Fünf Bücher über das höchste Gut und Übel - Cicero - E-Book

Fünf Bücher über das höchste Gut und Übel E-Book

Cicero

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Beschreibung

De finibus bonorum et malorum (Deutsch: "Vom höchsten Gut und vom größten Übel", auch "Über die Ziele menschlichen Handelns") ist ein philosophisches Werk des römischen Redners, Politikers und Philosophen Marcus Tullius Cicero. Es besteht aus fünf Büchern, in denen sich Cicero mit den Philosophierichtungen des epikureischen Hedonismus, der Stoa und des Peripatos auseinandersetzt und diese dadurch dem römischen Leser vorstellt. Das Leitthema des Werkes ist die Frage nach dem anzustrebenden höchsten Gut.

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Fünf Bücher über das höchste Gut und Uebel

(De finibus bonorum et malorum)

Marcus Tullius Cicero

Inhalt:

Marcus Tullius Cicero – Biografie und Bibliografie

Fünf Bücher über das höchste Gut und Uebel

Erstes Buch

Zweites Buch

Drittes Buch

Viertes Buch

Fünftes Buch

Fünf Bücher über das höchste Gut und Uebel , Cicero

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849607449

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Marcus Tullius Cicero – Biografie und Bibliografie

Der berühmte Staatsmann und Redner, geb. 3. Jan. 106 v. Chr. in Arpinum als Sohn eines Ritters, gest. 7. Dez. 43 auf dem Landgut bei Formiä, widmete sich, in Rom vorgebildet, rhetorischen und philosophischen Studien und trat zuerst in Zivilprozessen als Redner auf; von seinen erhaltenen Reden ist die älteste die für P. Quinctus (81). Seinen Ruf begründete die (80) in einem Kriminalprozess gehaltene Verteidigungsrede für S. Roscius von Ameria, worin er einem Günstling Sullas entgegentrat. Zur Stärkung seiner Gesundheit und zur Förderung seiner philosophischen und rednerischen Ausbildung trat er 79 eine zweijährige Reise nach Griechenland und Asien an. 77 nach Rom zurückgekehrt, verwaltete er 75 die Quästur in Lilybäum auf Sizilien und gewann dann in Rom durch sein Rednertalent immer größeren Ruf. Als erster Redner galt er seit dem Prozess gegen den früheren Prätor in Sizilien, C. Verres (70). 69 bekleidete er die kurulische Ädilität; 66 unterstützte er als Prätor in der Rede für das Manilische Gesetz, seiner ersten Staatsrede, die Übertragung des Oberbefehls im Mithradatischen Krieg an Pompejus. Als Konsul erwarb er sich 63 durch Entdeckung und Unterdrückung der Catilinarischen Verschwörung ein großes Verdienst, das ihm den Ehrennamen »Vater des Vaterlandes« eintrug. Als er aber nach Errichtung des ersten Triumvirats (60) in Überschätzung seiner Bedeutung als Vertreter des Senats und der Nobilität die ehrgeizigen Pläne des Pompejus, Cäsar und Crassus zu bekämpfen unternahm, wurde er auf deren Anstiften durch P. Clodius, seinen persönlichen Feind, wegen der Hinrichtung der Genossen Catilinas um einer Anklage bedroht und ging 58 in die Verbannung. Schon im nächsten Jahr aufs ehrenvollste zurückberufen, sah er durch die Macht der Triumvirate seine politische Tätigkeit völlig gelähmt. Um so eifriger wirkte er als Gerichtsredner; auch begann er in dieser Zeit schriftstellerisch tätig zu sein. 53 wurde er zum Augur ernannt, und 51–50 verwaltete er als Prokonsul die Provinz Kilikien mit großem Eifer und damals unerhörter Uneigennützigkeit. Nach Ausbruch des Bürgerkriegs (Anfang 49) entschied er sich nach anfänglichem Schwanken für Pompejus und folgte ihm nach Griechenland, trat aber nach der Schlacht bei Pharsalos von dessen Partei zurück und erwirkte sich von Cäsar Verzeihung und die Erlaubnis, nach Rom zurückzukehren. Die Zeit bis zur Ermordung Cäsars (15. März 44) brachte er wieder in ähnlicher, durch häusliches Unglück nur noch viel gedrückterer Lage und Stimmung zu als vor dem Bürgerkrieg, obgleich Cäsar ihm Achtung und Gunst bewies; den einzigen Trost fand er in angestrengter schriftstellerischer Tätigkeit, der wir aus dieser Zeit die meisten seiner Werke verdanken. Nach Cäsars Ermordung, an der er selbst keinen Anteil hatte, war er für die Versöhnung der Parteien tätig und führte eine allgemeine Amnestie herbei; als er aber sah, dass Antonius statt Cäsars sich der Herrschaft in Rom bemächtigte, begann er mit der ersten, 2. Sept. 44 gehaltenen Philippischen Rede den Kampf gegen Antonius, der ihn noch einmal an die Spitze des Staates erhob. Nach Antonius' Niederlage bei Mutina schien die Herrschaft des Senats wiederhergestellt, als Oktavian, mit dessen Hilfe der Sieg gewonnen war, mit Antonius und Lepidus das zweite Triumvirat schloss. Eins der ersten Opfer der von diesen verhängten Proskriptionen war C. Im Begriff, sich durch die Flucht zu retten, wurde er auf seinem Landgut bei Formiä von den nach ihm ausgesandten Mördern ereilt und getötet. Seinen Kopf und seine rechte Hand stellte Antonius auf der Rednerbühne in Rom aus. C. war nicht ohne Schwächen, namentlich gingen ihm Charakterfestigkeit und Entschlossenheit ab, in so sturmbewegten Zeiten für einen Staatsmann unerlässliche Erfordernisse. Auch tritt in seinem Tun und Reden maßlose Eitelkeit und Selbstüberschätzung hervor. Anderseits bilden sein auf das Ideale gerichteter Sinn, seine Vaterlandsliebe, sein warmes Herz für Freunde und Angehörige, seine Gutherzigkeit und Sittenreinheit, seine rastlose Tätigkeit und seine rednerischen Leistungen, die den Höhepunkt der römischen Beredsamkeit bezeichnen, Lichtseiten in seinem Bilde, die seine Tadler, namentlich Drumaun (»Geschichte der Stadt Rom«, Bd. 5 u. 6) und Mommsen (»Römische Geschichte«, Bd. 3), nicht genügend gewürdigt haben. Über seine Familienverhältnisse ist zu bemerken, daß er von seiner Gemahlin Terentia, von der er sich nach 33jähriger Ehe (46) trennte, zwei Kinder hatte, eine Tochter, Tullia, die in dritter unglücklicher Ehe 45 zum größten Schmerz des Vaters starb, und einen Sohn (s. Cicero 3). Antike Büsten von C. gibt es mehrere; die vortrefflichste ist die im Apsley House zu London (früher in der Villa Mattei zu Rom).

Ciceros schriftstellerische Tätigkeit war außerordentlich vielseitig; die Zahl der auf uns gekommenen Schriften ist, obwohl nicht wenige verloren gegangen sind, sehr bedeutend. l) Reden. Die Zahl der erhaltenen Reden ist 57; außerdem besitzen wir von ungefähr 20 Bruchstücke, von 35 kennen wir die Titel. Von den erhaltenen verdienen teils wegen ihres Gegenstandes, teils wegen ihrer Vortrefflichkeit Hervorhebung: »Pro Roscio Amerino« (80), die 7 »In Verrem« (70), »De imperio Cn. Pompei« (66), die 4 »InCatilinam« (63), »Pro Murena« (63), »Pro Archia poeta« (62), »Pro Sestio« (56), »Pro Plancio« (54), »Pro Milone« (52) und die 14 »Orationes Philippicae« (41 und 43). Sie zeichnen sich durch lebendigen Fluß der Darstellung, kunstvollen Bau der Perioden, (freilich oft zu rhetorische) Fülle des Ausdrucks, öfters auch durch geistvollen, wenngleich nicht immer zu rechter Zeit und in rechter Weise angebrachten Witz aus; den Demosthenischen freilich stehen sie an Einfachheit, Kraft und Gesinnungstüchtigkeit weit nach. Sie wurden oft herausgegeben, so von Klotz (Leipz. 1835–39, 3 Bde.), in Auswahl für den Schulgebrauch von Halm-Laubmann (Berl.), Richter-Eberhard (Leipz.), Müller (das. 1889, 2 Bde.), Nohl (das.), Heine (Halle 1895) u. a. 2) Rhetorische Schriften, über die Theorie der Beredsamkeit, wobei C. namentlich seine eigne Stellung als Redner darlegt und begründet. Die bedeutendsten sind: »De oratore«, in 3 Büchern, verfasst 55 (hrsg. von Ellendt, Königsb. 1840; Piderit-Harnecker, 6. Aufl., Leipz. 1890; Bake, Amsterd. 1863; Sorof, 2. Aufl., Berl. 1882; Wilkins, 2. Aufl., Lond. 1892; Stangl, Leipz. 1893); »Brutus de claris oratoribus«, verfaßt 46, eine für uns sehr wertvolle Geschichte der römischen Beredsamkeit (hrsg. von Ellendt, Königsb. 1844; Jahn-Eberhard, 4. Aufl., Berl. 1877; Piderit-Friedrich, 3. Aufl., Leipz. 1889); »Orator«, verfaßt 46, über das Ideal eines Redners (hrsg. von Jahn-Eberhard, 4. Aufl., Berl. 1877; Piderit-Friedrich, 3. Aufl., Leipz. 1889; Stangl, das. 1886). 3) Briefe, 864, in vier Sammlungen, eine unerschöpfliche und unschätzbare Quelle für die Zeitgeschichte. Die vier Sammlungen sind: 16 Bücher vermischter Briefe, gewöhnlich »Ad familiares« betitelt, von 62–43 (kritische Hauptausgabe von Mendelssohn, Leipz. 1893ff.); »Ad Atticum«, 16 Bücher, von 68–44 (Ausg. von Boot, 2. Aufl., Amsterd. 1886, 2 Bde.); »Ad Quintum fratrem«, 3 Bücher, von 60–54, und von dem Briefwechsel mit M. Brutus 23 Briefe aus der Zeit nach Cäsars Tode. Gesamtausgaben der Briefe von Wesenberg (Leipz. 1872–73, 2 Bde.), Tyrrell und Purser (Dublin 1899, 6 Bde.); in Auswahl von Hoffmann, (1. Bd., 7. Aufl. von Sternkopf, Berl. 1898; 2. Bd., 3. Aufl. von Andresen 1895); Süpfle-Böckel (9. Aufl., Karlsr. 1893), Bardt (Leipz. 1898); übersetzt von Wieland (Zürich 1808–21, 7 Bde.; neue Ausg., Leipz. 1840–41, 12 Bde.). Vgl. Peter, Der Brief in der römischen Literatur (Leipz. 1901). 4) Philosophische Schriften in dialogischer Form, inhaltlich zwar ohne selbständigen Wert, weil überwiegend aus griechischen Quellen geschöpft (vgl. Hirzel, Untersuchungen zu Ciceros philosophischen Schriften, Leipz. 1876–83, 3 Bde.), aber doch höchst verdienstlich, weil C. damit seinen Landsleuten die griechische Philosophie in römischer Sprache erst zugänglich gemacht und für philosophische Begriffe und Entwickelungen die lateinische Terminologie geschaffen hat: »De re publica«, 6 Bücher, verfasst 54, nur teilweise erhalten (Ausg. von Mai, Rom 1822 u. 1846; Osann, Götting. 1847); »De legibus«, um 52 verfaßt, 3 Bücher, aber unvollendet (Ausg. von Vahlen, 2. Aufl., Berl. 1883; Du Mesnil, Leipz. 1880); »Paradoxa Stoicorum«, von 46 (hrsg. von Moser, Götting. 1816; Schneider, Leipz. 1891); ferner aus dem Jahr 45: »De finibus bonorum et malorum«, 5 Bücher (Ausg. von Madvig, 3. Aufl., Kopenh. 1876; Holstein, Leipz. 1873; deutsch von J. H. v. Kirchmann, das. 1874), und »Academica« (davon erhalten das 2. Buch einer ersten und das 1. einer zweiten Bearbeitung; Ausg. von Reid, 2. Aufl., Lond. 1885); aus dem Jahr 41: »Tusculanae disputationes«, 5 Bücher (Ausg. von Kühner, 5. Aufl., Hannov. 1874; Tischer-Sorof, 8. Aufl., Berl. 1884; Seyffert, Leipz. 1864; Heine, 4. Aufl., Leipz. 1896); »De natura deorum«, 3 Bücher (Ausg. von Schömann, 4. Aufl., Berl. 1876; Goethe, Leipz.1887; Mayor, Cambridge 1885, 3 Bde.); »Cato maior de senectute« (Ausg. von Sommerbrodt, 12.Aufl., Berl. 1896; Meißner, 4. Aufl., Leipz. 1898); »De divinatione«, 2 Bücher (hrsg. von Giese, das. 1829); »Laelius de amicitia« (Ausg. von Seyffert, 2. Aufl., das. 1876; Nauck, 10. Aufl., Berl. 1902; Meißner, 2. Aufl., Leipz. 1898); »De officiis«, 3 Bücher (Ausg. von Zumpt, Braunschw. 1838; Heine, 6. Aufl., Berl. 1885; Schiche, 2. Aufl., Leipz. 1896; übersetzt von Kühner, Stuttg. 1859, u. a.). Verloren ist sein vielgerühmter Dialog »Hortensius«, eine Empfehlung der Philosophie (vgl. Plasberg, Berl. 1892). Auch als Dichter hat sich C. versucht, in seiner Jugendzeit zur Übung (von seiner Übersetzung des Aratos sind noch bedeutende Bruchstücke vorhanden; hrsg. in Baehrens' »Poetae latini minores«, Bd. 1, Leipz. 1879), später vornehmlich aus Eitelkeit, freilich ohne viel Glück.

Neuere Ausgaben sämtlicher Werke: Garatoni (unvollständig, Neap. 1777–88); Orelli (Zürich 1826–30, 4 Bde.; 5. Bd. 1833, enthaltend die Scholiasten; 6.–8. Bd. 1836–38, das »Onomasticon Tullianum«; 2. Aufl. von Orelli, Baiter und Halm das. 1845–62, 4 Bde., die kritische Hauptausgabe); Baiter und Kayser (das. 1862–69, 11 Bde.); Müller (das. 1878–98, 11 Bde.). Lexika zu Ciceros Werken: von Nizolius (»Thesaurus Ciceronianus«, Basel 1559 u. ö., zuletzt Lond. 1820); Merguet (zu den Reden, Jena 1884, 4 Bde.; zu den philosophischen Schriften, das. 1887ff.). Neuere Übersetzungen in der Metzlerschen Sammlung römischer Prosaiker (von Osiander u. a.) und der Langenscheidtschen Übersetzungsbibliothek römischer Klassiker (von Kühner, Mezger, Binder u. a.). Vgl. Gerlach, M. Tullius C. (Basel 1864); Teuffel, Studien und Charakteristiken (2. Aufl., Leipz. 1889); Aly, C., sein Leben und seine Schriften (Berl. 1891); Zielinski, C. im Wandel der Jahrhunderte (Leipz.1897); Schneidewin, Die antike Humanität (Berl. 1897); G. Boissier, Cicéron et ses amis (12. Aufl., Par. 1902; deutsch von Döhler, Leipz. 1870); Lebreton, Étude sur la langue et la grammaire de Cicéron (Par. 1901); Cucheval, Cicéron orateur (das. 1901, 2 Bde.).

Fünf Bücher über das höchste Gut und Uebel

Erstes Buch

Kap. I.(§ 1.) Ich wusste wohl, mein Brutus, dass, als ich das, was die geistreichsten und gelehrtesten Philosophen in griechischer Sprache behandelt hatten, in lateinischer wiedergab, meine Arbeit mancherlei Tadel finden würde. Denn manchen und nicht gerade ungelehrten Männern gefällt das Philosophiren überhaupt nicht; andere wollen eine mässige Thätigkeit hier wohl gestatten, aber meinen, dass man nicht so grossen Fleiss und so viele Mühe darauf verwenden dürfe. Auch giebt es Männer, die, mit den Schriften der Griechen vertraut, die lateinischen verachten und sagen, dass sie ihre Mühe lieber auf jene verwenden mögen. Endlich werden auch Einige mich vermuthlich an andere Wissenschaften verweisen, weil diese Art von Schriftstellerei, trotz des Scharfsinns, doch nach ihrer Meinung meiner Person und Würde nicht gezieme. (§ 2.) Gegen alle Diese möchte ich hier Einiges sagen. Den Tadlern der Philosophie habe ich zwar schon hinlänglich in jener Schrift geantwortet, worin ich die von Hortensius angeklagte und getadelte Philosophie vertheidigt und gelobt habe, und da diese Schrift sowohl von Dir wie von Allen, denen ich ein Urtheil zutraue, gebilligt worden ist, so bin ich in diesen Arbeiten fortgefahren, damit es nicht scheine, als könnte ich das Interesse für diese Wissenschaft wohl erwecken, aber nicht dauernd erhalten. Wenn dagegen Manche, die dem wohl beistimmen, doch nur eine mässigere Thätigkeit hier gestatten wollen, so fordern sie eine Mässigung bei einem Gegenstande, wo sie schwer einzuhalten ist, und der, einmal aufgenommen, sich nicht in Schranken halten oder wieder bei Seite legen lässt. Vielmehr möchte ich dann eher Jenen beitreten, welche die Philosophie überhaupt nicht zulassen wollen, als Diesen, die eine Schranke für einen Gegenstand ziehen, der unerschöpflich ist und um so besser wird, je grösser er wird. (§ 3.) Denn wenn man die Weisheit wirklich erreichen kann, so muss man sie nicht blos erwerben, sondern auch geniessen, und wenn ihre Erwerbung schwer fällt, so darf man doch der Erforschung der Wahrheit, bevor man sie erreicht hat, keine Schranke ziehen; auch bleibt die Ermüdung im Suchen da tadelnswerth, wo der gesuchte Gegenstand der schönste ist. Wenn ich aber an meiner Arbeit mich ergötze, so kann doch nur der Neid mich davon abziehen wollen, und wenn ich mich dabei anstrenge, so darf doch ein Dritter fremdem Fleisse keine Grenze ziehen wollen. Wie der gutmüthige Chremes bei Terenz nicht will, dass sein neuer Nachbar

»grabe oder pflüge oder sonst so etwas thue«

(womit er ihn nicht von der Arbeit, sondern nur von der gemeinen Körperarbeit abhalten will), so machen sich Manche übertriebene Sorge, wenn sie an einer Arbeit Anstoss nehmen, welche mir keineswegs unangenehm ist.

Kap. II.(§ 4.) Schwerer sind Die zufrieden zu stellen, welche die lateinischen Bücher verächtlich von sich weisen; nur wundert es mich bei diesen vor Allem, dass sie in den wichtigsten Dingen an ihrer Muttersprache keine Freude finden und doch die kleinen aus dem Griechischen wörtlich in das Lateinische übersetzten Geschichtchen nicht ungern lesen. Wer könnte wohl Allem, was den römischen Namen trägt, so feind sein, dass er des Ennius Medea und des Pacuvius Antiopa gering schätzte und zurückwiese, während er sich an denselben Stücken von Euripides geständlich ergötzt und nur die lateinischen Schriften hasst? Soll ich denn, höre ich ihn sagen, des Cäcilius Jugendgenossen und des Terenz Andria lesen und nicht lieber des Menander gleichnamige Stücke? (§ 5.) Allein ich kann dem durchaus nicht beistimmen. Wenn auch Sophokles seine Electra noch so schön verfasst hat, so meine ich doch auch die schlechte Uebersetzung des Attilius lesen zu sollen, den Licinius »einen Schriftsteller von Eisen, aber doch immer einen Schriftsteller« nennt, der also gelesen werden soll. Mit unsern Dichtern ganz unbekannt zu sein, ist das Zeichen grosser Trägheit oder verzärtelter Vornehmthuerei, und ich kann Niemand für einen ganzen Gelehrten anerkennen, der unsre Schriften gar nicht kennt. Oder soll man zwar das lateinische Stück:

»O! dass nicht im Haine....«

lesen, obgleich es auch griechisch vorhanden ist, aber soll es nicht gestattet sein, des Plato Ausführungen über das gute und glückliche Leben lateinisch wiederzugeben? (§ 6.) Wenn ich nicht blos den Dolmetscher mache, sondern das von Andern Gesagte, so weit ich es billige, vertheidige, mein eigenes Urtheil und meine Darstellungsweise dazu gebe, weshalb sollen da solche Arbeiten von guter Schreibart, die keine blossen Uebersetzungen aus dem Griechischen sind, dennoch den griechischen Schriften nachstehn? Wendet man ein, dass die Griechen dies schon Alles behandelt hätten, so darf man dann auch nicht so viel griechische Bücher lesen, als doch geschehen muss. Denn was hätte wohl Chrysipp bei den Stoikern übergangen? und trotzdem liest man den Diogenes, Antipater, Mnesarchus, Panätius und viele Andere, insbesondere unsern Freund Posidonius. Und ergötzt etwa Theophrast weniger, weil er das behandelt, was schon Aristoteles vor ihm behandelt hat? Stehen etwa die Epikureer davon ab, in ihren Schriften Gegenstände, über die sowohl Epikur wie die Alten geschrieben haben, nach ihrem Gutdünken zu behandeln? Und wenn die Griechen von den Griechen gelesen werden, sobald sie dieselben Gegenstände in anderer Weise behandeln, weshalb sollten da meine Schriften nicht von den Unsrigen gelesen werden?

Kap. III.(§ 7.) Wenn ich auch den Plato oder Aristoteles nur einfach so übersetzte, wie unsre Dichter die Fabeln übersetzt haben, so würde ich mich um meine Mitbürger nicht wenig verdient machen, indem ich sie mit jenen göttlichen Männern bekannt machte. Ich habe es bis jetzt nicht gethan, glaube aber wohl, dass auch dies mir gestattet sein wird. Einzelne Stellen werde ich allerdings, wenn es mir passend scheint, übersetzen; insbesondere bei jenen genannten Männern, wenn es sich trifft, dass es passend geschehen kann. Auch Ennius hat dies mit dem Homer, Afranius mit dem Menander so gemacht. Ich werde aber nicht, wie unser Lucilius, gewisse Leser zurückweisen. Lebte doch nur jener Persius noch und vor Allem Scipio und Rutilius, deren Urtheil Lucilius scheute und der deshalb nur von den Tarentinern, Consentiern und Sicilianern gelesen sein wollte. Dies war ein zierlicher Ausspruch, wie wir deren auch anderwärts bei ihm finden; allein so gelehrt waren diese Leute, um deren Urtheil er sich bemühte, damals noch nicht, und seine Schriften gehören zu den leichtern, die zwar durch grosse Feinheit, aber weniger durch Gelehrsamkeit sich auszeichnen. (§ 8.) Welchen Leser sollte ich aber fürchten, da ich es wage, diese meine Schrift an Dich zu richten, der Du selbst den Griechen in der Philosophie nichts nachgiebst? Allerdings hast Du mir den Anlass durch Dein mir so werthes Buch über die Tugend gegeben, was ich von Dir erhalten habe. Vielleicht haben auch Manche einen Widerwillen gegen lateinische Schriften bekommen, weil sie auf gemeine und widerwärtige Sachen gerathen sind, die aus schlechtem Griechisch in noch schlechteres Latein übertragen worden sind; hier stimme ich ganz bei, sofern man nur auch griechische Schriften über dergleichen nicht lesen mag. Wer wollte dagegen nicht Schriften lesen, die über gute Gegenstände in gewählter Sprache ernst und schön abgefasst sind? Er müsste denn durchaus als Grieche gelten wollen, wie Albucius, der vom Prätor Scävola zu Athen so begrüsst wurde. (§ 9.) Lucilius hat auch dies sehr schön und durchaus witzig dargestellt, indem er den Scävola vortrefflich sagen lässt:

»Lieber ein Grieche willst Du, Albucius, heissen und nicht ein Römer oder Sabiner, oder ein Fahnenträger und Landsmann der Centurionen Pontius und Tritanus, jener wackern und ausgezeichneten Männer? Also begrüsse ich, der Prätor, Dich in Athen bei Deinem Nahen mit griechischen Worten, wie Du es wünschst. chaire! mein Titus! sage ich, und ihr, die Lictoren, die Cohorten und die Menge rufet: chaire Titus! - Seitdem hasst mich Albucius und ist mir feindlich gesinnt.« (§ 10.) Aber Scävola hat Recht; ich kann nicht begreifen, woher diese übermüthige Verachtung des Vaterländischen kommt? Allerdings ist hier nicht der Ort, dies weitläufig auszuführen, aber ich meine und habe es oft dargelegt, dass die lateinische Sprache keineswegs so arm ist, wie man immer sagt, sondern dass sie sogar reicher als die Griechische ist. Denn wann hat wohl je mir oder vielmehr den guten Rednern und Dichtern, wenigstens seit der Zeit, wo gute Muster zur Nachahmung vorhanden waren, irgend ein Schmuck der Rede zu deren Fülle und Zierlichkeit gefehlt?

Kap. IV.Wenn ich nun in den gerichtlichen Verhandlungen, Mühen und Gefahren den Posten, auf den das römische Volk mich gestellt hatte, nicht glaube verlassen zu haben, so liegt mir fürwahr auch ob, nach Möglichkeit dahin zu wirken, dass meine Mitbürger durch meine Thätigkeit, Fleiss und Anstrengungen kenntnissreicher werden, und ich mag mich nicht mit Denen herumstreiten, welche griechische Bücher vorziehen - sofern sie sie nur wirklich lesen und es nicht blos vorgeben - vielmehr lieber Denen beistehen, welche die Schriften aus beiden Sprachen benutzen wollen, oder die, wenn sie die Schriften in ihrer eigenen Sprache besitzen, die in der andern nicht sehr vermissen. (§ 11.) Wenn man aber meint, ich sollte lieber über Anderes schreiben, so möge man billig bedenken, dass dies bereits vielfach geschehen ist, und zwar in grösserem Maasse, als von irgend einem der Unsrigen, und dass, wenn ich am Leben bleibe, noch Mehreres nachfolgen wird. Auch wird jeder aufmerksame Leser meiner philosophischen Schriften finden, dass sie mehr als andere des Lesens werth sind. Denn was verdient wohl im Leben grössere Anstrengung als die Philosophie im Allgemeinen und insbesondere die in dieser Schrift enthaltenen Untersuchungen über die höchsten und letzten Ziele, auf die alle Entschlüsse über glückliches Leben und rechtes Handeln zu beziehen sind, so wie über das Höchste, was die Natur unter dem Begehrenswerthen verfolgt und unter dem Ueblen flieht? Ueber diese Fragen herrscht unter den einsichtigsten Männern grosse Uneinigkeit; weshalb sollte es deshalb meiner, von Allen anerkannten Würde zuwider sein, wenn ich untersuche, was bei allen Aufgaben des Lebens das Beste und Richtigste ist? (§ 12.) Ob das Kind einer Sclavin zur Nutzniessung gehöre, mag unter jenen angesehenen Staatsmännern, wie P. Scävola und Manius Manilius verhandelt werden, und M. Brutus mag hierbei anderer Ansicht sein; dergleichen sind scharfsinnige Untersuchungen, und sie haben ihren Nutzen für den bürgerlichen Verkehr; auch lese ich solche und ähnliche Schriften gern und werde sie auch ferner lesen; aber sollen deshalb die Fragen vernachlässigt werden, welche das ganze Leben befassen? Jene Schriften mögen beliebter sein, aber fruchtbringender sind sicherlich diese, wenn ich auch dem Urtheil der Leser hierin nicht vorgreifen mag. Ich glaube wenigstens in dieser Schrift die Frage über das höchste Gut und Uebel vollständig behandelt zu haben, und ich habe nach Möglichkeit darin nicht blos meine eigenen Ansichten, sondern auch die Lehren der verschiedenen philosophischen Schulen dargelegt.

Kap. V.(§ 13.) Um mit dem Leichtesten zu beginnen, trage ich zunächst die Lehre des Epikur vor, die am bekanntesten ist. Du wirst finden, dass ich sie so sorgfältig dargestellt habe, wie es nur die Anhänger dieser Lehre selbst vermögen; denn ich trachte nach der Wahrheit und nicht blos nach der Widerlegung meiner Gegner. Sehr sorgfältig wurden einmal früher des Epikur's Ansichten über die Lust von L. Torquatus, einem in allen Wissenschaften erfahrenen Manne, vertheidigt. Ich selbst trat ihm damals entgegen, und C. Triarius, ein ernster und kenntnissreicher junger Mann, war bei der Erörterung zugegen. (§ 14.) Beide hatten mich nämlich auf meinem Gute bei Cumä besucht. Zunächst wurde Einiges über die Wissenschaften, die von Beiden mit dem höchsten Eifer betrieben wurden, verhandelt; dann sagte Torquatus zu mir: Da wir Dich einmal frei von Geschäften angetroffen haben, so möchte ich gern wissen, was Du an unserm Epikur, wenn auch nicht hassest, wie es von seinen Gegnern geschieht, aber doch missbilligst. Ich meine, dass nur er allein die Wahrheit erfasst, die Gemüther der Menschen von den grössten Irrthümern befreit und Alles gelehrt hat, was zu einem guten und glücklichen Leben gehört. Ich vermuthe, dass er Dir und unserm Triarius nur deshalb missfällt, weil er jenen Schmuck der Rede vernachlässigt hat, der sich bei Plato, Aristoteles und Theophrast findet; wenigstens kann ich kaum glauben, dass seine Lehre selbst Dir nicht für die wahre gelten sollte. - (§ 15.) Da sieh, wie Du Dich irrst, Torquatus, erwiderte ich; sein Styl verletzt mich nicht, denn er drückt vollständig aus, was er sagen will und in verständlicher Weise. Wenn ich nun einen Philosophen, der die Beredsamkeit benutzt, nicht verachte, so tadle ich es doch auch nicht, wenn ein Anderer dies nicht thut. Aber Epikur befriedigt mich in der Sache selbst, und zwar bei vielen Punkten nicht. Indess kann ich mich täuschen, denn: So viele Köpfe, so viele Sinne, sagt das Sprüchwort. - Weshalb genügt er Dir denn nicht? erwiderte Torquatus; denn ich halte Dich für einen billigen Richter, sofern Du nur seine Ansichten genau kennst. - (§ 16.) Wenn nicht Phädrus und Zeno, antwortete ich, die ich Beide gehört habe, mich belegen haben, so dürfte ich wohl mit der ganzen Lehre Epikur's vertraut sein. Ich habe Beide mit unserm Freund Atticus fleissig gehört. Ihren emsigen Fleiss abgerechnet, hatten sie nicht meinen Beifall, aber Atticus bewunderte Beide und liebte den Phädrus; deshalb besprachen wir täglich das, was wir bei ihnen gehört hatten, und wenn ein Streit entstand, war es nicht, weil ich ihre Lehre nicht verstanden hätte, sondern weil ich sie nicht billigte. -

Kap. VI.(§17.) Was könnte dies sein? fragte Torquator; ich möchte wohl wissen, was Du nicht billigst. - Zunächst, sagte ich, ist er in seiner Physik, auf die er sich am meisten, einbildet, durchaus ohne eigene Ansichten; er folgt hier dem Demokrit und ändert nur wenig und dabei so, dass er das, was er verbessern will, mir zu verschlechtern scheint. Demokrit lehrt, dass die sogenannten Atome, d.h. die wegen ihrer Dichtheit untheilbaren Körper in dem unendlichen Leeren, in dem es weder ein Oberstes noch ein Unterstes, weder eine Mitte noch einen Anfang oder Ende gebe, sich so bewegen, dass sie bei ihrem Zusammentreffen aneinander hängen blieben, und dass sich daraus alle vorhandenen und sichtbaren Dinge gebildet haben; auch soll diese Bewegung der Atome keinen Anfang gehabt haben, sondern müsse als eine ewige angesehen werden. (§ 18.) Epikur schwankt nun zwar da nicht, wo er dem Demokrit folgt; indess muss ich, abgesehen von vielen Punkten, wo ich ihnen nicht beitreten kann, insbesondere tadeln, dass sie, indem es sich bei der Erforschung der Natur doch um Zweierlei handelt, einmal, was der Stoff sei, aus dem alle Dinge gebildet sind, und zweitens, welche Kraft dies bewirke, über den Stoff sich wohl ausgelassen, aber die Kraft und wirkende Ursache übergangen haben. Dieser Fehler trifft sie Beide; Epikur hat aber noch seine eigenen Gebrechen; er meint, dass jene untheilbaren und dichten Körper durch ihr eigenes Gewicht sich in gerader Linie nach unten bewegen, und dass dies die natürliche Bewegung aller Körper sei. (§ 19.) Allein da, wenn Alles, wie er sagt, in gerader Richtung sich nach unten bewegt, man nicht einsieht, wie ein Atom jemals das andere berühren, könne, so stellt dieser scharfsinnige Mann als Verbesserung den Satz auf, dass die Atome ein wenig von der geraden Bewegung abweichen, und zwar so wenig wie möglich. Dadurch sollen die Vereinigungen, Verbindungen und Anhängungen der Atome untereinander entstanden sein, aus denen die Welt und alle Dinge in ihr hervorgegangen seien. Allein einmal ist dies Alles nur eine knabenhafte Erfindung, und dann leistet sie nicht einmal das, was sie soll. Denn jene Abweichung bleibt eine willkürliche Annahme, da sie ohne Ursache geschehen soll, obgleich einem Naturforscher doch nichts schlechter ansteht, als zu sagen, dass Etwas ohne Ursache geschehe; sodann nimmt er damit ohne Grund den Atomen jene von ihm selbst festgestellte natürliche Bewegung, vermöge deren alles Schwere nach unten fällt, ohne doch das, wozu ihm diese Erdichtung dienen soll, zu erreichen. (§ 20.) Denn wenn alle Atome abweichen, so können sie niemals zusammentreffen; wenn aber nur ein Theil abweicht und die andern nach ihrer Schwere sich senkrecht bewegen, so weist er einmal den Atomen damit gleichsam Gebiete zu, wo sie sich entweder gerade oder schief bewegen sollen, und dann kann ein solches verworrenes Zusammentreffen der Atome die Schönheit dieser Welt nicht hervorbringen, ein Bedenken, was auch Demokrit mit trifft. Sodann darf kein Naturforscher lehren, dass es ein Kleinstes gebe; hätte Epikur lieber sich die Geometrie von seinem Freunde Polyänus lehren lassen, als sie ihn verlernen zu lassen, so würde er nie auf eine solche Meinung gekommen sein. Die Sonne hielt Demokrit für einen grossen Körper, denn er war ein gelehrter und in der Geometrie bewanderter Mann; dagegen soll sie nach Epikur nur ohngefähr einen Fuss gross sein, da er sie nur für so gross hielt, als sie erscheint, oder doch nur ein wenig grösser oder kleiner. - (§ 21.) So verdirbt Epikur das, was er verändert, und was er beibehält, gehört ganz dem Demokrit an. Die Atome, das Leere, die Bilder, welche sie eidola nennen, durch deren Eindringen man nicht blos sieht, sondern auch denkt, die Unendlichkeit selbst, die sie apeiria nennen, gehören ganz dem Demokrit an; ebenso die unzähligen Welten, welche täglich entstehen und vergehen. Obgleich ich dem keineswegs zustimmen mag, so kann ich es doch nicht billigen, wenn der von Allen gelobte Demokrit gerade von Epikur, der ihm lediglich gefolgt ist, getadelt wird.

Kap. VII.(§ 22.) Was nun den zweiten Theil der Philosophie anlangt, den man die Logik nennt und welcher das Untersuchen und Erörtern behandelt, so scheint mir Euer Philosoph darin sehr schwach und dürftig. Er beseitigt die Definitionen, sagt nichts über Eintheilungen und Abschnitte und lehrt nicht, wie der Vernunftschluss gebildet wird und wirkt; er zeigt auch nicht, auf welchem Wege das Verfängliche gelöst und das Zweideutige beseitigt werden kann. Das Urtheil über die Dinge verlegt er in die Sinne, und ist durch diese einmal Falsches für Wahres geboten worden, so hält er jedes Kennzeichen der Wahrheit und Unwahrheit für aufgehoben. (§ 23.) Vorzüglich aber begründet er den Satz, dass die Natur selbst, wie er sagt, auswähle und billige, nämlich die Lust und den Schmerz; hierauf bezieht er Alles, was man vermeiden und dem man nachstreben solle. Allerdings ist auch Aristipp dieser Ansicht, und die Cyrenaiker haben sie besser und ungezwungener vertheidigt; aber dennoch kann es nach meinem Urtheil keine des Menschen unwürdigere geben; vielmehr hat die Natur, wie mir scheint, zu Grösserem uns geschaffen und gebildet. Ich kann mich vielleicht irren; aber sicherlich hat doch jener Torquatus, der zuerst diesen Beinamen sich erwarb, die Halskette dem Feinde nicht deshalb entrissen, um damit sich irgendwie körperliche Lust zu verschaffen; noch hat er während seines dritten Consulats mit den Lateinern an der Veseris der Lust wegen gekämpft. Als er aber seinen Sohn mit dem Beile hinrichten liess, scheint er sogar sich vieler Freuden beraubt zu haben, indem er das Recht der Majestät und des Amtes höher als die Natur und die väterliche Liebe stellte. (§ 24.) Und wie erklärt es sich denn, dass derjenige Torquatus, welcher mit Cn. Octavius Consul war, so streng gegen seinen Sohn verfuhr? Er hatte ihn aus der väterlichen Gewalt entlassen, damit D. Silanus ihn an Kindesstatt annehmen konnte, und forderte ihn zur Verantwortung vor sich, als die macedonischen Gesandten ihn anklagten, er habe sich als Prätor in der Provinz bestechen lassen. Nach Anhörung beider Theil fällte er seinen Spruch dahin, dass sein Sohn sich in seinem Amte nicht so wie seine Vorfahren benommen habe, und er verbot ihm, wieder vor seine Augen zu kommen. Meinst Du, dass er dabei nur an sein Vergnügen gedacht habe? Ich übergehe die Gefahren, Anstrengungen und Schmerzen, welche die besten Männer für das Vaterland und die Ihrigen übernehmen, obgleich ihnen keine Lust dabei sich bietet. Sie gehen vielmehr Allem der Art vorbei und wollen lieber alle Schmerzen ertragen, als irgend eine ihrer Pflichten versäumen; ich wende mich vielmehr zu geringern Dingen, welche dies nicht minder bestätigen. (§ 25.) Welche Lust hast Du, mein Torquatus, und Du, unser Triarius, nicht von den Wissenschaften, von der Geschichte und der Kenntniss der Dinge und dem Auswendiglernen so vieler Verse? Sage mir nicht: »Dies Alles an sich macht mir Vergnügen, wie Jenes es den Torquatern gemacht hat.« Nirgends vertheidigt Epikur dies so, und auch Du nicht und Niemand, der Verstand hat oder seine Lehre kennt. Wenn man sich aber über die grosse Zahl der Epikureer wundert, so giebt es mancherlei Ursachen dafür; hauptsächlich wird die Menge davon angelockt, weil sie meint, das Gerechte und Sittliche gewähre nach dessen Ausspruche, als solches, durch sich Freude und damit Lust. Die guten Leute sehen nicht ein, dass sein ganzes Lehrgebäude umstürzen würde, wenn es sich so verhielte. Denn wenn Epikur zugestände, dass jene Dinge, auch wenn sie zur sinnlichen Lust nichts beitragen, doch um ihrer willen an sich selbst angenehm seien, so müsste auch die Tugend und das Wissen um ihrer selbst willen erstrebt werden, was er keinesweges will. (§ 26.) Diese Lehren Epikur's billige ich also, wie gesagt, nicht; im Uebrigen hätte ich gewünscht, er wäre unterrichteter in den Wissenschaften gewesen; denn er ist, wie ja auch Du anerkennen musst, in jenen Wissenschaften und Künsten wenig bewandert, in deren Besitz man zu den Gelehrten gerechnet wird; wenigstens hätte er Andere nicht von der Beschäftigung mit den Wissenschaften abschrecken sollen, obwohl ich sehe, dass Du Dich keinesweges davon hast abschrecken lassen.

Kap. VIII.Ich hatte dies mehr gesagt, um den Torquatus zu reizen, als um selbst das Wort zu führen. Da sprach Triarius lächelnd: Du hast ja den Epikur beinahe ganz aus dem Philosophen-Chor vertrieben; nichts hast Du ihm belassen, als dass Du, wie er auch sprechen mag, verstehst, was er sagt. In der Physik soll er nur die Lehre Anderer vorgetragen haben und selbst diese nicht so, dass Du es billigen kannst; wenn er etwas darin verbessern gewollt, so soll er es verschlechtert haben; die Kunst der Erörterung soll ihm gefehlt haben, und wenn er die Lust für das höchste Gut erklärt, so soll er erstens dies selbst nicht recht eingesehen haben und zweitens es ebenfalls Andern entlehnt haben. Denn schon vor ihm habe Aristipp dasselbe und besser gelehrt; zuletzt hast Du ihn sogar für keinen Gelehrten erklärt. - (§ 27.) Darauf erwiderte ich: Es ist unmöglich, Triarius, dass man seine Missbilligung nicht da aussprechen soll, wo man anderer Ansicht ist. Was könnte mich hindern, ein Epikureer zu werden, wenn ich seine Lehre billigte? zumal da man sie spielend erlernen kann. Wenn sich deshalb Männer verschiedener Ansicht tadeln, so verdient dies noch keine Rüge; nur Schimpfreden, Verläumdungen, Zorn, Zank, und hartnäckigen Eigensinn bei den Besprechungen halte ich eines Philosophen nicht würdig. - (§ 28.) Da sagte Torquatus: Ich bin ganz Deiner Meinung; man kann sich nicht streiten, ohne zu tadeln, und ebenso wenig kann man im Zorne oder Eigensinn gründlich erörtern. Aber in der Sache selbst könnte ich wohl antworten, wenn es Euch nicht belästigt. - Glaubst Du, erwiderte ich, dass ich so gesprochen haben würde, wenn ich Dich nicht gern hätte hören wollen ? - Soll ich also, sagte er, die ganze Lehre Epikur's durchgehen oder nur seine Lehre über die Lust untersuchen, auf die ja aller Streit hinausgeht? - Mache es ganz, sagte ich, wie es Dir angemessen scheint. - Nun gut, erwiderte er, so mag es so sein; ich werde nur einen Gegenstand, aber den wichtigsten erläutern. Ueber die Physik will ich ein andermal sprechen und hoffe Dir dann sowohl jene Abweichung der Atome wie die Grösse der Sonne zu beweisen, auch dass Epikur viele Irrthümer Demokrit's aufgedeckt und verbessert hat. Ich beschränke mich also jetzt auf die Frage über die Lust und werde dabei zwar nichts Neues beibringen, aber vertraue, dass auch Du das, was ich sage, billigen wirst. - Gewiss, antwortete ich, werde ich nicht eigensinnig sein, sondern Dir in Allem, was Du mir beweisen wirst, gern beistimmen. - (§ 29.) Dies wird geschehen, wenn Du so billig bist, wie Du sagst. Ich werde indess dabei im Zusammenhange und fortgehend sprechen, ohne zu fragen oder mich fragen zu lassen. - Wie es Dir beliebt, sagte ich.

Kap. IX.Er begann hierauf folgendermaassen: Zunächst will ich so verfahren, wie es der Stifter dieser Lehre verlangt, und feststellen, was und welcher Art der Gegenstand unserer Untersuchung ist; nicht, weil ich meinte, es sei dies Euch unbekannt, sondern damit meine Darstellung begründet und geradeaus vorschreite. Wir suchen also das höchste und äusserste Gut, was nach aller Philosophen Ansicht so beschaffen sein muss, dass alles Andere auf es zu beziehen ist, während es selbst durch nichts bedingt ist. Epikur setzt dasselbe in die Lust; er erklärt sie für das höchste Gut und den Schmerz für das höchste Uebel. (§ 30.) Er zeigt dies in der Weise, dass jedes lebende Wesen von seiner Geburt ab nach der Lust verlange und sin hrer als des höchsten Gutes erfreue, während es den Schmerz, als das höchste Uebel, abweise und möglichst von sich zurückstosse. Dies geschehe von demselben, noch ehe es verdorben worden, lediglich nach dem reinen und unverfälschten Antriebe seiner Natur. Es bedürfe deshalb keiner Gründe und Beweise dafür, weshalb die Lust zu erstreben und der Schmerz zu fliehen sei; dies lehre schon das Gefühl, so wie man wahrnehme, dass das Feuer wärme, der Schnee weiss, der Honig süss sei; für den Beweis dessen bedürfe es keiner besonders ausgewählten Gründe, es genüge, darauf aufmerksam zu machen. Denn die Beweisführung und Schlussfolgerung unterscheide sich von der einfachen Wahrnehmung und Beachtung; jene eröffne das Verborgene und gleichsam Eingewickelte, diese urtheile über das sofort Erfassbare und offen zu Tage Liegende. Nehme man dem Menschen seine Sinne, so verbleibe ihm Nichts; deshalb müsse die Natur selbst beurtheilen, was ihr angenehm oder zuwider sei, und diese bemerke und erkenne als Ursache des Begehrens und Verabscheuens nur die Lust und den Schmerz. (§ 31.) Doch möchten Manche der Unsrigen dies noch scharfsinniger begründen; sie bestreiten deshalb, dass es genüge, blos nach dem Gefühle zu bestimmen, was ein Gut und was ein Uebel sei; vielmehr könne man auch geistig und durch die Vernunft einsehen, dass die Lust um ihrer selbst willen zu suchen und der Schmerz um seiner selbst willen zu fliehen sei. Nach ihnen ist in der Seele des Menschen die natürliche und angeborne Vorstellung enthalten, dass das Eine zu suchen und das Andere zu fliehen sei. Andere dagegen, denen ich beistimme, meinen, dass man hier seiner Sache nicht zu sehr vertrauen dürfe, da von verschiedenen Philosophen Vieles angeführt sei, weshalb die Lust nicht zu den Gütern und der Schmerz nicht zu den Uebeln zu rechnen sei; deshalb müsse diese Frage über die Lust und den Schmerz mit Gründen in genauern Erörterungen und reiflichern Erwägungen behandelt werden.

Kap. X.(§ 32.) Damit Ihr indess erkennt, woher dieser ganze Irrthum gekommen ist, und weshalb man die Lust anklagt und den Schmerz lobet, so will ich Euch Alles eröffnen und auseinander setzen, was jener Begründer der Wahrheit und gleichsam Baumeister des glücklichen Lebens selbst darüber gesagt hat. Niemand, sagt er, verschmähe, oder hasse, oder fliehe die Lust als solche, sondern weil grosse Schmerzen ihr folgen, wenn man nicht mit Vernunft ihr nachzugehen verstehe. Ebenso werde der Schmerz als solcher von Niemand geliebt, gesucht und verlangt, sondern weil mitunter solche Zeiten eintreten, dass man mittelst Arbeiten und Schmerzen eine grosse Lust sich zu verschaften suchen müsse. Um hier gleich bei dem Einfachsten stehen zu bleiben, so würde Niemand von uns anstrengende körperliche Uebungen vornehmen, wenn er nicht einen Vortheil davon erwartete. Wer dürfte aber wohl Den tadeln, der nach einer Lust verlangt, welcher keine Unannehmlichkeit folgt, oder der einem Schmerze ausweicht, aus dem keine Lust hervorgeht? (§ 33.) Dagegen tadelt und hasst man mit Recht Den, welcher sich durch die Lockungen einer gegenwärtigen Lust erweichen und verführen lässt, ohne in seiner blinden Begierde zu sehen, welche Schmerzen und Unannehmlichkeiten seiner deshalb warten. Gleiche Schuld treffe Die, welche aus geistiger Schwäche, d.h. um der Arbeit und dem Schmerze zu entgehen, ihre Pflichten verabsäumen. Man kann hier leicht und schnell den richtigen Unterschied treffen; zu einer ruhigen Zeit, wo die Wahl der Entscheidung völlig frei ist und nichts hindert, das zu thun, was den Meisten gefällt, hat man jede Lust zu erfassen und jeden Schmerz abzuhalten; aber zu Zeiten trifft es sich in Folge von schuldigen Pflichten oder von sachlicher Noth, dass man die Lust zurückweisen und Beschwerden nicht von sich weisen darf. Deshalb trifft der Weise dann eine Auswahl, damit er durch Zurückweisung einer Lust dafür eine grössere erlange oder durch Uebernahme gewisser Schmerzen sich grössere erspare. (§ 34.) Wenn ich an diese Lehre mich halte, weshalb sollte ich da fürchten, sie mit dem Benehmen unserer Torquater nicht in Uebereinstimmung bringen zu können? Du hast ihrer eben in treuer Erinnerung und in freundschaftlicher und wohlwollender Gesinnung gedacht, aber ich werde mich durch dies Lob meiner Vorfahren nicht verführen, noch in meinen Antworten bedenklich machen lassen. Ich bitte, in welcher Weise willst Du ihre Thaten erklären? Sollten sie nach Deiner Meinung bei ihrem Anstürmen gegen die bewaffneten Feinde oder bei ihrer Härte gegen ihre Kinder und ihr Blut nicht an ihren Nutzen, nicht an ihren Vortheil gedacht haben? Aber nicht einmal die wilden Thiere handeln so; selbst diese stürzen und stürmen nicht so, dass man nicht einsehen könnte, wohin ihre Bewegungen und Sprünge abzielen. (§ 35.) Sollten da solche ausgezeichnete Männer so grosse Thaten ohne Grund verrichtet haben? Welcher Grund hier gewirkt hat, werden wir bald sehen; vorläufig halte ich fest, dass, wenn sie wegen irgend eines Grundes dergleichen unzweifelhaft herrliche Thaten verrichtet haben, jedenfalls dann die Tugend an sich für sie nicht der Grund gewesen sein kann. Du sagst: Er hat dem Feinde die Halskette entrissen! - Aber er deckte sich auch, um nicht umzukommen. - Allein er hat sich doch einer grossen Gefahr ausgesetzt. - Ja, aber im Angesicht seines Heeres. - Aber was hätte er damit erreicht? -Lob und Liebe, die sichersten Schutzmittel, um das Leben ohne Furcht zuzubringen. - Er hat seinen Sohn mit dem Tode bestraft. - Hätte er es ohne Grund gethan, so möchte ich nicht der Nachkomme eines so schroffen und grausamen Mannes sein; that er es, um durch seinen Schmerz den Gehorsam und die Achtung vor seinem Feldherrnamt zu stärken und das Heer in einem der schwersten Kriege durch die Furcht vor Strafe in Zucht zu erhalten, so hat er für das Wohl der Bürger gesorgt, in dem, wie er wusste, auch das seinige enthalten war. (§ 36.) Und diese Gründe reichen weit. Alles, was Eure Reden Rühmeswerthes beigebracht haben, und was insbesondere Du mit Eifer aus den alten Zeiten herbeigeholt hast, wo berühmte und tapfre Männer ihre Thaten nicht um eines Vortheils willen, sondern im Glanze der Rechtschaffenheit vollbracht haben sollen, dies Alles fällt zusammen, wenn, wie ich gesagt, jene Auswahl unter den Dingen statthat und entweder eine Lust aufgegeben wird, um eine desto grössere dadurch zu erlangen, oder wenn ein Schmerz übernommen wird, um grösseren Schmerzen dadurch zu entgehen.

Kap. XI.