Fuchsbeute - Mord im Münsterland: Der Regionalkrimi | Ein Fall für Viktoria Latell 2 - Katrin Jäger - E-Book
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Fuchsbeute - Mord im Münsterland: Der Regionalkrimi | Ein Fall für Viktoria Latell 2 E-Book

Katrin Jäger

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Beschreibung

Wenn die Schatten der Vergangenheit nach dir greifen: Der Kriminalroman »Fuchsbeute« von Katrin Jäger jetzt als eBook bei dotbooks. Blut, überall Blut … Viktoria Latell, Starreporterin des »Berliner Express«, bekommt einen panischen Anruf ihres Kollegen Mario: Er ist in der letzten Nacht betrunken mit einer jungen Frau im Bett gelandet – nun sieht es so aus, als sei in seiner Wohnung ein Mord verübt worden, aber von dem vermeintlichen Opfer fehlt jede Spur. Schnell findet Viktoria heraus, dass die geheimnisvolle Blondine es gezielt auf Mario abgesehen hatte. Aber warum? Sie folgt den Spuren nach Münster. Dort macht sie eine grauenvolle Entdeckung – und findet einen Hinweis, der sie nach Westbevern führt, jenen scheinbar so friedlichen Ort, mit dem sie mehr als eine dunkle Erinnerung verbindet … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Krimi aus dem Münsterland, »Fuchsbeute« von Katrin Jäger, ist der zweite Band der Viktoria-Latell-Serie, kann aber unabhängig von seinem Vorgänger gelesen werden. Wer liest, hat mehr vom Leben! dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 274

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Über dieses Buch:

Blut, überall Blut … Viktoria Latell, Starreporterin des »Berliner Express«, bekommt einen panischen Anruf ihres Kollegen Mario: Er ist in der letzten Nacht betrunken mit einer jungen Frau im Bett gelandet – nun sieht es so aus, als sei in seiner Wohnung ein Mord verübt worden, aber von dem vermeintlichen Opfer fehlt jede Spur. Schnell findet Viktoria heraus, dass die geheimnisvolle Blondine es gezielt auf Mario abgesehen hatte. Aber warum? Sie folgt den Spuren nach Münster. Dort macht sie eine grauenvolle Entdeckung – und findet einen Hinweis, der sie nach Westbevern führt, jenen scheinbar so friedlichen Ort, mit dem sie mehr als eine dunkle Erinnerung verbindet …

Über die Autorin:

Katrin Jäger, geboren 1970 in Münster, studierte Publizistik, volontierte an der Berliner Journalisten-Schule und arbeitete danach als Reporterin, Redakteurin und stellvertretende Ressortleiterin bei Berlins größter Zeitung. Heute lebt sie mit ihrer Familie in der Nähe von Münster.

Mehr Informationen über Katrin Jäger finden sich auf ihrer Website: www.katrinjaeger.net

Bei dotbooks veröffentlichte Katrin Jäger ihre drei Kriminalromane rund um die Journalistin Viktoria Latell – »Schützenfest«, »Fuchsbeute« und »Jagdgrund« – sowie den bewegenden Jugendroman »Inselmelodie«.

***

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.

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eBook-Neuausgabe Juni 2020

Dieses Buch erschien bereits 2013 unter dem Titel »Luderplatz« bei Blanvalet

Copyright © der Originalausgabe 2013 by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Copyright © der Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Cat_and_angel, hbpro und AdobeStock/mollphoto

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96148-872-8

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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***

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Katrin Jäger

Fuchsbeute

Kriminalroman

dotbooks.

Prolog

Er weiß, dass es nicht helfen wird. Doch er leckt mit seiner Zunge über die spröden Lippen, spürt die trockenen Hautstückchen, die Risse. Sofort wird der warme Spuckefilm wieder eiskalt, wie der Rest von ihm. Wenn er nicht gleich kommt, wird er sein Gewehr wieder einpacken. Doch noch spürt er den kühlen Holzkolben seiner Mag 5,6 x 50 R an seiner Wange, noch konzentriert er sich. Wäre er alleine hier, dann würde er nicht länger warten. Er läge längst in einer heißen Badewanne und würde sich seinen Mund mit Blistex eincremen und seine Füße, seine Hände, seinen steifen Nacken aufwärmen. Er hört den Reißverschluss von Karls Jacke, hört, wie er den Verschluss aufdreht, und riecht den Alkohol, dessen würziger Geruch aus der kleinen flachen Flasche strömt, die sein Freund ihm vor die Nase hält.

»Noch 'ne halbe Stunde.«

Sein Kamerad hat seine Gedanken gelesen. Er nimmt einen Schluck, genießt die kleine Hitzewelle, die durch Kehle, Speiseröhre und Magen fließt, und nickt erleichtert. Noch eine halbe Stunde. Der Schnaps brennt auf seinen Lippen.

Dann nimmt er einen Schatten wahr. Er kommt näher. Er ist auf der Hut. Gerade so, als wisse er, was ihn hier erwarte. Doch die Gier ist zu groß. Er schleicht sich näher, nutzt die kleinen Bäume am Bachlauf als Schutzschild. Bevor er zu graben beginnt, schaut er sich um. Als er sein erstes Stück gefunden hat, hallen zwei Schüsse durch diese Januarnacht.

Er fällt seitlich in den Schnee, ein paar Fasane flattern in den mondbeschienenen Himmel.

Tobias und Karl klatschen sich ab. Sie haben gerade ihren ersten Fuchs erlegt. Schnell klettern sie aus dem Unterstand und schreiten über das Feld zu dem toten Tier. Karl hält die Taschenlampe, Tobias kniet sich neben ihre Jagdtrophäe. In dessen Maul steckt noch ein Stück von dem Aas, das hier am Luderplatz in einem vergrabenen alten Rohr gelegen hat, um ihn anzulocken. Das Licht der Taschenlampe fällt auf das Fleisch. Tobias starrt darauf. Geschickt nimmt Karl es aus dem Maul und schmeißt es in den Bach.

Tobias schluckt. »Was war das?«, fragt er leise.

Karl lacht. »Was war was?«

»Da war eine Zeichnung auf dem Fleisch.«

»Eine Zeichnung? Spinnst du?«

»Es war ein Bild auf dem Fleischstück.«

»Meinst du, da hat jemand die Mona Lisa auf einen Tierkadaver gemalt?«

»Nein, keine Mona Lisa. Aber ich habe eine Zeichnung gesehen. Es waren Beine – und Arme.«

Karl lacht und hält Tobias den leeren Flachmann unter die Nase. »Vielleicht verträgst du nicht so viel hiervon.«

Tobias nickt lahm und wünscht sich, es wäre noch ein Schluck Alkohol in der Flasche.

Kapitel 1

Viktoria Latell zählte die leeren Colaflaschen, die wie eine durchsichtige Mauer am Rand ihres Schreibtischs standen, und blinzelte. Sonnenstrahlen brachen sich im Glas. »13«, murmelte sie und lehnte sich zurück.

»Das bringt Unglück«, sagte Charly Berendsen mit seiner krächzenden, unheilvollen Catweazle-Stimme vom Platz gegenüber.

Der Sekundenzeiger der großen Redaktionsuhr rückte vor – 10.00 Uhr: Morgenkonferenz, Viktoria stand auf. Ihr Thema heute war die neue Polizeistatistik. Sie würde die sachlichen Zahlen und Fakten so aufbereiten, dass auch der dümmste Leser des Express begriff, dass es immer schlimmer wurde in Berlin. Dazu würde sie natürlich einen bissigen Kommentar schreiben, in dem sie das Horrorszenario des brutalen Berlins beschwören und die Machtlosigkeit der Polizei sowie die Ideenlosigkeit der Politik anprangern würde. Es würde sich gut lesen lassen. Dass Viktoria nicht die geringste Ahnung hatte, wie man gegen Schläger in U-Bahnen und die verrohten Jugendgangs vorgehen sollte, merkte wahrscheinlich niemand. Egal. Der Express von morgen ist übermorgen schon wieder von gestern, dachte sie und trank im Stehen den letzten Schluck aus der Colaflasche, die sie in ihrer Hand gehalten hatte. Sie stellte sie zu den dreizehn anderen. »14«, murmelte sie in Charlys Richtung. »Nix mit Unglück.«

Im selben Moment hörte sie das vertraute Geräusch aus ihrem Handy. Eine SMS von Kai Westmark. Viktoria lächelte. Morgen räum ich die Flaschen weg, dachte sie. Sonst werde ich am Ende noch abergläubisch.

***

»Na, dann wissen wir ja endlich, warum Frauen so schlecht einparken können.« Der Chefredakteur machte eine Pause und blickte triumphierend in die Runde. Gerade hatte der Ressortleiter »Vermischtes« von einer Agenturmeldung aus dem Bereich Wissenschaft berichtet. Demnach hatten Forscher irgendeiner Universität in Schottland oder Portugal herausgefunden, dass Frauen eine andere räumliche Wahrnehmung hätten als Männer. Deshalb seien schon die Urmenschen so klug gewesen und hätten das Jagen mit Pfeilen und Speeren den besser zielenden Männern überlassen, so der Ressortleiter. Der Chefredakteur hatte mit seinem Einparkwitz noch einen obendraufsetzen wollen. Und so taten ihm dann auch alle den Gefallen und lachten. Nur Viktoria blieb still. Sie hatte nicht zugehört, denn sie versuchte gerade, eine Formulierung zu finden, die kurz genug war, um als SMS zu taugen, und die dennoch zwischen den Zeilen sagen sollte, was sie empfand, ohne allzu viel zu verraten. I miss u war ihr einfach zu blöd, auch wenn es die Sache auf den Punkt brachte. Sie vermisste Kai Westmark.

»Na, Frau Latell.« Die Stimme des Chefs klang nur oberflächlich freundlich. Wer Guido Willmers kannte, wusste, es war eher drohend gemeint. »Ihnen war also schon bekannt, warum Frauen so schlecht einparken können?«

Viktoria drückte kurz auf die Senden-Taste ihres Handys, dann schaute sie auf. Sie hatte nichts von der wissenschaftlichen Studie mitbekommen, aber mit alten Witzen kannte sie sich aus. »Klar«, sagte sie, »weil die Männer ihnen immer weismachen, dass das hier ...«, sie hielt Zeigefinger und Daumen in die Höhe, sodass zwischen den Fingern eine kleine Lücke von vielleicht einem Zentimeter Luft war, »... dass das hier zwanzig Zentimeter sind.«

Dem Chef klappte der Mund auf. Die Kollegen grölten und klopften sich auf die Schenkel. Charly, der wie immer neben ihr saß, liefen Lachtränen aus den Augen.

Viktoria lächelte ihr Victory-Lächeln und hatte keine Ahnung, was so witzig an diesem alten Gag war. Sie blickte wieder auf ihr Display und entdeckte das Briefsymbol. Doch erst als sich alle wieder beruhigt und der Kulturchef von den neuesten Premierenfeiern und irgendeinem Theaterstreit berichtete hatte, schaute sie heimlich nach – und war enttäuscht. Der Absender war Mario Siewers. Der Zeitungsfotograf und ... Ja, was war er eigentlich für Viktoria? Weniger als ein Freund, beinahe ein Kumpel oder einfach nur ein guter Kollege? Fest stand, er hatte den richtigen Fotografeninstinkt, und deshalb arbeitete Viktoria gerne und oft mit ihm zusammen. Außerdem nervte er nicht. Eine besonders nette Eigenschaft, wie Viktoria fand.

Als sie las, was er ihr geschrieben hatte, stand sie schnell auf, murmelte etwas von »Treffen mit Informanten« und verabschiedete sich mit einem kurzen Nicken. Willmers schaute ihr wütend nach. Sie wusste, dass er sauer auf sie war. Wegen der Pointe, die sie ihm versaut hatte, und wegen der verpatzten Schützenfestreportage im vergangenen Sommer, auf der sie Kai kennengelernt hatte. Und ganz besonders ärgerte er sich darüber, dass er sie nicht rausschmeißen konnte. Dafür war sie einfach zu gut.

Viktoria Latell hatte diese besondere Gabe, Menschen zu knacken. Bei ihr heulten sich Witwen ermordeter Ehemänner aus, knallharte Polizisten fütterten sie mit Informationen, die sonst keiner bekam, und Typen mit Schlägervisage brachte sie zum Lächeln. Selbst mit den meisten Kollegen kam sie gut zurecht – und das war wahrscheinlich bei einer Zeitung wie dem Express das größte Verdienst. Sie selbst konnte am wenigsten verstehen, warum so viele ausgerechnet ihr Vertrauen oder gar Zuneigung entgegenbrachten. Denn sie selbst mochte weder sich noch andere besonders. Sie war klug genug, um zu wissen, dass ihre langen Beine und ihr Victory-Lächeln einen großen Anteil an ihren Erfolgen als Reporterin hatten. Sie war aber auch klug genug, sich niemals darauf zu verlassen. Ihr Hirn funktionierte recht gut, und es meldete ihr in den richtigen Momenten, was das Richtige war. Eines war ihr immer klar: Das, was sie tat, war nicht besonders wichtig. Und weil sie es so unwichtig fand, war sie cool.

Das unterschied sie von den meisten Leuten, die um sie herum strampelten und traten und machten und taten, um Erfolg zu haben, hinaufzuklettern, anzugeben, dazuzugehören zur großen, wichtigen Berliner Medienszene.

Viktoria gehörte dazu. Das wusste sie, das nutzte sie, aber eigentlich war es ihr egal. Ich rette keine Menschenleben, dachte sie immer. Ich verändere nicht die Welt. Ich sorge für ein paar Schlagzeilen, ich schreibe ein paar schöne Worte – ich kann eben nichts anderes. Ob sie etwas anderes wollte, wusste sie nicht.

***

Fast hätte sie gelacht, als Mario ihr die Tür öffnete. Er trug Gummihandschuhe, seine Hose hatte nasse Knie, und er hatte dunkle Ringe unter den Augen. Ohne sie zu begrüßen, tauchte er wieder im hinteren Teil seiner Hundertzwanzig-Quadratmeter-Wohnung ab; Viktoria folgte ihm amüsiert. »Sag jetzt nicht, du schickst mir eine Notfall-SMS, weil deine Putzfrau gekündigt hat«, rief sie ihm hinterher.

Mario verschwand im Badezimmer.

Viktoria schüttelte den Kopf. Hoffentlich hatte er nicht gemeint, dass sie ihm beim Kloputzen helfen sollte. »Was soll der Scheiß ...« Sie trat durch die Tür und bremste sofort ab. Vor ihr kniete Mario auf den schwarzweißen Designerfliesen und versuchte, mit einem großen Lappen Blut aufzuwischen. Über dem Whirlpoolrand hing bereits ein rot besudeltes Handtuch, das Wasser in dem durchsichtigen Eimer schwappte rosa hin und her. »Mario!«

Mario hielt kurz inne und blickte sie an. »Guck nicht so. Ich habe selber keine Ahnung, was das hier ist.«

Viktoria stemmte die Hände in ihre Hüften. »Ich schon. Das hier ist Blut – und du siehst nicht verletzt aus. Es ist also nicht dein Blut. Mario, was ist hier passiert?« Sie lugte über den Wannenrand. Gott sei Dank. Für einen Moment hatte sie befürchtet, dass dort jemand liegen könnte.

»Mario, jetzt sag endlich was!«

Mario wischte weiter wie von Sinnen. Er schüttelte den Kopf und leerte den Eimer in der Toilette aus. Dann ließ er frisches Wasser über den Lappen laufen. Er schaute dabei in sein eigenes bleiches Gesicht im Spiegel.

Viktoria beobachtete ihn und wartete.

»Ich, ich, ich habe keine Ahnung. Eine Frau war heute Nacht hier, daran erinnere ich mich. Ich bin aufgewacht, hatte diese höllischen Kopfschmerzen und wollte mir Aspirin holen, und dann sehe ich das hier.« Er zeigte auf den immer noch blutverschmierten Badezimmerboden und das Handtuch auf dem Wannenrand.

»Welche Frau? Was ist mit ihr?« Viktoria spürte ihren Puls. Hoffentlich hatte Mario keinen Mist gebaut.

Sie erinnerte sich an ihre erste Weihnachtsfeier beim Express. Mario hatte sich mit einem anderen Kollegen gestritten. Wie zwei Gockel hatten sie voreinander gestanden, und hätten sie Kämme gehabt – sie wären geschwollen gewesen. Ein Wort ergab das andere. Ein Schubser folgte auf den nächsten.

Marios Kollege schwankte und landete mit dem Ellenbogen auf dem Tisch. Als er sich aufrichtete, steckte eine Glasscherbe in seinem Arm. Niemand behauptete anschließend, Mario hätte ihn absichtlich in das Glas gestoßen, doch gedacht hatten es einige. Und entschuldigt hatte Mario sich nie.

»Die aus der Kantine ...« Mario massierte sich seine Schläfen. »Nana oder so.« Viktoria erinnerte sich. Die aus der Kantine. Eine blonde Schönheit, die plötzlich aufgetaucht war und die es ganz offensichtlich auf Mario abgesehen hatte. Viktoria war von ihrer Kleinmädchenmasche genervt gewesen. Denn die Blondine hatte Mario an einem Mittag gleich dreimal angequatscht. Erst entschuldigte sie sich für einen angeblichen Rempler, den er gar nicht bemerkt hatte. Dann fiel ihr die Essenskarte aus der Hand, und sie schaute dem Plastik hilflos nach. Mario wollte sich schon bücken, doch Viktoria war schneller gewesen. Die großen blauen Augen der Blondine funkelten zornig, als Viktoria ihr die Chipkarte reichte und ironisch meinte: »Früher waren es Spitzentaschentücher, heute lässt man also so was fallen ...«

Der dritte Anmachversuch war noch plumper. Die Kantinenblondine fragte Mario, wo sich der Geldautomat im Verlagsgebäude befinden würde. Sie sei neu hier und kenne sich im Haus genauso wenig aus wie in Berlin. Blinzel, blinzel. Mario hatte das Manöver durchschaut, und es hatte ihm offensichtlich gefallen. Und ganz offensichtlich hatte er jetzt den Touristenführer für sie gemacht und schon einmal eine kleine Privatführung durch ein luxuriöses Schlafzimmer in einer typischen Berlin-Mitte-Wohnung für sie veranstaltet.

»Sie hat mich genervt«, sagte Mario plötzlich. »Daran erinnere ich mich.«

»Kann ich mir vorstellen.« Viktoria lief durch Marios Wohnung und schaute in alle Ecken.

»Meinst du, sie ist hier noch irgendwo?«, Marios Stimme klang kläglich.

»Was weiß denn ich, was du mit deinen Betthasen so anstellst«, erwiderte Viktoria gereizt.

»Weißt du ja wohl!«

O Mann, er kann es nicht lassen, dachte Viktoria. Selbst jetzt noch nicht, zwei Jahre nach dem denkwürdigen Absturz, bei dem sie jedes peinliche Klischee erfüllt hatten. Kollegen feiern, trinken, flirten. Die Hemmungen fallen, und am Ende landen Kollege und Kollegin bestenfalls im Bett – im schlechtesten Fall auf dem Kneipenklo. Mario und Viktoria hatten es immerhin in ihr Bett geschafft. Sie hatten sich ein Taxi geteilt, und als es vor Viktorias Dachgeschosswohnung in Kreuzberg angehalten hatte, fand Mario es irgendwie viel praktischer, auch mit auszusteigen. Sie hatte nichts dagegen gehabt. Und die Nacht war – das musste sie zugeben – nett gewesen. Der Morgen danach dann allerdings gar nicht mehr. Beiden war ihr Abenteuer mehr als peinlich, doch weil sie sich kannten, fiel es ihnen auch schwer, die übliche Fluchtmasche durchzuziehen. Mario blieb also bis zum Frühstückskaffee und räumte sogar seine Tasse in die Spüle. Erst dann murmelte er etwas von: »Muss dringend nach Hause, Akku aufladen ...«, und Viktoria atmete erleichtert aus, als die Wohnungstür hinter ihm ins Schloss fiel. Sie hatten sich noch ein unbeholfenes Abschiedsküsschen auf die Wange gegeben, und das war's gewesen. Und das wäre es auch geblieben, wenn Mario nicht ab und zu – und in den unpassendsten Situationen – auf die Sache zurückkommen würde, so wie jetzt gerade.

»Also, Mario!« Viktoria bemühte sich um Ruhe. »Jetzt zieh erst mal deine dämlichen Handschuhe aus und überleg, woran du dich erinnern kannst.«

Mario zog an den quietschenden Gummihandschuhen und schmiss sie ins Waschbecken. Dann schlurfte er geknickt ins Wohnzimmer und ließ sich auf den weißen Lederhocker vor seinem Sofa sinken.

Hoffentlich hat er kein Blut an seinem Hosenboden, dachte Viktoria.

»Doch, sie hieß Nana«, murmelte Mario leise.

Viktoria nickte ihm aufmunternd zu. »Und weiter?«

»Keine Ahnung. Nana irgendwas. Ist doch auch egal.«

»Nicht, wenn wir die Krankenhäuser abtelefonieren, um zu fragen, ob dort eine Verletzte eingeliefert worden ist.«

»Du glaubst, sie ist verletzt?«

Viktoria verdrehte die Augen. »Ich glaube gar nichts. Aber ich habe Blut gesehen.«

»Ich auch.« Mario ließ den Kopf hängen. »Vielleicht ist sie ausgerutscht. Eine Platzwunde, das könnte doch sein.«

»Vielleicht.« Viktoria klang nicht überzeugt. »Aber warum ist sie weg?«

Mario wusste keine Antwort.

»Sie hieß also Nana ...« Sie sah Mario eindringlich an.

Mein Gott, Victory! Sie heißt Nana. Sie ist doch nicht tot.«

Viktoria verkniff sich ein »Wer weiß?« und fragte weiter. »Hast du ihre Handynummer?«

Er schüttelte den Kopf.

»Wenn sie in unserer Kantine gegessen hat, hat sie bestimmt auch irgendwo im Verlagsgebäude gearbeitet«, dachte sie laut nach. »Nana ist auch kein so gängiger Name. Wir müssen sie suchen, Mario.«

Mario schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht.«

»Ich schon. Wenn du Mist gebaut hast, dann wird sie dich anzeigen. Willst du nicht erst einmal mit ihr sprechen? Oder vielleicht herausfinden, ob es ihr gut geht?«

Mario sah auf. »Du hast recht.«

Viktoria grinste. »Wie immer!«

Kapitel 2

In der 29. Woche greift das Baby gezielt nach der Nabelschnur. Damit werden die Verbindungen von Gehirn, Nerven und Muskeln trainiert. Von jetzt an bekommt es bis zur Geburt wichtige Abwehrstoffe über die Plazenta, die es später vor Infektionskrankheiten schützen. Ihr Kind ist jetzt 38,5 cm groß und wiegt 1.150 g.

Und ihm fehlt die linke Hand ...

Isa Joss zerknüllte die Schwangerschafts-Informationsbroschüre. Gerade so, als könnte das Hochglanzpapier etwas dafür. Und wofür eigentlich? Dass sich ihre Sorgen nicht aufgelöst, sondern verdoppelt, ach, verhundertfacht hatten. Sie war gerade bei der Ultraschalluntersuchung des Uniklinikums gewesen. Eine Routineuntersuchung. Denn, so hatten es ihr gleich mehrere Ärzte versichert, die Frühwehen, der Grund, weshalb sie hier war, waren nicht so dramatisch. Die bekamen sie in den Griff. Alles wäre gut. Doch dann fanden sie sie nicht. Die Hand. Die linke. Das Papier der Broschüre knisterte. Isa hielt ihre Tränen zurück. Sie hielt sich zurück. Denn wegen der Frühwehen musste sie ruhig liegen. Ihre Bettnachbarin lächelte ihr aufmunternd zu. Sie war Portugiesin. Auch ohne ein Wort Deutsch zu verstehen, spürte sie, dass ihre Zimmergenossin Sorgen hatte. Wiliam würde erst am nächsten Abend kommen können. Isa wollte ihn nicht anrufen, sie wollte ihn nicht beunruhigen. Er war ein besonnener Mann, einer, der sich nicht aus der Ruhe bringen ließ. Ohne diese Fähigkeit wäre er sicher auch nicht so weit gekommen mit seiner Firma. Er organisierte Schwertransporte durch die ganze Welt. Vor fünf Jahren hatte er sich selbstständig gemacht, und niemand hatte an ihn geglaubt. Außer Isa. Die immer an ihn glaubte. Die an ihn glauben musste, weil er der Einzige war, der ihr geblieben war. Außerdem wusste sie, dass Wiliam ein guter Planer und Organisator war. Und sie wusste, wie ruhig er wurde, wenn alle anderen nervös waren. Das war wichtig. Wenn ein Lkw, der überbreite Röhrenteile für eine Windkraftanlage transportierte, durch viel zu enge Straßen, über viel zu schmale Brücken oder viel zu steile Hügel gelotst werden musste, verloren selbst die erfahrensten Fahrer die Nerven. Sie mussten den Truck millimetergenau steuern – und das unter Zeitdruck. Wiliam dirigierte sie – und er beruhigte sie. Und obwohl er keinen eigenen Lkw-Führerschein besaß, akzeptierten sie ihren Chef als denjenigen, der ihnen sagte, wo es langging. Er war kein Mann, der seine Firma vom Schreibtischsessel aus führte. Er begleitete die Touren, er war bei seinen Leuten, wenn es brenzlig wurde, und so vertrauten ihm seine Fahrer in diesen Momenten blind. So wie Isa ihm immer vertraut hatte. Nicht eine Sekunde lang hatte sie es bereut, zu ihm in die Niederlande gezogen zu sein.

Hier, in der deutschen Uniklinik in Münster, fühlte sie sich beinahe wie eine Ausländerin; ihr Deutsch hatte schon einen holländischen Akzent. Doch ihr Arzt hatte ihr die Klinik empfohlen, und Enschede war von Münster nur eine gute Stunde entfernt. Sie kannte die Stadt ein wenig. Von den Weihnachtsmärkten. Davon gab es in Münster reichlich, und halb Holland reiste in der Vorweihnachtszeit in die deutsche Stadt. Der Duft nach frischen Waffeln, nach Glühwein – Isa mochte die Atmosphäre. Doch hier im Krankenhaus war das schöne Münster weit weg. Es roch nach Desinfektionsmitteln.

Wenn Wiliam erfahren würde, dass ihr Baby vielleicht behindert wäre, würde er den Schwertransport anhalten lassen und sich sofort in Enschede ins Auto setzen und so schnell wie möglich nach Münster fahren. Zu geschäftsschädigend und zu gefährlich, fand Isa und kniff ihre Augen zu. Schlafen, dachte sie. Das könnte helfen. Vielleicht wache ich auf, und alles ist nur ein Albtraum gewesen. So, wie die andere Geschichte. Die andere Geschichte, die so schlimm war, dass sie auch nur ein Albtraum geworden war. Ein Albtraum aus einer anderen Zeit, aus einem anderen Leben. Und deshalb nicht wahr.

***

Es war das erste Mal, dass Mario keine abfällige Bemerkung über ihren Lada-Geländewagen machte. Es musste ihm also wirklich schlecht gehen. Viktoria konzentrierte sich auf die Parkplatzsuche. Ihr war ein Stellplatz in der Tiefgarage des Verlagsgebäudes, einem großen Glaskasten mit protziger Eingangshalle, einfach zu teuer gewesen. Doch wenn sie die Knöllchen addierte, die sie inzwischen fürs Falschparken hatte zahlen müssen, hätte sie doch besser daran getan, ein monatliches Parkentgelt zu entrichten. Inzwischen waren alle Plätze dauerhaft vergeben, und sie konnte nicht mehr in den Genuss eines legalen Parkplatzes in der Tiefgarage kommen. So starrte sie aus dem Seitenfenster, ignorierte die ungeduldigen Huper hinter sich und fand, dass Mario auch keine große Hilfe war. Wie er so bleich und starr dasaß und nur nach vorn schaute, statt nach einer Lücke Ausschau zu halten. Ein bisschen dankbarer hätte er schon sein können. Schließlich war sie sofort nach Feierabend wieder zu ihm gekommen, um ihn in ihr Auto zu schieben, damit sie die mysteriöse blonde Frau suchen konnten.

»Hey, guck doch auch mal mit«, motzte sie ihn an. Doch er antwortete nicht, sondern seufzte einfach nur. Da, ein roter Minicooper scherte aus der Reihe aus. Es würde eng werden, doch Viktoria konnte einparken. Sie hoffte, dass ihr Chef sie vielleicht von seinem Bürofenster aus beobachten würde. Dann würde er sich den nächsten dämlichen Witz über Frauen am Steuer vielleicht sparen. Als sie vor dem Eingang mit der überdimensional großen Drehtür standen, stupste Viktoria Mario noch einmal an.

»So. Und jetzt wach auf und denk nach. Sie hieß, Entschuldigung, heißt Nana?«

Er nickte.

»Sie hat lange blonde Haare, blaue Augen und eine gute Figur. Soweit ich das beurteilen kann. Du weißt das sicher genauer ...« Viktoria grinste, Mario nicht.

»Weißt du sonst noch was? Hat sie vielleicht von ihrem Job hier erzählt?«

Mario schüttelte den Kopf. Viktoria und er gingen Seite an Seite durch die große Drehglastür und standen im Foyer. Ein paar Kollegen vom Express rauschten an ihnen vorbei und nickten zum Gruß und Abschied. Es war längst Feierabendzeit. Doch so richtig ruhig wurde es in einem Verlagsgebäude wie diesem eigentlich nie. Mario und Viktoria fuhren mit der Rolltreppe Richtung Kantine. Auf den Hinweisschildern stand natürlich nicht Kantine, sondern Restaurant Blickpunkt, aber gemeint war dasselbe. Dort aßen alle, die hier arbeiteten. Außer natürlich die Chefredakteure und Herausgeber. Die tafelten in echten Restaurants außerhalb des Gebäudes oder ließen sich silberne Tabletts mit Obst, Rohkost oder Sandwiches in ihre Büros liefern.

Um diese Uhrzeit saßen im Blickpunkt weder die Chefredakteure noch deren Angestellte. Es war leer, ein rotes Seil versperrte demonstrativ, aber wenig effektiv den Eingang. Viktoria berührte Mario am Arm. »So, jetzt versuch, dich zu erinnern. Hier haben wir sie doch öfter gesehen.«

Er nickte und schaute auf die leere Salatbar. »Das bringt doch nichts hier, Victory. Komm, lass uns abhauen.«

Viktoria blieb stehen. »In welche Richtung ist sie gegangen, wenn sie mit dem Essen fertig war? Den Ausgang runter, oder ist sie die Rolltreppe hochgefahren?«

Mario grübelte und schaute in beide Richtungen. »Hoch.«

»Sicher?«

Mario nickte. »Sie hatte neulich diesen kurzen Rock an, und ich stand ganz günstig, als sie nach oben fuhr. Den Anblick vergisst man nicht so schnell.« Er versuchte zu grinsen, und Viktoria verkniff sich eine tadelnde Bemerkung.

»Okay. Nach oben. Da sind das Reisebüro, diese PR-Agentur mit der nervigen Pressefrau und die Redaktion von diesem Ratgeber-Yellow-Blättchen, wie heißt es doch gleich ...«

Mario legte die Stirn in Falten. »Weiß nicht. Wieso ist das wichtig?«

Viktoria verdrehte genervt die Augen. »Weil deine Nana vielleicht in einem dieser Büros gearbeitet hat und wir so herausfinden können, wie sie mit Nachnamen heißt und ob sie gesund ist oder ...«

Mario fiel ihr ins Wort: »Schlau und Schön – so heißt das Blatt. Haben sie wahrscheinlich nach dir benannt.« Er grinste.

Viktoria war erleichtert. So langsam wurde Mario wieder normal.

***

Kai Westmark war demotiviert. Und das schon, bevor er das erste Blatt in der Hand hielt. Schlapp saß er in dem modernen Drehstuhl mit ergonomischer Rückenlehne. Vor ihm häuften sich Papiere, die ihm seine Sprechstundenhilfe kurz vor ihrem Feierabend auf den Schreibtisch gepackt hatte. Natürlich war ihm klar gewesen, dass es dauern würde, bis er Routine erlangt hätte. Und es war ihm auch klar, dass Arzt zu sein auch bedeutete, viel und vor allem lange zu arbeiten. All das wusste er, und all das hätte ihn nicht gestört. Doch dass ihn das, was er tat, so wenig herausfordern und vor allem so wenig erfüllen würde, damit hatte er nicht gerechnet. Seit er denken konnte, hatte er davon geträumt, eines Tages die Praxis seines Vaters zu übernehmen. Die ersten Zweifel kamen, kurz bevor sein Vater starb. Doktor Johannes Westmarks Herz blieb stehen, und Kai hatte sein Erbe angetreten. Er hatte die Praxis in Westbevern renoviert, modernisiert und eröffnet. Es fühlte sich gut an, der Mutter beizustehen, den letzten Wunsch des Vaters zu erfüllen, sein eigenes kleines Reich zu errichten. Inzwischen war er allerdings nicht mehr sicher, ob es nicht eher der Traum seines Vaters gewesen war, dem er hinterhergelaufen war. Müde griff er nach dem ersten Blatt auf dem Stapel.

Sein Handy surrte und ließ die Tischplatte vibrieren. Er griff danach, öffnete die SMS, las sie und lächelte. Dann verschränkte er die Arme hinter seinem Nacken, lehnte sich entspannt zurück und kramte in der Schreibtischschublade nach den Zigaretten. Er schloss die Augen und inhalierte. Schade, dass sie in Berlin ist, dachte er. Und: Schön, dass sie hier war.

Im Innern des Reisebüros war es dunkel. Nur die Schaufenster verkündeten hell erleuchtet, dass die nächste Traumreise fast nichts kosten würde und Fernweh heilbar sei. Viktoria versuchte, die Namensschilder auf den Beratertischen zu lesen. Mit viel Fantasie stand dort Müller, doch es könnte auch Wüllner, Meier oder Schmidt heißen. Sie gab auf. Heute würden sie nicht mehr erfahren, ob Nana hier arbeitete. Die PR-Agentur lag hinter einer schlichten Tür neben dem Reisebüro. Gerda Hinzmann war die Inhaberin und eine unglaubliche Nervensäge. Ihre aufdringlichen Rundrufe in allen Berliner Redaktionen waren legendär, ihr Einstiegssatz: »Es geht mir dieses Mal wirklich nicht um die gute Presse – es geht mir um die Sache ...«, war unter Journalisten schon zur Kultfloskel geworden. Ihre Kunden waren kleine Firmen, die sich keine eigene PR-Abteilung leisten konnten, vermeintliche Künstler, Schlagersternchen oder Schauspieler, die nach einem Gastrollenauftritt in irgendeiner Soap dachten, sie seien zu Höherem berufen. Gerda Hinzmann versprach ihnen, sie in die Medien zu bringen, ihnen ein positives Image aufzubauen, sie berühmter, bekannter und reicher zu machen. Und weil sie ihre Versprechen gerne erfüllte, nervte sie jeden, der in den Medien arbeitete, mit ihrem Dauergrinsen und ihren »einzigartigen Künstlern, innovativen Unternehmen, begabten Schauspielern und grandiosen Sängern«. Jeder Redakteur ging ihr aus dem Weg. Also kostete es Viktoria einiges an Überwindung, an ihre Tür zu klopfen. Auch Mario verzog das Gesicht, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen.

Die Tür ließ sich öffnen. Die Hinzmann arbeitete also noch. Als sie Viktoria erblickte, sprang sie auf und eilte auf sie zu. Bussi rechts, Bussi links. »Heiiiiiii! Na, das ist ja eine schöne Überraschung am Abend.« Viktoria antwortete mit einem gequälten, aber dennoch strahlenden Victory-Lächeln. Noch bevor sie fragen konnte, ob Gerda eine blonde junge Frau namens Nana kannte, griff diese nach ihrem Mantel, warf ihn über ihre rechte Armbeuge und hakte sich bei Viktoria ein. »Kommt, ihr beiden Hübschen. Ich wollte gerade ins Midi, sonst trockne ich aus – da könnt ihr mich alles fragen, was ihr wollt.«

Viktoria hätte sich am liebsten losgerissen. Doch eine Wodka-Lemon-Länge in der Lounge-Bar im Herzen des Verlagsglaskastens würde sie schon aushalten. Mario folgte den beiden Damen. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er glauben, die beiden Frauen seien Freundinnen, dachte er. Er hatte sich noch nicht entschieden, ob er Viktoria dafür bewundern sollte, dass sie sich so gut verstellen konnte – oder verachten. Heute war er ihr dankbar. Sie tat es, um herauszufinden, wie es Nana ging. Sie tat es für sein Seelenheil.

***

Isa Joss wachte auf und wunderte sich. Sie hätte nicht gedacht, dass sie überhaupt einschlafen würde. Doch es war offensichtlich. Die Krankenschwester, die das Frühstück brachte, hatte sie sanft an der Schulter berührt, und sie war aufgeschreckt.

»Ganz ruhig, Frau Joss«, sagte die Schwester. »Sie haben geträumt.«

Isa nickte und spürte, dass ihre Zimmernachbarin sie mitleidig anschaute. Sie hatte geträumt. Von früher. Wieder einmal. Und es war so verdammt echt gewesen, so real. Sie starrte auf das Graubrot vor ihr. Eine Scheibe Käse lag darauf, ein gelbes Quadrat, das aussah, als sei es aus Gummi. Die Krankenschwester schüttelte noch das Bett auf, dann verschwand sie durch die Tür. Ohne den Blick vom Brot zu nehmen, sagte Isa: »Mein Baby hat vielleicht keine linke Hand. Es wird bestraft, weil ich ein Kind auf dem Gewissen habe. Es war Linkshänder.«

Die Portugiesin lächelte Isa an und biss in ihr Käsebrot. Auf Portugiesisch sagte sie: »Probieren Sie ruhig, schmeckt besser, als es aussieht. Und vielleicht geht es Ihnen besser, wenn Sie etwas im Magen haben.«

Isa starrte an die Wand.

***

Gerda Hinzmann blieb sich treu. Sie nervte.

Viktoria hatte schon ihren halben Wodka-Lemon getrunken, ohne auch nur eine einzige Frage stellen zu können. Stattdessen musste sie die Schwärmereien über Gerdas neueste Klienten über sich ergehen lassen. Jeder Versuch, etwas zu sagen, wurde von der PR-Frau ignoriert und mit noch mehr nichtigen Informationen im Keim erstickt. Viktoria konzentrierte sich auf ihr Getränk. Mario nippte lustlos an seinem Bier. Sie saßen auf riesigen rechtwinklig angeordneten Ledersofas, die es einem unmöglich machten, sich anzulehnen. Würde man es tun, sähe man aus wie ein dreijähriges Kind auf einer Erwachsenencouch. Die Füße würden in der Luft schweben, mit den Händen käme man nicht mehr an die Nussschale, die auf den stylishen Milchglastischchen vor ihnen standen.

Absurd, ging es Viktoria durch den Kopf. Als sie nichts mehr schmeckte, weil der Wodka schon leer getrunken war und nur noch das geschmolzene Wasser der Ex-Eiswürfel durch ihren Strohhalm floss, riss ihr Geduldsfaden. »Gerda«, sagte sie und fasste der PR-Dame dabei scheinbar freundschaftlich an die Schulter. »Wir müssen jetzt leider gehen – sorry. Auftrag.«

Gerda nickte wissend. Klar, ein Auftrag, das ginge vor, das verstünde sie ja. »Aber, Viktoria, denk noch mal über meine Idee mit dem ...«

Viktoria lächelte. »Na klar. Mach ich.« Sie stand auf, schlüpfte in ihre Jacke und fragte ganz nebenbei: »Sag mal, deine neue Mitarbeiterin Nana ist doch ganz fit, oder?«

Gerda schaute, als ob Viktoria verrückt geworden wäre. »Mitarbeiterin?«

Viktoria tat cool. »Na, die hübsche Blonde mit den blauen Augen.«

Gerda versuchte zu scherzen. »Du sprichst von mir?« Allgemeines Gelächter.

Viktoria ließ trotzdem nicht locker. »Ach, ich dachte, die Neue bei dir oben im Flur gehört zu dir, macht ja auch optisch was her – hätte also wirklich zu dir gepasst.«

Gerda grübelte und versuchte nach diesem Kompliment tatsächlich zu helfen. »Ne, sorry. Wie soll die heißen?«

Mario konnte nicht mehr ruhig bleiben. »Nana«, blaffte er genervt. Gerda schaute so ausdruckslos wie die Fische, die im blau schimmernden Bar-Aquarium ihre Runden zogen. Gerade als Viktoria sich zum Gehen umdrehen wollte, kam ein etwa dreißigjähriger Mann mit Jeans und Jackett in die Bar. Schleimig war das einzige Wort, das Viktoria einfiel, als sie ihn sah. Verwundert beobachtete sie, dass er freiwillig auf Gerda zusteuerte und wirklich erfreut schien, sie zu sehen.

Auch Gerda strahlte, als sie Schleimi kommen sah. »Hey, Manuel. Das sind Viktoria Latell und Mario Siewers vom Express.«

Manuel nickte kurz in Marios und Viktorias Richtung, schaute sie aber kaum an.

»Das ist Manuel Kolpen von Schlau und Schön.«