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New Work. New Mindset. Future Skills. Die digitale Transformation etabliert völlig neue Mechanismen im Gesundheitswesen. Diese Entwicklung wirkt sich enorm auf die Anforderungen an Beschäftigte und Führungskräfte in der Branche aus. Für die Gesundheitswirtschaft ist das eine große Herausforderung, da sie im Spannungsfeld steht zwischen hohem Kostendruck und knappen wirtschaftlichen Ressourcen, der Notwendigkeit, Innovationen in die Gesundheitsversorgung zu bringen, dennoch das alte Kerngeschäft fortzuführen („Innovationsdilemma“) und gleichzeitig die erforderlichen neuen Kompetenzen aufzubauen. Ein professionelles Agieren in einer digitalisierten Welt erfordert erweiterte Fähigkeiten auf der personalen, sozialen und methodischen Ebene. Sei es die Kunst einer gelungenen Kommunikation, die Fähigkeit, Patientinnen und Patienten empathisch zu begegnen oder die Resilienz in einer VUCA-Welt – Future Skills sind im Zuge der digitalen Transformation unerlässlich. Neben einem grundlegenden Verständnis von Digitalisierung und einer unternehmerischen Einstellung in Bezug auf Chancen und Risiken im eigenen Arbeitskontext werden auch scheinbar verstaubte prädigitale Fähigkeiten wieder aufpoliert und in einen neuen digitalen Kontext gesetzt. Es lässt sich somit unterscheiden in: - Classic Skills: Je digitaler die Medizin in Zukunft wird, desto wichtiger werden klassische Werte, Fähigkeiten und Tugenden im Berufsleben sowie für gesellschaftliche Teilhabe. Hierzu gehören beispielsweise Empathie, Selbstreflexion oder Interkulturelle Kompetenz. Wer diese beherrscht, kann sich in neuen Situationen zurechtfinden und Probleme kreativ und nachhaltig lösen. Diese traditionellen Fähigkeiten werden in Zukunft noch wichtiger, denn Aufgaben- und Berufsprofile verändern sich aufgrund von Automatisierung und Digitalisierung rasant. - New Work Skills: Neue Ansätze der Zusammenarbeit sind unabdingbar für das Berufsleben der Zukunft. Wer sich hier Kompetenz aneignet, kann in einer immer stärker digital geprägten Welt kollaborativ und agil arbeiten sowie flexibel kritische Entscheidungen treffen. Hierzu gehören New Leadership, Unternehmerisches Denken und Digitale Ethik. Ob in der Pflege, Medizin oder im Management – ein neues Mindset ist wichtig: Fehlerkultur, Geschwindigkeit und Risikobereitschaft. - Digital Skills: Durch die Digitalisierung entstehen über alle Organisationen hinweg neue Berufsbilder und Aufgaben. Wer die hierfür notwendigen Fähigkeiten mitbringt, verfügt über neuestes (informations-)technologisches Fachwissen und kann es anwenden. Dabei geht es beispielsweise um Digitale Lernkompetenz, Data Literacy oder um Exponentielles Denken. Sie prägen häufig schon heute die Berufsprofile in Start-ups und im Smart Hospital. Das Praxisbuch will mit vielen Anekdoten, harten Fakten und Beispielen Inspiration geben für Ärztinnen und Ärzte, Führungskräfte sowie Gründerinnen und Gründer im Gesundheitswesen. Es geht um einen Paradigmen- und Kulturwechsel – hin zu Technik und Humanitas.
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Seitenzahl: 357
Veröffentlichungsjahr: 2021
David Matusiewicz | Jochen A. Werner (Hrsg.)
Future Skills in Medizin und Gesundheit
Kompetenzen. Stärken. Menschen.
Mit einem Geleitwort von Martin C. Hirsch
mit Beiträgen von
C. Alt | C. von Au | M. Bartzik | R.E. Becker | M. Bittroff | A. Cloots | A. Diehl | S. Ebener | H. Ebert | J.P. Ehlers | P.S. Fenkart | M. Gerigk | R. Hecker | S. Heinemann | U. Hellert | T. Jäschke | J. Jörg | T. Keller | R. Kerschreiter | I. Köster-Steinebach | A. Lienhart | C. Lüdemann | M. Mertz | C. Meßtorff | M.L. Moskvina | F. Nensa | O. Neumann | J. Nitsche | S. Pastoors | C. Peifer | B. Peters | T. Queckenstedt | F.G. Rebitschek | K. Reinhardt | G. Richenhagen | L. Schenk | C. Schönfelder | K. Schüller | R.K. Sprenger | I. Stoffels | M. Volkenandt | O. Wegwarth | G. Wirtz
Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft
Prof. Dr. David Matusiewicz
Dekan | Gesundheit und Soziales
Direktor | Institut für Gesundheit & Soziales (ifgs)
Professur für Medizinmanagement
FOM | Hochschule für Oekonomie & Management
gemeinnützige Gesellschaft mbH
KCG KompetenzCentrum für Management im Gesundheits- und Sozialwesen
Leimkugelstraße 6
45141 Essen
www.david-matusiewicz.com
Prof. Dr. Jochen A. Werner
Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender
Universitätsmedizin Essen
Hufelandstraße 55
45147 Essen
MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
Unterbaumstraße 4
10117 Berlin
www.mwv-berlin.de
ISBN 978-3-95466-621-8 (eBook: PDF)
ISBN 978-3-95466-642-3 (ePub)
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© MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin, 2021
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Die Verfasser haben große Mühe darauf verwandt, die fachlichen Inhalte auf den Stand der Wissenschaft bei Drucklegung zu bringen. Dennoch sind Irrtümer oder Druckfehler nie auszuschließen. Der Verlag kann insbesondere bei medizinischen Beiträgen keine Gewähr übernehmen für Empfehlungen zum diagnostischen oder therapeutischen Vorgehen oder für Dosierungsanweisungen, Applikationsformen oder Ähnliches. Derartige Angaben müssen vom Leser im Einzelfall anhand der Produktinformation der jeweiligen Hersteller und anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Eventuelle Errata zum Download finden Sie jederzeit aktuell auf der Verlags-Website.
Produkt-/Projektmanagement: Bernadette Schultze-Jena, Berlin
Lektorat: Monika Laut-Zimmermann, Berlin
Layout, Satz, Herstellung: zweiband.media, Agentur für Mediengestaltung und -produktion GmbH, Berlin
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt
Coverbild: © Sergey Katyshkin/stock.adobe.com
Zuschriften und Kritik an:
MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Unterbaumstr. 4, 10117 Berlin, [email protected]
Die Digitale Transformation wird das Gesundheitssystem in ungeahnter Weise verändern. Zum Glück. Denn das System, wie es ist, hat keine Zukunft. Diese große Chance zur Verbesserung kommt mit drei zentralen Herausforderungen:
1.die Geschwindigkeit, mit der sich der Wandel vollzieht,
2.die Unsicherheit, die sich durch das Eindringen von Maschinen in vormals Menschen zugeschriebenen Domänen ergibt sowie
3.das Infragestellen der Selbstbilder der Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten.
Wie sollen und können wir diesem Wandel begegnen?
Dazu werden derzeit viele Bücher und Artikel geschrieben. Die meisten betrachten Teilsysteme oder das Gesundheitssystem als Ganzes. Der wichtigste Aspekt des Systems wird dabei oft nur am Rande in den Blick genommen: der Mensch im Gesundheitssystem, in seiner Verfasstheit als Mensch.
Ein Mensch hat Werte und Träume, Hoffnungen und Ängste – und er hat Fähigkeiten. Menschen arbeiten an vielen unterschiedlichen Orten des Gesundheitssystems, die je unterschiedliche Skills erfordern. Es sind diese spezifischen Fähigkeiten, die sich durch den Wandel verändern werden. Ohne den Menschen, der sich auf den Weg macht, diese zu erlernen und anzuwenden, wird der Wandel nicht gelingen. Es ist daher höchste Zeit, dass man sich einer systematischen Betrachtung dieser Perspektive auf den anstehenden Wandel annimmt.
Daraus ergeben sich veränderte Ausbildungskonzepte sowie eine Ermutigung, dass der Wandel gelingen kann – und dass der Wandel nicht per se bedrohlich ist, sondern vor allem eine große Chance zur Verbesserung darstellt.
Es gibt ein sehr einfaches Erfolgsrezept für das Gelingen eines komplexen Unterfangens: Konzentriere dich auf deine Stärken. Und genau dafür plädiert das Buch: Im Zentrum stehen die Skills, die uns Menschen zu Menschen machen, also Dinge wie Humor, Ehrlichkeit, Patientenorientierung, Veränderungsfähigkeit, Empathie und Respekt. Alles andere ist notwendig – aber nachgeordnet. Meine große Hoffnung ist es, dass die Digitalisierung der Medizin es möglich macht, diese menschlichen Skills wieder ins Zentrum der Gesundheitsversorgung zu rücken.
Möge dieses gelungene Buch einen Beitrag dazu leisten.
Co-Founder und Chief Scientific Advisor Ada Health Direktor „Institut für KI in der Medizin“ an der Philipps-Universität Marburg
Stay hungry, stay foolish.
(Steve Jobs)
Die Zukunft im Gesundheitswesen funktioniert nicht ohne Menschen. Und Menschen benötigen Fähigkeiten, um diese aktiv zu gestalten. Das war der Ausgangspunkt für das vorliegende Buch.
Die digitale Transformation führt auch im Gesundheitswesen zu völlig neuen Anforderungen an die Arbeitnehmer. Diese Entwicklung hat enorme Auswirkungen auf zukünftige Anforderungen an die Kompetenzen der Beschäftigten und Führungskräfte, aber auch an erfolgreiche Start-ups in der Branche. Für die Gesundheitswirtschaft ist das eine große Herausforderung, steht sie doch im Spannungsfeld zwischen hohem Kostendruck und knappen wirtschaftlichen Ressourcen, der Notwendigkeit, Innovationen in die Gesundheitsversorgung zu bringen und dennoch das alte Kerngeschäft fortzuführen („Innovationsdilemma“). Ein professionelles Agieren in einer digitalisierten Welt erfordert erweiterte Fähigkeiten auf der personalen, sozialen und methodischen Ebene. Das umfasst ein grundlegendes Verständnis von Digitalisierung, also von Treibern, Zusammenhängen und Definitionen, eine unternehmerische Einstellung in Bezug auf Chancen und Risiken im eigenen Arbeitskontext und das agile Arbeiten in multiprofessionellen Teams. Sei es die Kunst einer gelungenen Kommunikation (siehe folgendes Video, Digi Health Talk mit Matthias Volkenandt: https://www.youtube.com/watch?v=lDxz4YNjjSs), die Fähigkeit der Empathie gegenüber dem Patienten oder heute die Resilienz in einer VUCA-Welt. Mit einer neuen Denkhaltung (Mindset) in einer neuen Arbeitswelt (New Work) werden alte scheinbar verstaubte Werte und Tugenden neu interpretiert und in einen neuen digitalen Kontext gesetzt – prädigitale Fähigkeiten, die heute und noch postdigital eine Rolle spielen werden. Es bleibt vor allem abzuwarten, ob sich die Beschäftigten im Gesundheitswesen – seien es Gesundheitsmanager, Ärzte, Pflegekräfte oder andere – die Future Skills autodidaktisch beibringen werden oder die Arbeitgeber oder Verbände deren Bedeutung langsam aber sicher erkennen werden.
Mit Future Skills sind Zukunftsfähigkeiten, Kompetenzen und/oder Tugenden gemeint, die in der heutigen und in der sich entwickelnden neuen Arbeitswelt zum Einsatz kommen, alte Werte und Fähigkeiten neu interpretieren, eine neue Denkhaltung einschließen sowie in den heutigen und zukünftigen Unternehmen in einen digitalen Kontext gesetzt werden. Diese Skills werden in erster Linie den Arbeitnehmern und Führungskräften abverlangt. Gleichzeitig sollten in den Unternehmen Kapazitäten vorhanden sein, um die Mitarbeiter bezüglich der notwendigen Fähigkeiten zu fördern und zu unterstützen. Damit wird sichergestellt, dass durch die Anwendung und die Verbesserung der Skills langfristig ein Unternehmenserfolg erzielt werden kann.
In dem vorliegenden Buch werden die Individual Skills von zahlreichen Experten näher betrachtet, aufgeteilt in die drei nachfolgenden Bereiche:
Wir wünschen eine spannende Lektüre.
Prof. Dr. David Matusiewicz, Prof. Dr. Jochen A. Werner
Essen im Frühjahr 2021
David Matusiewicz ist Professor für Medizinmanagement an der FOM Hochschule – der größten Privathochschule in Deutschland. Seit 2015 verantwortet er als Dekan den Hochschulbereich Gesundheit & Soziales und leitet als Direktor das Forschungsinstitut für Gesundheit & Soziales (ifgs). Darüber hinaus ist er Gründungsgesellschafter des Essener Forschungsinstituts für Medizinmanagement (EsFoMed GmbH) und unterstützt als Gründer bzw. Business Angel technologie-getriebene Start-ups im Gesundheitswesen. Matusiewicz ist zudem in verschiedenen Aufsichtsräten (Advisory Boards) sowie Investor von Unternehmen, die sich mit der digitalen Transformation des Gesundheitswesens beschäftigen.
Jochen A. Werner hat Medizin an der Christian-Albrechts-Universität Kiel studiert. 1987 promovierte er und begann seine Tätigkeit als Arzt und Wissenschaftler der Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf-und Hals-Chirurgie des Universitätsklinikums Kiel. 1998 wurde Jochen A. Werner Professor und Direktor der Marburger Universitäts-HNO-Klinik und war von 2004 bis 2006 auch Prodekan der Marburger Medizinischen Fakultät. Von 2011 bis 2015 war er hauptamtlicher Ärztlicher Geschäftsführer der Universitätsklinik Gießen und Marburg (UKGM GmbH). Ebenfalls 2011 Aufnahme in die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina. Seit 2015 widmet sich Jochen A. Werner in seiner Funktion als Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender der Universitätsmedizin Essen der Digitalisierung im Gebiet der Medizin und der Transformation der Universitätsmedizin Essen in ein Smart Hospital.
Cover
Titel
Impressum
IClassic Skills
1CharismaCorinna von Au
2EhrlichkeitMarcel Mertz
3EmpathieMonja Gerigk
4FreundlichkeitCarolin Lüdemann
5GelassenheitMarina Leonie Moskvina
6HumorMarek Bartzik und Corinna Peifer
7InspirationGerd Wirtz
8IntuitionPeter Simon Fenkart
9KreativitätSven Pastoors
10Kulturelle KompetenzLiane Schenk
11PatientenorientierungRuth Hecker und Ilona Köster-Steinebach
12RespektAndrea Lienhart
13SelbstreflexionHelmut Ebert
14SelbstwirksamkeitskompetenzUlrike Hellert
15VertrauenReinhard K. Sprenger
IINew Work Skills
1AchtsamkeitTeresa Keller
2AdaptionsfähigkeitGottfried Richenhagen
3AgilitätBjörn Peters
4FlexibilitätAlexandra Cloots
5Führung– New LeadershipRudolf Kerschreiter
6GesundheitskompetenzClaudia Meßtorff
7InnovationsfähigkeitAnke Diehl
8KollaborationTanja Queckenstedt
9KommunikationMatthias Volkenandt
10Kritisches DenkenOdette Wegwarth und Felix G. Rebitschek
11QualitätsbewusstseinJohannes Jörg
12SinnorientierungChristoph Schönfelder
13Unternehmerisches DenkenOliver Neumann
IIIDigital Skills
1Blockchain-KompetenzMartina Bittroff
2Cloud ComputingFelix Nensa
3Cybersecurity-KompetenzThomas Jäschke
4Data LiteracyKatharina Schüller
5Deep Dive: Smart Hardware/Robotics KnowledgeRainer E. Becker
6Deep Dive: Virtual and Augmented Reality KnowledgeIngo Stoffels und Christina Alt
7Deep Dive: Machine Learning KnowledgeStefan Ebener
8Digital Leadership ExcellenceKai Reinhardt
9Digitale LernkompetenzJan P. Ehlers und Julia Nitsche
10EthikStefan Heinemann
Der Begriff Charisma besitzt einen religiösen Hintergrund, stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie Gnadengabe, d.h. etwas von Gott dem Menschen mit Wohlwollen Geschenktes. Die Auslegung des Begriffs Charisma variiert innerhalb der verschiedenen Fachdisziplinen und im Zeitablauf:
Religiöser Begriff: Charisma umfasst Weisheit und die Fähigkeit, Offenbarungen, Inspirationen und Erleuchtungen zu empfangen und nutzbringend weiterzugeben. Jesus Christus und seine Apostel könnte man in diesem Sinne als charismatische Persönlichkeiten bezeichnen.
Sozialwissenschaftlicher Begriff: Der Soziologe Max Weber nutzte den Begriff Charisma, um drei von ihm unterschiedene Formen der Herrschaft, nämlich die „traditionelle Herrschaft“ (Feudalismus, Familienstrukturen), die „rationale Herrschaft“ (gebunden an gesetzliche Grundlagen und Regeln) und die „charismatische Herrschaft“ abzugrenzen. Weber spricht dabei von „charismatischer Herrschaft“, wenn in Krisen- und Veränderungszeiten vermeintliche oder tatsächliche Bedrohungen die Massen verunsichern und der Ruf nach einer charismatischen Führerfigur laut wird: Dabei bezeichnet Charisma nach Weber
„eine als außeralltäglich […] geltende Qualität einer Persönlichkeit […], um derentwillen sie als mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens spezifisch außeralltäglichen, nicht jedem andern zugänglichen Kräften oder Eigenschaften [begabt] oder als gottgesandt oder als vorbildlich und deshalb als ‚Führer‘ gewertet wird“ (Winkelmann 1980, S. 140).
An diese Bedeutung schließt sich auch die alltagssprachliche Verwendung des Begriffs an, die unter dem Charisma eines Menschen dessen gewinnende Ausstrahlung versteht. Als Beispiele lassen sich Martin Luther King sowie Mahatma Gandhi anführen.
Wirtschaftspsychologischer Begriff und Begriff der Managementlehre: Charisma wird im Zusammenhang mit der charismatisch-transformationalen Führung verwendet. Wie der Begriff der charismatischen Führung bereits verdeutlicht, führt die Führungspersönlichkeit ihre Mitarbeiter durch das eigene Charisma, d.h. ihre besonders positive und wirksame Ausstrahlung, mit der sie in der Lage ist, andere Menschen in ihren Bann zu ziehen. Sie ist Vorbild für die Mitarbeiter und wird als Leitfigur angesehen. Als prominentes Beispiel wird oftmals die Unternehmerpersönlichkeit Steve Jobs (Apple) genannt. Durch ihr Charisma schaffen es die Führungspersönlichkeiten, ihre Mitarbeiter zu „transformieren“, d.h. aus deren innerer Überzeugung das gewünschte Verhalten zu zeigen. Die empirische Forschung zur charismatisch-transformationalen Führung zeigt dabei signifikante Zusammenhänge zwischen dem Charisma einer Führungspersönlichkeit und der Effizienz des Führungsverhaltens sowie der Zufriedenheit der Mitarbeiter (Pelz 2016).
In der Literatur gibt es sehr unterschiedliche Klassifizierungen von Charisma. Die Autorin möchte Charisma als eine personale Kompetenz qualifizieren, die eng mit den Persönlichkeitseigenschaften verknüpft ist. Dabei bilden die Persönlichkeitseigenschaften die Basis, auf derer sich dann die Kompetenzen ausprägen und weiterentwickeln können. Was sorgt nun aber für eine charismatische Präsenz und Ausstrahlung einer (Führungs-)Persönlichkeit? Um andere Menschen in den Bann zu ziehen, muss es der (Führungs-)Persönlichkeit gelingen, bei diesen Resonanz zu erzeugen. Dies erfordert zunächst einmal, dass die (Führungs-)Persönlichkeit „mit sich selbst im Reinen“ ist, d.h. eine positive und reflektierte achtsam-empathische Grundhaltung hat. Wir haben alle unterschiedliche mentale Landkarten (Schulze und Sejkora 2017), die z.T. genetisch bedingt sind und im Verlauf des Lebens, insbesondere in der Kindheit, geprägt werden. Wir lernen hier Grundanschauungen und Glaubensmuster, die uns zu dem machen, was wir sind. Unsere Grundhaltungen schließen auch unsere Vorstellungen von anderen Menschen ein: So gibt es einerseits Personen, die in allen Situationen nur das Schlechte sehen und gegenüber Menschen grundsätzlich misstrauisch sind und andererseits Personen, die auch in herausfordernden Situationen das Positive sehen und anderen Menschen grundsätzlich vertrauen. Dies hat unmittelbar Auswirkung auf die Ausstrahlung der Person.
Charismatische Führung beginnt immer bei der Selbstführung der Führungspersönlichkeit (von Au 2016).
Denn erst wenn diese Selbstführung der Führungspersönlichkeit „gut“ ist, können auch andere von dieser „gut“ (fremd-)geführt werden. Eine gute Selbst- und Fremdführung erfordert die zwei folgenden grundsätzlichen personalen Kompetenzen bzw. Persönlichkeitseigenschaften von Führungskräften, die eng miteinander verbunden sind: Achtsamkeit und Selbstreflexion. Achtsamkeit beinhaltet eine stets bewusste, nur auf die Gegenwart fokussierte und dabei nur wahrnehmende und nicht (be-) urteilende Aufmerksamkeit. Diese zeigt sich gleichermaßen in einem aktiven Zuhören und einer achtsamen, wertschätzenden und verbindlichen Kommunikation. Durch die Selbstreflexion der persönlichen Haltungen und mentalen Modelle erfahren die Führungspersönlichkeiten eine ausgeprägte Bewusstheit über ihre eigene Person, erweitern ihr Verhaltensrepertoire, um in unterschiedlichen Situationen und Kontexten situationsangemessen handeln zu können.
Daraus lässt sich sicherlich leicht ableiten, dass Personen mit einer positiven und reflektierten achtsam-empathischen Grundhaltung, die sich auch in ihrer Erscheinung, Bewegung und Sprache ausdrückt, wahrscheinlich charismatischer wahrgenommen werden als Personen, die dies nicht aufweisen. Wer als charismatisch wahrgenommen wird, übt in seinem Tun einen großen Einfluss auf die Menschen in seiner Umgebung aus. Und dies ist von besonderer Bedeutung für Personen in Führungspositionen.
Auch wenn viele Bürger mit dem Gesundheitswesen in Deutschland überwiegend zufrieden sind, existieren zentrale Kritikpunkte: So führt der demografische Wandel zu einer Veralterung der Bevölkerung und zu einem Fachkräftemangel, der oftmals zu Zeitengpässen im Praxis- oder Klinikalltag kulminiert. Dieser Aspekt wird noch durch die Urbanisierung und durch lästige, dem Kostendruck geschuldete, umfangreiche Verwaltungsaufgaben verstärkt. Entsprechend haben Ärzte und Führungskräfte im Gesundheitswesen immer weniger Zeit für Aufgaben, Mitarbeitende und Patienten. Des Weiteren führen die zunehmende Digitalisierung und Individualisierung dazu, dass die heutigen Patienten i.d.R. über „Dr. Google“ aufgeklärter sind und auf Augenhöhe und in ausreichender Zeit mit den Ärzten sprechen möchten.
Im hektischen Praxis- und Klinikalltag, der zunehmend „wissenschaftlich-technischer“ wird, kann es somit leicht passieren, dass das Charisma der Ärzte bzw. der Führungskräfte im Gesundheitswesen auf der Strecke bleibt. So geben beispielsweise Patienten oftmals an, dass besonders (aber nicht nur), bei Krankheiten im psychischen Bereich und bei unheilbaren Krankheiten die menschliche – nicht abrechenbare – Zeit des Arztes fehlt. Dies ist bedeutend, wenn man bedenkt, dass eine gelungene Patientenführung die Grundlage für den Behandlungserfolg ist.
Charismatische Ärzte strahlen durch ihre Grundhaltung Vertrauen und Zuversicht aus. Ist das Vertrauen zum Arzt gegeben und können diese positive Erwartungshaltungen bei den Patienten wecken, ist das der beste Placebo-Effekt überhaupt (vgl. z.B. die Anekdote vom Chirugen F. Sauerbruch oder auch die Studien des Placeboforschers F. Benedette).
Natürlich wissen auch die Patienten, dass Hektik, Stress, Überlastung, der dringende Ruf zum Notfallpatienten oder lästige Verwaltungsaufgaben es den Ärzten nicht immer erlauben, sich für jeden Patienten die Zeit zu nehmen, die dieser sich wünscht. Umso wichtiger ist es daher, dass sich die Ärzte in der verfügbaren Zeit voll und ganz auf die einzelnen Patienten fokussieren und achtsam-empathisch mit ihnen umgehen. Durch eine solche Grundhaltung wirkt der Arzt charismatisch. Dagegen führen die folgenden exemplarischen Negativbeispiele zu einer nicht charismatischen Ausstrahlung des Arztes:
1.Weiter auf den Computer starren und nicht hochsehen beim Eintreten des Patienten in das Behandlungszimmer,
2.medizinische Fachbegriffe aneinanderreihen, ohne diese zu erklären,
3.dem Patienten nicht aktiv zuhören und seine Sorgen und Ängste nicht ernst nehmen.
Vergleichbares gilt auch für das Beziehungsverhältnis zwischen Führungskraft und Mitarbeitern im Gesundheitswesen.
Auch wenn die Digitalisierung rasch voranschreitet und in Zukunft künstliche Intelligenz auch unser Arbeitsleben bestimmen wird, so wird Charisma weiterhin sehr bedeutend bleiben. So können sich nach einer Studie von PWC (2018) durchaus viele Menschen vorstellen, sich bei bestimmten Vorsorgeuntersuchungen oder auch Erkrankungen einem „Roboter Doc“ oder einer künstlichen Intelligenz anzuvertrauen. Wenn es allerdings um sensiblere medizinische Leistungen, wie z.B. Pflegeleistungen, Beratungsleistungen während Krebserkrankungen, der Schwangerschaft oder der Entbindung geht, ist nahezu niemand bereit, sich in die Obhut einer künstlichen Intelligenz zu begeben. Vielmehr besteht hier der Wunsch nach einem Gespräch auf Augenhöhe mit einem charismatisch-menschlichen Wesen, das sich Zeit für einen nimmt und dem man vertrauen kann.
Welcher Rahmen ist somit in Zukunft richtungsweisend, damit Charisma im Gesundheitswesen weiterhin Bestand hat bzw. noch weiter ausgebaut wird? Hier scheinen die folgenden Maßnahmen erfolgsversprechend:
Auf der gesellschaftlichen Ebene sind auf der einen Seite die Abfederung des Fachkräftemangels und die Reformierung des Medizinstudiums in Hinblick auf die Aufnahme von mehr „Soft Skills“ wie personale und soziale Kompetenzen in das Curriculum entscheidend. Auf der anderen Seite geht es darum, alle bürokratischen Prozesse mit IT zu optimieren, um möglichst viel Zeit für das Zwischenmenschliche/Charismatische im Arbeitsalltag frei zu schaufeln. Gleichzeitig bedarf es einer Wertediskussion im Gesundheitsbereich, bei der insbesondere die Frage „Roboter versus Mensch“ diskutiert werden sollte.
Auf der organisationalen Ebene ist darauf zu achten, dass neben effizient vernetzten Informations- und Kommunikationstechnologien innerhalb und außerhalb der Organisation eine Charisma-freundliche Unternehmens- und Führungskultur etabliert und auch gelebt wird. Hierbei muss das Management als Vorbild vorangehen und auch die organisationalen Rahmenbedingungen schaffen. Hierzu gehören u.a. eine wertschätzende Kommunikation, eine ausgeprägte Fehler- und Vertrauenskultur, flexible Arbeitszeitmodelle und die Möglichkeit von passgenauen Weiterbildungsangeboten.
Auf der individuellen Ebene muss sich jede (Führungs-)Person auf den Weg machen, ihre mentalen Landkarten und Haltung sowie ihre Verhaltensweise zu reflektieren und diese ständig weiterentwickeln. Denn nur so kann die (Führungs-)Persönlichkeit – auch in stressigen und hektischen Zeiten – eine charismatische Präsenz und Ausstrahlung erzielen.
Au C von (2016) Paradigmenwechsel in der Führung: Traditionelle Führungsansätze, Wandel und Leadership heute. In: von Au C. (Hrsg.), Leadership & Angewandte Psychologie. Band 1: Wirksame und nachhaltige Führungsansätze (1–42). Springer Wiesbaden
Pelz W (2016) Transformationale Führung – Forschungsstand und Umsetzung in der Praxis. In: von Au C (Hrsg.) Leadership & Angewandte Psychologie. Band 1: Wirksame und nachhaltige Führungsansätze. 93–113. Springer Wiesbaden
PWC (Hrsg.) (2018) Das deutsche Gesundheitswesen auf dem Prüfstand Entwicklung eines Therapieplans. URL: https://www.pwc.de/de/gesundheitswesen-und-pharma/pwc-das-deutsche-gesundheitswesen-auf-dem-pruefstand.pdf (abgerufen am 19.11.2020)
Schulze H, Sejkora K (2017) Wertschätzende Führung durch Beziehungsgestaltung mit „Landkarten“ aus der Transaktionsanalyse. In: von Au C (Hrsg.) Leadership & Angewandte Psychologie. Band 3: Eigenschaften und Kompetenzen von Führungspersönlichkeiten. 91–116. Springer Wiesbaden
Winkelmann J (Hrsg.) (1980) Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß einer verstehenden Soziologie (Max Weber). Mit textkritischen Erläuterungen. 5. Aufl. Mohr Tübingen
Corinna von Au, Dipl.-Kffr., Dipl.-Hdl., M.A., M.M., langjährige Führungspersönlichkeit, lehrt und forscht seit 2005 als Professorin in den Bereichen Leadership und Coaching in der Fakultät Wirtschaftspsychologie an der Hochschule für angewandtes Management in Ismaning. Sie begleitet als zertifizierte systemische Beraterin, Coach, Mediatorin und ausgebildete Krisen-, Sterbe- und Trauerbegleiterin Menschen, Teams und Organisation bei ihren Herausforderungen, Entwicklungen und Veränderungen. Sie ist Institutsleiterin von InLeaVe® – Institut für Leadership & Veränderung (www.inleave.de) und Autorin zahlreicher Fachpublikationen.
Es mag angesichts des Tempos der digitalen Transformation im Gesundheitswesen, die uns allen ein hohes Maß an Anpassung und Bereitschaft, Neues zu lernen, abverlangt, überraschen, dass eine geradezu „historische“ Tugend wie Ehrlichkeit ungeachtet dessen bedeutsam bleibt. Leben wir denn nicht, wie manche behaupten, in „postfaktischen“ Zeiten, in denen es so viele (alternative) Fakten gibt, wie täglich Meinungen auf Twitter und Co. veröffentlicht werden?
Doch wo es um Patient*innen, damit um Krankheit und Gesundheit sowie je nachdem um erhebliche Konsequenzen bei Fehlern (z.B. Fehldiagnosen/Fehlbehandlungen) geht, können und dürfen wir nicht auf dieselbe Weise bloß verwundert mit den Schultern zucken, wie wir es manchmal bei fragwürdigen Postings auf Facebook oder Twitter tun. Unser Umgang mit Ehrlichkeit muss hier ein anderer sein.
Ehrlichkeit stammt von mittelhochdeutsch „êrlich“ und meinte so viel wie „der Ehre wert, ansehnlich, vortrefflich“. Ab dem 16. Jahrhundert verschob sich die Bedeutung mehr auf „rechtschaffend“, was bereits näher an der heute auch meist verwendeten Bedeutung liegt: „die Wahrheit sagen“ (Schwenk 1971–2007, S. 2556).
Damit bewegt sich der Begriff allerdings inmitten anderer Begriffe, die ähnliche Bedeutung haben, wie „Wahrhaftigkeit“, „Aufrichtigkeit“ und „Offenheit“, aber auch „Direktheit“, „Integrität“ und „Transparenz“. Ehrlichkeit kann hier als summierender Begriff aufgefasst werden, der die genannten Begriffe miteinschließt (Chiapparini 2012, S. 56).
Uns interessiert aber weniger der Begriff der Ehrlichkeit an sich, sondern v.a., was Ehrlichkeit als Tugend bedeutet. Eine Tugend ist eine erstrebenswerte Charaktereigenschaft oder auch Haltung einer Person, die sich in ihren Handlungen oder Verhaltensweisen widerspiegelt (u.a. Beauchamp u. Childress 2009, S. 31f.). Eine Tugend ist daher gebunden an den Charakter der handelnden Person (wie verhält sich die Person im Allgemeinen?) sowie ihren Willen (was sind ihre Ziele in einer Situation?), aber ebenso an die jeweilige Situation, in der sich die handelnde Person gerade befindet (Chiapparini 2012, S. 55). Letzteres bedeutet, dass Ehrlichkeit als Tugend situationsangemessen eingesetzt werden muss, was u.a. heißt, dass bereits das Ziel des Mitteilens der Wahrheit in dieser Situation angemessen sein muss. Denn was in der einen Situation erforderlich oder angebracht ist, kann in einer anderen Situation unhöflich, beleidigend oder sogar verletzend wirken. Daraus wird deutlich, dass eine Tugend wie Ehrlichkeit auch missbraucht werden kann; sie gewinnt ihren Wert in einer Situation nur angesichts des jeweils verfolgten Ziels, also was mit der Handlung erreicht werden soll – z.B. das Mitteilen einer Diagnose, die Offenlegung von Risiken bei einer therapeutischen Intervention, oder aber auch ein kritisches Feedback zur Arbeitsleistung von Mitarbeiter*innen. Zudem wird deutlich, dass Ehrlichkeit nie losgelöst von anderen Tugenden betrachtet werden kann, die ihr in einer Situation auch entgegenstehenden können (wie z.B. Empathie, Freundlichkeit oder Respekt; s. Kap. „Classic Skills“). Der „Skill“ Ehrlichkeit hat also einiges damit zu tun, zu wissen, wann und in welcher Weise man ehrlich sein soll.
Ehrlichkeit als Tugend ist eine erstrebenswerte Charaktereigenschaft/Haltung, die es als Fähigkeit ermöglicht, in einer konkreten Situation angesichts eines bestimmten, (situations-)angemessenen Ziels (z.B. Aufklärung über eine Diagnose) einer anderen Person (z.B. Patient*in) in angemessener Weise die Wahrheit mitzuteilen (soweit man über diese verfügt/sich sicher ist).
Gerade das Gesundheitswesen stellt eine Arbeitswelt dar, in der Ehrlichkeit eine herausragende Bedeutung hat. Und dies bei ganz unterschiedlichen Tätigkeiten, die im Folgenden nur beispielhaft genannt werden können (vgl. z.T. Beauchamp u. Childress 2009, S. 201f.):
Ärztliche und (z.T.) pflegerische/therapeutische Tätigkeit
Aufklärungsgespräche mit Patient*innen (Diagnose, Risiken/Chancen von Therapien, Evidenzlage usw.)
Diskussionen im Behandlungsteam (über Therapieziele, Zustand der*s Patient*in usw.)
Umgang mit und Mitteilung von Fehldiagnosen/Fehlbehandlungen (gegenüber Mitarbeitenden und Patient*innen)
Umgang mit und Ansprechen von vermuteten/beobachteten Fehlverhalten bei Mitarbeitenden
■Ansprechen von als schwierig erlebten Situationen oder „moral distress“ innerhalb des (interdisziplinären) Teams
Umgang mit Nebentätigkeiten/Referententätigkeiten und Mitteilen von Interessenskonflikten
Wissenschaftliche Tätigkeit
Schreiben von Forschungsanträgen (Möglichkeiten, Ziele, methodische Durchführung, Kostenplan usw.)
Informierung über die Studie bei potenziellen Teilnehmenden (Ziele, Risiken, Ablauf, Interessenskonflikte usw.)
Vermeidung von Täuschung oder Minimierung unvermeidbarer Täuschung von Teilnehmenden
Umgang mit und Mitteilung von unerwarteten Ereignissen im Studienablauf (auch gegenüber Teilnehmenden)
Mitteilung von methodischen Schwächen (v.a. in der Publikation)
Unverfälschte Darstellung/Kommunikation der Ergebnisse (v.a. in der Publikation)
Führungstätigkeiten
Geben von Feedback (auch positiv!) zur Arbeitsleistung/Tätigkeit von Untergebenen
Mitteilung von Entscheidungen (strategische und finanzielle Planung, Personaleinstellungen usw.) an das Team
Akzeptieren und Wertschätzen von Ehrlichkeit der Untergebenen (z.B. bei Kritik)
Eingestehen eigener Fehler und (wenn erforderlich) Kommunikation derselben
Ein weiterer Aspekt, der v. a. im Umgang mit Patient*innen zuweilen zu berücksichtigen ist, ist „Ehrlichkeit angesichts von Unehrlichkeit“. Also: Wie ehrlich soll ich zu erkennen geben, dass ich mir relativ sicher bin, dass z.B. die Schilderung der*s Patient*in über die Symptome oder ihre/ seine Therapietreue nicht ganz ehrlich gewesen ist? Gerade in schambehafteten Angelegenheiten haben Patient*innen vielleicht Mühe, alles ehrlich zu schildern. Hier kann direkte Ehrlichkeit aufseiten der*s Ärzt*in auch mal unangemessen sein. Die Ermöglichung einer gewissen Unehrlichkeit aufseiten der Patient*innen kann also erforderlich sein, um die therapeutische Beziehung zu der*m Patient*in nicht zu gefährden. Ähnliches kann auch zwischen Kolleg*innen oder Untergebenen vorkommen.
Nicht überraschend ist und bleibt Ehrlichkeit erst mal in allen Tätigkeiten, die oben beispielhaft erwähnt worden sind, auch angesichts einer wachsenden Digitalisierung im Gesundheitswesen bedeutsam. Warum sollte z.B. die Aufklärung von Patient*innen weniger ehrlich vonstattengehen, wenn sie über Skype oder Zoom erfolgt? Selbst wenn vielleicht aufgrund des fehlenden Face-to-Face-Kontaktes gewisse Anpassungen an die Kommunikation erforderlich sind (z.B., weil die Körpersprache eingeschränkter oder gar nicht vorhanden ist), ändert das nichts an dem Anspruch, dass die Kommunikation ehrlich sein sollte.
Interessanter sind daher beispielhafte Besonderheiten, die direkter mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens zu tun haben. So wird z.B. behauptet, dass „Ehrlichkeit“ im digitalen Wandel v.a. „Transparenz“ ist (Gull 2016, S. 103): Man sieht eher, „was Sache ist“ (was die Fakten sind, aber auch, wer was getan hat oder tut, wer was gesagt hat usw.). Diese Transparenz kann zur Folge haben, dass Betrügereien (damit Unehrlichkeit) eher ans Licht kommen. Sie kann aber auch dafür sorgen, dass die vorher erwähnte Unehrlichkeit aufseiten von Patient*innen, die man zu einem gewissen Grad akzeptieren muss, „auffliegt“. Gesundheitsdaten, die bspw. per Gesundheitsapp in Echtzeit gesammelt und an die behandelnde Person übermittelt werden, erlauben es der*m Patient*in kaum noch, etwas anderes zu behaupten, als die Daten mitteilen. Aus Sicht der Versorgenden ist allerdings festzuhalten, dass automatisch erhobene und übermittelte Daten ein „ehrlicheres“ Bild vermitteln können, was die Diagnose oder Behandlung verbessert, gerade weil die Daten nicht auf der subjektiven Berichterstattung eines*r Patient*in beruhen.
Transparenz bzw. Ehrlichkeit in einer digitalisierten Arbeitswelt bedeutet ferner, wahrheitsmäßig darüber Auskunft zu geben, welche Daten wie erhoben werden, wem sie (danach) „gehören“, wie sie verwertet werden (und von wem), und über welche Rechte derjenige, der die Daten im Grunde „produziert“ hat, jeweils verfügt. Dies ist besonders auch in Forschungskontexten wichtig. Bei z.B. Apps oder anderen digitalen Lösungen ist darüber hinaus anzugeben, wer eine App entwickelt hat und zu welchem Zweck (ist es bspw. eine Privatfirma mit wirtschaftlichen Interessen?).
Bei Algorithmen-basierten Lösungen gehört ferner dazu, zu erklären, was der Algorithmus eigentlich „macht“, wie ein System bspw. trainiert wurde (anhand welcher Daten), und was das für die Ergebnisse bedeutet, die dadurch generiert werden. Auch die Grenzen von Apps bzw. anderen digitalen Lösungen müssen ehrlich kommuniziert werden, so z.B. bei Expert*innen-Systemen und anderen „Decision Aids“, also Systemen, die die (klinische) Entscheidungsfindung unterstützen sollen.
Ehrlichkeit bleibt ungeachtet der Digitalisierung bei allen Tätigkeiten und Situationen, bei denen sie auch in der analogen Welt wichtig ist, bedeutsam, muss aber je nachdem in der Umsetzung angepasst werden. Daneben gibt es aber Besonderheiten für Ehrlichkeit, die sich aufgrund der Digitalisierung ergeben (z.B. Umgang mit Daten, deren Erhebung und Auswertung).
Ehrlichkeit braucht als Tugend grundsätzlich Personen, deren Charakter entsprechend ausgeprägt oder für die (weitere) Entwicklung dieser Eigenschaft empfänglich ist. Sie braucht auch den Willen, in einer bestimmten Situation ehrlich zu sein, und die Fähigkeit, dies in angemessener Weise zu tun. Aber neben diesen inneren Voraussetzungen gibt es wichtige äußere Voraussetzungen. Ein ehrlicher Charakter und der „Wille zur Ehrlichkeit“ reifen in einer Gruppe oder Organisation (z.B. Behandlungsteam, Forschungsgruppe etc.) nur bei einer Kultur, die Ehrlichkeit nicht nur „aushält“, sondern auch fördert. Hier haben Führungskräfte eine Vorbildfunktion, indem sie offene (= ehrliche) Kommunikation zulassen und selber umsetzen, nicht nur gegenüber den Mitarbeitenden, sondern z.B. auch im Umgang mit Patient*innen oder Studienteilnehmenden. Darüber hinaus müssen Erfahrungen gemacht und miteinander geteilt werden, wie mit digitalen Lösungen ehrlich umgegangen werden kann bzw. bisherige Anforderungen an Ehrlichkeit weiterhin angemessen umgesetzt werden können. Dies ist erforderlich, um auch in der digitalisierten, nicht nur analogen Arbeitswelt eine entsprechende Kultur zu entwickeln und Fähigkeiten zu verfeinern, um im Gesundheitswesen (weiterhin) ehrlich sein zu können.
Ehrlichkeit ist von inneren Voraussetzungen (Charakter, Wille, Fähigkeit) und äußeren Voraussetzungen (Kultur der Organisation, Vorbilder, geteilte Erfahrungen) abhängig. Beide müssen ausreichend gegeben und auch in einer digitalen Arbeitswelt gefördert und reflektiert werden.
Beauchamp TL, Childress JF (2009) Principles of Biomedical Ethics. Oxford University Press New York/Oxford
Chiapparini E (2012) Ehrliche Unehrlichkeit. Eine qualitative Untersuchung der Tugend Ehrlichkeit bei Jugendlichen an der Züricher Volksschule. „Phil. Diss“ Zürich
Gull M (2016) Ehrlichkeit im Digitalen Wandel. In: Lorentschitsch B (Hrsg.) Werte im Digitalen Wandel. Wir sind dafür. 101–106. Verlag noir Wien
Schwenk B (1971–2007) Ehrlichkeit. In: Ritter J, Gründer K, Gabriel G (Hrsg.) Historisches Wörterbuch der Philosophie. 2556. Schwabe Verlag Basel
Biallowons S, Schwartz S (2014) Ehrlichkeit: Die zeitgemäße Tugend. Mit einem Vorwort von Harald Lesch. Random House GmbH München.
Marcel Mertz studierte Philosophie und Soziologie an der Universität Basel und promovierte 2015 an der Universität Mannheim in Philosophie. Er forscht und lehrt seit Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn vorwiegend im Bereich der Medizinethik. Neben den Universitäten Basel und Mannheim war er an der Uniklinik Köln bzw. am Cologne Center for Ethics, Rights, Economics and Social Sciences of Health (ceres) der Universität zu Köln beschäftigt. Seit 2011 arbeitet er an der Medizinischen Hochschule Hannover und leitet seit Mitte 2018 die Arbeitsgruppe „Forschungs-/Public-Health-Ethik & Methodologie“ am Institut für Ethik, Geschichte und Philosophie der Medizin.
Empathie ist als wünschenswerte Kompetenz sowohl in der Gegenwart als auch zukünftig in der digitalen Transformation unabdingbar gefordert. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist der Begriff Empathie seit Jahrzehnten angekommen. Dennoch vermisst man eine allgemeine Definition. Wenn Sie Mitmenschen fragen, was sie unter Empathie verstehen, verbinden diese damit häufig, sich einfühlen zu können, fürsorglich zu sein, den anderen verstehen zu können. In unserem beruflichen wie privaten Alltag wird Empathie stets als essenzielle Kompetenz in der zwischenmenschlichen Interaktion gefordert. In den folgenden Ausführungen beziehe ich mich im Wesentlichen auf das Empathieverständnis von Tobias Altmann und Marcus Roth.
„Empathie ist die Fähigkeit Emotionen eines anderen Menschen wahrzunehmen und dessen Gedanken und Vorstellungen zu verstehen“ (Altmann 2015, S. 113). Empathie wird unterschieden in die emotionale und die kognitive Empathie. Die emotionale Empathie ist die Fähigkeit, Emotionen eines anderen Menschen wahrzunehmen, die Stimmungslage anderer zu empfinden, das Gleiche zu fühlen (emotionale Ansteckung) und daraus resultierend einen Hilfsimpuls zu verspüren. Merkmale der kognitiven Empathie sind die Fähigkeiten, nicht nur die Gefühle, sondern auch die Gedanken, Absichten und Motive anderer Menschen zu verstehen, um auf das zukünftige Verhalten schließen zu können. Dazu zählt auch, die nonverbale Kommunikation im Kontext deuten zu können. Plüss formuliert: „Empathie verbindet Menschen emotional miteinander und ermöglicht, dass das Leid des anderen gesehen werden kann. Unempathische Menschen haben Mühe dieses Leid zu bemerken und sind moralisch taub“ (Plüss 2010, S. 16).
Abb. 1Die Phasen des Empathieprozesses nach Altmann 2016
Empathie beinhaltet, sich von der Not des Gegenübers anrühren zu lassen und ist die Voraussetzung eines umfassenden Verstehens.
Das Empathie-Prozessmodell (EPM) (Altmann 2016, S. 113–114) verfolgt den integrativen Ansatz zum Verständnis von Empathie. Der Empathieprozess wird in vier Komponenten beschrieben (s. Abb. 1).
1.Wahrnehmung: Der Beobachter sieht die emotionalen Signale der anderen Person und nimmt die Situation über Mimik, Gestik, Tonfall sowie verbale Äußerungen wahr (kognitive Fähigkeit).
2.Mentales Modell: Der Beobachter macht sich eine innere persönliche Vorstellung, um sich ein Abbild zur Situation, zu den Gedanken und den Gefühlen der anderen Person bewusst/gewahr zu werden (kognitive Fähigkeit).
3.Empathische Emotion: Durch das mentale Modell werden beim Beobachter ähnliche Gefühle erzeugt wie beim Beobachteten (affektive/emotionale Fähigkeit).
4.Antwort: Der Beobachter reagiert auf die Situation und das Erleben der anderen Person kommunikativ, verbal und oder nonverbal (kognitive und affektive Fähigkeit).
Nur wenn alle Phasen des Prozesses durchlaufen werden, gelingt eine empathische Interaktion zwischen zwei oder mehreren Individuen.
Der von anstehenden Umstrukturierungsmaßnahmen verunsicherte Mitarbeitende; die aus der Elternzeit zurückkehrende Kollegin, deren Kind sich in der Eingewöhnungsphase im Kindergarten befindet; die Kollegin, die sich durch das wenig wertschätzende Verhalten des Kollegen angegriffen fühlt: Im Arbeitsalltag begegnen wir ständig individuellen Situationen oder Konflikten, die mit der allgegenwärtigen Forderung nach Empathie in den verschiedensten Rollen im Berufsleben verbunden sind. Ein Mehr an Empathie kann jedoch von Überforderung über emotionale Erschöpfung bis zum Burnout führen (Altmann 2015, S. 5). Die Fähigkeit zur Empathie scheint also nicht unerschöpflich zu sein.
Während viel über empathisches Verhalten zu lesen und hören ist, gibt es nur wenig Wissen über das Phänomen des Empathischen Kurzschlusses (EKS). Er führt zum Abbruch des Empathieprozesses, um sich vor den Emotionen des Gegenübers aus Selbstschutz zu distanzieren. Die Folge sind pseudoempathische Reaktionen, z.B. Beschwichtigungen wie „So schlimm es doch nicht“ oder Bewertungen wie „Sie sind doch eine starke Persönlichkeit, Sie schaffen das schon“. Der EKS führt zum Abbruch des Kontaktes – mit Auswirkungen auf beiden Seiten. Das Gegenüber fühlt sich un- und in seinem Anliegen missverstanden und stuft die andere Person als eher unempathisch ein. Auch für den Abbrechenden hat der EKS mittel- bis langfristig Konsequenzen. Bei ihm stellen sich Gefühle der Insuffizienz und der Unauthentizität ein, die langfristig zu Unzufriedenheit, Erschöpfungssymptomatik oder zynischen Denk-und Handlungsweisen führen. Gibt eine Person ihrem Selbstschutzmechanismus nicht nach und überfordert sich, verstärken sich diese negativen Folgen noch.
Schon gesunde Menschen wünschen sich im Kontakt mit einem Dienstleister ein Gegenüber, welches das Anliegen seiner Kunden empathisch aufnimmt. Sollte es zu unempathischem Verhalten durch den Anbieter kommen, stellt immer noch der Wechsel des Dienstleisters eine mögliche Option dar. Auch im Gesundheitswesen werden Dienstleistungen erbracht – medizinische, pflegerische und therapeutische. Doch hier wiegt unempathisches Verhalten durch das Personal ungleich schwerer und belastet sowohl den Erkrankten als auch die Angehörigen, da sich alle genannten durch die Erkrankung in einer Ausnahmesituation befinden. Das als unfreundlich empfundene Verhalten und das Gefühl nicht wahr- und/oder ernstgenommen zu werden, lastet schwer im Gedächtnis der Erkrankten und ihrem Umfeld. Denn Patienten vertrauen sich dem Behandlungsteam an und legen ihr Leben in dessen Hände. Dieses Vertrauen ist eine Vorschussleistung und kann jederzeit zurückgenommen werden. Verlorenes oder erschüttertes Vertrauen wirkt sich nachhaltig negativ auf das persönliche Sicherheitsbefinden und -bedürfnis, die Therapie-Compliance und das emotionale Patientenerleben aus.
Um zukünftig dem Bedürfnis der Erkrankten, An- und Zugehörigen nach Empathie im Krankenhauskontext gerechter zu werden, muss sich die Erkenntnis durchsetzen, dass Empathie trainierbar ist. Voraussetzung für diese Erkenntnis und eine Trainingsbereitschaft ist, dass Mitarbeitende den Vorteil für den Patienten und vor allem für sich selbst erkennen. Die Trainingsprogramme schulen die Kompetenz, zwischen den eigenen und fremden Emotionen und Bedürfnissen zu differenzieren, ebenso wie die Erarbeitung von konkreten Verhaltensstrategien, in denen die Mitarbeitenden- und die Patientenperspektive Berücksichtigung findet. Über das Erlernen dieser Differenzierung sowie den Aufbau von reflektierten funktionalen Verhaltensweisen soll die emotionale Stabilität der Teilnehmenden gestärkt werden, um damit die Ausprägung von Belastungserleben zu reduzieren.
Zur Prävention von Erschöpfung und ähnlichen belastungsinduzierten Schädigungen in sozialen Berufen wird die Vermeidung des Empathischen Kurzschlusses angestrebt. Die Facetten von Belastungserleben reichen von emotionaler Erschöpfung, dem Wunsch den Beruf zu verlassen bis hin zum Burnout. Gründe für die Abwanderung aus der Pflege sind entsprechend die hohe körperliche und emotionale Belastung sowie das Gefühl, den Erkrankten nicht gerecht werden zu können. Eine verbesserte Empathiekompetenz wirkt sich also sowohl positiv auf Patienten, An- und Zugehörige als auch auf den einzelnen Mitarbeitenden aus und könnte von Arbeitgeberseite beispielsweise innerhalb des Betrieblichen Gesundheitsmanagements durch verpflichtende, interdisziplinäre Empathietrainings gefördert werden.
Die Zukunft liegt in der digitalen Transformation hin zum Smart Hospital mit vernetzen Strukturen, digitalen Automatismen in Pflege, Medizin und Therapie und vielem mehr. Für die zwischenmenschliche Kommunikation und persönliche Kontakte kann dies jedoch eine Entfremdung bedeuten, wenn Patienten beispielsweise bei Anrufen in der Zentrale eines Krankenhauses an einen digitalen Bot gelangen, der das Anliegen abfängt oder bereits Antworten gibt ganz ohne persönliches Gespräch mit einem Klinikmitarbeiter. Zudem stehen Menschen Neuerungen bzw. Veränderungen oft skeptisch oder gar ängstlich gegenüber, vor allem, wenn sie diese nicht genau verstehen. Denken wir beispielsweise an Algorithmen einer Künstlichen Intelligenz, die längst Einzug gefunden haben in die Patientenversorgung. All dies kann den ohnehin belasteten Patienten und seine Angehörigen zusätzlich verunsichern und den Bedarf an empathischen Begegnungen noch erhöhen.
Mit der digitalen Transformation sind auch für Mitarbeitende stetige Veränderungsprozesse verbunden, die verunsichern können und womöglich durch notwendiges Erlernen neuer Abläufe und Tools zusätzliche Arbeit bedeuten. Hierdurch kann für die Mitarbeitenden die Belastung zuerst zunehmen bevor sie abnimmt. Und auch Mitarbeitende müssen zudem gegebenenfalls einem nicht erfüllten Bedürfnis nach persönlicher Kommunikation mit Patienten und Angehörigen begegnen. Umso wichtiger wird es daher für die weniger aber intensiver werdenden persönlichen Kontakte durch eine Vermeidung von EKS Belastungen zu reduzieren und gezielt an der eigenen Empathiefähigkeit zu arbeiten.
Empathie- und Kommunikationstechniken sind trainierbare Fähigkeiten und Kompetenzen, die zukünftig noch bedeutsamer im Patienten- und Angehörigenkontakt sein werden, da sich die Anzahl der persönlichen Kontakte reduzieren und die Intensität der Gespräche zunehmen wird.
Hierin liegt die große Chance und Herausforderung in der digitalen Transformation: Durch ein Mehr an digitaler Unterstützung kann ein Mehr an Humanität ins Krankenhaus zurückkehren – zum Wohle und zur Entlastung aller.
Daher sind Empathie- und Kommunikationsfähigkeiten nicht dem Zufall oder den persönlichen Neigungen zu überlassen, sondern systematisch, am besten schon in der schulischen Laufbahn, zu vermitteln und einzuüben.
Altmann T (2015) Empathie in sozialen Pflegeberufen, Psychologie in Bildung und Erziehung; vom Wissen zum Handeln. Springer Fachmedien Wiesbaden
Altmann T (2016) Empathiearbeit mit Gewaltfreier Kommunikation. In: Roth M, Schönefeld V, Altmann T (Hrsg.) Trainings- und Interventionsprogramme zur Förderung von Empathie. 111–125. Springer Verlag Berlin/ Heidelberg
DBFK (2021) Manifest der Pflegeberufe. URL: https://www.dbfk.de/manifest/der-hintergrund/ (abgerufen am 05.02.2021)
Plüss A (2010) Empathie und moralische Erziehung: Das Einfühlungsvermögen aus philosophischer und pädagogischer Perspektive. LIT Verlag Münster
Monja Gerigk leitet seit November 2018 das Institut für PatientenErleben in der Universitätsmedizin Essen. Davor war sie stellvertretende Leiterin der Stabsstelle Qualitätsmanagement und klinisches Risikomanagement in der Universitätsklinik Essen. Nach der Ausbildung zur Kinderkrankenschwester und Weiterbildung zur Fachschwester für Anästhesie- und Intensivpflege wechselte sie zum Pharmakonzern Fresenius im Bereich Homecare zur Koordination und Standardisierung von Spezialtherapien im häuslichen Umfeld von Patienten. Ihr betriebswirtschaftliches Studium im Gesundheits- und Sozialwesen, die Qualifikationen im Bereich Qualitäts- und Risikomanagement als Auditorin, Dozentin, Autorin und als Systemischer Business Coach runden ihre Managementkompetenzen ab. Als Mitglied in der Ethikkommission legt sie unter anderem den Schwerpunkt auf die Patienteninformationen im Rahmen von Forschungsvorhaben.
„Es ist nett, wichtig zu sein. Aber noch wichtiger ist es, nett zu sein.“ (Roger Federer)
Wann sprechen wir von Freundlichkeit? Wird die Antwort zunächst einmal sozialpsychologisch betrachtet, müsste sie heißen:
Als Freundlichkeit bezeichnet man das anerkennende, respektvolle und wohlwollende Verhalten eines Menschen, aber auch seine innere wohlwollende Geneigtheit gegenüber seinem sozialen Umfeld.
Was sich im ersten Moment etwas sperrig anhört, birgt Wichtiges: Es begegnet derjenige seinen Mitmenschen freundlich, der sich ihnen gegenüber in Außenwirkung wertschätzend und aufmerksam verhält. Diese Definition überrascht die meisten Menschen vermutlich nicht. Doch für wahrhafte Freundlichkeit braucht es noch mehr: Das nette Auftreten muss nämlich auch einer entsprechenden inneren Haltung entspringen und darf zum Beispiel nicht nur vorgespielt werden. Wir brauchen also beides: das sympathische Auftreten und auch das innere Wohlwollen gegenüber unseren Mitmenschen. Erst dann ist unsere Freundlichkeit echt und authentisch.
Es bedeutet aber auch, dass man noch so viele Mitarbeiter in ihrem Auftreten gegenüber Patienten und Kunden schulen kann, sie über einen freundlichen Sprachgebrauch und höfliche Umgangsformen informieren kann; was es wirklich braucht, sind Mitarbeiter die innerliche Freundlichkeit besitzen. Alles andere würde auch der Patient alsbald bemerken, weil es einfach an Authentizität und damit auch an Glaubwürdigkeit fehlen würde.
Freundlichkeit und Wertschätzung wird im Umgang mit den Kunden anerkannt, wenn auch nicht immer optimal umgesetzt – im Umgang mit dem Patienten erfährt er manches Mal noch untergeordnete Bedeutung. Aus eigener Erfahrung muss ich bilanzieren, dass es als Patient keineswegs an der Tagesordnung ist, sich als „König Kunde“ zu fühlen. Vielmehr kommt man sich oftmals als Bittsteller vor, der ganz selbstverständlich auch einige Nachteile in Kauf nehmen muss:
lange Wartezeiten im Wartezimmer,
wenig Diskretion am Empfang,
mangelndes Feingefühl im Umgang mit dem Anliegen des Patienten,
ein gehetzter Arzt und
verwirrende Diagnosen, die nicht in die Sprache des Patienten übersetzt werden.
Womöglich mit Folgen, die nicht zu unterschätzen sind: Zieht man parallele Fälle aus der Arbeitswelt zu Rate, wird deutlich, dass der (freundliche und höfliche) Umgang mit dem Kunden manches Mal ein unterschätztes Phänomen ist. Allzu oft höre ich die Theorie, dass zunächst einmal Fachkompetenz entscheidend ist und sich alles andere hinten anstellen müsste.
Dabei wird übersehen, dass der Kunde fachliche Kompetenz meist nicht vollumfänglich beurteilen und bewerten kann und das schon gar nicht im prägenden ersten Eindruck. Infolgedessen spielt es für den Kunden eine umso größere Rolle, ob ihn sein Gegenüber bereits zum frühen Zeitpunkt als Person überzeugen kann – oder eben nicht. Großes Vertrauen in die Person bringt dann wiederum Vertrauen in die Sache und damit auch in die fachliche Kompetenz mit sich.
Darüber hinaus zeigt sich, dass es meist nicht gelingt, den Kunden dauerhaft zu binden, wenn es an der persönliche Beziehung und Bindung fehlt. Und dafür ist ein freundliches Miteinander unerlässlich. Kunden sind heutzutage wechselwilliger als je zuvor: Zum einen wird der persönliche Kontakt zum Kunden im Wege der Digitalisierung seltener – Bankkunden beispielsweise suchen ihre Filiale heutzutage deutlich seltener auf als das in früheren Zeiten der Fall gewesen ist: Überweisungsaufträge werden schon lange nicht mehr persönlich überreicht, das Online-Banking macht anonymes Agieren möglich und der Kontakt zum Kundenberater wird immer seltener. Folglich nimmt auch die persönliche Bindung zwischen Bank und Kunde stetig ab. Zum zweiten sind die Kunden heute so gut informiert wie nie zuvor: Dank der Digitalisierung ist es einfach herauszufinden, was andere Banken bzw. Dienstleister anzubieten haben. Schnell findet sich dann ein Angebot, das noch interessanter klingt und zum Wechseln einlädt.
Dieses Szenario lässt sich ohne weiteres auf andere Branchen übertragen: