Fremdsprachenunterricht in Geschichte und Gegenwart -  - E-Book

Fremdsprachenunterricht in Geschichte und Gegenwart E-Book

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Beschreibung

Mit intellektueller Originalität, wissenschaftlicher Strenge und theoretischer Prägnanz hat Marcus Reinfried die Didaktik der romanischen Sprachen geprägt. Er ist für seine Forschungsarbeiten zur Geschichte des Fremdsprachenunterrichts sowie im Bereich der Methoden, der Medien-, Mehrsprachigkeits- und Landeskundedidaktik bzw. Interkulturalität national wie international be- und anerkannt. Seinen 65. Geburtstag haben FreundInnen, KollegInnen und SchülerInnen zum Anlass genommen, ihn und sein Schaffen mit einem Band zu würdigen, der die Forschungsfelder dieses geschätzten Wissenschaftlers wiedergibt. Die Beiträge lassen sich zwei großen Themen zuordnen: Fremdsprachenunterricht in historischer Perspektive und Facetten neokommunikativen Fremdsprachenunterrichts.

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Seitenzahl: 632

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Fremdsprachenunterricht in Geschichte und Gegenwart

Festschrift für Marcus Reinfried

Hélène Martinez / Prof. Dr. Franz-Joseph Meißner

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

 

 

© 2018 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.narr.de • [email protected]

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

ePub-ISBN 978-3-8233-0116-5

Inhalt

Tabula GratulatoriaVorwortDie Frontispize in der Grammaire Royale et Françoise von Robert Jean Des PepliersWalter Kuhfuß1 Französischlernen à la Cour2 Die Ursituation: Telemachos, Athene und Mentor3 Unter dem Schutz des Landesherrn: Sachsen4 Vom Hof zur Stadt oder: von Ludwig XIV. zu Friedrich dem Großen5 Französisch am aufklärerischen Wissensort: die Bibliothek6 FazitLiteraturBildnachweiseMehrsprachige Grammatiken im 19. Jahrhundert? Ein Blick auf die Internationale Grammatik von Friedrich Gottlieb DeutschChristiane Fäcke1 Einleitung2 Französischunterricht im 19. Jahrhundert3 Fremdsprachenlehrer und ihre Methoden4 Die Internationale Grammatik von Friedrich Gottlieb Deutsch5 Zwischen Grammatik-Übersetzungs-Methode und Mehrsprachigkeit — Fremdsprachenunterricht im 19. Jahrhundert zwischen Tradition und Innovation6 AusblickLiteraturMusik im Französischunterricht. Ein historisches AperçuAndreas Rauch1 Einleitung2 Frühe Formen des Musikeinsatzes im Französischunterricht3 Der Musikeinsatz im Französischunterricht im Rahmen der neusprachlichen Reformbewegung4 Die Integration verschiedener Medien innerhalb der direkten Methode als komplexe Anwendung des Liedeinsatzes5 ZusammenfassungLiteraturGrundthemen der Lexisvermittlung im Englischunterricht: Historische Dimensionen, aktuelle PerspektivenLaurenz Volkmann1 Grammatik und/oder Lexis?2 Mönchische Sprachexerzitien oder kaufmännische Lexisbeherrschung?3 Lexis im berufsbezogenen Kontext: Eine hybride Methode des Mittelalters4 Richtungsweisende Stimmen der Renaissance und frühen Neuzeit5 Die These einer ‚weiblichen Tradition‘ des Fremdsprachenerwerbs durch Konversation im 19. Jahrhundert6 „Sensualistische“ Positionen der Reformbewegung um 18807 Sinnerschließung mit Literatur und/oder Fremdsprachenerwerb?8 Das neue Paradigma: Mentales Lexikon und SemantisierungstechnikenLiteraturZur Geschichte der fremdsprachendidaktischen Fachbegriffe der rezeptiven MündlichkeitFranz-Joseph Meißner1 Aufriss2 Unterrichtstechnische, bezugswissenschaftliche und soziokulturelle Rahmung3 Hörverstehen im internationalen Diskurs4 Hörverstehen in der deutschsprachigen Fremdsprachendidaktik: begriffliche Füllung und Verbreitung5 Hörsehverstehen (audio-visual reception, comprensión audiovisual)6 ErgebnisseLiteraturÉthique professionnelle et disciplinarisation du français langue étrangère : quelques exemples en territoire allemandJavier Suso LópezIntroduction1 Le contexte de la profession naissante : professeur de français2 La matière « français » aux yeux des maîtres et professeurs au XVIIIe siècle3 Quatre cas : Johan Valentin Meidinger, Charles de Laveaux, Jean-Baptiste Daulnoye, Charles de VilliersConclusionBibliographieRegard sur l’histoire du comité de l’Alliance Française d’Amsterdam 1895-...Marie-Christine Kok Escalle1 1895 Création du Comité de l’Alliance Française d’Amsterdam2 1899-1908 Influence de l’Affaire Dreyfus3 1914-1919 Mise en sourdine4 1920-1930 Coopération des Comités de l’Alliance Française5 Dans les années ’30, abondance de conférences à Amsterdam6 Langue et culture / Culture et langue : rapports avec la Maison Descartes7 Après la guerre, priorité donnée à l’enseignement de la langueBibliographieUne doctrine pour l’enseignement du français dans les colonies ? Regards sur Le congrès intercolonial de l’enseignement dans les colonies et dans les pays d’Outre-mer tenu à l’occasion de l’Exposition coloniale de 1931Gérard Vigner1 Un empire déjà fragilisé2 Congrès, expositions universelles et expositions coloniales3 La place de la langue française dans les politiques de colonisation4 Assimilation ou association5 Le Congrès de l’Alliance Française6 La Mission Laïque Française7 Paul Crouzet, maître d’œuvre du Congrès8 Langue française et langues indigènes9 L’enseignement des langues dans les autres systèmes coloniaux10 Des perspectives ?BibliographieDie Neueren Sprachen (1894 bis 1900): Schwerpunkte des Reform-DiskursesFriederike Klippel1 Der Kontext2 Die Neueren Sprachen 1894 bis 19003 Die philologischen und fachdidaktischen Beiträge4 Schwerpunkte des fachdidaktischen Diskurses: Themen und Aspekte5 Schwerpunkt Lehrerbildung: Ausländische Lehrerinnen und Lehrer im Ausland6 Neuphilologie: Wissenschaft und Praxis7 Blicke in die Praxis8 Hilfen für die Praxis9 Methodik10 AufbruchstimmungLiteraturGlanz und Elend Neuphilologischer Verbandsarbeit – vom ADNV über den FMF zum GMFHermann Funk1 Verbandsarbeit in der Weimarer Republik – reaktionäre Moderne und organisatorische Innovation2 Philologische Verbandsarbeit nach 1945 – Restauration, Wandel und Niedergang3 Auflösung des FMF und fachpolitische Marginalisierung des GMFLiteraturNote sur quelques aspects des rapports entre linguistique et linguistique appliquée dans les années 1960 en FranceDaniel Coste1 La linguistique à l’honneur2 La linguistique appliquée comme adjuvant et argument3 Prises de distance ?4 Dernier motRéférences bibliographiquesEin Plädoyer für den kommunikativen Fremdsprachenunterricht – und gegen den Hang zur VerabsolutierungFrank G. Königs1 Einleitung2 Das Unbehagen an einer Verabsolutierung des kommunikativen Ansatzes3 Die Verabsolutierung des Kommunikationsbegriffs und ihre Folgen4 FazitLiteraturFormen und Funktionen von Vokabelverzeichnissen in Lehrwerken der (neo-)kommunikativen ÄraJürgen Mertens1 Einleitung2 Der neo-kommunikative Fremdsprachenunterricht3 Zur Eingrenzung des Gegenstands4 Quantitative Betrachtung des Wortschatzes der Vokabelverzeichnisse6 Funktionen des Vokabelverzeichnisses7 Fazit und AusblickLiteraturUntersuchte LehrwerkeDie Komplexität von Sprachmittlungsaufgaben erfassenMark BechtelEine exemplarische AufgabenanalyseLehren und Lernen von Fremdsprachen im Kontext der DigitalisierungInez De Florio-HansenMedienbildung und Medienkompetenz1 Einleitung2 Gesetzliche Vorgaben zur Medienpädagogik in Schule und Unterricht3 Beispiele zum Lernen über digitale Medien im Englischunterricht4 SchlussbemerkungLiteraturBilder im Französischunterricht: Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 im Spiegel politischer KarikaturenIngeborg Christ1 Einleitung2 Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Jahr 2017 in Frankreich3 Karikaturen/Dessins de presse4 Die Wahlen 2017 in Frankreich im Spiegel der dessins de presse5 Der Sieger im Wahlkampf – Macron in der Karikatur6 Erfolg von LREM bei den Parlamentswahlen in der Zeitungskarikatur7 Erste Enttäuschungen/Erste Kritiken8 Einige sprechende bildnerische Elemente9 Zeitungskarikaturen — ,Türöffner‘ und ,Herausforderung‘10 FazitLiteraturSchülerseitige Aushandlungsprozesse bei der Bearbeitung sprachenübergreifend gestalteter AufgabenSteffi Morkötter1 Schülerseitige Aushandlungsprozesse – Untersuchungen und Begriffe2 Zur vorliegenden Untersuchung3 Schülerseitige Aushandlungsprozesse — erste Ergebnisse4 Zusammenfassung und SchlussfolgerungenLiteratur« Je veux qu‘à la fin ils se sentent un peu plus à l‘aise de parler »: Die Sicht von Tutor/innen auf das Lehren und Lernen in Konversationskursen eines universitären SprachenzentrumsDagmar Abendroth-Timmer1 Kontext und Fragestellung der Studie2 Theoretischer Rahmen3 Forschungsdesign4 Einzelfallanalyse5 Abschließender Blick auf die Interviewdaten im QuerschnittLiteraturAnhang: Interviewleitfaden und Fragebogen zum MOTAUME-ProjektMarcus ReinfriedMitglied- und HerausgeberschaftenSchriftenverzeichnis1 Bücher2 Herausgeber- und Redaktionstätigkeiten2.1 Herausgabe von Zeitschriften2.2 Koordination von Zeitschriften/Themenheften3 Artikel und Aufsätze

Tabula Gratulatoria

Abendroth-Timmer, Dagmar, Siegen

Bär, Marcus, Wuppertal

Bechtel, Mark, Osnabrück

Blume, Otto-Michael, Hilden

Brunzel, Peggy, Gießen

Christ, Ingeborg, Düsseldorf

Costadura, Edoardo, Jena

Coste, Daniel, Paris (Frankreich)

Dahmen, Wolfgang, Jena

De Florio-Hansen, Inez, Kassel

Fäcke, Christiane, Augsburg

Finkbeiner, Claudia, Kassel

Funk, Hermann, Jena

García, Marta, Göttingen

Giesler, Tim, Bremen

Hammerschmidt, Claudia, Jena

Haßler, Gerda, Potsdam

Kahn, Gisèle, Paris (Frankreich)

Käsebier, Bernd, Osnabrück

Klippel, Friederike, München

Koch, Corinna, Paderborn

Kok Escalle, Marie-Christine, Utrecht (Niederlande)

Königs, Frank G., Marburg

Kuhfuß, Walter, Trier

Martinez, Hélène, Gießen

McLelland, Nicola, Nottingham (Großbritannien)

Meißner, Franz-Joseph, Gießen

Melo-Pfeifer, Silvia, Hamburg

Mertens, Jürgen, Ludwigsburg

Morkötter, Steffi, Rostock

Neveling, Christiane, Leipzig

Pfeiffer, Alexander, Halle (Saale)

Rauch, Andreas, Chemnitz

Reimann, Daniel, Essen

Rück, Nicola, Einbeck

Santos, Ana Clara, Faro (Portugal)

Schädlich, Birgit, Göttingen

Schiffler, Ludger, Berlin

Schlösser, Rainer, Luckenwalde

Schmelter, Lars, Wuppertal

Schröder-Sura, Anna, Rostock

Schumann, Adelheid, Siegen

Smith, Richard, Coventry (Großbritannien)

Suso López, Javier, Granada (Spanien)

Tesch, Bernd, Kassel

Vigner, Gérard, Paris (Frankreich)

Volkmann, Laurenz, Jena

Vorwort

Hélène Martinez/Franz-Joseph Meißner

Es war Freunden und Kollegen ein Bedürfnis, Marcus Reinfried anlässlich seines 65. Geburtstags angemessen zu würdigen. Mit der vorliegenden Festschrift möchten die Herausgeber – gemeinsam mit den Autoren – den Jubilar für seine fachliche Leistung und sein großes fachdidaktisches Engagement in Fachverbänden ehren.

Mit intellektueller Originalität, wissenschaftlicher Strenge und theoretischer Prägnanz hat Marcus Reinfried die romanistische Fremdsprachendidaktik der letzten Jahrzehnte mitgeprägt. Die Arbeitsschwerpunkte des Jubilars reichen von der Methodengeschichte und Methodik über die Medien-, Mehrsprachigkeits- und Landeskundedidaktik bzw. Interkulturalität bis hin zur Geschichte des Fremdsprachenunterrichts.

Besonders der Begriff ,Geschichte‘ ist mit der Person Marcus Reinfried – der neben Romanistik und Germanistik auch Geschichte studiert hat – verbunden. Der Geschichte des Fremdsprachenunterrichts ist er in zahlreichen Publikationen nachgegangen und er selbst schreibt die Geschichte der Fremdsprachendidaktik weiter. Der Titel für die vorliegende Festschrift lag auf der Hand!

Marcus Reinfrieds Interesse für historische Fragestellungen offenbart sich bereits in seiner mit dem Straßburg-Preis prämierten Promotionsarbeit Das Bild im Fremdsprachenunterricht (1992), in der er den Einsatz von Bildern im Fremdsprachenunterricht über Jahrhunderte hinweg, speziell im Französischunterricht, beleuchtet.

Seit dem Anfang der 90er Jahre legt er weitere Studien zur Geschichte des Fremdsprachenunterrichts vor, darunter: „Les origines de la méthode directe en Allemagne“ (1990), „Et l’image vint – le mouvement réformiste du XIXe siècle en Allemagne et l’enseignement par l’aspect“ (1993), „Landeskundliche Abbildungen in Französischlehrbüchern“ (1994). Dass sein fremdsprachendidaktisches Interesse nicht bei Fragen bildlicher Darstellungen und ihrer Funktion im Fremdsprachenunterricht verharrte, belegen die Aufsätze „Psycholinguistische Überlegungen zu einer sprachbezogenen Landeskunde“ (1995), „Die Ausbildung zum neusprachlichen Gymnasiallehrer: eine Reform ist überfällig“ (mit Blick auf Baden-Württemberg) (1997), „Von der Realien- zur Kulturkunde: frankreichkundliche Paradigmen als dialogische Konstrukte im deutschen Französischunterricht“ (1999), „L’enseignement du français subit-il une crise ? Regards sur son évolution en Allemagne depuis le Traité de l’Elysée“ (2002), „Die romanischen Schulsprachen im deutschen Schulwesen des Dritten Reichs: sprachenpolitische Maßnahmen und bildungsideologische Diskurse“ (2013), „Institutionnalisation et concurrence : la langue française et anglaise dans les écoles secondaires en Allemagne“ (2014), „Geschichte des Fremdsprachenunterrichts bis 1945“ (2016), „The historiography of modern language teaching: from national views to a European Perspective“ (2018) – um nur einige Titel zu nennen, die Marcus Reinfried z. T. neben seinem Schuldienst erstellte. Als einer der wenigen Experten für die Geschichte des Fremdsprachenunterrichts in Deutschland ist Marcus Reinfried nicht nur ein aktives Mitglied der Société Internationale d’Histoire du Français Langue Etrangère et Seconde (SIHFLES), sondern er war auch deren Präsident. Beides erklärt seine Mitgliedschaft im comité scientifique der international reputierten Zeitschrift Documents pour l’Histoire du Français Langue Étrangère et Seconde.

Auf welche Weise er die wissenschaftliche fachdidaktische Diskussion und die neuere Geschichte des Fremdsprachenunterrichts weiterhin prägt, belegen die von ihm herausgegebenen Sammelbände, die wiederum insgesamt von einem breiten Interesse zeugen, welches wichtige Bereiche der fremdsprachendidaktischen Forschung umfasst. Zu nennen wären der vielzitierte Band Mehrsprachigkeitsdidaktik. Konzepte, Analysen, Lehrerfahrungen mit romanischen Sprachen (zus. mit F.-J. Meißner) (1998), Bausteine für einen neokommunikativen Fremdsprachenunterricht (ebenfalls) (2001), Frühes Fremdsprachenlernen im Blickpunkt (zus. mit A. Kierepka, R. Krüger und J. Mertens) (2004), Innovative Entwicklungen beim Lehren und Lernen von Fremdsprachen (zus. mit N. Rück) (2011), Medien im neokommunikativer Fremdsprachenunterricht. Einsatzformen, Inhalte, Lernerkompetenzen (zus. mit L. Volkmann) (2012).

In dem sehr deutschen Diskurs zur Rolle des Radikalen Konstruktivismus für die Theorie des Lehrens und Lernens fremder Sprachen wies Reinfried darauf hin, dass das Paradigma der ,autopoetischen‘ Verarbeitung mentaler Daten wichtige Fragen offenließ. Der in Fremdsprachen Lehren und Lernen (1999) erschienene Aufsatz „Der Radikale Konstruktivismus: eine sinnvolle Basistheorie für die Fremdsprachendidaktik?“ wurde in verschiedenen Fassungen mehrfach nachgedruckt.

Unter dem Neologismus eines ,neokommunikativen‘ Ansatzes hat er versucht, Klärung in das begriffliche Wirrwarr des vorherrschenden Methodensynkretismus zu bringen. Eine konsistente Theorie des heutigen Lehrens und Lernens fremder Sprachen entwickelt Marcus Reinfried aus den Begriffen und der Zahl ihrer Belege in der Bibliographie Moderner Fremdsprachenunterricht. So gelingt es ihm 42 fachdidaktische Neologismen in einem Tableau bzw. Großkonzept zusammenzuführen, das unter den Oberbegriffen Handlungsorientierung, fächerübergreifendes Lernen, ganzheitliche Spracherfahrung und Lernerorientierung Begriffe aus zwei untergeordneten Stufungen zusammenfasst. Wie folgerichtig das Prozedere erscheint, dokumentiert beispielhaft das folgende Bild:

Abb. 1:

Begriffsknoten „Fächerübergreifendes Lernen“ (nach Reinfried 2001)

Der knappe Ausschnitt zum Knoten ‚Fächerübergreifendes Lernen‘ und seine neben- und nachgeordneten Verknüpfungen verdeutlichen die gegenseitige Abhängigkeit (Komplexion) der didaktischen Steuerungs- und Kontextbegriffe und ihre semantischen Überlappungen, und zwar auf allen drei Ebenen. Reinfrieds aus der Marburger Bibliographie Moderner Fremdsprachenunterricht generiertes Schaubild spiegelt den Gang des fremdsprachendidaktischen Diskurses im Berichtszeitraum. Reinfried selbst erkennt die hierin liegende Relativierung und betont damit die Notwendigkeit einer ständigen Weiterführung. Das in sich keinesfalls abgeschlossene Paradigma des neokommunikativen Fremdsprachenunterrichts bedarf also in der Tat ständiger Aktualisierung. Dies zeigen schon die heute zentralen Bewegungsbegriffe des Fremdsprachenunterrichts, etwa: Kompetenzen, Sprach- und Sprachlernbewusstheit, Text und Medien in unterschiedlichen Kotexten, Sprachmittlung, Hörsehverstehen, neue Lehrerrollen (Lernberater, language learning facilitator) usw.

Marcus Reinfried hat sich in vielfacher Weise, wie bereits deutlich wurde, für die deutsch-französischen Beziehungen auf dem Feld der historischen Forschung zum Fremdsprachen-, insbesondere zum Französischunterricht, hervorgetan. Hierzu gehört sein langjähriges Engagement im erweiterten Vorstand der Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer, als Vorsitzender des VdF-Landesverbandes Baden-Württemberg und nicht zuletzt in der Redaktion der Zeitschrift französisch heute, zu deren Etablierung in der Fachliteratur Reinfried maßgeblich verhalf. Die Französische Republik hat ihn dieser vielen Verdienste wegen mit der Aufnahme in den Orden der Palmes Académiques geehrt.

Den Autorinnen und Autoren, die sich an dieser Hommage beteiligt haben, sei noch einmal herzlich für Ihre Mitarbeit gedankt. Einige, die aus zeitlichen Gründen verhindert waren, und viele andere, die sich Marcus Reinfried verbunden fühlen, finden sich in der Tabula gratulatoria. Ein besonderer Dank gilt auch allen Mitwirkenden bei der Erstellung der Festschrift, insbesondere Sophie Engelen (Gießen), Nevena Stamenkovic (Gießen) und Anja Hastrich (Gießen).

Die Beiträger dieses Sammelbandes sind mit Marcus Reinfried auf die eine oder andere Weise beruflich und freundschaftlich mehr oder weniger, z. T. über Jahrzehnte hinweg verbunden. Dies gilt zuvorderst für Hélène Martinez und Franz-Joseph Meißner, die dem Jubilar mit der vorliegenden Festgabe für die Freundschaft und den gemeinsam gegangenen Weg danken möchten.

Und für den neuen Lebensabschnitt gilt: Vivat, crescat, floreat ad multos annos.

 

Gießen, im Februar 2018

 

Hélène Martinez und Franz-Joseph Meißner

Die Frontispize in der Grammaire Royale et Françoise von Robert Jean Des Pepliers

Walter Kuhfuß

Um 1700 enthalten die Lehrbücher des Französischen in der Regel keine Illustrationen, schon gar nicht solche, welche die Lernprozesse der Sprachenschüler unterstützen. Erst in Basedows Elementarwerk und in seinem auf der sinnlichen Anschauungsmethode basierenden Unterricht am Dessauer Philanthropin wird gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein Bild systematisch benutzt, um dem Lerner einen direkten Zugang zu der Bedeutung eines Wortes bzw. eines Satzes zu ermöglichen (Reinfried 1992, 135). Deshalb verwundert es nicht, dass die Lektionen in dem ab 1689 am häufigsten verkauften Lehrbuch des Französischen, Des Pepliers‘ Grammaire Royale et Françoise1, ganz ohne veranschaulichende Bilder auskommen. Aber im Gegensatz zu den meisten anderen Lehrbüchern des Französischen in dieser Zeit enthalten viele (geschätzt zwischen 50 und bis zu 100) Auflagen der Grammaire eine Illustration gegenüber dem Titelblatt, ein Frontispiz: eine kostspielige Investition des Verlegers, die nur bei dem zu erwartenden hohen Absatz des Buches getätigt werden konnte, schließlich musste der Kupferstecher bezahlt und das Bildprogramm entwickelt und künstlerisch umgesetzt werden. Nicht die Lernunterstützung der Sprachschüler war das Motiv für diese Illustrationen, sondern die Visualisierung des zentralen Anliegens von Des Pepliers‘ Grammaire Royale und damit die Werbung für den Kauf des Buches. Im Lauf des 18. Jahrhunderts und mit dem Wechsel der Verlage verändern sich freilich die Frontispize in aufschlussreicher Weise und demonstrieren den kulturellen Wandel eines mythologischen, politischen und pädagogischen Bild- und Ideenprogramms. Das soll am Beispiel einiger ausgewählter Illustrationen gezeigt werden.

1Französischlernen à la Cour

Die Titelformulierung in Des Pepliers‘ Lehrbuch Grammaire Royale in der Auflage von 1693 begründet die autobiographische Legende, die der Autor selbst geschaffen hat: „Des Hertzogs von Burgund Hofmeister“. Mit dem Duc de Bourgogne konnte in den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts nur Louis, Dauphin von Frankreich, Herzog von Burgund (* 6. August 1682 in Versailles; † 18. Februar 1712 in Marly-le-Roi), der älteste Sohn des französischen Thronfolgers Louis de Bourbon und der älteste Enkel Ludwigs XIV. gemeint sein.1 Außer dieser Selbstzuschreibung weiß man nichts von Des Pepliers‘ Leben und deshalb darf man dieser Tätigkeitszuschreibung stark misstrauen.2 Der Autor spielt mit dem höchsten Berufsbild für einen zeitgenössischen Sprachmeister, denn eigentlich hatte Fénelon, der Erzbischof von Cambrai, für die hervorragende Erziehung des jungen Prinzen gesorgt. In diesen hocharistokratischen Kreis zielt Des Pepliers mit seiner autobiographischen Angabe; auch die Titelformulierung Grammaire Royale (,royal‘ heißt im zeitgenössischen Sprachgebrauch königlich, aber auch exzellent3) und die Illustration gehen in die gleiche Richtung – ohne ihn allerdings zu genau festzulegen: Eine kalkulierte Uneindeutigkeit.

Abb. 1:

Des Pepliers, Grammaire Royale. Berlin: Völcker 1693.

Das Frontispiz (Abb. 1) zeigt die pädagogische Urkonstellation: Lehrer, Zögling und ,Stoff‘ in einer spezifischen Form, der Prinzenerziehung. Dargestellt werden die Göttin Athene, die Göttin der Weisheit, ein Prinz, der das Lehrbüchlein ergreift, und ein modisch gekleideter À-la-mode-Kavalier mit Justeaucorps-Überrock, Allonge-Perücke und zierlichem Menuett-Schritt, der dem Prinzen das Lehrbuch entgegenstreckt, und der daher der Sprachmeister (und „Erzieher des Duc de Bourgogne“) ist. Die Szene spielt vor einem wuchtigen barocken Portal, durch das der Prinz über einen pappelbestandenen (Des Pepliers!) Weg zu einem Schloss schreitet, das mit seinen Dachstatuen an die Gartenfront des Schlosses von Versailles oder/ und (wohl sehr wahrscheinlich) an die Lustgartenseite des zeitgenössischen Berliner Stadtschlosses erinnern soll – ohne diese allerdings präzise abzubilden4: Die Ambivalenzen sind durchaus gewollt.

Der Speer der Athene weist mit seiner Spitze über den Architrav hinaus zur Portalinschrift: „Grammaire Royale par M.‘ I.R. des Pepliers“ im Giebel, der von Voluten gekrönt ist – ein Import klassisch-französischer Architektur in diese Berliner Publikation. Die Botschaft ist überdeutlich. Auf dem Weg zum Zentrum der politischen Herrschaft muss sich der Prinz, geleitet von der göttlichen Lehrerin, dem Lehrbuch und dem Sprachmeister mit kontinuierlichem Fleiß dem Studium der königlich-exzellenten Grammatik hingeben. Die Berufsbezeichnung als Prinzenerzieher des möglichen Nachfolgers Ludwigs XIV., der Titel des Lehrbuchs und das Frontispiz: Für den Verkauf des Lehrbuchs waren das starke Argumente bei einer Schülerklientel aus den deutschen Oberschichten.

Der Illustrator spielt augenscheinlich mit Elementen, die im Versailler bzw. höfischen Kontext angesiedelt sind: das Schloss als kulturelles und politisches Zentrum der französischen Monarchie, die modische (und teure) Kleidung des Sprachmeisters, der außer der französischen Sprache auch französisch-höfisches Benehmen weitergeben möchte. Hinzu kommen der Titel des Lehrbuchs und die autobiographischen Elemente einschließlich des muttersprachliche Kompetenz signalisierenden Namens Des Pepliers, der zudem in die Ikonographie des Frontispizes aufgenommen wurde.5 Und doch veranschaulicht die Szene eher deutsche Wunschvorstellungen als einen realen Kulturtransfer.

Denn die Szene verbirgt eine grundlegende Ambivalenz. Es bleibt ungewiss, ob der dargestellte Prinz auf den Weg zur politischen Herrschaft geführt werden sollte, nämlich französischer König zu werden; die auf dem Umhang des kleinen Prinzen aufgebrachten heraldischen Blumenelemente sehen nur aus der Ferne wie Bourbonenlilien aus, sind aber bei näherem Hinschauen unspezifische Dekorelemente. Das Lehrbuch, das der Lernende in der Hand hält, war schließlich nicht für einen französischen Prinzen gedacht, sondern für deutsche Schüler; sie sollten durch das Erlernen der Fremdsprache Französisch in die (imaginierte) Nähe des Sonnenkönigs gelangen. Sprachliche Hilfestellung versprach ihnen der Autor in seiner vollständigen Berufsbezeichnung auf dem Titelblatt: „Informator der Frantzösisch und Teutschen Sprache“. Er bot sich also auch als Sprachmeister für die deutsche Sprache an.

2Die Ursituation: Telemachos, Athene und Mentor

Ab der sechsten Auflage1 von 1701 (Abb. 2) ist die Fassade des Schlosses im Hintergrund wegretuschiert; das Bild zeigt eine nicht mehr lokalisierbare Gartenlandschaft, in der ein Brunnen sprudelt. Auch die hochstaplerische Berufsangabe „Des Hertzogs von Burgund Hofmeister“ fällt weg. Bestehen bleibt die mythologisch-allegorische Lehrsituation vor barocker Kulisse. Athene, die antike Schutzgöttin der Lehrer, führt einen Knaben an der Hand in die Mittelachse der Abbildung, in der eine Lehrperson im langen Gewand ihm ein Buch entgegenstreckt. Auch dieser Knabe ist durch Hermelinumhang und Krone als Prinz und durch das Personal als Lernender gekennzeichnet. Der Prinz ergreift das Buch, in dessen Verlängerung, im Schnittpunkt der Diagonalen, sich der Brunnen (der Weisheit oder der Erkenntnis) befindet, zu dem der Mentor mit dem Lehrbuch den kleinen Prinzen führt. Der Prinz muss die wuchtige Toranlage durchschreiten, welche die Grammaire Royale bildet und auf der immer noch die Allegorien von Fleiß und Ausdauer stehen. Gegenüber dem modischen Höfling aus dem ‚Versailles‘ von 1693 ist Mentor nun deutlich bescheidener gekleidet, mit längerem, einfacherem Gewand und einer Körpersprache, die statt der zierlich-galanten Tanzschritte eine angemessene Demutshaltung dem höher gestellten jungen Mann gegenüber ausdrückt: Das ist der Beginn einer schrittweisen Demontage des Sprachmeisters, die schließlich mit seiner vollständigen Entfernung aus den Frontispizen endet.

Abb. 2:

Des Pepliers, Grammaire Royale. Berlin: Völcker, 7. Auflage 1702.

In der Hochphase des französischen Kultureinflusses in Deutschland bringt diese Illustration die Werbestrategie des französischen Sprachmeisters höchst anschaulich zum Ausdruck. Die Szene illustriert einen Französischunterricht, wie ihn sich der zeitgenössische Französischlehrer im ausgehenden 17. Jahrhundert erträumte und auf dessen Wirkung bei den adligen (und zunehmend den bürgerlichen) Lernern er zusammen mit dem Verlag Völcker in der preußischen Hauptstadt setzte. Sie zielt auf die zentralen Motivationen für das Fremdsprache-Lernen in der Prinzenerziehung: Sie ist die Inszenierung einer hochprivilegierten Distinktion und Bildung. In dieser Sphäre des Pompös-Mythologischen sieht sich der Sprachmeister als unentbehrlicher Mitspieler. Er ist es, der den fürstlichen Knaben zu Erkenntnis und Wissen führt. Und es ist ein modernes Wissen, das kaum mehr etwas mit der lateinischen Sprache zu tun hat, die als Wissenschaftssprache immer noch dominierte. Nur die alteuropäischen Lerntugenden der Constantia und Diligentia erinnern die Lernenden noch daran, dass es ohne hartnäckigen, immerwährenden Fleiß beim Fremdsprachenlernen nicht ging. In diesem Milieu der adligen und hochbürgerlichen Lerner ist man sich des Beistandes der Götter und des irdischen Herrschers gewiss. Über allem schwebt das Wappentier des Hauses Hohenzollern, der heraldische Adler, der von vorne mit gespreizten Flügeln zu sehen ist und Unsterblichkeit und irdische Macht symbolisiert. Zum ersten Mal dringt in dieser Veröffentlichung des Berliner Völcker-Verlags das symbolische Repertoire eindeutig preußischer, nicht französischer Machtrepräsentanz in die Illustration. Unsterblichkeit und Macht gelten zugleich dem Schutz gewährenden brandenburgisch-preußischen Herrscherhaus und dem Lehrbuch der französischen Sprache, eine ungewöhnliche Usurpation des Machtanspruchs und eine höchst selbstbewusste Werbung für ein Lehrbuch.

Das Frontispiz, welches das Lehrbuch in den Auflagen von 1701 und 1702 schmückt, hat einen subtilen Subtext. Wie die autobiographische Bezeichnung Des Pepliers‘ als Hofmeister des Duc de Bourgogne spielt das Frontispiz an auf den Abenteuer-, Reise- und Bildungsroman Les Aventures de Télémaque, fils d’Ulysse des französischen Schriftstellers François Fénelon. Dieser wurde von Ludwig XIV. zum Erzieher seines Enkels und eventuellen Thronfolgers, des Duc de Bourgogne bestimmt. Das 1699 veröffentlichte Buch war dem Illustrator der Ausgabe von 1693 allerdings noch nicht bekannt; erst die Auflagen von 1701 und 1702 konnten darauf Bezug nehmen. Darin führt der Autor den jungen Odysseus-Sohn Telemachos und dessen Lehrer Mentor (in dem sich Minerva alias Athene verbirgt und der das Sprachrohr Fénelons ist) durch diverse antike Staaten, die ähnliche Probleme hatten wie das in Kriege verstrickte und verarmende Frankreich der 1690er Jahre. Das Buch wurde nicht nur von Fénelon zur Erziehung des Herzogs von Burgund benutzt, sondern war auch ein überragender Erfolg in ganz Europa, nach dem schnell überall Französisch gelernt wurde.

Mit Athene, Mentor und Télémaque erhält die Illustration eine sowohl antike, auf die Odyssee als auch eine zeitgenössisch französische, auf Versailles bezogene und mit dem Hohenzollern-Adler eine mit dem preußischen Herrscherhaus verbundene Dimension. Diesen dreifachen Kontext aktiviert das Lehrbuch für eine Klientel, die zunehmend die französische Sprache als Vehikel für die Annäherung an griechische Mythologie2 und an französische Elitenkultur sowie für die Identifikation mit der erstarkenden europäischen Mittelmacht Brandenburg-Preußen betrachtete, denn 1701 wird Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg zum König in Preußen gekrönt. Mit dem Kauf von Des Pepliers’ Lehrbuch tritt der Schüler in die Fußstapfen des lernenden Prinzen und erfährt eine Ansehenserhöhung, die ihm der Autor in der Identifikation mit Télémaque bzw. mit der Annäherung an den von Fénelon unterrichteten Duc de Bourgogne verspricht. Die suggestive Wirkung der Illustration wird durch die Rückenansicht der zentralen Figur erzeugt; sie ist seit Giotto ein bewährtes Gestaltungsprinzip der europäischen Kunstgeschichte und lädt den Betrachter ein zu einer Gleichsetzung mit dem lernenden Prinzen - eine geniale Marketingaktion, die man durchaus bei der Frage nach dem durchschlagenden und langanhaltenden Erfolg dieses Lehrbuches mit heranziehen kann.

Mentor, der Prinzenerzieher und Sprachmeister, versinnbildlicht mit der Übergabe des Lehrbuchs eine moderne Bildung, die sich von den lateinischen Inschriften der Allegorien abhebt. Gegenüber der Hauptinschrift „Grammaire Royale“ im Mittelpunkt der Abbildung ist die lateinische Sprache an den Rand gerückt. Das moderne Französisch steht im Zentrum und wird durch die Allianz von Distinktion und Bildung mit einer pomphaft-mythologischen Aura versehen. Erworben wird freilich das Lehrbuch von einer zahlungskräftigen Kundschaft. Die Diskrepanz zwischen dem angezielten Versprechen im mythologischen Gewand und der im Bild unterschlagenen banalen Realität der Kauferwartung gibt der Darstellung etwas Zwiespältiges, wenn nicht gar Verlogenes. Nichts war der ökonomischen Lage eines Sprachmeisters in Deutschland entfernter als der Luxus und die Verschwendung des Sonnenkönigs. Schon eine teure Allonge-Perücke hätte er sich kaum leisten können. Als meist ,ungelernte‘ Arbeitskräfte und ,Ausländer‘ hatten Sprachmeister eine in Deutschland häufig unsichere Position und vielfach keine Zunft- oder Bürgerrechte, dafür aber ein hohes Interesse daran, ihre soziale Position durch die Zuweisung prestigefähiger Berufsbezeichnungen und Tätigkeiten sowie ihren Lebensunterhalt durch die Auflagenhöhe ihrer Lehrbücher zu verbessern.

Französischlernen bezieht um 1700 seine soziale und individuelle Kraft aus dem Wunsch der Lernenden und des Erziehungspersonals nach Identifikation mit der fremden Hochkultur und ihren Leitfiguren. Das Versprechen, der Französisch lernende Mensch werde zu einem Franzosen, zumindest könne er Französisch so authentisch sprechen lernen, dass man ihn nicht mehr von einem muttersprachlichen Franzosen unterscheiden könne, begleitet die Unterrichtsgeschichte seit 1600; als hohes Lob für einen Fremdsprachenschüler hat es in Deutschland seine Gültigkeit bis heute nicht ganz verloren. Bereits der Kölner Sprachlehrer Doergang verspricht 1604 dem eifrigen Schüler die Verwandlung in einen jungen Franzosen („Gallus eris“) als Ziel seines Französischunterrichts (Doergangius 1604, 23). Und noch in der Ausgabe der Grammaire Royale von 1794 wird dem Französischschüler als Ziel seiner Anstrengungen versprochen, ,ein Franzosen=ähnlicher Deutscher‘ zu werden, eine nun durch das aufkommende nationalstaatliche Paradigma des Französischunterrichts vorgenommene Eingrenzung des Zielversprechens.

Das Identifikationsversprechen ist Ausdruck eines Französischunterrichts um 1700, dessen übereinstimmende Elemente in den Wünschen der Lernenden bestanden nach Übernahme des Kulturmodells des zentralistischen Absolutismus, der Sprache und Kultur des französischen Hofes in Versailles und der großbürgerlichen Salons in Paris. Mit dem Erlernen der französischen Sprache verbanden viele Lernende aus den deutschen Oberschichten den Wunsch nach Aneignung des aristokratischen Leitbildes der Honnêteté und des distinguierten galanten Verhaltens (conduite galante). Sie lernten ein Französisch, in dem das Mündliche (neben dem Briefeschreiben) dominierte und übernahmen damit zugleich eine gesellschaftlich hoch angesehene Gesprächskultur.

Die Gründe für den Transfer der französischen Sprache und Kultur in die Oberschichten im Alten Reich sind bekannt: Französisch bedeutete Modernität im Vergleich mit dem Lateinischen. Vor allem nach dem Dreißigjährigen Krieg wollten sich die Fürsten allmählich von den alten Reichsinstitutionen absetzen, deren Amtssprache das Latein war. Französisch bedeutete Wiederaufbau des Landes durch Nachahmung der Franzosen, Aufgeschlossenheit für den kulturellen Glanz, der aus Versailles und Paris herüberstrahlte, und es bedeutete schließlich für die Territorialfürsten auch die Übernahme von Elementen des französischen Modells eines zentralistischen Absolutismus in ihre zum Teil kleinen und kleinsten Duodez-Fürstentümer mit all den repräsentativen Bauten, ob sie Monrepos oder Sanssouci heißen, mit dem französischen Hofzeremoniell oder einer französischen Theatertruppe. Die Offenheit der Landesherren der französischen Kultur und dem politischen Modell des zentralistischen Absolutismus gegenüber stimulierte auch die Bereitschaft in ihrem Umkreis, die französische Sprache zu lernen, und diese Offenheit bezog sich nicht nur auf die Sprache selbst, sondern auch auf deren Vermittler. Die Vorbehalte gegenüber dem Typus des ,windigen und unmoralischen Tanz- und Sprachmeisters‘ waren allerdings untergründig bereits lange vorhanden; so galt es, sich als Repräsentanten einer überlegenen Kultur darzustellen, die man mit der Sprache für seine Kinder einkaufte.

3Unter dem Schutz des Landesherrn: Sachsen

Die Zahl der kleinen Prinzen und Prinzessinnen im Alten Reich war bei weitem nicht groß genug, um die enormen Verkaufszahlen des Lehrbuchs zu erklären. Die vielen adligen und bürgerlichen jungen Leute, dazu neuerdings auch ,die Frauenzimmer‘ und solche, die kein Latein konnten, mussten zum Kauf des Lehrbuchs animiert worden sein. Die beginnende Expansion des lernenden Publikums1 drückt das nächste Frontispiz (Abb. 3) aus: Es weitet die Zahl der Lernenden über den Erbprinzen aus auf den kindlichen Hofstaat, mit dem sich der Nachwuchs des kleinen und mittleren Adels identifizieren konnte – und auf alle die bourgeois gentilhommes, die es nicht nur in Molières Komödie gab.

Der Schriftzug „Grammaire Royale“ verschwindet aus der Illustration und macht Platz für ein übergroßes Bildnis des Landesherrn. Der Landesherr vergab nicht nur das Druckprivileg, er verkörperte zugleich die Vorzüge des Französischlernens und lokalisierte es am Hof als dem sozialen Ort, von dem der Sprachmeister und der Verlag sich die größte Attraktivität für ihre Kundschaft versprachen.

Abb. 3:

Des Pepliers, Grammaire Royale. Leipzig: Weidmann 1740.

Ausweislich des Druckprivilegs des Weidmann-Verlags muss es sich um August den Starken handeln, der auf seiner 23 Monate dauernden Grand Tour von Ludwig XIV. in Versailles in Audienz empfangen wurde und in Paris Französisch lernte, der des Französischen in Wort und Schrift mächtig war und der ein elegantes, wenn auch reichlich fehlerhaftes Französisch schrieb. Damit trug die aktuelle Illustration des Lehrbuchs der starken Stellung des Landesherrn Rechnung, der die Herrschaftsgewalt in seinem Territorium ausübte und bei juristischen Auseinandersetzungen, die bei dem Erfolg des Lehrbuchs nicht ausblieben2, hoheitlichen Schutz gewähren konnte. Diesen juristischen Schutz benötigte der Leipziger Verleger dringend, denn der Berliner Verleger Johann Christoph Papen, der 1723 vom preußischen König Friedrich Wilhelm I. das Druckprivileg erhielt, machte ihm die Druckrechte streitig. Allerdings: Berlin war preußisch und die Messestadt Leipzig sächsisch. Deshalb konnte der Weidmann-Verlag unter dem Schutz des sächsischen Landesherrn seine lukrativen Versionen des Lehrbuchs noch lange (z. B. mit den Auflagen von 1765 und 1767, d. h. auch noch nach der Schwächung des sächsischen Kurfürstenstaates im Siebenjährigen Krieg) weiter publizieren.

4Vom Hof zur Stadt oder: von Ludwig XIV. zu Friedrich dem Großen

Abb. 4:

Des Pepliers, Grammaire Royale. Berlin: Haude 1742.

Bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts geht die Integration des Bildprogramms in die kulturpolitischen Verhältnisse des Alten Reiches weiter. Insbesondere der Gründungsmythos der Grammaire Royale, der direkte Bezug auf die Télémaque-Szene, wird im Frontispiz der Berliner Auflage von 1742 nicht mehr realisiert. Der Sprachmeister, der daher auch nicht mehr Mentor ist, wird ganz aus dem Arrangement entfernt, ebenso die klar strukturierte barocke Portalarchitektur und die beiden Allegorien von Diligentia und Constantia. Nur die Tafel an der Bildbasis und das darauf abgelegte Lehrbuch verweisen noch auf Des Pepliers‘ Grammaire Royale. Die Göttin Athene wird verfremdet zu einer Frauenfigur, die im Mittelgrund auf einer Säule museal erstarrt ist und daher den rechten Weg zum Lehrbuch nicht mehr weisen kann. Der Prinz ist nun von der Last des Buchwissens und dessen mühevoller Aneignung befreit, weil ihm eine modische Rokoko-Dame mit anliegender jupe und flatterndem Mantel den direkten Weg zum Herrscherportrait weist, in dem wir wahrscheinlich den zum preußischen König aufgestiegenen Friedrich Wilhelm I. identifizieren können. Er ist in Lederkürass dargestellt, mit Schärpe, Kurzperücke und hochtoupierter Lockenrolle über dem Stirnansatz.1 Die Devise „Sub umbra alarum tuarum“ [protege me] (Psalm 17, 8. Lutherübersetzung: „Beschirme mich unter dem Schatten deiner Flügel“) appelliert an den Schutz der Druckrechte garantierenden Landesherrn.

Eine ähnliche Prachtuniform trägt der wenig individuell dargestellte Prinz, in dem wir uns den jungen Friedrich II. denken können, der widerwillig die militärische Erziehung seines Vaters ertrug, sich jedoch mit großer Freude die französische Sprache und Literatur aneignete. Statt der mythologischen Göttin Athene werden nun Putten in das Gestaltungskonzept einbezogen. In kindlicher Begeisterung für die Standards der französischen Sprache zeigt die größere Engelgruppe rechts auf eine aufgeschlagene Buchseite, auf der links ein Hinweis auf das Buch der Richter (Kap. 12, v. 4.6) steht, daneben der Spruch „Si volet usus“. Mit dem Horaz (Ep. ad Pis. 70-72) entlehnten Spruch (etwa: „wie es dem Sprachgebrauch/der Sprachnorm entspricht“) versichern Autor und Verleger, dass die Käufer mit diesem Lehrbuch eine zeitgemäße französische Sprache erwerben konnten (die Distinktion und Prestige verhieß).

Welche Gefahr diejenigen liefen, die nicht den richtigen, sozial privilegierten Akzent des Französischen (gemeint ist: mit einem anderen Lehrbuch und einem anderen Sprachmeister) erwerben, wird mit nichts weniger als einer Szene aus dem Alten Testament anschaulich gemacht. Im Kapitel 12 des Buchs der Richter wird der Kampf zwischen den israelitischen Stämmen der Gileaditer und Ephraimiter geschildert. Die flüchtenden Ephraimiter, die das Wort Schibboleth nicht mit kanaanäischem „th“ aussprechen konnten (und sich somit als Feinde zu erkennen gaben) wurden von den Gileaditer am Ufer des Jordans niedergemetzelt. Zunächst darf man das als die Androhung schlimmer Folgen für den Lernenden verstehen, falls er Des Pepliers Lehrbuch nicht benutzen würde: „und konnte es [i.e. das „th“] nicht recht reden; alsdann griffen sie ihn [und] schlugen ihn“ (Judic. Kap. 12, v. 6). Mit den „Flüchtigen Ephraims“ konnten nach Lage der Dinge in Berlin nur die nach der Aufhebung des Edikts von Nantes (1685) aus dem Frankreich Ludwigs XIV. geflüchteten Hugenotten gemeint sein. Der ab der zweiten Generation erhobene Vorwurf, die Hugenotten sprächen ein korrumpiertes Französisch, einen jargon colon-germanisé2, wird in Des Pepliers‘ Lehrbuch als ein falsches Schibboleth zurückgewiesen. Der Verleger Ambroise Haude3, dessen Name in selbstbewusst großen Buchstaben auf der Kartusche vermerkt ist, war selbst Hugenottenabkömmling und Freund Friedrichs des Großen, dessen Bibliothek er in einem Raum seiner Buchhandlung vor dem drohenden Zugriff des Soldatenkönigs schützte. Als politische Implikation war zugleich eine lobende Adresse an den Großen Kurfürsten (der den Hugenotten in Brandenburg-Preußen Asyl gewährt hatte) wie eine kritische Distanz zum französischen König gemeint, der diesen Exodus reformierter französischer Christen veranlasst hatte. Nun forderte das Frontispiz nicht mehr wie 1689 dazu auf, sich mit der Kenntnis der französischen Sprache dem Versailles des Sonnenkönigs zu nähern, sondern plädierte dafür, das Trennende im konfessionellen Sprachen- und Glaubenskampf zu überwinden. Dazu trägt das Lehrbuch der französischen Sprache bei, denn mit ihm lernt man den richtigen Akzent („Si volet usus“) und vermeidet das erneute, falsche Schibboleth. Mit nichts Geringerem als dem Alten Testament und dem Schutz des Landesherrn, dessen Porträt mehr als das obere Drittel des Blattes einnimmt, wirbt nun das Frontispiz für das auflagenstärkste Lehrbuch seiner Zeit, allerdings fehlt ein direkter Bezug zur französischen Kultur. Stattdessen hat die lateinische Sprache auf den Tafeln und unter dem Herrscherportrait ihren angestammten Platz zurückerobert.

Zugleich wird der Ort, an dem und für den die französische Sprache erlernt werden soll, über den Hof in die Stadt ausgeweitet. Zusätzlich zu der höfischen Klientel wird nun die urbane in den Blick genommen. Der Hof öffnet sich zur Stadt, die sich im Mittelgrund als Bühne für das vordergründige Geschehen ausbreitet. Und es ist nicht irgendeine Stadt, sondern wahrscheinlich die kurfürstliche Residenzstadt Berlin mit ihren zahlreichen Kirchtürmen, dem Berliner Schloss mit Balustrade und Statuen (nach dem Entwurf Schlüters) und einer barocken Gartenanlage, die auf das höfische Bühnengeschehen im Vordergrund führt.

Die Titelankündigung in der Kartusche im Vordergrund wird mit der selbstbewusst großen Verlags- und Ortsangabe Berlin, chez Ambroise Haude versehen. 1742 konnte man die Verlagsangabe, wie bereits in der Ausgabe von 1693, durchaus in französischer Sprache formulieren. Immerhin war einer von fünf Bewohnern Berlins Franzose, waren seit zwei Generationen die hugenottischen Flüchtlinge in der Stadt; um die Mitte des 18. Jahrhunderts vervielfachten sich die Zahlen deutscher Schüler am Collège royal français, weil immer mehr Berliner Kinder Französisch lernen sollten. Das Frontispiz sprach die Hugenotten an, die ihre Muttersprache zur Grundlage eines Berufs machten und dafür geeignete Lehrmaterialien benötigten. Das Lehrbuch Des Pepliers‘ wurde von dem Verleger Ambroise Haude veröffentlicht, der die Nähe zu den Hugenotten bereits in seinem französischen Namen verriet, der um 1742 nicht nur eine Berliner Medienmacht repräsentierte, sondern seinen Veröffentlichungen durch die persönlichen Kontakte zum preußischen König Friedrich dem Großen eine besondere Wirkung verlieh.

5Französisch am aufklärerischen Wissensort: die Bibliothek

Abb. 5:

Des Pepliers, Grammaire Royale. Berlin: Haude 1753.

Mit einer neuen Bildsprache1 versucht das Frontispiz der Ausgabe von 1746 bzw. von 1753 des Haude Verlags auf die Lektionen der Grammaire Royale vorzubereiten. Um die Mitte des Jahrhunderts sind die Elemente der ursprünglichen Szene vom ausgehenden 17. Jahrhundert reduziert auf die Allegorien „Diligentia“ und „Constantia“ im rechten Hintergrund. Die überdimensional große Athene, die, der aufkommenden Graecophilie geschuldet, wieder im Frontispiz auftritt, hat allerdings ihren Speer abgelegt und führt den fürstlichen Knaben an jenen Ort, an dem der optimistische Fortschrittsglaube der Epoche seine aufklärerische Wissensbasis findet, die Bibliothek. Die preußische Schlossbibliothek, 1658 nach dem Dreißigjährigen Krieg vom Großen Kurfürsten eingerichtet, um das vorhandene Wissen zu sammeln, wird nun in einen Zusammenhang mit dem Erlernen der französischen Sprache gesetzt. Das Lehrbuch Des Pepliers‘ ermöglicht unter der Führung der Göttin Athene den Zugang zur französischen Sprache und erschließt damit sogar das universelle Wissen der Epoche. Der Prinz, der die französische Sprache lernen und damit Zutritt zu einem aufgeklärten Wissen erhalten soll, weist mit der linken Hand zugleich zurück auf ein Puttenpaar, das den auf Horaz zurückgehenden poetologischen Leitspruch „charmant et utile“ anzeigt – eine Rokoko-Variante des didaktischen Topos vom nützlichen und angenehmen Fremdsprachenlernen ,en riant‘. Der Prinz trägt den Schwarzen Adlerorden und ist nun ebenso deutlich individuell dargestellt wie der Landesherr2 in einem Kranz von Lorbeer, Beeren, Pauken, Trompeten, Degen und Kanonen. Mit modischem Dreispitz, Jabot und Haarzopf, mit Harnisch und Schärpe, trägt er die Züge Friedrichs Wilhelm I., des Soldatenkönigs. Die Adlerköpfe über ihm haben deutlich aggressive Züge angenommen. Der junge Prinz hat die Prunkuniform abgelegt, ist sozusagen dem militärischen Drill seines Vaters entkommen und deutet in seinem modischen justeaucorps und dem zierlichen Tanzschritt auf die schöngeistigen Interessen des Kronprinzen und das von ihm angestrebte Verhaltensideal des honnête homme. Kronprinz Friedrich II., der spätere König Friedrich der Große, eignete sich als der frankophilste Repräsentant der Hohenzollern-Dynastie perfekt als Vorbildfigur für das Erlernen der französischen Sprache. Schon als Kronprinz hatte er eine reiche Bibliothek zusammengetragen, in der die Autoren des Grand Siècle und die Hauptwerke der Frühaufklärung dominierten. Fénelons Abenteuer des Télémaque, an denen der Kronprinz seinen farbigen und bildkräftigen Stil schulte, waren allerdings nur noch ein Band in der Bibliothek, keine anschaulich dargestellte Szene mehr. Der Leitspruch „charmant et utile“ auf der rechten Bildtafel charakterisiert auch das klassische und aufklärerische Stil- und Eloquenzbewusstsein des Kronprinzen. Damit ist das Frontispiz in einer preußischen Gegenwart angekommen, ab der es allmählich aus dem Fremdsprachenlern-Diskurs verschwinden wird. Allerdings, die pädagogisch-mythologische Dreiecksgeschichte, die um die Mitte des 18. Jahrhunderts aus den Titelkupfern des Lehrbuchs zugunsten einer panegyrischen Darstellung des Landesherrn verschwindet, lebt weiter im Französischunterricht als eine bevorzugte pädagogische Lektüre. Als Einführung in die griechische Mythologie sowie als repräsentatives Werk der französischen Klassik und als eine innerfranzösische Kritik am autoritären und aggressiven Absolutismus Ludwigs XIV. zieht Fénelons Télémaque in die preußische Gelehrtenschule3 ein. Und noch um die Wende zum 19. Jahrhundert ist Fénelons Télémaque zusammen mit Voltaires Versepos La Henriade dort das am häufigsten benutzte Werk in den frühen schriftlichen und mündlichen Abiturprüfungen, bis es schließlich ganz aus dem Französischunterricht verschwindet (Kuhfuß 2012, 75-86).

6Fazit

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts, mit den neuen Idealen der Französischen Revolution und dem Rückgang der Verkaufszahlen fallen die Illustrationen ganz weg.1 Das Lehrbuch mit einem auf sozialer Identifikation basierenden Geschäftsmodell wird im aufkommenden nationalstaatlichen Paradigma des Fremdsprachenlernens als obsolet empfunden. Und doch kann man von einem herausragenden Beispiel für die Macht der Bilder im Alten Reich sprechen. Das Frontispiz bleibt über ein Jahrhundert lang attraktiv, weil die Inhalte sich geschmeidig den jeweiligen Zeitumständen, den verschiedenen Machtkonstellationen und den Wunschvorstellungen der Käufer, ihren sich wandelnden Träumen vom sozialen Aufstieg und den zugrundeliegenden Motivationen anpassen und damit von den externen Bedingungen des Französischlernens und deren Veränderungen erzählen. Die Entwicklung, soweit sie in den Frontispizen anschaulich wird, verläuft vom archimedischen Bezugspunkt des Französischlernens im Versailles des französischen Sonnenkönigs gegen Ende des 17. Jahrhunderts zum Preußen Friedrichs des Großen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, von den klaren Strukturen der barocken Portalarchitektur, denen eine cartesianische Logik und die clarté de la langue française entsprechen, zu den verschnörkelten Rocaille-Mustern eines imaginären Innenraums um die Jahrhundertmitte. Sie verlagert ihren Schwerpunkt von Versailles und Paris nach Preußen und Sachsen und geht mit einer zunehmenden Zerstörung der ursprünglichen mythologischen Erziehungssituation einher. Die französische Sprache entwickelt sich von der Sprache de la partie la plus saine de la cour zur lingua franca in den Städten, mit einer zunehmenden Ausweitung der bürgerlichen Schülerklientel. Für die Sozialgeschichte des Berufsstandes ist besonders bedeutsam der Wandel des Fremdsprachenlehrerbildes von einer angemaßten Hofmeisterposition im Umkreis des Sonnenkönigs zur schrittweisen Entfernung der prekären Sprachmeisterfiguren aus den dargestellten Zentren der Macht. Welch ein Niedergang von Mentor, der sich in die göttliche Athene verwandelt und der zugleich Erzieher des Herzogs von Burgund ist, zu einer Figur, die im Verkaufsgeschehen des Lehrbuchs schließlich keine darstellenswerte Rolle mehr spielt. Für die bürgerlichen Schüler in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts freilich war das Geschehen, das in den Frontispizen attraktiv gemacht wird, ebenso entfernt wie die mythologische Szene von 1693. Die Frontispize zielen immer auf die Hoffnungen und Wünsche der Klientel. Sie finden ihr übergreifendes Element in der Darstellung des lernenden Prinzen als Identifikations- und Leitfigur für den Französischunterricht im Alten Reich. In den akademisch gebildeten deutschen Sprachmeistern erwächst den muttersprachlichen Franzosen gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein bedeutsamer Gegentypus, der sich mit der Grammatik-Übersetzungsmethode auf Meidingers Practische franzoesische Grammatik (1783) als den neuen Bestseller stützt.

Literatur

Beger, Lorenz (1701): Thesaurus Brandenburgicus selectus. Coloniae Marchicae: typis et impensis electoralibus.

Caravolas, Jean Antoine (2000): „Johann Theodor Jablonski (1654-1731) et La Parfaite Grammaire Royale de Des Pepliers“. In: De Clerq, Jan/Lioce, Nico/Swiggers, Pierre (Hrsg.): Grammaire et enseignement du français, 1500-1700. Leuven: Peeters, 463-482.

Christ, Herbert (2003): „Télémaque annoté ou un texte littéraire comme manuel de français“. In: Documents pour l’histoire du français langue étrangère ou seconde 31, 11–27.

Des Pepliers, Robert Jean de (1689): Grammaire Royale françoise & allemande. Contenant Une Methode nouvelle & façile pour apprendre en peu de temps la langue françoise, Avec Une Nomenclature, des Dialogues noveaux, Bouquet des Sentences, des Lettres & billets galants de ce temps. Berlin: Völcker. http://resolver.sub.uni-hamburg.de/goobi/PPN722584083 (20/07/2017).

Des Pepliers, Robert Jean de (1693): Nouvelle Grammaire Royale Françoise et Allemande. Berlin: Völcker.*

Des Pepliers, Robert Jean de (1701, 1702): La Parfaite Grammaire Royale, Françoise Et Allemande. Berlin/Frankfurt a. d. O.: Völcker.

Des Pepliers, Robert Jean de (1713): La Parfaite Grammaire Royale Françoise & Allemande. Leipzig: Gleditsch und Weidmann.

Des Pepliers, Robert Jean de/Buffier, Claude (1742): Nouvelle Et Parfaite Grammaire Royale Françoise et Allemande. Berlin: Haude.

Des Pepliers, Robert Jean de (1753): Nouvelle et parfaite grammaire royale Françoise et Allemande. Berlin: Haude.

Des Pepliers, Robert Jean de/Buffier, Claude (1794): Nouvelle Et Parfaite Grammaire Françoise Et Allemande. Wien: Trattner.

Dictionnaire universel françois et latin (1740). Nancy: Pierre Antoine. http://www.cnrtl.fr/dictionnaires/anciens/trevoux/menu1.php (20/7/2017).

Doergangius, Henricus (1604): Institutiones in linguam Gallicam, admodum faciles, quales ante hac nunquam visae. Coloniae: Author.

Fénelon, François de Salignac/Ehrenreich, Joseph Antoine von (1732, 1740): Les Aventures de Télémaque, fils d’Ulysse. Nouvelle édition. Ulm: Wohler.

Fénélon, François de Salignac/Ehrenreich, Joseph Anton von/Köhler, Johann Ludwig (1790, 1798): Les Avantures [Aventures] De Telemaque, Fils D’Ulysse, par feu Messire François de Salignac, de la Motte [Mothe] Fenelon, &c. &c. oder wunderbare Begebenheiten Telemachs, worinnen zum Nutzen der Jugend durch deutsche Anmerkungen schwere Wörter, Redensarten und Constructionen, Gallicismen, Antiquitäten, Mythologie, Historie und Geographie deutlich erklärt und erläutert werden. Ulm: Wohler.

Glück, Helmut/Häberlein, Marc/Schröder, Konrad (Hrsg.) (2013): Mehrsprachigkeit in der Frühen Neuzeit. Wiesbaden: Harrassowitz.

Kuhfuß, Walter (2012): „Die Abiturprüfungen in Französisch in den preußischen Gelehrtenschulen zwischen 1788 und 1806“. In: Bär, Marcus et al. (Hrsg.): Globalisierung – Migration – Fremdsprachenunterricht. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 75-86.

Kuhfuß, Walter (2014): Eine Kulturgeschichte des Französischunterrichts in der frühen Neuzeit. Französischlernen am Fürstenhof, auf dem Marktplatz und in der Schule. Göttingen: V&R.

Reinfried, Marcus (1992): Das Bild im Fremdsprachenunterricht. Eine Geschichte der visuellen Medien am Beispiel des Französischunterrichts. Tübingen: Narr.

Stengel, Edmund/Niederehe, Hans-Josef (1976): Chronologisches Verzeichnis französischer Grammatiken vom Ende des 14. bis zum Ausgange des 18. Jahrhunderts nebst Angabe der bisher ermittelten Fundorte derselben. Amsterdam: Benjamins.

 

* Alle Ausgaben der Grammaire Royale sind, sofern nicht anders vermerkt, unter http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl (20/07/2017) online verfügbar.

Bildnachweise

Abb. 1: Bayerische Staatsbibliothek, 921940 L.lat.f. 217 921940 L.lat.f. 217, Bl. 6, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10587504-4.

Abb. 2: Bayerische Staatsbibliothek, 921941 L.lat.f. 218 921941 L.lat.f. 218, Bl. 4, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10587505-0.

Abb. 3: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, A/294010, Bl.6, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10587506-5.

Abb. 4: Bayerische Staatsbibliothek, 921946 L.lat.f. 220 l 921946 L.lat.f. 220 l, Bl. 8, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10587512-9.

Abb. 5: Bayerische Staatsbibliothek, 921948 L.lat.f. 221 m 921948 L.lat.f. 221 m, Bl. 6, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10587515-5.

Mehrsprachige Grammatiken im 19. Jahrhundert? Ein Blick auf die Internationale Grammatik von Friedrich Gottlieb Deutsch

Christiane Fäcke

1Einleitung

Dass man ,aus der Geschichte lernen‘ und die Gegenwart nur aus einem vertieften Verständnis der Vergangenheit verstehen könne, sind Wahrheiten, die bereits oft formuliert wurden. Zu Recht. Diese Wahrheiten gelten auch für den Fremdsprachenunterricht der Gegenwart, dessen aktuelles Selbstverständnis, didaktische Ansätze, Methoden und Unterrichtsmaterialien auf einer langen Tradition fußen und von dieser wesentlich beeinflusst sind, auch wenn wir uns heute die Entwicklung unserer Vergangenheit nicht permanent in Erinnerung rufen.

Vor diesem Hintergrund ist die Rückbesinnung auf die Geschichte des Unterrichts der modernen Sprachen ein wichtiges Unterfangen. Die Erforschung historischer Zusammenhänge stellt sicher nicht den umfangreichsten Forschungsschwerpunkt in der Fremdsprachendidaktik dar, wird jedoch seit Jahrzehnten kontinuierlich verfolgt (z. B. Christ 1983, 2005; Flechsig 1962; Glück et al. 2013; Klippel 1994; Kuhfuß 2014; Schröder 1969, 1987-1999) und hat wichtige Erkenntnisse hervorgebracht, zu denen Marcus Reinfried mit seinen Forschungen (z. B. Reinfried 1992, 1999, 2014) einen wesentlichen Beitrag geleistet hat.

Im 19. Jahrhundert vollzieht sich die Konstituierung und Professionalisierung des Unterrichts der modernen Sprachen sowie ihre Verfestigung im Schulsystem.1 Dazu gehört auch die Publikation zahlreicher Lehrmaterialien, d. h. Lehrgänge und Grammatiken. Während der Fremdsprachenunterricht dieser Zeit häufig auf eine Imitation des Lateinunterrichts und auf die Grammatik-Übersetzungs-Methode verkürzt wird, stellt sich diese Entwicklung bei genauerer Ansicht weit differenzierter dar. Im Folgenden geht es daher exemplarisch um eine mehrsprachige Grammatik, d. h. um die Internationale Grammatik das Italienische, das Französische und das Deutsche, eine, zwei, oder alle drei Sprachen zu erlernen, die erstmals in Zürich erschien (Deutsch 1871) und wenige Jahre später auch in Deutschland (Deutsch 1875) publiziert wurde.

2Französischunterricht im 19. Jahrhundert

Das Erlernen des Französischen als Fremdsprache vollzieht sich in Deutschland in mehreren Etappen. Erste Belege für Materialien zum Lehren und Lernen von Französisch stammen vom Ende des 15. Jahrhunderts (vgl. Abendroth-Timmer 2017, 492). Die Institutionalisierung des Französischunterrichts setzt im 16. Jahrhundert ein (vgl. Christ 1983, 95; Kuhfuß 2014) und ist im 17. Jahrhundert durch den Einfluss der französischen Klassik und des bon usage geprägt. Französisch wird in Ritterakademien, Bürgerschulen und Gymnasien unterrichtet, entwickelt sich zur wichtigsten Fremdsprache und wird als Sprache der Diplomaten, im Handel und im Bankwesen genutzt (vgl. Reinfried 2014, 258). Im 18. Jahrhundert bildet Französisch nicht nur die Sprache des europäischen Adels, sondern wird auch in der aufstrebenden Mittelschicht erlernt. Am Ende des Jahrhunderts ist „Französisch in der Regel in allen deutschen Ländern Gegenstand des Gymnasialunterrichts“ (Christ 1983, 97). Diese Ausweitung erfährt einen Bruch durch die sich ändernden politischen Verhältnisse, d. h. durch Restauration, Widerstand gegen die Ideen der Französischen Revolution und vor allem gegen Napoleon. Im Lauf des 19. Jahrhunderts erfolgt jedoch erneut eine Ausweitung des Lernens von Französisch auf andere Bevölkerungsschichten und die Etablierung als Unterrichtsfach in den höheren Schulen (vgl. Reinfried 2014; Willems 2013, 17 ff.).

Deutschland ist in diesem Jahrhundert noch kein in sich geschlossener Nationalstaat, sondern besteht aus einzelnen Staaten, darunter vor allem aus den Königreichen Preußen und Bayern sowie etlichen kleineren Staaten mit jeweils eigenen Bildungssystemen. In diesen Zeitraum fallen u. a. die Entwicklung des staatlichen preußischen Schulsystems, die Ausdifferenzierung gymnasialer Schultypen verschiedener Ausprägung neben den Lateinschulen und die Ausweitung des Bildungssystems auf breite Bevölkerungsschichten (vgl. Willems 2013, 44 ff.). Das dominierende Bildungsverständnis in der Tradition Humboldts impliziert einen starken Fokus auf Latein und Griechisch, während Französisch zunächst den Rang eines Wahlfachs einnimmt und in den 1830er Jahren in Preußen zu einem zweistündigen Pflichtfach entwickelt wird (vgl. Christ 1983, 99).

Fächer wie Englisch und Französisch nehmen in den neben den Gymnasien bestehenden Realklassen einen größeren Stellenwert ein als Latein und Griechisch. In den 1860er Jahren erfolgt eine Ausweitung der Stundentafel für Französisch dahingehend, dass die Sprache mit einer Gesamtwochenstundenzahl von 27 am Gymnasium und von 34 an der Realschule unterrichtet wird. Im Vergleich dazu liegt die Gesamtwochenstundenzahl für Latein am Gymnasium bei 86 (vgl. Willems 2013, 49). 1882 erfolgt schließlich eine Reform des höheren preußischen Schulwesens, die zur Anerkennung der lateinlosen höheren Schulen als gleichberechtigt neben den Gymnasien führt (vgl. Christ 1983, 99). Die modernen Fremdsprachen müssen sich in ihrem Stellenwert im 19. Jahrhundert an den alten Sprachen messen, denn Latein und Griechisch gelten als das Herz der Vermittlung von Bildung und wirken sich damit auch auf Französisch und Englisch aus. Dies zeigt sich auch am Ringen um verschiedene Methoden, d. h. um verschiedene Ansätze und etliche Mischformen.

So lassen sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts mehrere Methoden unterscheiden (vgl. Reinfried 1999, 3). Dazu gehört zunächst die Grammatik-Übersetzungs-Methode, wie sie u. a. in den Grammatiken von Johann Valentin Meidinger (1792) und Carl Ploetz (1887) vertreten wird. Diese Methode ist gekennzeichnet durch deduktive Grammatikvermittlung und Präsentation von Vokabeln sowie durch anschließende Übersetzungsübungen vom Französischen ins Deutsche und umgekehrt in jeweils einzelnen, unabhängig voneinander bestehenden Sätzen.

Daneben besteht die holistisch angelegte analytische Interlinearmethode nach Hamilton und Jacotot (Pfau 1844) auf der Basis eines eher intuitiven Spracherwerbs und unter Nutzung authentischer Texte. Ausgehend von einem Text in der Fremdsprache und seiner zwischen den Zeilen abgedruckten Übersetzung sollen Lernende Bedeutung und grammatischen Gehalt erschließen und erklären. Im Anschluss erfolgen Kompositionen, in denen sie in Übungen zum Schreiben in der Fremdsprache ihre Kenntnisse eigenständig umsetzen (vgl. Klippel 1994, 221 ff.).

Auch das Prinzip der Anschauung wird in den Französischunterricht hineingetragen. Ausgehend von Überlegungen des französischen Methodikers François Gouin wird Sprachenlernen durch sprachliches und physisches Handeln sowie sprachliche Lautgestaltung und sinnlich Erfahrbares praktiziert (vgl. Christ 1983, 106). Damit deuten sich hier bereits Ansatzpunkte zur Direkten Methode an.

Während die Grammatik-Übersetzungs-Methode vor allem an Gymnasien, Realgymnasien und Oberrealschulen dominiert, wird in Realschulen und Töchterschulen eher der Ansatz der Direkten Methode vertreten (vgl. Doff 2002), die durch Einsatz konkreter Gegenstände aus dem Zielsprachenland und durch Bildmaterial anschauliche und praktische Dimensionen in den Französischunterricht hineinträgt (vgl. zur Anschauungsmethode auch Reinfried 1992, 87 ff.). Anstelle eines grammatischen Regelwissens und metasprachlicher Abstraktion geht es um einsprachige Vermittlung mit dem Ziel der Anwendung der Sprache in konkreten Kontexten (vgl. Reinfried 1999, 3). So prägt die neusprachliche Reformbewegung vor allem die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts und votiert massiv für praktische Sprachbeherrschung und mündliche Beteiligung der Schüler anstelle metasprachlichen Wissens.

3Fremdsprachenlehrer und ihre Methoden

Die Entwicklung des Französischunterrichts im 19. Jahrhundert steht in engem Zusammenhang mit denjenigen, die diesen Unterricht nun erteilen, mit ihrem Selbstverständnis, ihrer Ausbildung und ihren Sprachkenntnissen. So vollzieht sich eine grundlegende Veränderung vom Sprachmeister zu Beginn des Jahrhunderts hin zum Neuphilologen an dessen Ende (Christ 2005).

Ein Sprachmeister durchläuft noch keine spezifische Ausbildung für den Beruf als Lehrer, verfügt über eine sehr individuelle Spracherwerbsbiographie und manifestiert seine eigene Methodik in zahlreichen Publikationen – Grammatiken, Lehrbüchern, autobiographischen Texten (vgl. Christ 2005, 3 f.). Die Sprachmeister weisen durchaus heterogene Biografien auf, z. B. als Bewohner aus Grenzregionen und insofern in zwei Sprachen und Kulturen sozialisiert, als verarmte Handwerker, umfassend gebildete Professoren, Abenteurer oder französische Protestanten im Exil (vgl. Suso Lopez/Universidad de Granada 2005, 3; Glück et al. 2013, 137 ff.). Sie sind damit häufig nicht Deutsche und verfügen über recht hohe sprachliche Kompetenzen.

In der Mitte des Jahrhunderts durchläuft ein Französischlehrer bereits eine umfangreichere Ausbildung, zu der ein zu dieser Zeit übliches Abitur und ein noch nicht konkret auf sein Fach bezogenes und breit angelegtes Studium gehören. Diese Entwicklung steht in Zusammenhang mit der Einführung eines verpflichtenden Universitätsstudiums für die Lehrer an höheren Bildungsanstalten, so z. B. in der preußischen Prüfungsordnung von 1831 (vgl. Christ 1983, 112). Die angehenden Gymnasiallehrer werden noch nicht nach einem Fachlehrerprinzip in ihren Fächern ausgebildet, sondern müssen einem humanistischen Bildungsverständnis zufolge verschiedene Fächer studieren, so u. a. Latein, Geschichte, Geographie, Mathematik, Philosophie und eben auch Französisch.

In den folgenden Jahrzehnten werden die fächerspezifischen Spezialisierungen ausgebaut, die modernen Fremdsprachen in die Prüfungsordnungen aufgenommen und die Prüfungskommissionen entsprechend ausgerichtet. Damit entwickelt sich das Berufsprofil gegen Ende des Jahrhunderts hin zu einem für sein Fach ausgebildeten Neuphilologen mit einer universitären Ausbildung und einem Selbstverständnis, das stärker auf – in diesem Fall – Französisch bzw. die Romanistik bezogen ist (vgl. Christ 2005, 3 f.). Mit der Ausbildung an den Universitäten auch für Französisch und der Etablierung der Neuphilologien kann eine fachbezogene Ausbildung realisiert werden (vgl. Willems 2013, 47). In diesem Zusammenhang erklären sich zunächst auch geringere Sprachkompetenzen der wissenschaftlich ausgebildeten Romanisten im Vergleich zu den Sprachmeistern, ihr Interesse an der Praktizierung der Grammatik-Übersetzungs-Methode und ihre Ablehnung der Direkten Methode.

Ein Charakteristikum derjenigen, die in diesem Jahrhundert Französisch unterrichten, ist ihre vergleichsweise hohe und intensive Publikationstätigkeit. Anders als es unter Französischlehrkräften der Gegenwart üblich ist, verfassen die Lehrer des 19. Jahrhunderts ihre eigenen Französischmethoden und Grammatiken und manifestieren darin ihr eigenes Verständnis vom Lehren und Lernen dieser Sprache. Einige der Lehrbücher und Grammatiken erfahren eine große Resonanz (z. B. Ploetz 1887), andere werden praktisch nur für die eigene Schule verfasst. Helmut Niederländer (1981, 17) geht beispielsweise von 300-400 Grammatiken aus, von denen ein Großteil jedoch nicht erhalten geblieben seien. Eine gründliche methodisch-didaktische Reflexion und deren schriftliche Fixierung bildeten somit einen selbstverständlichen Bestandteil im Leben eines Lehrers.

Das Spektrum der Publikationen des 19. Jahrhunderts ist umfangreich und die darin erkennbaren methodisch-didaktischen Schwerpunktsetzungen sind breit (vgl. zur Analyse von Lehrbüchern z. B. Klippel 1994 und zur Analyse von Grammatiken z. B. Niederländer 1981). Dieses Forschungsfeld ist jedoch bei weitem noch nicht erschöpfend analysiert, so dass ich dem im Folgenden einen weiteren Aspekt hinzufüge und mich auf die exemplarische Analyse einer bislang wenig beachteten Grammatik konzentriere, die sich durch ihren mehrsprachigen Ansatz deutlich von den meisten Grammatiken (vgl. Abel 2005, 170 f.) unterscheidet und vermutlich einen geringeren Bekanntheitsgrad erreicht hat.

4DieInternationale Grammatik von Friedrich Gottlieb Deutsch

Die Grammatik von Friedrich Gottlieb Deutsch erschien erstmals 1871 in Zürich und wurde mit leicht verändertem Titel in Berlin 1875 nachgedruckt. Das zentrale Charakteristikum ist ihre mehrsprachige Ausrichtung auf drei Sprachen: Das Italienische, das Französische und das Deutsche, wobei die ersten beiden Sprachen als Fremdsprachen vermittelt werden und Deutsch als Erstsprache der anvisierten Lerner gilt.

Die Grammatik wendet sich in deutscher Sprache an Deutschsprachige: Die Anrede an die Leser erfolgt im Vorwort, im Inhaltsverzeichnis, in den Überschriften und in den Regelerklärungen auf Deutsch. Deutschsprachige Passagen sind in Fraktur gedruckt, italienische und französische Sätze in lateinischer Schrift.

Konzepte der Mehrsprachigkeit und der Interkomprehension bilden einen wichtigen Bestandteil aktueller fremdsprachendidaktischer Diskurse (z. B. Meißner/Reinfried 1998) und finden hier einen frühen Vorläufer. Im Vorwort stellt der Autor sein methodisch-didaktisches Verständnis des Lehrens und Lernens der genannten Sprachen dar:

(Deutsch 1871, III)

Ganz im Geist der Zeit spielt die Übersetzung zwischen den Sprachen in dieser Grammatik eine große Rolle, doch wird darüber hinaus auch der Sprachvergleich explizit anvisiert, der anders als in etlichen Grammatiken des 19. Jahrhunderts nicht auf Latein bezogen ist, sondern zwei romanische Fremdsprachen anvisiert.

(ebd.)

Überlegungen im Sinne einer Anwendungsorientierung, wie sie in der Interlinearmethode und in der Direkten Methode formuliert sind, deuten sich in diesen Zeilen ebenfalls an und werden in der Folge weiter vertieft:

(ebd.)

Im Einzelnen umfasst die Grammatik 145 Seiten und fällt damit vergleichsweise kurz aus.1 Sie ist in 222 Paragraphen gegliedert, die sich wiederum in weitere Teilbereiche unterteilen. Die Grammatik schließt sich an einen Repetitionskurs an, so dass zu Beginn eine kurze Wiederholung des ersten Kurses, d. h. die Flexions- oder Formenlehre (ebd., 1-7), erfolgt. Im Einzelnen werden die Declination und die Conjugation (Präsens Indikativ und Konjunktiv, Futur, Perfekt) thematisiert.

(ebd., 7)

Die Wortfügung ist in drei Abschnitte unterteilt: die Fälle (§ 3-76), die Einstimmung (§ 77-118) sowie den Modus und die Zeit (§ 120-147) (vgl. ebd., 8), im Anschluss finden sich die Satzlehre (§ 152-186) und die Topik (§ 187-211) sowie der äußere Satzausdruck und die Orthographie (§ 212-222). Eine vorgeschaltete Aussprachelehre und eine Formenlehre bzw. Wortbildungslehre gibt es nicht, da dieser Band sich als zweiter Teil und Aufbau auf einen vorangegangenen Kurs versteht.

Die einzelnen Paragraphen sind jeweils gleich aufgebaut: Einer streng deduktiv angelegten Regelerklärung folgen illustrierende Beispielsätze, wobei die Grammatik deutlich an der Struktur der lateinischen Grammatik orientiert ist, wie das folgende Beispiel verdeutlicht:

(ebd., 18 f.)

Der Paragraph ist insgesamt in eine deduktive Regelerklärung und anschließende Illustration durch Anwendung auf bestimmte Beispiele unterteilt. Die Beispielsätze stehen jeweils für sich, sind inhaltlich nicht miteinander verbunden und parallel in den drei Sprachen wiedergegeben.

Weitere Anregungen zum Transfer und weitere Beispiele finden sich im Anschluss an die Paragraphen zum adverbialen Dativ und zum verbalen Dativ. Die zusätzlichen Beispielsätze liegen nur auf Deutsch vor und sollen von den Lernenden übersetzt werden. Dabei sind sie mit Erklärungen und Übersetzungshilfen ins Französische und Italienische kombiniert und stehen in einem engeren thematischen Zusammenhang als die Beispielsätze zur Illustration der jeweiligen Grammatikregel:

(ebd., 22)

Insgesamt handelt es sich um eine lehrwerkunabhängige methodisch-systematische Grammatik (vgl. Niederländer 1981, 145), in der der Übungsteil im Vergleich zu den systematischen Passagen der Grammatikerklärung recht kurz ausfällt.

Die verwendete Terminologie ist an Deutsch und Latein orientiert, italienische und französische Begriffe finden sich nicht. So verwendet Friedrich Gottlieb Deutsch Begriffe wie das „Beiwort“ (Deutsch 1871, 58), das „Mittelwort“ (ebd., 59) oder das „persönliche Fürwort“ (ebd., 77) neben lateinischen Begriffen wie der „adverbiale Factitiv“ (ebd., 26), der „Modalis“ (ebd., 45) oder „elliptische Conditionalformen“ (ebd., 92). An einigen Stellen fällt die kombinierte Verwendung von Latein und Deutsch auf: „Der negative Satz, die Negation“ (ebd., 103).

Interessanterweise wird nicht einmal in den Fällen mit Begriffen der romanischen Sprachen operiert, in denen sich konzeptuelle Unterschiede zum Deutschen finden, wie z. B. beim Konjunktiv und dem subjonctif:

(ebd., 82)

Die im 19. Jahrhundert dominierende Orientierung am Latein wird darüber hinaus auch in der durchgehenden Deklination der Fälle deutlich (ebd., 1 ff.). Während diese Deklination für Latein und Deutsch Sinn macht, berücksichtigt deren Übertragung auf das Italienische und das Französische nicht die Struktur der beiden romanischen Sprachen.

Das in den Satzbeispielen vermittelte Register des Französischen und des Italienischen ist auf der Ebene einer distinguierten, eloquenten Standardsprache angesiedelt, die aus heutiger Sicht antiquiert wirkt und vermutlich auch vor 150 Jahren nur zum Teil einem alltagssprachlichen Register angenähert war. Die Satzbeispiele sind z. T. in Alltagssituationen angesiedelt, verweisen jedoch auch auf Kontexte mit wenig Alltagsbezug. Insgesamt handelt es sich um geschriebene, nicht um gesprochene Standardsprache (vgl. z. B. die Bezugnahme auf den subjonctif de l’imparfait, ebd., 6). Mögliche historische oder literarische Quellen werden an keiner Stelle angegeben:

(ebd., 45)

(ebd., 42)

Während das zweite Satzbeispiel in ähnlicher Form in Grammatiken der Gegenwart enthalten sein könnte, wirken die in den ersten beiden Satzbeispielen angeführten Inhalte wenig alltagsnah.

Die Darstellung und Erklärung der Vergangenheitstempora macht Unterschiede zu Grammatiken der Gegenwart deutlich. Während heute üblicherweise der Unterschied in der Verwendung des passé composé und des imparfait thematisiert wird, im fortgeschrittenen Französischunterricht das passé composé und das passé simple in ihrer Funktion praktisch gleichgesetzt werden und lediglich in der Anwendung, d. h. das passé simple als literarische Schriftsprache und das passé composé als übliche Vergangenheitssprache, Unterschiede benannt werden, erklärt Friedrich Gottlieb Deutsch die Unterschiede zwischen den drei Vergangenheitszeiten auf anderer Ebene:

(ebd., 93)

Im sich anschließenden Paragraphen wird die Unterscheidung zwischen imparfait und passé simple erklärt und als „das Descriptiv“ und „das Narrativ“ bezeichnet (ebd., 95). Unterscheidungen zwischen mündlichem und schriftlichem Gebrauch des passé composé und des passé simple werden nicht erwähnt, so dass an dieser Stelle ein deutlicher Unterschied zu aktuellen Grammatiken sichtbar wird.