/Mannheim

Daniel Reimann, Duisburg/Essen

Claudia Riemer, Bielefeld

Thorsten Roelcke, Berlin

Jana Roos, Potsdam

Henning Rossa, Trier

Andrea Rössler, Hannover

Bianca Roters, Soest

Michaela Sambanis, Berlin

Birgit Schädlich, Göttingen

Heike Schaumburg, Berlin

Andrea Schinschke, Berlin

Barbara Schmenk, Toronto

Torben Schmidt, Lüneburg

Ulrike Schneider, Berlin

Karen Schramm, Wien

Katrin Schultze, Berlin

Juliane Seidel, Berlin

Julia Settinieri, Bielefeld

Matthias Sieberkrob, Berlin

Nevena Stamenković, Berlin

Carola Surkamp, Göttingen

Maria Giovanna Tassinari, Berlin

Engelbert Thaler, Augsburg

Bernd Tesch, Tübingen

Eva Terzer, Berlin

Anita Traninger, Berlin

Graciela Vázquez, Berlin

Britta Viebrock, Frankfurt

Karin Vogt, Heidelberg

Laurenz Volkmann, Jena

Heike Wapenhans, Berlin

Maike Wäckerle, Berlin

Christa Weck, Stuttgart

Katharina Wieland, Berlin

Katja Wild, Berlin

Susanne Zepp-Zwirner, Berlin

Fremdsprachendidaktik als Wissenschaft und Ausbildungsdisziplin

Andreas Grünewald, Sabrina Noack-Ziegler, Maria Giovanna Tassinari & Katharina Wieland

Die doppelte Ausrichtung der Fremdsprachendidaktik als forschende und ausbildende Disziplin in ein ausgewogenes und sich gegenseitig ergänzendes Verhältnis zu bringen, ist ein wichtiges Anliegen zur Konsolidierung des Selbstverständnisses unserer Disziplin. Entscheidende Beiträge für das Zusammenwachsen dieser lange Zeit getrennt betrachteten Bereiche hat Daniela Caspari während ihrer gesamten bisherigen beruflichen Laufbahn geleistet. Zum einen stehen ihre Aufsätze z. B. zur Professionalisierung von Fremdsprachenlehrpersonen oder zum Q-Master als individueller Weg in den Lehrberuf für ihr Verständnis der Fremdsprachendidaktik als Ausbildungsdisziplin. Zum anderen zeugen Publikationen zum beruflichen Selbstverständnis von Lehrer:innen oder zu Forschungstendenzen in der Fremdsprachendidaktik von ihrer Auffassung der Fremdsprachendidaktik als Wissenschaftsdisziplin. Was also liegt näher, als der Jubilarin zu ihrem 60. Geburtstag eine Festschrift mit knapp 20 Beiträgen von 32 Autor:innen zu widmen, die ihr kreatives und bedeutsames Schaffen in der doppelten Ausrichtung der Fremdsprachendidaktik als forschende und (aus-)bildende Disziplin würdigt.

Was aber steckt eigentlich hinter der doppelten Ausrichtung der Fremdsprachendidaktik? Wie hat sich diese entwickelt und wie stehen diese unterschiedlichen Perspektiven zueinander?

Hallet und Königs (2010, S. 11) bezeichnen die Fremdsprachendidaktik vor den 1970er Jahren als eine aus der Praxis erwachsene Rezeptologie, die durchaus auf einleuchtendem und schlüssigem Erfahrungswissen basierte. Zu dieser Zeit konnte sich die Fremdsprachendidaktik noch nicht auf evidenzbasiertes Wissen oder gar auf die empirische Verankerung ihrer Wissensbestände berufen. Mit der Ende der 1970er Jahre zunehmenden Einrichtung fremdsprachendidaktischer Lehrstühle an Universitäten wurde ein erster Schritt zur Konsolidierung des Faches getan. Aus der damaligen Kritik der „Anwendungsorientierung“ (Decke-Cornill & Küster, 2010, S. 8) der Fremdsprachendidaktik entwickelte sich in den 1970er Jahren parallel dazu die Sprachlehr-/-lernforschung, die auch nicht-schulische Spracherwerbskontexte in den Blick nahm und Prozesse der Sprachaneignung unter Einbezug von Bezugswissenschaften wie z. B. Linguistik, Psycholinguistik oder Kognitionswissenschaften wissenschaftlich zu untersuchen begann. Daraus folgte eine Fokussierung der Sprachlehr-/-lernforschung – die von der Aufgabe der Ausbildung von Fremdsprachenlehrkräften für den Sekundarbereich entbunden war – auf die empirische Forschung und damit auf die Beschreibung von Forschungsgegenständen und zu deren Untersuchung angemessenen Forschungsmethoden.

Beide Disziplinen existierten zunächst nebeneinanderher und beschäftigten sich mit dem gleichen Gegenstand (Fremdsprachen lehren und lernen) aus unterschiedlicher Perspektive bzw. mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Die Fremdsprachendidaktik, die institutionell verantwortliche Disziplin für die Ausbildung von Lehrkräften für den Sekundarbereich, hatte die Professionalisierung von zukünftigen Fremdsprachenlehrkräften im Blick und fokussierte daher – zumindest zu jener Zeit – eher auf Sprachlehrprozesse im institutionellen Kontext. Die Sprachlehr-/-lernforschung rückte hingegen die Aneignung der Fremdsprache und die damit verbundenen kognitiven Prozesse beim Lernen in den Mittelpunkt der Betrachtung.

In den 1990er Jahren wurden die Grenzen zwischen beiden Disziplinen immer unklarer und nicht umsonst lautet der 1997 erschienene Titel der Arbeitspapiere zur 17. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts „Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung als Ausbildungs- und Forschungsdisziplinen“. Ende des Jahrtausends wurden beide als zwei getrennte Disziplinen beschrieben. Heute kann festgestellt werden, dass die Sprachlehr-/ -lernforschung als dezidiert forschungsbezogene Disziplin der Fremdsprachendidaktik wichtige Impulse gegeben hat, „zugleich aber auch in ihr aufgegangen ist“ (Hallet & Königs, 2010, S. 12). Auch Daniela Caspari (u. a. 2016, S. 1) subsumierte unter dem Begriff der Fremdsprachendidaktik in Anlehnung an Gnutzmann, Königs & Küster (2011, S. 7) die Sprachlehr-/-lernforschung, unterrichtsbezogene Zweitspracherwerbsforschung, Fremdsprachenforschung und Zweitsprachendidaktik. Das Zusammenwachsen der beiden Disziplinen ist Grund für die doppelte Ausrichtung der Fremdsprachendidaktik welche sich auch im Orientierungsrahmen der Gesellschaft für Fachdidaktik (2005, online) widerspiegelt:

Die Fachdidaktiken sind neben den Fachwissenschaften und der Erziehungswissenschaft dabei die dritte Säule der Lehrerbildung. Sie haben im Spannungsfeld zwischen den Wissenschaftsbereichen ein eigenständiges Profil sowohl als Wissenschaftsdisziplin wie auch als Ausbildungsdisziplin.

In ihrer Ausrichtung als Ausbildungsdisziplin befasst sich die Fremdsprachendidaktik beispielsweise gegenwärtig mit der Auswahl und der didaktischen Rekonstruktion von Lerngegenständen, mit der Digitalisierung des Fremdsprachenunterrichts, mit der Strukturierung von Lernprozessen, mit der Entwicklung und Evaluation von Lehr-/Lernmaterialien oder mit Kompetenz- sowie Aufgabenorientierung. In ihrer Ausrichtung als Wissenschaftsdisziplin und hier insbesondere als Forschungsdisziplin benennt Daniela Caspari (2016, S. 14) nach Durchsicht von knapp 100 Dissertationen aus dem Bereich der Fremdsprachendidaktik 13 Forschungsfelder, welche jede für sich genommen komplex sind: Begegnungsforschung, Curriculumforschung, Diagnostik, Interaktionsforschung, Kompetenzforschung, Konzeptforschung, Lehr- und Professionsforschung, Lehrwerks- und Materialforschung, Lernforschung, Lernerforschung, Schulbegleit- und Schulentwicklungsforschung, Testforschung sowie Zweiterwerbsforschung.

Hinsichtlich der Ausrichtung der Fremdsprachendidaktik als Wissenschaftsdisziplin wird schnell deutlich, dass die genannten Themenfelder hier sehr ähnlich sind. Das ist auch erwartbar, da die doppelte Ausrichtung der Fremdsprachendidaktik nicht a priori dazu führt, dass unterschiedliche Themenfelder bearbeitet werden, sondern vielmehr dazu, dass die Themen sowohl in der Perspektive der Ausbildung als auch der Forschung behandelt werden: Fragen zur Unterrichtsstrukturierung und zu Aspekten des Lehrens von Fremdsprachen im institutionellen Kontext sind gleichermaßen Fragen der Ausbildung von Lehrkräften wie Fragen der Forschung in der Fremdsprachendidaktik. Idealerweise gehen die Ergebnisse fremdsprachendidaktischer Forschung in die Ausbildung und Professionalisierung zukünftiger Lehrkräfte ein. Die Verschränkung beider Perspektiven ist das wesentliche und konstituierende Element der Fremdsprachensprachendidaktik. Die Bearbeitung der Forschungsgegenstände der Fremdsprachendidaktik verlangt ein hohes Maß an Kooperation über Grenzen von Forschungsfeldern und Fachdisziplinen hinweg und vielfach auch eine Zusammenarbeit mit Partner:innen außerhalb des Wissenschaftssystems. In diesem Sinn kann die Forschung in der Fremdsprachendidaktik als Forschung mit Anwendungsorientierung beschrieben werden. Sie entspricht allen diesbezüglich genannten Aspekten des Wissenschaftsrates (2020, S. 12f.): Identifizierung von Problemlagen, Übersetzung in Forschungsfragen, Analyse des Wirkungspotenzials, Relevanzerwartungen, Kooperationspartner:innen und Zielgruppenorientierung.

Die eingangs gestellte Frage danach, wie die beiden Ausrichtungen der Fremdsprachendidaktik zueinander stehen, lässt sich also wie folgt beantworten: Eine im geschilderten Sinn anwendungsorientierte fremdsprachendidaktische Forschung steht zu den Schwerpunkten der (Aus-)Bildung von Lehrpersonen in einem sich gegenseitig anregenden und sich ergänzenden Verhältnis. Themen und Inhalte lassen sich nicht ausschließlich der einen oder der anderen Ausrichtung zuordnen, vielfach können beide Perspektiven miteinander verknüpft werden, wie die Beiträge in diesem Band nachvollziehbar illustrieren.

Dieser Band vereint sowohl theoretisch-konzeptionelle, historische und empirische Forschungsbeiträge als auch Beiträge zu Ausbildungs- und Unterrichts(planungs)modellen, zur Umsetzung des forschenden Lernens im Lehramtsstudium und zur Vernetzung der ersten und zweiten Phase in der Ausbildung von Lehrpersonen.

Fremdsprachendidaktik als Wissenschaftsdisziplin

Mit Blick auf die Geschichte des Fachs stellt Friederike Klippel in ihrem Beitrag die wechselseitige Entwicklung schulischer Bildungsziele und Lehrer:innenbildung im Laufe des 19. Jahrhunderts dar. Sie zeichnet die einsetzende Debatte um Inhalte, Ziele und Strukturen der Fremdsprachenlehrer:innenbildung und ihrer Ausgestaltung mit Fokus auf die neueren Sprachen und Französisch und Englisch im Rahmen der neusprachlichen Reformbewegung und darüber hinaus nach.

Auch Jürgen Mertens nimmt eine historisch-rückblickende Perspektive ein und analysiert in seinem Beitrag die Entwicklung der Behandlung von Grammatik in Lehrwerken für Französisch im Anfangsunterricht im Zeitraum von 1970 bis 2020. Die Ergebnisse dieser umfangreichen Untersuchung zeigen, dass obwohl in den Lehrwerken der (neo)kommunikativen und der aufgabenorientierten Phase die Grammatikstrukturen zunehmend in fertigkeitsorientierten Kontexten und in Texten eingebettet sind, die Übungsformate sich wenig geändert haben. Dies gilt insbesondere für die Lehrwerke der aufgabenorientierten Phase: anstatt als Bausteine für eine zielgerichtete Planung von kommunikativen Handlungen, werden Grammatikübungen weiterhin als dekontextualisierte Vorbereitung zum Sprachgebrauch eingesetzt.

Im sich anschließenden Beitrag von Elisabeth Kolb geht es auch um die Rolle der Grammatik im Fremdsprachenunterricht, dieses Mal jedoch anhand von Beispielen aus Bildungsdokumenten, fachdidaktischen Aufsätzen und Lehrwerken für den Englisch- und Französischunterricht. Das bisweilen schwierige und von den einzelnen Akteur:innen unterschiedlich interpretierte Zusammenspiel von Grammatik und Kompetenzorientierung wird von der Verfasserin auf seine konzeptuelle Bestimmung und praktische Umsetzung beleuchtet.

Grit Mehlhorn und Christiane Neveling beschäftigen sich alsdann ebenfalls im Bereich der sprachlichen Mittel mit strategischer Wortschatzarbeit in der Lehrer:innnenbildung. Insbesondere nehmen sie einige digitale Webtools zum Wortschatzlernen unter die Lupe und zeigen, wie Lehramtsstudierende herangeführt werden, das Lernpotenzial einiger Tools selbst zu erkunden, Ansätze für die Strategievermittlung und Reflexion über die Wortschatzarbeit in Schulpraktika auszuprobieren und/oder in Masterarbeiten zu evaluieren.

Ebenfalls eine App steht im Mittelpunkt des Aufsatzes von Franz-Joseph Meißner, der wissenschaftliche Grundlagen und didaktisches Potenzial einer App zur Interkomprehension behandelt: Durch verschiedene Übungsformate werden Lernende angeregt, Äquivalenzen und Unterschiede unter Wörtern des Kernwortschatzes sowie unter syntaktischen Strukturen in verschiedenen romanischen Sprachen zu erkennen und zu verinnerlichen. Die Lernwirksamkeit der Übungsformate liegt u. a. in der Entwicklung mehrsprachiger Kompetenzen und im Zusammenspiel zwischen explizitem und implizitem, deklarativem und prozeduralem Wissen.

Ein weiteres der Fremdsprachendidaktik immanentes Forschungsfeld ist die Literatur- und Kulturvermittlung. Bernd Tesch analysiert im vorliegenden Essay, welche Normativitäten ihr im Fremdsprachenunterricht zu Grunde liegen. Diese durchleuchtet er aus dem Blickwinkel der konstruktiv-kritischen Didaktik pointiert auf ihre theoretischen Begründungen. In der Zusammenschau stellt er die Argumente gleichsam unter Berücksichtigung realer Lernbedingungen aus praxeologischer Perspektive auf den Prüfstand und leistet einen Beitrag zu diesem Diskurs.

Die drei letzten Beiträge dieses ersten Teils stellen die Forschung von, mit und an angehenden Fremdsprachenlehrkräften in den Mittelpunkt. Anka Bergmann, Stephan Breidbach und Lutz Küster analysieren in ihrem Text das Verhältnis von Fachdidaktik und Fachwissenschaft im Rahmen der Professionalisierung von Lehrpersonen vor dem Hintergrund einer berufsbiografischen Perspektive. Dabei plädieren sie dafür, dass sowohl in der Fachdidaktik als auch in der Fachwissenschaft systematische Ansätze zur Förderung der Reflektivität über die eigene Lern- und Lehrerfahrung integriert werden.

Wolfgang Hallet plädiert für die Integration ethnographischer Forschungsmethoden in die Lehrer:innenaus- und -fortbildung. Unterrichtliche Prozesse profitieren demnach von einer stärkeren Gewichtung der Lernendenperspektive, eröffnen erweiterte Partizipationsmöglichkeiten für Fremdsprachenlernende und unterstützen das Erfassen, „Beschreiben und Verstehen lebensweltlicher und fremdsprachiger Kulturen“.

Schließlich setzt sich Michael Legutke mit dem Handlungsfeld der fremdsprachendidaktischen Fortbildung von Lehrkräften auseinander und stellt fest, dass diese nur selten Gegenstand empirischer fremdsprachendidaktischer Forschung ist. Am Beispiel des Fort- und Weiterbildungsprogramms Deutsch Lehren Lernen (DLL) des Goethe-Instituts zeigt der Verfasser auf, welche Forschungsperspektiven sich im Arbeitsfeld der Lehrkräftefortbildung ergeben könnten.

Fremdsprachendidaktik als Ausbildungsdisziplin

Im Mittelpunkt der Beiträge, die sich eher der Fremdsprachendidaktik als Ausbildungsdisziplin zuordnen lassen, steht die Professionalisierung von Lehrkräften, zunächst beginnend mit dem frühen Fremdsprachenunterricht.

Bianca Roters stellt zwei unterrichtspraktische Herangehensweisen im frühen Fremdsprachenunterricht vor, welche Lehrer:innen flexibel und adaptiv im Kontext adäquater digitaler Lernumgebungen in synchronen und asynchronen Settings handelnd Orientierung bieten können. Durch Schilderung verschiedener Unterrichtsvorhaben zeigt sie, welche Anknüpfungspunkte für die Erweiterung vorhandener digitaler Kompetenzmodelle aus der praktischen Umsetzung entdeckt werden können und in welchen Aspekten derzeit diskutierte Modelle ergänzungsbedürftig sind.

Mit Blick auf die erste Phase der Lehrkräftebildung präsentiert Bärbel Diehr anschließend ein Modell zur professionellen Unterrichtsplanung, das im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Universität Wuppertal entwickelt und untersucht wurde. Das Modell enthält fachspezifische Dimensionen, die auf der wissenschaftlichen Literatur beruhen und die Grundlagen für die Planung von Sprachunterricht ausmachen. In dem vorgestellten Projekt setzen sich Lehramtsstudierende intensiv mit Planungsentwürfen auseinander, und reflektieren diese anhand der fachspezifischen Dimensionen. Diehr plädiert dafür, dass Unterrichtsplanung als theoriebasierter Kernkompetenz bei der Professionalisierung von Lehrkräften eine zentrale Bedeutung in der Lehrer:innenbildung zukommt.

Die fünf Autorinnen Gabriele Bergfelder-Boos, Bettina Deutsch, Manuela Franke, Nancy Morys und Sabrina Noack-Ziegler beleuchten professionsorientierte, hochschuldidaktische Prinzipien zur Anbahnung, Förderung und Weiterentwicklung der Lehrkräftebildung. Dazu werden drei Beispiele hochschuldidaktischer Settings unter Bezug auf das Professionalisierungsmodell von Legutke und Schart (2016) als Impuls für die Entwicklung der fremdsprachendidaktischen Hochschullehre reflektiert.

Katharina Kräling, Helene Pachale und Katharina Wieland untersuchen dann in ihrem Beitrag, wie Verbindungen zwischen universitärem Studium und beruflicher Praxis hergestellt werden können. Dabei gehen sie der Frage nach, wie als ‚weniger praxistauglich‘ betrachtete vermittelte Kompetenzen und Inhalte des Studiums gleichwohl als innovativer Impuls zur Unterrichtsentwicklung genutzt werden könnten. In diesem Zusammenhang stellen sie das Potenzial des Praxissemesters und des Moduls Schulpraktische Studien der FU in Berlin als einen möglichen Ort für das Erleben von Kohärenz im Ausbildungs- und Berufsweg dar.

Ebenfalls mit engem Bezug zum Raum Berlin-Brandenburg beschäftigen sich die Autorinnen Christine Junghanns, Waltraud Löchel, Elke Philipp, Kerstin Rauch und Andrea Schinschke mit der Schnittstelle von fachdidaktischer Forschung und Lehre und bildungspolitischen Vorgaben, Schule, Aus- und Fortbildung von Lehrkräften. Sie arbeiten in ihrem Beitrag heraus, wie das Zusammenwirken der verschiedenen Akteure des Handlungsfelds ‚Fremdsprachenunterricht‘ im Berliner und Brandenburger Raum gestaltet ist. Aus dieser Bestandsaufnahme heraus entwickeln die Autorinnen Vorschläge für Verbesserung dieses Zusammenwirkens mit dem gemeinsamen Ziel der Qualitätssteigerung des Fremdsprachenunterrichts.

Neben den schulischen Praxisphasen spielen weitere Aspekte in der Ausbildung von angehenden Lehrkräften eine wichtige Rolle. Einer davon ist die Auseinandersetzung von angehenden Lehrkräften mit ihrer Rolle als Berater:innen für den Sprachlernprozess. Hélène Martinez richtet in ihrem Beitrag das Augenmerk auf die Sprachlernberatung als nicht direktive Unterstützung von autonomisierenden Sprachlernprozessen. Entstanden als Begleitung von Lernenden in selbstgesteuerten Lernprozessen, setzt die Sprachlernberatung die Lernenden und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt, ist prozessorientiert und hat das Potenzial, durch Reflexion Impulse zur Veränderung von Einstellungen und Lernverhalten zu geben. Wie die Umsetzung von Sprachlernberatung mit Studierenden als Teil der Professionalisierung in die Lehrer:innenausbildung integriert werden kann, zeigt Martinez anhand der Beschreibung der Selbst-Lern-Werkstatt Romanistik (SLW-Rom) am Institut für Romanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen.

Auch in diesem Abschnitt ist mit der Literaturdidaktik ein genuines Teilgebiet der Fremdsprachendidaktik vertreten. Corinna Koch sowie Dagmar Abendroth-Timmer und Birgit Schädlich zeigen praktisch für (angehende) Lehrkräfte auf, welche Potenziale in der fremdsprachendidaktischen Literaturarbeit liegen können.

Corinna Koch stellt in ihrem Beitrag einen Vorschlag für eine komplexe Lernaufgabe zu vier Jugendromanen vor, die Mobbing und Inklusion in lebensweltlichen Bereichen Heranwachsender thematisieren. Sie zeigt, wie das gewählte aufgabenorientierte Setting eine interaktive Lektüre der Romane begünstigen und einen Perspektivenwechsel unterstützen kann, der das Potenzial birgt, das Zusammenleben im (inklusiven) Klassenverband zu verbessern.

Dagmar Abendroth-Timmer und Birgit Schädlich nehmen sich in ihrem Beitrag der in der Sekundarstufe I häufig vernachlässigten Arbeit mit Literatur an. Sie zeigen am Beispiel des Textes „Il ou elle“ des französischen Autors Bernard Friot auf, wie auch in dieser stark auf Spracharbeit und Spracherwerb orientierten Phase Literaturarbeit (zum Thema Gender) mit jugendlichen Lernenden gelingen kann. Im Zentrum der Auseinandersetzung steht das Konzept der symbolischen Bildung.

Der Teil zur Fachdidaktik als (aus-)bildender Disziplin wird abgerundet durch die Beschäftigung mit fachdidaktischen Abschlussarbeiten. Diese sind – wie der Beitrag von Georgia Gödecke deutlich macht – in zweierlei Hinsicht für Studierende interessant: Sie bieten ihnen am Ende des Masterstudiengangs die Möglichkeit, ihre im Studium erworbenen theoretischen wie praktischen Erfahrungen vertieft zu durchdenken und so den Berufseinstieg zu erleichtern. Gleichzeitig können sie auch als Einstieg in eine weitere wissenschaftliche Qualifizierungsphase dienen. Unabhängig davon, mit welchem dieser Ziele Studierende an ihre Masterarbeit herangehen, ist eine intensive Begleitung der Arbeit gewinnbringend, sie kann aber auch explizit als frühbeginnende Nachwuchsförderung in der Fremdsprachendidaktik angesehen werden. Vor diesem Hintergrund stellt die Autorin vor, wie fachdidaktische Masterarbeiten an der Universität Bremen durch ein Lehrveranstaltungskonzept begleitet werden.

Auch Mark Bechtel widmet seinen Aufsatz den Abschlussarbeiten und stellt unterschiedliche Varianten empirisch orientierter fremdsprachendidaktischer Arbeiten vor. Er skizziert Ziele und Inhalte des forschungsmethodisch ausgerichteten Masterkolloquiums und gibt somit Einblick in die Ausbildung und Förderung potenziellen wissenschaftlichen Nachwuchses in der Schlussphase des Lehramtsstudiums.

Und damit schließt sich gewissermaßen wieder der Kreis: Sinnbildlich endet der Abschnitt zur Fremdsprachendidaktik als Ausbildungsdisziplin mit dem Verfassen forschungsorientierter Abschlussarbeiten. Das veranschaulicht sehr schön die oben angesprochene Interdependenz der beiden Perspektiven auf die Fremdsprachendidaktik.

Abschließend wünschen wir Daniela Caspari alles Gute und freuen uns auf die weitere inspirierende Zusammenarbeit in Forschung und Ausbildung. An dieser Stelle bedanken wir uns bei Corinna Sandkühler (Bremen) für die professionelle Unterstützung bei der Formatierung dieses Bandes. Ein weiterer Dank geht an die romanistischen Institute der Freien Universität Berlin sowie der Humboldt-Universität zu Berlin für die finanzielle Unterstützung dieser Festschrift.

Literatur

Caspari, Daniela (2016). Zur Orientierung. In Daniela Caspari, Friederike Klippel, Michael Legutke & Karen Schramm (Hrsg.) Forschungsmethoden in der Fremdsprachendidaktik – Ein Handbuch (S. 1-5). Tübingen: Narr.

Decke-Cornill, Helene & Küster, Lutz (2015). Fremdsprachendidaktik. Eine Einführung. 3. vollst. überarb. und erw. Aufl. Tübingen: Narr Francke Attempto.

Gesellschaft für Fachdidaktik (2005). Kerncurriculum Fachdidaktik. Orientierungsrahmen für alle Fachdidaktiken. Online: https://tinyurl.com/4nwh6ft6 (09.04.2021).

Gnutzmann, Claus, Königs, Frank & Küster, Lutz (2011). Fremdsprachenunterricht und seine Erforschung. Ein subjektiver Blick auf 40 Jahre Forschungsgeschichte und auf aktuelle Forschungstendenzen in Deutschland. In Fremdsprachen Lehren und Lernen 40(1), 5-28.

Hallet, Wolfgang & Königs, Frank (2010). Fremdsprachendidaktik. In Wolfgang Hallet & Frank Königs (Hrsg.) Handbuch Fremdsprachendidaktik (S. 11-17). Seelze: Kallmeyer.

Wissenschaftsrat (2020). Anwendungsorientierung in der Forschung. Online: https://tinyurl.com/daj9r2jk (09.04.2021).

Themenblock I: Fremdsprachendidaktik als Wissenschaftsdisziplin

„Die geeignetste Vorbildung der Lehrer“ – Fachdiskussion und bildungspolitische Entwicklungen in der neusprachlichen Reformbewegung

Friederike Klippel

Schulische Bildungsziele und Lehrkräftebildung stehen im wechselseitigen Einfluss. Das war auch schon im 19. Jahrhundert der Fall, in dem die neueren Sprachen, vor allem Französisch und Englisch, ab den 1850er Jahren in größerem Umfang als zuvor in den Sekundarschulen unterrichtet wurden. Eine intensive Debatte zu Inhalten, Zielen und Strukturen der Fremdsprachenlehrerbildung setzte jedoch erst im Rahmen der neusprachlichen Reformbewegung ab den 1880er Jahren ein, als die Anforderungen der neuen Unterrichtsmethode an das fachliche Wissen sowie das sprachliche und pädagogische Können der Lehrkräfte zu einem intensiven Diskurs über die Ausgestaltung der Fremdsprachenlehrerbildung führten.

1Die Vorgeschichte

Es ist zu vermuten, dass man sich bereits in ferner Vergangenheit Gedanken darüber gemacht hat, was Personen kennen und können müssen, die andere in einer bestimmten Sache unterweisen wollen. Doch war dies stets an bestimmte Kontexte oder Individuen geknüpft. Eine staatlich regulierte und durch Prüfungsordnungen in gewisser Weise standardisierte Lehrerbildung für das allgemeine Schulwesen entstand in Deutschland jedoch erst langsam seit Beginn des 19. Jahrhunderts. Im Jahre 1809 wurden in Bayern, 1810 durch Humboldt in Preußen erste allgemeine berufsqualifizierende Staatsprüfungen für Gymnasiallehrer eingeführt; doch waren diese keine Fachprüfungen sondern eher generelle Eignungsprüfungen, deren Ideal das des gelehrten Altphilologen war (vgl. Sandfuchs, 2004, S. 18). Es dauerte noch fast ein halbes Jahrhundert, bis diese Prüfungen tatsächlich flächendeckend und umfassend etabliert waren (vgl. Kemnitz, 2014, S. 57). Im Folgenden geht es ausschließlich um die Ausbildung von Lehrern für die höheren Schulen, da in der Regel nur dort moderne Fremdsprachen unterrichtet wurden.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die lebenden Sprachen, vor allem Französisch, zwar durchaus an Gymnasien und Realanstalten angeboten, doch waren die Lehrer1, die in der Regel mehrere Fächer unterrichteten, in den modernen Sprachen zumeist Autodidakten, die ihre Sprachkenntnisse etwa bei einem Auslandsaufenthalt oder im Selbststudium erworben hatten. Die wenigen Professuren für Romanische Philologie oder Neuere Sprachen, die vor der Jahrhundertmitte bestanden, hatten kaum Einfluss auf die Lehrerbildung. An der Universität Heidelberg beispielsweise lehrte Anton Sar, Professor für Französische Sprache von 1804 bis 1817, danach wurde diese Professur nicht erneut besetzt (vgl. Kalkhoff, 2010, S. 23); an der Berliner Universität bestand von 1821 bis 1851 ein Extraordinariat für Neuere Sprachen, Literatur und Literaturgeschichte; ein Ordinariat für Romanische Philologie wurde erst 1870 etabliert (vgl. ebd., S. 130). Erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden an den Universitäten sukzessive Professuren für Neuphilologie an den Philosophischen Fakultäten eingerichtet.

So ist es nicht verwunderlich, dass Ludwig Herrig und Heinrich Viehoff, als Schulmänner und Herausgeber der ersten Fachzeitschrift für die neueren Sprachen – „Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen“ (gegründet 1845) – in einem Beitrag im Jahr 1848 für den Unterricht in den neueren Sprachen plädieren und eine Reihe von Vorschlägen zu deren Studium und zur Lehrerausbildung in diesen Fächern unterbreiten. Zunächst betonen sie die Bedeutung der neueren Sprachen für die Erziehung der Jugend:

Es muß folglich dem antiken Leben das moderne gegenübergestellt werden, und wie könnte man dies besser, als gerade durch die Sprache, dem Hauptbildungsmittel des Menschen, deren Kenntniß den Schüler in dem Leben und Geiste des Volkes heimisch werden läßt?

Die Wichtigkeit der neueren Sprachen, besonders der germanischen und romanischen, für unsere Gymnasien sowohl, als ganz besonders für die Realschulen, scheint hiermit genügend angedeutet und es ist unerklärlich, wie es einerseits die Behörden bis jetzt ruhig ansehen, daß der Unterricht in so vielen Anstalten noch so ganz jämmerlich und handwerksmäßig betrieben wird, andererseits aber wenig oder fast gar nichts thaten, um tüchtige Lehrer für diesen Unterrichtszweig zu gewinnen und sie gründlich für ihren Beruf vorzubereiten. (Herrig & Viehoff, 1848, S. 225)

Für das Studium der zukünftigen Lehrer lebender Sprachen fordern Herrig & Viehoff (1848) nicht nur eine gründliche philologische Ausbildung, sondern auch sprachpraktische und fachdidaktische Studienanteile. Zudem empfehlen sie einen Auslandsaufenthalt und die Einrichtung eines Seminars, das nach dem Studienabschluss der fachbezogenen pädagogischen und unterrichtspraktischen Ausbildung der Kandidaten dienen soll. Die dort tätigen Seminarlehrer sollten nicht nur „theoretisch vorgebildet“ (ebd., S. 233) sein, sondern auch über eine einschlägige Unterrichtspraxis verfügen. Herrig selbst plante ein solches Seminar, das seiner Intention nach an der Berliner Universität angesiedelt sein sollte. Da jedoch der Grammatiker und Sprachwissenschaftler Mätzner für die Professur für neuere fremde Sprachen vorgeschlagen war (vgl. Haenicke & Finkenstaedt, 1992, S. 206), entschied das preußische Kultusministerium schließlich, das Seminar im Jahr 1860 am Berliner Friedrichs-Gymnasium und nicht an der Universität einzurichten.

Herrig prägte dort bis 1877 die fachliche, fachdidaktische und unterrichtspraktische Ausbildung der Neusprachenlehrer (vgl. Klippel, 2010). Während seiner achtzehn Jahre währenden Leitung des Berliner Seminars bildete Ludwig Herrig mehr als zweihundert Lehrer aus. Wenn man bedenkt, dass Elze im Jahr 1864 von etwa fünf- bis siebenhundert Englischlehrern in ganz Deutschland ausgeht, von denen fast alle auch als Französischlehrer tätig waren (vgl. Elze,1864, S. 82), weist diese Zahl auf einen beträchtlichen Einfluss des Herrig’schen Seminars hin.

Der stetig steigende Bedarf an Lehrern, die vor allem in den expandierenden Realanstalten die dort fest im Lehrplan verankerten lebenden Sprachen Französisch und Englisch, weiterhin gelegentlich auch andere Sprachen unterrichteten, die als Wahlfach angeboten wurden (dazu Ostermeier, 2012, S. 71-78), führte dazu, dass bis etwa 1880 viele Universitäten eine Professur für Neuphilologie eingerichtet hatten. Zumindest ein Teil dieser nach 1870 ernannten Professoren kannte den Schulbetrieb aus eigener Lehrertätigkeit, so etwa Wilhelm Viëtor, der u. a. an einer Mädchenschule, einer Realschule und einem College in England unterrichtet hatte, bevor er 1884 als ao. Professor für Englische Philologie an die Universität Marburg berufen wurde (vgl. Nebrig, 2017); auch Eduard Koschwitz, der romanistische Lehrstühle in Greifswald, Marburg und Königsberg innehatte, war Lehrer an einem Gymnasium gewesen (vgl. Elwert, 1979). Eigene Unterrichtserfahrungen bedeuteten jedoch nicht, dass die jeweiligen Neuphilologen in universitärer Stellung der Lehrerbildung und der Vorbereitung der Studierenden auf die spätere Tätigkeit gegenüber aufgeschlossen waren. So lässt sich vermuten, dass im Falle von Wilhelm Viëtor, einem der wortmächtigsten Vertreter der neusprachlichen Reformbewegung, das Engagement für einen besseren Fremdsprachenunterricht und eine den neuen Zielen angepasste Lehrerbildung auch aus seinen Unterrichtserfahrungen gespeist wurde. Eduard Koschwitz vertrat trotz oder wegen seiner eigenen Schulerfahrung als Reformgegner entgegengesetzte Positionen im Hinblick auf Fremdsprachenunterricht und Lehrerbildung.

Mit dem Einsetzen der neusprachlichen Reformbewegung um 1880 gewann der Diskurs um die Ausbildung der Lehrer für neuere Sprachen erheblich an Dynamik, denn zum ersten stieg die Zahl der notwenigen Lehrer an Realanstalten und Gymnasien stetig an. Zum zweiten brachte die intensive Debatte um andere Ziele und Inhalte des Fremdsprachenunterrichts es mit sich, dass auch die dafür notwendigen Qualifikationen der Lehrer verstärkt in den Blick genommen wurden.

2Fremdsprachenlehrerbildung in der neusprachlichen Reformbewegung

Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts trafen eine Anzahl von gesellschaftlichen, technischen und kulturellen Entwicklungen zusammen, die Schulwesen und Lehrerbildung beeinflussten. Zu den seit Beginn des Jahrhunderts wirkenden staatlichen Bestrebungen, das Bildungssystem stärker zu regulieren, Vergleichbarkeit und Konsistenz durch Lehrpläne und Prüfungsordnungen herzustellen, traten durch verbesserte Verkehrsverbindungen und zuverlässigen Postverkehr (dazu ausführlich Schleich, 2015, S. 50-79) Möglichkeiten für zunehmenden nationalen und internationalen Austausch, zu dem die modernen Fremdsprachen einerseits unabdingbar waren und andererseits durch ein wachsendes Interesse an der Neuphilologie selbst beitrugen. Zugleich differenzierten sich die Wissenschaften innerhalb der Universitäten stärker aus, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine Blütezeit erlebten. Unser modernes Wissenschaftssystem hat hier seine Wurzeln (vgl. Telesko, 2010, S. 200-202). Relevant für den Fremdsprachenunterricht waren neben der Neuphilologie etwa die Entwicklung der Phonetik und der Psychologie.

Anstöße zu einer Reform des Fremdsprachenunterrichts und in Folge der Ausbildung der Lehrer in Deutschland kamen von Neuphilologen, die als Lehrer, wie beispielsweise Hermann Klinghardt oder Franz Dörr, oder Hochschullehrer, wie Wilhelm Viëtor oder Hermann Breymann, tätig waren. Breymann sieht die Auslöser der Reformbewegung in einer Reaktion auf die „Überschätzung des grammatischen Unterrichts und gegen den Glauben an den absoluten Wert der sogenannten formalen Bildung“ (Breymann, 1895, S. 97; Hervorhebungen im Original). Unterstützt werde die Reform durch die neue Wissenschaft der Lautphysiologie oder Phonetik und die Fortschritte in Sprachwissenschaft und Psychologie (vgl. ebd.). Vor allem ging es den Reformern um das zentrale Anliegen, lebende Sprachen auch als solche zu lehren, nämlich Aussprache und Sprechfertigkeit von Anfang an zu fördern, in die fremden Kulturen einzuführen, zusammenhängende Texte in das Zentrum des Unterrichts zu rücken und die Grammatik nicht mehr in einer zentralen Rolle zu belassen, sondern ihr lediglich eine dienende Funktion zuzuweisen. Diese Kernziele der Reformbewegung sind in den von Gustav Wendt bei der achten Versammlung der Neuphilologen in Wien im Jahr 1898 vorgestellten und intensiv diskutierten Thesen zusammengefasst (dazu Wendt, 1898-1900).

Zu Beginn der Reformbewegung standen vor allem die angestrebten Veränderungen im Schulbetrieb der modernen Fremdsprachen im Zentrum der Debatten. Zwar wurde von Beginn an die enge Verflechtung von Schule und Universität hervorgehoben, breitere Überlegungen zur Lehrerbildung setzten jedoch erst ab den 1890er Jahren ein, so etwa bei der fünften Versammlung der Neuphilologen 1892 in Berlin, nachdem etwa die preußischen Lehrpläne für den modernen Fremdsprachenunterricht zumindest ansatzweise Elemente der neusprachlichen Reform aufgenommen hatten (vgl. Christ & Rang, 1985, Band II, S. 41). Dadurch veränderte sich das Anforderungsprofil für die Lehrer, dem auch in der (universitären) Ausbildung Rechnung getragen werden sollte. Darüber jedoch, wie weit sich die Universität den Anforderungen des späteren Berufsfeldes ihrer Studierenden zuwenden sollte, gingen die Meinungen stark auseinander.

2.1Schule und Universität

Eine „lebhafte Wechselwirkung zwischen Universität und Schule, zwischen Wissenschaft und Praxis“ (Ey, 1886, S. 20) war das Ziel des 1886 gegründeten „Allgemeinen deutschen Neuphilologenverbands“. Vertreter der jungen Wissenschaft der Neuphilologie sowie Lehrer und ganz vereinzelt auch Lehrerinnen der modernen Sprachen trafen sich auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene, beispielsweise bei den zuerst jährlich, später alle zwei Jahre stattfindenden Tagungen des Verbandes, zu dem immer auch Vertreter anderer Länder anwesend waren. Die Berichte dieser Tagungen legen beredtes Zeugnis von einem breit gefächerten Diskurs zwischen Schule und Universität ab (vgl. Klippel, 2020).

Grob gesagt lassen sich zwei Lager unterscheiden: Die Mehrheit der Lehrer und Professoren, die den Gedanken der neusprachlichen Reformbewegung nahestehen, auch wenn sie im Einzelnen längst nicht alle Bestrebungen der Reformer gutheißen oder unterstützen, sehen die Universitäten in der Verantwortung, sich bei den Studienzielen, der Gestaltung der Studienstrukturen, der Studien- und Prüfungsinhalte, der Ausprägung der Lehre und der personellen Ausstattung der Neuphilologie an den Bedürfnissen der überwiegenden Mehrheit ihrer Studierenden, nämlich der zukünftigen Fremdsprachenlehrer zu orientieren.

Nur zu oft ertönt die Klage: wir werden auf der Hochschule zu Gelehrten gemacht, aber nicht zu Schulmännern; wir lernen die mittelalterlichen Texte verstehen und haben weder Anleitung noch Zeit, um die lebende Sprache mit ihrer überreichen Litteratur zu erfassen. (Ey, 1886, S. 19)

Es gibt jedoch auch eine Gruppe von Professoren und Lehrern, die aus Sorge um die wissenschaftliche Reputation der Neuphilologie und der neusprachlichen Fächer insbesondere im Vergleich mit der Klassischen Philologie darauf beharren, dass alle berufsbezogenen Kenntnisse und Fertigkeiten, wozu fremdsprachliche Kompetenz und didaktisch-methodisches Wissen zählen, nach Abschluss des wissenschaftlichen Studiums im Seminar ihren Platz finden müssten. „Unsere jungen Studenten sollen nicht ‚Oberlehrer‘ studieren, sondern ‚Philologie‘ oder besser noch ‚Philosophie‘. Die Universitäten sollen dem Studenten das wissenschaftliche Denken und Forschen so einpflanzen, daß er später gar nicht mehr davon lassen kann“ (Wehrmann, 1914, S. 50). Andere sehen insbesondere die sprachpraktische Ausbildung in der Selbstverantwortung der Studenten, da die Universitäten aufgrund ihrer Personalausstattung nicht in der Lage seien, systematischen Sprachunterricht anzubieten (dazu kritisch Waetzoldt, 1892, S. 31).

Einen Zusammenhang zwischen Universität und Schule kann man wie Breymann unter gesellschafts- und bildungspolitischen Aspekten sehen:

Von den Akademien der Wissenschaften unterscheiden sich bekanntlich die deutschen Universitäten vor allem dadurch, dass sie nicht ausschliesslich wissenschaftlich theoretische, sondern bis zu einem gewissen Grade auch praktische Zwecke verfolgen; wie jene müssen sie sich also einerseits die Pflege der Wissenschaft als solcher angelegen sein lassen, andererseits aber auch der Praxis die Hand reichen und ihren Zöglingen wenigstens so viele praktische Kenntnisse und Fertigkeiten übermitteln, dass sie vom Staate als möglichst brauchbare Diener in den verschiedenen Zweigen seiner Wirkungssphäre verwendet werden können. In Übereinstimmung mit dieser von mir schon immer verfochtenen Auffassung von den einer deutschen Universität gestellten Aufgaben, vertrete ich die weitere Ansicht, dass ein Professor der Philologie (sei es der romanischen oder der englischen, der klassischen oder der deutschen) die Pflicht hat, den Zusammenhang mit der Schule stets im Auge zu behalten und seine Zuhörer in den Stand zu setzen, die gesicherten Resultate ihres Wissens für den Unterricht praktisch zu verwerten, eine Ansicht, zu der sich wohl die meisten akademischen Lehrer bekennen werden. (Breymann, 1895, S. 95f.)

Es ist aufgrund der vorhandenen Quellen heute nicht mehr nachzuvollziehen, ob Breymanns Optimismus bezüglich der Einstellung der Mehrheit seiner universitären Kollegen tatsächlich zutraf. Die Diskussionen bei den Versammlungen der Neuphilologen zeigen, dass bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts die mehrheitlich von den Lehrern geforderte Berücksichtigung ihrer Ausbildungsbedürfnisse im Studium von den jeweils anwesenden Hochschullehrern nicht immer als gerechtfertigt und sachlich angemessen akzeptiert wurde. Von einzelnen wurde jedoch die Interdependenz von Schulunterricht und Universitätsstudium noch unter einem anderen Blickwinkel gesehen, nämlich dem des Bildungskreislaufs:

Nur bei einer genügenden Anzahl geschickter, der lebenden Sprache mächtiger Lehrer werden späterhin […] die in den obigen Sätzen an den Schulunterricht gestellten Forderungen an besseren Anstalten erfüllt werden können. Woher aber sollen die Schulen solche Lehrer bekommen, wenn die Universitäten sie nicht vorbilden? Und thun diese das Notwendige, wenn sie die praktische Ausbildung zum zukünftigen Lehrer dem Studenten im wesentlichen selbst überlassen? Schafft uns gut vorgebildete Studenten! ruft die Universität – Schickt uns gut vorgebildete Lehrer! antwortet die Schule. Das wird ein circulus vitiosus. (Waetzoldt, 1892, S. 31)

Dieser Teufelskreis ist bis heute nicht völlig durchbrochen, wenngleich die weiter fortgeschrittene Ausdifferenzierung der Anglistik und Romanistik in Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft einerseits und Fachdidaktik und Sprachpraxis andererseits dazu geführt hat, dass man die Aufgabe der Vorbereitung der Lehramtsstudierenden auf das Berufsfeld heutzutage fast nur bei der Fachdidaktik sieht.

2.2Studieninhalte

Eine neue Wissenschaft strebt zunächst danach, den in ihr erreichten Forschungsstand zu dokumentieren. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden nach dem Vorbild der Klassischen Philologie auch Enzyklopädien für die neueren Sprachen. Den Anfang machte Schmitz (1859) mit einer Französisch und Englisch umgreifenden Darstellung, später folgte u. a. Körting (1884-1888) für die romanische Philologie und die englische Philologie (vgl. Körting, 1888). Daneben etablierten sich Einführungen in das Studium der Neuphilologie, deren bekannteste vermutlich die mehrfach neu aufgelegte Schrift von Viëtor (11887, 31903) ist, sowie Handbücher für Studierende und Lehrer, die das gesamte Fach knapp darstellen und auf Literatur verweisen, z. B. Wendt (1893).

Aus Sicht der Romanischen Philologie sieht Kalkhoff (2010, S. 238) das Ende ihres Kampfes um die Berechtigung als Wissenschaftsdisziplin in der Universität um 1880, also etwa mit dem Einsetzen der neusprachlichen Reformbewegung. Ab diesem Zeitpunkt benötige die Neuphilologie im Rahmen ihres „historisch-vergleichenden Forschungsprogramms“ (ebd.) keine Legitimation durch die Aufgaben in der Lehrerbildung mehr. Das mag aus Sicht der Wissenschaft zutreffen, doch bestand im Hinblick auf die akademische Lehre ein gewisses Ungleichgewicht zwischen forschungsbasierten Vorlesungen zu sprachhistorischen und literaturgeschichtlichen Themen zur älteren Literatur, die weit überwogen1 und wenig Anknüpfungspunkte für die spätere Tätigkeit der Fremdsprachenlehrer lieferten, und stärker gegenwartsbezogenen Themen. Fast scheint es, als wären die Anglisten unter den Neuphilologen dem Wandel gegenüber aufgeschlossener gewesen als die Romanisten, wenn Alois Brandl, Anglist an der Berliner Universität, schreibt:

Die Frage hat sich daher erhoben: soll der neusprachliche Universitätsunterricht wirklich die praktischen Anforderungen des Tages zu erfüllen trachten, oder täte er besser, gleich dem klassisch-philologischen bei der Erforschung der Vergangenheit zu bleiben? […] Wenn sich jetzt ein Neusprachler dazu hergibt, auf der Universität sprachliche Fertigkeit ebenso zu betonen, verwandelt sich dann nicht sein Fach aus einer reinen Wissenschaft in eine angewandte? Wenn er es unternimmt, Literatur und Kultur des 19. Jahrhunderts zu lehren, werden darunter nicht Gründlichkeit und Tiefe leiden? Macht er sich nicht zum Philologen zweiten Ranges? […] Dennoch scheint es mir unvermeidlich, daß wir den Standpunkt des Entweder-oder völlig aufgeben und das Sowohl-alsauch durchführen, die Verbindung von Wissenschaft und – kurz gesagt – Praxis. (Brandl, 1907, S. 24f.)

Diese Aussage zeigt, dass auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Prozess der Etablierung der Neuphilologie als Wissenschaftsdisziplin und lehrerbildendes Fach an der Universität geprägt war durch die Abgrenzung von und die Konkurrenz mit der ‚eigentlichen‘, der Klassischen Philologie. Es ist bezeichnend, dass einer der führenden Köpfe der Reformbewegung, Wilhelm Viëtor, das wissenschaftliche System der klassischen Philologie, wie es etwa von Böckh (vgl. Bratuschek, 1877) um die Mitte des 19. Jahrhunderts formuliert worden war, für seine eigene Einführung in die englische Philologie als Basis nutzte.

Ohne Böckhs Definition der Einzelphilologie als ‚geschichtlich wissenschaftliche Erkenntnis der gesamten Tätigkeit, des ganzen Lebens und Wirkens eines Volkes‘ aufzugeben, darf man daher die Einschränkung hinzufügen: mit der Sprache und Litteratur als Ausgangs- und Mittelpunkt. (Viëtor, 1903, S. 7)

Der Gedanke, das „ganze Leben“ in den Blick zu nehmen, wurde von den Neuphilologen insofern aufgegriffen, als sie das Studium der Realien als unabdingbaren Bestandteil des schulischen Fremdsprachenunterrichts ansahen. Bereits bei der ersten Konferenz der Neuphilologen stellt Hermann Klinghardt, einer der engagiertesten Vertreter der Reformideen, die folgende Forderung auf:

Der französisch-englische Unterricht und die neuphilologische Wissenschaft, bisher fast ausschließlich auf die sprachliche Seite der modernen Kulturentwicklung gerichtet, haben sich künftighin – nach dem Muster des griechisch-lateinischen Unterrichts – mehr und mehr noch mit den realen Lebensäußerungen der modernen Völker zu beschäftigen. (Vorstand des Allgemeinen Deutschen Neuphilologenverbands, 1886, S. 31)

Seine These wurde kontrovers diskutiert, und die Frage der Realien tauchte immer wieder in den Debatten und Publikationen auf. So konstatiert Wendt (1898, S. 658) in einer ebenfalls bei einer Versammlung der Neuphilologen erörterten These: „Die beherrschung der fremden sprache ist das oberste ziel des unterrichts; den unterrichtsstoff bildet das fremde volkstum. Die fremde sprache ist das naturgemässe mittel, um in dessen erkenntnis einzudringen.“ Und Waetzoldt (1892, S. 13) stellt kategorisch fest: „Französisch und Englisch lernen und lehren, heißt Frankreich und England lehren und lernen.“

Man könnte daher vermuten, dass die Realien, also die Geschichte, Politik und Kultur von Frankreich und England auch im neuphilologischen Lehramtsstudium eine wichtige Rolle spielen. Zwar betont Viëtor (1903, VII) im Vorwort zur ersten Auflage seiner „Einführung in das Studium der englischen Philologie“, dass er keinen „Kanon“ für das Studium habe aufstellen wollen, doch ist angesichts des hohen Stellenwerts der Realien für den Unterricht erstaunlich, dass diese lediglich in einem Teilkapitel auf drei Seiten abgehandelt werden (vgl. Viëtor, 1903, S. 97-100). Er nennt dort einige wenige Standardwerke zur englischen Geschichte, empfiehlt Wendts Realienbuch (vgl. Wendt, 1892) sowie den Baedeker Reiseführer und den jährlich erscheinenden Jahresrückblick „Hazell’s Annual“. Offenbar sah er keinen Platz für landeskundliche Einführungen im Studium, sondern stellte den Erwerb solchen Wissens in die Eigenverantwortung jedes Fremdsprachenlehrers:

Eine eingehende Bekanntschaft mit den politischen und sozialen Verhältnissen des heutigen England ist für den Philologen wie für den Lehrer gleich unerlässlich. Hierzu wird vieles ein längerer, wohl ausgenutzter Aufenthalt im Lande beitragen. (Viëtor, 1903, S. 98)

Waetzoldt wünscht sich im Gegensatz dazu eine stärkere Berücksichtigung dieses Gebiets bereits im Studium und vor allem in der Prüfungsordnung, die seiner Meinung lauten müsse:

In der politischen wie in der Kulturgeschichte Frankreichs oder Englands und in der Landeskunde muß der Kandidat soweit orientiert sein, um die gebräuchlichen Schulschriftsteller auch sachlich erläutern und vorkommenden Falles gute Hilfsmittel mit Verständnis benutzen zu können. (Waetzoldt, 1892, S. 44)

Auch die didaktische Ausbildung der Lehrer wurde – wenn auch weniger häufig – diskutiert. Schröer, der selbst einige Jahre als Lehrer an einer Oberrealschule in Wien tätig gewesen war, bevor er sich habilitierte und Professuren in englischer Philologie an verschiedenen deutschen Universitäten innehatte, weist darauf hin, „daß auch Pädagogik und Didaktik wissenschaftliche Disziplinen sind und nicht etwa Fertigkeiten, die ‚einzupauken‘ wären“ (Schröer, 1887, S. 11; Hervorhebung im Original).

Durch die ganze Reformzeit zieht sich die Debatte um die Inhalte des Lehramtsstudiums. Das Spektrum reicht von denen, die eine gezielte Vorbereitung auf den späteren Beruf fordern, wozu auch Didaktik und Pädagogik neben moderner Literatur, Gegenwartssprache, Phonetik und Landeskunde gehören ebenso wie die Ernennung von Professoren, die selber Schulerfahrung als Fremdsprachenlehrer mitbringen (so etwa Wehrmann, 1914, S. 49), über viele Zwischenstadien bis zu jenen, die die gesamte Vorbereitung auf die Lehrertätigkeit in die Probezeit nach dem Studium, den dort stattfindenden Seminarbesuch und die Eigenverantwortung jedes Einzelnen verbannen möchten, um an der Universität die reine Wissenschaft, und zwar vor allem Sprachgeschichte und frühe Epochen in der Literaturgeschichte zu pflegen. Weitgehende Einigkeit bestand jedoch über die Forderung, getrennte Professuren für englische und romanische Philologie einzurichten und für das Lehramt die Kombination eines Sprachenfachs mit anderen Fächern zu ermöglichen (vgl. Viëtor, 1908).

2.3Studiengestaltung und Auslandsaufenthalt

Neben den Inhalten des Studiums wurden, wenn auch in geringerem Umfang, die universitären Lehrformen und vor allem die unzureichende Ausstattung der Neuphilologie an den Universitäten kritisch kommentiert. So bemerkt Viëtor in einem Nachwort zu Max Walters Reformschrift (vgl. Walter, 1912), dass an der Universität Marburg für über zweihundert Studierende der englischen Philologie ein Professor und ein Lektor zur Verfügung stehen. Hier sei eine Reform dringend nötig (vgl. Viëtor, 1912, S. 26). Und Walter kommentiert diesen Zustand, der damals nicht nur für die Universität Marburg zutraf:

Wie können ein professor und ein lektor für die ausbildung so vieler studierender sorgen! Zu dieser ausbildung gehören unbedingt seminarübungen, an denen jeder student teilzunehmen verpflichtet sein sollte! Solche übungen lassen sich aber nicht in massen vornehmen, sondern jeder kursus kann nur eine kleine zahl studierender umfassen. Wo bleibt also die gelegenheit zur gründlichen Durchbildung der einzelnen jungen leute! Wie sollen sie bei solchem massenbetriebe den aufgaben gerecht werden, die die schule an sie stellen muss! Dazu ist weiter zu bedenken, dass auch beim tüchtigsten dozenten eine einseitige vertretung seines faches nicht zu vermeiden ist. (Walter, 1912, VII)

In seiner ausführlichen Besprechung von Walters (1912) Schrift in der Erstauflage, in der er sich Walters Plädoyer für stärker diskursive Lehrformate mit Nachdruck anschließt, schildert Klinghardt eine uns aus heutiger Sicht übertrieben scheinende Charakterisierung üblicher akademischer Lehre:

Der professor sitzt auf dem katheder und liest mehr oder weniger frei aus seinem hefte vor. Der student sitzt unten vor ihm und schreibt – um nicht zu sagen „schmiert“ – mehr oder weniger sklavisch und mechanisch in sein heft ein; alle worte des professors, die er hier nicht schwarz auf weiss zu fixieren vermag, sind für ihn verloren. (Klinghardt, 1901/02, S. 32)

Wenn der Student dann später anhand seiner Notizen den Stoff wiederholen wolle, könne er mit der wenig leserlichen Mitschrift nicht viel anfangen, und die Vorlesung habe letztendlich für ihn keinen Nutzen (ebd.). Walters Vorschläge blieben jedoch nicht unwidersprochen. In einer weiteren Rezension derselben Schrift beklagt der Verfasser, dass Walters Vorschläge, zu denen u. a. die Einrichtung einer universitätseigenen Druckerei zur Herstellung von Vorlesungsskripten für die Studierenden (vgl. Walter, 1912, S. 13) und die Gewährung von Auslandsstipendien zählen (vgl. ebd., S. 14), nichts weniger bedeuten „als eine vollständige umänderung des gesamten auf jahrhundertelanger überlieferung beruhenden unterrichtsbetriebes der deutschen universitäten“ (Stimmig, 1901/02, S. 36). Man mag sich fragen, was Stimmig von der Forderung Waetzoldts gehalten hätte, der bereits 1892 überlegte, ob Vorlesungen auch in französischer und englischer Sprache gehalten werden sollten (vgl. Waetzoldt, 1892, S. 33).

Im Reformdiskurs gab es eigentlich nur ein Thema, bei dem die unterschiedlichen Positionen weniger hart aufeinanderprallten, nämlich das der Notwendigkeit eines Auslandsaufenthaltes für angehende oder bereits im Schuldienst befindliche Fremdsprachenlehrer. Auch wenn die Reformgegner mehr Wert auf die gründliche philologische Vorbildung der Französisch- und Englischlehrer legten als auf deren Sprachkönnen und Realienkenntnis, so erkannten doch auch sie den Wert der realen Begegnung mit Zielsprache und Zielkultur an. Schon 1887 forderte Schröer, der nicht zum Kern der Neusprachenreform zu zählen ist, dass jeder Schulamtskandidat der englischen Philologie nach England gehen solle und nicht nur besonders Auserwählte (vgl. Schröer, 1887, S. 36f.), wie Herrig und Viehoff schon 1848 angemahnt hatten (vgl. Herrig & Viehoff, 1848, S. 229; 231). Schröer schlägt vor, dass deutsche Lehrer an englischen Schulen unterrichten könnten, um ihren Auslandsaufenthalt zu finanzieren; damit bringt er eine Idee ein, die heute im Pädagogischen Austauschdienst (PAD) realisiert ist.

Neben den offenkundigen Zielen, vor Ort die fremde Sprache vor allem in der mündlichen Kommunikation zu üben sowie Sitten und Gebräuche im anderen Land kennen zu lernen, sahen einige auch Aspekte der Völkerverständigung und Friedenssicherung gegeben: „Wir hoffen von ihnen [= den Neuphilologen] einen großen Einfluß auf die Stellung der Völker unter einander: Wir sehen in ihnen die mächtigste Friedensarmee“ (Schmeding, 1889, S. 94). Der Erste Weltkrieg hat diese Hoffnung 25 Jahre später zerbrechen lassen.

Betrachtet man die Einrichtung von Ferienkursen für Lehrer im In- und Ausland, die in den Fachzeitschriften regelmäßig enthaltenen detaillierten Informationen über Beherbergungs- und Kontaktmöglichkeiten in Zielländern, die Gewährung von Reisestipendien in den Jahrzehnten zwischen 1880 und 1914 und die breite Palette an Berichten über Fremdsprachenunterricht und Fremdsprachenlehrerbildung in anderen Ländern, dann wird offenbar, dass in der Zeit der neusprachlichen Reform zum ersten Mal ein über die Ländergrenzen hinweg stattfindender Austausch zu diesen Fragen, ein Lernen vom Nachbarn und ein internationaler Diskurs zu Bildungs- und Ausbildungsfragen stattfand (dazu Klippel, 2020).

2.4Forschung

Weder Reformgegner noch Reformer plädierten für eine Rückkehr zum alten Konzept des Sprachmeisters aus früheren Jahrhunderten, der allein kraft seiner eigenen muttersprachlichen oder erworbenen Sprachkompetenz lehrt. Vielmehr ist man sich darin einig, dass Französisch- und Englischlehrer an den höheren Schulen wissenschaftlich gebildet sein müssen. “Zum Lehrer eines Gymnasiums oder Realgymnasiums taugt nur, wer wissenschaftlich geschult ist und wissenschaftliches Verständnis der Materien besitzt, welche er lehren soll“ (Körting, 1887, S. 40). Dieses wissenschaftliche Verständnis des Faches setzt den Neusprachler dem Altsprachler gleich. Es führt aber auch dazu, dass zahlreiche Lehrer der damaligen Zeit forscherisch tätig wurden. Das zeigt sich zum ersten an dem großen Anteil promovierter Fremdsprachenlehrer, wie dies aus den Mitgliederlisten des Allgemeinen Deutschen Neuphilologenverbandes ersichtlich wird: Von den 2182 Mitgliedern des Verbandes, die der Konferenzbericht zur 14. Versammlung 1910 in Zürich auflistet, tragen weitaus mehr als die Hälfte einen Doktortitel (vgl. Vorstand des Allgemeinen Deutschen Neuphilologenverbands, 1911, S. 137-173). Zum zweiten ist die Publikationstätigkeit der Lehrer jener Zeit erheblich: Allein zum Thema der Neusprachenreform verzeichnet die Bibliographie von Breymann (1895 und 1900) für den Zeitraum von 1875 bis 1899 über 1200 theoretische Veröffentlichungen in Fachzeitschriften, Schulprogrammen und Einzelpublikationen. Ein Großteil dieser Schriften wurde von Lehrern verfasst. Körting sieht denn auch in der wissenschaftlichen Tätigkeit einen Weg zur Erfüllung im Beruf:

Der Gymnasiallehrer, welcher nicht wissenschaftlich arbeitet, wird nothwendigerweise zum Routinier, zum Handwerker und noch dazu meist zu einem Handwerker, der sein Handwerk ohne Liebe, vielleicht sogar mit innerem Widerwillen eben nur des Brotverdienstes willen betreibt. Nur durch wissenschaftliche Arbeit wahrt der Gymnasiallehrer sich die Berufsthätigkeit und die Berufsfreudigkeit. Nicht freilich, als ob ein jeder schriftstellerisch thätig sein müsste. Das kann unmöglich gefordert werden, denn das ist nur dem möglich, der besondere Neigung und Begabung dazu besitzt. Aber ein Jeder soll irgend etwas arbeiten, soll das Fortschreiten seiner Fachwissenschaft verfolgen, soll darnach streben, auch in irgend ein Einzelgebiet derselben, und wäre es ein noch so eng begrenztes, so tief einzudringen und es so vollständig zu beherrschen, wie er es nur irgend vermag. (Körting, 1887, S. 40f.)

In die Reformzeit fallen auch die Anfänge der Lehrerforschung, im Rahmen derer Fremdsprachenlehrer ihren eigenen Unterricht über einen langen Zeitraum hin beobachten, dokumentieren, analysieren und ggf. verändern (dazu Klippel, 2013). Am bekanntesten ist wohl das mehrjährige Unterrichtsprojekt von Hermann Klinghardt (1888), der aber nur einer der vielen experimentierfreudigen Lehrer der Zeit war.

Von Forschung zur Lehrerbildung kann man bei den meisten Veröffentlichungen zum Thema aus der Zeit vor 1914 nach heutigem Verständnis wohl kaum sprechen, wenngleich sich in einigen der Grundsatzüberlegungen, so etwa bei Körting (1887) oder Schröer (1887) durchaus Ansätze für eine theoretisch-konzeptuelle Darstellung erkennen lassen. Insofern lag der Schwerpunkt vor gut 120 Jahren auf ganz anderen Gebieten als heute. Vergleicht man die wissenschaftliche Diskussion zum Fremdsprachenlehrer-Werden und Fremdsprachenlehrer-Sein damals und heute, wie sie Caspari (2016) prägnant in zehn Thesen zusammengefasst hat, so fällt vor allem auf, dass die Innensicht auf den Lehrerberuf heute wesentlich stärker berücksichtigt wird. Dass es im Hinblick auf die Forschungsansätze große Unterschiede gibt, ist nicht verwunderlich; schließlich steckte die empirische Forschung in den Geisteswissenschaften damals noch in den Kinderschuhen. Historische Forschung zu Fremdsprachenlehrern war damals wie heute rar. Die Geschichte der Fremdsprachenlehrerbildung verdient jedoch mehr Aufmerksamkeit, denn in ihr zeigen sich Grundmuster, die uns bis heute begleiten.

Literatur

Brandl, Alois (1907). Neuere Sprachen. In Versammlung Deutscher Philologen und Schulmänner (Hrsg.) Universität und Schule. Vorträge auf der Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner am 25. September 1907 zu Basel (S. 23-31). Leipzig und Berlin: Teubner.

Bratuschek, Ernst (Hrsg.) (1877). Böckh, August: Encyklopädie und Methodologie der philologischen Wissenschaften. Leipzig: Teubner.

Breymann, Hermann (1895). Die neusprachliche Reform-Literatur 1876-1893. Eine bibliographisch-kritische Übersicht. Leipzig: Deichert.

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Grammatik im Übungsapparat von Französischlehrwerken (1970 – 2020)

Jürgen Mertens

Der Aufbau eines Inventars an sprachlichen Mitteln hatte in allen Strömungen der fachdidaktischen Methodengeschichte einen zentralen Platz inne. Dieser Beitrag befragt daher Lehrwerke der letzten 50 Jahre danach, welche Rolle sie der Grammatik zuweisen und wie bzw. ob es ihnen gelingt, neue Impulse aus der Forschung zu integrieren.

1Einleitung

Der im Titel genannte Zeitraum ist nicht ohne Grund mit Bezug zu Daniela Caspari gewählt. Wie für den Autor dieser Zeilen steht er für den Beginn ihrer Begegnung mit Fremdsprachen als Schülerin und für das Jahrzehnt, in dem ihre (haupt-)berufliche Beschäftigung mit Fragen des Lehrens und Lernens von Sprachen ausklingen wird. Zugleich definieren diese Jahreszahlen die Eckpunkte eines Zeitraums, für den auf der Basis historischer schriftlicher Quellen, Lehrwerken eines den Französischunterricht in Deutschland maßgeblich prägenden Verlagshauses, Entwicklungstendenzen abgeleitet werden sollen.

Grammatik ist in der französischdidaktischen Diskussion nicht im Zentrum des Interesses, auch wenn die Beschäftigung mit dem, was man mittlerweile als sprachliche Mittel bezeichnet, wieder zunimmt (z. B. Bürgel & Reimann, 2017). Die Mehrzahl der Arbeiten, die sich mit Grammatik und ihrer Vermittlung im Unterricht beschäftigen, ist weitgehend methodischer Natur, es geht vielfach um praktische Vorschläge, auf welche Art und Weise die eine oder andere Grammatikstruktur eingeführt, geübt und gelernt werden kann. Nur selten finden sich Arbeiten, die die Vermittlung von Grammatik zum Gegenstand der Forschung machen. Eine solche ist die von Schäfer (2017) zum Thema grammatische Erklärfilme, dem sie sich aus mediendidaktischer Perspektive widmet. Eher konzeptioneller Natur sind Arbeiten (v. a. Bürgel & Siepmann, 2015; Siepmann, 2016), die Möglichkeiten der Auswahl wie auch die Vermittlung von Grammatik auf der Basis korpuslinguistisch erzeugter Daten sondieren. Ausgehend von einem weiten Kollokationsbegriff wird data-driven-learning als methodischer Weg zum Sprachenlernen vorgeschlagen. Im Gegensatz zu Segermann (2005), wo lexiko-grammatische Bausteine vorgegeben werden, soll auf der Basis von Konkordanzdarstellungen (z. B. sur vs. à Paris) der Fokus auf die Anleitung zur Abstraktion von dahinterliegenden Konzepten (sur Paris à ‹vorübergehend›; à Paris ‹dauerhaft›, ‹kurz›), sogenannter Konstruktionen («idiomatische[n] Form-Bedeutungspaarungen»; Siepmann, 2016, S. 21) gelegt und somit der Bezug von Form und Inhalt bewusst gemacht werden.