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Die kleine Hinterhoffirma "Froschkönige - Agentur für Lebenshilfe" in Köln-Ehrenfeld bietet unter der Ladentheke eine Dienstleistung der "besonderen" Art an. Auf Kundenwunsch, nur gegen Empfehlung und sehr viel Honorar bringen Margaux, Paul und Hannes Menschen in Misskredit - und zwar auf breitester Front. Angefangen bei der Nachbarschaft, dem Bäcker, Arbeitgeber, Metzger und Supermarkt über den Tennis-und Golfclub bis hin zu den sozialen Medien. "Begeisterte" Auftraggeber sind dabei hauptsächlich betrogene und rachsüchtige Ehefrauen, die den untreuen Ex-Gatten nach der Scheidung gesellschaftlich ruinieren möchten. Doch beim aktuellen Auftrag läuft schon kurze Zeit später alles aus dem Ruder. Die Auftraggeberin nebst Gatten werden umgebracht. Von jetzt auf gleich sehen sich die drei als zentrale Figuren in einem außergewöhnlich brisanten Kriminalfall. Weitere Mordopfer pflastern plötzlich den Weg der Froschkönige und die Spuren führen bis in höchste politische Kreise.
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Seitenzahl: 404
Veröffentlichungsjahr: 2021
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© 2019 Ingo Lackerbauer
Rechteinhaber: Ingo Lackerbauer
Herausgeber: Ingo Lackerbauer
Autor: Ingo Lackerbauer
Foto Cover: Ilona Frey
Umschlaggestaltung: Ingo Lackerbauer
Korrektorat: SKS Heinen
ISBN-13:
ISBN-10:
Printed in Germany
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
1. Auflage. Auflage, 2019
Text Copyright © 2019 Ingo Lackerbauer
Alle Rechte vorbehalten
Erstellt mit Vellum
Über den Autor
Über das Buch
1. Der Tunnel am Ende des Lichts
2. Schlechte Stimmung
3. Fake-News
4. Tante Vera
5. Naturgewalt
6. Ungereimtheiten
7. Gewissen?!
8. Psycho gegen Bares
9. Recherche
10. Die Putzfrau packt aus
11. Cindy und Bert
12. Zwischenbilanz
13. Doppelt hält besser
14. Eskalation
15. Wie wär´s mit der Wahrheit?
16. Der seidene Faden
17. Krisensitzung
18. Nachtschicht
19. Devise – Durchhalten!
20. Oxytocin
21. Petit Noir
22. Deckel-Jupp
23. Die Sehnsucht des Metzgers
24. Bot, Bot, Hurra!
25. Hoher Besuch
26. Schachmatt
27. Wer hätte das gedacht?!
28. Das Licht am Ende des Tunnels
Ingo Lackerbauer, Jahrgang 1968, schreibt seit mehr als 25 Jahren als freier Journalist und Texter Artikel und Reportagen für diverse Print-Publikationen. Journalistischer Schwerpunkt ist dabei der Bereich Wissenschaft und Technik. Regelmäßige Veröffentlichungen finden in Zeitungen und Zeitschriften wie etwa dem Kölner Stadtanzeiger, Süddeutsche Wissen, Zeit Wissen, GEO, G-Geschichte, P.M. Magazin, P.M. History, Wunderwelt Wissen, Welt der Wunder, usw. statt. Bereits erschienen sind seine beiden Thriller »Das Tesla-Artefakt« und »Der Navajo-Code«.
Die kleine Hinterhoffirma »Froschkönige - Agentur für Lebenshilfe« in Köln-Ehrenfeld bietet unter der Ladentheke eine Dienstleistung der »besonderen« Art an. Auf Kundenwunsch, nur gegen Empfehlung und sehr viel Honorar bringen Margaux, Paul und Hannes Menschen in Misskredit - und zwar auf breitester Front. Angefangen bei der Nachbarschaft, dem Bäcker, Arbeitgeber, Metzger und Supermarkt über den Tennis-und Golfclub bis hin zu den sozialen Medien. »Begeisterte« Auftraggeber sind dabei hauptsächlich betrogene und rachsüchtige Ehefrauen, die den untreuen Ex-Gatten nach der Scheidung gesellschaftlich ruinieren möchten. Doch beim aktuellen Auftrag läuft schon kurze Zeit später alles aus dem Ruder. Die Auftraggeberin nebst Gatten werden umgebracht. Von jetzt auf gleich sehen sich die drei als zentrale Figuren in einem außergewöhnlich brisanten Kriminalfall. Weitere Mordopfer pflastern plötzlich den Weg der Froschkönige und die Spuren führen bis in höchste politische Kreise.
Der Strand war eine Pracht und strahlte dermaßen hell, dass es Paul in den Augen schmerzte. Nicht die kleinste Wolke störte das lupenreine blaue Firmament. Die Füße umspülten Wellen des angenehmsten und schönsten karibischen Wassers, das man sich vorstellen konnte. Perfekt! Eine ausnehmende Zufriedenheit und Leichtigkeit des Seins durchströmte den jungen Mann. Das i-Tüpfelchen war das Dutzend knapp bekleideter Strandschönheiten, die in Chor-Formation vor ihm standen, um die FC-Hymne in den wolkenlosen Himmel mit engelsgleichen Stimmen zu schmettern. Ov jung oder alt – ov ärm oder rich. Zesamme simmer stark FC Kölle. Durch dick un durch dünn – janz ejal wohin. Nur zesamme simmer stark FC Kölle. Paul schlenderte vor die Ansammlung geballter Schönheiten, räusperte sich dezent, holte tief Luft und sang voller Inbrunst mit. Sein Beitrag zur Gesangskunst war dermaßen außergewöhnlich, dass das Background-Vokalensemble innehielt, um dem Timbre des Meisters hingebungsvoll zu lauschen. Es flossen Tränen ob der Noblesse von Pauls Gesang. Selbst die präsent dösenden Einhörner bekamen feuchte Augen und mussten sich arg beherrschen, keinem bewundernden Heulkrampf anheimzufallen.
Das Scheppern der alten Ladentürglocken löste den Tagtraum unvermittelt auf. Wobei von unvermittelt nicht ansatzweise die Rede sein konnte. In Zeitlupe gewann die schnöde Realität Oberhand. Mist, die prachtvolle Szenerie verpuffte ins Nirwana. Er befand sich wieder im Büro der Hinterhoffirma Froschkönig – Agentur für Lebenshilfe. Seiner Firma. Hmmm! Stöhnend bewegte er die Füße von dem in die Jahre gekommenen Schreibtisch. Paul nahm eine aufrechte Haltung ein, streckte die Gliedmaßen, dass es knackte, und erstarrte einen Moment.
Hallöchen! Im Türrahmen stand eine Mittfünfzigerin, deren beste Tage zwar vorbei waren, die dessen ungeachtet jedoch noch jede Menge Attraktivität versprühte. Man durfte freilich nicht ins Detail gehen. Der Hals, es war wie sooft der Hals. Er posaunte das wahre Alter heraus. Obwohl die Meister der plastischen Chirurgie sich Mühe gegeben hatten, eine gehörige Portion Gesichtsfalten wegzubügeln, konnte man den Lauf der Zeit kaum aufhalten. Dennoch, die Gute war top in Schuss und besaß augenscheinlich Klasse. Das erkannte er auf einen Blick – schweineteurer schwarzer Hosenanzug, italienische High Heels in Rot und ein präzise nach hinten gelegter, blonder Zopf. Die Finger zierten diverse Klunker – einer auserlesener und teurer als der andere. Und das Handgelenk von Miss Perfect schmückte standesgemäß zu allem Überfluss eine dezente Rolex Yacht Master Lady. Die Frau roch, ach was, sie stank nach Geld.
Madame griff in ihre Tasche, holte ein Zigarettenetui heraus – natürlich aus Gold, was sonst – und zündete eine Zigarette an. Selbstredend mit einem Flammenwerfer, aus dessen Verkaufserlös Paul die Miete für die kommenden Monate locker hätte zahlen können. Wie ungerecht die Welt war. Nachdem der Anflug von Sozialneid vergangen war, nahm ihn erneut eine Fantasie gefangen. Er stellte sich vor, wie er und die Grande Dame es an einem schillernd weißen Strand in der Karibik trieben, umgeben von Luxus in einem unbekümmerten Leben. Ein hemmungsloses Postkartenleben und Paul mittendrin.
»Hallo, aufwachen! Kundschaft!«
Puff und das war’s aufs Neue mit der Illusion vom illustren Dasein ohne Sorgen und Nöte. Der zweite geplatzte Tagtraum für heute – lausige Quote.
Er schüttelte den Kopf und eilte dem verführerischen Gast entgegen, um ihn weiter ins Herz des Büros zu bitten. Paul hastete zu schnell für seine immer noch nicht in Gänze erwachten Beine. Im Ergebnis stolperte er unglücklich über den Mülleimer und legte sich der Länge nach hin. Peinlicher hätte ein erster Kundenkontakt kaum ausfallen können. Die Blondine verzog genervt und wenig belustigt die Augenbrauen, inklusive der frisch aufgespritzten Mundwinkel.
»Sagen Sie, sind Sie von Geburt an Bewegungslegastheniker oder haben Sie sich das hart erarbeitet? Geben Sie mir Bescheid, wenn wieder genügend Blut in Ihr Hirn gepumpt wurde, um ein einigermaßen vernünftiges Gespräch zu führen. Und mein Junge, Sie haben eine Minute Zeit, mich von Ihren Qualitäten zu überzeugen. Ansonsten bin ich weg! Verstanden?«
Paul lag immer noch auf dem Teppich, starrte die Blondine von unten herauf an und nickte langsam. Die Sympathiewerte für die Lady sanken auf ein überschaubares Niveau. Er wollte etwas sagen, heraus kam jedoch nur ein unverständliches Gestammel. Die Frau atmete betont genervt ein und aus, schüttelte den Kopf und zog die linke Augenbraue erneut nach oben. Sie bereute, einen Fuß in dieses Etablissement gesetzt zu haben. Was für ein Spacko! Wieso hatte sie auf den Ratschlag der Freundin gehört und den dubiosen Laden aufgesucht? Indes, was hatte sie zu verlieren? Möglicherweise waren die Kollegen ja mehr auf Draht. Das Exemplar hier zu ihren frisch rasierten Beinen verhieß allerdings nichts Gutes. Paul rappelte sich auf, wobei ihm die Schamröte ins Gesicht schoss.
»’Tschuldigung! Was kann ich für Sie tun, Frau …?«
»Frau Dr. Blastonk.«
»Ah, Ärztin?«
Die Blondine schaute ihn verächtlich an. »Gott behüte, mein Mann ist promovierter Bio-Chemiker. Ich bin die Frau Doktor.«
»Ach so.«
»Ja ganz genau, ach so. Sparen wir uns das Geplänkel und nein, ich möchte nichts trinken.«
Paul verspürte immer weniger Lust, dieser arroganten Trulla Zeit zu opfern. Allerdings sah sie nach mächtig Kohle aus und ein finanzieller Schub war mal wieder mehr als überfällig. Okay, Augen zu und durch.
»Na, dann schießen Sie los!«
Frau Dr. Blastonk griff ihre weißen Cabriofahrer-Lederhandschuhe und wedelte damit über den betagten Klientenstuhl vor dem Schreibtisch, um die Sitzfläche von imaginären Staubpartikeln zu befreien. Danach nahm sie Platz und schlug die Beine übereinander.
»Bitte setzen Sie sich.« Diese Spitze musste er loswerden.
»Mein werter Gatte – Arschloch hoch drei – vögelt die gesamte Belegschaft seines Ladens querbeet und meint, er würde damit durchkommen. Und zu Hause mimt er den treuen Ehemann. Ich bin ja blond, blöd bin ich deswegen noch lange nicht. Und das Schlimmste: Er ist zu doof, die verräterischen Zeichen wie Lippenstift auf dem Kragen oder den Duft des Schlampenparfüms zu beseitigen. Und im Bett läuft sowieso nur alle Jubeljahre etwas zwischen uns.«
Kaum vorstellbar für Paul, der diese Edelbraut niemals von der Bettkante gestoßen hätte.
»Kurzum: Bevor ich mich scheiden lasse, ist es mir ein tiefes inneres Bedürfnis, den Blödmann leiden zu sehen. Und da kommen Sie ins Spiel. Machen Sie ihn fertig, und zwar auf allen Ebenen des menschlichen Daseins, wenn man bei dem Bastard davon sprechen kann. Verleumden Sie ihn, zerstören Sie seinen Ruf. Ich möchte, dass er, sobald er die Straße betritt, von Nachbarn, Arbeitskollegen bis hin zu den Besitzern der Läden in unserer Nähe schief und verachtend angesehen wird, als hätte er die Pest oder Schlimmeres.«
»Und wieso denken Sie, dass wir derlei Dienstleistungen anbieten? Das ist illegal!«
Paul musste sich vergewissern, dass die werte Gattin Blastonk kein fauler Fisch war. Das, was er, Hannes und Margaux taten, war nicht die feine englische Art und oft hart an der Grenze der Legalität. Und teilweise überschritten er und seine beiden Freunde und Partner diese Demarkationslinie eindeutig. Falls bekannt werden sollte, womit sie ihre bescheidenen Brötchen verdienten, wären Knast und eine saftige Geldstrafe durchaus möglich. Keine behagliche Vorstellung.
»Ja, bla, bla, bla. Ich bin eine Bekanntschaft Ihrer Tante Vera. Die hat mir Sie und die Agentur für meine Zwecke wärmstens empfohlen. Und wenn ich mir den Verschlag hier anschaue, denke ich, dass Sie jeden Cent bitternötig haben. Legal oder illegal. Mir ist das wurscht! Wobei ich mir nicht mehr sicher bin, ob das die richtige Entscheidung war. Ehrlich gesagt, Kompetenz strahlen Sie im Moment keine aus!«
Frau Dr. Blastonk blickte hochnäsig umher, während sie den massiven Goldarmreif am Handgelenk geistesabwesend befingerte und zum Rotieren brachte. Die Gute war trotz der zur Schau getragenen Coolness reichlich nervös. Sie griff in ihre Handtasche, zückte ein Scheckheft und kritzelte darin herum – natürlich mit einem güldenen Montblanc-Kugelschreiber. Abschließend riss sie den Scheck heraus und knallte ihn auf den Schreibtisch.
»Ich denke, das sollte mehr als genügen!«
Paul packte den Fetzen Papier und erstarrte. Das Herz begann heftig zu pochen und die Kehle trocknete schlagartig aus. Meine Herren, das Golden Girl hatte 40.000 Euro eingetragen. Oder hatte sie sich in der Kommastelle vertan? Kurzerhand beschloss er, dass kein Irrtum vorlag. Er vereinnahmte das Stück gesicherte Zukunft mit zittrigen Händen und versenkte es in der Schublade des Tisches.
»Wir sind Ihre Leute. Sie werden zufrieden sein!«
»Das will ich schwer hoffen. Ach ja, und beginnen Sie mit Ihren wie immer gearteten Dingen erst übermorgen. Die Zeit brauche ich, um die Villa bzw. den Noch-Arschloch-Mann um ein paar Sachen zu erleichtern. Das ist mir dieses untreue Schwein schuldig. Und dann verschwinde ich auf Nimmerwiedersehen. Der Drecksack soll in der Hölle schmoren.«
Abschließend zückte die rachsüchtige Ehefrau einen Briefumschlag aus der Tasche. Sie warf ihn auf den Schreibtisch.
»Darin finden Sie alles Maßgebliche zu meinem Ehemann. Das sollte Ihre Arbeit vereinfachen. Und dass eines klar ist – ich war niemals hier! Das Portfolio haben Sie nicht von mir bekommen. Vom Auftrag zu schweigen. Ehe Sie fragen: Rechnung brauche ich keine! Ist das einigermaßen durchgedrungen?« Dabei tippte die Blastonk mit dem Zeigefinger an ihren Kopf.
So schnell, wie diese Erscheinung in der Agentur aufgetaucht war, verschwand sie wieder. Der Spuk dauerte nicht länger als zehn Minuten. Fast tat Paul der Ehemann der wertesten Frau Doktor leid. Aber nur fast! Der Unwissende hatte keinerlei Ahnung, was in den kommenden Tagen und Wochen auf ihn zukommen würde. Selber schuld! Wer fremdvögelte, musste mit den Konsequenzen leben, wenn ihm das Ganze um die Ohren flog.
Das Gebimmel der antiken Türklingel signalisierte, dass erneut jemand das Büro betreten hatte. Mein Gott, was für ein Betrieb! Paul konnte heute mit dem Stress sehr viel gelassener umgehen als üblich. Das lag vor allem am Scheck der Blastonk. Er grinste.
»Hallo Freunde des gepflegten Müßiggangs. Wer da?«
In der Tür stand Albert, Sonnyboy der fleischverarbeitenden Industrie, Vermieter des Hinterhofbüros und seines Zeichens Pferdemetzger aus Leidenschaft mit Ladenlokal im Vorderhaus. Er entsprach so gar nicht der landläufigen Vorstellung eines Metzgers – blonde, gelockte schulterlange Haare, ein hellhaariger Bart, strahlend blaue Augen, ein athletischer Körper mit Muskeln an den dafür vorgesehenen Stellen und mindestens dreißig leuchtende Xenon-Zähne jeweils oben und unten. Alles in allem eine Erscheinung, die Paul an Thor den nordischen Gott des geliebten Marvel-Superhelden-Universums erinnerte. Was der ganzen Figur ein wenig abträglich war, war die blutverschmierte weiße Gummischürze und ein immens beeindruckendes Metzgerei-Fleischbeil, das er in der Hand hielt. Das verschob ihn eindeutig weg von der schillernden Gottheit, hin zum Psychopathen Hannibal Lecter.
Albert sah nicht nur aus wie ein Surfertyp, vom momentanen Outfit einmal abgesehen, er war auch einer. Im Jahre 2011 trug er offiziell den Titel des Deutschen Wakeboard-Meisters und sackte mit diversen Preisgeldern und einigen gut dotierten Werbeverträgen einen beachtlichen Batzen Geld ein. Den investierte er in das Fleischfachgeschäft, den Innenhof sowie dem darin vorhanden Büro-Anbau. Gott weiß warum! Das Verständnis dafür lag weit jenseits von Pauls Vorstellungskraft. Aber es schien so, dass Albert in der Tätigkeit des Metzgers aufging wie ein Hefezopf im Backofen. Metzgerei war die Berufung des schnieken Surfers. Ironischerweise tat dies der Liebe zu Pferden keinen Abbruch. Regelmäßig nahm er Reitunterricht in einem Gestüt vor den Toren Kölns. Strange! Paul vermutete allerdings, dass er nach potenziellen Opfern auf vier Hufen Ausschau hielt und beste Beziehungen zu den hiesigen Gestüten pflegen wollte. Ein Schelm, wer Böses dabei dachte. Und immer wieder, das hatte die Gottheit aller Fleischer einmal im Vertrauen rausgelassen, verschauten sich die schönsten Mädchen der ortsansässigen Stallungen in den ansehnlichen Albert. Kam die Sprache auf den Job, war es aus, und zwar sehr schnell. Aus Schwärmerei für den gut gebauten Strahlemann wurde blankes Entsetzen. Die armen Pferde hieß es dann. Nicht etwa, die armen Kälbchen oder Ferkel. Nein, es waren halt nur die armen Pferde! Verquere Logik, als ob ein Tier besser oder schlechter wäre als ein anderes. Und das wurmte Albert immens. Er wollte eine Frau! Na klar, er hätte locker bei einer Fleischereifachverkäuferin landen können, die waren ästhetisch und intellektuell jedoch nicht ganz seine Kragenweite. Er brauchte etwas Schöngeistiges! Aber im Kosmos der holden Weiblichkeit schien es keinen Stern für Albert zu geben, was zur Folge hatte, dass er sukzessive auch mal über den Tellerrand schaute. Schließlich lebte man hier in Köln! Und unter den gut gebauten schwulen Männern der Stadt war die Chance einfach größer, einen Fleischliebhaber zu finden. Mann blieb meist Mann, also Fleischesser, abgesehen von irgendwelchen verschrobenen Veganern. Er konnte sich einen Kerl, der es ihm ab und an besorgte, ganz gut vorstellen und vielleicht würde ja tatsächlich eine Beziehung dabei herausspringen. Er hatte fest vor, das männliche Angebot in Kürze zu evaluieren.
»Was verschafft mir die Ehre, Hannibal?«
»Sehr lustig! Ich habe den Schuss gesehen, der aus deinem Büro kam und in das Porsche Cabrio an der Straße stieg.«
»Ja und?«
Alberts Metzgerei-Beil krachte zu Boden. Er riss die Arme nach oben und fing an, einen Tanz aufzuführen. Bizarr, wie Paul verunsichert feststellte.
»Gib mir M, gib mir ein I, gib mir ein E, gib mir ein T und gib mir ein E. Und nun alle zusammen: MIETE!«
Paul stöhnte. »Scheiße, ja, die Miete, ich weiß.«
»Ein Geldschub in Sachen Wohnberechtigungsentgelt wäre mal wieder sehr angebracht, mein Lieber!«
Dabei griff er das am Boden liegende Beil und machte diese typische Fingernagelprobe, ob das Ding scharf war. Paul hasste das. Ein Schauer lief ihm über den Rücken.
»Ich schieb dir die Kohle die kommenden Tage rüber. Versprochen!« Paul packte den Scheck und wedelte damit hin und her. »Denn wir haben einen Auftrag!«, flötete er.
Albert hob den Daumen, nickte anerkennend und verließ das Büro. Dann stoppte er und hinterließ ein Paket mit Wurst. Betont lässig schmiss er es auf den Tisch.
»Hier, dass ihr mir nicht vom Fleisch fallt. Lasst es euch schmecken.«
Paul war happy und fieberte der Rückkehr seiner beiden Kollegen Hannes und Margaux entgegen, um ihnen den Scheck gigantischen Ausmaßes zu präsentieren. Er platzte vor Freude und den neu gefundenen Glauben an eine erfolgreiche unternehmerische Zukunft. Nervös und hibbelig trommelte er mit den Fingern auf die Tischplatte des Schreibtisches. Er drohte jeden Moment zu explodieren. Wen könnte er anrufen? Vera! Vera Zakowski – einst gefeierter internationaler Bühnenstar – war die einzige Verwandte und eine Diva, wie sie im Buche stand. Im Laufe des beruflichen Werdegangs heimste sie zahllose Auszeichnungen für ihr schauspielerisches Talent ein, aus denen sie sich jedoch nicht viel machte. Die Bambis, ein Oscar sowie unzählige diverse kleinere Prämierungen dienten als Briefbeschwerer und Türstopper in der mondänen Villa. Mit Lobhudeleien in derlei Form hatte es die Teuerste nicht. Die Staubfänger erinnerten den einstigen Filmstar permanent an längst vergangene goldene Zeiten. Mit der Karriere war es eine halbe Ewigkeit vorbei. Dennoch, die Zakowski kannte man noch immer. Auch im fortgeschrittenen Alter – das exakte Baujahr hielt Vera streng unter Verschluss – bekam sie ab und an Einladungen in diverse Talkshows und Interviewangebote der Yellow Press, die sie konstant ablehnte. Tante wollte mit dem ganzen Zirkus nichts mehr zu tun haben. Insgeheim freute sie sich allerdings, dass ihr Name immer noch eine gewisse Bedeutung hatte. Die wahren und treuesten Fans kamen freilich aus einer anderen Szene. 1972, das Geld floss weniger als spärlich, ergatterte sie einen Synchronsprecher-Job beim Fernsehen. Sie sollte die Computerstimme des Raumschiffes Enterprise in der deutschen Synchronisation der gleichnamigen Serie sprechen. Gern hätte sie eine richtige Synchronrolle erlangt, aber man durfte damals kaum wählerisch sein. Und diese Tätigkeit füllte sie ebenfalls mit all der Gewissenhaftigkeit aus, die sie bis heute auszeichnete. Eine Eigenschaft, die Tantchen nie ablegte. Und die Scifi-Nerds dankten es ihr. Mit schönster Regelmäßigkeit erhielt Vera Einladungen auf diverse Conventions und Science-Fiction-Treffs. Von den vielfältigen Geschenken wie Phaser, Kommunikationsgeräte, spitze Spock-Lauscher und Uniformen ganz zu schweigen, die mehrere Male im Monat per Post das Anwesen erreichten.
Paul liebte und bewunderte die extrovertierte Tante, die es faustdick hinter den Ohren hatte, und zwar in sämtlichen Belangen des Lebens. Einzig die jünger werdenden Sexualpartner irritierten ihn und waren der Bewunderung ein wenig abträglich. Hier mochte er nicht recht ins gedankliche Detail gehen. Glücklicherweise hatte Vera seit geraumer Zeit eine feste Freundin. Dolores! Das illustre Liebesleben Veras blendete er vorsorglich zum Schutz der eigenen Libido aus. Ein sinnloses Unterfangen, da sich die in einem dauerhafteren Dämmerschlaf verabschiedet hatte.
Vera war nicht nur vermögend, Tante war enorm reich, was ihm, Hannes und Margaux immer wieder in Form diverser Finanzspritzen zugutekam. Obwohl sie genügend Reichtümer im Rahmen ihrer schauspielerischen Tätigkeit angehäuft hatte, startete sie vor 15 Jahren noch einmal so richtig durch. Und zwar mit etwas ganz anderem. Lange hatte sie überlegt und gelangte schließlich zu der Erkenntnis, dass es ein Edel-Escort-Service mit dazugehörigem Etablissement sein musste. Wie sie auf diese brillante Idee gekommen war, wusste niemand – Tantchen inklusive. Paul vermutete, dass sie die mondäne Kölner Gesellschaft brüskieren und schocken wollte – getreu dem Motto: Hauptsache, im Gespräch bleiben. Und das war ihr mit der Geschäftsidee perfekt gelungen. Geldverdienen stand dabei niemals im Vordergrund. Veras Dienstleistung wurde ausgenommen gut angenommen – der Laden brummte wie bescheuert. Ab und an ließ Vera durchblicken, dass sie eine illustre Klientel aus Wirtschaft und Politik hatte. Und sie nutzte das Etablissement – wie sie das Petit Noir gern bezeichnete – für deren Zwecke in beispielloser Art und Weise. Die geknüpften Kontakte waren mehr als Gold wert. Vera Zakowski genoss in den einschlägigen Kreisen einen exotischen und grandiosen Ruf. Weder die Konkurrenz – oder Marktbegleiter, wie man es neuerdings nannte – noch die städtischen Behörden in Form verkniffener Beamter machten ihr häufiger Ärger. Sie durfte weitestgehend unbehelligt agieren. Dessen ungeachtet hatte die rüstige Dame nicht nur Freunde, sondern ebenfalls den ein oder anderen Neider. Vera juckte das wenig. Sie hatte Nerven aus Stahlseilen und beste Verbindungen in die hiesige Politik und Wirtschaft. Generell machte sich Tante überschaubare Gedanken über das Gestern und Morgen. Sie sah das Leben nicht als Herausforderung; für sie war es eher ein Workshop – eine Oase der konsumlustigen Heiterkeit. Man hatte alles und es fehlte an nichts – manchmal nur etwas Abwechslung und Beschäftigung. Und da kam Neffe Paul mit seiner Agentur ins Spiel. Sie hielt das Geschäftskonzept von Froschkönig für famos – speziell die besonderen Dienstleistungen. Es amüsierte sie köstlich, bösen Menschen und allen, die es verdienten, einen reinzuwürgen. Vera hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Und der dürstete von Zeit zu Zeit nach Ansprache und Befriedigung. Und da war Paul der perfekte Ansprechpartner, er war ein wahrer Desinformationsspezialist. Diese Befähigung hatte er sich im Wahlkampf eines namhaften Berliner Politikers angeeignet. Er brachte die Kollegen der anderen Parteien mit geschickt gestreuten Gerüchten bei Medien und Öffentlichkeit in Misskredit. Nichts Dramatisches, aber immer beträchtlich genug, um im negativen Gespräch zu bleiben – eine Strategie, die aufging. Als die Kampagne positiv für den Brötchengeber verlief, wollte der plötzlich vom besten Mitarbeiter nichts mehr wissen. Er wurde diskret entsorgt und finanziell eher bescheiden abgefunden. Aber seine guten Kontakte zu Medien, maßgeblichen Meinungsmachern und nicht zu vergessen Tante Veras Beziehungen zu den oberen Zehntausend nahm Paul als Kapital in sein neues Unternehmen mit. Zwar kochte er mit den Aufträgen der Auftragsgerüchteküche auf spartanischer Flamme – hauptsächlich Ehestreitigkeiten oder Unternehmensmobbing –, aber immerhin, er blieb zumindest in Übung.
Hektisch wählte er die Rufnummer Veras, machte es sich auf dem zerschlissenen Chesterfield-Sofa bequem und zündete eine Zigarette an. Genüsslich inhalierte er den Rauch des Glimmstängels. Prächtig! Der Hörer wurde abgehoben.
»Hallöchen Vera, hast du uns den dicken Fisch Blastonk ins Netz gelegt?«
»Guten Tag, mein lieber Neffe. Und tatsächlich geht es mir hervorragend. Vielen Dank der Nachfrage. Du könntest mal wieder vorbeischauen!«
»Entschuldige bitte«, entgegnete Paul leicht genervt und bedröppelt.
»Und ja, ich habe die Dame zu euch geschickt. Sie ist sauber und kein Lockvogel – zumindest soweit ich das beurteilen kann. Die Gute ist zwar nicht unbedingt eine Freundin, aber immerhin eine Bekannte aus dem Golf-Klub. Und da hat sie beim Gläschen Champagner hier und da über die Beziehung zum Gatten aus dem Nähkästchen geplaudert. Doris ist nicht die hellste Kerze auf der Geburtstagstorte, ein bisschen schlicht, sehr monetär veranlagt, und wie ich vor Kurzem erfahren durfte, extrem rachsüchtig, was den Mann betrifft. Der betrügt sie seit Jahren, verspricht ihr ständig, damit aufzuhören, und tut es natürlich nicht. Und nun hat sie die Nase voll und will den Kerl abservieren. Kohle wird sie reichlich bekommen, zumindest sagt das der Scheidungsanwalt. Das geht dem boshaften Weibchen aber anscheinend nicht weit genug. Sie möchte den Alten leiden sehen. Und zwar so richtig! Und da dachte ich spontan an euch und die spezielle Dienstleistung, die ihr anbietet.«
»Du bist großartig Tantchen.«
»Nenn mich noch einmal Tantchen und du kannst den Auftrag vergessen!«
»Okay du beste aller Tanten. Die Dame ist sauber, oder?«
»Jahaa, ansonsten hätte ich die nicht zu euch geschickt«, reagierte Vera etwas gereizt.
»Ausgezeichnet! Hast du noch ein paar Insider-Informationen zu Mister Blastonk? Kennst du ihn persönlich?«
»Na ja, viel weiß ich nicht von den beiden, allein den üblichen Klatsch und Tratsch. Kommt morgen vorbei. Bis dahin treibe ich zusätzliche Neuigkeiten auf. Und sonst, alles gut? Was macht die Libido?«
»Vera!«
»Ja, wie Vera? Ich darf mich doch nach dem Liebesleben meines einzigen Neffen erkundigen?!«
Da hatte Tantchen wieder zielsicher Pauls wunden Punkt getroffen. Mit den Frauen war das so eine Sache beziehungsweise leider keine Sache. Gewollt hätte er, aber er war nicht unbedingt der Typ, bei dem die weibliche Fraktion beim bloßen Anblick vor lauter Entzückung reihenweise ohnmächtig zu Boden ging. Er war für einen Mann relativ klein gewachsen. Das Gesicht wurde dominiert von einem ausgeprägten Riechorgan, welches optimal von zwei abstehenden Ohren in Szene gesetzt wurde. Und als ob das nicht ausgereicht hätte, wies die Haarpracht ebenfalls Defizite auf. Zu allem Überfluss breitete sich seit den letzten Jahren ein klitzekleines Bäuchlein aus, das aber immer noch perfekt kaschierbar war. Paul punktete jedoch mit anderen Qualitäten – Herz, Intelligenz und eine gute Portion Humor machten das ein oder andere körperliche Manko mehr als wett. Generell war es schwer, hier in Köln eine Frau kennenzulernen – ein Großstadtproblem. Ein Hoch auf die sich selbstverwirklichende Single-Gesellschaft! Feste Partnerschaften schienen aus der Mode zu sein. Jeder vögelte mit jedem. Hauptsache, nicht verbindlich werden. Er hasste das. Irgendwie war er altmodisch. Scheiß drauf! Paul wollte eine Beziehung, eine stinknormale Beziehung, wie sie viele andere hatten. Aber alle weiblichen Wesen, die er kennenlernte, waren auf irgendeinen Trip, der mit Techtelmechtel oder Langfristigkeit auch mal so wirklich gar nichts zu tun hatte. Paul hatte es mittlerweile aufgegeben, aktiv nach einer passenden Frau zu suchen. Ein schlechtes Timing mit 34 Jahren. Schließlich wurde man kaum jünger und je mehr Tage ins Land zogen, desto ausgeprägter manifestierten sich irgendwelche schrulligen Angewohnheiten und Spleens. Die Zeit und das Schicksal würden die adäquate Herzensdame schon an Pauls Gefilde spülen – daran glaubte er fest.
»Ich muss jetzt auflegen, die Arbeit ruft.«
»Ja sicher, ihr erstickt in Arbeit. Kann ich mir lebhaft vorstellen.« Und damit legte Vera auf.
»Verdammte Dreckshitze!«, schnaubte Hannes. Stöhnend betrat er das Ladenlokal. Der sonst so lässig wirkende und stets perfekt gekleidete junge Mann wirkte reichlich derangiert. Die Hitze setzte ihm arg zu, allerdings nicht so stark, als dass er sich von dem Jackett getrennt hätte. Nein, das gehörte zum elementaren Bestandteil seiner Persönlichkeit. Hannes ohne Sakko – unvorstellbar! Paul schätzte, dass der Freund einen Sakko-Vorrat von mindestens 25 Exemplaren haben musste – von den Anzügen einmal abgesehen. Sein Kumpel, Studienkollege und Agenturmitinhaber legte viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Vordergründig sah Hannes aus wie ein Schönling mit den üblichen Allüren. Das war allerdings zu kurz gegriffen. Hinter der durchgestylten Fassade steckte ein gutmütiger und offener Charakter. Paul kannte ihn aus Studienzeiten, als die beiden vorhatten, Karriere zu machen und das ganz große Rad zu drehen. Daraus wurde nichts. Sie hatten schlichtweg das falsche Studienfach gewählt. Mit Germanistik und Philosophie reichte es maximal fürs Taxifahren, von Pauls überschaubarem Intermezzo in der Berliner Politik einmal abgesehen. Obwohl sie keinen Bock auf die Mühlen der Universität hatten, kämpften sie sich doch erstaunlicherweise tapfer durchs Studium – erfolgreicher Abschluss inklusive. Hannes war das, was man landläufig einen Frauentyp nannte: Lässige und gepflegte Klamotten, kurze schwarze Haare, dezente Bräunung und eine sportliche Erscheinung, die auf Frauen einen bleibenden Eindruck hinterließ. Paul faszinierte am Freund dessen Einstellung dem Leben gegenüber. Er machte sich kaum Sorgen um das Morgen, er lebte jetzt und genau in diesem Augenblick. Von den täglichen Trivialitäten wie Miete, Strom und Telefon wollte er weitestgehend verschont bleiben. Er vertraute auf die positive Energie des Daseins und glaubte in Sachen Weiblichkeit, dass er einmal irgendwann die Dame schlechthin kennenlernen würde, vielleicht sogar mit genügend Barem auf der hohen Kante. Das hatte er mit Paul gemein. Da bauten beide zu einhundert Prozent auf das kosmische Schicksal.
Margaux folgte ihm unmittelbar auf dem Fuß und sagte kein Wort. Auch sie sah echt fertig aus. Passenderweise trug sie ein hautenges T-Shirt mit dem Aufdruck Sonne macht albern, was sie beim letzten Grufti-Treffen als Mitbringsel ergattert hatte. Hannes pfefferte genervt die Sonnenbrille auf den Tisch und bewegte sich schnurstracks Richtung Kühlschrank, um eine eisgekühlte Flasche Kölsch zu greifen. Wortlos schleuderte er Margaux ebenfalls ein Bier zu, die es dankbar fing, um damit vorrangig die Stirn zu kühlen.
Trotz des glühenden Asphalts der City und den subtropischen Temperaturen ließ Margaux’ dezentes Gothic-Make-up nichts zu wünschen übrig. Ihr schien die ungewöhnlich hohen Frühsommertemperaturen kaum etwas auszumachen – zumindest, was die Fassade betraf. Die schwarze Kurzhaarfrisur und die farblich passenden dunklen Klamotten saßen perfekt. Schwarz war Margaux meist bunt genug.
»Ich versteh nicht, wie du den gesamten Tag bei der Hitze in Grufti-Garderobe rumrennen kannst. Von dem Schrott im Gesicht und deinen Springerstiefeln mal ganz abgesehen.« Hannes schüttelte fassungslos den Kopf.
»Bin halt nicht so ’n Weichei. Und im Übrigen sage ich nur Sakko.«
Er winkte ab, legte das legere Leinensakko ab und schaute zu Paul, der auf dem Sofa lag.
»Bequem? Schwer zu tun?«, schnauzte er den Freund an, als er sah, wie der entspannt auf dem Liegemöbel saß und genüsslich an seiner Zigarette nuckelte und den Rauch großkapitalistisch in die Büroluft entließ.
»Na Mädels, heftigen Tag gehabt?«, fragte er zurück. Natürlich wusste er um Hannes’ neuen Job. Der jobbte von Zeit zu Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Best Boy mit variablem Arbeitsgebiet im Asiatischen Museum für Kunst und Kultur. Momentan betreute er einen japanischen Zen-Meister, den Prof. Dr. Dorothea Paulenkamp – Chefin des Ladens – gegen ein fürstliches Honorar für drei Monate angeheuert hatte. Der Asiate sollte sich um den Zen-Garten des Museums kümmern, welches einen großzügigen finanziellen Zuschuss von der Stadt bekommen hatte. Hauptsächlich, weil Paulenkamps Mann im Stadtrat saß. Und die Kohle musste nun unbedingt innerhalb eines Jahres unter die Leute gebracht werden. Es lebe der Klüngel – eine spezielle Eigenart der Kölner Oberen.
In der Praxis schaute das so aus, dass Herr Katinawa seit Wochen stundenlang auf das leere Sandfeld im Hof der Kunstsammlung starrte. Hannes begleitete den Meister dabei und sorgte für Erfrischungen in flüssiger und fester Form. Er hasste den Job. Er war eine bessere Saftschubse und aufmerksames Kindermädchen! Es war die pure Langeweile. Im Schnitt einmal pro Tag schlug der meditative Geistesblitz bei Herrn Katinawa ein. Dann war Hannes’ Stunde gekommen: Er musste mit dem extra angefertigten Rechen eine Welle oder Linie ziehen. Alles in allem trieb ihn diese Tätigkeit nicht gerade an seine physischen sowie psychischen Grenzen. Aber es brachte Geld. Und das war ja schon mal was. Obendrein hatte die Paulenkamp einen Narren an ihm gefressen. Er kannte den Typus Frau – vernachlässigte Xanthippe jenseits der fünfzig, die vehement nach Aufmerksamkeit in allen Facetten des Lebens dürstete. Hannes vermutete, dass der Gatte die Ehefrau links liegen ließ. Letzte Woche hatte sie ihn arg angebaggert und sie landeten in einer stillen Ecke des Archives, wo es zwischen beiden mächtig zur Sache ging. Für Hannes ein einmaliges Ding. Okay, sie hatte einiges zu bieten – Attraktivität, Intelligenz und ein stattliches Vermögen. Trotzdem, seit diesem Unfall setzte sie ihm mit stetem Augenmerk zu. Täglich nahm er sich vor, die Situation zu klären. Der richtige Zeitpunkt war allerdings noch nicht gekommen. Eine blöde Ausrede! Und die eigene Feigheit nervte Hannes gewaltig.
»Du grinst wie ein frisch geficktes Eichhörnchen«, pöbelte Margaux in Richtung Paul, der nach wie vor das Sofa besetzte und ein reichlich bescheuertes Gesicht machte. »Erzähl, was ist passiert?«
»Wir haben einen Auftrag! Und zwar einen definitiv dicken Brocken!« Er griff den Scheck und wedelte damit herum. Margaux riss ihm das Stück Papier aus den Händen und blickte ungläubig darauf.
»Nee, ne?!«
»Yepp, meine Teuerste – 40.000 Euro.«
Hannes ließ alles fallen und ging straffen Schrittes auf die beiden Kollegen zu.
»Hab ich da gerade 40.000 Euro vernommen? Das kann nicht wahr sein. Ich schufte seit Wochen in diesem bescheuerten Museum, um ein paar Kröten zu verdienen. Und der Meister hier zieht mal eben ’nen Auftrag an Land, der uns ein Jahr locker überleben lässt.«
»Tante Vera?«, fragte Margaux.
»Jawohl.«
Hannes und Margaux grinsten. Hannes klatschte in die Hände. »Na denn an die Arbeit, Freunde. Es gilt, Gerüchte in die Welt zu setzen. Und außerdem verspüre ich nicht die geringste Lust, Herrn Katinawa bei seiner anstrengenden Tätigkeit zu begleiten.«
Die schicke Bauhaus-Villa im noblen Köln-Marienburg wirkte weitestgehend verlassen. Schuld war die Extrem-Mittags-Hitze dieser Tage. In der verlagerten die Damen der feineren Gesellschaft ihre wie auch immer gearteten Aktivitäten in die kühlen Räumlichkeiten der opulenten Herbergen. Der standesgemäße Pool im Garten war hierbei ebenfalls eine akzeptable Rückzugsmöglichkeit. Die Männer der Luxusweibchen gingen ihren lukrativen Geschäften nach. Der Reichtum wollte behalten und vermehrt werden! So auch im Hause Blastonk.
Doris hatte ihre sieben Sachen gepackt und frachtfertig platziert. Hierzu nahm sie den Gärtner in die Pflicht, die »Habseligkeiten«, wie Klamotten, Schuhe, Taschen und was sich sonst im Laufe der letzten Jahre angesammelt hatte, vorerst in einen Self-Storage in Köln-Vogelsang zu deponieren. Viel war es nicht, was sie erstaunte. Den Transporter des Gärtners füllten lediglich einige Koffer und zwei edle Reisetaschen aus Leder aus. Die zu rettenden Besitztümer waren sehr überschaubar. Das ärgerte und enttäuschte Doris. Zu wenig für die Ehe mit diesem Honk. Na ja, sei’s drum.
Nachdem sie sich ein Päuschen von der anstrengenden Tätigkeit gegönnt hatte, sollte es an den Tresor des werten Gatten gehen. Hier lagerten die wirklich wertvollen Schätze und die lagen im Fokus des gierigen Weibchens. Die monetären Kostbarkeiten hatte sie sich verdient. An die Konten des Göttergatten kam sie leider nicht heran, lediglich an ihr eigenes Spielgeldkonto, das er monatlich üppig mit 4.000 Euro füllte. Die Kohle durfte sie nach Gusto verschleudern. Doris blickte auf die Armbanduhr – Viertel vor zwölf. Perfekt, sie lag exakt im Zeitplan! Fritz Blastonk würde kaum vor 19.00 Uhr aufschlagen. Genügend Zeit, um sich den Wertsachen im Tresor des Arbeitszimmers zu widmen. Die Kombination hatte sie bereits Wochen zuvor herausbekommen. Der Hellste war der Ehemann nicht. Die Zugangszahlen versteckte er unter der Tastatur des Computers im Home Office. Wie bescheuert!
Doris schlenderte zum Kühlschrank der offenen Wohnküche, schnappte sich eine Flasche Champagner und befreite sie vom Korken. Auf das Glas verzichtete sie und nahm einen gewaltigen Hieb aus der schweren Bouteille. Sie musste grinsen – genauso wie früher, als sie noch nicht Frau Doktor war, sondern Mitarbeiterin eines Nagelstudios in Köln-Ehrenfeld. Fritz hatte sie auf der Venloer Straße aus Versehen angerempelt, mit einer Kiste Wein in den Armen aus einem teuren Weingeschäft. Er ließ vor Schreck den Karton fallen, der Inhalt ging teilweise zu Bruch. Zudem traf die Ecke der gewichtigen Kartonage Doris’ großen Zeh. Er brach – ein Schmerz-Invest mit Zukunftspotenzial. Der Rest war Geschichte. Madame hatte schnell kapiert, dass sie hier einen dicken Fisch an der Angel hatte, den sie so bald nicht wieder vom Haken lassen würde. Der Plan funktionierte: Kurze Zeit später waren sie ein Paar und zwölf Monate danach läuteten die Hochzeitsglocken. Es lief wie am Schnürchen. Die Heirat katapultierte sie in ein Luxusleben, von dem sie vorher nur träumen konnte. Na ja, aus und vorbei. Sei’s drum. Doris hatte die Kuh gemolken und sie würde sich die Scheidung mit einem gewaltigen Batzen Geld vergolden – vom Inhalt des Tresors einmal abgesehen. Sie nahm einen erneuten Schluck aus der Flasche und startete Richtung Arbeitszimmer durch.
Frau Noch-Blastonk rieb sich die Hände. Auf zur großen Hausräumung! Sie schnappte die extra hierfür bereitgestellte Ledertasche, öffnete den Reißverschluss und ging zum Geldschrank. Ein wenig fühlte sich Doris wie einer der Panzerknacker aus den Disney-Comics. Sie hatte keinerlei Bedenken, Fritz zu plündern. Von Unrechtsbewusstsein nicht die geringste Spur. Warum auch, was da im Stahlmonstrum vor ihr in Sachen Barschaften lagerte, war nichts weiter als Schmiergeld. »Böses« Geld, das sie einem neuen und guten Zweck zukommen lassen würde – ihrem Luxusleben. Nach knappen zehn Sekunden stand die schwere Tresortür offen.
Sie fiel über die Wertgegenstände und gebündelten Geldscheinstapel her, wie einst die Heuschrecken das biblische Ägypten heimsuchten. Hektisch stopfte sie alles in die stattliche Lederreisetasche. Kurze Zeit später beulten Schmuck, Uhren, Münzen, Aktien und Bargeld die Tasche erkennbar aus. Der Tresor im Arbeitszimmer hatte sein Leben ausgehaucht. Ein tiefes Gefühl der Befriedigung ergriff die rachsüchtige Ehefrau. Na also, geht doch!
Erfreulicherweise war der verhasste Ehemann noch in der Firma oder mit dem Kopf zwischen den Titten irgendeiner Schlampe. Egal. Sie freute sich tierisch, dass das Arschloch bald leiden würde, wie er es verdiente. Doris hoffte, dass die Typen der Agentur den Job gut machten, schließlich hatte sie sehr viel Geld investiert. Na ja, die Kohle ihres Mannes dank seines Scheckheftes. Das verlieh der gesamten Aktion noch einmal ein Quantum zusätzliche Würze. Sie musste lachen und fingerte erneut nach dem Champagner, der sie während des Raubzugs begleitete. Hoppla, die Flasche war bereits halb leer. Sie überflog Pi mal Daumen die Summe an Schwarzgeld – rund 250.000 Euro. Den Batzen Mäuse hatte Fritz Blastonk eingeheimst, als er den Auftrag bekam, das Labor des Arbeitgebers neu auszustatten – ein Millionenauftrag! Er organisierte eine Ausschreibung, die auf einen Anbieter maßgeschneidert war. Und der war dafür in hohem Maße dankbar! Doris freute sich diebisch: Fritz, der Korinthenkacker, hatte den Vorgang bis ins letzte Detail schriftlich in einem Notizbuch niedergelegt. Wie blöd konnte man sein?! Sie küsste das kleinformatige Moleskine-Buch und beförderte es ebenfalls in die Ledertasche. Das war ihre Rentenversicherung, damit hatte sie diesen Idioten in der Hand. Er würde es tunlichst vermeiden, zur Polizei zu rennen, denn dann wäre er selber wegen Betruges oder was auch immer dran.
»Was machst du da?«
Doris fuhr erschrocken herum. Unmöglich! Das konnte, das durfte nicht sein! Fritz stand im Türrahmen zum Arbeitszimmer und blickte entgeistert auf die Frau, die dabei war, den Tresor leer zu räumen. Der zweite Blick fiel auf die reichlich gefüllte Reisetasche. Man sah es ihm förmlich an, wie die wenigen Zahnräder im Hirn auf Hochtouren liefen, um die Situation zu analysieren beziehungsweise zu begreifen. Doris war zu keinerlei Reaktion fähig. Was sollte sie tun? Wieso kam der Vollpfosten gerade heute früher aus dem Büro nach Hause? Mist! Ihr Plan musste gelingen! Instinktiv griff sie zur Champagnerflasche und schleuderte sie dem Gatten entgegen. Der war so perplex, dass er sich keinen Zentimeter rühren konnte. Die schwere Flasche traf ihn mit aller Wucht am Kopf. Doris sah, wie die Augen des Ehemannes langsam wegklappten und nur noch das Weiße zu sehen war. Er ging zu Boden. Ein dünnes Blutrinnsal lief ihm von der Stirn ins Gesicht hinein.
Doris Blastonk schnappte die Reisetasche und nahm die Beine in die Hand. Gerade als sie in Höhe ihres Mannes das Büro schnellstens verlassen wollte, packte der den Knöchel der vorbeieilenden Gattin. Verdammt, er kam wieder zu sich. Sie stürzte. Mit einem kräftigen Tritt gegen den Kiefer entkam sie der Umklammerung. Und weiter ging es, den Ort des gewalttätigen Geschehens zu entfliehen. Sie stürmte Richtung Küche. Der Plan war die Flucht über die Terrasse, um den Porsche in der Einfahrt zu erreichen. Im Moment, als Doris den Küchenblock passierte, schoss Fritz Blastonk um die Ecke – das Gesicht wutverzerrt, blutverschmiert und im Kieferbereich angeschwollen. Das ansonsten sanfte und nichtssagende Antlitz ihres Mannes mutierte zur Fratze.
»Du blöde Schlampe. Ich bring dich um!«, schrie der Gatte, dem langsam gewahr wurde, was sich hier abspielte. Mit wirrem Blick fixierte er den Messerblock auf der Kücheninsel, packte das größte Exemplar und hielt es drohend Richtung Doris. Frau Doktors Plan hatte sich schlagartig in Luft aufgelöst. Panisch öffnete sie eine Küchenschublade und zog ein gewaltiges japanisches Kai-Shun-Kochmesser heraus.
»Na komm, du Schlappschwanz. Die Eier hast du nicht«, kreischte sie.
»Ich zerleg dich in deine gierigen Einzelteile! Miststück!« Dabei schaute Dr. Blastonk aus wie Jack Nicholson in Shining, was Doris extrem beunruhigte. Das hatte sie kaum erwartet, dass dieses Weichei aus heiterem Himmel zum Psycho mutierte. Die Situation geriet außer Kontrolle. Der Wichser wollte ihr tatsächlich ans Leder. Verdammt!
Plötzlich legte Fritz das Messer beiseite und die Zornesfalten in seinem bubenhaften Gesicht verschwanden schlagartig.
»Komm schon, lass uns reden. Wir finden einen Weg. Aber den Inhalt des Tresors kann ich dir beim besten Willen nicht überlassen. Zumindest das Geld und mein schwarzes Notizbuch müssen bei mir bleiben.«
Sie hatte keine Lust, klein beizugeben. »Das hättest du wohl gern, du Irrer. Du wolltest mich umbringen!«
»Wer hat denn mit der Flasche nach mir geschmissen?«, konterte Fritz Blastonk empört und beleidigt. Okay, da hatte er nicht unrecht. Trotzdem, so wie sie ihren Mann vor wenigen Augenblicken erlebt hatte, machte er Doris noch immer Angst. Von Vertrauen keinerlei Spur. Tief in ihrem Inneren war sie sicher, dass er sie, ohne mit der Wimper zu zucken, erledigen würde. Oder vielleicht nicht? Mist! Unsicherheit nahm Besitz von ihr. Sollte sie nachgeben? Sie atmete ein. Nein! Sie hatte kaum den ganzen Zinnober veranstaltet, um nun aufzugeben. Das Ding musste sie durchziehen!
»Vergiss es! Du hast mich lange genug an der Nase herumgeführt mit deinen Schlampen, den Affären und den vielen Nächten, in denen du angeblich im Institut gearbeitet hast. Glaubst du, ich bin blöd? Und das Geld hier in der Tasche«, sie tippte mit dem asiatischen Messer darauf, »habe ich mir mehr als verdient. Sieh es Vorabentschädigung für das miese Verhalten deinerseits. Und denke ja nicht, dass ich mich nicht abgesichert hätte. Sollte mir die kleinste Kleinigkeit passieren, wanderst du in den Knast.«
»Du bluffst. So clever bist du nicht«, giftete Blastonk zurück. »Also, her mit der Tasche und wir vergessen das Ganze.«
Das war kaum glaubhaft, da er, noch ehe er das letzte Wort gesprochen hatte, sehr diskret wieder zum Messer griff. Ihr entging das nicht und sie umfasste ihrerseits das Küchenbeil sowie die Reisetasche eine Spur fester. Sie waren beide in einer Art Pattsituation gefangen. Doris überlegte kurz, dass es Zeit für den Pfiff eines Schiedsrichters wäre. Wie bescheuert, dachte sie, was einem in solchen Umständen für blöde Gedanken kamen. Frau Blastonk entschloss, die Flucht anzutreten. Sie musste es nur ins Auto schaffen. Dämlich bloß, dass dieser Jack Nicholson für Arme den Weg in ein unbeschwertes Leben versperrte.
Und dann passierte etwas völlig Unerwartetes. Ohne Vorwarnung hechtete der Herr Doktor mit dem Messer voraus diagonal über den Küchenblock Richtung Doris. Und da war auch wieder der irre Gesichtsausdruck in seinem unerfreulichen Gesicht zu erkennen. Er meinte es ernst – todernst! Doris wurde gewahr, dass nun ihr Stündlein geschlagen hatte. Sie verharrte regungslos, zu keiner Bewegung fähig. Langsam schloss sie die Augen.
Der Typ ist langweilig. Laaangweilig! Und zwar so was von lang und weilig. Kaum zu glauben, dass die Schlaftablette jemals ein wie auch immer geartetes weibliches Wesen an Land ziehen konnte«, brummelte Margaux vor sich hin.
Sie blickte mit müden Augen durch die riesige Kopfschmerz-Audrey-Hepburn-Gedächtnissonnenbrille auf das Display des Notebooks, den Kopf auf die Hände gestützt. Gestern Abend hatten es die drei im Kaiserwasser kräftig krachen lassen. Es galt, den neuen Auftrag gebührend zu feiern. Ein Whisky-Sour jagte den anderen und in den Pausen zwischen den Cocktails diente Kölsch dazu, die Kehle feucht zu halten und die Klebrigkeit der Mixgetränke zu eliminieren. Ein Fehler, wie Margaux leidvoll feststellen musste. Von Paul und Hannes war im Froschkönig weit und breit nichts zu sehen. Die lagen mit Sicherheit noch komatös in den Federn. Super! Einzig und allein sie war mal wieder so blöd, pflichtbewusst pünktlich den Laden um neun Uhr aufzusperren.
Ab und an wanderte Margaux’ Blick auf das neben ihr liegende Exposé, das die Blastonk-Ehefrau hinterlassen hatte. Das beschrieb freilich nur den beruflichen Werdegang des vermeintlichen Ehebrechers. Mister Belanglos war 52 Jahre alt und hatte ein Studium der Biochemie in Tübingen erfolgreich absolviert. Im Rahmen der Hochschulausbildung promovierte er direkt, was in Chemiker-Kreisen absolut üblich war. Das sagte zumindest das Internet. Die universitäre Einrichtung entließ den jungen Dr. Streber mit summa cum laude. Respekt!
Insgeheim bewunderte sie diesen Dr. Blastonk um seinen erstklassigen Abschluss. Sie hatte niemals die Möglichkeit zu studieren gehabt, obwohl sie intellektuell mehr als großzügig ausgestattet war. Margaux’ Elternhaus förderte jedoch zu keinem Zeitpunkt die auffällige Intelligenz der einzigen Tochter. Vielmehr legten die Erzeuger Wert auf frühzeitiges Geldverdienen. Also hatte sie eine Lehre zur EDV-Kauffrau begonnen und erfolgreich absolviert. Ein Aufbegehren gegen das Zuhause erfolgte erst, als sie finanziell auf eigenen Füßen stand. Der Hang zur Gothic-Szene war ein Ausdruck dafür. Sie wollte die spießigen und kurzsichtigen »Erziehungsberechtigten« im Nachhinein schocken und bestrafen.
Aber vielleicht hatte die Vita ja auch etwas Gutes. Wer weiß, was ein Hochschulabschluss aus ihr gemacht hätte. Schwamm drüber! Mittlerweile war Margaux in Sachen Recherche, Computer und Internet ein wahrer Crack, ein Nerd. Eine wissenschaftliche Karriere hatte sie abgehakt. Zu spät! Jetzt hing sie bei den Froschkönigen ab und versuchte, den Alltag zu meistern. Okay, sie sah ein, dass sie auf sehr hohem Niveau jammerte. Ihr ging es gut, sie hatte Freunde. Und mit Paul und Hannes zu arbeiten, war auch nicht das Schlechteste. Sie mochte diese beiden Chaoten. Reichtum würde sie mit dem Job kaum einfahren, aber wer brauchte Geld, wenn man das Leben liebte?!
»Hi Hase! Alles in Ordnung? Gestern einen schweren Abend gehabt?« Albert stand im Büro. Margaux war dermaßen in Gedanken versunken, dass sie den Metzger nicht bemerkt hatte. Sie winkte ihm zu.
»Na klar. Ich war mit den Jungs noch auf einen Feierabend-Drink«, entgegnete sie.
»Oh ha! Verstehe.« In Margaux’ Nähe war Albert immer ein wenig gehemmt. Er mochte die Frau. Warum wusste er nicht. Vielleicht lag es daran, dass sie eine gewisse Unnahbarkeit, Kühle und für ihr Alter ungewöhnliche Ernsthaftigkeit ausstrahlte. Er fand die meist zugeknöpfte Margaux faszinierend und streckenweise geheimnisvoll. Aber da ging vermutlich seine Fantasie mit ihm durch. Gern hätte er sie intimer kennengelernt. Sie jedoch auf ein Date anzusprechen, war unvorstellbar!
»Ich wollte nur Bescheid geben, dass ich den Laden schließe. Muss auf ein Reitturnier.«
Sie blickte auf. »Hey cool. Und die Erfolgsaussichten auf ’nen Pokal?«
Albert winkte ab.
»Machs gut, Süße, und lass dich von den beiden nicht zu sehr einspannen.«
Margaux warf ihm ein Küsschen zu und vertiefte sich erneut in die Schriftstücke zu Dr. Blastonk. Sie las die Informationen über das Studium der Biochemie genauer auf der Website der Universität in Tübingen nach. Die Dokumente der Auftraggeberin gaben da kaum etwas her. Der Onlineauftritt der Fakultät besagte, dass die Hochschulausbildung die Hauptthemengebiete Medizin, Chemie und Biologie abdeckte. Aus den wenigen Unterlagen ging hervor, dass sich Dr. Blastonk auf die Neurochemie und Enzymologie spezialisiert hatte. Okay, das war nicht unbedingt spannend und der Burner. Nachdem er den Hochschulabschluss in der Tasche hatte, tingelte er erst einmal durch die Welt – hauptsächlich Indien, USA und Brasilien. Das Geld der Eltern machte es möglich. Das Elternhaus hatte Kohle ohne Ende. Der Vater führte ein mittelständisches Unternehmen mit Hunderten Angestellten, das als Zulieferer für die Automobilindustrie erfolgreich unterwegs war. Dann kamen die Neunziger und der Laden ging den Bach herunter. Insolvenz und Pleite! Zudem zockte der Senior an der Börse – mit wenig Erfolg. Er verbrannte einen Großteil des Vermögens mit dubiosen Optionsschein-Geschäften. Trotzdem war immer noch genügend Geld da, um ein komfortables Leben jenseits von existenziellen Sorgen zu führen.
Nach einigen Jobs in Deutschland und Überseefirmen trat Blastonk eine Stelle in Köln bei einem Pharma-Unternehmen an. Da machte er innerhalb zweier Jahre Karriere. Er kletterte das Leiterchen stetig himmelwärts. Die Geschäftsführung ernannte den intelligenten jungen Mann zum Leiter der Forschungsabteilung. Was er da genau erforschte, vermochte selbst das Internet nicht zu berichten. Wahrscheinlich das Pillendreher-Übliche – neue Pülverchen gegen Kopfschmerzen und Impotenz entwickeln und die dicke Kohle einfahren, dachte Margaux ein wenig sozialneidisch. Sie musste den Laden so schnell wie möglich durchleuchten. Kein Problem dank Web. Schließlich galt es auch hier, den untreuen Ehegatten in Verruf zu bringen.
Das Unternehmen mit Sitz vor den Toren Kölns und in Luxemburg hieß »BioSeq« und war ein eher kleinerer Player am hart umkämpften Biotech-Markt. Gleichwohl spielte man bei den Großen mit – und das mit beachtlichem Erfolg. Laut Wirtschaftsbericht aus dem Netz erwirtschaftete die Firma letztes Jahr einen Umsatz von stattlichen 280 Millionen Euro und das bei rund 100 Millionen Euro Gewinn. Nicht schlecht! Hauptsächlich beschäftigte sich BioSeq mit der Suche nach sogenannten Susceptibility-Genen. Die sollten wohl so etwas wie der Heilige Gral der Genforschung sein. Viele Gene im menschlichen Genom waren für die häufigsten Krankheiten verantwortlich. Für die meisten dieser Gebrechen jedoch gab es bis heute entweder gar keine oder nur sehr begrenzte Therapiemöglichkeiten. Und da kamen die ominösen Susceptibility-Gene ins Spiel. Eine Therapie der seltenen und kaum behandelbaren Genleiden schien laut BioSeq bald möglich. Die Ergebnisse der Genforschung flossen in eine gemeinsame EU-Datenbank ein. Hier ging es um Hightech-Wissenschaft im Bereich der Bio-Informatik und des Drug-Designs – so viel verstand Margaux. Und das sollte auch erst einmal reichen. Ihr begann langsam der Kopf zu schmerzen. Eines stand fest: Dr. Blastonk war in einem der führenden Unternehmen dieser Disziplin eine maßgebliche Person.
Die Türglocke läutete und zwei reichlich beschädigte männliche Wesen schlurften ins Büro. Hannes und Paul sahen erbärmlich aus. Wert auf ein frisches Aussehen hatten sie nicht gelegt, auch geruchsmäßig wiesen die Kollegen Defizite auf. Margaux rümpfte die Nase. Wie lange die beiden es in der Cocktailbar hatten krachen lassen, konnte sie nur erahnen. Sie beendete das Besäufnis gegen drei Uhr nachts, als Margaux speiübel aus dem Laden stürzte. Sie schaffte es gerade noch in ihr wenige Meter weit entferntes Appartement bzw. an den davorstehenden Baum. Wie sie es in die Wohnung geschafft hatte? Fehlanzeige! Filmriss! Heute Morgen war sie mit einem mächtigen Kater wach geworden. Ausgezogen hatte sie sich gestern Abend nicht mehr. Sie stank nach Alkohol und Nikotin. Aha, das volle Programm also. Na prima. Die Dusche wirkte Wunder. Nach einer gefühlten Stunde des Brausens war die Welt wieder zu zwei Dritteln hergestellt. Allein ein penetranter Kopfschmerz erinnerte an das gestrige Vergehen.