5,49 €
Weihnachten, ein Fest der Liebe und der Genüsse. Denken wir an dieses Fest, haben wir alle Gerüche von früher in der Nase, und auch der Geschmackssinn gaukelt uns die Leckereien von früher vor. Was aber noch alles zu Weihnachten gehört, erzählt uns der Autor in 30 Geschichten und 17 Gedichten. Er entführt uns darin in einige Regionen der Welt, die man nur vom Hören-Sagen kennt. Wussten Sie, dass hierzulande Weihnachten bereits im September beginnt? Oder wie Schiffe den Heiligen Abend begehen? Bekommen sie auch Geschenke, vielleicht ein neues Segel oder eine neue Schraube für den Motor? Wie feiert man Weihnachten in einem Bahnhof oder gar unter Palmen, und was trug sich zum Heiligen Fest in dem kleinen Hafenstädtchen Vegesack zu? Was hat ein Kasperletheater damit zu tun, und was will die kleine Nixe vom Weihnachtsmann? Seit wann können Leuchttürme fliegen, und warum ist ein Weihnachtsmorgen an der Ostsee besonders schön? Fragen, die der Autor dem Leser ausführlich beantwortet. Freuen Sie sich auf eine schöne Vorweihnachtszeit mit diesen wunderbaren Geschichten.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2019
Festliche und freche Gedichte und Geschichten zum Fest
von
Claus Beese
ELVEA
www.elveaverlag.de
Kontakt: [email protected]
© ELVEA 2019
Alle Rechte vorbehalten.
Das Werk darf, auch teilweise,
nur mit Genehmigung des Verlages
weitergegeben werden.
Autor: Claus Beese
www.claus-beese.de
Illustration: Angelina Streich
E-Mail: [email protected]
Layout: Uwe Köhl
Projektleitung
www.bookunit.de
Es ist soweit
Ganz hoch im Norden tut sich was, das macht den Kindern richtig Spaß. Der Weihnachtsmann ist unterwegs, bringt Gaben und so manchen Keks.
Bei den Kids, die artig waren, will mit Geschenken er nicht sparen. Drum ist es allerhöchste Zeit, Kinder, seid artig, weit und breit!
Der Mann, der keine Mühen scheut, ihm ist zu euch kein Weg zu weit. Vom Polarkreis in die weite Welt, reist er, weil es ihm gefällt.
Gaben bringen, Liebe schenken, durch den Schnee das Rentier lenken. Er hat sich auf den Weg gemacht, um bei euch zu sein, zur Heiligen Nacht.
Plätzchenduft kommt aus der Küche, ziehet köstlich durch das Haus, Tannenduft und solch Gerüche sagen immer sehr viel aus.
Gänsebraten mischt sich ein, leckerer Duft von rotem Kohl, voll Aroma dunkler Wein. Wer fühlt sich da nicht pudelwohl?
Wenn im Haus sind diese Düfte, ist der Winter eingekehrt. Weihnachtsmann fliegt durch die Lüfte, heute Abend wird beschert.
Hell erklingen Weihnachtslieder, unter des Baumes sattem Grün. Sachte rieselt Schnee hernieder, Eiskristalle im Licht erglühen.
In dieser Nacht wurde geboren ein Kindlein, zart und rein. Es war vom Herrgott auserkoren, auf der Welt sein Sohn zu sein.
»Verdammt!«, brummelte Hermann Klaasen vor sich hin. »Muss es denn jetzt auch noch schneien?«
Er schlug den Kragen seiner Jacke hoch und äugte gen Himmel, von wo die weißen Flocken in ihrer ganzen Pracht leise herunterrieselten, und sich auf Hermanns mächtigen Riechzinken setzten. Lautlos zog die Welt sich ein weißes Festtagsgewand an, und bereits nach kurzer Zeit konnte man nicht mehr erkennen, wo in dem weißen Flockenwirbel die Erde aufhörte und der Himmel begann.
»Verdammt!«, entfuhr es Hermann noch einmal. »Was hat mich nur geritten, ausgerechnet heute zum Angeln zu gehen?«
Ausgerechnet heute, damit meinte er den Tag, an dem die ganze Welt die Geburt eines Kindes feierte, den Heiligen Abend. Als er heute Morgen aus den Federn gekrochen war und aus dem Fenster geblickt hatte, strahlte die Sonne von einem blauen, nahezu wolkenlosen Himmel herab. Es war noch über null Grad gewesen und die Teiche und Seen sicher noch nicht zugefroren. Also, noch gutes Wetter um einen Weihnachtskarpfen zu fangen. Seit gestern Abend, als die Jungs ihn im Bootshaus am Blumenthaler Hafen mit ihren Weihnachtsgeschichten nervten, kreiste dieser Gedanke in seinem Kopf, und brachte ihm die schmerzliche Erinnerung.
Früher hatten sie jedes Jahr einen Karpfen gehabt, und wenn der Winter mal zu früh gekommen war, hatte seine Gertrud einen wunderschönen Karpfen in der Stadt beim Fischhändler gekauft. Aber seit nun mehr als fünf Jahren war alles anders. Seit Gertrud nicht mehr da war, hatte Hermann zu Weihnachten seine Angelruten nicht mehr angefasst. Und ausgerechnet heute hatte es ihn wieder gepackt und aus dem Haus getrieben. Er wollte, nein, er musste unbedingt einen Karpfen fangen. Verfluchtes Geschichtenerzählen!
Hermann stand mutterseelenallein und fröstelnd in eisiger Kälte an dem großen See und suchte im Schneegestöber einen Blick auf seine Posen zu erhaschen. Ja, der rote Schwimmer lag da drüben. Ob wohl schon ein Fisch an der Kartoffel schnupperte? Er bückte sich um die Rute anders zu lagern, als ein heftiger Biss an der zweiten Rute ihn bis ins Mark elektrisierte. Schon war er dort und nahm sie in die Hand. – Anhieb! – Nichts. Der schlaue Karpfen war schneller gewesen, und Hermann kurbelte missmutig den blanken Haken wieder heran. Schnell zwei neue Maiskörner auf den Haken, und die Angel wieder an die gleiche Stelle gelegt.
»Vielleicht schenkt mir ja der Weihnachtsmann doch noch einen guten Karpfen«, schoss es ihm durch den Kopf, und Hermann musste über diesen kindischen Einfall grinsen. Weihnachtsmann – pah! Sollten doch die anderen dran glauben, aber er doch nicht.
Hermanns Grinsen erstarb unvermittelt und ein heftiges Frösteln schüttelte seinen mageren Körper. Und wenn nun aber doch ...? Seine Gedanken wirbelten durcheinander wie die tanzenden Schneeflocken. Da! Hörte man da nicht ganz deutlich das leise Schellen von Schlittenglocken? – Quatsch! Doch, da lachte doch jemand mit einem lauten dröhnenden Bass?! – Unsinn, es war absolut nichts zu sehen.
Himmel, die Rute! Langsam, aber stetig lief die Schnur von der Rolle. Hermanns Adamsapfel hüpfte aufgeregt hinter dem Hemdkragen auf und ab, als er die Rute zur Hand nahm und den Schnurfangbügel überklappen ließ. Er setzte den Anhieb, und es war, als zöge jemand mit gleicher Kraft am anderen Ende der Schnur. Die Rute war krumm wie ein Flitzebogen, und die Schnur ratschte noch immer von der Rolle. Die eingebaute Bremse vermochte den Fisch nicht zu halten. Schon hatte er an die fünfzig Meter Schnur genommen, als er plötzlich die Richtung änderte und schnurstracks auf Hermann zuschwamm. Der kurbelte wie ein Besessener die lose Leine heran und hatte gerade wieder Fühlung zu dem Fisch bekommen, als der Karpfen erneut abzog.
Hermann gelang es nicht, ihn zu stoppen. Voller Verzweiflung versuchte er den Fisch unter Kontrolle zu bringen, und es kostete ihn eine halbe Stunde, bis er ihn landen konnte. Hermann war ziemlich erschöpft, als der große Fisch schließlich vor ihm im Schnee lag. Da hörte er wieder diesen dröhnenden Bass. Es war ein gutmütiges, heiteres Lachen, und es war ansteckend. Hermann konnte nicht anders, er lachte mit, bis seine rotgefrorene große Nase wackelte.
Die kurze Abenddämmerung war inzwischen hereingebrochen, und Hermann Klaasen konnte kaum noch die Hand vor Augen sehen, als er endlich sein Gerät auf dem Moped verstaut hatte. Den schweren Karpfen hatte er nur kopfüber in seinen riesigen Rucksack stecken können, so dass seine Schwanzflosse noch oben herausschaute. Hermann hatte Mühe gehabt, das Ganze auf seinen Rücken zu bekommen. Es schneite noch immer, und schon nach zehnminütiger, halsbrecherischer Fahrt über die verschneiten Feldwege sah er aus wie ein Schneemann. Der Kegel des kleinen, schwachen Scheinwerfers irrte durch die weißflirrende Dunkelheit und der schwere Fisch im Rucksack drückte gewaltig im Rücken. Hermann kämpfte sich Meter um Meter durch das Schneegestöber. Schon war er sich nicht mehr sicher, ob er die richtige Richtung hatte, als ihm ein zugewehter, fast einen Meter tiefer Wassergraben sagte, dass es hier nicht weiterginge.
Prustend und fluchend kletterte der pitschnasse Hermann die Böschung wieder hinauf und die Kälte griff nun mit Macht durch die nasse Kleidung. Hermann klapperte mit den Zähnen, doch auch das wärmte ihn nicht. Also fing er an zu laufen, so schnell es der Schnee eben zuließ. Innerhalb kurzer Zeit war seine Kleidung hartgefroren und an seiner großen Nase bildete sich ein Eiszapfen. Er hatte jedes Zeitgefühl verloren. Seine Beine schleppten ihn vorwärts, und nur noch rein mechanisch setzte er einen Fuß vor den anderen. Wenn er wenigstens den schweren Fisch hätte loswerden können, aber der war samt Rucksack an seiner nassen Jacke festgefroren.
Er hätte nicht sagen können, ob er eine oder zwei Stunden gelaufen war, es kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Er stolperte den kleinen Gartenweg herauf und lehnte sich schweratmend an die Tür des kleinen Häuschens. Als er auf die Klingel drückte, wurde ihm schwarz vor Augen.
Wohlige Wärme umfing Hermann, als er erwachte. Er schlug die Augen auf und fand sich in warme Decken gehüllt in einem gemütlichen Sessel vor einem prasselnden Kaminfeuer sitzend. Eine Frau in seinem Alter hielt ihm gerade einen steifen Grog vor sein markantes Riechorgan. Sie machte ein besorgtes Gesicht, aber als Hermann seine Lippen spitzte und sein Mund nach der Tasse schnappte, um an das heiße Gebräu zu kommen, lachte sie beruhigt. Genüsslich ließ Hermann das wärmende Getränk durch die Kehle rinnen.
»Haben Sie mich hierher in den Sessel geschleppt?«, krächzte Hermann, und die Frau nickte.
»Seit mein Mann vor Jahren starb, lebe ich hier allein«, erklärte sie und deutete dann hinter sich zur Tür. »In der Küche liegt ihr Karpfen. Ein Prachtexemplar! Petri Heil! Wo haben sie den gefangen?«
Hermann machte ein nachdenkliches Gesicht und atmete einige Male tief durch.
»Sind Sie der Weihnachtsmann?«, fragte er vorsichtig und als die Frau lachend den Kopf schüttelte, verzog er sein stoppelbärtiges Gesicht zu einem charmanten Lächeln und fragte: »Wie auch immer! Können Sie kochen? Kennen Sie Karpfen blau?«
Er fuhr zusammen, als vor dem Haus ein dröhnendes Gelächter ertönte. Ihm war, als hätte er durch das Fenster kurz das Gesicht eines alten, weißbärtigen Mannes, umrahmt von einer roten Kapuze gesehen. Dann hörten beide das Schellen von Schlittenglocken, das sich entfernte und bald im Heulen des Schneesturms unterging.
»Helfen Sie mir in der Küche mit dem Karpfen?«, fragte ihre leise Stimme und Hermann ergriff die Hände, die sich ihm entgegenstreckten.
Der kleine Bahnhof, in dem ich einen Teil meiner Kindheit verbrachte, lag in einem kleinen Ort am Deister. Es war kein großes Dorf, aber es besaß außer einem zur damaligen Zeit viel genutzten Bahnhof eine weitere Sehenswürdigkeit: In dem Ort lag ein echtes Rittergut, welches etwa um 1300 erbaut worden war. Vielleicht war es ja auch umgekehrt, etwa in der Art, dass das Rittergut derer von Bennigsen um sich herum ein Dorf besaß, aber im zarten Alter von drei Jahren gehörte das nicht zu den Themen, die mich wirklich interessierten. Mein ganzes Streben ging dahin, zu wachsen und meine Umwelt spielend zu erfassen. Damit und mit allerlei Schabernack, dem Freunde und Verwandte durch meinen Forscherdrang ausgesetzt waren, sah ich mich auch in Gänze ausgelastet.
Es waren herrliche Sommer, damals in den fünfziger Jahren, die wir im Garten einer befreundeten Arztfamilie verbrachten. Ihr riesiges Grundstück lag unserem Bahnhof genau gegenüber und lud uns Kinder zum Spielen ein. Immerhin waren wir zusammen derer sieben, da brauchte man natürlich seinen Raum, sollte das Spiel nicht in Zank und Streit ausarten. Unglaublich spannend waren die Ausflüge auf das Rittergut, auf das uns die Tochter des Hauses, eine Freundin meiner älteren Schwester aus der Schule, gelegentlich einlud. Dann stromerten wir durch den Park des gewaltigen Anwesens und stöberten in alten Pavillons und Gerätekammern, entdeckten die unheimlichsten Grüfte und Keller, Nischen und Winkel und gruselten uns auf das Schönste, immer in der Vorstellung, dass im nächsten Moment ein alter Ritter, sein Schwert schwingend, aus der Dunkelheit auftauchen könnte.
Nichts jedoch war so schön, wie die Zeit, in der rund um das Dorf die Arbeit auf den Feldern getan war, das Wetter auch allen anderen Arbeitern keine Tätigkeit mehr im Freien gestattete und die Welt sich langsam der beginnenden Winterruhe hingab. Irgendwann begann es zu schneien, dicht an dicht fielen die Flocken vom Himmel und deckten ein weißes Tuch über das ganze Land. Zwanzig, dreißig Zentimeter Neuschnee fielen in einer Nacht und brachten den Verkehr auf den Straßen vorübergehend zum Erliegen. Hochzeit für uns Kinder! Überall, an jeder Ecke, auf jeder Straße, wuchsen die Schneemänner aus dem Nichts. Wo gestern noch ein freies Fleckchen war, stand heute eine Schneehütte nach Eskimo-Art. Es war eine herrliche Zeit, so leise und gemütlich.
Nur in unserer Bahnhofswirtschaft ging es hoch her. Hier trafen sich allabendlich die, denen der Winter zwangsweise eine Arbeitspause verordnet hatte und die nun nichts weiter zu tun hatten, als sich in geselliger Runde die Zeit zu vertreiben. Vater stand wie gewöhnlich im Anzug hinter dem Tresen und zapfte für seine Gäste das Bier, während unsere Mutter in der Küche für das leibliche Wohl der Gäste sorgte. Es waren stets die gleichen Rituale, denn es waren auch stets dieselben Gäste. Manchmal war es schon nicht leicht, sie des Nachts zur Sperrstunde aus der Wirtschaft zu komplimentieren. Wohin sollten sie denn auch? Nach Hause? Wo war das? Auf den abseits gelegenen Höfen, wo weder Frau noch Kind auf sie warteten? Wo sie nur die stumpfsinnige Ödnis ihrer leeren Kammer empfing?
Nein, dann doch lieber hier in der warmen, freundlichen Gaststube im Bahnhof sitzen, mit Freunden lachen und es sich gut gehen lassen. Und doch, stets dann, wenn es am Schönsten ist, sollte man gehen. So sagt ein altes Sprichwort. Doch nichts hinderte einen daran, am nächsten Tag wiederzukommen um sich ein wenig geborgen und wohl zu fühlen.
Selbst am Heiligen Abend war die Gaststube geöffnet und erstrahlte im weihnachtlichen Glanz. Die Schänke war geschmückt mit Tannengrün, Lametta und brennenden Kerzen, und die Wirtsleute machten es ihren Gästen in der Schankstube schön heimelig. An diesem Abend waren die Zecher nicht ganz so laut, die Stimmung wohl feierlich, aber auch gedrückt. Noch war der Krieg nicht vergessen, der in viele Familien so schrecklich große Lücken gerissen hatte und die Einsamkeit einzelner war an diesem Abend mehr als greifbar. Konnte man diesen Menschen die Tür vor der Nase verschließen? Sie aussperren und ihnen das Gefühl von Weihnachten vorenthalten?
Im ganzen Haus stieg die Spannung. Bei uns Kindern sowieso, denn durften wir sicher sein, dass unsere guten Taten im vergangenen Jahr die bösen so weit überstiegen, dass wir vom Weihnachtsmann mit einem Geschenk bedacht wurden? Mancher von uns hoffte inständig, der alte Mann im roten Mantel möge seine Brille verlegt haben, wenn er in seinem großen Buch nach den Einträgen schaute.
In dem Clubzimmer, neben der Schankstube gelegen und eigentlich den Vereinen für ihre Sitzungen vorbehalten, stand zum Fest der große Weihnachtsbaum, dessen Spitze stets bis zur Decke reichte. Silbernes Lametta hing von den Zweigen und spiegelte das Licht der Wachskerzen derart, dass der ganze Baum, wie mit einem goldenen Schimmer überzogen, ein mildes Licht verbreitete. Ein Strahlen und Leuchten ging von ihm aus, das die Augen nicht blendete, aber tief im Herzen ein Feuer entfachte und der Seele wohlige Wärme spendete.
Mit großen Augen traten wir ein, bebend vor Erwartung, und bestaunten den Weihnachtsbaum, der geschmückt war mit dem silbernen Lametta, goldenen und roten Christbaumkugeln und vielen Süßigkeiten, die uns von den Zweigen her anlachten. Mit leisem Kratzen begann der Plattenspieler »Vom Himmel hoch ...« zu spielen und alle fingen an zu singen. Niemand von uns bekam mit, was sich vorn in der Schankstube abspielte.
Still war es dort geworden, als das Weihnachtslied ertönte. Lang reckten sich die Hälse und die Augen versuchten, durch die angelehnte Tür zum Flur einen Blick in den Clubraum zu erhaschen. Taschentücher versuchten, tränenüberströmte Wangen zu trocknen. Alle Gäste waren aufgestanden und drängten sich vor dem Tresen, hinter dem die Tür in ein für sie unerreichbares Weihnachtsland führte.
Mein Vater machte eine einladende Kopfbewegung, legte aber gleichzeitig seinen Finger auf die Lippen. Leise, auf Zehenspitzen, tappten erwachsene Männer hinter die Theke, peinlich genau darauf bedacht, kein Geräusch zu machen, das diesen heiligen Moment zerstören konnte. Leise schwang die Tür in unserem Rücken auf, während wir mit leuchtenden Augen vor dem Baum standen und wie hypnotisiert auf die darunter liegenden Geschenke schauten. Und genauso verzückt standen unsere Gäste in der offenen Tür hinter uns und wagten kaum zu atmen. Erst, als das Lied verklungen war und wir Kinder mit glühenden Gesichtern unsere Geschenke erhalten hatten, schob mein Vater die ganze Gesellschaft mit sanftem Druck wieder hinaus und schloss leise die Tür.
Draußen fiel sacht der Schnee vom Himmel und machte die Nacht hell und freundlich. Und wer ein feines Gehör hatte, der konnte das leise Schellen von Schlittenglocken vernehmen, das irgendwo vom Himmel her kam und scheinbar von Haus zu Haus wanderte, einen Moment verhielt, um dann zum nächsten schneebedeckten Dach weiterzureisen.
Kalt geworden sind die Nächte, es regieren des Winters Mächte. Aus der Wolken grauem Gefieder fallen Flocken leis hernieder, und die Welt, sie ziehet dann ein winterweißes Kleid sich an.
Schnee muss sein zur Winterzeit, denn dann freuen sich die Leut, die an Santa Claus schon denken, wie sollte der den Schlitten lenken? Wenn Schnee ist auf der Landebahn, landet weich der Weihnachtsmann.
Wenn Flocken tanzen in der Luft, es die Kinder aus den Häusern ruft. Schneemann bauen und, habt acht, los geht die erste Schneeballschlacht. Und wenn‘s bis Weihnachten nicht taut, wird im Garten ‘ne Schneehütte gebaut.
Es war wie in jedem Jahr. Der Nachmittag verging quälend langsam, und Dini und Sammy langweilten sich. Eben erst hatten sie zu Mittag gegessen, Mama spülte das Geschirr und Papa lief mit wichtigem Gesicht hin und her. Gerade eben rannte er die Treppe hinab um einen Moment später mit einer Säge und einem Beil wieder in die Wohnung zu stürmen.
»Wollen wir wetten?«, fragte Nadine ihre jüngere Schwester Samantha. »Der Weihnachtsbaum passt mal wieder nicht in den Ständer! Und jetzt macht er sich daran, Mama den neuen Teppich zu versauen!«
»Sie wird begeistert sein und nachher kriegen wir wieder die Schuld«, stimmte Sammy ihrer Schwester zu. Ganz offensichtlich hatte sie keine Lust, diese Wette anzunehmen. Gelangweilt schaute sie aus dem Fenster.
»Oh, schau mal! Es schneit!«
»Und so doll! Draußen ist ja schon alles weiß!«
Die Begeisterung der beiden kannte keine Grenzen, als sie das dichte Flockengestöber vor dem Fenster sahen. Ausnahmsweise einmal waren sich die zwei Mädchen einig, griffen zu ihren Jacken, schlüpften in die Stiefel und nach einem kurzen: »Wir sind draußen!«, knallte die Wohnungstür hinter ihnen ins Schloss. Es war herrlich! Ganz große Flocken wirbelten heran, und die Kinder versuchten, sie mit weit aufgerissenen Mündern aufzufangen.
»Für eine Schneeballschlacht reicht es noch nicht«, stellte Nadine mit einem bedauernden Blick auf Sammy fest. »Aber warte! Morgen bist du dran!«
»Kannst du eigentlich schon ein Gedicht? Oder sagst du wieder das vom letzten Jahr?«, fragte die kleinere Schwester.
»Wozu ein Gedicht? Für den alten, verkleideten Mann, der nachher kommt? Ich sage dir, der kann die ganzen Verse nicht mehr hören!«
»Dini!«, sagte Samantha erschrocken. »Das ist kein verkleideter Mann, das ist doch der Weihnachtsmann! Wenn du kein Gedicht sagst, bekommst du keine Geschenke! Und ich dann vielleicht auch nicht, weil du so frech bist!«
Sie verzog das Gesicht.
»Ich will aber Geschenke!«, heulte sie los, und Dini klopfte ihr auf die Schulter.
»Du bekommst ja auch welche. Und ich auch. Ich habe sie in Mamas Kleiderschrank gesehen. Also, keine Panik! Aber nur, dass du es weißt, einen Weihnachtsmann gibt es nicht. Das ist nur eine Erfindung der Erwachsenen, um uns Kindern Angst zu machen!«
Sammy hörte vor Schreck auf zu heulen.
»Das ist nicht wahr«, sagte sie leise. »Es gibt den Weihnachtsmann, du wirst schon sehen. Gut, er kann nicht überall sein, darum schickt er manchmal seine Gehilfen, die sich so anziehen wie er. Aber man weiß nie, ob es einer seiner Gesellen ist, oder er selber vor dir sitzt! Pass nur auf!«
Die beiden Mädchen hatten das Grundstück verlassen und standen nun vor dem Haus. Auf dem Gehweg keuchte ein alter Mann heran, der schwer an einem prall gefüllten Sack schleppte. Kurz vor den beiden sausten ihm auf dem schneeglatten Belag des Bürgersteiges die Beine unter dem Hintern weg und mit einem lauten: »Sapperlot!« plumpste er auf den Rücken.
»Uih! Der Weihnachtsmann!«, flüsterte Sammy und erhielt dafür einen Klaps von ihrer Schwester.
»Nie und nimmer! Das ist der alte Penner, der drüben im Wohnblock haust«, behauptete die, aber Sammy stapfte schon zu dem Alten hinüber.