Führ mich! - Heiko Breckwoldt - E-Book

Führ mich! E-Book

Heiko Breckwoldt

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Beschreibung

Jede Führungskraft gestaltet ausschlaggebend die Zukunft des eigenen Unternehmens und beeinflusst sie nachhaltig. Dabei kann im Umgang mit den Mitarbeitenden so einiges falsch gemacht werden. Wird schlecht geführt, dann leiden die Ergebnisse darunter oder in extremen Fällen gerät das gesamte Unternehmen in Schieflage. Aber warum machen manche Führungskräfte oft so fatale Fehler? Heiko Breckwoldt ist sich sicher: Es geht immer darum, Menschen zu führen und darauf werden die Führungskräfte der meisten Unternehmen viel zu wenig vorbereitet. Das Resultat sind frustrierte Teams und eine vergiftete Arbeitsumgebung. Heiko Breckwoldt zeigt in 20 unterhaltsamen und lehrreichen Kurzgeschichten die wichtigsten Kompetenzen, Aufgaben und Einstellungen von Führungsarbeit und gibt seinen Lesern wirkungsvolle Werkzeuge an die Hand.

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Heiko Breckwoldt

Führ mich!

Heiko Breckwoldt

Führ mich!

Deine Reise zu einer inspirierenden Führungspersönlichkeit in 20 Erfahrungsberichten

Mentoren-Verlag

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Auflage

© 2024 Mentoren-Media-Verlag,

Königsberger Str. 16, 55218 Ingelheim am Rhein

Lektorat: Deniz S. Özdemir, Mainz

Korrektorat: Marie Schumacher, Leipzig

Umschlaggestaltung: Nadine Nagel, Mainz

Grafik (S. 118): Lukas Kaisler, Karlsruhe

Autorenfoto: Lisa Anderer, Karlsruhe

Satz und Layout: Sarah Küper, Mainz

eBook-Herstellung: Bookwire, Frankfurt am Main

eISBN: 978-3-98641-114-5

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages. Sämtliche Inhalte des Buches entsprechen nicht automatisch der Ansicht und Meinung des Mentoren-Media-Verlags.

www.mentoren-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1

Sail away

Kapitel 2

Kein Lolli für unerwünschtes Verhalten

Kapitel 3

Scheitern als Erfolgsrezept

Kapitel 4

Foul!

Kapitel 5

Cheffing – Der heimliche Chef neben Dir

Kapitel 6

Welcome on Board

Kapitel 7

Ich bin dann mal weg

Kapitel 8

Die schwerste Fremdsprache

Kapitel 9

Ich weiß, wie Du tickst

Kapitel 10

Träumer oder Macher

Kapitel 11

Neuroleadership

Kapitel 12

Schnaps oder Käse?

Kapitel 13

Schwarzwälder Kirsch

Kapitel 14

Business Knigge

Kapitel 15

Pack den Tiger in den Tank

Kapitel 16

Machtlos gescheitert

Kapitel 17

Ich will nicht mehr Chef sein

Kapitel 18

Du bist schuld

Kapitel 19

Pillepalle

Kapitel 20

I have a dream

Nachwort

Danksagung

Kontaktdaten des Autors

Quellenangaben

Literaturempfehlungen

Vorwort

Herzlichen Glückwunsch!

Wenn Du dieses Buch in den Händen hältst, bist Du höchstwahrscheinlich begeistert vom Führen von Menschen. Du bist bereits in einer Führungsposition oder strebst danach, eine zu erreichen? Dann solltest Du genau aus diesen Gründen dieses Buch lesen.

Die Rolle einer Führungskraft ist eine faszinierende und großartige Aufgabe. Du hast die Möglichkeit, Visionen und Ideen zusammen mit Deinem Team umzusetzen und die Zukunft Deines Unternehmens maßgeblich mitzugestalten. Als Orientierungspunkt und Unterstützer beeinflusst Du das Leben Deiner Teammitglieder nachhaltig und inspirierst sie auf dem Weg zu ihren Zielen und Aufgaben. Es liegt in Deiner Verantwortung, eine positive Arbeitsatmosphäre zu schaffen, in der alle gerne ihr Bestes geben.

Die heutige Arbeitswelt mit all ihren Facetten und Ansprüchen macht es für Führungskräfte nicht einfacher. Eines bleibt aber sicher: Es geht immer darum, Menschen zu führen. Im Umgang mit Mitarbeitenden kann man viel richtig machen, aber auch viel falsch. Wenn man es falsch macht, kann Führungsarbeit sehr schnell zum Knochenjob werden und grandios scheitern.

Warum machen Führungskräfte im Umgang mit Mitarbeitenden, mit sich selbst und mit ihrem Umfeld oft Fehler? Weil sie in vielen Unternehmen nicht richtig auf ihre Rolle vorbereitet und einfach so ins kalte Wasser geworfen werden. Man wird zur Führungskraft befördert und oft mit dem Rat »Das lernst Du schon« auf sein neues Team mit vielen guten Vorsätzen im Gepäck losgelassen. Wenn es dann irgendwann ein Training gibt, dann wird man in der Regel nur auf die grundlegenden Aspekte des Managements vorbereitet und mit ein paar einfachen Führungswerkzeugen ausgestattet. Was jedoch oft fehlt, sind Einblicke in die komplexen menschlichen Dynamiken und unvorhergesehenen Situationen, die im Alltag einer Führungskraft garantiert früher oder später auftreten. Genau daran scheitern viele Führungskräfte oder sie verlieren im Laufe der Zeit ihre Inspiration, Energie und Begeisterung für ihre Führungsrolle - zum Nachteil des Unternehmens, der Mitarbeitenden, der eigenen Gesundheit und der Familie.

In diesem Buch beschreibe ich in 20 Kurzgeschichten wichtige Kompetenzen, Herausforderungen, Aufgaben und Einstellungen, die Dir in Deiner täglichen Führungsarbeit neben dem Tagesgeschäft begegnen werden oder sogar bereits begegnet sind. Die Geschichten sind entweder aus der Sicht einer Führungskraft oder aber auch aus der Sicht eines Mitarbeitenden beziehungsweise eines Coaches geschrieben. Sie decken eine Vielzahl von Themen ab, die normalerweise in traditionellen Trainings für Führungskräfte nicht oder nur unzulänglich angesprochen werden. Ich bin aber der Meinung, dass man die Botschaften mit Hilfe kurzer, unterhaltsamer Geschichten leichter verstehen und sich so länger daran erinnern kann – im Gegensatz mit langweiligen »To-do«-Anweisungen und -Auflistungen im kalten Sachbuchformat. Jede Geschichte wird zum Schluss durch Kernbotschaften ergänzt und zusammengefasst, die Dir helfen, die Lektionen, Essenzen und Erkenntnisse aus jeder Geschichte zu verstehen und zu verinnerlichen.

Mein Ziel ist es, Dir als heutige oder zukünftige Führungskraft ein wirkungsvolles und unterhaltsames Lernwerkzeug an die Hand zu geben. Deine Rolle als Führungskraft ist von entscheidender Bedeutung, damit unsere Unternehmen in den Märkten des 21. Jahrhunderts bestehen können und Deine Mitarbeitenden gerne mit Dir und dem Unternehmen zusammenarbeiten. Lass uns gemeinsam unsere Wirtschaftsstandorte zum Erfolg führen.

Warum habe ich das Buch im Stil von Kurzgeschichten verfasst? Ganz einfach: Selbst die besten Ideen und Impulse verlieren an Wert, wenn sie nicht inspirierend, verständlich und unterhaltsam vermittelt werden. Ich bin davon überzeugt, dass sich die Geschichten in Deinem Gedächtnis festsetzen werden. Denn nur ein angeregtes Gehirn lernt.

Ich spreche den Leser und die Leserin in den Geschichten immer in der 2. Person, also mit »Du« an, um die Identifikation mit den Protagonisten der einzelnen Geschichten zu verstärken und um das emotionale Eintauchen in die Geschichten zu erleichtern. Die Geschichten sind fiktiv und inspiriert von Tatsachen und eigenen Erfahrungen. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen, Orten oder Geschehnissen sind rein zufällig gewählt, wenn nicht gesondert betont, und von mir nicht beabsichtigt. Die Namen von Unternehmen im Text sind frei erfunden und zum Erscheinungstermin des Buches nicht öffentlich bekannt.

Um die Lesbarkeit zu verbessern, verzichte ich auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für Angehörige aller Geschlechter.

Ich wünsche Dir viel Vergnügen beim Lesen und hoffe, dass Du nachhaltige Erkenntnisse für Deine tägliche erfolgreiche Führungsarbeit gewinnst, damit Dir deine Führungsarbeit jeden Tag Spaß macht und Deine Mitarbeitenden von Dir begeistert sind.

Heiko Breckwoldt, im Januar 2024

Leadership Partner

Kapitel 1

Sail away

Warum bist Du Führungskraft geworden? Oder warum willst Du es werden?

»Na dann erzähl mir doch mal, wie deine bisherige Karriere verlaufen ist.«

Meine Urlaubsbekanntschaft Jona, ein bekannter Führungskräfte-Coach aus Deutschland, stellte mir diese Frage in einer Strandbar auf der Insel Tobago. Ich hatte Jona an Bord unseres Kreuzfahrtschiffs kennengelernt, wir hatten schnell einen Draht zueinander gefunden und uns angefreundet, da er genauso wie ich allein unterwegs war. Meine Frau führte ihr eigenes Unternehmen und musste kurzfristig äußerst dringend beruflich für eine Mitarbeiterin einspringen, die Komplikationen während ihrer Schwangerschaft hatte. Aber wir hatten beschlossen, die Reise nicht komplett abzusagen. So trat ich die zehntägige Kreuzfahrt ohne meine Frau an und hatte eine Junior Suite für mich ganz allein.

Als Jona mir erzählte, dass er Leadership Coach und Führungskräfte-Trainer sei, fragte ich ihn, ob wir einmal über mein berufliches Problem reden könnten. Von meiner derzeitigen Chefin Veronika bekam ich mehr und mehr die Pistole auf die Brust gesetzt und mein Selbstwert als Führungskraft ging immer mehr den Bach runter. Sie war der Meinung, dass ich meine Mitarbeitenden ruhig fester anpacken und deutlich mehr aus meinem Laden herausholen könnte.

Bei einem Stopp des Kreuzfahrtschiffs auf Tobago hatte ich mich mit Jona zu einem Strand- und Badetag am wunderschönen Castara Beach verabredet. In einer Beach Bar am Strand erzählte ich ihm, dass ich nach meinem Studium zuerst einmal mit viel Freude als Ingenieur in einer Hightech-Firma gearbeitet hatte. Irgendwann war eine Stelle als Führungskraft meiner Abteilung frei geworden, weil der bisherige Chef dieser Engineering-Abteilung in Rente gegangen war. Meine Kollegen waren der Meinung gewesen, ich solle mich doch auf die freie Stelle bewerben. Auch mein Chef hatte mir zugesprochen und gemeint, dass ich doch der Beste in meinem Team sei und die Position sicher ein Schritt in die richtige Richtung meiner zukünftigen Karriere in diesem Unternehmen wäre.

Das Bewerbungsgespräch war sehr kurz verlaufen. So wurde ich von heute auf morgen Chef von zwölf Mitarbeitenden. Meine Firma hatte mich einfach ins kalte »Führungswasser« geworfen. Irgendwelche Führungstrainings oder Coachings habe ich danach bis heute nie erhalten. Mein Chef hatte immer gemeint, dass ich das bisschen Führung doch nebenbei lernen könne. Mein Team sei doch einfach zu führen. Na ja, und so machte ich dann einiges richtig, aber eben auch vieles falsch. Innerhalb des Unternehmens wurde ich nach zehn Jahren Hauptabteilungsleiter für die Produktion mit insgesamt 14 Führungskräften und 220 Mitarbeitenden. Nach ein paar Jahren wechselte ich dann zu GICX Enterprises, weil ein Headhunter mich angesprochen hatte und die Position als Werksleiter einen deutlichen Karriereschritt bedeutete. Ich erzählte Jona stolz von meiner heutigen Position als Werksleiter, von meinem Verantwortungsbereich, von meinen vielen Mitarbeitenden und von meiner Mitverantwortung für den Multimillionen-Dollar-Umsatzanteil bei GICX. Ja, ich war stolz auf mich und meine Position.

Jona hörte aufmerksam zu, nickte zustimmend, grinste ab und zu und wartete geduldig, bis ich zu Ende erzählt hatte. Ich hatte den Eindruck, dass er nicht nur zuhörte, sondern mich ganz genau analysierte. Nach meinem langen Monolog über meine bisherige Karriere und Großtaten schaute ich Jona erwartungsvoll an, aber er schaute mir nur tief in die Augen. »Aha«, sagte er, ohne auf meine beeindruckende Karriere einzugehen. Eigentlich hatte ich erwartet, dass er Begeisterung zeigen oder zumindest ein »Wow« über die Lippen bringen würde. »Sag mal, warum bist du eigentlich Führungskraft geworden?«, wollte er dann wissen. Ich verstand die Frage nicht so ganz, weil ich das doch eben gerade bereits erzählt hatte. »Na, weil ich doch der Beste war und nur so Karriere machen konnte.«

Jona fragte noch mal nach: »Warum bist du Führungskraft geworden?« Dabei betonte er das »Warum« ganz besonders. Ich wusste nicht, was er als Antwort erwartete.

»Warum bist du Führungskraft geworden? Was war dein Motiv, also dein ›Warum‹, deine Karriere in diese Richtung zu lenken? Du hättest doch sicher auch anders Karriere machen können. Als Ingenieur warst du der Beste in deinem Bereich. Da hätte es doch bestimmt auch Möglichkeiten für eine erstklassige Fachkarriere gegeben. Also warum unbedingt Führungskraft? Was war dein Motiv?«

Nun, ich wurde Führungskraft, weil ich gefragt wurde, weil ich der Beste in meinem Team war und weil es auch irgendwie mein Ziel war, irgendwann einmal Chef einer Abteilung zu werden. Ja, mein Ziel war immer gewesen, einmal Chef zu werden. Das war mein Ziel gewesen, aber was war mein Motiv? Warum wollte ich Chef sein? Ich musste mir eingestehen, dass ich es nicht wusste.

Jona merkte, dass mir die Antwort schwerfiel, und bat mich, einmal über mein Motiv, das »Warum«, Führungskraft geworden zu sein, nachzudenken und ihm am nächsten Tag die Antwort zu sagen. Ich war froh, dass Jona nicht weiter bohrte. »Komm jetzt, lass uns baden gehen. Wir haben genug geredet«, war sein Vorschlag. Wir tranken unsere Cocktails aus und rannten beide um die Wette ins warme karibische Wasser. Am späten Nachmittag kehrten wir auf unser Schiff zurück.

Abends auf der Kabine dachte ich noch mal über mein Treffen mit Jona nach und fragte mich, warum ich eigentlich Führungskraft geworden war. Ganz ehrlich, ich fand, dass ich mich das schon lange einmal hätte fragen sollen. Beim Bewerbungsgespräch zu meiner ersten Führungsposition war ich genau das eben nicht gefragt worden. Auch später nicht. »Warum wollen Sie Führungskraft sein?« Niemand hatte mir diese einfache, aber sehr wichtige Frage in meinen Bewerbungsgesprächen jemals gestellt. Und ich selbst war mir darüber auch nicht so richtig im Klaren.

»Okay, dann stell ich mir genau diese Frage jetzt selbst! Warum will ich Führungskraft sein?«, sagte ich zu mir und holte eine Dose kühles Bier aus dem Kühlschrank in meiner Kabine, machte die Musik aus, öffnete die Verandatür und stellte mich auf den kleinen Balkon. Es war einfach umwerfend. Über die Schiffslautsprecher hörte ich das Lied Sail away von Enya, das immer beim Auslaufen des Schiffes gespielt wurde. Ich beobachtete eine Weile die Wellen, die das fahrende Schiff in das Meer malte. Nach ein paar Minuten verstummte die Musik. Der Kapitän machte seine allabendliche Durchsage und erklärte die Route zum nächsten Ziel, die Insel Barbados. Er wünschte seinen Gästen eine ruhige Überfahrt und einen schönen Abend an Bord des Schiffes. Wie immer beendete er seine Ansprache mit den Worten »Captain, out!« Ich musste schmunzeln. »Danke … endlich Stille«, sagte ich leise zu mir selbst. Ich hörte jetzt nur noch den Fahrtwind und das leise Rauschen der Wellen.

Nach einem ersten Schluck aus der Dose fragte ich mich: »Warum, verdammt noch mal, wolltest du Führungskraft werden? Und warum will ich das heute immer noch sein?« Jona hatte recht. Ich musste diese Frage für mich klären. Warum tat ich mir das immer wieder an? Führungskraft zu sein, war ein Knochenjob, ja, das war richtig harte Arbeit. Führungsarbeit eben. Wofür stand ich als Führungskraft? Und was wurde von mir erwartet, also was erwarteten meine Mitarbeitenden und was erwartete mein Arbeitgeber? Und was hatte meine Familie zu erwarten? Ich merkte, dass ich mir diese wichtigen Fragen zu meinem Beruf und zu mir so noch nie gestellt hatte. Und dann war da ja auch noch meine Chefin Veronika, die mich ständig unter Druck setzte und versuchte, mir ein schlechtes Gewissen einzureden, wenn das monatliche Werksergebnis nicht wie erwartet ausfiel. Bei ihrem letzten Besuch bei mir im Werk hatte sie auch noch unmissverständlich klargemacht, was sie innerhalb der nächsten sechs Monate von mir erwartete: noch mehr Marge und weniger Kosten.

Warum um alles in der Welt war ich Führungskraft geworden? Welche Werte vertrat ich und was war mein Motiv gewesen, mich vor über 20 Jahren auf diesen Karriereweg zu begeben? Gute Fragen, musste ich zugeben. Ich trank noch mal einen Schluck aus der Dose Bier.

Wegen des Geldes vielleicht? Ja, okay, mehr Verantwortung hieß auch immer mehr Gehalt. Mit meinem inzwischen super Gehalt konnte ich mir und meiner Familie einiges bieten und ihnen viele Wünsche erfüllen. Aber hatte ich das primär wegen der Aussicht auf ein deutlich höheres Gehalt und die halbjährlichen Boni gemacht? Nur deswegen? Nein! Bestimmt nicht, auch wenn ich mich inzwischen an das großartige Gehalt gewöhnt hatte.

Oder wegen der Macht? Ja, ich liebte es, Strategien zu entwickeln, an kleinen und großen Entscheidungen mitzuwirken und Projekte umsetzen zu lassen. Aber war ich deswegen auch gleich ein Machtmensch, der nur deswegen eine Führungsposition haben wollte? Nein, das war ich ganz bestimmt nicht. Da kannte ich mich selbst zu gut. Andere Führungskräfte aus meinem Unternehmen und aus meinem Bekanntenkreis, die ihre Position als reines Machtinstrument verstanden und benutzten, hatten mich schon immer abgestoßen. So wie Florian, der wie ein Gockel durch seine Abteilung lief und rund um die Uhr Anerkennung und Respekt von seinen Mitarbeitenden erwartete.

Was war es dann? Warum hatte ich Führungskraft werden wollen? Und warum wollte ich es jetzt immer noch sein? Trotz des Stresses, den ich abends mit nach Hause nahm und dann nicht einschlafen konnte.

Ich schaute der untergehenden Sonne zu, wie sie am karibischen Horizont langsam im Meer versank. Das Schiff hatte inzwischen Kurs auf die Insel Barbados genommen. Auch dort wollte ich mich mit Jona treffen. Wir hatten uns zum Tauchen verabredet. Das South Side Scuba Centre auf Barbados würde uns direkt am Schiff abholen. Endlich mal wieder Pressluft atmen und die Schwerelosigkeit unter Wasser genießen. Und ich freute mich auch auf Jona. Die Gespräche mit ihm machten mich nachdenklich, weil er genau die richtigen Fragen stellte. Ich merkte, dass er mir half, Antworten für mein Leben zu finden.

Dieselbe Frage hämmerte immer wieder durch meinen Kopf. Warum war ich Führungskraft geworden? Ich wollte Jona am nächsten Tag unbedingt eine gute Antwort geben. Meine Kollegen hatten damals gemeint, ich solle mich doch bewerben. Warum hatten die mich eigentlich dazu aufgefordert? Brauchte ich wirklich den Anschub von anderen? Nein, den brauchte ich nicht. Aber es hatte mir trotzdem gutgetan, dass mir meine Kollegen das zugetraut hatten.

Nun ja, Führungskraft wurde man vielleicht auch, um gemeinsam mit seinen Mitarbeitenden das Unternehmensergebnis zu verbessern. Mehr Umsatz, mehr Marge, mehr Gewinn, weniger Kosten. Jeden Monat, jedes Quartal und jedes Jahr das gleiche Spiel. Zur Freude der Aktionäre oder der privaten Eigentümer. Für die rackerte ich mich ab. Als Führungskraft stand man klar auf der Unternehmerseite und nicht mehr auf der Arbeitnehmerseite. Damit hatte ich auch kein Problem. Ich war mir aber auch absolut sicher, dass die Gewinnmaximierung für die Eigentümer nicht der Grund für mich war, in einem Unternehmen Führungskraft geworden zu sein.

Ach ja, vielleicht war ich wirklich Führungskraft geworden, weil ich der Beste in meiner Abteilung war. Das könnte es doch sein. Mein Chef hatte das ja gemeint: »Du bist der Beste, also musst du auch Führungskraft werden.« War das wirklich so? Weil man der Beste war, war man automatisch prädestiniert, Führungskraft zu werden? War der fachlich Beste denn auch automatisch die beste Führungskraft? Nein, ganz bestimmt nicht! Ich erinnerte mich an Marcus, den QA-Manager in meiner letzten Firma. Marcus war eine absolute Koryphäe in Qualitätsfragen, Messmethoden und statistischen Auswertungen. Darum hatte man ihm damals die QA-Abteilung anvertraut. Niemand in seinem Team machte ihm da was vor. Aber er war auch ein Choleriker und ein kleiner Napoleon. Den Spitznamen »Bonaparte« hatte er schnell weg. Seine Mitarbeitenden drangsalierte er ständig und er wusste immer alles besser. Gute Ergebnisse seines Teams reklamierte er nur für sich und er sanktionierte seine Mitarbeitenden beim kleinsten Fehler. Oftmals hatte ich Tränen in den Augen seiner Mitarbeitenden gesehen, wenn sie nach einer Aussprache mit ihrem Chef den Meetingraum verlassen hatten. Und weil er wusste, dass er der Beste war, fragte er auch niemals seine Mitarbeitenden nach ihrer Meinung oder wie sie ein Problem angehen würden. Manchmal hörte man ihn sogar in seinem Messlabor seine Mitarbeitenden anschreien.

Niemand arbeitete gerne in der QA-Abteilung. Ja, er war fachlich der Beste, aber als Führungskraft völlig ungeeignet und eine Katastrophe. Marcus »Bonaparte« war eine völlige Fehlbesetzung für die Abteilungsleitung. Leider ließ man ihn gewähren, denn er war ja der Beste. Man wunderte sich nur, warum ein Mitarbeitender nach dem anderen kündigte oder eine Position in einer anderen Abteilung suchte. »Bonaparte« war bis heute noch Führungskraft in dieser Abteilung.

Nein, der Beste zu sein, war absolut kein primärer Grund Führungskraft zu werden. Für den Abteilungserfolg und für die Potenzialentwicklung der Mitarbeitenden war es sogar hinderlich. Denn ich war mir sicher: »Es ist nicht die Bestimmung einer Führungskraft, die klügste Person innerhalb des Teams zu sein.«

Die Sonne war inzwischen fast schon untergegangen. Ich setzte mich in den Liegestuhl auf meinem Balkon und trank noch mal einen Schluck aus der Dose Bier. Das Rauschen der Wellen, das Geräusch des Windes und mein entspanntes Atmen hatten langsam eine meditative Wirkung auf mich. Ich atmete tief ein und aus. Die warme Luft schmeckte leicht salzig. Ich schloss die Augen und fiel in eine leichte Trance. Es fiel mir plötzlich leicht, tief in mich hineinzuhören. Diesen Zustand einer leichten Trance kannte ich von meinen Meditationen beim Yoga. Ich ließ mich tiefer und tiefer fallen. Vor meinem inneren Auge sah ich mich als Schüler, der überlegte, welchen Beruf er ergreifen sollte. Ich wollte schon immer Ingenieur werden. Für Technik hatte ich mich schon immer interessiert. Als kleiner Junge hatte ich großartige Maschinen aus LEGO oder Fischertechnik gebaut, und konstruierte Modellflugzeuge, die dann erstklassig flogen. Mein Traum war es gewesen, wie Scotty, der Chef-Ingenieur vom Raumschiff Enterprise, zu werden. Für jedes technische Problem eine Lösung finden. Für die Menschen mit Hilfe der Technik für mehr Lebensqualität sorgen. Ich wollte Technologien für Menschen entwickeln, damit die Menschen auf diesem Planeten sicherer und unbeschwerter leben könnten. Das war mein Motiv: Ingenieur zu werden und heute noch zu sein. Dinge erfinden und entwickeln, die uns Menschen halfen.

So intensiv hatte ich mich mit dieser Frage noch nie auseinandergesetzt. In meiner Trance spürte ich eine tiefe Befriedigung, weil ich jetzt wieder wusste, warum ich Ingenieur geworden war. Und warum war ich nun Führungskraft geworden? Hatte das vielleicht auch etwas mit den Menschen zu tun? Ich horchte tiefer in mich hinein und wandelte meine Frage etwas ab: »Warum will ich Menschen führen?«

Als ich nach einigen Minuten die Augen wieder aufmachte, wusste ich, warum ich Führungskraft sein wollte. Irgendwie hatte mir mein Unterbewusstsein die richtige Antwort genannt. Mir war plötzlich klar, was Führen wirklich bedeutete:

Menschen an die Hand nehmen. Ihnen den besten aller Wege zeigen. Ihnen über Hindernisse helfen und Steine aus dem Weg räumen, damit sie gut sein können und ihre Potenziale entfesseln. Ihnen Selbstbestimmung, Sinntrieb und Selbstverwirklichung ermöglichen. Und vor allem, weil ich gerne mit Menschen zusammenarbeitete. Weil ich gerne das Leuchten in den Augen meiner Mitarbeitenden sah, wenn wir gemeinsam wieder einmal das schier Unmögliche geschafft hatten. Ich wollte als Führungskraft nicht recht haben, sondern zusammen mit meinem Team das beste Ergebnis erzielen. Das alles war mein Antrieb, Führungskraft zu sein, in guten und in schwierigen Zeiten.

Und ich dachte sogar noch einen Schritt weiter: »Ich bin Führungskraft, weil ich ein Menschenfreund bin.« Ich war mir sicher, dass das die richtige Antwort für Jona war. Ich war als Führungskraft ein Menschenfreund, weil ich gerne mit Menschen zusammenarbeitete, sie gerne in ihre Potenziale führte und an jeden meiner Mitarbeitenden glaubte. Ich ließ mir diese Antwort noch einige Male auf der Zunge zergehen. Das war es! Natürlich brauchte man auch noch andere Eigenschaften, um eine gute Führungskraft zu sein. Ergebnisorientierung, Organisationsgeschick, Kommunikationsstärke, Belastbarkeit, Entscheidungsfreudigkeit, Durchsetzungsstärke und vieles mehr. Wer Menschen führen wollte, der musste aber vor allem erst einmal Menschen mögen und empathisch mit ihnen zusammenarbeiten wollen und können. Ich war froh, dass meine Antwort für Jona und für mich nicht »Macht« oder »Geld« war.

Am nächsten Tag saß ich im Boot der Tauchbasis neben Jona. Wir mussten über eine Stunde zu unserem Tauchspot fahren. Ein großes Riff mit zwei versunkenen alten Schiffswracks und der hohen Wahrscheinlichkeit, Riffhaien zu begegnen.

»Und?«, fragte er mich. »Hast du deine Hausaufgaben erledigt? Warum bist du Führungskraft geworden?«

Ja, ich hatte eine Antwort gefunden und ich freute mich, sie Jona zu präsentieren. Ich war gespannt auf seine Reaktion.

»Weil ich gerne mit Menschen zusammenarbeite. Weil es mir Freude macht, sie einen guten Job machen zu lassen, sie in Entscheidungen einzubinden und sie in ihre Potenziale zu führen. Ich bin Führungskraft, weil ich gerne für meine Mitarbeitenden da bin, aber auch für mein Unternehmen, denn ich bin eine Win-Win-Führungskraft.«

Jona musste lachen. »Hey, so was habe ich ja noch nie gehört. Eine Win-win-Führungskraft. Gute Beschreibung. Aber genau so muss es sein. Du hast es auf den Punkt gebracht. Ein Gewinn für deine Mitarbeitenden und ein Gewinn für dein Unternehmen. Das Allerwichtigste aber ist, dass du gerne mit Menschen offen, ehrlich und empathisch zusammenarbeiten willst. Weil du als Führungskraft ein …«, ich fiel ihm ins Wort, »… Menschenfreund bist.«

Er klopfte mir auf die Schulter. »Genau, du hast es verstanden. Nur wirkliche Menschenfreunde können gute Führungskräfte für ihre Mitarbeitenden sein. Wer seine Mitarbeitenden menschlich führt, der wird auch für das Unternehmen das Beste herausholen. Geht es dem Unternehmen gut, dann profitieren auch die Mitarbeitenden davon. Ein klassisches Win-Win, wie du schon richtig sagtest.«

Ich war froh, dass meine Antwort für Jona richtig war. Ich war also eine gute Führungskraft, auch wenn meine Chefin es oft anders sah. Es schien, als ob Jona meine Gedanken läse.

»Wenn deine Chefin von dir nur den Gewinn für das Unternehmen will, dann solltest du vielleicht auch mal über eine Veränderung nachdenken. Andere Unternehmen wissen, wo der Vorteil von Win-win-Führungskräften liegt.«

Ja, da hatte er recht. Ich sollte vielleicht wirklich einmal über einen Wechsel nachdenken. Um mir meinen Selbstwert als Führungskraft zu erhalten. Und den Glauben an die Werte meines Traumjobs.

»Zu tun, was Du willst, ist Freiheit. Zu lieben, was Du tust, ist Glück.«

Unbekannt

Kernbotschaften:

Wer Menschen führen will, muss Menschen mögen und ein

Menschenfreund

sein.

Mitarbeitende wollen geführt werden. Auf Augenhöhe, empathisch, inspirierend und partnerschaftlich. Führungskräfte müssen sich heute als Dienstleister für ihre Mitarbeitenden verstehen. Sie müssen in der Lage sein, nachhaltig ein hohes Maß an

Potenzialentfaltung

und

Arbeitsfreude

auszulösen.

Die heutige Führungskraft ist ein Menschenfreund mit einem hohen Grad an Selbsterkenntnis und Wertschätzung für sich selbst und für die Mitarbeitenden. In der

Persönlichkeitsentwicklung

der Führungskraft hin zur Mitarbeiterorientierung liegt ein zentraler Erfolgsfaktor für das Unternehmen.

Deine Mission als Führungskraft ist es, ein

Win-Win

zu erzeugen. Als Erstes ein Gewinn für Deine Mitarbeitenden, indem Du alles tust, damit sie erstklassig arbeiten können, ihnen Hilfe anbietest, sie förderst, ihnen Steine aus dem Weg räumst, sie aus Fehlern sanktionsfrei lernen lässt, immer ein offenes Ohr für Inputs und Vorschläge hast usw. Hast Du ein Team, in dem sich jede und jeder wohl fühlt und gerne arbeitet, dann entsteht automatisch ein Gewinn für das Unternehmen.

Frag Dich,

warum

Du Führungskraft geworden bist oder warum Du es werden willst? Was sind Deine Führungswerte? Wenn Deine ehrliche und einzige Antwort »Macht«, »Geld«, »Karriere« oder »Ich bin der oder die Beste« ist, dann wirst Du keine gute Führungskraft für Deine Mitarbeitenden sein. Mit diesen

Werten

und Einstellungen

taugst Du vielleicht als Fachkraft, aber nicht als Führungskraft.

Wenn Du eine menschliche und empathische Führungskraft sein willst, dann such Dir ein Unternehmen, das Dich auch so führen lässt und dessen

Werte

zu Deinen Werten passen.

Kapitel 2

Kein Lolli für unerwünschtes Verhalten

Unerwünschtes Verhalten von Mitarbeitenden darf nicht belohnt werden.

Vor zwei Jahren wurde ich zur Führungskraft befördert. In unserem Unternehmen hieß das »First-Line-Supervisor«. Ich wurde für einen Produktionsprozess und 22 gewerbliche Mitarbeitende verantwortlich. Es war mein Traumjob, weil ich schon immer gerne Verantwortung trug und es liebte, mit Menschen zusammenzuarbeiten.

Groß vorbereitet wurde ich auf diese neue Rolle nie. »Mach mal. Das bisschen Führung lernst du nebenbei«, hatte ich damals aufmunternd von meinem Chef zu hören bekommen. Und so wurde ich auf meine 22 Mitarbeitenden losgelassen. Da ich von Haus aus ein Menschenfreund war und immer an das Gute im Menschen glaubte, ließ ich meinen Mitarbeitenden eine lange Leine und war zufrieden, wenn die geplanten Stückzahlen erreicht wurden. Die morgendlichen Shopfloor-Meetings zur täglichen Abstimmung verliefen anfangs immer sehr harmonisch und ich dachte mir, dass mein Chef doch recht hatte. Das »bisschen Führung« machte man tatsächlich nebenbei.

Nach einiger Zeit fiel mir aber auf, dass mein Mitarbeiter Matteo seine Pausenzeiten immer länger ausdehnte und nicht einhielt. Gleichzeitig war er einer meiner besten und produktivsten Leute. Ich glaubte, dass es darum keinen Anlass zur Beanstandung geben sollte. Ich würde ihn stattdessen beim in Kürze stattfindenden Gehalts- und Feedbackgespräch darauf ansprechen.

Drei Monate später stand die jährliche Gehaltsrunde sowie das Feedbackgespräch an und Matteo saß mir gegenüber. Wir sprachen über seine Beiträge zum Gruppenergebnis, seine sehr guten Verbesserungsideen und dass er einer meiner besten Leute sei. Als Gehaltserhöhung und »Dankeschön« überreichte ich ihm eine fünfprozentige Gehaltserhöhung, was in dieser Gehaltsrunde eine außerordentliche Erhöhung war, da der Durchschnitt der Erhöhungen nur bei einem Prozent lag. Er freute sich und meinte, dass er die Erhöhung auch verdient habe und bedankte sich bei mir. Als das Gespräch nach einer Stunde beendet war, sagte ich ihm beim Verlassen des Meetingraums, dass er doch bitte die Pausenzeiten besser einhalten solle. Er nickte nur und verließ den Raum. Weiter sprachen wir nicht über das Thema.

In meiner Unerfahrenheit meinte ich, dass er den »kleinen Wink mit dem Zaunpfahl« bestimmt verstanden hatte. Ich wurde enttäuscht. Seine Pausen wurden immer mehr zum Ärgernis. Sein Verhalten motivierte inzwischen auch andere in meinem Team, ihre Pausen weiter auszudehnen. Ich sprach das Thema in einem Shopfloor-Meeting an und bat um Besserung. Ein paar wenige Tage wurde es tatsächlich besser, dann kippte die Situation wieder und das Thema »Einhalten von Pausenzeiten« wurde erneut ein Problem.

Ich hatte erkannt, dass Matteo mit seinem Verhalten der Auslöser des Problems war. Er war aber der beste Mitarbeiter und ich konnte mich immer zu 100 Prozent auf ihn verlassen. Er übernahm sogar die Teamleitung, wenn ich nicht da war. Ich wollte und konnte ihn darum auch nicht sanktionieren. Trotzdem belastete mich das Thema mit der Einhaltung der Pausenzeiten immer mehr. Mich sprachen sogar Supervisoren und Teamleiter anderer Gruppen bereits darauf an, weil Matteo immer Kollegen oder Kolleginnen aus anderen Gruppen zur Kaffeepause abholte. Ich sprach nochmals mit Matteo und bat ihn erneut, die Pausenzeiten einzuhalten. Ohne nachhaltigen Erfolg.

Eines Abends ging ich nach der Arbeit noch im örtlichen Supermarkt vorbei, um für mich und meine Freundin ein paar Sachen zum Abendessen einzukaufen. Als ich alles zusammenhatte, schob ich den Einkaufswagen Richtung Kasse. An der Kasse hatte sich eine Schlange gebildet, und so blieb mir Zeit, die wartenden Kunden und Kundinnen vor mir zu beobachten.

Direkt vor mir stand eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter im Kindersitz des Einkaufwagens. Sie unterhielt sich mit ihrer Freundin, die links in der Reihe vor der benachbarten Kasse wartete. Auch sie hatte ihren kleinen Sohn in den Einkaufswagen gesetzt. Was ich jetzt beobachtete, sollte mein Führungsverhalten nachhaltig verändern.

Die Mutter vor mir schob ihren Wagen immer weiter Richtung Kasse. Nach etwas Warten stand sie im direkten Kassenbereich, in dem die Auslage von Süßigkeiten zum schnellen Kauf animieren soll. Dieser Bereich wurde von den Supermarktbetreibern auch »Quengelzone« genannt. Warum dieser Bereich so genannt wurde, sollte ich gleich erleben.

Die Tochter fragte ihre Mutter, ob sie einen der bunt verpackten Lollis aus der Auslage bekommen könne. Die Mutter verneinte. Die Tochter fragte noch mal, dieses Mal schon etwas deutlicher, quengeliger und lauter: »Ich will einen Lolli haben!« Die Mutter sagte wieder nein. Ich fand es konsequent und richtig.

Das Kind fing jetzt an, noch lauter nach einem Lolli zu verlangen. Die anderen Kunden im Kassenbereich drehten sich bereits um, weil die Kleine ziemlich laut wurde. Die Mutter blieb hart und legte weiter ihre Waren aus dem Einkaufswagen auf das Kassenband. Die Kleine wurde noch lauter: »Ich will einen Lolli haben!« Die Mutter war inzwischen ziemlich genervt und sah bereits die Blicke der anderen Kunden. Fast jeder Kunde und jede Kundin im Kassenbereich beobachtete das Schauspiel. Und das Drama spitzte sich weiter zu. Die Kleine fing lauthals an zu weinen. Die Mutter war inzwischen völlig überfordert mit der Situation und dem Verhalten ihrer kleinen Tochter. Sie sah die vielen Blicke der anderen Kunden, die sich bereits über das Verhalten der Tochter echauffierten. Letztendlich gab sie der Tochter einen Lolli aus der Auslage. Die Kleine hörte sofort auf zu weinen, grinste, packte den Lolli aus und steckte ihn sich genussvoll in den Mund.

Jetzt fing auch noch das Kind an der Parallelkasse an zu quengeln und wollte eine kleine Tüte Gummibären haben. Ich hatte inzwischen meinen Einkauf bezahlt und eingepackt. Ich war froh, mit solchen Erziehungsproblemen momentan noch nicht konfrontiert zu sein.

Als ich im Auto nach Hause fuhr, ließ ich die Situation im Supermarkt noch mal vor meinem inneren Auge ablaufen. Klar, es war unfair vom Supermarktbetreiber im Kassenbereich Süßigkeiten auf Augenhöhe der Kinder im Einkaufswagen zu offerieren. Hatte die Mutter aber richtig gehandelt, als sie ihrer Tochter einen Lolli gegeben hatte, um sie endlich zu beruhigen?

Nein, sagte ich mir. Sie hatte der Tochter für ihr unerwünschtes Verhalten eine Belohnung, einen Lolli, gegeben. Würde die Tochter das unerwünschte Verhalten damit zukünftig abstellen? Sicher nicht! Ich konnte mir bildlich vorstellen, was beim nächsten Besuch der Mutter mit ihrer Tochter im Supermarkt passieren würde. Durch die Erziehungs- und Führungsschwäche der Mutter wurde die Tochter in ihrem unerwünschten Verhalten bestätigt und direkt belohnt. Eben mit einem Lolli.

Sagte ich »Führungsschwäche«? Richtig! Das wurde mir durch mein Erlebnis im Supermarkt plötzlich alles klar. Es war eine Führungsschwäche, wenn man als Führungskraft unerwünschtes Verhalten seiner Mitarbeitenden direkt oder indirekt belohnte, und zwar ihnen für unerwünschtes Verhalten einen Lolli gab. Also beispielsweise in Form einer Gehaltserhöhung oder eines anderen Bonus. Es galt auch als Führungsschwäche, einfach wegzuschauen und lieber nichts zu sagen, weil man sich nicht traute, das unerwünschte Verhalten anzusprechen und eventuell sogar zu sanktionieren. So musste man sich dann auch nicht wundern, wenn das unerwünschte Verhalten nicht aufhörte, immer weiter eskalierte und sich so sogar noch bei anderen Mitarbeitenden fortpflanzte. So wie bei dem kleinen Jungen an der benachbarten Kasse im Supermarkt. Und genau so wie in meinem Team.

Am nächsten Tag bat ich Matteo zu einem Gespräch. Ich kam ohne Umschweife auf seine viel zu langen Pausenzeiten zu sprechen und machte ihm klar, dass ich sein unerwünschtes Verhalten ab sofort nicht weiter dulden würde. Ich brachte meine Enttäuschung über sein Verhalten, nicht über seine Leistung, zum Ausdruck. Matteo zeigte sich überrascht und meinte, dass er die langen Pausenzeiten durch seine hohe Produktivität immer wieder reinholen würde. Ich ließ mich auf diese Diskussion nicht ein und sagte ihm, dass sich andere an seinem falschen Verhalten bereits ein Beispiel nehmen würden. Er meinte, ich hätte doch bisher noch nie seine Pausenzeiten sanktioniert. Für ihn sei das darum immer okay gewesen.

»Matteo, es war ein Fehler von mir, wegzusehen und dein andauerndes Fehlerverhalten nicht deutlicher anzusprechen. Es war auch ein Fehler, dir bei der letzten Gehaltsrunde eine Gehaltserhöhung zu geben.« Ich war über meine Worte selbst etwas überrascht, denn so deutlich war ich ihm gegenüber noch nie aufgetreten.

»Ich mache demnächst Urlaub und meine Stellvertretung wirst nicht du übernehmen, sondern Silke. Jemand, der falsches Verhalten an den Tag legt und anderen ein schlechtes Beispiel ist, kann keine Führungsrolle übernehmen.« Ich wusste, dass ich ihn damit hart traf, weil ihm die Stellvertretungen für sein Ego immer sehr wichtig waren. Auch diese Stellvertretungen waren Matteos Lolli gewesen.

»Matteo, ich erwarte, dass du die Pausenzeiten ab sofort akkurat einhältst und deinen Kolleginnen und Kollegen damit ein Beispiel bist. Ich werde deine Pausenzeiten beobachten. Ich möchte noch mal betonen, dass meine Enttäuschung und Entscheidung nichts mit deiner Leistung zu tun haben, sondern nur mit deinem Verhalten und deinen Verfehlungen wegen der Pausenzeiten.« Matteo versprach Besserung und wir beendeten das Gespräch.

Nach dem Gespräch war ich richtig erleichtert, Matteo gegenüber Klartext gesprochen zu haben. Ich nahm mir vor, ihm keinen weiteren Lolli mehr zu geben, solange sich sein Verhalten nicht deutlich und nachhaltig verbessern würde. In den nächsten Monaten konnte ich beobachten, dass Matteo tatsächlich seine Pausenzeiten sehr akkurat einhielt. Das Einhalten der Pausenzeiten war auch bei anderen im Team kein Problem mehr. Seither lautete einer meiner Führungsgrundsätze: »Kein Lolli bei unerwünschtem Verhalten!«

Neulich traf ich im Supermarkt die Mutter mit ihrer Tochter wieder. Auch sie hatte scheinbar das Problem mit dem »unerwünschten Verhalten« gelöst, denn die »Quengelzone« im Kassenbereich wurde ohne Probleme anstandslos passiert. Als ich dran war, kaufte ich einen der bunt eingepackten Lollis. Draußen auf dem Parkplatz schenkte ich den Lolli der Tochter, die gerade auf ihrem Kindersitz im Auto Platz genommen hatte. »Danke!«, sagte ich zur Mutter. »Ihre Tochter hat mich vor einiger Zeit in diesem Supermarkt gelehrt, dass man unerwünschtes Verhalten nicht mit einem Lolli belohnen darf.«

Die Mutter lächelte und meinte: »Ich weiß, wovon Sie reden. Ich habe es inzwischen auch gelernt. Und meine Tochter auch.«

Kernbotschaften:

Unerwünschtes Verhalten

der Mitarbeitenden nicht anzusprechen und lieber wegzulächeln, ist immer eine Belohnung und ein Lolli für dieses falsche Verhalten.

Es gehört

Mut

dazu, falsches oder unerwünschtes Verhalten sehr zeitnah anzusprechen. Diesen Mut musst Du als Führungskraft aufbringen. Das wird von Dir erwartet. Jederzeit und bedingungslos.

Deine Mitarbeitenden beobachten Dich sehr genau. Sie erwarten von Dir als Führungskraft, dass Du falsches oder unerwünschtes Verhalten von Kolleginnen oder Kollegen ansprichst und abstellst. Sonst werden sie innerhalb kürzester Zeit genau das gleiche Verhalten an den Tag legen. Und damit potenziert sich Dein Problem. Auch das unerwünschte Verhalten von erstklassigen Mitarbeitenden

muss angesprochen und abgestellt werden

. »Starallüren« dürfen niemals geduldet werden.

Wenn Du das falsche oder unerwünschte Verhalten bei Deinem Mitarbeitenden ansprichst, dann bleibe immer

fair in der Kommunikation

. Lege die Konsequenzen glasklar offen, formuliere Deine Erwartungen und vereinbare einen Verbesserungsplan.

Kapitel 3

Scheitern als Erfolgsrezept

Scheitern ist oftmals nur das Vorspiel zum ganz großen Erfolg.

»Joris, das ist ja ein hochinteressanter Fehler, der ihnen da passiert ist. Vielen Dank dafür!«

Ich war über die Reaktion meiner Chefin Alina völlig überrascht. Ich hatte eher einen »Anschiss« erwartet, nachdem mir ein gravierender Fehler bei der Montage der Ventilköpfe unterlaufen war.

Vor sechs Monaten hatte ich meinen Arbeitgeber gewechselt. Mein früherer Arbeitgeber war ein Unternehmen, in dem Fehler immer drastisch sanktioniert wurden. Wer einen Fehler machte, wurde von seiner Führungskraft zum Einzelgespräch eingeladen und zusammengefaltet.

»Was hast du denn da für einen Scheiß gebaut? Das kostet uns mindestens 5.000 Euro, was du da verbockt hast. Oh Mann, so blöd kann man doch nicht sein! Du kommst sofort in mein Büro. Und zieh dich warm an! Das hat Konsequenzen für dich!« In dieser Art und Weise wurde man von seiner Führungskraft bei meinem früheren Arbeitgeber angeschrien und abgekanzelt, wenn ein Fehler passiert war. Manchmal hatte ich den Eindruck gehabt, dass die Führungskräfte nur darauf warteten, dass irgendjemandem wieder ein Fehler passierte.

Außerdem wurde man nie gefragt, warum der Fehler passiert war, ob man etwas daraus gelernt hatte oder man eine Idee für eine Verbesserung hatte, damit der Fehler so nie wieder passieren konnte. Das Ziel der »Einzelgespräche« war nur, den Schuldigen für den Fehler zu suchen und Angst zu schüren. Zum Beispiel wurden Entlassungen oder der Entzug der Boni für die Übererfüllung des Monatsziels angedroht. Bei diesen Gesprächen wurde es grundsätzlich sehr laut und es sprach immer nur die Führungskraft. Nachdem man sein Einzelgespräch gehabt hatte und runtergemacht worden war, ging man dann zurück an seinen Arbeitsplatz und arbeitete weiter. Man arbeitete dann aber langsamer als vorher und kontrollierte alles doppelt und dreifach, denn den gleichen Fehler wollte man ja nicht noch einmal machen.

Natürlich stumpfte man irgendwann ab. Wenn man einen eigenen Fehler selbst bemerkte, dann hielt man einfach die Klappe. Oftmals zeigte sich der Fehler dann erst beim Kunden und durch hohe Garantiekosten. Oder man vertuschte einen Fehler, denn auf so ein »Einzelgespräch« hatte niemand Lust. Manche suchten sich auch einen Sündenbock, dem man den Fehler in die Schuhe schieben konnte.

Die Firmenleitung wunderte sich nur über die hohen Garantie- und Produktionskosten. Oder auch, dass immer mehr Kunden dem Unternehmen den Rücken kehrten und zum Mitbewerber wechselten. Es wurden alle möglichen Hebel in Bewegung gesetzt, um die Marge wieder zu verbessern und um Kunden zurückzugewinnen. Berater kamen rein, einige Montageschritte wurden sehr teuer automatisiert und es wurde ein Wertekanon für das Unternehmen entworfen, auf den aber kein Verlass war, weil sich letztendlich niemand an diese Werte hielt. Die neuen Unternehmenswerte hingen in großen, goldenen Rahmen in allen Meetingräumen und Gängen. Fragte man die Mitarbeitenden, wie die Werte gelebt wurden, dann bekam man nur ein Kopfschütteln und Abwinken zur Antwort. Das Einzige, auf das Verlass war, waren die Sanktionen und »Einzelgespräche« nach einem Fehler.

Die Führungskräfte in diesem Unternehmen lebten tagtäglich eine negative Fehlerkultur, weil das ganze Unternehmen grundsätzlich keine Fehlerkultur hatte und der Druck zur Zielerreichung immer höher wurde. Fehler waren schlecht und wurden sanktioniert. Zeit zur Fehleranalyse wurde nur sehr selten aufgewendet. Auf die Idee, aus gemachten Fehlern etwas zu lernen, eine Verbesserung daraus abzuleiten und umzusetzen, kam niemand. Mein Vorschlag, das Einstecken eines Steckers auf eine einfache Weise durchzuführen, sodass eine Verpolung nicht stattfinden konnte, hatte sich mein Chef erfreulicherweise irgendwann mal angehört. Doch eine Rückmeldung hatte ich nie erhalten. Also hatte ich ihn ein paar Monate später erneut darauf angesprochen. Seine Antwort: Ich solle mich nicht darum kümmern, meine Arbeit sei die Montage. Und außerdem wäre dafür keine Zeit vorhanden. Ein paar Monate später aber mussten von den Servicekollegen in ganz Europa über 200 Geräte bei Kunden kontrolliert werden, weil ein neuer Kollege genau diesen Stecker falsch herum montiert hatte. Aus dem Servicebereich hatte mir später noch eine Kollegin berichtet, dass dieser Fehler Kosten in Höhe von einer Viertelmillion Euro verursacht hatte. Mit meiner Verbesserungsidee wäre das vermutlich nicht passiert. Irgendwann war mir das alles aber egal gewesen und ich hatte meine Ideen immer für mich behalten. Der neue Kollege, dem der Fehler unterlaufen war, wurde in der Probezeit wieder entlassen.

Niemand in diesem Unternehmen lebte eine Fehlerkultur. Vor allem die Führungskräfte bis hoch ins Top-Management nicht. Führungskräfte gaben auch selbst gemachte Fehler selten zu. Das Lustige dabei war, dass es dann doch jeder wusste, dass die Führungskraft es vermasselt hatte. Also wurde letztendlich doch über den Fehler gesprochen. Aber eben nicht, um etwas daraus zu lernen und zu verbessern, sondern um sich in der Kaffeepause hinter vorgehaltener Hand über die Führungskraft lustig zu machen. »Der Fisch stinkt immer vom Kopf her«, war ein beliebter Spruch, um die vorliegende Gesamtsituation zu beschreiben.

Irgendwann hatte ich aber die Faxen dicke. Ich hatte keine Lust mehr, mich von meinem Chef bei Abweichungen oder Fehlern sanktionieren zu lassen. Denn ich musste feststellen, dass mein Selbstwert immer mehr litt und ich sogar zeitweise Angst hatte, in diesem Unternehmen zu arbeiten. Meine Frau meinte, ich solle doch den Arbeitgeber wechseln, weil mir die Arbeit nicht guttat und weder Anerkennung noch Wertschätzung von den Führungskräften gezollt wurde. Noch zögerte ich. Als ich aber einem Bekannten einmal von meiner Situation erzählte, meinte er, ich solle mich doch mal in seinem Unternehmen bewerben. Dort würden die Werte und eine Fehler- und Verbesserungskultur wirklich gelebt werden. Er erzählte mir von dem Unternehmen und seiner Arbeit in der Montage. Während seiner Erzählung überlegte ich nur, warum es bei uns nicht so war. Es könnte so einfach sein. Ich beschloss, mich bei diesem Unternehmen zu bewerben, da dort zu dieser Zeit gerade Montagemitarbeitende gesucht wurden.

Und nun arbeitete ich bereits seit sechs Monaten in meinem neuen Unternehmen. Es war richtig gewesen, meinen Arbeitgeber zu wechseln. Mein Ex-Chef hatte zwar versucht, mir die Kündigung auszureden und mir das Blaue vom Himmel versprochen, aber ich ließ mich davon nicht beeindrucken und ging dennoch.