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Wenn uns in der Kälte der Zeit etwas wärmen kann, dann sind es Geschichten, die Türen in uns selbst aufmachen und uns den Zugang zu Ungewohntem, Unerwartetem, Ungelesenem verschaffen. Genau das gelingt der Debütveröffentlichung des blutjungen Verlages WORTPALAST aus Berlin. Fünf Autor·innen laden ein zu Einblicken in fantasievolle Momente, und sie geben ein Versprechen ab: Nicht alles in diesem Buch will verstanden werden, sondern oftmals vor allem gefühlt. Wenn Marienkäfer darüber nachdenken, ob sie wohl den Herd ausgeschaltet haben, unbenannte Tiere sich über die Fähigkeiten von Menschen austauschen, To do-Listen beim Abarbeiten immer länger, oder Gegensprechanlagen zu Gefühlstransmittern werden, dann sind Sie mittendrin in einer wundersamen Welt, von der Sie mit jeder gelesenen Seite mehr wollen.
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Seitenzahl: 92
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Wollen Sie mein Kaninchen streicheln?
Erzählungen
Band 1
WORTPALAST Verlagwortpalast.com
© 2022
Umschlag, Illustration: Thomas Stefflbauer
Lektorat, Korrektorat: Angela Rieger
Autoren: Angela Rieger, Sepp Baumeister, Thilo Mutter, Franz Ratte und Thomas Stefflbauer
Druck und Distribution im Auftrag der Autoren: WORTPALAST Verlag Berlin
ISBN
Paperback
9783982518725
e-Book
9783982518732
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor/die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine/ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors/der Autorin, zu erreichen unter:
WORTPALAST Verlag Berlin, c/o IMAGINE stories s.r.o.
Mánesvoa 1602/56, 120 00 Prag
Tschechische Republik
Inhalt
Der Marienkäfer
Die Brücke
Die Postsendung
Ob ich dich liebe
Der Garten
Im Keller
Die Enttäuschung
Dieter
Der Anruf
Von Rache und Riesling
Der Mann mit dem Hund
Der Sprung
Sterne
Der Konzertbesuch
Kaiserhof
To-do
Der weise Mann
Drogerie
Die Illustration
Das schlaue Kaninchen
U Benyho
Der Mann und der Fisch
Furcht
Nah genug weit weg
Im Café
Die Geschichte mit den Karotten
Grammatik
Über Männer und Schnecken
Sonntagnachmittag
Über die Autor·innen
Die fünf Autor·innen Angela Rieger, Sepp Baumeister, Thilo Mutter, Franz Ratte und Thomas Stefflbauer geben Einblicke in fantasievolle Momentaufnahmen und ein Versprechen: Nicht alles in diesem Buch will verstanden werden, sondern oftmals vor allem gefühlt.
Über den Verlag
Keine·r der Autor·innen beim WORTPALAST ist hauptberuflich Schriftsteller·in. Sie verbindet das zufällige Zusammentreffen in einer Schreibgruppe, die sich über eine Online-Plattform und dem Wunsch nach „Kreativem Schreiben” zusammengefunden und dann „mehr“ daraus gemacht hat – den WORTPALAST. Ein Konzept und Verlag, der nachhaltig sein will – von den Charakteren in den Geschichten und Romanen über die Erzählweisen bis zur Produktion. So wie die Begrenzung auf zunächst 99 Exemplare pro Veröffentlichung, als Ausdruck eines umweltbewussten Umgangs mit Ressourcen. Jedes weitere Exemplar wird erst auf expliziten Wunsch gedruckt; alle Bücher stehen auch als eBook zur Verfügung.
Danksagung
Der Verlag WORTPALAST Berlin entstand aus einer ambitionierten Online-Schreibgruppe, die Christoph Baer in Berlin gegründet hat. Viele der in diesem Erzählband erschienenen Texte sind Ergebnis der Sessions, die er moderiert und so fachlich kompetent wie wertschätzend begleitet hat. Ihm gilt daher unser ganz besonderer Dank: Weil es auch dieses Buch ohne ihn nicht gäbe.
Der Marienkäfer
Franz Ratte
Ein Marienkäfer setzte sich auf eine Blume und dachte: „Habe ich den Herd ausgemacht?“
Dabei hatte er den Herd nicht einmal angemacht.
Er war viel zu klein, um den Schalter zu betätigen.
Die Brücke
Thomas Stefflbauer
Harald hatte sich schon seit Tagen nicht mehr gemeldet. Ich konnte einfach nicht aufhören, darüber nachzudenken. Träumte sogar von ihm. Und als ich die Augen aufschlug, hockten meine Gedanken auf dem Schrank neben meinem Bett.
Wie ein Schwarm aufgeregter Krähen starrten sie mich an. Ich starrte zurück, überzeugt noch zu träumen. Also schloss ich die Augen.
Ein Flattern und Schwirren erfüllte den Raum. Mein Kopf kribbelte, bis ich es nicht mehr aushielt. Ich riss die Augen auf und erwischte gerade noch den kleinsten meiner Gedanken dabei, wie er neben seinen größeren Geschwistern auf dem Nachttisch Platz nahm. Seltsam, dachte ich. Gedanken, die sich wie Vögel benehmen. Was wohl meine Gedanken über mich dachten?
Kalter Schweiß stand mir auf der Stirn. Ich schob die Beine über den Bettrand und griff nach meiner Jacke.
Die Gedanken folgten jeder meiner Bewegungen. Dann schob ich meine Füße in die Schuhe, schlich zur Tür und öffnete sie gerade weit genug, um hindurchzuschlüpfen.
Doch die dunklen Dinger auf der Kommode hatten meine Gedanken erraten und flogen an mir vorbei in den Flur.
„Lauf!“, rief die letzte verbliebene Stimme in meinem Kopf.
Ich rannte und rannte und rannte. Hinter mir ein Schwarm von Gedanken. Erst an der Brücke machte ich halt. Ich stieg aufs Geländer, schloss die Augen und dachte an Harald.
Ein Sausen, ein Schwirren. Ein Rauschen und Brausen. Sekunden später, ein leichtes Plätschern, tief unter meinen Füßen. Ich sprang zurück auf die Straße, lehnte mich ans Geländer und blickte auf die nächtlichen Lichter am anderen Ufer.
Morgen würde ich mit Harald Schluss machen.
Die Postsendung
Franz Ratte
Es war der Tag des jüngsten Gerichts. Engel in Dienstkleidung bliesen in ihre Posaunen, Tote erhoben sich aus den Gräbern und schlenderten gähnend durch die Straßen. Ich saß auf dem Balkon, trank Bananenmilch und überlegte, was ich als Nächstes tun würde. Es bot sich an, aus dem Haus zu gehen und panisch umherzurennen, aber ich erwartete an diesem Tag eine Postsendung und ich wusste, dass der Nachbar sie nicht für mich annehmen würde, denn er wurde gerade von einem Dämon in ein feuriges Loch gezerrt, das sich in unserem Innenhof aufgetan hatte.
Ich ging ins Wohnzimmer, machte den Fernseher an und schaltete von einem Sender zum anderen. Überall wurden Sondernachrichten übertragen, nur auf einem Kanal lief eine Doku über Kaiserpinguine. Diese schaute ich mir an, als es an der Tür klingelte. Ich öffnete und sah vor mir den Apostel Matthäus, wie sein Namensschild verriet. Auf dem Kopf trug er zum Anlass des Tages eine Richterperücke.
Es überraschte mich wenig, als er sagte: „Wir müssen Sie leider hinrichten, kommen Sie bitte mit. Es wird auch nicht lange dauern.“
Ich zündete eine Zigarette an und folgte ihm nach draußen, so wie ich war, barfuß und im Bademantel. Dort stand bereits eine transportable Guillotine aufgebaut, und sobald ich zu Ende geraucht hatte, steckte man meinen Kopf in die Öffnung hinein.
Ich sah zum Richter hinauf und rief: „Aber Euer Ehren, ich erwarte heute eine Postsendung!“
„Es tut mir leid“, sagte er, „die werden Sie in der Filiale abholen müssen.“
Ob ich dich liebe
Thomas Stefflbauer
Du liebst mich nicht, sagte sie und seufzte.
Warum sagst du das? fragte er.
Warum fragst du, warum ich das frage,
anstatt mir zu sagen, dass du mich liebst?
Er lehnte sich vor.
Fragst du mich, ob ich dich liebe,
oder sagst du mir, dass ich dich nicht liebe?
Du liebst mich nicht, sagte sie und seufzte.
Der Garten
Angela Rieger
Noch bevor sie ihn sah, hörte sie ihn pfeifen. Sie war aus dem Auto gestiegen, wollte schon auf die Haustür zugehen, doch die unverkennbare Melodie von der anderen Seite sagte ihr, dass ihr Vater in seinem Gemüsegarten war, der direkt an den gepflasterten Hof vor dem Haus grenzte und noch vor dem eigentlichen Garten lag. „Angelchen, das ist ja schön!“ Er war ihr Richtung Zaun entgegengekommen, blieb lächelnd dort stehen, unter den blühenden Rosen, das Messer noch in der einen Hand, in der anderen ein Bund Schnittlauch, das er gerade für das Abendbrot geschnitten hatte. Wie immer, wenn er im Garten arbeitete, trug er die alte, braune, ausgebeulte Cordhose, die sie nie in einem anderen Zustand kennengelernt hatte, und ein braunkariertes Flanellhemd, dessen Ärmel hochgekrempelt waren.
Sie fühlte, wie müde sie war, als sie auf ihn zuging, sie kam direkt von der Arbeit, alle ein, zwei Wochen schaute sie auf dem Nachhauseweg bei den Eltern vorbei. Sie wohnten in der gleichen nicht wirklichen großen Stadt, nur einen Stadtteil voneinander entfernt, und es schien ihr richtig, sich außer den üblichen Wiegeht’s-euch-Telefonaten auch ab und an persönlich sehen zu lassen. Das Haus lag auf einem Hintergrundstück, am Ende einer langen Auffahrt, es war eines dieser typischen asymmetrischen Häuser, wie sie Anfang der 80er modern gewesen waren, rote Klinker und dunkle Fensterrahmen, hölzerne Balkonbalustraden und ein großes graues Dach, das auf einer Seite weit herunterreichte, zu dem Außenkamin, der soweit sie sich erinnerte, noch nie benutzt worden war.
Die Familie war aus der Innenstadt dorthin, an den Stadtrand gezogen, der Vater hatte jedes Detail des Hauses mit einem Architekten geplant, es war sein Haus, sein Traumhaus, wie er immer betonte. Ja, es war beeindruckend, allein durch die Größe, aber sie hatte sich tatsächlich nie so richtig wohl gefühlt dort. Zu offen das Wohnzimmer, in dem sie sich wegen der großen Fenster immer beobachtet fühlte, zu klein und dunkel die Küche, der Ort, an dem die Familie trotzdem früher zusammen die Mahlzeiten einnahm, während das Esszimmer nur an Feiertagen, wenn Besuch kam, eingedeckt wurde.
Seit ein paar Jahren hatten ihre Eltern sich aber angewöhnt, an jedem Tag im Esszimmer zu essen, kein Wunder, war es doch heller dort, und man schaute direkt in den Garten. Auf Rhododendren und Azaleen, die gerade in allen Farben blühten und auf eigens dafür angelegten Hügeln standen, auf den großen Lavendel direkt an der Terrasse, ein Becken mit Seerosen und Goldfischen und auf ein Stück des beneidenswert perfekt grünen Rasens, der sich um das gesamte Haus herumzog.
Wie jedes Mal, wenn sie kam, war sie sicher, dass ihr Vater alles Erdenkliche eingekauft hatte, von dem er vermutete, dass es ihr schmecken könnte. Nicht nur wegen der Krankheit ihrer Mutter, die seit vielen Jahren immer wieder unter depressiven Phasen litt (und die Familie mit ihr), war er irgendwann einfach für die Einkäufe verantwortlich geworden – er fuhr zudem das Auto, und der nächste Supermarkt war zu weit entfernt, um das Gekaufte zu Fuß nach Hause zu tragen. Genauso war es eben sein Gemüsegarten, weil er für ihn zuständig war. Bevor sie hierhergezogen waren, hatte es außer der Wohnung im Geschäftshaus, das mitten in der Fußgängerzone lag, viele Jahre einen Kleingarten gegeben. Ob sie und ihre Schwester der Grund für diesen Garten gewesen waren? Sie wusste es nicht mehr. Nur, dass sie und ihre Schwester oft bei der Großmutter übernachteten oder das Wochenende verbrachten, zu deren Häusern (sie war einige Male umgezogen) immer ein Garten gehörte, in dem sie als Kinder spielen durften, sodass sie einen eigenen bis dahin nicht vermisst hatten.
Aber wahrscheinlich hatte ihren Eltern einfach die Idee eines eigenen Gartens gefallen, sie erinnerte sich an die Begeisterung, als sie ihn bekamen, ein alter, nicht besonders großer Garten, in einer Kolonie gelegen, mit einer eher praktischen als schönen Hütte, zu der eine Veranda gehörte, auf der sie zum Essen um einen wackeligen Holztisch saßen. Sie waren als Familie oft dort gewesen, sie erinnerte sich an warme Nachmittage im Sommer, an ein Indianerzelt, in dem sie sich zum Lesen legte und die Schatten der Blätter des Baumes über sich beobachtete, während die Sonne durch den Stoff fiel, an Kindergeburtstage, mit Topfschlagen und Versteckspielen, den Duft von Bratwürstchen, den Geschmack von Kartoffelsalat und Ketchup dazu, an Flaschen klebrig-warmer Orangenlimonade oder sogar Cola, und an die Brennnesseln hinter der Hütte, die ihre Beine streiften, wenn sie dort entlanglief.
Schon im Kleingarten hatte es einen Gemüsegarten gegeben, so war es Vorschrift, und auch für den war damals ihr Vater zuständig. Erdbeeren in ordentlichen Reihen, dazu einige Walderdbeeren, die, weil sie so klein und wenige waren, zu Erdbeermilch wurden, die süß nach Unbeschwertheit und nach Sommer schmeckte, und es gab einen Pflaumenbaum, auf den sie gern kletterte.