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Zunächst sieht es für die Münchner Kripobeamten Gregor Klar und Wolfgang Loiperdinger nach Selbsttötung aus. Der Unternehmer Friedrich Kuhlmann liegt leblos im Betonbecken seiner Aquakulturanlage. Die polizeilichen Routinebefragungen beginnen in der Mehrgenerationenfamilie des Toten. Kurz darauf stirbt nach dem Verzehr eines Kokain vergifteten Steinbutts, die Freundin eines FC Bayern-Stars. Und plötzlich überschlagen sich die Ereignisse in der an dem Fischzuchtbetrieb beteiligten Versicherung.
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Seitenzahl: 217
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Ich beschäftige mich seit mehr als drei Jahrzehnten mit Süß– und Meerwasseraquaristik. Unterwasserwelten offenbaren atemberaubende Naturschauspiele. Mich fasziniert fast alles, was es als Taucher in fließenden Gewässern, Meeren oder Seen zu entdecken gibt.
Im Jahr 2000 beriet ich den innovativsten deutschen Hersteller von Aquakulturanlagen betriebswirtschaftlich. Schritt für Schritt entwickelte sich aus einer ersten Idee der Plot. Weiterführende themenspezifische Recherchen folgten. Nun ist das Werk vollbracht.
Ein Buch lässt sich nicht ohne Unterstützung erstellen und vermarkten.
Karin Reheis konzipierte das Cover, Nadine Senger lektorierte und Sven Kretzer setzte den Text. Sandra Johnson organisierte die Zusammenarbeit mit dem Verlag. Ich danke den vieren für kreative Ideen und professionelle Arbeit.
Möge Futterneid vielen Lesern Spaß bereiten und Spannung erzeugen.
Rüdiger Frischmuth, München/ Havanna im Dezember 2016
München, Tal, 10. Oktober 2015, 17:00 Uhr
München, Südliche Aufahrtsallee, 11. Oktober 2015, 14:00 Uhr
Karlsfeld, Fischzuchtbetrieb „Aquakult“, 12. Oktober 2015, 19:15 Uhr
Karlsfeld, Fischzuchtbetrieb „Aquakult“, 13. Oktober 2015, 8:30 Uhr
Karlsfeld, Wohnhaus neben „Aquakult“, 13. Oktober 2015, 10:15 Uhr
Karlsfeld, Fischzuchtbetrieb „Aquakult“, 13. Oktober 2015, 12:15 Uhr
Englischer Garten, Unterföhring, 14. Oktober 2015, 11:25 Uhr
München, Lerchenauer See, 14. Oktober 2015, 16:15 Uhr
Karlsfeld, Fischzuchtbetrieb „Aquakult“, 14. Oktober 2015, 21:15 Uhr
Karlsfeld, Fischzuchtbetrieb „Aquakult“, 15. Oktober 2015, 7:10 Uhr
Karlsfeld, Fischzuchtbetrieb „Aquakult“, 15. Oktober 2015, 9:10 Uhr
Hallbergmoos, Franz-Josef-Strauß–Flughafen, 15. Oktober 2015, 9:55 Uhr
München, Barer Straße, 15. Oktober 2015, 22:10 Uhr
Karlsfeld, Fischzuchtbetrieb „Aquakult“, 16. Oktober 2015, 11:25 Uhr
Karlsfeld, Fischzuchtbetrieb „Aquakult“, 16. Oktober 2015, 11:50 Uhr
München Maxvorstadt, „Accurata–Versicherung“, 16. Oktober 2015, 12:25 Uhr
München, „Ristofisch“, 16. Oktober 2015, 12:40 Uhr
München Maxvorstadt, „Accurata–Versicherung“, 16. Oktober 2015, 13:00 Uhr
Karlsfeld, Fischzuchtbetrieb „Aquakult“, 16. Oktober 2015, 14:30 Uhr
Autofahrt Karlsfeld–München, 16. Oktober 2015, 15:40 Uhr
München, Maxburgstraße, 19. Oktober 2015, 8:00 Uhr
Karlsfeld, Fischzuchtbetrieb „Aquakult“, 19. Oktober 2015, 9:00 Uhr
München, „Ristofisch“, 19. Oktober 2015, 9:25 Uhr
München, Tal, 19. Oktober 2015, 15:00 Uhr
Karlsfeld, Fischzuchtbetrieb „Aquakult“, 19. Oktober 2015, 16:00 Uhr
Karlsfeld, Wohnhaus neben „Aquakult“, 19. Oktober 2015, 17:30 Uhr
München, Maxburgstraße, 19. Oktober 2015, 18:30 Uhr
München, Sendlinger Straße, 19. Oktober 2015, 19:00 Uhr
München–Sendling, Aberlestraße 19. Oktober 2015, 21:20 Uhr
Karlsfeld, Wohnhaus neben „Aquakult “, 20. Oktober 2015, 9:30 Uhr
Wolfratshausen, „Schäftlarner Hof “, 20. Oktober 2015, 18:30 Uhr
München, Nussbaumklinik, gerichtsmedizinisches Institut, Oktober 2015, 19:00 Uhr
München, Großmarkthalle, 21. Oktober 2015, 12:30 Uhr
München, Klinikum Rechts der Isar, 21. Oktober 2015, 19:45 Uhr
Karlsfeld, Fischzuchtbetrieb „Aquakult“, 21. Oktober 2015, 23:10 Uhr
München, „Accurata“–Zentrale, 22. Oktober 2015, 12:30 Uhr
München, „Accurata“–Zentrale, 22. Oktober 2015, 13:15 Uhr
München, „Ristofisch“, 23. Oktober 2015, 11:40 Uhr
München, „Danesi Café“, 23. Oktober 2015, 15:50 Uhr
München, Aberlestraße, 26. Oktober 2015, 17:00 Uhr
München, Maxburgstraße, 27. Oktober 2015, 9:00 Uhr
München, Südliche Aufahrtsallee, 27. Oktober 2015, 17:30 Uhr
Karlsfeld, Wohnhaus neben „Aquakult “, 28. Oktober 2015, 10:10 Uhr
München, Großmarkthalle, 28. Oktober 2015, 12:30 Uhr
München, Maxburgstraße, 28. Oktober 2015, 15:45 Uhr
Wolfratshausen, „Schäftlarner Hof “, 28. Oktober 2015, 21:20 Uhr
Karlsfeld, Fischzuchtbetrieb „Aquakult“, 29. Oktober 2015, 10:20 Uhr
München, Großmarkthalle, 30. Oktober 2015, 11:30 Uhr
München, „Ristofisch“, 30. Oktober 2015, 19:30 Uhr
München, Maxburgstraße, 31. Oktober 2015, 15:00 Uhr
München, Thierschstraße, 01. November 2015, 16:00 Uhr
München, Pettenkofer Straße, 02. November 2015, 14:00 Uhr
Berlin, Schloss Bellevue, 24. November 2015, 09:00 Uhr
Gregor Klars durchtrainierter Oberkörper drehte zur Seite.
Kraftvoll drückte er mit der Schulter die massive Eichentür ins Ladeninnere. Keinesfalls sollte seine vor wenigen Minuten penibel gereinigte Hand mit Myriaden gefährlicher Viren auf der Klinke aus Messing in Kontakt kommen. Im Kommissariat ahnte gottlob niemand von der Bakterienphobie des Polizisten.
Schwungvoll betrat er das älteste Zigarrengeschäft der bayerischen Landeshauptstadt. Eine Wolke herben Tabakgeruchs schlug ihm entgegen. Seine Lungenflügel sogen mit Rauchschwaden geschwängerte Luft ein.
Drei Dutzend Spots strahlte Feuerzeuge, Edelpfeifen und Aschenbecher an. Schreiner hatten eichene Ladentische und deckenhohe, Mahagoni hölzerne Apothekerschränke verbaut. In dutzenden Schubkästen warteten Tabakdosen, Zündsteine und Pfeifenbürsten geduldig auf Kundschaft.
Zita schüttelte Wasserreste vom einstündigen Isarspaziergang aus dem Fell. Die elfjährige Hündin zerrte Herrchen zur bekannten Futterquelle. Schwanzwedelnd erhoffte sich der Rhodesian Ridgeback Leckereien.
Mit zusammengekniffenen Augen glotzte der hochgewachsene, weißhaarige Geschäftsführer den bettelnden Vierbeiner an. Nasses Tierkurzfell schien ihm zu missfallen. Grußlos hechtete er Richtung Ladeninneres. Kurz vor dem Kühlraum prallte der Mittfünfziger beinahe mit einer Kollegin zusammen. Mit zusammengekniffenen Lippen murmelte er eine knappe Entschuldigung.
Hochgereckten Kopfes schritt die sechzigjährige, blondierte Verkäuferin mit der Ausstrahlung einer abgetakelten Filmdiva die Treppe hinab. Herablassend musterte sie den Stammkunden, ein schmallippiges Lächeln andeutend.
„Mein Lieblingshund besucht uns, Frau Schröter. Ich grüße Sie.“
„Guten Abend.“
„Unser Hauptkommissar gibt sich wieder mal die Ehre. Was für eine Überraschung. Wie kommen wir denn dazu?“
Gregor Klar lachte übers ganze Gesicht. Seine braungrünen Augen funkelten. Eine zweite Angestellte hatte sich von ihm unbemerkt hinter der Theke zu schaffen gemacht.
Die mit grauem Faltenrock, weißer Bluse und Flachschuhen bekleidete Rheinländerin jauchzte. Ihre teigige Haut wies sie als das Leben in vollen Zügen genießenden oder kranken Menschen aus.
Der Beamte roch Alkohol.
„Vorweg bekommt die Hündin was zu futtern, danach das Herrchen Rauchware. Gott sei Dank hat sich unser Miesepeter nach hinten verkrochen. Ich gebe Ihnen nachher ‘nen Gratisstumpen aus unserm Hausdeputat mit“, flüsterte die Rheinländerin, dem Polizisten verschwörerisch zuzwinkernd.
Zitas Speichel tropfte in langen Fäden auf den Teppichboden. In Sekundenbruchteilen verschlang die Hündin den Trockenwurstzipfel.
„Eine Epicure von Hoyo de Monterrey und drei Coronas hätte ich gern. Die teure bitte anbohren. Und Streichhölzer bräuchte ich, aber lange.“
„Lass dich mal richtig knuddeln, mein Lieber. Hab ich’s doch gewusst, dass ich dich hier treffe. Und unsere Kleine ist auch dabei.“
Diese schrille Stimme war ihm geläufig. Der Hauptkommissar wandte sich um. Seine geweiteten Pupillen glänzten. Ungelenk beugte sich der ein Meter achtundachtzig große Polizeibeamte über die dreißig Zentimeter kleinere Vertraute.
Anna Wolff umarmte den Freund. Die graublauen Augen der Siebenundsiebzigjährigen leuchteten. Zärtlich streichelte sie der greisen Hündin über Kopf und Nacken.
Zita grunzte, den feuchten Körper am Frauenbein reibend.
Die Seniorin lehnte ihren geneigten Kopf auf den Arm des Vertrauten.
Augenblicklich lag Gregor Klars Stirn in Falten. Intime Sekundenszenen beendete er unverzüglich. Körperliche Nähe war nicht sein Ding. Sanft schob der Wahlmünchner die Rentnerin zur Theke. Im nächsten Moment zeigte er auf den unter Glas liegenden rot–goldenen DuPont–Anzünder.
„Siehst du dieses Feuerzeug? Das für sechshundertfünfundachtzig Euro soll’s sein“, wisperte er, sich scheu wie ein auf frischer Tat beim Lutscherklauen ertappter kleiner Junge umschauend.
„Ausgezeichnete Wahl, der Herr. Glückwunsch. Ich hingegen präferiere die männlichere Dunhill. Mein Favoritenmodell ist ein Tick hochpreisiger. Doch beide diese handgefertigten Stücke sind mit Doppelfeuerstrahl ausgestattet. Perfekt, um Zigarren anzuzünden.”
Es hatte den Anschein, dass die audiophilen Eigenschaften des grauhäutigen Ladenbetreibers ausgezeichnet waren. Kokett schwang er die Hüften. Seine Backen schimmerten in Erwartung eines Umsatzsprungs.
Einen Moment später lagen beide Designerteile aus Chrom auf der Ladentheke.
Gregor Klar nahm das DuPont–Feuerzeug in die Hand und schätzte sein Gewicht. Die Augen des Kriminalbeamten strahlten.
„Ich schenk dir das edle Stück zu Weihnachten. Nimm es kurzerhand mit. Wäre doch schade, falls es morgen nicht mehr zu kaufen ist“, raunte ihm Anna Wolff ins Ohr.
„Grüß Gott. Verkaufen Sie Zigaretten?“
Eine Baritonstimme kündigte neue Kundschaft an.
Sofort, nachdem der Mann den Laden betreten hatte, kreuzten sich dessen Blicke mit denen des Hauptkommissars.
Der gertenschlanke Südländer hielt die Schultern linkisch nach oben und checkte den Raum wie ein Beute witternder hungriger Puma ab.
Gregor Klar fühlte sich an eine Rollfeldszene aus „Casablanca“ mit dem in einem übergroßen Trenchcoat versunkenen Humphrey Bogart erinnert. Leise kicherte er vor sich hin.
Im nächsten Moment stutzte der Polizist. Eine derartige Schnelligkeit hatte er diesem abgebrochenen Riesen nicht zugetraut. Im Nu stand der Mann, frech den Zigarrenverkäufer anglotzend, neben ihm. Der Kripobeamte schätzte den Mann auf sechzig. Dessen frischer Teint überraschte. So ein Kerl konnte unmöglich Zigarettenraucher sein.
Teiggesicht rollte vor die Theke. Mit einer Hand stützte sich die Rheinländerin keuchend auf die Glasplatte.
„Das ist doch dieser Kerl aus der Presse, Frau Kuzzera. Über dem sein Skandalrestaurant berichtet die Abendzeitung seit Wochen, Tag für Tag. Fiori oder so ähnlich heißt der. Was sagen Sie zu meinem Gedächtnis? Phänomenal, oder?“
Die laut gesprochenen Sätze der Endfünfzigerin surrten wie Pistolenkugeln durch den Verkaufsraum.
Offenen Mundes gaffte Anna Wolff den Kunden an. Ihre braune Kunstlederhandtasche landete plumpsend auf dem Teppichboden. Der Hauptkommissar grinste und legte das Feuerzeug auf ein die Glasplatte schützendes Filzstück. Gregor Klars Lieblingsverkäuferin war immer für Überraschungen gut.
Bariton schlug den Mantelkragen hoch. Sein Kopf schien in den Rumpf wandern zu wollen. Wortlos mit nach unten gesenktem Haupt schlich der Mittsechziger zum Ausgang. Hunderte Schweißperlen leuchteten auf seiner Stirn. Sekundenschnell stieg Röte den Südländerhals hinauf.
„Wo denken Sie hin? Bedenken Sie, dass Sie einen Fuß in das Pfeifengeschäft Nummer eins in der Landeshauptstadt, vermutlich in ganz Bayern, setzen durften. Wie können Sie nur unser stolzes Traditionshaus mit einem einfachen Kiosk vergleichen, das neben Krimskrams profane Glimmstängel vertreiben muss, um über die Runden zu kommen?“
Den Kunden erreichten die laut gerufenen Geschäftsführersätze nicht mehr. Die massive Tür hatte sich hinter ihm geschlossen. Schallschutzfenster hielten die Worte im Laden zurück.
Im Zeitlupentempo wischte Reinhold Grashuber Tabakreste von der Tischplatte, bevor er sich tänzelnd umdrehte. Stirnrunzelnd starrte er seine Mitarbeiterin an.
„Nun zu Ihnen, Frau Schröter. Ihr Kommentar ist entschieden zu weit gegangen. Hier wird nicht vor Kunden geklatscht. Kommen Sie nach Ladenschluss in mein Büro. Dort reden wir weiter“, zischte er.
„Abgemacht. Ich nehme das rotgoldene. Packen Sie’s bitte in die Originalschachtel. Wie lange gibt’s auf so ein Schmuckstück Garantie?“
„Das entscheidet der Premiumhersteller. Wir dokumentieren nur den Verkaufszeitpunkt auf dem Zertifikat und setzen unseren Stempel drunter. Bei diesem Prachtexemplar unterschreibe ich für vierundzwanzig Monate.“
Anna Wolff zahlte bar.
Drei Minuten später verließ Klar in Begleitung seiner Freundin den Laden. Zita trottete gesenkten Hauptes an der Leine hinterher. Ihre Futterquelle war versiegt.
Es hatte zu regnen aufgehört. Das Paar zuckelte Richtung Marienplatz. Die bleiche Rentnerin japste.
„Dem Herrn sei Dank! Wir sind unversehrt dieser Raucherbude entkommen. In meinem Brustkorb kratzt es seit zwanzig Minuten.“
„Tabakgestank ist nicht jedermanns Sache. Vielen Dank fürs Geschenk. Echt lieb von dir. Und jetzt muss ich dir was gestehen.“
Der Hauptkommissar hatte die Stimme gesenkt.
Anna Wolffs Backen leuchteten wie heiße, kandierte Granatäpfel auf dem Nürnberger Christkindlmarkt. Sie schien vor Neugierde zu platzen.
„Ich mach’s kurz. Dein ehrenamtliches Engagement ist vorbildlich. Seit vierzig Jahren rackerst du dich unentgeltlich bei Kolping, in der Altenbetreuung und fürs Schwabinger Hospiz ab. So was schreit nach offizieller Anerkennung. Ich hab dich vor ‘ner Woche fürs Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen. Beim Seehofer. Da staunst du, was?“
Wie angewurzelt blieb die Siebenundsiebzigjährige stehen. Im nächsten Moment fuhren ihre Hände über glühende Wangen.
„Ich ruf aufm Heimweg Marga, Hans, Anneliese, Hannelore, Irmi und Dieter an. Die werden Bauklötze staunen. Morgen beichte ich’s unserm Pfarrer. Was denkst du, wird mein Rainer sagen?“
Der Hauptkommissar verdrehte die Augen. Ihm war unbegreiflich, warum sich Anna Wolff immerfort mitteilen musste. Gregor Klar misstraute Menschen. Der Wahlmünchner war oft von neidischen Bekannten enttäuscht worden, nachdem er tiefere Einblicke ins eigene Seelenleben gewährt hatte.
Vor drei Jahren hatte der Autofreak seine damalige Lebensabschnittsgefährtin und sich zur Mille Miglia angemeldet. Das Paar plante, die historische Autostrecke mit einem antiken Volvo Coupé abzufahren. Stolz präsentierte der Oldtimerfan Kumpels die Fahrerlaubnis und schwärmte von anmutigen Landschaften Norditaliens. Ein anonymer Informant petzte dem Veranstalter, wann das Auto zugelassen worden war. Obwohl Klar anhand des KFZ–Briefs nachwies, dass der Volvo 1957 gebaut worden war und ein Jahr später zum ersten Mal auf der Straße fuhr, pochten die Italiener auf ihre Statuten und verweigertem ihm die Tourenlizenz. Eine Woche später erkundigte sich ein Spezi, ob die Konzession bewilligt worden war.
Nach dieser schmerzhaften Erfahrung vertraute er nur langjährigen Freunden an, was ihn bewegte. Ab und an charakterisierten ihn Vertraute als mundfaulen Skeptiker.
„Du bist und bleibst einfach mein liebster Schatz. Lass dich ganz feste drücken. Wollen wir ein Hendl im Lindwurmstüberl essen? Fühl dich eingeladen.“
„Knusprige Grillgockel verputze ich zwar für mein Leben gern, doch heute klappt’s leider nicht. Meine neue Flamme rechnet fest mit mir. Du kannst deinem Ordensbeschaffer allerdings einen anderen Wunsch erfüllen. Ich möchte dabei sein, wenn meine Seelenverwandte diese rote Schleife vom Bundespräsidenten im Schloss Bellevue verliehen bekommt. Nimm mich mit nach Berlin.“
Die betagte Frau nickte schmunzelnd.
Das ungleiche Paar schlenderte Arm in Arm Richtung Marienplatz. Es begann zu tröpfeln.
Klar hatte die Begegnung mit dem Restaurantbetreiber längst verdrängt. Plötzlich hörte er wenige Schritte hinter sich einen Mann seinen Nachnamen laut rufen.
Reinhold Grashubers Atem rasselte wie ein unrund laufender Küchenmixer in der niedrigsten Geschwindigkeitsstufe. Seine graue Gesichtshaut wirkte pulvertrocken. Erschöpft stützte er beide Hände auf die Knie.
„Haben Sie mein Dunhill eingepackt? Möglicherweise aus Versehen. Das Luxusteil fehlt!“, presste er hervor.
„Wie kommen Sie denn darauf? Ich arbeite bei der Kripo. Anna hat bar bezahlt und ihre eingeschüchterte Frau Schröter das DuPont eingepackt. Danach sind wir unverzüglich aus Ihrem Geschäft raus.“
„Dann hat dieser Restauranttyp geklaut. Unser teuerstes Feuerzeug geht uns seit zehn Minuten ab.“
„Das kann ich mir nicht vorstellen. Wieso sollte ein gestandener Mann ein Risiko eingehen, des Diebstahls überführt zu werden? Andererseits, heutzutage ist alles möglich. Erstatten Sie Anzeige auf der Wache in der Hochbrückenstraße. Die liegt um die Ecke. Meine Kollegen werden sorgfältig ermitteln.“
Für einen Moment kam es dem Kripomann vor, als würden sie von der gegenüberliegenden Straßenseite beobachtet. Er kehrte seiner Begleitung den Rücken und konnte einen Blick auf den wegspurtenden Südländer erhaschen. Trenchcoat verschwand nach einem energischen Sprung in der Böhmler–Passage.
Klar schoss durch den Kopf, umgehend die Verfolgung des Mannes aufzunehmen. Der bittende Gesichtsausdruck Anna Wolffs überzeugte ihn, davon abzulassen. Sie drängte nach Hause und zog vehement an seinem Ärmel Richtung Marienplatz.
Nur für einen Augenblick beschlich den Beamten ein schlechtes Gewissen, gegen sein Berufsethos gehandelt zu haben. Immerhin hatte er dem Pfeifengeschäftsinhaber den Gang auf die Polizeistation empfohlen. Bei nächster Gelegenheit würde er auf der Wache nachfragen, was aus dem vermutlichen Ladendiebstahl geworden war.
Die in erster Reihe des Nymphenburger Kanals gelegene blassgelb gestrichene Villa war charakteristisch für diese feine Wohngegend im Münchner Westen. Von Schnitzintarsien eingerahmte Holzfenster dominierten die Fassade des imposanten dreigeschossigen Jugendstilbaus.
Angelika Kuhlmann trottete mit hängenden Schultern dem beeindruckenden Haus entgegen. Niemals würde sie ein Domizil dieser Güte zu bewohnen. Das war ungerecht.
Die Assekuranzangestellte neidete Mitmenschen, die mehr Geld als sie zusammengerafft hatten oder ein erfülltes Leben führten, wirtschaftlichen Erfolg und Glück. Tagaus, tagein verglich sie sich mit Freundinnen, die regelmäßig besser abschnitten. Alle Frauen im engen Umfeld waren attraktiv, führten harmonische Ehen und prahlten ungefragt über befriedigenden Sex. Ihre treuen Ehemänner hatten sie bis zum Lebensende materiell abgesichert.
Bei der nächsten Bundestagswahl würde die Wahlmünchnerin ihr Kreuz sicher bei den Linken machen. Diesen festen Beschluss hatte sie letzte Woche gefasst. Einen tiefen Seufzer ausstoßend spähte sie zur Villa.
Früher waren im unteren Gebäudeteil Günther Mosbachers Praxisräumlichkeiten untergebracht. Die Besucherin beschritt zögernd das weitläufige Grundstück durchs schmiedeeiserne Tor.
Ihr Blick streifte das gepflegte Anwesen. Gärtner hatten über alle frostempfindlichen Sträucher und Pflanzen Baumwollvlies gestülpt und unterhalb der Kronen mit Hanf abgebunden. Tannenreisig bedeckte die Gemüsebeete.
Angelika Kuhlmann fröstelte. 2005 hatte die Versicherungsmitarbeiterin mit einem Psychotherapeuten Maßnahmen erarbeitet, um aufkommende innere Unruhe zu bezwingen. Die ehemalige Leistungssportlerin entspannte, sobald sie sich körperlich ertüchtigte. Eine winzige Übung genügte.
Elegant bewegte sie sich dreimal um die eigene Achse. Auf der Stelle spürte die Fünfzigjährige Energie in den Körper zurückströmen. Mit geschlossenen Augen träumte sie von einem süß duftenden Blumenmeer. Vor ihren Augen erschien ein Meer blühender Rosen, Lilien und Tulpen. Für einen Moment verschwand der am Innersten nagende Neid.
Günther Mosbachers leiser Willkommensgruß holte die Besucherin in die Gegenwart zurück.
Angelika Kuhlmann fiel sofort die bei dem pensionierten Allgemeinmediziner eingehakte, dürre Frau auf. Die Arztgattin stützte ihren Gefährten. Beide durften um die achtzig sein.
Die Versicherungsangestellte taxierte die mit schwarzer Hose und braunem Pullover bekleidete Dame auf ein Meter fünfundsechzig.
Ihr Ehegatte war ähnlich groß. Glatze wie gebückte Körperhaltung ließen ihn wenige Zentimeter kleiner als seine Partnerin erscheinen.
Das Paar wirkte vertraut miteinander. Ein Schmunzeln umspielte den Mund der Besucherin. Die seit über vierzig Jahren Verheirateten ähnelten ihren Eltern.
Langsam winkte der pensionierte Mediziner seiner Frau. Die beiden schlichen im Zeitlupentempo Arm in Arm dem Haus entgegen.
Angelika Kuhlmann folgte wie eine auf Samtpfoten schleichende Hauskatze. Diesen Seelengleichklang sehnte sie sich seit Jahren für ihre Ehe herbei.
Günther Mosbacher stierte geisteswesend auf den steinernen Flurboden. Die Knie des pensionierten Allgemeinmediziners schlotterten. Aus wässrigen Augen blickte der Greis seine Gattin an.
„Früher besaß ich die Energie dreier Ärzte. Ich hätte zwanzig Stunden arbeiten können. Doch seit einigen Jahren schwinden meine Kräfte. Ohne Gerti würde ich an den Widrigkeiten des Alltaglebens scheitern.“
„Die männliche Spezies ist grundsätzlich wehleidig. Mein Mann jammert pausenlos. Nehmen Sie bitte Platz.“
Die drei setzten sich an den Wohnzimmertisch. Kurz zuvor hatte Angelika Kuhlmann einen Blick durch die Küchenluke auf den ausgewachsenen Steinbutt erhaschen können. Der neben dem Tier liegende silberne Plastikring als Zertifikat ökologisch normgerechter Zucht wies den geschlachteten Fisch eindeutig als Kaltblüter aus dem Betrieb ihres Mannes aus.
Die Aktuarin runzelte die Stirn. Ihr Gatte hatte über einen Kunden Mosbacher nie ein Wort verloren.
„Kürzlich genossen meine Frau und ich eine dreiwöchige Sommerrundreise im Land der aufgehenden Sonne. Wir wanderten an Shanghais Kai, bestaunten Xians Terrakottaarmee, spazierten auf der Chinesischen Mauer und besichtigten den Pekinger Kaiserpalast. Drei Tassen dieses köstlich aromatischen Tranks aus Fernost täglich wirken belebend. Möchten Sie probieren?“
„Nein danke. Sehr höflich von Ihnen. Koffein oder Tein machen mich nervös. Ein Tässchen reicht, und schon werde ich unruhig. Doch Sie wollen bestimmt wissen, warum ich hier bin. Mich beschäftigt der Tod meines Schwiegervaters. Das habe ich am Telefon angedeutet.“
„Hans Kuhlmann?“
„Richtig.“
„Sein tragischer Unfall ereignete sich nach meiner Pensionierung. Lassen Sie mich nachdenken. Das dürfte Anfang 2008 gewesen sein. Die Lebenspartnerin des Toten rief vollkommen aufgelöst an und flehte mich an, schleunigst zum Haus zu eilen. Dazu müssen Sie wissen, dass ich jahrelang alle Familienmitglieder behandelte. Korrekterweise hätte mein Nachfolger die Leiche obduzieren müssen.“
Listig schaute Günther Mosbacher den Gast an. Der pensionierte Allgemeinmediziner nippte an der Teetasse.
Angelika Kuhlmann räusperte sich.
„Das Unglück ist zwei Jahre nach Ihrem Berufsausstieg geschehen. Mein Schwiegervater kam am 24. Januar 2008 ums Leben.“
„Er stürzte morgens die Stiege runter. Tragische Haushaltstode sind in dieser letzten Lebensphase nicht unüblich. Den Patienten malträtierte eine chronische Morbus Menière. Tückische Innenohrkrankheiten führen im schlimmsten Fall zu stundenlangen Schwindelanfällen. Dazu gesellen sich Tinnitus und Hörverlust. Ich stellte den Totenschein aus und unterzeichnete ihn. Das Dokument ist in der Patientenakte Hans Kuhlmanns abgeheftet. Sie finden die Unterlage in den Praxisräumen meines Kollegen. Die Adresse lautet Romanplatz 3. Doktor Müller ist kompetent und arbeitet sorgsam. Warum haben Sie mich aufgesucht?“
Seine Frage hatte die Versicherungsangestellte vorhergesehen.
Der gewiefte Arzt erwartete eine plausible Antwort.
Günther Mosbacher war im Bilde. Die körperliche Tatterigkeit des Allgemeinmediziners sagte nichts über seinen Geisteszustand aus. Der alte Mann erinnerte sich an jahrelang zurückliegende Details und formulierte sämtliche Sätze in druckreifem Deutsch.
Angelika Kuhlmann richtete die Augen auf die den Terrassenblick versperrende mächtige Stechpalme. Sie musste sich konzentrieren. Ihre nächsten Sätze würden den Fortlauf des Gesprächs und sein Ergebnis bestimmen.
„Ich möchte mir von einem geschätzten Experten die Todesursache meines Schwiegervaters bestätigen lassen. Wir lassen gerade unser Wohngebäude renovieren. Treppensteigen ist tückisch. Doktor Müller hat bei meinem Gatten dieselbe Krankheit diagnostiziert wie Sie bei seinem Vater. Ich hab’s mir zur Aufgabe gemacht, einen weiteren Hausunfall mit tödlichem Ausgang zu vermeiden. Der Stiegenumbau wird beendet sein, wenn meine Schwiegermutter aus den Ferien zurück ist. Sie bricht in vierzehn Tagen mit ihrer Busenfreundin zu drei Wochen Winterurlaub auf. Bitte verlieren Sie kein Sterbenswörtchen über meinen Besuch. Versprechen Sie mir das?“
„Ehrensache. Ärzte unterliegen der Schweigepflicht. Der Tote lag mit zwei drei mal vier Zentimeter messenden Hämatomen am Hinterkopf auf dem Rücken. Hans Kuhlmann starb durch Genickbruch. Er stürzte eine enge, steile Treppe herab.“
„Ist mein Schwiegervater hundertprozentig sicher infolge dieses verhängnisvollen Sturzes umgekommen? Oder wäre es theoretisch auch vorstellbar, dass er vorsätzlich die Stufen runtergestoßen wurde?“
Angelika Kuhlmann hielt die Luft an. Gespannt schaute sie den Hausherrn an.
Die Augen des Greises mutierten zu Schlitzen. Mit offenem Mund musterte er die Besucherin.
Seit Unterhaltungsbeginn hatte sich Günther Mosbachers Gattin am Herd zu schaffen gemacht. Aus den Augenwinkeln konnte Angelika Kuhlmann während des Gesprächs durch die Durchreiche beobachten, wie die alte Frau geschäftig eine kalte Platte zubereitete. Plötzlich vernahm sie aus der Küche lediglich den summenden Geschirrspüler.
„Was bezwecken Sie mit dieser unverschämten Frage? Ich missbillige Ihren Verhörstil. Hören Sie auf zu fragen. Der Ärmste lag verdreht auf dem Bauch. Meinen Patienten plagten Koordinationsprobleme. Ich hätte bei begründeter Skepsis an einem Unfalltod ohne Fremdeinwirkung selbstverständlich vorschriftsgemäß Notarzt und Polizei eingeschaltet. Misstrauen Sie meiner mehr als drei Jahrzehnte langen Berufserfahrung? Ich schwor den hippokratischen Eid.“
Angelika Kuhlmanns Schläfen pochten. Mehrere Hitzewellen durchfluteten ihren Körper. Trotzdem freute sie sich diebisch. Günther Mosbacher hatte gereizt reagiert. Vermutlich war der Mediziner beleidigt oder fühlte sich in seiner Berufsehre verletzt. Eine Frage stand noch aus.
„Wer entdeckte die Leiche?“
„Seine Gattin. Das hatte ich bereits erwähnt. Zehn Minuten nach ihrem Anruf war ich zur Stelle. Sie haben genug provoziert. Kommen Sie. Es reicht. Ich begleite meine Gäste immer zur Tür.“
Die Besucherin hüstelte. Sie hatte genug erfahren.
Ihr Schwiegervater war vor sechseinhalb Jahren ums Leben gekommen. Der lange mit der Familie vertraute, pensionierte Hausarzt diagnostizierte Genickbruch sowie schwere Blutergüsse. Drei Monate nach Ausstellung des Erbscheins verfügte Kuhlmanns Witwe über ein Grundstücksvermögen von fünfzehn Millionen Euro.
Das Gartenzaunschloss schnappte ein. Ohne sich von der Besucherin verabschiedet zu haben, schlurfte der alte Mann in sein Haus.
Ein westwärts fliegender Schwarm Schwäne setzte mit weiten Schwüngen zur Landung im Nymphenburger Schlosspark an.
Die Versicherungsangestellte zog den Mantelgürtel enger.
Sie hatte Günther Mosbacher emotional zugesetzt. Zusammengekniffene Lippen, verschränkte Arme wie kalkweißes Gesicht deuteten an, dass dem Greis ihre Fragen nicht zu pass gekommen waren. Womöglich quälte den pensionierten Mediziner ein schlechtes Gewissen. Die Besucherin hatte ihn gekränkt.
Auf dem Heimweg würde sie überlegen, wer vom Ableben des ehemaligen Hausherrn profitiert hatte.
Am Tode ihres Schwiegervaters war etwas faul.
Friedrich Kuhlmann schielte zur Betondecke.
Fluter verbreiteten weißblaue Neonhelligkeit. Tausende Kubikmeter temperiertes Wasser blubberten in zehn randvoll gefüllten rechteckigen Hartkunststoffbecken. Umwälzpumpen verursachten im fensterlosen Fabrikgebäude gleichmäßig sonore Geräusche. Unzählige Pfützen auf dem Betonboden waren von grauen Schaumkronen umrandet. Dampfschwaden stiegen auf.
Der drahtige Mittfünfziger trug unter einem graugrünen Ölanzug trotz herbstlich kühler Außentemperaturen lediglich ein T–Shirt.
Nahezu alle Mitarbeiter hatten sich in den Feierabend verabschiedet.
Der FC Bayern spielte ab 20:45 Uhr in der Allianzarena gegen Olympic Marseille. Die Roten standen unter Druck, in der Champions League Vorrunde mit vier Treffern Unterschied zu siegen. Ansonsten würde die Münchener Boulevardpresse den Trainerkopf fordern. Im Hinspiel zog der deutsche Rekordmeister mit drei Toren Differenz den Kürzeren. München trauerte seit vier Wochen.
Anton Streich und er mochten Fußball nicht. Trotzdem kam seinem besten Mann und ihm jedes Abendspiel des deutschen Rekordmeisters entgegen. Die Freunde genossen ihre Arbeit ohne störendes kollegiales Stimmengewirr.
Friedrich Kuhlmann umklammerte mit beiden Händen die oberste Leitersprosse und hielt inne. Ihn schwindelte. Anfang Juli hatte ihm der Hausarzt Höhenangst diagnostiziert. Die Knie des Unternehmers zitterten das eine oder andere Mal. Saisonal bedingter Stress ließ ihn dreimal ohnmächtig werden, als er Dachplatten austauschte. Jedes Mal fand ihn seine Frau regungslos liegend. Nach diesen Ausfällen stritt das Ehepaar wochenlang. Sie forderte, dass er sich durch Schlaufen schützen sollte, wann immer es Leitern hinaufzuklettern oder Hallen zu besteigen galt, um auf Dächern nach dem Rechten zu sehen.
Seine Gattin war mit Leib und Seele Assekuranzmathematikerin. Vertreter jener Berufsspezies beschäftigten sich arbeitstäglich mit Risiken, welche nie wie kalkuliert eintraten. Dem Fischzüchter fiel es schwer, die stets übertriebenen Bedenken seiner Lebenspartnerin nachzuvollziehen. Angelika sorgte sich grundlos.
Der Teichwirt wischte den Gedanken an die unerfreulichen Diskussionen weg und stieg im Schneckentempo herab. Unvermutet tanzten farbige Punkte vor seinen Augen. Konsterniert schaute Friedrich Kuhlmann nach unten.
Die Grundfläche des stabilen Behältnisses maß vier mal anderthalb Meter. Umwälzpumpen führten zwölftausend Litern Wasser permanent Sauerstoff zu. Ein am Beckenrand eingehängter Trommelfilter reinigte das Nass von Tierexkrementen. Unter der wogenden Oberfläche wuselte es schwarz wie grau. Hunderte Aale versuchten dem Gefängnis zu entkommen. Sie schwammen kreuz und quer, verhakten zu glitschigen Knäueln, und entflohen ihren Artgenossen, bis die Plastikwand sie stoppte.
Lauwarmes Wasser planschte aus dem Becken. Die Fischzüchter waren durch Ölschürze, Kunststoffhose sowie bis hinter die Ellenbogen reichenden olivgrünen Arbeitshandschuhen vor Nässe geschützt.
Mit knallrotem Kopf wuchtete der Vorarbeiter ein metallenes Gazegitter hoch. Jahrelanger Gerstensaftgenuss hatte Anton Streich eine rundliche Figur beschert. Dem glatzköpfigen Oberbayern nahm das nichts von seiner Lebenslust. Leise pfiff der Siebenundvierzigjährige die Anfangsmelodie von Gershwins Porgy and Bess vor sich hin.
„Ich hasse Wasser.“
„Teichwirte müssen mit Feuchtigkeit umgehen können. Ansonsten hätten sie ihren Beruf verfehlt.“
„Warum lässt du dich so leicht provozieren, Fritz? Ich habe gehofft, du bist heute gut gelaunt. Endlich können wir in der Klatschbude störungsfrei arbeiten.“
„Mir liegt diese verfluchte Restaurantgeschichte im Magen.“
„Meinst du die Vergiftung der Hochbergerin? Ist der tragische Vorfall wirklich durch unsere Fische verursacht worden? Zweifelsfrei meine ich.“
„Der Lebensmittelkontrolldienst analysiert seit Tagen das Gewebe der kontaminierten Steinbutte. Ich rechne kommende Woche mit finalen Ergebnissen. Im besten Fall bleibt ein Imageschaden. Vermutlich brummt mir die Behörde eine saftige Geldstrafe auf. Dieser vermaledeite Gasthofbetreiber schiebt uns die Schuld in die Schuhe. Fiori verklickert Kollegen und Wettbewerbern, wir würden miese Qualität liefern. Das ist Rufmord. Unser Umsatz ist im September im Vergleich zum Vorjahresmonat um dreißig Prozent eingeknickt. Bald läuft das Weihnachtsgeschäft an. Ein weiterer Erlösrückgang killt die Fischfarm. Meine Hausbank dreht den Geldhahn zu, wenn ich die Tilgungszahlungen aussetze.“
Die Stimme des Mittfünfzigers hatte in den letzten Minuten deutlich an Kraft eingebüßt, obwohl ihn nicht mehr schwindelte. Der Unternehmer strich übers Falten zerfurchte Gesicht.
Verschämt sah Friedrich Kuhlmann für einen Moment den Vorarbeiter an. Mit Entsetzen erinnerte er sich an seine Kindheit. Ihn fröstelte es entlang der Wirbelsäule.