Funkelsee – Im Tal der verlorenen Pferde (Band 5) - Ina Krabbe - E-Book

Funkelsee – Im Tal der verlorenen Pferde (Band 5) E-Book

Ina Krabbe

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Beschreibung

Auf in ein neues, wildes Pferdeabenteuer! Malu freut sich auf zwei entspannte Wochen Sommerferien – baden im Funkelsee mit ihrem Pferd Papilopulus und Eis essen im Muffins mit ihrer Freundin Lea stehen ganz oben auf ihrer To-do-Liste. Doch da kommt ihr der Hilferuf ihrer Cousine Lenka, die vor Kurzem zu ihrer Mutter nach Spanien gezogen ist, in die Quere. Wovor hat Lenka solche Angst? Gemeinsam mit Lea und Vincent reist Malu nach Spanien zum Gestüt von Lenkas Stiefvater. Doch dort erwartet sie eine böse Überraschung ... Die Funkelsee-Reihe – mitreißender Mix aus Pferden, Freundschaft und Abenteuern Spannende Pferdeabenteuer mit starken Mädchencharakteren und großen Geheimnissen. Jeder Band ist eine packende Mischung aus Spannung, Pferdeliebe, Freundschaft und ein bisschen Verliebtheit. Perfekt für Pferdemädchen ab 10 Jahren. Für Fans von Elena – Ein Leben für Pferde, Wolkenherz und Charlottes Traumpferd. Bisher erschienen in der Pferdereihe "Funkelsee": Band 1: Flucht auf die Pferdeinsel Band 2: Versunken in der Pferdebucht Band 3: Das goldene Fohlen Band 4: Der Ruf der wilden Pferde Band 5: Das Tal der verlorenen Pferde

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Originalcopyright © 2020 Südpol Verlag, Grevenbroich

Autorin: Ina Krabbe

Illustrationen: Ina Krabbe

E-Book Umsetzung: Leon H. Böckmann, Bergheim

ISBN: 978-3-96594-063-5

Alle Rechte vorbehalten.

Unbefugte Nutzung, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung,

können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Mehr vom Südpol Verlag auf:

www.suedpol-verlag.de

1. Kapitel

Malu lief den schmalen Pfad entlang, der durch den verwilderten Park von Schloss Funkelfeld führte. Immer wieder musste sie stehen bleiben und die Äste der Holunderbüsche beiseiteschieben, die von den schweren dunklen Dolden herabgezogen wurden. Etwas stupste sie ungeduldig in den Rücken. Ein warmes Schnauben kitzelte sie im Nacken, dann schob sich ein samtiges Pferdemaul über ihre Schulter.

»Sei nicht so ungeduldig, Papi«, lachte Malu und strich dem dunkelbraunen Wallach über die Nüstern. »Vor­drän­geln gilt nicht.« Sie drehte sich um und warf einen Blick nach hinten.

Der große weiße Kopf ihrer Schimmelstute Schneechen lag auf Papilopulus’ Kruppe. Auch ihr schien es nicht schnell genug zu gehen. Nur Alibaba, die Pintostute ihres Bruders Edgar, schritt gemächlich hinter ihnen her und rupfte in aller Ruhe rechts und links Blätter von den Sträuchern. Lapislazuli, ihr kleines braunes Fohlen, hüpfte neugierig um sie herum, lugte in die Seitenwege und zwischen die Büsche, um dann in der nächsten Sekunde wieder zu seiner Mutter zu springen. Malu grinste. Manchmal hatte sie das Gefühl, ihr Herz müsste zerspringen vor Glück. Gerade war wieder so ein Moment.

Nachdem die Ferien vor vier Wochen alles andere als gut angefangen hatten – erst hatte sie einen Megastreit mit ihrer Mutter gehabt, dann war sie in diese Geschichte mit der schießwütigen Schmugglerbande geraten und hatte nur mit viel Glück entkommen können und als sie ihrer Mutter davon erzählt hatte, hatte die ihr noch nicht mal geglaubt (das war ja wohl das Allerletzte, oder?!) – ihre Läuft-gerade-nicht-so-Liste war jedenfalls ellenlang gewesen! Aber dafür war es jetzt umso schöner. Rebekka hatte immer noch ein schlechtes Gewissen, weil sie ihrer Tochter nicht vertraut hatte, sodass Malu momentan fast alles durfte. Und seit das Pferdehotel Schloss Funkelfeld vor einer Woche offiziell eröffnet hatte, waren endlich auch die An­­gestellten eingetrudelt, die sich um den Betrieb küm­mern sollten. Zum Glück! Jetzt mussten Malu und ihr Bru­der nicht mehr den ganzen Laden alleine schmeißen (so war es ihr wenigstens vorgekommen – auch wenn Rebekka das natürlich anders sah).

Auf jeden Fall konnte sie jetzt den Rest der Ferien mit ihren Pferden verbringen und mit ihrer besten Freundin Lea (wenn die dann mal Zeit hatte). Als Erstes hatte sie mit Edgar ein kleines Tor in den Zaun der hinteren Pferdewiese gebaut, damit sie von dort auf direktem Weg durch den Schloss­­park zur Seewiese gehen konnten.

Papilopulus und Schneechen liebten den täglichen Aus­flug zum Funkelsee scheinbar genauso wie sie selbst und dräng­ten jetzt ungeduldig weiter. Doch Malu blieb standhaft. »Ich bin hier die Chefin, ihr wartet«, rief sie ihre Trup­pe zur Ordnung. Vorsichtshalber band sie Papilopulus’ Führ­­­strick an einem kleinen Ahornstamm fest. Sie wollte noch schnell einen Abstecher zum alten Gewächshaus machen, vielleicht konnte sie Lea ja überreden mit zum See zu kommen. Seit dem missglückten Casting vor zwei Wochen hatte Lea ihre Pläne, Schauspielerin zu werden, endgültig über den Haufen geworfen. Dass stattdessen ausgerechnet Malus Großtante Gesine für den Film entdeckt worden war – damit hatte wirklich niemand gerechnet. Malu grinste beim Gedanken daran, dass bei dem Casting ja eigentlich eine Besetzung für die Rolle des Stallmädchens gesucht worden war. Aber dann hatte ihre Großtante be­­herzt eingegriffen, als eines der Pferde durchgegangen war, und der Produzent hatte die Rolle kurzerhand mit einer älteren Stalldame besetzt – Gesine wäre so wunderbar au­­then­­­tisch (O-Ton des Produzenten). Zum Glück war Lea nicht sauer gewesen. Im Gegenteil, eigentlich war sie am Ende froh, dass sie keine Pferde trensen, satteln und ir­­­gend­­­wo entlangführen sollte, als würde sie nie etwas an­­deres tun – gerade Lea! Die hielt sich von diesen unberechenbaren Tieren (O-Ton Lea) fern, so gut das eben ging, wenn die beste Freundin einen absoluten Pferdefimmel (auch O-Ton Lea) und dann inzwischen sogar drei! eigene von diesen Viechern (na klar: Lea) hatte. Genauso schnell, wie Lea mit dem Traum von der Schauspielkarriere abgeschlossen hatte, so schnell hatte sie schon wieder ein neues Projekt in Angriff genommen. Das bewunderte Malu an ihrer Freundin, sie hatte immer Pläne und wenn der eine nicht klappte, dann hatte sie gleich den nächsten parat. Lea ließ sich einfach durch nichts die Laune verderben.

Aus dem Dickicht des verwilderten Schlossgartens ragten die weißen Eisenstreben des Gewächshauses empor. Es war ein gewaltiges Glashaus, das in seinem Inneren einen ganzen Dschungel aus Pflanzen beherbergte: Palmen, großblättrige Bodengewächse, fedrige Farne und Orchideen in allen Farbvarianten.

Die Tür des Glashauses stand weit offen, genauso die oberen Fensterklappen. Die zerbrochenen Scheiben rechts neben der Tür waren immer noch nicht ausgetauscht worden. Auch sonst hatte sich nicht viel verändert, seit Malu den geheimnisvollen Dschungel hinter Glas das erste Mal vor einem Jahr betreten hatte. Dicke Palmblätter hingen wie ein Vorhang hinter dem Eingang und sobald Malu sich hindurchgewunden hatte, staunte sie wie immer über die prächtige Blütenfülle und das wilde Grün in all seinen Farbschattierungen. Ein wirklich beeindruckender Anblick, auch wenn es ihr hier drin eindeutig zu heiß war. Den ganzen Juni schon brannte die Sonne vom Himmel, als würde sie denken, es wäre August. Wie Lea es hier stundenlang aushalten konnte, war Malu ein Rätsel. Da wäre doch eine kleine Abkühlung im See eine super Abwechslung.

Schon von Weitem war ein geschäftiges Rattern zu hö­­ren. Lea bastelte seit einer Woche an ihrer Karriere als Mo­­­de­­designerin. Dazu hatte sie von Gesine ein uraltes Un­­getüm von Nähmaschine bekommen und von ihrer (völlig un­übersichtlichen) großen Verwandtschaft alles Mög­­liche, das ihrem zukünftigen Modeimperium nützlich sein konnte: zwei Schaufensterpuppen von ihrem Onkel Ewald, mehrere Stoffballen von ihrer Oma mütter­licherseits, Bänder und Schleifen aller Art von ihrer Cousine Wanda und ei­­nen Gartenzwerg von ihrer Tante Gerda (wozu sollte der noch mal gut sein?). Und Malus Mutter hatte ihr den Platz im Gewächshaus überlassen. Da Rebekka sich um den Hotelbetrieb kümmern musste, kam sie in letz­­­ter Zeit sowieso nicht mehr dazu, die botanischen Schät­ze im Gewächshaus unter die Lupe zu nehmen – ihre große Leidenschaft, bis sie sich dann mit Gesine in das Projekt Pferdehotel gestürzt hatte. Innerhalb eines halben Jahres hatten sie aus dem maroden Schloss ein strahlendes modernes Hotel gemacht. Es war gleichzeitig die einzige Möglichkeit, das Geld für den Erhalt des Schlosses zu verdienen. Leider musste Malu sich nun das geliebte Anwesen mit fremden Menschen teilen und in ihrem ehemals ruhigen Zuhause war jetzt immer mächtig viel Betrieb. So ganz hatte sie sich mit diesem Zustand immer noch nicht an­­freunden können.

»Hi Lea«, rief Malu und kämpfte sich durch ein paar über­­­dimensionale Farnwedel.

»Stopp«, kreischte eine Stimme, die unverkennbar ihrer Freundin gehörte. »Keinen Schritt weiter, wenn du dir nicht die Überraschung deines Lebens versauen willst.«

»Ich wollte dich eigentlich nur vor einem qualvollen Hitzetod retten«, lachte Malu. »Wie hältst du es in diesem Backofen nur aus.« Das T-Shirt klebte ihr schon unangenehm am Rücken.

Ein Kopf mit zwei blonden Zöpfen und Beanie (auch das noch!) erschien zwischen den Farnwedeln. »Als Künstlerin muss man eben Opfer bringen«, säuselte Lea. »Du wirst sehen, mein Modelabel wird das ganz große Ding!«

»Ist klar«, grinste Malu. »Aber so ein Sprung in den See zwischendurch erfrischt den Geist.«

»Du weißt ja, ich hab’s nicht so mit Wasser.« Lea schüttelte unwillig den Kopf.

»Immerhin hast du dich mal für einen Tauchkurs angemeldet«, erinnerte Malu sie.

Ihre Freundin verzog das Gesicht. »Erinner mich nicht daran. Keine Ahnung, was da mit mir los war.«

»Hmm, mal überlegen.« Malu machte ein Gesicht, als würde sie angestrengt nachdenken, dann plinkerte sie mit den Augen. »Lag es vielleicht an Henri, dem gutaussehenden Neffen des Tauchlehrers?«

»Kann sein«, lachte Lea, packte ihre Freundin an der Schulter und drehte sie um. »So, und jetzt ab mit dir. Ich bin gleich fertig, dann komm ich nach. Ich sag nur so viel: Du wirst staunen!«

»Beeil dich, wenn du nicht willst, dass ich vor Neugier sterbe«, rief Malu über die Schulter und schlüpfte unter den riesenhaften Blättern und hängenden Orchideen zurück zum Ausgang.

»Gib mir was zu essen oder ich muss dich fressen!«, kreischte da plötzlich eine Stimme in ihrem Rücken. Malu fuhr herum, doch im selben Moment war ihr klar, wer sie da bedrohte. »Rosa, wie kannst du mich nur so erschrecken.« Der rosafarbene Kakadu ihrer Großtante Gesine saß gut getarnt zwischen pinken Hibiskusblüten und brabbelte vergnügt vor sich hin, als Malu ihm zur Begrüßung die Halsfedern kraulte.

»Essen oder fressen«, wiederholte der Vogel vergnügt.

»Ich hab doch immer was für dich dabei.« Malu griff in ihre Hosentasche und holte ein paar Sonnenblumenkerne heraus. Die hatten für Rosa ungefähr den gleichen Stellen­wert wie für sie selber Gesines köstlicher Himbeerkuchen.

Der Kakadu packte einen Kern nach dem anderen mit der Kralle und knabberte den Innenteil heraus. »Wo hast du denn Gesine gelassen?«, fragte Malu, ohne ernsthaft eine Antwort zu erwarten. Oder höchstens vielleicht ein Die ist an einem anderen Ort – für immer ewig fort. Rosa hatte schon Gesines Vater gehört, dem alten Baron Funkelfeld, der ihr jede Menge merkwürdiger Gedichte beigebracht hatte, die meist von Tod und Verderben handelten.

Plötzlich raschelte es in dem großblättrigen Strauch hin­ter dem Hibiskus und dann schob sich das Gesicht ihrer Groß­tante unter den Blättern hervor. »Hallo Malu, was machst du denn hier?«

»Ich wollte Lea zu einer kleinen Schwimmrunde überreden.«

Gesine lachte glucksend. »Da hattest du wohl keinen Erfolg, was? Deine Freundin sitzt schon seit heute Morgen an der Nähmaschine und tut sehr geheimnisvoll.« Sie krabbelte aus dem Busch und richtete sich mühsam auf. »Mein Rücken ist auch nicht mehr der beste.«

»Was machst du denn da unten?«, fragte Malu neugierig.

Gesine wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ich brauchte einfach mal Ruhe von dem ganzen Hoteltrubel da drüben und wollte hier im Dschungel schön die Füße hoch­­legen.«

»Mitten im Busch?«

Ihre Großtante schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein, mir fiel plötzlich ein, dass die Bewässerungsanlage nicht mehr richtig funktioniert und das habe ich mir gerade mal an­gesehen. Aber das kriege ich wieder hin, ich hol nur eben mein Werkzeug.«

»So viel zum Thema Füße hochlegen«, griente Malu.

»Ach was, still sitzen kann ich im Grab«, winkte die alte Frau ab.

»Wenn du Hilfe brauchst, sag mir Bescheid, ich bin mit den Pferden am See«, bot Malu an und strich Rosa zum Abschied übers Gefieder.

»Dunkle Jahre, schwarze Tage«, brabbelte der Kakadu beleidigt, er hätte wohl lieber noch ein paar Sonnen­blu­men­­kerne bekommen.

Während Papilopulus und Schneechen brav gewartet hat­­ten und Malu mit einem erfreuten Schnauben begrüßten, war Alibaba mit ihrem Fohlen verschwunden. Die zwei waren bestimmt schon zum See gelaufen.

»Ja, ich freu mich auch, euch zu sehen. Jetzt geht es ab ins kühle Nass.« Malu löste den Führstrick von Papilopulus’ Halfter und dann zockelten die beiden Pferde hinter ihr den dicht bewachsenen Pfad entlang zur Seewiese.

»Arschbombe!«, hörte sie ihren Bruder schon, bevor sie ihn sehen konnte. Dann ein lauter Platscher, gefolgt von Gelächter und Gejohle.

»Platz da! Jetzt komm ich«, grölte eine andere Jungen­stimme. Vincent. Kalles Sohn gehörte inzwischen so fest zu ihnen, dass Malu sich kaum daran erinnern konnte, wie es ohne ihn gewesen war (wollte sie auch gar nicht!). Dabei war es gerade mal vier Wochen her, dass er zu seinem Vater Kalle Koslowski in die kleine Wohnung über dem Pferde­stall gezogen war. Kalle hatte bei der Renovierung des Schlosses als Handwerker mitgearbeitet und war geblieben, um die letzten Reparaturen zu erledigen, die immer noch andauerten. Wenn sie daran dachte, wie bescheuert sie Vincent anfangs gefunden hatte, mit seinem ewig gries­grä­­migen Ge­­sichtsausdruck! Allerdings war sie zu der Zeit auch nicht gerade die Fröhlichkeit in Person gewesen (pu­­bertäre Stim­­mungsschwankungen nannte ihre Mutter das). Aber seit ihrem gemeinsamen Abenteuer mit Luca und Tornado* und der Aussprache mit seinem Vater war Vin­­­cent wie ausgewechselt. Es fühlte sich für Malu fast so an, als hätte sie zwei Brüder. Malu grinste, dabei hatte sie vor einem Jahr noch nicht mal einen gehabt – jedenfalls hat­­­te sie bis dahin nichts von Edgars Existenz gewusst. Es kam ihr vor, als wäre es ein komplett anderes Leben gewesen.

Als sie den letzten großen Haselnussstrauch vor dem Seeufer umrundet hatte, staunte sie wie jeden Tag über den wunderbaren Anblick, der sich ihr bot. Die Wasseroberfläche des Funkelsees glitzerte wie mit Diamanten übersät in der Sonne. Und mittendrin lag die Pferdeinsel. Der Name stammte noch aus der Zeit des alten Barons, als die Stuten mit ihren Fohlen dort hingebracht wurden, damit sie den Sommer über ungestört waren.

Nur die beiden kreischenden Jungs, die versuchten sich gegenseitig unter Wasser zu ducken, störten das idyllische Bild ein wenig. Lapislazuli stand am Ufer, ganz in der Nähe des Holzstegs, und betrachtete das Schauspiel neugierig. Wahrscheinlich würde sie am liebsten mitmachen, dachte Malu, während sie über die Wiese schlenderte.

Neben Alibaba stand noch ein weiteres Pferd am Seeufer – Rocco, der Schimmel ihres Bruders, den er von seinem Opa geerbt hatte. Vor zwei Tagen hatte Rocco plötzlich an­gefangen zu lahmen und der Tierarzt Dr. Wellhorn hatte ein Huf­­geschwür diagnostiziert, das geöffnet werden musste (ziemliche eklige Angelegenheit!). Seitdem ließ Edgar sein Pferd nicht mehr aus den Augen. Dreimal am Tag musste er die Wunde desinfizieren und neu verbinden. Aber inzwischen hatte Rocco zumindest keine Schmerzen mehr und Dr. Wellhorn meinte, dass er wieder völlig gesund werden würde.

Nachdem Malu Papilopulus das Halfter abgenommen hatte, lief er hinter Schneechen her zum Ufer. Der alte Wal­­­lach machte sogar einen kleinen Hüpfer vor Freude. Seit Malu ihn letzten Herbst in den See gelockt hatte, als es ihm so schlecht gegangen war, dass der Tierarzt ihm Physiotherapie im Wasser verschrieben hatte, liebte Papi­lo­­­pulus den See. (Zum Glück, schließlich hatte er ihr so schon einmal das Leben gerettet.)

»Komm rein, Malu. Wir warten auf dich«, schrie Vincent und schüttelte seinen Kopf, dass das Wasser von seinen halblangen schwarzen Haaren in alle Richtungen spritzte.

»Ja, komm her zu uns«, rief Edgar und grinste.

Malu tippte sich an die Stirn. »Damit ihr mich untertauchen könnt, was?! Ich bin doch nicht blöd.«

»Hast du das gehört, Vince? Sie ist nicht blöd.«

»Nicht? Na so was.«

Hatte sie eben noch gedacht, dass es schön war, zwei (Fast-)Brüder zu haben?! Malu verdrehte die Augen und ging zu ihrer Pferdetruppe.

»Ich geh lieber mit euch schwimmen. Jungs sind einfach nervig und doof.« Sie schlang ihre Arme um Papilopulus’ Hals.

Als hätte der Wallach sie verstanden, schnaubte er und nickte mit dem Kopf. Malu grinste. Und schlauer war ihr Pferd auch.

Sie zog T-Shirt und Shorts aus und tapste im Bikini ins Wasser. Papilopulus folgte ihr, ohne zu zögern. Dann stieß sie sich ab und tauchte kopfüber in den funkelnden See. Als sie prustend auftauchte, war das alte Rennpferd schon neben ihr und schwang kraftvoll die Beine. Das war das Schönste überhaupt! Sie schwammen ein Stück auf den See hinaus, dann drehte Malu wieder um. Sie wollte Papi nicht überfordern. Wahrscheinlich würde er sogar noch mit ihr bis zur Pferdeinsel hinüberschwimmen, wie er es schon einmal getan hatte.

Solange Papilopulus mit im Wasser war, hielten Edgar und Vincent sich mit ihrer Spritzerei zurück, schließlich wollten sie das Pferd nicht erschrecken. Als Malu wieder ans Ufer kletterte, lagen die Jungs schon rücklings auf den Holzbohlen des Bootsstegs und erholten sich von ihrem Wasserkampf. In diesem Moment stürmte ein knalloranges Etwas auf die Seewiese.

»Überraschung!«, trällerte Lea und breitete die Arme aus. Das farbenfrohe Riesenkleid hing sackartig an ihr he­­r­un­ter und die Arme waren etwas zu kurz geraten. »Na, was sagt ihr?«

»Echt … knallig!«, brachte Malu stockend heraus, während sich Vincent und Edgar lachend über die Holzbohlen kugelten.

Lea ignorierte die beiden einfach. »Jetzt kommt’s ja erst. Bist du bereit?«

Malu nickte.

Schwungvoll drehte Lea sich um und präsentierte ein schwarzes Zeichen, das auf ihrem Rücken prangte. Ein ge­schwungener Strich mit einem Punkt dahinter. Was hatte das zu bedeuten? Denn dass es etwas bedeutete, daran hatte Malu keinen Zweifel.

»Und?«, rief Lea erwartungsvoll über die Schulter. »Er­­kennst du es?«

»Äh, vielleicht eine Eins?«, versuchte Malu es.

»Ein Hockeyschläger mit Ball«, tippte Vincent.

»Zermatschte Banane vor einem Ei?«, schlug Edgar mit gespielt ernstem Gesicht vor.

Lea drehte sich um und stemmte die Hände in die Hüften. »Das – ist mein Markenzeichen! Ihr Kretins. Ich nenne mein Label Einfach Lea. Versteht ihr? It’s just me! Oder vielleicht auch Lea – sonst nichts. Oder Lea Punkt. Das L und der Punkt.« Sie malte das Zeichen in die Luft und wiederholte ganz langsam, als würde sie mit Be­­griffs­stutzigen reden: »L Punkt. Einfach Lea.«

Malu grinste. »Ich hab‘s, glaube ich, verstanden. Sieht ... cool aus.«

»Damit komme ich ganz groß raus. Meine Modekollek­tion verkaufe ich weltweit. Das wird der Wahnsinn. New York, Mailand, Tokio – ich komme.« Sie drehte sich wirbelnd im Kreis, wie eine außer Kontrolle geratene Orange.

In diesem Moment stapfte Papilopulus die Böschung hoch, stellte sich breitbeinig hin und schüttelte sich einmal kräftig von oben bis unten.

Lea kreischte laut auf, als der Tröpfchenregen sie voll erwischte. »Du Ferkel!«

Edgar prustete los. »Jetzt musst du dich Lea Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen nennen.«

Das blonde Mädchen bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick, dann raffte sie ihr Kleid hoch und marschierte über die Wiese Richtung Gewächshaus. »Ihr seid ja allesamt Kunstbanausen und du bist der allergrößte«, warf sie Papilopulus zu, der ihr irritiert hinterhersah. Da zwitscherte es plötzlich laut aus den Falten ihres Kleides.

Lea kam zu Malu zurück und zog langsam ihr Handy hervor. »Ich hab sogar eine Handytasche eingenäht. Toll, was?« Begeistert strahlte sie ihre Freundin an und hatte völlig vergessen, dass sie ja eigentlich beleidigt sein wollte.

Malu grinste, das war typisch Lea. Da dudelte es erneut, diesmal aus der Seitentasche ihrer eigenen Hose, die neben Alibaba im Gras lag. Sie hatte das Handy gerade hervorgeholt, da piepste es auch noch vom Bootssteg – Edgars Handy. Da schien ja jemand eine Sammelnachricht verschickt zu haben.

Neugierig wischte Malu sich in ihre Nachrichten, aber Lea war schneller. »Das ist von Lenka«, sagte sie und keuchte dann erschrocken. »Ach du Scheiße!«

2. Kapitel

Wenig später saßen sie in der gemütlichen Wohnküche in dem Nebengebäude des Schlosshotels, das Malu mit ihrer Mutter Rebekka und ihrem Halbbruder Edgar bewohnte. Die Pferde hatten sie zurück auf die Weide mit dem neu­en Offenstall hinter dem Schloss gebracht, wo schon die beiden Isländer Ping und Pong und die Ponys Zimt und Va­­nille grasten. Vincent hatte zurück an die Arbeit ge­­­musst. Um den Ferienjob als Stalljunge und Helfer für un­­lieb­­same Aufgaben kam er nicht herum, da kannte sein Vater kein Erbarmen. Schließlich musste Vincent noch die Re­­pa­­ratur am Auto des Freundes seiner Mutter bezahlen, das er vor einen Laternenpfahl gesetzt hatte.

Lea belegte sich eine Scheibe Brot mit zwei Lagen Käse und verzierte ihr Werk mit Tomatenstücken. »So eine Auf­re­­gung macht mich immer wahnsinnig hungrig«, verkündete sie und nahm einen großen Bissen.

Eigentlich hatte Lea mit ihrer Mutter eine Rundreise durch Polen machen sollen. Die war nämlich gerade auf den Spuren ihrer Familiengeschichte unterwegs. Aber Lea wollte lieber in der Gegenwart bleiben und sich ihrem Mo­­de­­­projekt widmen und hatte deswegen beschlossen, den Rest der Sommerferien bei Malu zu verbringen. Rebekka hatte nichts dagegen, Lea gehörte ja sowieso so gut wie zur Fa­­milie.

Edgar las zum wiederholten Mal die Nachricht, die Lenka ihnen geschickt hatte:

Hilfe! Ihr müsst bitte bitte kommen und mir helfen. Erzählt bloß keinem was davon! Ich hab so eine Angst. Er will alle Pferde

An der Stelle brach der Text ab. Wer er war (vielleicht Lenkas Stiefvater Gonzo?), was er mit den Pferden vorhatte und wovor Lenka so eine Angst hatte, erfuhren sie nicht.

Lea war ganz aufgelöst und befürchtete das Schlimmste. Sie hatte sich in den Osterferien, während Malu und Edgar an der Nordsee gewesen waren, mit Lenka angefreundet und versuchte seitdem Malu davon zu überzeugen, dass ihre Großcousine nicht wirklich das Monster war, für das die sie hielt. Ein bisschen hatte es schon gewirkt. Die letzte Zeit, bevor Lenkas Mutter sie mit nach Spanien genommen hatte, war Malu sogar einmal mit ihr zusammen ausgeritten (wenn auch nicht ganz freiwillig!). Lenka hatte bis dahin mit ihrem Vater Arno von Funkelfeld im alten Pförtnerhaus ge­­­wohnt und wenn es nach ihrer Cousine gegangen wäre, dann wäre sie auch dort geblieben – sie hatte auf keinen Fall mit nach Spanien gewollt.

»Das ist doch ganz klar, ihr hat jemand das Handy aus der Hand gerissen, während sie die Nachricht geschrieben hat«, ereiferte sich Lea, »und dann konnte sie gerade noch auf Senden drücken.«

Malu nickte unbehaglich. »Klar kann das sein. Aber es ist genauso gut möglich, dass Lenka uns auf die Schippe neh­­men will. Sie wollte ja nicht zu ihrer Mutter ziehen und jetzt sitzt sie da alleine in Spanien rum und will uns ein biss­­chen aufmischen.«

Ihre Freundin sah sie empört an. »Du denkst wirklich immer nur das Schlechteste von Lenka.«

»Ich hab auch allen Grund dazu«, zischte Malu. »Sie hat sich ja schon einige Male wie eine blöde Oberzicke verhalten!«

Edgar zerrupfte gedankenverloren seine Serviette. »Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Lenka so was zum Spaß schreibt.« Er sah seine Schwester eindringlich an. »Glaubst du das wirklich?«

Malu schnaubte achselzuckend und schaufelte sich drei Esslöffel Kakaopulver in ihre Milch. Es war eben die beste Erklärung, die ihr einfiel. Die für sie selbst beste, wie sie sich eingestehen musste. Sie freute sich so darauf, die letz­­ten beiden Ferienwochen mit ihren Pferden und ihrer besten Freundin (wenn die mal hinter ihrer Nähmaschine hervor­­kam) zu verbringen und wollte sich nicht (!) um die Pro­­bleme ihrer Großcousine kümmern müssen, die sie noch nicht mal leiden konnte.

»Wahrscheinlich habt ihr recht«, musste sie trotzdem zugeben. »Und was sollen wir jetzt machen?«

»Ich versuch noch mal, ob ich sie erreiche.« Lea tippte bestimmt zum zehnten Mal die Nummer von Lenka an, aber kurz darauf schüttelte sie den Kopf. »Da geht direkt die Mailbox an.«

»Wir sollten Arno davon erzählen, vielleicht kann er Gabriella anrufen«, sagte Edgar und knüllte entschlossen die Serviettenschnipsel zusammen.

Gabriella war Lenkas Mutter und Arnos Ex-Frau. Eigent­lich hieß sie gar nicht Gabriella, sondern Gabi Meier (das hatte Gesine verraten). Nach der Hochzeit mit Arno war sie immerhin zu Gabi von Funkelfeld aufgestiegen und seit ihrer zweiten Heirat nannte sie sich Gabriella de Sanchos – das war wohl noch mehr nach ihrem Geschmack. Malu hatte sie diesen Sommer kurz kennengelernt, als sie nach Schloss Funkelfeld gekommen war, um Lenka nach Spanien zu holen. Sie war eine Großausgabe ihrer hochnäsigen Tochter und Malu damit sofort unsympathisch gewesen. In dem kurzen Gespräch hatte sie ständig erwähnt, wie vornehm das Gestüt war, das sie mit ihrem Mann Gonzo bewirtschaftete (naserümpfender Blick aufs Schloss) und dass sie die schönsten und besten Andalusier weit und breit hatten (mitleidiger Blick auf die Funkelfeld-Pferde). Malu war froh gewesen, als Mutter und Tochter endlich abgereist waren.

»Lenka hat extra geschrieben, wir sollen nichts von der Nachricht verraten«, wandte Lea ein. »Was, wenn sie dann durch uns in Gefahr gerät?«

»Sie wird ja wohl nicht von ihrer Mutter bedroht werden, oder?«, sagte Edgar.

»Aber irgendwie hat Lenka ein Problem mit ihrer Mut­ter, sie wollte die doch noch nicht mal sehen, als sie vor drei Wochen hier war«, erinnerte Malu sich. »Und sie wollte auch nicht mit ihr nach Spanien auf das Gestüt ihres Stief­­vaters ziehen. Obwohl so ein Gestüt doch eigentlich ganz nach ihrem Geschmack sein müsste. So etepetete, wie die sich immer gibt.«

Lea sah sie strafend an.

Malu zuckte mit den Schultern. »Wirklich, Lea, ist doch wahr. Wie oft hat sie damit angegeben, wie cool das Gestüt ist, auf dem ihre Mutter lebt, mit seinen edlen Pferden, dem türkisen Pool und Scharen von Bediensteten. Und dann will sie da nicht hinziehen? Ist doch komisch!«

»Hat sie dir eigentlich mal Fotos davon geschickt?« Edgar rückte ein Stückchen näher an Lea heran.

»Ein paar, allerdings eher von ihrem Hund Juri.« Lea wischte in ihre Foto-App und zeigte ihnen das Bild eines kleinen schwarz-weißen Terriermischlings.

»Der ist ja süß.« Malu konnte gar nicht anders, als zu lächeln. Der kleine Hund sah wirklich zu putzig aus. »Ich wuss­­te gar nicht, dass Lenka einen Hund hat.«

»Den hat sie von ihrer Mutter bekommen, zur Ankunft.« Lea suchte nach weiteren Fotos.

»Das hast du mir ja gar nicht erzählt!«, sagte Malu beleidigt.

»Vielleicht weil die Dame allein bei der Erwähnung des Namens Lenka immer direkt an die Decke geht?!«, antwortete ihre Freundin schnippisch.

»Wahre Worte.« Edgar betrachtete seine Schwester (ge­­ra­­­de eher Halbschwester!) grinsend.

Malu lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Mühsam versuchte sie die heiße Wut, die sich in ihrem Inneren breit machte, zu unterdrücken. Das Schlimms­­te war, dass die beiden recht hatten. Der Name ihrer Cousine war tatsächlich ein rotes Tuch für sie – immer noch! Sie würde ihr wahrscheinlich nie verzeihen, dass sie Papilopulus mit der Gerte geschlagen hatte, als er sie abgeworfen hatte, und dass sie mit ihrer Freundin Mari­­ella die giftigen Blumen in seinen Futtertrog gelegt hatte (ok, es war hauptsächlich Mariella gewesen – aber trotzdem!).

Plötzlich wurde die Küchentür aufgerissen und Rebekka kam herein. Sie strahlte übers ganze Gesicht und wedelte mit ein paar Zetteln in der Hand.

»Ihr seid ja vielleicht Glückskekse«, lachte sie. »Und ja, ihr dürft.«

Die drei starrten Malus Mutter an, als wäre sie verrückt geworden (vielleicht war sie das ja auch?).

»Alles ok mit dir, Mama?«, fragte Malu vorsichtig. »Willst du dich mal hinsetzen?«

Rebekka musterte ihre Tochter, Edgar und Lea erstaunt. »Ihr wisst gar nicht, wovon ich rede, oder?«

»Was meinst du? Nun sag schon«, drängelte Malu.

»Ich dachte, Lenka hat euch geschrieben.« Rebekka zog sich einen Stuhl heran und setzte sich zu ihnen an den Tisch.

Malu sah ihre Mutter verwirrt an. Sie konnte unmöglich von der Nachricht sprechen, die Lenka ihnen geschickt hat­te.

Rebekka legte die Papiere auf den Tisch und klopfte da­­rauf. »Hier sind eure Flugtickets. Lenka hat euch nach Spanien eingeladen. Eine Woche Ferien auf einem spanischen Gestüt. Es ist alles schon gebucht und bezahlt, Arno hat mir gerade die Tickets gegeben. Was ist? Freut ihr euch gar nicht?« Jetzt war es an Rebekka, die drei Jugendlichen verwirrt anzugucken. Sie hatte wohl eher mit Jubelschreien gerechnet, als mit solch verdatterten Mienen.