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Während des Zweiten Weltkriegs gerieten 1,8 Millionen französische Soldaten in deutsche Kriegsgefangenschaft. Ihr Schicksal wurde bisher kaum von der Geschichtswissenschaft betrachtet. Vielfach diente ihnen Fußball als Ausweg aus der sogenannten Stacheldrahtpsychose, eine Ablenkung von der teils schweren Zwangsarbeit für die deutsche Kriegswirtschaft, so auch im Stammlager III A in Luckenwalde, in Brandenburg. Das vorliegende Buch entstand aus einem Schülerprojekt von Abiturienten in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und auf der Grundlage von Zeitzeugenberichten. Lors de la Seconde Guerre mondiale, 1.8 million de prisonniers de guerre français sont entrés en captivité allemande. L'historiographie à peu travaillé sur la question. Le football a servi d'exutoire et permis de résister à la psychose des barbelés, une échappatoire au travail dans l'industrie du Reich, mais aussi dans le camp principal III A de Luckenwalde dans le Brandebourg. Ce livre est le fruit d'un projet scolaire de lycéens en collaboration avec des scientifiques et sur la base de témoignages.
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Seitenzahl: 86
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Französische Kriegsgefangene in Brandenburg im Zweiten Weltkrieg - Prisonniers de guerre français dans le Brandebourg pendant la Seconde Guerre mondiale
Herausgegeben von Stephan Theilig und Christophe Woehrle
mit Texten von Lennard Jens Hilker, Paula Janke, Helene Ponath, Jakob Rosenau, Stephan Theilig, Luna Walter, Johannes Weiland, Till Winkelmann und Christophe Woehrle
Vorwort
Der Frankreichfeldzug
Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit in Brandenburg - das Stalag III A und seine Arbeitskommandos
Fußball im Stalag III A
Fußball in den Arbeitskommandos des Stalag III A in Damm I, II und Wutzetz
Roger Frémaux in Luckenwalde
Epilog
(
Version française)
Avant-propos
La Bataille de France
La captivité dans la région du Brandebourg – le Stalag III A et ses détachements
Le football au Stalag III A
Le football dans les détachements du Stalag III A à Damm I, II et Wutzetz
Roger Frémaux de retour à Luckenwalde
Épilogue
Quellenanhang / Annexe source
Bildteil / Partie image
Quellen- und Literaturverzeichnis
Die vorliegende Publikation entstand aus einem Forschungsprojekt im Rahmen des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten im Jahr 2021. Schülerinnen und Schüler waren aufgerufen, historische Forschungen zum Thema „Sport macht Gesellschaft“ in ihrer Region anzustellen. Abiturienten der Oberbarnimschule Eberswalde und der Evangelischen Schule Neuruppin entschlossen sich, betreut und unterstützt von ihren Tutoren, ein Thema über Sport und französische Kriegsgefangene in Brandenburg näher zu untersuchen.1 Schnell wurde deutlich, dass es sich bislang um ein Nischenthema der Geschichtswissenschaft handelt, obwohl der Zweite Weltkrieg in seinen vielen grausamen Facetten vielfach analysiert worden ist. Das Schicksal der Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen wurde zumindest in Fachkreisen und Dokumentationen behandelt und mit den Forschungen von Uwe Mai lagen erstmals umfangreichere Erkenntnisse zum Kriegsgefangenenwesen in Brandenburg vor.2 Im Zentrum seiner Darstellung liegt das Stammlager Stalag III A in Luckenwalde, das größte Kriegsgefangenenlager in Brandenburg während des Zweiten Weltkriegs. Sport und Fußball sind in diesem Zusammenhang aber kaum bzw. gar nicht untersucht. Durch Zufälle tauchte eine Fotographie auf, welche eine französische Fußballmannschaft aus Luckenwalde zeigte. Sie entsprach nicht den allgemeinen Vorstellungen von Kriegsgefangenen hinter Stacheldraht. Persönliche Bezüge zu Teilen des Themas wurden schnell durch Gespräche sichtbar: in den Familien gab es noch Fotos von Familienangehörigen aus der Zeit des Frankreichfeldzugs, Lehrer erzählten von kriegsgefangenen Franzosen, die auf Bauernhöfen im Barnim und im Havelland arbeiten mussten. Aus all diesen Einzelinformationen entwickelte sich der Untersuchungsschwerpunkt der vorliegenden Arbeit: wie kann so etwas wie Sport, Freizeit und scheinbarer Spaß, alles Bereiche die man mit Fußball verbinden kann, mit dem doch eher tragischen Thema Kriegsgefangenschaft im Zweiten Weltkrieg zusammenpassen? Wie fügte sich der Sport in den Alltag ein? Wo, wann und für wen spielte Fußball eine Rolle und welche Bedeutung hatte Fußball für den Einzelnen und für die Gruppe?
Bei der Beantwortung dieser Fragen und der Kontextualisierung der Antworten konnte nur auf einen überschaubaren deutschen Forschungs- und Literaturbestand zurückgegriffen werden. Auch in Frankreich wurde das Thema der französischen Kriegsgefangenen bislang nur selten behandelt. Erst 1967 kam in Frankreich eine Arbeit über das Thema von Pierre Gascar heraus, eine der letzten 2019 von Christophe Woehrle.3 Dies liegt daran, dass in Frankreich bislang die Frage der Shoah, die Helden und Widerstandskämpfer im Mittelpunkt standen. In der offiziellen Historiographie war kaum Platz für die „Verlierer von 1940“. Dagegen gibt es eine Vielzahl autobiographischer Zeugnisse und Familienforschungen, die das Schweigen durchbrechen.4 Besonders zu erwähnen ist das Tagebuch von Jean Roger Frémaux, welches von Benoit Hamelin bearbeitet, kontextualisiert und veröffentlicht wurde.5 In unseren Forschungen zum Thema Fußball bei französischen Kriegsgefangenen in Brandenburg haben wir uns auch auf die umfangreiche Dissertation von Doriane Gomet zum Thema des Sport bei französischen Gefangenen in Deutschland stützen können.6 Ergänzt durch die fast vollständige Überlieferung der Lagerzeitung des Stalag III A und Unterlagen des Internationalen Roten Kreuz entstand ein sehr komplexes Bild. Auch das Museum Luckenwalde mit seinem Museumsleiter Roman Schmidt half uns mit Kopien und Hintergrundwissen zum Stalag III A weiter. Doch erst durch die zahlreichen Hinweise, Hintergrundinformationen und Fotographien, die wir durch Mitglieder der facebook-Gruppe „Stalag III A (3a) Luckenwalde“ und ihrem Administrator Frédéric Rohel erhielten, ergab sich ein lebendiges Geschichtsbild. Wichtige Hintergrundinformationen zu den Außen- und Arbeitslagern wurden uns durch den Heimatforscher Sven Leist gegeben, der uns die Standorte der Lager in Damm und Wutzetz zeigte. Stellvertretend für die viele Unterstützung, die wir erfuhren, danken wir Danish Puthan Valiyandi, der die Video-Dokumentation tatkräftig unterstützt hat, sowie Manel Hammache, die uns bei den unzähligen Übersetzungen zur Seite stand. Wir hoffen sehr, dass die Lektüre unserer aller Arbeit Einblicke in diese düstere Zeit brandenburgischer Geschichte gewährt sowie neue Fragen und Forschungen anregt, um die Erinnerungen für zukünftige Generationen lebendig zu halten.
Die Herausgeber und Autoren des Projekts
1 Das gleichnamige Projekt wurde als „Landessieger Brandenburg“ sowie mit einem „2. Preis im Bundeswettbewerb“ ausgezeichnet.
2 Mai, Uwe: Kriegsgefangen in Brandenburg. Stalag III A in Luckenwalde 1939-1945. Berlin 1999; Mai, Uwe: Stalag III A Luckenwalde 1939-1945. Luckenwalde 1999.
3 Gascar, Pierre: Histoire de la captivité des Français en Allemagne. Pairs 1967; Woehrle, Christophe: Prisonniers de guerre dans l'industrie de guerre allemande. Beaumontoisen-Périgord 2019.
4 Starck, José: Synthese – Captives des Guerre en Brandenbourg. Manuskript 2017; Starck, José / Guérard, Lucien: Villages oubliés de l`Allemagne orientale. Lille 2018.
5 Das Tagebuch von Jean Frémaux und das Projekt sind auf abrufbar unter: https://www.ormuteditions.com. Weiterhin zu nennen ist die eindrückliche Graphic Novel von Silloray, Florent: Auf den Spuren Rogers. Berlin 2013.
6 Gomet, Doriane: Sports et pratiques corporelles chez les déportes, prisonniers de guerre et requis français en Allemagne durant la seconde guerre mondiale (1940-1945). Dissertation vorgelegt an der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Stuttgart 2012.
Am 3. September 1939 erklärten Frankreich und Großbritannien dem Deutschen Reich den Krieg, nachdem dieses zwei Tage zuvor Polen überfallen und damit den Zweiten Weltkrieg begonnen hatte. An den Grenzen zu Frankreich herrschte jedoch, außer in ein paar Ausnahmesituationen, fast immer Waffenruhe, weshalb diese anfängliche Phase auch als „Sitzkrieg“ bezeichnet wurde.
Diese ersten Monate wurden besonders von gegenseitigen Propagandaaktionen bestimmt. Mehr als 29 Mal wurde der Angriffsplan auf Frankreich verschoben. Unvorhergesehen begannen deutsche Truppen am 10. Mai 1940 die französischen Stellungen anzugreifen. Zunächst ging die deutsche Luftwaffe gegen die französischen Luftstreitkräfte vor und vernichtete einen Großteil von ihnen noch auf dem Boden. In der Folge rückten deutsche Verbände der Heeresgruppe B, wie von den Alliierten erwartet, im Norden vor und folgten dem Angriffsschema des „Schlieffenplans“.
Jedoch warteten im Süden bereits weitere Verbände der Heeresgruppen C, um gegen die mit Festungen geschützte Maginotlinie vorzugehen. Zudem rückten in einem Hauptstoß Panzerverbände der Heeresgruppe A durch die unwegsamen Ardennen vor. Diese Vorgehensweise wurde später von Winston Churchill als „Sichelschnittplan“ bezeichnet. Zunächst wurden die alliierten Verbände bei Dünkirchen eingekesselt. Nach deren dramatischer Evakuierung konzentrierten sich die deutschen Truppen darauf, in Richtung der Schweizer Grenze im Süden vorzustoßen. Bereits am 14. Juni 1940 wurde Paris kampflos besetzt.7
Kurz darauf, am 22. Juni 1940, wurde in einem Bahnwaggon im Wald von Compiègne, am gleichen Ort wie 1918, der Waffenstillstand von Generaloberst Wilhelm Keitel und General Charles Huntzinger unterzeichnet. Die französische Führung hatte zuvor noch versucht, die USA zu einem Kriegseintritt zu bewegen, jedoch ohne Erfolg.
Einen Tag nach der Unterzeichnung inszenierte sich Adolf Hitler als „Tourist und Eroberer“ zugleich in Paris. Die Bilder von ihm vor dem Eifelturm und der proklamierte „Blitzsieg“ über Frankreich brachten ihn auf den Höhepunkt seines innenpolitischen Ansehens. Verdeckt wird durch diese Bild- und Propagandasprache, dass während der Westoffensive rund 92.000 französische und 27.000 deutsche Soldaten starben sowie etwa 200.000 französische und 111.000 deutsche Soldaten verwundet wurden. Etwa 1,8 Millionen französische Soldaten gerieten in deutsche Kriegsgefangenschaft.
7 Neugebauer, Karl-Volker (Hrsg.): Grundkurs deutsche Militärgeschichte. Band 2: Das Zeitalter der Weltkriege 1914 bis 1945 – Völker in Waffen. München 2007, S. 366ff. Hierzu auch Der Zweite Weltkrieg. Von München bis Moskau, Band 1. Stuttgart, Zürich, Wien 1989, S. 65-148.
Den Transport in die 28 Offizierslager (Oflags) und 69 Stammlager (Stalags), die in den 10 deutschen Wehrkreisen verteilt lagen, traten zunächst rund 1.580.000 französische Kriegsgefangene an, was einem Anteil von 10% der männlichen erwachsenen Franzosen zu dieser Zeit entsprach und die Produktion in Landwirtschaft und Industrie Frankreichs nachhaltig beeinträchtigte. Von den Stalags aus wurden 95% der Kriegsgefangenen meist unverzüglich in ca. 82.000 Arbeitskommandos unterschiedlicher Größe in Industrie, Landwirtschaft und Handwerk verteilt, die oft über eigene Lager verfügten, oder in sogenannten Bau- und Arbeitsbataillonen mit wechselnden Einsatzorten eingeteilt.8
In Luckenwalde, südlich von Berlin, befand sich das Stammlager STALAG III A, das wohl größte seiner Art im damaligen Wehrkreis III. Im Sommer 1940 kamen die ersten 40.000 französischen Kriegsgefangenen in das Lager. Die französischen Häftlinge bildeten dort bis zum Kriegsende die größte Kriegsgefangenengruppe. Im Stalag III A befand sich auch eine Dienststelle des Arbeitsamtes, an welche sich „Arbeitgeber“ direkt wenden konnten. Denn in Brandenburg mussten die Arbeitsplätze von den zwischen 1939 und 1946 410.000 Männern besetzt werden, die an der Front oder andernorts eingesetzt waren.9
So verwundert es nicht, wenn sich am 14. April 1941 4.185 Häftlinge im Lager befanden, während die Arbeitskommandos außerhalb des Lagers 35.472 Häftlinge zählten. Folgt man der Auflistung des Archives des Victimes des Conflits Contemporains (DAVCC) in Caen, so ist allein in Brandenburg, ausgehend vom Stalag III A, von über 700 französischen Arbeitskommandos auszugehen. Manche von ihnen mit nur wenigen Gefangenen, andere dagegen mit mehreren hunderten.10
Insgesamt durchliefen 200.000 Kriegsgefangene aus 10 Nationen das Stalag III A. Das Lager wurde entsprechend der Vereinbarungen der Haager Landkriegsordnung und der Genfer Konvention geführt. Daher hatten die Kriegsgefangenen das Recht, Briefe zu schreiben und an ihre Familien zu senden sowie das Recht, Hilfspakete zu erhalten. Dies wurde vom internationalen Komitee des Roten Kreuzes überwacht. Die sowjetischen Gefangenen hatten jedoch keinen Anspruch auf diese Rechte und auf gute Behandlung, da die Sowjetunion, so die zynische Erklärung der deutschen Führung, diese Verträge nicht alle unterschrieben hatte und die Wehrmachtsführung daher die Anerkennung der sowjetischen Soldaten als reguläre Kriegsgefangene verweigerte.11 So erklärt sich auch, dass während einer großen Typhus-Epidemie zwischen dem 11. Februar und 16. März 1942 besonders viele sowjetische Opfer zu beklagen waren.