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Der zweite Erzählband des Wortpalastes ist ein Wagnis in Zeiten der Polarisierung: Es ist der Versuch, die Absurditäten innerer Welten in Einklang zu bringen mit der Banalität unserer äußeren Realitäten. Da prallen Machos in Muskelshirts auf umweltbewusste Mütter beim Aldi um die Ecke. Raben aus Märchenwäldern kreuzen die Wege von Frauen, die sich auf nächtlichen Ausflügen in Tiere verwandeln. Im Schreiben, mit ihren Erzählungen finden hier Menschen zusammen, die sich nicht davor scheuen, auch das Auf- und Ableben von Liebesgeschichten zu feiern. Überhaupt mischt sich hier Vieles: Ernstgemeintes mit Satirischem. Erlebtes mit Erdachtem. Rückblick mit Utopie. Denn als Wortpalast sind wir der Meinung, dass Meinungen sowieso nur dazu da sind, durch Erzählungen mindestens hinterfragt, doch gern auch ad absurdum geführt zu werden.
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Seitenzahl: 100
Veröffentlichungsjahr: 2024
www.wortpalast.com
Funkstille und andere Gespräche • Erzählungen 2
© 2023, 1. Auflage
Umschlag, Illustration & Layout: Thomas Stefflbauer
Korrektorat: Angela Rieger
Autorinnen:
Angela Rieger, Christoph Baer, Sepp Baumeister, Helma Fries, Mia Gatow, Heidi Morales, Thilo Mutter, Hans-Christian N., Franz Ratte, Tobias Schmidt, Thomas Stefflbauer
Druck und Distribution im Auftrag der Autor·innen:
WORTPALAST Verlag Berlin
ISBN (Bezug über tredition.com)
Paperback 9783982518749
e-Book 9783982518756
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte sind die jeweiligen Autor·innen verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne deren Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autor·innen, zu erreichen unter:
WORTPALAST Verlag Berlin
c/o IMAGINE stories s.r.o.
Mánesvoa 1602/56, 120 00 Prag
Tschechische Republik
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Vorwort und Danksagung
9/11
Thomas Stefflbauer
Kartoffel und Sellerie
Hans-Christian N.
Der Stein
Tobias Schmidt
Eyes Wide Shut
Thilo Mutter • Für Jelena
Der Graben
Christoph Baer
Die gegen den Strom schwimmt
Hans-Christian N.
Konflikt
Mia Gatow
Weißes Rauschen
Thilo Mutter
Teufelswerk
Thomas Stefflbauer
Tier
Mia Gatow
Nach fest kommt ab
Sepp Baumeister
Die Nase
Helma Fries
Liebe
Angela Rieger
Wörter Zählen
Angela Rieger
Fallen Angel
Angela Rieger
Nach Hause
Thomas Stefflbauer
aşkıM
Angela Rieger
Die neuen Augen
Franz Ratte
Bosnien `97
Thomas Stefflbauer
Marc
Heidi Morales
Die Scheune
Thomas Stefflbauer
Oder eben das hier
Mia Gatow
Mutter im Supermarkt
Helma Fries
Umgehungskanäle
Thomas Stefflbauer
Wie man ein erfolgreiches Leben führt
Mia Gatow
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Vorwort und Danksagung
Wie man ein erfolgreiches Leben führt
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Vorwort und Danksagung
Der zweite Erzählband des Wortpalastes ist ein Wagnis in Zeiten der Polarisierung: Es ist der Versuch, die Absurditäten innerer Welten in Einklang zu bringen mit der Banalität unserer äußeren Realitäten.
Da prallen Machos in Muskelshirts auf umweltbewusste Mütter beim Aldi um die Ecke. Raben aus Märchenwäldern kreuzen die Wege von Frauen, die sich auf nächtlichen Ausflügen in Tiere verwandeln.
Im Schreiben, mit ihren Erzählungen finden hier Menschen zusammen, die sich nicht davor scheuen, auch das Auf- und Ableben von Liebesgeschichten zu feiern.
Überhaupt mischt sich hier Vieles: Ernstgemeintes mit Satirischem. Erlebtes mit Erdachtem. Rückblick mit Utopie. Denn als Wortpalast sind wir der Meinung, dass Meinungen sowieso nur dazu da sind, durch Erzählungen mindestens hinterfragt, doch gern auch ad absurdum geführt zu werden.
Unser großer Dank geht auch für diesen zweiten Band an Christoph Baer, der uns letztlich zusammenbrachte, und für sein standhaftes Weiterführen der Kreativen Schreibwerkstatt in Berlin, ohne die viele dieser Texte gar nicht erst zustandegekommen wären.
9/11
Thomas Stefflbauer
Berlin. Blick auf den Turm am Alex. Beinahe 20 Jahre ist es jetzt her, seit seltsame Trauben aus schwarzen Punkten an den qualmenden Glaswänden über unseren Köpfen hingen. Einer nach dem anderen löste sich und fiel ins Leere.
„They are jumping!“, rief ich ins Halbdunkel unserer kleinen Wohnung, wo meine Frau sich gerade an die Banalität des tiefblauen Herbsthimmels im schwarzen Rahmen unseres Bildschirms klammerte. Ein Herbsthimmel, der die Realität vor unserem Fenster verhöhnte.
Zwei Jahre später lag sie wieder, immer noch, mit mir auf dem Sofa desselben Raums. Draußen war es stockdunkel. Und im Halbdunkel ihres Bauches wuchs unsere Antwort auf die Katastrophe jenes strahlenden Herbsttages.
Dann war es wieder September. Zehn Jahre später. Zwei Neuanfänge später. Jetzt war die Realität ein Punkt, der darauf wartete, losgelassen zu werden. Doch dieses Mal waren die Rollen vertauscht. Ich suchte nach dem besten Platz, um von den schwelenden Ruinen meines Selbstvertrauens zu springen. Es war dunkel. Pechschwarz, bis auf die Lichter der Stadt. Und das Feuer wütete hinter mir. In mir. Mein 11. September am 26. September. Sie werden ohne mich besser dran sein, sagte ich mir.
Sonnenaufgang. Bäume. Ein Friedhof. Raschelnde Blätter mit einem Hauch von Gelb gegen einen strahlend blauen Himmel. Warme Winde.
Ich setzte mich hin. Stand auf. Wanderte umher.
Kleine Vorstadtstraßen führten einen Hügel hinauf. Mehr Bäume. Große Häuser. Ein Boot am Rande eines Waldes. Stunden später wachte ich unter einem Baum auf. Und ich wusste nicht, ob der Tod ein grausamer Scherz war, oder ob Punkte einfach nicht sterben, wenn sie springen.
Einen Monat später googelte ich den Ort. Es war das Boot, das ihn verriet. Und ich wusste mit absoluter Klarheit, dass ich nie wieder dorthin gehen konnte.
Also ging ich nach Berlin.
Kartoffel und Sellerie
Hans-Christian N.
In dieser Geschichte soll es um eine Kartoffel gehen. Eine Kartoffel namens Peter. Warum sie Peter hieß, und wie sie überhaupt zu einem Namen gekommen war, ist dabei nicht so wichtig. Wichtig ist, dass Peter eines frühen Morgens unsanft aus seinen Träumen gerissen wurde. Kräftige, von tiefen Schwielen geprägte Hände entfernten ihn aus dem gewohnten, heimischen Erdboden und warfen ihn in eine nicht weit entfernt abgestellte Schubkarre, in der sich schon viele von Peters Artgenossen befanden. In Panik geraten erlebte Peter einen Schweißausbruch. Seine Kartoffeligkeit triefte aus allen Poren. Es sollte nicht lange dauern, da setzte sich die Schubkarre über den unebenen Acker rumpelnd in Bewegung. Dies sollte der Beginn einer Odyssee sein, dessen letztendliches Ziel uns alle verblüffen würde.
Der nächste Schauplatz dieser Geschichte ist die Küche eines Fünf-Sterne-Restaurants in Berlin-Charlottenburg. Nachdem Peter die üblichen Stufen einer mitteleuropäischen Agrarwirtschaft durchlaufen hatte, hatte er sich zusammen mit anderen Lebensmitteln letztendlich neben einem brodelnden Kochtopf wiedergefunden. Desillusioniert betrachtete er gerade die grelle Deckenbeleuchtung der Küche, als er hinter sich ein leichtes „Pssst …“ vernahm. Peter blinzelte kurz und drehte sich dann langsam um. Eine lang gewachsene Selleriestaude mit pink gefärbten, kurz geschnittenen Haaren und vor sich verschränkten Armen blickte ihn herausfordernd an. „Also, ich weiß ja nicht, wie es Dir geht“, meinte die Staude. „Aber meine Lebensplanung sah nicht vor, in einem Kochtopf und anschließend im Magen irgendeines reichen Futzis zu landen. Wollen wir nicht gemeinsam die Fliege machen?“ Peter schwieg einen Moment. „Aber wie kommen wir hier heraus?“, fragte er unsicher. Die Selleriestaude zeigte mit einem Arm auf eine Ecke hinter dem riesigen Kühlschrank. „Ich habe dort vorhin eine paar Tomaten verschwinden sehen. Ich glaube, die Ratten betreiben dort eine geheime Fluchtroute.“
In diesem Moment näherte sich bedrohlich die wie ein gewaltiges Bergmassiv erscheinende Gestalt eines Kochs, der seinen langen Schatten auf Kartoffel und Sellerie warf. „Los, wir müssen uns beeilen!“, rief die Staude und ergriff Peters Hand. Gemeinsam rannten sie zum Rand des Tischs und sprangen mit geschlossenen Augen in die Tiefe. Unsanft kamen sie auf dem harten Boden auf, und vor allem die Kartoffel rollte noch einen halben Meter, bis sie schließlich zum Stillstand kam. Peter blickte sich um und versuchte, sich neu zu orientieren. Da sah er die Selleriestaude auf sich zurennen, den massiven Leib des Kochs dicht auf den Fersen. Die Staude riss Peter mit sich, und sie begannen rasch, in Richtung Kühlschrank zu laufen. Dort hatte eine geschmeidige Ratte den vorderen Teil ihres Leibes aus einem Loch in der Wand hervorgestreckt und winkte Kartoffel und Sellerie zu sich heran. Peter überbrückte gemeinsam mit seiner neuen Gefährtin die letzten Zentimeter zum Loch und rettete sich in die Sicherheit verheißende Dunkelheit.
Kartoffel, Sellerie und Ratte waren auf einer spiralförmigen Rutschbahn gelandet, die für eine rasante Abfahrt tief nach unten sorgte. Der Fahrtwind blies ihnen ins Gesicht. „Mein Name ist übrigens Melanie“, meinte Sellerie. „Peter“, stellte er sich vor. Das sollte der Beginn einer vielleicht wunderbaren Freundschaft werden. Aber erst mussten sie den Fängen der keineswegs altruistisch agierenden Ratten entkommen …
Der Stein
Tobias Schmidt
Ich weiß nicht, vor wie vielen Jahren ich in diese fremde Gegend kam, in der festen Überzeugung, es würde mir gelingen, dass sie mir fremd blieb. Und es gelang mir. Die Überschwänglichkeit, Geselligkeit, der vollkommen grundlose Frohsinn der Einheimischen waren kein Hindernis, denn eine gewisse Andersartigkeit meines Auftretens und der Art, wie ich mich hier niederließ, wie ich hauste und meine Tage verbrachte, sicherte mir jede nötige Distanz. Ich bin der festen Überzeugung, dass es mein Stück Land ist, auf dem ich meine Ernte einfahre. Es ist ein Stück Ödnis, umschlossen von grauen Sträuchern und dem erbarmungslos blauen Himmel. Nur ein paar verkrüppelte Kiefern ragen aus dem Sand, wie zu schwungvoll aufgestanden, als drohten sie unter dem Gewicht der Äste nach hinten zu kippen. Das Dorf liegt in sicherer Entfernung, und erst am Horizont versteckt sich das salzige Kräuselmeer. Niemand hat je Interesse an dem Stück Land gezeigt, aber als ich Anspruch darauf erhob, schien im Dorf die Angst davor umzugehen, sich von einem Fremden über den Tisch ziehen zu lassen. Man entschied sich für eine Versteigerung, und der Fotograf war der einzige, der mitbot. Ich kannte ihn natürlich, jeder im Dorf kannte ihn. Wir hatten kaum ein Wort gesprochen, doch unsere Blicke hatten sich schon mehrmals bekämpft. Er war viel zu groß für dieses Dorf, galt als einer der „teuersten Fotografen“ der Welt, wurde rund um den Globus ausgestellt und hatte sich das Leben in der Abgeschiedenheit als Kulisse für einen Teil seiner schillernden Künstlerbiografie gewählt. Er brachte viel Geld ins Dorf, ließ die Kirche restaurieren, und der Bürgermeister war der größte Bewunderer seiner Fotografien. Ich war bei einigen Ausstellungen des Fotografen gewesen, hatte versucht, von Weitem in seinen Augen etwas von dem erkennenden Blick zu ahnen, den ich in seinen Fotografien zu entdecken meinte, die mich durchaus berührten, woraufhin ich entschied, dass sie dies mit höchst billigen Effekten erreichten.
Ich kam zu der Überzeugung, dass die Fotografie ohnehin keine wahre Kunst sei, sondern reine Rumknipserei auf gut Glück, und dass ihr mit der schamlosen Ausbeutung des dort draußen Vorhandenen jede innere Demut fehlte.
Bei den Dorfbewohnern war der Fotograf sehr beliebt. Sie waren froh diesen berühmten Mann als einen der ihren