Friederike Schlossmaus und der Raub der Türkenbeute - Sabine Staub-Kollera - E-Book

Friederike Schlossmaus und der Raub der Türkenbeute E-Book

Sabine Staub-Kollera

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Beschreibung

Gerade hat Maus Friederike im Karlsruher Schloss ihren abendlichen Rundgang durch die Schätze der "Türkenbeute" begonnen, da wird dort eingebrochen - und Friederike ist die einzige Zeugin! Die Polizei präsentiert schon nach einem Tag die angeblichen Diebe. Aber Friederike weiß es besser: Diese Männer können es nicht gewesen sein. Zusammen mit ihren Freunden, den Hausmeisterkindern Leonie und Paul, und ihrem Cousin Griffo macht sie sich auf die Jagd nach den wahren Tätern. Mit Mut und jeder Menge Kombinationsgabe kommen die vier ihnen auf die Spur. Doch plötzlich sind die beiden Mäuse auf sich alleine gestellt. Können sie jetzt noch verhindern, dass die Schätze der "Türkenbeute" für immer verschwinden?

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Seitenzahl: 271

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Sabine Staub-Kollera

Friederike Schlossmaus und der Raub der Türkenbeute

© 2018 Sabine Staub-Kollera, Website: staub-kollera.de

Lektorat: Dirk Hühner

Umschlag: Steve Faraday, Website: faradaysketches.tumblr.com

Verlag & Druck: tredition GmbH, Hamburg

ISBN:

 

Paperback:

978-3-7469-5775-3

E-Book :

978-3-7469-5776-0

Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und der Autorin verboten. Es darf in keiner Weise öffentlich verbreitet oder zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch für jede Art der Vervielfältigung, besonders der elektronischen, und für Übersetzungen.

1. Kapitel

Vorsichtig steckte die Maus das Schnäuzchen aus ihrem Loch und schnüffelte nach allen Seiten. Die Sonne war schon lange untergegangen, die Lichter ausgeschaltet. Alle Besucher hatten an diesem Ostermontag das Karlsruher Schloss verlassen, bevor die Putzkolonne unter Leitung der umsichtigen Rosanna den Museumssaal wienerte, damit am nächsten Tag alles wieder glänzte wie vor einem Ball.

Friederike hieß die Maus und sie begann ihren abendlichen Rundgang. Jetzt gehörte der Schatz wieder ihr, der heimlichen Wächterin der Türkenbeute.

Sie war sehr zufrieden mit der Arbeit der Putzleute: Die Fingerabdrücke waren von den Vitrinen verschwunden. Pistolen und Säbel lagen an ihrem Platz. Das goldbestickte Gewand sah aus, als ob der Markgraf gleich hineinschlüpfen würde, um zu einem Kostümball zu gehen.

Die Ausstellung hatte den Ansturm am Feiertag unbeschadet überstanden.

Friederike wusste, dass nur ein kleiner Teil der gezeigten Stücke aus der Schlacht bei Wien stammte, in der das Heer der Habsburger vor über 300 Jahren die türkische Armee besiegte. Das hatte sie bei den vielen Führungen gehört, die sie – unsichtbar für die Besucher - heimlich begleitet hatte.

Den Namen „Türkenbeute“ führte die Sammlung dennoch zu Recht, wie sie fand. Begründet hatte sie der „Türkenlouis“. So wurde Markgraf Ludwig Wilhelm genannt, weil er bei vielen Schlachten zeitweise das Oberkommando über die Habsburger Truppen geführt hatte. Aus diesen Kriegen brachte er Erinnerungsstücke mit nach Hause, manche aus der Beute, andere hatte er gekauft oder geschenkt bekommen. Später kamen noch viele Kriegsgeräte und Alltagsgegenstände zur Sammlung. Jetzt waren davon im Karlsruher Schloss insgesamt etwa 400 Stücke ausgestellt.

Friederike konnte das alles auswendig aufsagen, immerhin lebte sie seit vielen Jahren in der Ausstellung und war stolz darauf, eine echte Schlossmaus zu sein.

Sie trippelte um den Schaukasten herum, hinter dem sie ihren Bau eingerichtet hatte. Wie so oft blieb sie bewundernd davor stehen. Darin waren Gegenstände ausgestellt, die die Osmanen – so nannte man die Türken zu der Zeit, aus der die Gegenstände stammten - für das Essen unterwegs benutzt hatten.

Die Maus liebte die alten Löffel, Feldflaschen und besonders den kleinen ledernen Faltbecher, der auf Reisen sehr praktisch gewesen sein musste: Brauchte man ihn nicht mehr, wurde er ganz klein zusammengelegt im Gepäck verstaut.

Alles war sorgfältig verziert mit geschnitzten oder gemalten Blumenmustern und Ranken. Manche glitzerten und funkelten von den in Lack eingebetteten Perlmuttstückchen und den Gold- und Silberblättchen. Jedes noch so kleine Messer war geschmückt wie ein Kunstwerk, auch wenn es hauptsächlich im Alltag benutzt wurde.

Weiter huschte Friederike, hinüber zur gegenüberliegenden Vitrine mit Schriftkunst der Osmanen. Briefe und Urkunden mit verschlungenen Zeichen und rätselhaften Buchstaben waren darin ausgestellt, daneben die alten Schreibkästen, die es ihr schon immer angetan hatten.

Damals bewahrten die Schreiber darin ihre Werkzeuge auf, Federn, Tintenfass und ein Messerchen zum Anspitzen der Federn. Die rechteckigen Kästen waren verziert mit Bordüren aus Perlmutt, Elfenbein und Schildpatt. Sie sahen so kostbar aus, fand Friederike, dass man sofort verstand, wie viel den Türken damals das Schreiben bedeutete.

Nie hätte sie irgendwo anders wohnen wollen als in der „Türkenbeute“ und noch immer konnte sie sich nicht an der Pracht satt sehen.

Auch für ihr leibliches Wohl war hier gesorgt durch Rosanna, die Chefin der Reinigungskolonne. Sie ließ ihr die besten Stücke liegen, wenn sie Sauberkeit und Ordnung kontrollierte.

An diesem Abend fand Friederike gleich neben ihrer Lieblingsvitrine einen Rest Brezel, zwei Apfelschnitze und ein paar Haferkörner. Sie wünschte sich „Guten Appetit“ und verputzte alles an Ort und Stelle.

Gestärkt nahm sie ihren Weg Richtung Ausgang wieder auf, um in den Westflügel zu wandern. Dort wollte sie ihre Freunde Leonie und Paul besuchen, die Kinder von Schloss-Hausmeister Rosenberg und seiner Frau.

Gerade hatte Friederike die Ritze neben der dicken Abschlusstür zur Abteilung der Türkenbeute erreicht, da hörte sie ein Geräusch, das so gar nicht in diese Frühlingsnacht passte.

Zuerst piepste es, wie beim Wählen auf dem Handy. Dann klickte ein Schlüssel im Türschloss.

Friederike hörte Schritte – leise, aber für Mäuse deutlich vernehmbar. Wer konnte das sein? Für den Rundgang des Wachmanns war es doch noch viel zu früh! Da schlich tatsächlich ein Mensch - aber keiner vom Wachdienst.

Dieser hier kam heimlich und wollte nicht entdeckt werden.

Sie spitzte die Ohren. Einer? Nein, es waren zwei Paar Füße, die den Saal betraten. Was hatten diese ungebetenen Besucher vor?

Die Schlossmaus drückte sich an die Wand in den Schatten. Ihre Schnurrhaare bebten vor Aufregung und sie hielt den Atem an, obwohl sie wusste, dass Menschen sie nicht hören konnten.

Ein Lichtschein kam auf sie zu und ihre Beine begannen zu zittern. Das Licht bog ab und zog an ihr vorbei. Sie erkannte zwei schwarze Figuren mit einer Taschenlampe. Einer rumpelte fluchend an eine Vitrine. „Leise, du Simbel“, fuhr der andere ihn an.

„Zwei Männer!“, dachte Friederike und huschte ihnen hinterher, darauf achtend, dass das Dunkel sie schützte. Die beiden trugen Mützen, die nur die Augen frei ließen. „Das bedeutet nichts Gutes“, dachte die Schlossmaus.

Dann fiel ihr die große Reisetasche auf, die der eine trug. Sie schlackerte ganz leer an seinem Arm.

Keuchend hielt Friederike an. Sie konnte die Männer nicht mehr einholen, die mit großen Schritten davon eilten. Die Einbrecher waren viel schneller als sie und sie würde nicht verhindern können, was immer die beiden vorhatten. Verfluchtes Abendessen und alle Leckereien der letzten Wochen, die ihre Pfoten nun tragen mussten!

Plötzlich klirrte Glas schrill in Friederikes Ohren. Das konnte nur eines bedeuten: Die Männer räumten eine Vitrine aus! Und sie war die einzige Zeugin.

Außer dem Keuchen der beiden und dem Klappern und Scheppern der Beute, die sie in Windeseile einpackten, war im ganzen Schloss nichts zu hören. Niemand außer der Schlossmaus bemerkte den Einbruch.

Wieder hörte Friederike Glas zerbrechen. Die Diebe machten sich bereits an einer zweiten Vitrine zu schaffen.

Fieberhaft überlegte sie, was sie tun konnte, um die Räuber aufzuhalten. Leider war sie zu klein, um sich ihnen in den Weg zu stellen. Die würden sich kaputtlachen über eine Hausmaus, die ihnen entgegenfiepte: „Halt, Jungs, gebt sofort die Beute zurück! Ihr kommt hier nicht mehr raus!“

Verstehen würden die beiden sowieso keinen Pieps.

„Wenn ich nur Leonie und Paul zu Hilfe holen könnte!“, dachte Friederike. Doch dafür reichte die Zeit nie und nimmer: Bis sie auf ihren kurzen Mäusebeinen den langen Gang hinunter in den anderen Flügel getrippelt wäre und bei der Hausmeisterwohnung ankäme, hätten sich die beiden Männer längst aus dem Staub gemacht.

„Am besten verfolge ich die Diebe“, entschied Friederike blitzschnell. „Wenn ich die Kerle schon nicht aufhalten kann, finde ich so wenigstens heraus, wie sie ins Schloss hineingelangt sind.“ So schnell ihre Beinchen sie trugen, jagte sie ins Haupttreppenhaus. Hier mussten die Räuber auf dem Rückweg vorbeikommen und sie selbst hatte alles im Blick. Nach Luft japsend versteckte sie sich in der Eingangshalle hinter einer kleinen Litfaßsäule.

Sie ließ ihren Blick schweifen. Wo die beiden wohl eingestiegen waren? Friederike konnte kein eingedrücktes Fenster erkennen und das Hauptportal des Museums schien unversehrt.

Ein paar Mal klirrte es noch von fern aus den Räumen der Türkenbeute. Dann war anscheinend die Reisetasche der Räuber mit Kostbarkeiten gefüllt und sie machten sich damit auf den Rückweg.

Friederike hörte ihre Schritte wieder näher kommen, noch immer vorsichtig, aber gleichzeitig beschwingt, als ob sie erleichtert wären. Sie duckte sich in ihrem Versteck, als die beiden ins Mondlicht traten, das durch die hohen Fenster fiel.

Jetzt konnte sie die Männer zum ersten Mal ausführlich betrachten. Der eine überragte seinen Kompagnon um mindestens einen Kopf. Sie waren beide schlank, beim Größeren zeichneten sich unter dem T-Shirt deutlich trainierte Muskeln ab.

Die brauchte er auch, stellte Friederike mit einem Blick auf die ausgebeulte Reisetasche fest. Nun sah sie, dass jeder zusätzlich einen vollgestopften Wanderrucksack trug. Sie hatten die Türkenbeute wohl gründlich ausgeräumt.

„Laaf emol vor“, flüsterte der kleinere der beiden. Sein Dialekt war unüberhörbar, anscheinend stammte er hier aus der Gegend.

„Achtung, da kommt die erste Stufe“, antwortete der andere tonlos. Das war der Sportlichere, der jetzt auf die Treppe in den Keller zeigte.

Was wollten sie dort unten? Außer den Besuchertoiletten und der Garderobe für die Schulklassen gab es nichts, schon gar keinen Ausgang. Das musste sie sich ansehen!

Sobald die Einbrecher auf der Treppe waren, setzte sie ihnen hinterher. „Vielleicht“, vermutete sie, während sie einen Weg hinunter suchte, „verstecken sie die Beute dort unten und machen sich erst mal ohne sie aus dem Staub.“

Sie verwarf den Gedanken sofort wieder, weil er keinen Sinn ergab. Warum sollten sie die Sachen erst später mitnehmen, wenn das Schloss für Besucher wieder geöffnet war? Das war viel zu gefährlich. Es musste einen anderen Grund geben.

So leise sie konnte, hüpfte sie von Stufe zu Stufe. Vor lauter Aufregung verlor sie mehrmals das Gleichgewicht und landete schließlich auf dem Rücken.

„Potz Madendreck und Spinnebein!“, entfuhr es ihr und sie hielt sich schnell die Pfote vor die Schnauze. O weh, wenn sie sich jetzt verraten hatte! Aber niemand reagierte auf ihren erschrockenen Pieps.

Beim Sprung von der letzten Treppenstufe wartete der nächste Schreck auf sie: Sie verlor das Gleichgewicht und prallte unsanft gegen die nächste Wand.

Diesmal konnte sie sich nicht mehr beherrschen. „Aua!“, entfuhr es ihr, „aua, meine Schnauze!“ Friederike blieb ganz starr liegen. „Jetzt entdecken sie mich!“, dachte sie.

Doch nichts geschah, sie war ganz allein und außer ihrem Keuchen war kein Laut zu hören: Die beiden Diebe hatten sich samt ihrer Beute in Luft aufgelöst.

Friederike überlegte fieberhaft. Durch die Toilettenfenster konnten sie nicht entkommen sein. Die waren vergittert und es war unmöglich, so schnell und leise die Eisenstäbe durchzusägen. Aber wie hatten sie es dann geschafft?

Aufgeregt sprang sie zurück auf ihre Pfoten. Schmerz, Angst und Müdigkeit waren verschwunden. Allein würde sie das nie herausfinden. Sie musste sofort zu Leonie und Paul!

2. Kapitel

Ein zweites Mal in dieser Nacht musste Friederike viele Stufen überwinden, diesmal nach oben, weil ihre Freunde im zweiten Obergeschoss wohnten.

Zum Glück hatte sie in ihrer Jugend Leistungssport betrieben. Einmal hatte sie sogar die Karlsruher Mäusemeisterschaft im Fünfkampf gewonnen, Siegerin in den Disziplinen Rennen, Balancieren, Klettern, Verstecken und Nagen! Ohne diese Grundfitness – Friederike übersah geflissentlich ihr wohlgerundetes Bäuchlein - hätte sie sich eben erst noch von den Strapazen der Verfolgungsjagd ausruhen müssen.

Dass sie sich um ihre geliebten Ausstellungsstücke sorgte, gab ihr zusätzlich Kraft. Jammern half sowieso nichts, sie musste wieder nach oben, da biss die Maus keinen Faden ab.

Friederike nahm Anlauf und sprang so hoch sie konnte. Sie krallte sich am Rand der nächsten Stufe fest und schwang sich über die Kante. So überwand sie Stufe um Stufe, bis sie endlich im zweiten Stockwerk angelangt war.

Jetzt hatte sie es gleich geschafft: Nur noch durch die nächste Ausstellung, über den Flur dahinter am Aufzug vorbei und schon stand sie vor dem inoffiziellen Hintereingang zur Wohnung der Familie Rosenberg.

Als Abschluss des Ganges reichte hier eine Milchglasscheibe bis auf den Boden, die Menschen den Weg versperrte. Beim Einpassen dieser Scheibe hatten die Handwerker allerdings eine kleine Lücke am Boden übersehen, die Friederike nun als Durchgang nutzte. Sie hatte sie einmal zufällig gefunden, als sie sich fragte, woher der Duft von frisch gebackenem Käsekuchen kam. Hier gab es doch weit und breit keine Küche!

Damals folgte sie ihrer Nase, schlüpfte durch die Lücke und entdeckte, dass sie direkt neben der Küchentür der Hausmeisterwohnung stand, wo der Kuchen auf dem Tisch zum Abkühlen stand.

"Kuchen würde mir jetzt guttun", dachte Friederike, denn nun spürte sie doch die Strapazen dieser Nacht. Ihre Beine fühlten sich schwer und unbeweglich an, als wären sie aus Beton. Sie brauchte unbedingt ein Päuschen.

„Nur ein paar Minuten ausruhen, gleich geht's weiter“, murmelte sie, streckte alle viere von sich und erinnerte sich an die erste Begegnung mit den Kindern.

Die drei hatten sich kennengelernt, als Paul und Leonie noch sehr klein waren. Friederike war damals gerade auf der Suche nach einem eigenen Heim. Beim ersten Erkundungsgang auf eigenen Pfoten hatte sie sich in das Schloss verguckt. Sie mochte die großen hohen Räume, den weitläufigen Garten und sogar die vielen Besucher jeden Tag, denen sie Neuigkeiten aus aller Welt ablauschte.

Sofort beschloss sie, dort einzuziehen, auch wenn sie damals noch gar nichts von der Türkenbeute wusste. So sagte sie an einem schönen Sommerabend ihren Eltern Lebewohl und wanderte in ihr neues Heim. Ein passendes Mauseloch war schnell gefunden – damals noch in der Eingangshalle. Erst später zog sie in die Türkenbeute um.

Paul und Leonie waren die ersten Schlossbewohner, die sie traf. Paul lag im Kinderwagen und sah den Schatten der Blätter zu, die im Wind hin- und her wogten. Leonie spielte daneben auf einer Decke mit ihrem Kuscheltiger. Die Eltern der beiden schliefen im Gras.

Bei diesem ersten Treffen fanden Maus und Menschengeschwister heraus, dass alle Kinder sich mit Tieren unterhalten können, wenn sie klein sind. Doch nur Leonie und ihr Bruder, mittlerweile elf und fast neun Jahre alt, behielten diese Fähigkeit über die Kindergartenzeit hinaus. Die Freunde erkannten dadurch, dass Menschen regelmäßig trainieren müssen, sonst verlieren sie ihre Kenntnisse wieder.

Friederike bemerkte zudem im Laufe der Jahre, dass sie nur ganz langsam alterte. Mit ihren acht Jahren war sie noch immer fast genauso flink und kräftig wie in ihrer Jugend, obwohl Mäuse normalerweise höchstens drei Jahre leben. Sie vermutete, dass dies an ihrer Freundschaft mit den Menschenkindern lag.

Anscheinend war sie eine der seltenen Methusamäuse geworden, zu denen auch die Filmschauspielerin Inge Mausel gehörte. Die hatte das biblische Mausealter von elf Jahren erreicht und war Hauptdarstellerin in so beliebten Serien wie „Verbotene Tierliebe“, „Die Weltall-Tierklinik“ oder „Unsere Lehrerin Dr. Maus“ gewesen.

Bei diesen angenehmen Gedanken entspannte sich die Schlossmaus immer tiefer. Gleich würde sie einschlafen. Sie schreckte hoch. Oh nein! Das durfte sie nicht. Sie musste weiter, unbedingt, denn es war etwas Schreckliches geschehen.

Friederike zwängte sich durch den engen Spalt und schleppte sich zum Kinderzimmer. Mit ihren Vorderpfötchen zog sie an dem Glöckchen neben der Tür. Paul hatte es eingebaut, damit Friederike ihre Freunde jederzeit besuchen konnte.

Drinnen klingelte es leise, doch in der Wohnung blieb alles still. Nur aus dem Schlafzimmer der Eltern hörte sie jemand gleichmäßig schnarchen.

Noch einmal zog Friederike an der Troddel. „Dingelingeling“ schrillte es diesmal energischer. Ein Kind seufzte, dann fiel etwas auf die Erde. Leonie rief „Paul, wach auf, Friederike ist da!“

Jemand schlurfte zur Tür, die sich einen Spalt weit öffnete. Es war Leonie.

„Na endlich!“ Friederike konnte ihre Ungeduld nicht verbergen. „Zieht euch an und kommt mit, ich brauche eure Hilfe!“

„Was ist denn passiert?“, fragte Paul und gähnte ausgiebig. Er machte keine Anstalten aufzustehen.

„Das erzähle ich euch unterwegs, beeilt euch“, kommandierte Friederike, die wieder hellwach war. Doch die Kinder rührten sich noch immer nicht. „Im Schloss ist eingebrochen worden“, fiepte die Maus schließlich und trippelte vor Aufregung von einer Pfote auf die andere.

„Ratschepüh, Friederike, du hast geträumt“, gähnte Paul noch einmal. Er las für sein Leben gerne Comic-Hefte und liebte es, Geräusche nachzumachen wie die in den Sprechblasen. Dann strich er sich durch seine flaumig blonden Haare, bei denen Friederike immer an die Federn eines Küken denken musste, suchte nach einer bequemen Kuhle auf seiner Matratze und wollte die Augen wieder zumachen.

„Die Räume sind doch alle mit einer Alarmanlage gesichert, da kommt keiner rein“, ergänzte die dunkelblonde Leonie, die immer erst überlegte, bevor sie handelte. „Und der Wachdienst kontrolliert alle zwei Stunden. Geh’ wieder schlafen!“

Langsam verlor Friederike die Geduld mit ihren bequemen Freunden. „Sie haben die Türkenbeute geraubt, und jetzt kommt endlich!“ Die Maus piepste vor Aufregung wie eine Schallplatte, die zu schnell abgespielt wird. „Die Diebe sind längst über alle Berge. Durch den Keller entwischt, keine Ahnung, wie. Ihr müsst mitkommen, so schnell wie möglich!“

Paul und Leonie sahen sich an. Räuber, die lautlos kommen und einfach wieder verschwinden? Hatte Friederike etwa geträumt? Laut sagten sie: „Also gut, wir kommen mit. Aber alles noch mal der Reihe nach.“

Während die Kinder sich Pullis und Hausschuhe anzogen und ihre Taschenlampen einsteckten, lauschten sie dem Bericht ihrer Mäusefreundin. Dann hob Paul Friederike auf seine Hand, und die Kinder schlichen leise aus der Wohnung. Je weiter Friederike in ihrer Erzählung kam, desto schneller liefen sie. Zum Schluss rannten sie zum Tatort.

Im Licht des Mondes sah der Ausstellungssaal aus wie ein riesiger Haufen Sperrmüll, der schon mehrmals durchwühlt worden war. Umgekippte Vitrinen, zerbrochenes Glas, Regalbretter: Alles lag durcheinander und war kaputt. Die Kinder und Friederike hielten vor Schreck die Luft an, während Paul den Lichtkegel seiner Taschenlampe durch den ganzen Saal schweifen ließ.

Außer den Vitrinen mit dem schweren Sattelzeug und den beiden Zelten war nichts heil geblieben. Überall lagen Scherben und sie sahen auf den ersten Blick, dass viele von den schönsten und kostbarsten Stücken fehlten.

Vorsichtig stieg Leonie über das Durcheinander zur Vitrine mit dem Pferdeschmuck. Die kostbare silberne Zierplatte, mit Edelsteinen verziert, war weg. Sie hatte vor vielen Jahrhunderten die Brust eines Pferdes geschmückt. Auch das Reitzeug fehlte, das normalerweise daneben hing. Sie fand nur noch die abgerissenen Lederbänder, mit denen die wertvollen Teile einmal befestigt gewesen waren.

Leonie fühlte sich, als ob sie selbst beraubt worden wäre. Warum hatten die Diebe gerade ihre Lieblingsstücke mitgehen lassen? Schon lange träumte sie davon, reiten zu lernen. Und weil ihre Eltern es noch nicht erlauben wollten, war sie oft vor der Vitrine gesessen und hatte sich vorgestellt, zur Zeit des Sultans zu leben. Dann hätte sie schon als kleines Mädchen Unterricht bekommen und hätte später, als berühmte Tierärztin an seinem Hof, das todkranke Lieblingspferd des Herrschers geheilt.

Pauls Blick fiel auf den leeren Platz, an dem bis gestern Bogen und Pfeile hingen. Er ließ einen leisen Schrei los. Wie konnten diese Diebe so gemein sein, etwas wegzunehmen, das er kannte, seit er denken konnte? Oft hatte er sich ausgemalt, er sei als Handwerksbursche oder Küchenjunge bei der Belagerung vor Wien dabei gewesen. Die Kämpfe würde er aus sicherer Entfernung beobachten und den Bogenschützen zusehen, die in rasender Geschwindigkeit vom Pferd ihre Pfeile abschossen. Immer wieder verblüfften sie ihre Gegner mit ihrer besonderen Taktik, bei der sie zum Schein die Flucht antraten, um dann im Schuss nach rückwärts gewandt die Verfolger zu treffen.

Auch Friederike vermisste viele von den Dingen, denen sie am Abend noch einen Besuch abgestattet hatte. Sie sprach aus, was alle drei dachten: „Diese Schufte! Wie kann man nur so etwas Fieses tun!“

„Diese Sachen gehören doch allen!“, empörte sich Paul.

„Ob wir die Stücke jemals wiedersehen werden?“, fragte Leonie verzagt.

Niemand wusste eine Antwort. Leonie liefen die Tränen die Wangen herunter. Paul schluckte und rieb sich verstohlen die Augen.

Leonie fand als erste die Sprache wieder. „Wir müssen sofort den Wachmann holen. Er soll die Polizei rufen“, entschied sie. „Danach wecken wir Papa und Mama.“

Friederike war überrumpelt: „Halt, halt“, rief sie. „Ich schlage vor, wir suchen zuerst den Fluchtweg, bevor hier Polizisten jede Scherbe begutachten.“

Leonie sah Friederike zweifelnd an. „Das möchte ich lieber der Polizei überlassen“, antwortete sie leise. „Vielleicht sind die Diebe ja noch irgendwo hier im Haus. Wenn die Polizei nicht weiter kommt, können wir uns morgen immer noch drum kümmern.“

„Du willst wirklich schon aufgeben?“, fiepte Friederike empört. „Die Polizei glaubt euch doch nie, dass die Diebe das Schloss durch den Keller verlassen haben, wenn ihr ihnen nicht hieb- und stichfeste Beweise liefert.“

Paul war Friederikes Meinung. Er verstand überhaupt nicht, warum seine Schwester so zögerte. „Ist erst mal die Polizei im Schloss, hört keiner mehr auf uns“, wandte er ein. „Wenn wir wollen, dass die Räuber schnell gefasst werden, müssen wir der Polizei zeigen, wie sie abgehauen sind“, versuchte er Leonie umzustimmen. Sie blieb weiter standhaft.

„Überleg doch mal: Wir können nicht erzählen, dass eine Maus beobachtet hat, wie die Diebe das Schloss hier unten durch die Wand verlassen haben“, erklärte Paul deshalb weiter. „Die Polizisten halten uns entweder für übergeschnappt oder glauben, wir wollen sie auf den Arm nehmen. Deshalb müssen wir nach dem Fluchtweg suchen. Bitte Leonie!“

Aber Paul gelang es nicht, seine Schwester zu überzeugen.

3. Kapitel

So setzte Paul schließlich Friederike hinter den Prospektständer in der Eingangshalle. Von dort würde sie die Polizisten beobachten, wenn sie im Erdgeschoss arbeiteten. „Wir treffen uns morgen Nachmittag zum Sonnenuntergang am Brunnen bei der Abzweigung“, piepste Friederike, während die Geschwister davonrannten. Diese Stelle im Schlossgarten war ihr üblicher Treffpunkt, wenn sie unbeobachtet sein wollten.

Paul lief zurück zur Wohnung und weckte die Eltern, die kaum glauben konnten, was er ihnen erzählte.

Leonie holte den Wachmann Rudi Roppel, der in dieser Nacht Dienst hatte. Mauseschnell dachte sie sich eine Geschichte aus, wie die Kinder den Diebstahl entdeckt hatten. „Ich musste dringend aufs Klo“, begann sie, als sie zusammen mit dem gedrungenen Mann zum Türkenschatz eilte. „Da habe ich ein merkwürdiges Piepsen gehört. Zuerst dachte ich mir nichts dabei. Doch als es klirrte, habe ich schnell Paul geweckt, und wir sind bis an die Treppe geschlichen. Von hier oben konnten wir gerade noch sehen, wie zwei Männer die Treppe in den Keller hinunter rannten.“

Sie waren an der Tür zur Ausstellung angekommen, wo Paul gerade mit den schlaftrunkenen Eltern eintraf. Atemlos ergänzte er: „Wir hatten Angst, ihnen alleine hinterher zu gehen. Deshalb haben wir zuerst geschaut, was passiert ist, und euch dann gleich geweckt.“

Herr Roppel warf einen kurzen Blick auf das Durcheinander im Ausstellungssaal, fuhr sich durch seine roten Haare und wählte auf seinem Handy die Nummer der Polizei. „Ein Einbruch im Schloss“, meldete er. „Ja, wir warten und lassen alles so, wie es ist.“

Herr Rosenberg rief Museumsdirektor Schönstein an, dessen Stimme aufgeregt durchs Telefon quäkte. „Nein, wir wissen nicht, wer es war. Aber es sieht grauenhaft aus, die haben alles mitgenommen, was sie tragen konnten“, antwortete der Hausmeister auf die Fragen seines Chefs. „Bis gleich, Herr Schönstein.“

Herrn Rosenberg standen Schweißperlen auf der Stirn. „Ihr fasst nichts an, verstanden?“ knurrte er in Richtung seiner Kinder, wie immer, wenn er aufgeregt war.

Genau in diesem Moment ertönte von der Auffahrt ein vielfaches „Tatütata“ herauf. Bremsen quietschten und durch die hohen Treppenhausfenster warf das Licht der Autoleuchten blaue Schatten an die hohen Decken. Mehrere Männer und Frauen in weißen Kapuzenoveralls liefen die Treppe herauf und sperrten die Tür zum Ausstellungssaal mit einem rot-weißgestreiften Band ab.

Die Polizeibeamten begannen nach Spuren zu suchen, die die Räuber hinterlassen haben könnten. Damit sie dabei selbst keine zerstörten, trugen sie zusätzlich zu den Overalls auch noch dünne Gummihandschuhe. Einer fotografierte jeden Zentimeter des Durcheinanders, andere durchforsteten den ganzen Saal.

Niemand achtete mehr auf die Kinder, die sich vorsichtig direkt hinter das Absperrband bewegt hatten. „Die sind bestimmt hinter Fingerabdrücken her“, murmelte Paul.

„Dort drüben scheinen sie etwas gefunden zu haben“, antwortete Leonie und zeigte auf einen Mann, der ein schwarzes Pulver über eine große Glasscherbe streute und dann mit einem Pinsel sacht darüber strich.

Sie beugten sich weit über das Band, um besser sehen zu können. Da wurde eine Polizistin auf sie aufmerksam: „Das ist hier nichts für Kinder“, fuhr sie die beiden unwirsch an. „Geht weg, bevor ihr noch etwas kaputt macht!“

„Hier ist doch schon alles kaputt!“ Paul wollte sich nicht wegschicken lassen wie ein Baby. Doch Leonie nahm ihn am Arm und zog ihn hinter sich her zu den Eltern.

„Wenn es einmal spannend wird…!“, maulte ihr Bruder.

Seine Schwester schüttelte den Kopf: „Die Frau hat recht, wir sollten die Polizei in Ruhe ihre Arbeit machen lassen.“

Die Eltern Rosenberg waren mittlerweile in ein Gespräch mit einem Herrn in Zivil vertieft. Paul und Leonie sahen ihren Vater mit den Schultern zucken, die Mutter zeigte auf die Geschwister. „Unsere Kinder haben den Diebstahl entdeckt, die beiden dort an der Tür.“

Der Mann kam mit schnellen Schritten und wehenden Armen auf sie zu. Wie von einer Windböe getrieben umwehte ihn sein Mantel. „Hallo, Kinder, ich bin Kommissar Schwerenot“, stellte er sich vor.

Leonie musste kichern. Den Nachnamen kannte sie bisher nur als Teil eines Fluchs, den ihr Opa oft benutzte. “Schockschwerenot!“ rief der gerne aus, wenn ihm etwas misslang.

Irritiert sah der Kommissar sie an. „So heiße ich nun mal“, sagte er, verärgert, weil sie ihn abgelenkt hatte, und fuhr fort: „Wie ich hörte, habt ihr heute Nacht die Einbrecher gesehen.“

Leonie erzählte noch einmal von Anfang an, was Friederike beobachtet hatte.

Der Kommissar fragte ab und zu etwas und machte sich währenddessen Notizen auf seinem kleinen Block. Er klappte ihn mit ungläubiger Miene zu, als sie geendet hatte. „Ihr meint, dort vorne an der Treppe habt ihr die Diebe noch gesehen, aber als ihr in den Keller kamt, war da niemand mehr? Moment mal“, er wandte sich um und rief „Tischler!“ in den Saal, „Tischler, bitte kommen Sie.“

Eine blonde Frau mit kurzen dunklen Haaren, schlank und sportlich gekleidet in Jeans, Kapuzensweatshirt und Lederjacke, eilte herbei.

„Das ist meine Assistentin“, stellte Schwerenot sie vor und fuhr an sie gewandt fort: „Suchen Sie bitte bei den Toiletten nach Spuren - aufgebrochene Fenster, durchsägte Gitter, unverschlossene Notausgänge. Dort unten haben die Männer angeblich das Schloss verlassen.“

Sie nickte wortlos, nahm ein Köfferchen, das sie an der Wand abgestellt hatte, und verschwand genauso schnell wie sie aufgetaucht war.

An der Eingangstür zum Saal löste sich ein weiterer Polizist.

„Chef, ich glaube, wir wissen jetzt, wie sie in den Saal kamen“, sagte er. „Die Alarmanlage ist ausgestellt. Es muss also jemand dabei gewesen sein, der die Geheimnummer kannte.“

Kommissar Schwerenot kratzte sich am Kopf. „Das würde das Piepsen vor dem Zerschlagen der Vitrinen erklären. Sind schon irgendwelche Fingerabdrücke aufgetaucht?“

Der Polizist schüttelte den Kopf. „Überhaupt keine Spuren, die Einbrecher haben Handschuhe getragen.“

In diesem Augenblick stürmte Museumsdirektor Schönstein die Treppe herauf. Der kleine rundliche Mann hatte keine Zeit mit seiner Morgentoilette vertrödelt. Aus dem Schlaf gerissen, standen ihm die Haare vom Kopf ab und das Hemd zipfelte aus seiner Hose.

Atemlos näherte er sich Familie Rosenberg und dem Kommissar. „Das ist ja schrecklich!“, rief er schon von Weitem, „eine unserer beliebtesten Ausstellungen, und das auch noch in den Osterferien!“

Herr Rosenberg fasste ihn beruhigend am Arm: „Kommissar Schwerenot kümmert sich bereits um alles“, stellte er den Polizisten vor. Die beiden Männer gaben sich die Hand.

„Wann darf jemand von meinen Mitarbeitern in den Saal, um eine Liste mit allen geraubten Gegenständen zusammenzustellen?“, fragte der Direktor.

„Wenn meine Leute fertig sind mit der Spurensuche“, antwortete der Kommissar. „Aber bestimmt nicht mehr heute Nacht.“

Frau Rosenberg nutzte die Unterbrechung und nahm ihre Kinder zu sich. „Es wird Zeit“, sagte sie halblaut. „Bald geht die Sonne auf und ihr seht ziemlich müde aus. Ab ins Bett!“

Obwohl sie Recht hatte und die Kinder schon länger unaufhörlich gähnten, protestierten Leonie und Paul aus reiner Gewohnheit. Doch ihre Mutter blieb standhaft und schob sie in Richtung Treppe.

Paul hörte gerade noch, wie Assistentin Tischler ihrem Chef Bericht erstattete. „Da unten gibt es keine Spuren. Das einzige, was wir gefunden haben, ist ein ausgedrückter Zigarettenstummel. Da ich vermute, dass die Putzleute ihn nicht übersehen haben, nehme ich ihn zum Beweismaterial. Mal sehen, was wir daran finden.“

„Kein Hinweis auf einen Einbruch oder einen geheimen Ausgang?“, fragte Schwerenot.

Frau Tischler schüttelte den Kopf.

Der Kommissar sah den Kindern mit einem merkwürdigen Funkeln in den Augen hinterher. Konnte es sein, dass die sich diese Geschichte nur ausgedacht hatten, dachte er? Und wenn ja, was bezweckten sie damit?

Schwerenot wandte sich wieder Frau Tischler zu: „Besorgen Sie bitte einen Durchsuchungsbeschluss für die Hausmeisterwohnung“, sagte er halblaut.

4. Kapitel

Hinterher, als die Polizisten das Kinderzimmer wieder verlassen hatten, dachte Leonie, dass es wirklich genauso gewesen war wie auf ihren Krimi-CDs.

Ihr kam es vor, als sei sie gerade erst ins Bett gegangen, da wurde sie schon wieder von lautem Klopfen an der Tür geweckt. Bevor sie „Herein!“ rufen konnte, stürmten zwei von den Männern in den weißen Overalls ins Zimmer, befahlen ihr, aufzustehen, und begannen, alles gründlich zu durchsuchen.

Kommissar Schwerenot hatte die Hausmeisterfamilie in Verdacht, den Schatz gestohlen zu haben. Er glaubte einfach nicht an Phantome, die durch die Wand verschwanden.

Für seine Theorie sprach, dass Herr Rosenberg zu den wenigen gehörte, die die geheime Zahlenkombination der Alarmanlage kannten. Und er wusste auch, wann der Wachmann auf seinem Rundgang überprüfte, ob alles in Ordnung war.

Die Diebe, schloss Schwerenot daraus, hatten das Schloss nie verlassen: Er musste sie unter den Bewohnern suchen.

Die Beamten machten bei ihrer Durchsuchungsaktion in der Hausmeisterwohnung vor nichts halt. „Fangt im Kinderzimmer an“, hatte der Kommissar seine Mitarbeiter angewiesen. „Unter dem vielen Krimskrams, den Kinder heutzutage horten, lässt sich Diebesgut einfach verbergen. Dreht jeden Legostein um, schaut in alle Comic-Hefte. Wehe, ihr überseht etwas!“, hatte er gedroht.

Die Männer nahmen diesen Befehl sehr genau. Paul, der zu fest schlief, um auch nur das Geringste mitzubekommen, hoben sie hoch. Aber auch unter seinem Betttuch fanden sie nichts – weder Pferdeschmuck und Trinkflaschen, noch Pfeil und Bogen oder Schreibkästen. Nicht einmal ein klitzekleines Edelsteinchen hatte die Familie Rosenberg versteckt.

Nachdem die Polizisten wie eine Horde Maulwürfe das Unterste zuoberst gekehrt hatten, zogen sie ab, nicht ohne dass Kommissar Schwerenot versicherte, er werde ihnen schon noch auf die Schliche kommen. Den Hausmeister lud er für nachmittags um 15.00 Uhr aufs Präsidium. „Bringen Sie sich einen Rechtsanwalt mit“, riet er ihm beim Hinausgehen.

„Mein Papa kann es gar nicht gewesen sein, er hat geschnarcht, als ich auf dem Weg zum Klo war!“, rief Leonie dem Kommissar hinterher, der den Gang hinunter segelte.

Doch das interessierte den Kommissar nicht. „Das glaube ich erst, wenn wir weitere Anhaltspunkte dafür haben, dass die Diebe wirklich nicht aus eurer Familie kommen“, erklärte er unerbittlich. „Bis dahin gehe ich davon aus, dass du deinen Vater schützen willst.“

„Es bleibt anscheinend an uns hängen, den Fluchtweg der Räuber aufzuspüren“, dachte Leonie ärgerlich. „Erst dann wird Schwerenot einsehen, dass es Papa gar nicht gewesen sein kann.“ Mit diesem Gedanken legte sie sich wieder in ihr Bett und schlief ein.

Bis die Kinder an diesem Morgen an den Frühstückstisch fanden, stand die Sonne schon hoch über dem Schloss. Die Mutter war schweigsamer als sonst, Herr Rosenberg schon lange zur Arbeit gegangen. Er besprach mit seinen Kollegen, wie sie die Ausstellungsräume wieder herrichten wollten, sobald die Polizei den Saal frei gab. Das Schloss war wegen des Einbruchs geschlossen, später sollte es eine Pressekonferenz geben für alle Redaktionen, die darüber berichten wollten.

Paul staunte nicht schlecht, als Mama ihm erzählte, wie die Beamten das Kinderzimmer durchsucht hatten und er dabei seelenruhig weiterschlief.

„Du lagst da wie ein reicher Römer in seiner Sänfte“, kicherte Leonie. „Hätten bloß noch die Sklaven gefehlt, die dir links und rechts mit Palmwedeln Luft zufächeln.“

Bei der Vorstellung mussten alle lachen, und anschließend war ihre Mutter fast wieder die alte, gesprächige Mama, die geschäftig ihren Einkaufszettel kontrollierte und Anweisungen gab: „Ihr räumt den Tisch ab. Bis ich zurückkomme, will ich hier keine Tasse und keinen Krümel mehr sehen“.

Zum Glück hatten sie Osterferien und nachdem sie ihre Haushaltspflichten erledigt hatten, durchstreiften Leonie und Paul Schloss und Park auf der Suche nach Hinweisen auf die Diebe. Sie taten das so unauffällig, dass niemand auf die Idee kam, sie könnten hinter den Einbrechern her sein.

Es war viel ruhiger als sonst, dachten sie. In den Büros und draußen arbeiteten alle still vor sich hin, als gäbe es eine Belohnung für denjenigen, der die wenigsten Geräusche machte.

„Von den Angestellten könnte es jeder gewesen sein oder keiner, was meinst du, Leonie?“, fragte Paul seine Schwester. „Ob Friederike mehr herausbekommen hat?“

„Keine Ahnung“, gab Leonie zurück. „Noch mehr interessiert mich, wo sie steckt.“

Die Maus war in der Nacht – unbemerkt in dem Trubel - in ihr Mauseloch geschlüpft. Solange die Polizisten im Schloss waren und ohne die Unterstützung ihrer Freunde konnte sie wenig ausrichten.

Ausnahmsweise verzichtete sie darauf, ihre Schnurrhaare zu bürsten und das Fell zu putzen, obwohl sie sonst großen Wert auf Körperpflege legte. Sie fiel auf ihr Strohlager und war schon eingeschlafen, bevor sie die Augen richtig geschlossen hatte.