Für immer in der kleinen Kaffeerösterei - Susanne Oswald - E-Book
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Für immer in der kleinen Kaffeerösterei E-Book

Susanne Oswald

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Beschreibung

Guter Kaffee ist wie eine Umarmung! Seit Corinnes und Noahs Tochter Mia geboren ist, hat sich vieles verändert. Während die kleine Kaffeerösterei »Öcher Böhnchen« einen festen Kundenstamm aufgebaut hat und Corinne immer mehr in ihrer Arbeit aufgeht, hat Noah seinen Laden aufgegeben, um bei Mia zu bleiben. Corinne liebt ihre Arbeit. Trotzdem spürt sie manchmal, dass ihr Zeit mit ihrer Tochter fehlt, wenn die Arbeit sie wieder einmal zu lange aufgehalten hat. Als dann auch noch eine verunreinigte Kaffeelieferung es erfordert, dass Corinne selbst nach Brasilien fliegt, ist sie plötzlich alles andere als sicher, dass sie die richtigen Entscheidungen getroffen hat ...

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Seitenzahl: 371

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Zum Buch:

Aus der engen Freundschaft zwischen Corinne und der großmütterlichen Sarah Rosenbaum ist etwas Großartiges gewachsen: Die Sarah-Rosenbaum-Stiftung, die junge Kaffeeunternehmen weltweit in ihrer Entstehung und Entwicklung unterstützt. Eine Aufgabe, die nicht immer leicht ist, und nachdem Sarah ganz unerwartet stirbt, muss Corinne allein die Probleme bewältigen, die sich ihr in den Weg stellen. Dass Sarah ihr ein großes Vermögen hinterlassen hat, ist dabei nur ein geringer Trost. Es gibt Schwierigkeiten bei einem Projekt, das Corinne besonders am Herzen liegt, und so plant sie, sich selbst auf den Weg nach Brasilien zu machen. Doch als wäre all das nicht genug, steht plötzlich ein Mann in ihrer Rösterei, der behauptet, Sarahs Bruder zu sein und Anspruch auf das Erbe erhebt.

Zur Autorin:

Susanne Oswald ist Bestsellerautorin – ihr Traum wurde wahr. Die gebürtige Freiburgerin liebt das Meer. Gemeinsam mit ihrem Mann am Strand spazieren zu gehen und den Abend vor dem Kamin mit Strickzeug auf dem Schoß ausklingen zu lassen, ist für sie das Schönste. Mit dem Kopf ist sie fast immer bei ihren Heldinnen und Helden, und es macht sie glücklich, ihre Fantasie Wirklichkeit und Buchstaben zu Geschichten werden zu lassen.

Lieferbare Titel:

Ein Jahr Inselglück

Verliebt im Café Inselglück

Inselglück im kleinen Strickladen in den Highlands

Der kleine Strickladen in den Highlands

Wintertee im kleinen Strickladen in den Highlands

Neues Glück im kleinen Strickladen in den Highlands

Neubeginn im kleinen Strickladen in den Highlands

Willokmmen in der kleinen Kaffeerösterei

Liebesglück in der kleinen Kaffeerösterei

Originalausgabe © 2022 by HarperCollins in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg Dieses Werk wurde durch die Literaturagentur Beate Riess vermittelt. Covergestaltung von wilhelm typo grafisch Coverabbildung von SAHAS2015, Nik Merkulov, makeitdouble / Shutterstock E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck ISBN E-Book 9783749904877www.harpercollins.de

Widmung

Für meine Mutter.

Personen und Handlungsorte

Euweiler

Ein kleiner fiktiver Ort in der Eifel, in der Nähe von Aachen. Hier lebt Eberhard Ahrensberg in den ersten Jahren der Nachkriegszeit.

Aachen

Die Villa Ahrensberg ist im Preusweg angesiedelt.

Die Firmenvilla von Ahrensberg Kaffee steht in der Lütticher Straße. Das Firmengebäude bekam im Laufe der Jahrzehnte mehrere Anbauten – in diesen Hallen wird Kaffee gelagert, geröstet und für den Einzelhandel verpackt.

Corinnes Rösterei Öcher Böhnchen liegt in der Aachener Innenstadt, in der Nähe des Doms.

Brasilien

Die verpachtete Kaffeeplantage der Familie Ahrensberg liegt in São Paulo.

Dort ist in unmittelbarer Nachbarschaft auch das erste Stiftungsprojekt angesiedelt.

Schweiz – Aargau – Bottwil

Ein kleiner erfundener Ort in der Schweiz, in dem die Rosenbaums nach dem Krieg eine neue Heimat finden.

Familie Ahrensberg

Die Urgroßeltern

August Ahrensberg

Johanna Ahrensberg

Die Kinder

Marianne, Rudolf, Barbara und Eberhard

Die Großeltern

Eberhard Ahrensberg, geb. 1929

Magdalena Ahrensberg, geb. 1930

Sohn

Günther

Die Eltern

Günther Ahrensberg, geb. 1950

Esther Ahrensberg, geb. 1960

Die Kinder

Alexander Ahrensberg, geb. 1985

Corinne Ahrensberg, geb. 1992

Das Enkelkind

Mia Engel

Mitarbeiter bei Ahrensberg Kaffee, im Öcher Böhnchen und in der Villa

Dr. Waldemar Hartmann – Unternehmensjurist

Thomas Feldmann – Marketing

Beatrice Breithaupt – Chefsekretärin

Karsten Otto – Qualitätsbeauftragter

Karl Lohmeyer – Außendienst

Emil – Pförtner

Kurt – Hausmeister

Klara – Haushälterin in der Villa Ahrensberg

Alfred – Gärtner

Frieda – Verkäuferin im Öcher Böhnchen

Freunde

Susan Jones

Sebastian Wagner

Noah Engel

Sarah Rosenbaum

Hans Brudermann

Familie Pelzmann

Bernhard Pelzmann

Charlotte Pelzmann

Tochter

Isabella Pelzmann

Familie Rosenbaum

Jacob Rosenbaum, geb. 1918

Rebecca Rosenbaum, geb. 1917

Tochter

Sarah, geb. 1941

Die Bewohner der Kaffeeplantage

Fernando Oliveira Silva

Luciana Crepaldi Oliveira

Tochter

Katalina Oliveira Silva

Prolog

Kurz vor seinem Abschied machte der Mai seinem Namen als Wonnemonat an diesem besonderen Tag noch einmal alle Ehre. Nach Regen und Sturm stand pünktlich zur Hochzeit die funkelnde Sonne am blauen Himmel. Kein noch so kleines Wölkchen zeigte sich. Der Park der Villa Ahrensberg strahlte in fröhlichen Sommerfarben, Vögel zwitscherten, dicke Hummeln summten von Blüte zu Blüte, und in den Brunnen plätscherte das Wasser. Alles wirkte sehr idyllisch, wie verzaubert.

Dabei waren noch gestern heftige Gewitter mit Hagel und Sturm über Aachen gefegt. Beinahe wäre die Hochzeit im Park der Villa sprichwörtlich ins Wasser gefallen. Sie hatten Mühe gehabt, die bereits aufgestellten Pavillons vor dem Davonwehen zu retten. Heute aber bewegten sich die Blätter des üppig blühenden Flieders, die gestern in den Windböen wild getanzt hatten, nur ganz sacht in dem zarten Hauch des Frühsommerwindes. Fast schien es, als hätte sich die Welt noch einmal ordentlich abbrausen wollen, um heute den Brautpaaren einen strahlenden Tag mit leuchtenden Farben schenken zu können.

In den frühen Morgenstunden waren bereits Scharen von Helfern auf den Beinen gewesen, um die letzten Sturmfolgen zu beseitigen. Gärtner hatten abgeknickte Äste geschnitten und mit letzten Handgriffen die üppig blühende Pracht des Gartens zur Geltung gebracht. Das Cateringteam hatte Möbel trocken gewischt und die Dekoration mit unzähligen frischen bunten Blumen vollendet.

Die Entscheidung zwischen Ton in Ton, rein weißen Blüten oder einem Farbenmix war schwierig gewesen. Thomas, Alexander, Noah und Corinne hatten lange diskutiert, denn jede Variante versprühte ihren eigenen besonderen Charme. Ursprünglich war Corinne dafür gewesen, alles in Weiß zu halten. Jetzt, während ihr Blick über die sommerfröhliche bunte Pracht glitt, war sie froh, dass die anderen sie überstimmt hatten. Die kunterbunten Farben bildeten einen lebendigen Kontrast zum ansonsten vorherrschenden reinen Weiß. Es hatte Stil, war aber nicht zu elegant und steif.

Nachdem das Farbkonzept beschlossen gewesen war, hatten ihre Freunde den Rest der Hochzeitsplanung übernommen. Das gesamte Fest sollte eine große Überraschung werden. Auch die Gestaltung der feierlichen Zeremonie hatten die Brautpaare vertrauensvoll in die Hände ihrer Trauzeugen gelegt.

Standesamtlich geheiratet hatten Alexander und Thomas und Corinne und Noah bereits vergangene Woche. Ganz still und leise, nur im allerkleinsten Kreis, zu dem ganz selbstverständlich auch Sarah Rosenbaum zählte. Sie war schon vor zwei Wochen aus der Schweiz angereist und mehr Familienmitglied als Gast.

Sarah, die bereits über achtzig Jahre zählte, spielte besonders in Corinnes Leben eine besondere Rolle. Sie kannten sich noch gar nicht sehr lange, aber die Schicksale ihrer Familien hatten sich während des Zweiten Weltkrieges auf tragische Weise gekreuzt, und das wirkte bis in die Gegenwart nach. Die innige Verbundenheit zwischen Sarah und Corinne war das Zeichen der Versöhnung.

Die standesamtliche Hochzeit letzte Woche war zwar feierlich, aber ganz schnörkellos abgelaufen. Glückliche Menschen, die gemeinsam einen bürokratischen Akt vollzogen. Natürlich hätten sie auch im wunderschönen Weißen Saal des Aachener Rathauses heiraten können, aber darauf hatten sie mit Blick auf ihre persönliche Zeremonie verzichtet.

Nach der nüchtern gehaltenen Trauung im Rathaus waren sie alle in die Villa zurückgekehrt, wo Klara, die Köchin, es sich nicht hatte nehmen lassen, einen Sektempfang für die kleine Runde vorzubereiten.

Heute aber wollten sie ihr Glück mit der Welt teilen und ihre ganz persönliche Hochzeit mit allen feiern, die sie kannten und gern hatten.

Corinnes Puls jagte in schnellem Galopp, als sie an der Seite ihres Bruders Alexander auf den großen Pavillon zuschritt. Der Rasen, über den sie schritten, lag wie ein grüner Samtteppich vor ihnen. Bunt bepflanzte Terracotta-Töpfe flankierten den Weg der Geschwister. Fast kam es Corinne vor, als würden die Blumen ihnen zunicken. Sie musste über ihre eigene Fantasie kichern und zappelte vor lauter Aufregung und Vorfreude an Alexanders Arm herum.

»Contenance, Löckchen«, mahnte er seine Schwester und grinste sie an. Auf seinem Gesicht spiegelte sich Corinnes eigene Aufregung wider. »Beherrsch dich, sonst fange ich auch an zu lachen, und es ist vorbei mit unserem feierlichen Auftritt.«

»Ich würde zwar am liebsten hüpfen vor Glück, aber du hast recht.« Corinne seufzte. »Contenance also.« Kurz zog sie eine nicht sehr damenhafte Schnute, dann aber straffte sie die Schultern und versuchte sich zu sammeln. Es klappte auch – fast. Sie musste noch aus tiefstem Herzen ein »Ach, ich freu mich so« hinterherschieben, sonst wäre sie vielleicht geplatzt. So fühlte es sich jedenfalls an. Übermütig quetschte Corinne den Arm ihres Bruders.

»Hey, mach mich nicht kaputt«, protestierte Alexander prompt. »Ich habe heute noch was vor.«

»Entschuldigung. Also gut. Ich bin jetzt ganz brav.«

Das kleine Geplänkel hatte Corinne geholfen, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Alexander hatte wirklich recht, sie sollte diesen feierlichen Moment nicht durch Albernheiten stören – zumal vermutlich längst etliche Kameras auf sie gerichtet waren, nicht nur die des extra engagierten Hochzeitsfilmers.

Schon immer hatte Corinne von einer Sommerhochzeit im Park der Villa geträumt. In ihren Kleinmädchenfantasien von der vollkommenen Märchenhochzeit hatte sie sich diesen Gang tausendfach ausgemalt. In ihrer Vorstellung war es allerdings ihr Vater gewesen, der sie zu ihrem künftigen Ehemann führte. Sie hatte den Kaffeebaron vor sich gesehen, wie er mit stolzgeschwellter Brust die Hand seiner Tochter in die Hand ihres künftigen Mannes legte und sie ihm anvertraute.

Doch das Leben spielte nicht immer nach den Träumen kleiner Mädchen, und so war es in zweifacher Sicht anders gekommen. Ihr Vater lebte nicht mehr, und es war nicht Corinne allein, die an diesem Tag gewillt war, ihr Jawort für eine gemeinsame Zukunft mit ihrem Traummann zu geben. Sie und Alexander feierten Doppelhochzeit. Deshalb gaben sich die Geschwister gegenseitig Geleit. Auch die Blumen waren in ihren Träumen andere gewesen, sie hatte sich immer eine schneeweiße Hochzeit gewünscht.

Ansonsten kam die Realität mit Girlanden und den strahlend weißen Zelten Corinnes Kinderträumen allerdings ziemlich nahe.

Der kurze Gedanke an ihren verstorbenen Vater löste ein wehmütiges Gefühl in Corinne aus. Sie spürte einen Kloß im Hals, der sich nicht hinunterschlucken lassen wollte. Energisch atmete sie gegen die aufkommende Beklemmung an. Tief ein und wieder aus. Auch wenn der Kaffeebaron nicht mit ihnen feiern konnte, so war ein Teil von ihm doch in ihren Herzen dabei. Dieser Gedanke gab ihr den Trost, den sie brauchte.

Um den letzten Rest Traurigkeit abzuschütteln, konzentrierte Corinne sich wieder auf die Gegenwart. Auf diesen besonderen Moment und das, was gleich geschehen würde. Sie dachte an all die Liebe, die an diesem Tag in der Luft lag und die vielen wunderbaren Menschen an ihrer Seite. Dankbar registrierte sie, wie der Druck nachließ.

Als ihr auffiel, in welcher Geschwindigkeit ihre Gefühle von kindischer Albernheit zu wehmütiger Trauer gewechselt waren, musste sie beinahe wieder kichern. Sie war einfach zu aufgeregt, um sich im Griff zu haben.

Um sich weiter abzulenken, ließ Corinne ihren Blick schweifen. Die vielen Helfer hatten den Park wirklich in ein wahres Märchenreich verwandelt. Überwältigt betrachtete sie die zauberhafte Dekoration und entdeckte immer mehr liebevolle Details. Die Bäume und Sträucher waren mit bunten Bändern, Herzen und Luftballons geschmückt. Ein kleines nostalgisches Karussell stand bereit und wartete auf seinen Einsatz. Corinne freute sich schon auf die erste Fahrt. Der Baum neben dem Karussell war in einen Schatzbaum verwandelt worden, an dessen Ästen allerlei kleine Geschenke und Süßigkeiten baumelten. Nach der Zeremonie durften sich die jüngeren Gäste dort vergnügen und mit einem Kescher Schätze vom Baum pflücken, damit ihnen nicht langweilig wurde. Auch einen Basteltisch konnte Corinne ausmachen.

Neben dem großen Pavillon gab es einige kleinere, die wie Nischen an das große Zelt angebaut waren. Da es so ein wunderschöner Tag war, hatten Helfer die Seitenwände aller Zelte nach oben gerollt, das Metallgestänge war mit weißem Krepp ummantelt und mit Blumen verziert. Der Aufbau wirkte luftig leicht.

Corinne erhaschte einen Blick auf eine Fotowand. Bevor sie genau erkennen konnte, was es damit auf sich hatte, erreichten sie jedoch den Pavillon. Jetzt wurde es ernst. Nur noch ein paar Meter trennten sie von ihren Liebsten, nur noch ein paar Minuten vor einem neuen Abschnitt ihres Lebens.

Den Eingang flankierten zwei Tafeln, auf denen die Namen der Braut und der Bräutigame standen. Über den Tafeln bewegte sich ein mit Verzierungen gestaltetes Spruchband sacht im Wind. Corinne und Alexander blieben stehen. Sie gönnten sich einen kurzen Moment der Besinnung, um das Band und die gesamte Szenerie auf sich wirken zu lassen und den Gästen Gelegenheit zu geben, ihre Plätze einzunehmen.

Mit Liebe und Kaffee wird alles gut.

Corinnes Herz wurde weit vor Freude, als sie die Worte las. Dieser Spruch war ihr Lebensmotto, und gerade jetzt, in diesem Moment, war wirklich alles gut. Und es würde noch viel besser werden, davon war sie fest überzeugt. Noch ein paar Minuten, dann würden sie ihr Glück vor all diesen Menschen noch einmal besiegeln. Diese Zeremonie war ihnen allen ausgesprochen wichtig. Hier und heute würden Corinne und Noah wie auch Alexander und Thomas endlich zu Ehepartnern werden. Die standesamtliche Trauung war für Corinne weniger wichtig als diese persönliche Zeremonie heute.

Wie sehr sie sich diesen Moment herbeigesehnt hatte. Ein warmer Schauer freudiger Aufregung erfasste Corinne. Schon seit dem frühen Morgen hatte sie Schmetterlinge in ihrem Bauch. Mit jedem ihrer Schritte wurde das Kribbeln nun intensiver.

Unter dem Dach des großen Pavillons ging es bereits hoch her. Die Gäste standen in Grüppchen an Stehtischen beieinander oder hatten sich einen Sitzplatz an einem der großen runden Esstische gesucht. Alle hatten sich sommerlich fein gemacht für diesen besonderen Tag. Es wurden Champagner und Cocktails gereicht und vielerlei Amuse-Gueule als Fingerfood standen bereit. Auch hier unter dem Zelt war alles liebevoll und sehr bezaubernd dekoriert. Unwillkürlich legte sich ein dankbares Lächeln auf Corinnes Lippen. Was für wunderbare Freunde sie doch hatten.

Doch jetzt blieb Corinne keine Zeit mehr, weiter alles zu bewundern, Alexander drängte sie vorwärts. An dem Meer von Gästen vorbei ging es geradewegs auf die Bühne zu, wo Thomas und Noah ihre Liebsten erwarteten.

Etwa einhundertfünfzig Menschen hatten sich versammelt, um mit ihnen diesen Moment zu feiern. Alle hatten sich so platziert, dass sie das Geschehen auf der Bühne gleich würden verfolgen können.

Corinnes Herz wummerte in ihrer Brust. Ganz vorne direkt neben der Bühne entdeckte sie Sebastian, Frieda, Susan, Julius und Finn. Die Trauzeugen strahlten mit den Bräutigamen auf der Bühne um die Wette. Die fünf hatten sich als Planungsteam seit Wochen um jedes Detail für das heutige Fest gekümmert. Einiges hatten sie mit den Brautpaaren abgesprochen, doch Corinne war sich sicher, dass es auch die ein oder andere Überraschung geben würde. Sie war schon sehr neugierig und gespannt, was ihre Freunde sich wohl ausgedacht hatten.

Der Schwarm Schmetterlinge in Corinnes Bauch flatterte inzwischen wild, ihre Nerven vibrierten. Alexander spürte wohl das Zittern seiner Schwester, denn er drückte Corinnes Hand und warf ihr ein kurzes Lächeln zu. Seine Augen funkelten verräterisch. Er war mindestens genauso nervös wie sie, das konnte Corinne erkennen. Sie erwiderte den Druck seiner Hand und auch sein Lächeln. Dieser kurze Moment geschwisterlicher Innigkeit genügte, um Corinnes Aufregung wieder auf ein erträgliches Maß zu senken.

Der Weg an den Gästen vorbei schien endlos zu sein, doch dann hatten sie den Aufgang zur Bühne endlich erreicht. Beim Erklimmen der drei Stufen strich der Stoff ihres Hochzeitskleides Corinne weich über die Knie und streichelte ihre Haut. Sie hatte sich für ein nostalgisches Modell aus cremeweißer Spitze entschieden, das ihren Körper sanft umschmeichelte und ihre Kurven perfekt zur Geltung brachte. Das Oberteil war schmal geschnitten mit kurzen Ärmeln und einem U-Boot-Ausschnitt, der gerade so tief ging, dass es nicht zu brav, aber auch nicht aufreizend wirkte. Der weite asymmetrische Rock reichte Corinne vorne bis zu den Knien und hinten bis zur Mitte der Waden. Er fiel glockig. Der angesetzte breite Volant spielte bei jeder ihrer Bewegungen um Corinnes Beine.

Passend zum Kleid hatte sie eine große Spitzenstola über ihre Schultern und die Arme drapiert. Dieses Tuch war von ihrem Lieblingsmodelabel Camila, das in Aachen ansässig war. Die Designerin hatte es in raffinierter Lacetechnik extra für Corinne gestrickt. Für den Entwurf hatte sie sich von hauchzarten Hochzeitstüchern inspirieren lassen, wie sie auf den Shetlandinseln und auch in Orenburg gefertigt wurden. Das kunstvolle Gespinst hüllte Corinne wie ein zarter Hauch ein. Sie liebte das Gefühl der Seide auf ihrer Haut.

Um ihren lockerleichten Hochzeitslook abzurunden, hatte Corinne sich für eine verspielte Flechtfrisur entschieden. Gabriele, ihre Friseurin, war vormittags in die Villa gekommen und hatte sich um Corinnes Haare gekümmert. Ein Teil der braunen Locken war nun in einem französischen Zopf gebändigt, in den Gabriele weiße Bänder hineingeflochten hatte. Die restlichen Haare fielen Corinne lockig bis auf die Schultern.

Nachdem sie fertig gestylt gewesen war, hatte sie sich in ihrem früheren Mädchenzimmer in der Villa vor dem großen Spiegel gedreht und vor Freude in die Hände geklatscht. Es war perfekt. Mädchen, Prinzessin, moderne Frau und in dieser Mischung hundert Prozent Corinne – genau so, wie sie es sich erhofft hatte.

Zufrieden stellte Corinne fest, dass Noahs kornblumenblaue Augen funkelten, als sie auf ihn zuging. Offensichtlich gefiel ihm ihr Styling auch. Aber nicht nur sie hatte sich schick gemacht. Corinne ließ ihren Blick bewundernd über Noahs Erscheinung huschen. Wow. Er sah umwerfend aus. Das Blau des Anzugs passte perfekt zur Farbe seiner Augen, und die silbrig schimmernde Weste ließ es noch edler wirken. Ihr Liebster müsste viel häufiger Anzüge tragen, schoss es Corinne durch den Kopf. Er hatte darin so eine natürliche Lässigkeit, die ihm hervorragend stand.

Es fiel Corinne schwer, sich von dem Anblick ihres Bräutigams loszureißen, aber sie war auch neugierig, also unterzog sie Thomas einer Musterung. Auch er konnte sich absolut sehen lassen. Er und Alexander hatten sich für einen taubenblauen und einen nachtblauen Anzug und die Weste jeweils in der Farbe des anderen entschieden. Zusammen mit Noahs kornblumenblauem Outfit ergab sich ein sehr harmonisches und doch abwechslungsreiches Bild. Weiße Hemden, und bei allen drei Bräutigamen Fliegen in der Farbe der Westen, rundeten das Bild ab.

Corinne, die noch bei Alexander eingehakt war, spürte ein Zittern, das von ihrem Bruder ausging. Oder zitterte sie selbst? Sie konnte es nicht bestimmen. Einen weiteren kurzen Moment sahen sich die Geschwister in die Augen. In Alexanders Blick lagen Liebe, Fürsorge und sehr viel Vertrautheit. Für Corinne war dieser innige Austausch das Versprechen, füreinander da zu sein. Nie wieder würde sie zulassen, dass sich etwas zwischen sie und ihren Bruder stellte. Dann wandte Alexander sich an Noah.

»Pass gut auf mein Löckchen auf, hörst du«, sagte er, als er Corinnes Hand in die seines künftigen Schwagers legte. Noah nickte und drückte sie liebevoll.

»Das verspreche ich dir«, antwortete Noah.

Noch ein kurzer Blick, dann machte Alexander zwei Schritte auf Thomas zu, der ihn herzlich umarmte. Corinne spürte, dass sich Tränen der Rührung in ihren Augen sammelten. Sie blinzelte sie weg und befahl sich, Haltung zu wahren. Es war der falsche Zeitpunkt, um die Wasserfestigkeit der Wimperntusche auf die Probe zu stellen.

»Sorge dafür, dass ihr eure Liebe pflegt und aufeinander achtet«, sagte Corinne zu Thomas. Wie eben schon Noah, nickte nun auch er.

»Das werde ich, Corinne«, versprach er, und auch seine Augen schimmerten verdächtig. Sie mussten aufpassen, dass diese Hochzeit nicht ein Fest der Tränen wurde – auch wenn es sicher Glückstränen wären. Corinne wollte sich lieber an Lachen erinnern, nicht an Weinen.

Jetzt war es so weit.

Sebastian trat an das Mikrofon. Er räusperte sich, wartete ein paar Sekunden, bis die letzten Gespräche sich gelegt hatten, dann begrüßte er die Gäste und die Brautpaare.

»Heute ist ein besonderer Tag, denn Kaffee und Liebe verbinden sich zu einem gemeinsamen weiteren Weg. Zwei Brautpaare stehen hier, bereit, ihr persönliches Glück mit uns allen zu teilen. Natürlich haben wir«, Sebastian wandte sich den Trauzeugen zu und machte eine Handbewegung in ihre Richtung, »mit vollstem Einsatz dafür gesorgt, dass dieses Fest unvergesslich werden wird, aber«, er drehte sich wieder den Brautleuten zu, »letztlich seid ihr es, die diesen besonderen Moment schaffen. Unsere Planung wäre nichts ohne euch. Und deshalb mache ich jetzt erst einmal gar nicht viele Worte, sondern bitte euch, Corinne und Noah und Alexander und Thomas, das Sprechen zu übernehmen. Die Bühne gehört euch – na los, traut euch.«

Sebastian klatschte in die Hände und lachte zusammen mit den Gästen und den Brautpaaren über das gelungene Wortspiel. Unter allgemeinem Beifall traten zuerst Corinne und Noah nach vorn.

Stille legte sich über die Szenerie. Corinne, die bis gerade eben noch Angst gehabt hatte, dass sie vor lauter Bauchflattern und Herzrasen in Ohnmacht fallen könnte, wurde innerlich ganz ruhig. Sie blendete das Drumherum aus. Jetzt gab es nur noch Noah und sie. Das war ihr Moment. Hand in Hand standen sie sich gegenüber und schenkten sich einen tiefen Blick – durch die Augen direkt in die Seele des anderen.

»Mit Liebe und Kaffee wird alles gut«, begann Corinne nun als Erste. Sie lächelte und schluckte energisch gegen die Rührung an, die ihr die Stimme nehmen wollte. »Mit dir an meiner Seite, Noah, werde ich beides haben. Für immer. Darauf vertraue ich, und darauf freue ich mich. Jeden Tag meines Lebens werde ich dankbar sein, dass es dich gibt. Und ich werde mein Bestes geben, dass auch du dankbar sein kannst, mich an deiner Seite zu haben. Ich weiß, es wird nicht immer Sonnenschein geben, aber ich habe keine Angst vor Sturm, Regen oder Hagel, denn wenn du bei mir bist, kann ich alles schaffen. Und ich verspreche dir, Noah Engel, ich werde dich immer lieben, von heute an bis zu meinem letzten Atemzug. Ich lege mein Herz in deine Hände und weiß, du wirst es beschützen.«

Das Kornblumenblau seiner Augen hatte sich verdunkelt, und sie las darin die Liebe, die auch sie gerade fühlte. Auch er musste schlucken. Corinne beobachtete, wie er tief atmete. Ihre Hände in seinen fühlten sich wunderbar geborgen an. Jetzt war Noah an der Reihe.

»Ich will dir mein Herz schenken, Corinne. Und das bedeutet für mich alles. Schon von der ersten Sekunde an, als du damals zu mir in die Rösterei gekommen bist, hast du mich verzaubert. Ich bin jeden Tag glücklich, dich an meiner Seite zu haben und werde das immer sein. Ich weiß nicht, was das Leben für uns bereithalten wird, aber ich will mit dir gemeinsam in die Zukunft gehen. ›Ich will!‹ bedeutet: Ich überwinde meine Angst verletzt zu werden und bin voller Vertrauen, dass deine Liebe meinen Kummer heilt. ›Ich will!‹ heißt: Ich werde dich lieben und auf deine Liebe vertrauen, auch wenn ich dir nicht versprechen kann, dass ich dich nicht hin und wieder wütend machen werde. Es ist möglich, dass wir manchmal streiten werden und dass wir um unsere gemeinsame Linie kämpfen müssen. Aber ich verspreche dir, ›Ich will!‹ bedeutet, dass die Liebe immer stärker und dein Herz bei mir immer behütet sein wird. Ich will dich lieben, Corinne, und auf diese Liebe darfst du vertrauen. Das gelobe ich bei meinem Leben.«

Mit jedem seiner Worte war Corinnes Herz ihrem Liebsten noch ein Stück nähergekommen. Noah hob die Hand und strich ihr über die Wange. Ganz zart und vorsichtig. Dann holte er die Ringe aus seiner Jacketttasche und gab ihr seinen in die Hand. Dann nahm er ihren Ring und ihre Hand. Sie zitterte.

Als Noah Corinne den goldenen Ring über ihren Finger streifte, fühlte es sich an, als würden zwei Teile ineinander fassen, die füreinander bestimmt waren. Wie das passende Teil in einem Puzzle, das an seinen Platz rutschte.

»Ich liebe dich, Corinne«, sagte Noah.

Die Außenseite ihrer beider Ringe war eismatt bearbeitet, Corinnes Ring zierten aber zusätzlich drei wunderschöne Diamanten, die eben in das Metall eingearbeitet waren. Sie drehte und wendete ihre Hand und bestaunte das Schmuckstück.

Nun war Corinne mit Überstreifen an der Reihe. Um über den Mittelknöchel zu kommen, musste sie etwas drücken, aber dann war es geschafft.

Sie betrachtete erst die Hand, dann sah sie Noah an.

»Ich liebe dich«, sagte sie.

Corinne und Noah gaben sich den ersten Kuss als offizielles Ehepaar – zumindest fühlte es sich für Corinne so an. Für sie waren sie erst jetzt, nach diesem Gelöbnis, wirklich Mann und Frau.

Noahs Lippen fühlten sich warm und vertraut an. Corinne ließ sich in die Berührung fallen und spürte dem Glück nach, das in ihr prickelte wie Millionen Champagnerbläschen.

Applaus brandete auf, und nur zögernd lösten sich die beiden frisch Vermählten voneinander. Sie verbeugten sich und traten ein Stück zur Seite. Alexander und Thomas nahmen jetzt den Platz ganz vorn auf der Bühne ein.

Eng aneinandergeschmiegt, lauschten Corinne und Noah den beiden, die sich ebenfalls ihre Liebe versicherten.

»Liebe und Glück werden größer, wenn man sie teilt«, sagte Thomas gerade, während Corinne versonnen Noahs Hand und über seinen Ring streichelte.

Mann und Frau. Sie konnte es kaum glauben. War es nicht erst gestern gewesen, dass Noah sie zum ersten Mal geküsst hatte? Es kam ihr so vor, und gleichzeitig hatte sie das Gefühl, diesen Menschen an ihrer Seite schon ihr ganzes Leben lang zu kennen.

Applaus brandete auf. Alexander und Thomas küssten sich und Corinne wurde klar, dass sie vor lauter Tagträumerei einen Teil der Zeremonie verpasst hatte. Auf jeden Fall musste es ergreifend gewesen sein, denn wie zuvor sie und Noah hatten nun auch die beiden Bräutigame Tränen in den Augen und ein glückliches Strahlen im Gesicht.

»Ihr lieben, wunderbaren, besonderen Menschen, herzlichen Glückwunsch!«, sagte nun Sebastian, der wieder das Mikro übernommen hatte. Er kam zu ihnen und umarmte zuerst die Bräutigame und dann Corinne. »Du bist wunderschön, Corinne. Ich wünsche dir Jahre voller Glück.« Bevor er zu rührselig werden konnte, schaltete er das Mikrofon ein und wandte sich dem Publikum zu.

»Kommen wir nun direkt zum ersten Programmpunkt. Darauf freue ich mich schon seit Wochen. Es ist mir ein großes Vergnügen, die heutigen Ehrengäste willkommen zu heißen. Sie haben ein besonderes Geschenk für unsere Brautpaare mitgebracht. Meine Damen und Herren, begrüßen Sie mit mir gemeinsam Sarah und Steffen, besser bekannt als Mrs. Greenbird.«

»Was?« Corinne riss Augen und Mund auf. Hatte sie sich verhört, oder hatte Sebastian gerade wirklich ihr Lieblingsmusikduo angekündigt?

Ihr blieb keine Zeit für Fragen, denn unter tosendem Applaus traten die beiden Musiker auch schon auf die Bühne.

»Herzlichen Glückwunsch«, sagten sie, kaum, dass sie ihre Plätze eingenommen hatte. Sie tauschten einen kurzen Blick aus und begannen ohne weitere Worte direkt zu spielen.

Bereits nach den ersten sanften Gitarrenklängen wusste Corinne, welchen Song sie angestimmt hatten. Als die ersten Worte an ihr Ohr perlten, bebte sie vor Glück.

»I can’t promise there’ll …«, sang Steffen, kurz darauf fiel Sarah mit ein. Love you to the Bone! Es war der Hochzeitssong, den die beiden für ihre eigene Hochzeit geschrieben hatten.

Corinne warf Sebastian, der sie erwartungsvoll beobachtete, eine Kusshand zu. Er hatte ihr damit eine unfassbar große Freude gemacht. Sie wusste, genau jetzt war dieser perfekte Moment, von dem sie schon immer geträumt hatte. Noah hielt Corinne von hinten umfasst. Sie wiegte sich an ihren Ehemann gelehnt sanft im Takt und ließ sich in die Musik fallen.

Nach Love you to the Bone sangen Mrs. Greenbird noch Learn how to love you, dann kam Sebastian wieder nach vorne und hielt eine kurze pointierte Rede.

Feierlich, aber nicht zu steif oder zu lang. Er brachte es perfekt auf den Punkt und endete mit: »Und so wünsche ich unseren Brautpaaren eine Zukunft voller Liebe und Kaffee – denn wir wissen ja, damit wird alles gut. In diesem Sinne: Lasst uns das Leben feiern und die wunderbare Musik von Mrs. Greenbird genießen.« Sebastian kam zu ihnen. »Jetzt wird nochmal richtig gedrückt!«, rief er. »Sind ja zwei Hochzeitspaare, also gibt es auch zweimal Umarmungen.«

Gesagt, getan. Zuerst wurden Alexander und Thomas beglückwünscht und gedrückt, dann Noah und ganz zum Schluss und natürlich besonders innig Corinne. »Von Herzen alles Liebe, Corinne«, sagte er und auch in Sebastians Augen schimmerten Tränen.

Während Mrs. Greenbird den nächsten Song anstimmten, gingen sie alle von der Bühne. Unten standen die Gäste bereits Schlange, um ihre Glückwünsche anbringen zu können. Allen voran natürlich ihre Mutter Esther Ahrensberg, die Eltern von Noah und Thomas, und Sarah Rosenbaum.

Die Brautpaare ließen sich umarmen und küssen, sie schüttelten Hände und bedankten sich. Aus unzähligen Pistolen regnete es Seifenblasen auf sie nieder. Mrs. Greenbird stimmte derweil Shooting Stars & Fairy Tales an. Corinne schnappte sich Noahs Hand und zog ihn auf die Tanzfläche. Alexander und Thomas taten es ihnen gleich. Zu viert eröffneten sie damit nun endgültig die Feier. Bald folgten weitere Tanzpaare.

Noah drehte Corinne wild. Sie legte den Kopf in den Nacken und lachte.

Glücksschwindelig, dachte sie. Genau so fühle ich mich.

Kapitel 1Der Anruf

Aachen • Oche • Aix-la-Chapelle • Aken • Aquae Granni

Gegenwart: April

Das verführerische Aroma frisch gebrühten Kaffees schlich sich in Corinnes Bewusstsein. Mit geschlossenen Augen schnupperte sie und erhaschte einen Hauch Schokolade und dunkle Beeren. Dieser Duft ließ sie automatisch tief einatmen und wohlig seufzen. Lächelnd schlug Corinne die Augen auf. Das Erste, was sie wahrnahm, war Noah. Er lag auf den Ellbogen gestützt neben ihr und betrachtete sie liebevoll. In seiner Hand hielt er die Tasse, aus der dieser köstliche Duft aufstieg. Ganz sanft pustete er den aufsteigenden Kaffeedampf zu Corinne hinüber.

»Guten Morgen, Schlafmütze«, sagte er.

Noahs warme Stimme war wie ein Streicheln. Auch jetzt, nach bald zwei Jahren Eheleben, gab es für Corinne nichts Schöneres, als neben ihrem Mann aufzuwachen und die Liebe und Geborgenheit zu spüren, die er ihr schenkte.

»Oh, du bist ein Engel«, murmelte sie noch etwas verschlafen und wollte nach der Tasse greifen. Doch Noah war schneller. Flugs zog er die Hand aus Corinnes Reichweite.

»Nicht so hastig«, sagte er und grinste schelmisch. »Engel stimmt, steht sogar in meinem Ausweis. Aber das heißt nicht, dass ich etwas zu verschenken habe. Bevor du den Kaffee bekommst, möchte ich zuerst einen Kuss.«

»Erpresser«, brummelte Corinne und grinste ihren Liebsten von unten herauf an. Selbstverständlich musste er nicht zweimal um einen Kuss bitten. Corinne erfüllte seinen Wunsch umgehend und griff gleich darauf wieder nach der Tasse. Doch Noah hob den Arm noch ein Stück höher. Der Kaffee blieb für Corinne weiterhin außer Reichweite.

»Hey«, protestierte sie lachend und streckte sich, um vielleicht doch an die Tasse zu kommen. »Gib her, ich habe gerade bezahlt.«

»Noch einen«, forderte Noah »Das ist schließlich ein sehr guter Kaffee von einer besonderen Rösterei.« Er spitzte seine Lippen.

»Halsabschneider«, konterte Corinne. »Das sind ja Wucherpreise. Zufällig kenne ich die Rösterin persönlich, sie hat in ihrem Öcher Böhnchen ziemlich faire Preise«, stieg Corinne in die Alberei ein.

Natürlich kannte sie die Rösterin persönlich, schließlich ging es um sie selbst und ihre eigene Rösterei. Den Caturra, den Noah für sie aufgebrüht hatte, hatte sie höchstpersönlich geröstet und mit nach Hause gebracht. Noah ging allerdings nicht auf ihre Argumente ein. Er hob lediglich vielsagend die Augenbrauen und ließ die Lippen weiter erwartungsvoll gespitzt.

»Also gut«, schnaufte Corinne. »Du hast es so gewollt.« Kichernd stemmte sie sich in die Höhe, beugte sich zu Noah hinüber und gab ihm nicht nur ein Küsschen, sondern viele. Ein ganzer Kuss-Schauer ging auf Noah nieder. Auf die Wangen, die Augen, die Stirn, die Nasenspitze, bis Corinne schließlich bei seinen Lippen landete, die sie warm und weich begrüßten. Aus den Küsschen wurde ein inniger tiefer Kuss.

Während Corinne Noahs weiche Lippen auf ihren spürte und ihr Körper sich unwillkürlich an seinen drängte, griff sie mit der rechten Hand nach der Tasse und schnappte sich die Beute.

»Hey!«, protestierte Noah.

Corinne zwinkerte ihm triumphierend zu, setzte sich an ihr Kopfkissen gelehnt hin und hielt ihre Nase über die Tasse. Tief atmete sie den Kaffeedampf ein und genoss ein paar Sekunden die Vorfreude, bevor sie bedächtig einen ersten Schluck nahm. Das tat so gut! Sie ließ den Kaffee über ihre Zunge laufen, spürte ihn am Gaumen und seufzte zufrieden. Nach einem zweiten und dritten Schluck stellte Corinne die Tasse auf das Tischchen neben ihrem Bett und wandte sich wieder Noah zu, der sie schmunzelnd beobachtet hatte.

»Du bist unglaublich süß, wenn du deine Kaffeelust stillst«, sagte er.

»Apropos Lust«, antwortete Corinne. »Wo waren wir gerade stehen geblieben?«

Bevor Noah antworten konnte, hatte ihr Mund den seinen bereits erneut in Beschlag genommen.

Noahs Hände wanderten unter Corinnes Pyjamaoberteil und strichen zärtlich über ihren Rücken und seitlich an ihren Brüsten entlang. Als Corinne Noah gerade von seiner Hose befreien wollte, knackste es im Babyfon. Gleich darauf hörten sie Mia, die wie jeden Morgen sofort nach dem Aufwachen anfing, fröhlich vor sich hin zu brabbeln. Sie quietschte und erzählte. Dann rumpelte es. Offensichtlich hatte sie ihre Spieluhr aus dem Bett geworfen. Das Brabbeln wurde energischer, Corinne kannte den Ton genau, gleich würde ihre Tochter anfangen zu weinen.

»Ich geh schon«, sagte Noah. »Genieß du deinen Kaffee.«

Noah war nicht nur ein fantastischer Ehemann, sondern auch ein ganz wunderbarer Vater. Doch Corinne hatte nun auch keine Ruhe mehr, um liegen zu bleiben. Sie gönnte sich noch ein paar Schluck Kaffee, dann stand sie auf, sprang flink unter die Dusche und huschte nach unten, um das Frühstück zu richten.

Mia saß in ihrem Hochstuhl und ließ sich das Erdbeermarmeladenbrot schmecken, das Noah ihr in kleine Stücke geschnitten und vor sie auf den Tisch gestellt hatte. Die Marmelade klebte bereits in den blonden Locken und im ganzen Gesicht, doch Mia schmatzte sehr genüsslich und trank zwischendurch lauwarmen Kakao aus ihrer Schnabeltasse. Selbst essen und trinken zu dürfen, war für sie das Größte. Zufrieden quietschte sie und wackelte mit ihren Babybeinchen. Ihre kleinen Füße steckten in rosa Söckchen mit einer Reihe weißer Herzen. Das war Klaras Werk.

Seit Mia auf der Welt war, ließ die Haushälterin der Villa Ahrensberg in jeder freien Sekunde die Nadeln klappern. Lätzchen, Höschen, Babydecken und niedliche Schnuffeltücher – Klara war nicht zu bremsen. Sie liebte die kleine Mia abgöttisch. Und sie war nicht die Einzige. Auch Corinnes Freundin und Mitarbeiterin Frieda sorgte für Mias Ausstattung. Sie nähte Kleidchen, Lätzchen, Hüte und Decken. Zur Taufe hatte sie Mia eine zauberhafte Patchworkdecke geschenkt. Sie hatte jedes einzelne Patch liebevoll gestaltet, mit Marienkäferchen, Blümchen, lustigen dicken Hummeln und Regenbögen. Frieda musste wochenlang daran gesessen haben, und es hatte sich gelohnt. Es war Mias Lieblingsdecke. Sie lag oft darauf und bestaunte die Bilder, es war fast wie im Bilderbuch, nur dass es eben eine Decke war.

Corinne lächelte ihr Töchterchen glücklich an, und Mia erwiderte den Blick strahlend. Sie streckte ihrer Mama das Brotstückchen hin, von dem sie gerade schon die Marmelade abgeschleckt hatte, und sagte auffordernd: »Mam!«

»Schätzchen, iss du das lieber selbst«, sagte Corinne und schüttelte den Kopf. »Ich habe ein Käsebrot, schau.« Sie biss von ihrem Brot ab und kaute demonstrativ.

Mia beobachtete ihre Mutter aufmerksam, dann wandte sie sich mit ihrem angematschten Brot an Noah und streckte es ihm hin.

»Mam«, sagte sie wieder.

Doch auch Noah konnte sich nicht für Mias Angebot begeistern. Er lehnte dankend ab und löffelte lieber sein wachsweich gekochtes Ei.

»Wenn deine Mama gleich in die Rösterei geht, dann darfst du erst einmal baden, Mia. Ich glaube, du hast sogar schon Erdbeermarmelade im Ohr«, sagte er und lachte.

Sofort grabschte Mia nach ihrem Ohr.

»Oh«, machte sie. »Wass«, fragte sie Noah, quietschte freudig und legte ihren Kopf schief.

Der nickte. »Ja, gleich darfst du ins Wasser.«

Corinne warf einen Blick auf die Küchenuhr und trank den letzten Schluck Kaffee aus ihrer Tasse.

»Apropos«, meinte sie. »Wo du es gerade sagst. Es wird Zeit für mich. Ich will heute Vormittag ein paar Chargen rösten und muss mich um die neu eingegangenen Stiftungsanträge kümmern, da hat sich schon wieder einiges angesammelt. Außerdem muss ich unbedingt …«

Das Handyklingeln unterbrach Corinnes Aufzählung des straffen Vormittagsprogrammes.

»Corinne Ahrensberg«, meldete sie sich. Sie hatte es im täglichen Gebrauch bei ihrem Mädchennamen belassen, obwohl sie seit der Heirat offiziell Ahrensberg-Engel hieß. Der Name Ahrensberg stand für Kaffee, damit trug sie die Tradition ihrer Familie weiter und ehrte ihren Großvater. Für Noah war das kein Problem. »Solange du mein Engel bist«, hatte er gesagt. Damit war die Frage entschieden gewesen.

»Olá Corinne, Fernando hier. Hast du kurz Zeit?«, tönte es durch den Lautsprecher ihres Handys. Die Verbindung knarzte.

»Olá Fernando, ich wollte dich später ohnehin anrufen, dann können wir auch jetzt sprechen. Aber bei euch muss es ja noch mitten in der Nacht sein. Kannst du nicht schlafen?« Fernando arbeitete oft nachts, er schlief selten mehr als fünf Stunden. Lieber gönnte er sich zwischendurch eine Siesta. Deshalb fand Corinne die Uhrzeit auch nicht weiter verwunderlich. »Wie läuft es mit dem Hausbau? Kommt ihr voran? Können wir die Schule bald eröffnen?«

Sie hoffte, dass Fernando gute Nachrichten für sie hatte. Laut ihrem letzten Stand müsste der Rohbau inzwischen stehen. Es war so wichtig, dass sie bald den nächsten Schritt machen konnten.

Die Stiftungsarbeit war unglaublich befriedigend. Corinne wollte nicht nur die Kaffeequalität verbessern, sondern auch das Leben der Menschen in den Anbaugebieten. Sie hatte das Gefühl, mit ihren Projekten wirklich etwas bewirken zu können. Aber es war auch enorm zeitaufwändig und streckenweise ziemlich nervenaufreibend. Besonders wenn ihre westeuropäische Genauigkeit auf die südamerikanische Gelassenheit traf. Da ringelten sich das ein oder andere Mal ein paar zusätzliche Locken auf Corinnes Kopf.

Aber so anstrengend es auch war, so sehr die lockere Art sie manches Mal zur Weißglut brachte, sie liebte die südamerikanische Leichtigkeit auch und nahm die ein oder andere schlaflose Nacht in Kauf, die sie ihr bescherte. Vielleicht, weil es sie von Zeit zu Zeit daran erinnerte, selbst nicht alles zu ernst zu nehmen und die Magie des Augenblicks nicht vor lauter Pflichtbewusstsein zu übersehen.

Immerhin hatte sie gemeinsam mit Fernando schon einiges auf die Beine gestellt. Im Moment arbeiteten sie daran, eine Frauenkooperation aufzubauen. Sie wollten eine Plantage für Frauen aufbauen, die sie in Eigenregie führen sollten, aber auch die Zusammenarbeit mit umliegenden Plantagen fördern und dadurch für alle bessere Bedingungen schaffen. Dabei ging es nicht nur darum, den Frauen in Workshops das Handwerkszeug und vor allem Wissen für eigenständiges Arbeiten an die Hand zu geben und für einen fairen Absatz des Kaffees zu sorgen. Das allein wäre schon eine ziemliche Herausforderung gewesen. Aber es genügte nicht. Um den Erfolg einer solchen Kooperation zu ermöglichen, mussten sie sich auch um die Unterbringung und Bildung der Kinder kümmern. Das neue Schulhaus war ein Projekt im Rahmen dieser neu gegründeten Kooperation. Auch Häuser für alleinstehende Frauen waren geplant und neue Unterkünfte für ganze Familien. Die Planung orientierte sich sehr eng an den Bedürfnissen vor Ort.

Seit Corinne die Ahrensberg-Rosenbaum-Stiftung leitete, setzte sie sich neben der Verbesserung der Arbeitsbedingungen vor allem auch für die Rechte der Frauen ein und versuchte für sie eine Basis für ein selbstbestimmtes Leben zu schaffen. Doch es gab viele Hürden zu überwinden, nicht nur die Bürokratie stand im Weg. Die tief verwurzelten gesellschaftlichen Strukturen ließen sich nicht ohne Weiteres aufbrechen.

Zuerst mussten die Frauen selbst überzeugt werden, dass sie nicht von ihren Männern abhängig waren. Es brauchte Geduld, um ihnen begreiflich zu machen, wie wichtig ihre Eigenständigkeit für sie und die Schulbildung für ihre Kinder war. Hatten sie diese Hürde genommen, versperrte ihnen für den nächsten Schritt oft männliche Eitelkeit den Weg. Die Männer waren Machos, die sich von den stärker werdenden Frauen bedroht fühlten. Es ging um Macht, Bequemlichkeit und den eigenen Status.

Obwohl Corinne in einer vollkommen anderen Kultur aufgewachsen war, hatte sie Verständnis für die Sorgen der Menschen. Sie kannten oft nur die traditionellen Muster, und das Neue machte ihnen Angst – zum Teil auch zu Recht. Eine eigenständige Frau war für einen Mann sicher nicht so bequem wie ein gehorsames Weibchen. Doch bequem war eben noch lange nicht gut, das versuchte Corinne den Menschen zu vermitteln. Um das Leben aller zu verbessern, mussten vor allem die Männer umdenken.

Das Ziel war klar: Um etwas zu verändern, mussten die Kinder weg von den Kaffeeplantagen und rein in die Klassenzimmer. Durch die eigenständige Arbeit würden die Frauen ein neues Selbstbewusstsein entwickeln.

Mit Fernando und seiner Frau Luciana an ihrer Seite kämpfte Corinne seit der Stiftungsgründung unbeirrt für ihre Visionen, und es ging langsam, aber stetig voran.

Das Schulhaus war ein wichtiger Meilenstein. Wenn sie das geschafft hatten, konnten die Frauen sich auf ihre Arbeit konzentrieren, während die Kinder die Schule besuchten. Sie sollten dort auch Essen bekommen, das würde den Müttern enorme Freiräume geben.

In dieses Projekt steckte Corinne nicht nur ihre Leidenschaft für Kaffee und ihre Sorge um den Klimaschutz, sondern auch ihr europäisches Selbstverständnis, als eigenständige Frau leben zu können. Das wollte sie auch den Frauen in Brasilien ermöglichen. Mit diesen Bemühungen handelte sie absolut im Sinne ihrer Freundin und Stiftungsgründerin Sarah Rosenbaum. Wann immer sie Sarah von dem Frauenprojekt erzählte, bekam Corinne geballte Begeisterung zurück. Erst am Vortag hatten sie telefoniert, und Corinne hatte Sarah versprochen, sie sofort zu informieren, wenn der Schulhausbau abgeschlossen war.

»Genau das habe ich mir gewünscht, als ich die Stiftung gegründet habe, Corinne«, hatte Sarah gesagt. »Nicht nur die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Allgemeinen, sondern eben im Besonderen. Wenn diese Frauen irgendwann nachhaltig Kaffee anbauen und vernünftig für ihre Arbeit entlohnt werden, während ihre Kinder zur Schule gehen, dann haben wir das geschafft, wovon schon dein Großvater geträumt hat. Er wäre so stolz auf dich, Corinne, und ich bin es auch. Ich wusste einfach, dass du genau die richtige Person dafür bist. Ich danke dir sehr für deinen Einsatz.«

Umgekehrt dankte Corinne Sarah von Herzen. Für die Möglichkeit, diese wunderbare Stiftung leiten zu dürfen. Vor allem aber auch für ihre Freundschaft.

Lautes Knacken riss Corinne aus ihren Überlegungen.

»… Problem, Corinne. … Baumaterial. Ich glaube …«

»Fernando? Hallo! Es tut mir leid, ich verstehe dich kaum.« Sie nahm das Handy vom Ohr und sah es etwas ratlos an. Dann schüttelte sie den Kopf. Das hatte so wenig Sinn.

»Fernando, ich gehe jetzt ins Büro. Ich rufe dich gleich wieder an.« Damit beendete sie das Gespräch.

Entschlossen tupfte Corinne sich die Lippen mit der Serviette ab und stand auf.

»Probleme?«, wollte Noah wissen.

»Keine Ahnung, es klang jedenfalls danach. Die Verbindung war miserabel, du hast es ja mitbekommen. Na, ich rufe ihn gleich vom Öcher Böhnchen aus an, dann werde ich hören, was los ist.«

Es war nicht das erste Problem und würde sicher nicht das letzte bleiben. Davon ließ Corinne sich erst einmal nicht aus der Ruhe bringen. Was auch immer es war, gemeinsam würden sie sicher eine Lösung finden.

Sie gab Mia einen Kuss auf die klebrige Wange und umarmte Noah, der sie liebevoll an sich drückte.

»Wollen wir uns mittags bei Susan treffen? Sie beschwert sich ohnehin schon, dass sie Mia zu selten sieht«, fragte er.

»Prima Idee«, stimmte Corinne sofort zu. Sie waren schon zwei Wochen nicht mehr bei Susan im Café Emotion gewesen. »Reservierst du uns einen Tisch? Ich sag Sebastian Bescheid und bringe Frieda mit. Einverstanden?«

Ihr bester Freund und ihre Angestellte, die inzwischen auch eine gute Freundin war, tänzelten, seit sie sich kannten, umeinander herum. Sie gingen miteinander aus, hingen ständig beieinander und gaben sich als allerbeste Freunde. Freunde plus, behauptete Frieda immer. Alles ganz locker, keine Verpflichtungen. Doch da war mehr. Das war so deutlich wie das Rascheln der Kaffeebohnen, wenn Corinne sie in den Röster schüttete.

»Perfekt. Dann bis später.«

Mit einem letzten Kuss löste Corinne sich von Noah, schnappte sich den leichten Mantel und ihre Handtasche und war auch schon draußen.

Gut gelaunt marschierte sie mit weit ausgreifenden Schritten den Preusweg entlang Richtung Innenstadt. Sie hätte auch das Fahrrad nehmen können, aber Corinne liebte es, zu Fuß zu gehen.

Es war ein herrlicher Frühlingsmorgen. Die Vögel zwitscherten und flogen ausgelassen von Baum zu Baum. In einem Vorgarten beobachtete Corinne, wie ein Herr Spatz um seine Auserwählte herumtanzte. Das Federkleid aufgeplustert, die Schwanzfedern wie ein Fächer gespreizt, flatterte er mit den Flügeln und tschilpte dabei um sein Leben. Er trippelte, tschilpte, verbeugte sich und umrundete das Weibchen ein ums andere Mal. Doch das Spatzenweibchen zeigte sich unbeeindruckt und ließ Herrn Spatz zappeln.

Sie wollte zwar eigentlich längst in der Rösterei sein, aber diese Szene war zu niedlich. Corinne gönnte sich diesen Moment und blieb stehen. Tatsächlich erbarmte sich die Spatzendame nach ein paar weiteren Umrundungen und gab dem Umgarnen nach. In diesem Vorgarten würden wohl bald Spatzenkinder gierig nach Futter tschilpen und ihre Eltern auf Trab halten. So wie Mia uns, ging es Corinne durch den Kopf.

Auch wenn sie die Unterbrechung vorhin im Bett bedauerte, wurde ihr Herz weit, als sie an ihren kleinen Sonnenschein dachte. Und sie durfte sich auch nicht beklagen, denn sie und Noah hatten viel Unterstützung. Freunde und Familie gierten richtiggehend danach, Babysitten zu dürfen. Dadurch hatten Corinne und Noah viele Freiräume für sich als Paar. Im Grunde mehr, als sie benötigten, denn sie liebten es beide innig, Eltern zu sein und verbrachten sehr gern viel Zeit mit ihrer Tochter.

Manchmal war Corinne fast neidisch auf Noah, der die Rolle des Hausmanns übernommen hatte und so ganz automatisch mehr Zeit mit Mia hatte. Für Corinne war es nicht immer einfach, zwischen der Rösterei und ihrer Stiftungsarbeit für die Ahrensberg-Rosenbaum-Stiftung, deren Geschäftsführerin sie war.

Der Gedanke an die Stiftung brachte sie wieder zu Fernandos Anruf zurück. Was er wohl für ein Problem hatte? Es half alles nichts, sie musste weiter und sich kümmern. Entschlossen setzte sie ihren Weg fort und keine zehn Minuten später öffnete sie auch schon die Ladentür.

»Guten Morgen, Frieda«, grüßte Corinne, als sie das Öcher Böhnchen betrat.

Frieda ging gerade die Regale entlang und wedelte den Staub von den Waren. Sie liebte ihre Arbeit und engagierte sich, als wäre es ihr eigener Laden. Auf Frieda konnte Corinne blind vertrauen.