FRIEDER - Kathrin Keller - E-Book

FRIEDER E-Book

Kathrin Keller

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Beschreibung

Die Prognose der Ärzte sieht düster aus für den kleinen FRIEDER. Er wird Zeit seines Lebens auf Hilfe anderer angewiesen sein trotzdem strahlt der Bub nur Zufriedenheit aus. Mit seiner kindlichen Liebe übermittelt es seiner Mutter unendliche Kraft und Zuversicht, mehr noch: Durch ihn findet sie Vertrauen in sich selbst für ein bewundernswertes Füreinander. FRIEDER ist für sie ein Geschenk. Beeindruckend ist jeder erlebnisreiche Tag, jedes Wagnis, jedes Abenteuer. FRIEDER erfährt in seinem kurzen Leben mehr Zuwendung und Hingabe, als man es sich ausdenken kann, denn da ist die unendliche Liebe, die einer Mutter die Kraft verleiht, über sich hinauszuwachsen. So außergewöhnlich wie dieses Schicksal ist, so unvergleichlich kostbar ist auch der Ablauf wertvoller Jahre. Eine wahre Geschichte voller Lebensmut.

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Seitenzahl: 179

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Über das Buch

Die Prognose der Ärzte sieht düster aus für den kleinen Frieder. Er wird Zeit seines Lebens auf Hilfe anderer angewiesen sein – trotzdem strahlt der Bub nur Zufriedenheit aus. Mit seiner kindlichen Liebe übermittelt es seiner Mutter unendliche Kraft und Zuversicht, mehr noch: Durch ihn findet sie Vertrauen in sich selbst für ein bewundernswertes Füreinander. Frieder ist für sie ein Geschenk. Beeindruckend ist jeder erlebnisreiche Tag, jedes Wagnis, jedes Abenteuer.

Frieder erfährt in seinem kurzen Leben mehr Zuwendung und Hingabe, als man es sich ausdenken kann, denn da ist die unendliche Liebe, die einer Mutter die Kraft verleiht, über sich hinauszuwachsen. So außergewöhnlich wie dieses Schicksal ist, so unvergleichlich kostbar ist auch der Ablauf wertvoller Jahre. Eine wahre Geschichte – voller Lebensmut.

Lieselotte Kamper, Autorin »Draußen wartet die Angst«

Die Autorin

Die Autorin Kathrin Keller wurde 1972 in Stuttgart geboren. Im Jahre 2003 erblickte ihr Sohn Frieder in München das Licht der Welt, wo sie zu dritt die folgenden Jahre glücklich erleben durften. Die Liebe zu den Bergen und zur Natur zog die kleine Familie schließlich ins Werdenfelser Land. Nach Frieders Tod hat Kathrin Keller diese gemeinsamen Jahre des Lebens in diesem Buch festgehalten.

 

Erschienen im Scholastika Verlag

Rühlestraße 2

70374 Stuttgart

Tel.: 0711 / 520 800 60

 

www.scholastika-verlag.com

E-Mail: [email protected]

 

Zu beziehen in allen Buchhandlungen,

im Scholastika Verlag und im Internet.

 

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage

© November 2021 Scholastika Verlag, 70374 Stuttgart

ISBN 978-3-947233-67-0

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-947233-66-3

Lektorat: Friedericke Maquet-Weißenseel

eBook-Erstellung: 

 

 

 

 

 

Frieder

 

 

 

»Und du bist doch ein Engel …«

 

 

 

Kathrin Keller

 

 

 

Inhalt

 

Zartheit

Ich versichere euch:

Wenn ihr nicht umkehrt

und werdet wie die Kinder,

werdet ihr nie ins Himmelreich kommen.

(Jesus von Nazareth)

 

Hingabe

Wer sich Gott anheimgibt, hört auf,

sich vor den Menschen zu fürchten.

(Mahatma Gandhi)

 

Zauber

Gib jedem Tag die Chance,

der schönste deines Lebens zu werden.

(Mark Twain)

 

Vielfalt

Die Sonne lehrt alle Lebewesen

die Sehnsucht nach dem Licht.

Doch es ist die Nacht, die uns alle

zu den Sternen erhebt.

(Khalil Gibran)

 

Dunkelheit

Jedes böse und jedes gute Ding ist ein Schatten,

dem wir eine Rolle geben.

(Ralph Waldo Emerson)

 

Gewissheit

Öffne der Veränderung deine Arme,

aber verliere dabei deine Werte nicht aus den Augen.

(Dalai Lama)

 

Klarheit

Die Zukunft kommt früh genug.

Ganz gleich, was man tut.

Und dann wird einem klar, wie wichtig es ist,

dass man sich Zeit nimmt zu leben,

glücklich zu sein.

(Sergio Bambaren)

 

Entwicklung

Der Sinn fällt nicht vom Himmel,

er wird auch nicht von einer Religion gestiftet,

sondern ich selbst stifte Sinn,

indem ich mir mein Tun wichtig mache.

(Reinhold Messner)

 

Ereignisse

Größe heißt: Richtung geben.

(Friedrich Nietzsche)

 

Freiheit

Wenn ich das Wunder eines Sonnenuntergangs

Oder die Schönheit des Mondes bewundere,

weitet sich meine Seele.

(Mahatma Gandhi)

 

Balance

Es gibt zwei Tage,

um die du dich nicht zu kümmern brauchst:

um den Tag, der noch nicht gekommen,

und den, der vergangen ist.

(Avicenna)

 

Leben

Das Hinausschieben ist der größte Verlust fürs Leben;

es verzettelt immer den nächsten Tag.

(Lucius Annaeus Seneca)

 

Stabilität

Monde und Jahre vergehen, aber ein schöner Moment

leuchtet das Leben hindurch.

(Franz Grillparzer)

 

Schutz

Du kannst den Regenbogen nicht haben,

wenn es nicht irgendwo regnet.

(Indianische Weisheiten)

 

Gelassenheit

Der Mensch will immer, dass alles anders wird,

und gleichzeitig will er, dass alles beim Alten bleibt.

(Paulo Coelho)

 

Herzenhören

Es gibt viele verschiedene Wege zu kommunizieren.

Nicht immer braucht es dafür Worte.

Aber immer eine Verbindung.

(Albert Espinosa)

 

Vertrauen

Nicht im Kopf, sondern im Herzen liegt der Anfang.

(Maxim Gorki)

 

Dankbarkeit

Erst wenn du alle Sterne am Himmel auf einmal

gesehen hast, weißt du, wie groß meine Liebe ist.

(Weisheit)

 

Zeit

Fang nie an aufzuhören, hör nie auf anzufangen.

(Marcus Tullius Cicero)

 

Stärke

Jeder gibt, was er bekommt.

Dann bekommt er, was er gibt.

Nichts auf der Welt ist einfacher.

Nur diese Regel hat Gültigkeit.

Nichts geht verloren. Alles verwandelt sich.

(Francesc Miralles, Alex Rovira)

 

Engelsglück

Was in der Seele vorgeht,

hat seinen Ausdruck im Angesicht.

(Johann Kaspar Lavater)

 

Umbruch

Wenn man mit Flügeln geboren wird,

sollte man alles dazu tun,

um sie zum Fliegen zu benutzen.

(Florence Nightingale)

 

Demut

Nicht die Glücklichen sind dankbar.

Es sind die Dankbaren, die glücklich sind.

(Francis Bacon)

 

Abschied

Der Tod begleitet das Leben,

wie der Schatten das Licht.

(Rafik Schami)

 

Glanz

Könnten Sie sich vorstellen,

da oben anzukommen und da ist nichts?

(Christoph Schlingensief)

 

 

 

Ich werde immer für euch da sein.

Ihr werdet mich überall finden …

beim Sonnenaufgang ganz zart am Horizont,

oder vielleicht als kleinen Vogel

auf dem Fensterbrett,

als übermütiges Eichhörnchen,

und manchmal auch als strahlende Sonne, die euch wärmt.

Ich werde euch stets begleiten.

Es ist alles gut, so, wie es ist.

 

Und jetzt wünsche ich mir,

dass ihr alle das Leben genießt,

die Liebe, die wir füreinander empfinden.

Geht weiter mit mir auf die Berge,

Sommer wie Winter.

Radelt weiter die Berge hoch, wie die Wilden,

und genießt dann den Fahrtwind hinunter,

geht weiter schwimmen im Meer und in den Seen,

und streckt euer Gesicht der Sonne entgegen, lebt und liebt:

Dann bin ich immer mit euch!

 

Euer Frieder

 

 

 

Zartheit

 

Ich versichere euch:

Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder,

werdet ihr nie ins Himmelreich kommen.

(Jesus von Nazareth)

 

 

Es ist Anfang März. Ein verregneter Tag in München, doch immer wieder huschen Sonnenstrahlen durch das Grau des Himmels. Vom Frühling selbst ist noch nicht viel zu spüren, aber irgendwo da draußen ist er. Es scheint, als ob er auf der Lauer liegt.

 

Nur wer den Frühling kennt und ihn ansieht wie einen lieben Verwandten, bemerkt ihn schon in all den schlummernden Blüten und Blättern, die nur darauf warten, endlich von der Sonne zum Leben erweckt zu werden, ebenso wie jemand, der gerade in diesem Moment auf die Welt kommt.

 

Die Rede ist von mir, es ist ganz bald so weit – das spüre ich. Und ich freue mich, denn es ist eine schöne Welt. Eine Welt, in welcher selbst der Regen den Duft von Krokussen in sich trägt.

 

*

 

Mein Frieder hatte schöne schmale, lange Finger. 4200 Gramm pures Glück.

Die Zeit schien stillzustehen, als ich den kleinen Frieder in meinen Armen halten durfte. Seligkeit und Liebe flossen durch meine Adern. Auf einmal war für mich nichts anderes so sehr von Bedeutung wie dieser kleine Mensch.

Wieder und wieder zählte ich seine Finger, seine Zehen, staunte stumm über dieses Wunder, mein Kind, mein Sohn. Endlich war er da. Friedvolles Glücksgefühl.

Die ganze Schwangerschaft über hatte ich mich gefragt, wie er oder sie wohl aussehen wird. Als ich dann in sein kleines, friedliches Gesicht blicken konnte, da war mir klar, dass ein Teil von mir immer schon wusste, dass er genau so und nicht anders aussehen würde, dass ich sein Gesicht schon kannte, bevor ich es zum ersten Mal sah. Ich hatte mich für genau dich – Frieder – entschieden.

Frieder öffnete die Augen und schmatzte selig vor sich hin. Ich sah in seine Augen, sah mich mit meinen darin und wusste: Alles ist gut.

Frieder hatte sich für seine Ankunft Zeit gelassen. Wie auch später, während unseres gemeinsamen Lebens, war er es, der den Zeitpunkt bestimmte und sich nicht hetzen ließ.

Liebe strömte zwischen seinem kleinen Körper und meinem großen hin und her, und ich flüsterte leise, während ich seine kleinen Hände küsste: »Ich werde dich immer beschützen, immer für dich da sein, ich lasse dich nie allein. Ich liebe dich. So wie du bist.«

Damals konnte ich noch nicht wissen, was dieses Versprechen bedeuten würde.

 

 

 

Hingabe

 

Wer sich Gott anheimgibt, hört auf,

sich vor den Menschen zu fürchten.

(Mahatma Gandhi)

 

 

Wie schön es hier ist. Friedlich, still. Zeit, Raum, das alles spielt keine Rolle. Ich bin frei, und ich bin zu Hause.

Dann, auf einmal, ist da eine liebevolle Stimme. Ich kenne sie. Sie fragt mich, ob ich auf die Erde gehen möchte, um ein Mensch zu werden. Ich ahnte es ja. Aber warum? Warum ich?

Das weiß ich nicht genau. Die Stimme erzählt mir etwas über dieses Leben, das mich erwartet. Es wird ein recht kurzes, dafür aber umso intensiveres Leben sein. – Es wird Kummer und Krankheit beinhalten, aber auch Freude und Liebe, grenzenlose Liebe, Verständnis und Hingabe.

»Du bist bereit für dieses Leben«, erzählt die Stimme mir. Ich sehe Bilder aus jenem zukünftigen Leben, ich fühle es. Niemand lebt allein. Wir alle berühren in unserem Lebenslauf viele Tausende von Menschen. Einige sind uns sehr nah, andere weniger. Oft berühren wir sie nur zaghaft und dennoch haben sie einen Einfluss, der größer nicht sein könnte. Wo das Band der Liebe existiert, wird über dieses Leben und den Tod hinaus die Verbindung für immer bestehen bleiben. Die Liebe hält zusammen, was zusammengehört.

 

Ein solches Leben, wie das, was vor mir liegt, wird viele berühren. Welcher Ort könnte der richtige sein, um es zu leben? Welchen Eltern kann ich diese besondere Aufgabe geben? Welche Eltern erkennen das wahre Leben und die Liebe früh genug, um es dann – auch ohne mich – weiterleben zu können? Welche Eltern sind stark genug, mich zu tragen?

Ich sehe hinunter zu den funkelnden Lichtern der Erde. Alles, was die Menschen umgibt, ist so unendlich weit weg. Die Menschen wissen nichts von dem, was vor und hinter einem Leben liegt, und das ist auch gut so. Sonst würden sie ihren Weg vielleicht oft nicht zu Ende gehen wollen. Ich fühle den Wunsch, ihnen allen zu sagen, dass es einen Sinn gibt hinter all dem Leid und der Verwirrung, die diese Welt für sie bereithält. Auch das gehört zum Menschsein.

Ich bin bereit, den Menschen die Liebe zu bringen und ihnen diese vorzuleben, so gut ich kann. Zu oft verlieren sie das Wesentliche aus ihren Augen. In ihrer unsagbaren Selbstsucht, dem ständigen Gegeneinander, dem Hass, dem Drang nach Macht, der Rache und der Gier nach Wohlstand vergessen sie ihren Nächsten. Das Wichtigste, was es überhaupt gibt, die Lösung, der Schlüssel zu allem, was Tore öffnet und alle Herzen: der Weg der Liebe!

 

»Ja, ich bin bereit für diese Reise.«

 

Was ich brauche, sind Helfer. Eltern, die besten, und somit natürlich vor allem eine Mama. Eine Mama, die mich liebt, mehr als sich selbst, was, wenn ich so nachdenke, ihr nicht schwerfallen wird. Schließlich bin ich ein Engel. Und, auch wenn es vielleicht hochnäsig klingen mag, ein wirklich wunderschöner.

 

Ich zweifle nicht. Mag dies etwa der Grund sein, dass ich es bin, den man fragt?

Gott hat den Menschen die Wahl gelassen, weil er an ihren freien Willen, an ihre Sehnsucht nach Wahrheit und Liebe glaubt und ihnen vertraut, egal, wie oft sich noch die Erde um die Sonne drehen wird. Bis alle Menschen dies verstanden haben.

Ich bin ein Teil dieser Liebe, so wie wir alle.

Was ich brauche, sind also zwei Seelen, stark und mit einem Wissen um die Liebe.

Diese Prüfung wird hart für sie sein. Sie werden sie nicht erwarten, aber ich lasse ihnen die nötige Zeit, um hineinzuwachsen.

Für die Menschen bedeutet die Ankunft eines Kindes in den meisten Fällen unermessliche Freude. Wie sollen sie damit leben, dass in meinem Fall die Freude einen bitteren Beigeschmack hat?

Aber die Stimme »nickt« und es wird still. Mein Auftrag ist klar. Ich habe keine Zweifel, keine Angst vor der Welt der Menschen, der Gefühle. Weiter komme ich nicht in meinen Gedanken, denn das Licht, das unsagbar helle und glitzernde Licht, schließt mich ein. Es beginnt, mich zu durchfluten, strahlt durch mich hindurch, umschließt mich, ergreift Besitz von mir, diese namenlose, hell scheinende Woge aus Licht und Energie. Ich lächele in mich hinein. Es ist das Leben, es ist auf dem Weg zu mir.

Ich horche und lausche, höre der anderen Seele zu, die da unten als Mensch schon lebt. Ich kenne sie noch nicht, aber auf einmal weiß ich, dass sie meine Mama ist, dass sie mich auf meinem Weg begleiten, tragen und lieben wird. Das ist meine Aufgabe, das ist mein Ziel. Und sie erwartet mich.

Und ich höre weitere Stimmen, die mich begleiten werden, und auf einmal bin ich voller Vorfreude auf dieses Leben. Es wird erfüllt und durchdrungen sein, von dem, was man auf Erden so oft vermisst, die Kraft der Liebe in ihrer hellsten und gottgegebenen Form.

Ich werde es leben, dieses Leben. Ja! Ich nehme es an, ich werde lieben und lernen, und andere werden durch mich lernen. Sie werden Gefühle in sich entdecken, von denen sie vorher noch nicht einmal wussten, dass es diese überhaupt gibt, dass sie in der Lage sein können, etwas zu empfinden, was sich für sie nur mit dem einen Begriff erklären lässt.

Dieser warme und wohlige Körper zieht mich an. Meine Mama! Dann werde ich Mensch. Ich trete diese Reise an.

Ich werde in die Welt geboren, um den Menschen ein Stück vom Himmel zu schenken.

Fast gleicht meine Reise einem Abenteuer, aber ich liebe Abenteuer, denn, oh ja, ich bin ein Kind, und so nehme ich alles, was da kommt, auch an wie ein Kind.

Dann sehe ich nichts mehr, es ist dunkel, aber immer noch warm, und ich fühle mich unsagbar geborgen. Ich staune, denn etwas umschließt mich, es ist – ich kann es kaum begreifen – das, was meine Mama bereits für mich empfindet.

Fast beginne ich, den Augenblick dieser so seltsamen Ruhe, des nicht zu beschreibenden Friedens, der grenzenlosen Geborgenheit, in welchem eine nicht in Worte zu fassende Liebe liegt, zu genießen, als es von außen her unruhig wird.

 

Ich verstehe, denn da ist es, dieses einzigartige Licht, von dem so viel ausgeht. Es begrüßt mich, als wäre es ein sprechendes Licht: »Willkommen auf der Erde, mein lieber Frieder!«

 

 

 

Zauber

 

Gib jedem Tag die Chance,

der schönste deines Lebens zu werden.

(Mark Twain)

 

 

Frieder kam als gesundes Kind auf die Welt. Kein Test zeigte irgendeine Auffälligkeit. Überhaupt strahlte Frieder eine große Ruhe aus. Er war selten unruhig und schrie kaum, sein kleiner Körper war die meiste Zeit voller Frieden und Glückseligkeit. Die gleiche Glückseligkeit, die auch ich empfand, wenn ich ihn ansah und ihn in meinen Armen oder im Tragetuch, eng an meinem Körper, herumtrug.

Mir hätte vielleicht auffallen können, dass seine Augen in dem kleinen Kindergesicht viel zu weise blickten. »Ich geh mit dir, wohin du willst, auch bis ans Ende dieser Welt. Am Meer, am Strand, wo Sonne scheint, will ich mit dir alleine sein.« – Wann immer ich für Frieder sang und die Musik aufdrehte, um mit Nena den Leuchtturmsong zu trällern, glänzten mich seine blauen Augen aufmerksam an, als verstünde Frieder mich. – »Komm, geh mit mir den Leuchtturm rauf. Wir können die Welt von oben sehn. Ein U-Boot holt uns dann hier raus. Und du bist der Kapitän.« Nahm er mich hier bereits beim Wort?

Jedenfalls begannen wir unsere geliebten Ausflüge.

 

Stolz über dieses kleine Wunder mit dem engelsgleichen Gesicht schob ich Frieder in seinem Kinderwagen herum. Er betrachtete die Welt mit seinen klugen, sanften Augen und sah hinauf in die Bäume, in die Wolken, in den Himmel oder schlief. Mir kam es vor, als würde ich mit Frieder die Welt noch einmal für mich entdecken. Ich lernte, so empfand ich es, alles mit neuen Augen zu betrachten.

Wenn ich heute auf diese erste Zeit zurückblicke, dann sehe ich uns in dieser Blase aus purem Glück, aus Geborgenheit. Es war der Anfang einer großen Liebe.

Niemand konnte ahnen, was die Zukunft uns bringen würde, sie warf ihre Schatten noch nicht voraus. Deshalb war es wundervoll, einfach im Augenblick zu leben und diese Zeit mit jedem Atemzug zu genießen, sie nicht mit sinnlosen Sorgen oder Ärger zu verschwenden.

 

*

 

Ich sehe die Sonnenstrahlen durch die Bäume funkeln.

Meine Welt ist das Gesicht meiner Mama. Sie trägt mich, beschützt mich. Ich fühle mich schon sehr geliebt. Ich fühle mich unendlich glücklich. Ihre Stimme umhüllt mich mit Liebe und Fürsorge, es gibt nur sie und mich. So könnte es für immer bleiben.

Beim Anschmiegen und Kuscheln liebe ich ihren Geruch, ihre Wärme. Noch besteht meine Wahrnehmung aus Gefühlen, Eindrücken, meine Sinne entwickeln sich ja erst. Auch mein kleines Gehirn ist gar nicht zu so großen Gedanken fähig. Noch jedenfalls nicht.

Aber ich weiß, ich bin sicher, ich kann vertrauen. Mir geht es gut.

Alles ist so wunderbar. So viel gibt es zu entdecken, so unsagbar viel, und es macht mich neugierig auf alles, was da auf mich zukommt. Ich habe mein ganzes Leben vor mir. Noch weiß ich nicht genau, wie meine Reise aussehen wird, doch alles ist so schön. Genau so, wie es sein soll.

 

 

 

Vielfalt

 

Die Sonne lehrt alle Lebewesen die Sehnsucht nach

dem Licht. Doch es ist die Nacht,

die uns alle zu den Sternen erhebt.

(Khalil Gibran)

 

 

Frieder war ein sehr aufgewecktes Kind. Ich war damals schon beruflich selbstständig und konnte die meiste Zeit von zu Hause aus arbeiten. Ich hatte mir zwar keinen genauen Plan gemacht und konnte ja auch nicht vorhersehen, wie mein Leben mit Kind aussehen könnte, dennoch wollte ich bis zu Frieders Kindergartenstart so viel Zeit wie möglich mit ihm verbringen.

Dinge, die ich vor Frieder gemacht hatte, die mir damals wichtig waren, wurden nichtig. Als Verlust empfand ich das nicht. Ich hatte nichts aufgegeben, vielmehr bedeutete es, die Welt neu zu entdecken, mit Frieder. Was gibt es Schöneres, als das erste Lächeln zu erhalten, das Brabbeln und Plappern deuten zu können? Mit seinem Kind das erste Mal mit dem Löffel zu essen, die ersten Fortbewegungen zu begleiten – all dies durfte ich miterleben und feierte es im Stillen.

 

Ich machte den Spagat, wie so viele andere Eltern, zwischen Arbeit und Kind, aber der war es mir Wert. Mein großes Glück war, dass meine Eltern ihren kleinen Enkel ebenso sehr liebten wie ich, ja, sie konnten ihn gar nicht oft genug bei sich haben. In der Zeit, in der Frieder bei ihnen war, wurde nichts anderes gemacht, als mit Frieder die Tage auszukosten. Nach nur wenigen Wochen übernachtete Frieder bereits bei Oma und Opa. Frieder fühlte sich sehr wohl bei seinen Großeltern. Durch diese liebevolle Unterstützung und das Vertrauen konnte ich meine Arbeit und meinen Frieder wunderbar unter einen Hut bringen. Mein Glück schien perfekt.

 

Frieder war mein ein und alles. Nichts hatte mich je glücklicher gemacht als seine Ankunft. Sein Zimmer lag auf der Sonnenseite der Wohnung. Ich richtete es mit viel Liebe und Fantasie ein, und ich hängte an die Wand über seinem Bett ein selbstgemaltes Janoschbild. Immer wieder sah Frieder es interessiert mit großen Augen an. Der Janoschtiger als Indianer verkleidet auf einer grünen, satten Blumenwiese.

Ich wollte, dass alles um ihn herum Freude und Sicherheit vermittelte, dass er spürte, welche Liebe ihm entgegengebracht wurde.

Es war, als habe er mich und mein Leben erst komplett gemacht. Frieder schlief auch immer wieder bei mir im Bett, und wann immer ich konnte, lag ich einfach nur neben ihm und bestaunte dieses kleine menschliche Wunder.

Frieder entwickelte sich schnell. Früh griff er nach Dingen, rollte sich zur Seite, plapperte die ersten Laute und hatte ein großes Interesse am Essen.

Ich bekochte ihn ab dem sechsten Monat. Es gab nichts, das ihm nicht schmeckte. Ich freute mich unwahrscheinlich, dass mein Frieder so einen gesunden Appetit besaß. Er riss mir bald den Löffel aus der Hand und aß selbstständig. Zumindest versuchte er es. Sein Speiseplan, der aus Nudeln, belegten Broten, Gemüse in allen Farbvarianten und verschiedenen Tee- und Saftsorten, abgefüllt in seiner Trinkflasche, bestand, war im Umkreis von Frieders Tripp-Trapp-Stuhl gut erkennbar.

Fast konnte ich dabei zusehen, wie er an Gewicht zulegte und wuchs, ganz so, wie es im ersten Jahr sein sollte. Es schien, als würde er jeden Tag etwas Neues dazulernen. Wieder war ich voller Staunen über dieses kleine Wunder Mensch, das in mein Leben gekommen war, um es zu bereichern und ihm einen neuen Sinn zu geben.

Auch Krabbeln lernte er früh, indem er sich flink mit seinem rechten Fuß abstieß und über den Boden robbte, bis er schließlich kaum noch aufzuhalten war, wenn er durch die Wohnung wanderte. Es dauerte nicht lange und er begann, sich an allem, was er greifen konnte, hochzuziehen. Sein kleines Holzfahrzeug und das Schaukelpferd, das ich schon als Kind hatte, waren für Frieder das Höchste. Er strahlte, lachte so laut, dass ich oft meine Telefonate unterbrechen musste.

Wenn ich ihn aufforderte, leiser zu sein, schaute er mich wissend an – und plapperte und quietschte munter weiter. Ich holte also tief Luft, vertröstete mein Gegenüber, schnappte mir Frieder, trug ihn in seinen Laufstall und zog mich in mein kleines Büro zurück. Bei geschlossener Tür startete ich dann einen neuen Versuch. Insgeheim aber freute ich mich, stolz über meinen lebensfrohen Frieder …

 

Jeden Entwicklungsschritt bejubelte ich und nahm mir vor, nicht einen Moment davon zu vergessen. Unzählige Fotos machte ich in diesen ersten Monaten, als würde es mir auf diese Weise gelingen, die Zeit anzuhalten, jeden Augenblick vor dem Vergessen zu bewahren.